Presseinformation November 2016 Über die gemeinsame Retrospektive des Filmmuseums und der Viennale haben wir Sie bereits in unserer letzten Presseaussendung informiert: Ein zweites Leben – Thema und Variation im Film ist von 14. Oktober bis 30. November 2016 im Filmmuseum zu sehen. Ende Oktober erscheinen auch die neue Filmmuseum-DVD (Josef von Sternbergs Filmdebüt The Salvation Hunters und das einzige überlieferte Fragment seines letzten Stummfilms, The Case of Lena Smith) sowie die neue FilmmuseumSynema-Publikation (Alain Bergalas The Cinema Hypothesis. Teaching Cinema in the Classroom and Beyond). Das November-Programm des Filmmuseums hält viele weitere Highlights bereit: eine Hommage an den iranischen Meisterregisseur Abbas Kiarostami, der im Juli dieses Jahres verstorben ist; fünf Weltpremieren von James Benning; ein spezielles Nachmittagskino zu Ehren der großen Schriftstellerin und Kinogängerin Ilse Aichinger, die am 1. November ihren 95. Geburtstag begeht; sowie – im Rahmen der Vienna Art Week – ein Fest für die analoge Filmkunst unter dem Titel The Last Machine, mit Gästen aus Paris, Berlin und Wien. Ab November widmet sich auch die Albertina dem Kino und seinen analogen Artefakten. In Kooperation mit dem Filmmuseum wird die Ausstellung Film-Stills. Fotografien zwischen Werbung, Kunst und Kino präsentiert – ein umfangreicher Querschnitt durch jene Gattung, die gleichsam „zwischen den Medien“ entstanden ist: film stills sind bei Dreharbeiten auf dem Set aufgenommene Standfotos, die ursprünglich für Werbezwecke angefertigt wurden. Ein Drittel der gezeigten Exponate stammt aus der Fotosammlung des Österreichischen Filmmuseums. Die Albertina zeigt Film-Stills von 4. November 2016 bis 26. Februar 2017. Premiere Neue Werke von James Benning Die Uraufführung von fünf Filmen James Bennings (sowie eines kleinen „Antwortfilms“ von Michael Snow) markiert ein neues Kapitel in der langjährigen Beschäftigung des Filmmuseums mit dem Œuvre des amerikanischen Künstlers – nach einer Gesamtretrospektive samt Buchpublikation, der Herausgabe vieler seiner Werke auf DVD und der Restaurierung zahlreicher Benning-Filme in der Sammlung des Hauses. Unter den neuen Arbeiten befinden sich drei etwa einstündige „Landschaftsfilme“ – measuring change, Spring Equinox und Fall Equinox – sowie zwei kurze Hommagen an befreundete Filmemacher: Michael Snow und den heuer verstorbenen Peter Hutton. Die Vorstellungen finden in Anwesenheit von James Benning und in Zusammenarbeit mit der Universität für angewandte Kunst statt, wo Benning von 5. bis 15.11. ein Seminar halten wird. 10. November 2016 In Erinnerung an Abbas Kiarostami „Das Kino beginnt mit D.W. Griffith und endet mit Abbas Kiarostami.“ (Jean-Luc Godard) Fast zwei Jahre lang hatten die Wiener Filmakademie und das Filmmuseum an dem Projekt gearbeitet, den iranischen Regisseur, Künstler und Dichter Abbas Kiarostami erneut nach Wien zu bringen: Entlang einer Schau seiner Werke wollte er mit Film-Studierenden und dem Wiener Publikum einigen essentiellen Fragestellungen des Kinos nachgehen. Das Wunschvorhaben blieb unerfüllbar: An Krebs erkrankt, starb Kiarostami am 4. Juli 2016 in Paris, wohin er zur Behandlung gereist war. Als Hommage an einen Hauptgestalter des modernen Films zeigt das Filmmuseum nun seinen zentralen Werkkorpus, den schlagenden Beleg dafür, dass Kiarostami „das höchste künstlerische Niveau des Kinos repräsentierte“ (Martin Scorsese). Sieben unmittelbar hintereinander entstandene Spielfilme, die auf ihrem Weg rund um die Welt den persischen Regisseur berühmt machten und das iranische Kino stärker denn je in den Brennpunkt rückten. Sein ehemaliger Assistent Jafar Panahi (dessen Film Der weiße Ballon, nach einem Kiarostami-Drehbuch, am 15.11. im Rahmen der Utopie Film zu sehen ist) ist nicht die einzige wichtige Weltkino-Figur aus seinem Umfeld. Dabei kam der 1940 als Sohn eines Freskenmalers in Teheran geborene Abbas Kiarostami eher zufällig zum Film: Studiert hatte er Malerei und grafische Gestaltung, das Design von Postern und Werbungen brachte ihn zum iranischen Fernsehen, wo er in den frühen 1960er Jahren gut 150 Werbespots drehte. Einer davon führte den nunmehrigen Kinderbuchillustrator Ende der 60er zur Vereinigung zur Förderung der intellektuellen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen (Kanun). Kiarostami baute die Kanun-Filmabteilung mit auf, ab 1970 drehte er dort selbst Filme. Schon die ersten kurzen Gehversuche demonstrierten seinen speziellen Zugang zum Medium: Zum bevorzugten Fokus auf Kinder kam ein ungewöhnlicher, zwischen Dokument und Fiktion schillernder Stil. Das Wunder von Kiarostamis Kunst liegt in der schwerelos-selbstverständlichen Verwandlung ganz simpler, realistisch präsentierter Situationen in hochkomplexe, geheimnisvolle, spirituellphilosophisch schwingende Versuchsanordnungen. So etwa im Durchbruchsfilm Wo ist das Haus meines Freundes? (1987), der mit einem kleinen Jungen ins Nachbardorf aufbricht, damit dessen Klassenkollege das Schulheft zurück erhält: eine einfache Aufgabe, die zur kosmischen Entdeckungsreise wird – und zu einer Art Summe des KanunWerks von Kiarostami. Nachdem ein Erdbeben 1990 den Drehort Koker verwüstete, kehrte der Filmemacher für zwei Spurensuchen eben dorthin zurück: Und das Leben geht weiter (1992) und Quer durch den Olivenhain (1994) loten immer facettenreicher jenes irisierende Verhältnis zwischen Kino und Wirklichkeit aus, das er in der Filmpikareske Close-Up (1990) auf den Punkt gebracht hatte – eingedenk seines Diktums: „Wir können der Wahrheit nur nahe kommen, indem wir lügen.“ Kiarostami verzichtete auf regelkonforme Drehbücher. Er ließ sich in monatelanger Vorbereitung auf seine Laiendarsteller ein und gestaltete seine Sujets um sie herum. Ihre „natürlichen“ Reaktionen galten oft nicht dem (Filmfiguren-)Gegenüber, sondern Kiarostami höchstpersönlich. Bei der Montage wob er diese Momente in ein Werk, das unaufdringlich universale Erkenntnisse und raffinierteste Reflexionen offenbart: ein Kino auf Leben und Tod (buchstäblich in der Selbstmörder-Saga Der Geschmack der Kirsche) – und ein Kino des ewigen Wandels, kulminierend in Der Wind wird uns tragen (1999). Dieser Filmtitel, eine Bezugnahme auf die große persische Dichterin Forugh Farrokhzad, vermittelt auch das Selbstbild Kiarostamis – er sah sich eher als Lyriker denn als Erzähler. Seine filmische Landschaftsmalerei sucht den Takt und die Geometrie der Welt – und deren Unwägbarkeiten. Der Film 10 (2002) führt bereits in die nächste Werkphase, in der Kiarostami das „kleine“, flexible Medium Digitalvideo zu nutzen begann. Zehn Konversationen im Auto: eine Beschränkung, die er 2 wie stets als Chance zur Erweiterung, zur Vertiefung begriff. In den Worten von KiarostamiBewunderer Michael Haneke: Am schwierigsten zu erreichen ist die Einfachheit. Zum Auftakt der Schau, am 11. November, wird Michael Haneke über seine Beziehung zu Abbas Kiarostami und dessen Filmschaffen sprechen. Im Anschluss wird Kiarostamis Meisterwerk Close-Up gezeigt. 11. bis 30. November 2016 Nachmittagskino Nach Ilse Aichinger „Nichts wird von Zwischenzeiten erwartet. Vielleicht deshalb retten sie, was möglich ist: Fetzen im Herbstwind, Filme, die Erinnerung.“ (Ilse Aichinger) Das Nachmittagskino taugt wohl kaum als Kontrapunkt zum schrillen Mitternachtskino der 1970er Jahre. Der Nachmittag ist gewöhnlich, unspektakulär. Keine Uhrzeit für Superlative, keine, um Programme zu verwirklichen. Aber vielleicht ist er gerade deshalb die „bessere Tageszeit“, wie ihn die Wiener Autorin Ilse Aichinger mit Zurückhaltung ehrt? Initiiert und kuratiert vom Ilse-Aichinger-Haus, dem Literaturhaus ohne Mauern, sucht die Reihe Nachmittagskino das unauflösliche, leidenschaftliche und anarchische Moment in Aichingers Kinogehen und Schreiben – an drei Wochenenden im November, mit jeweils zwei Filmen pro Nachmittag. Das Programm entstand aus der Beschäftigung mit Filmen, die Aichinger in ihren Standard-Glossen erwähnt hat. Einige davon, wie Louis Malles Au revoir les enfants oder Max Ophüls‘ Liebelei, kehren immer wieder; aber die Bedeutung von Film für Aichinger ist nicht auf zeithistorische oder Wien-bezogene Filme zu begrenzen. Die (fast hundertjährige) Leidenschaft dieser Kinogängerin äußert sich vielmehr in Assoziationen zwischen Filmen. Ihre Glossen folgen keinen Mustern der Filmkritik, sondern entdecken Bezüge, wo nur Zufall war. Zwischen Sister Act und Visconti, von Hartmut Bitomskys Deutschlandbildern bis zu den Beatles: Was hier gesucht wird, ist die Weite, die doch nicht zufällig ist, die schüchterne Berührung des Beliebigen und die Freiheit, Zusammenhänge zu bilden oder fort zu bleiben. Ergo Ilse Aichinger am Nachmittag. 12. bis 27. November 2016 The Last Machine Analoge Filmkunst aus Berlin, Paris, Wien „Keine Aktivität kann eine Kunst werden, bevor ihre ureigene Epoche zu Ende und ihr Gebrauchswert als Mittel des nackten Überlebens dahingeschwunden ist“, heißt es in einem Essay Hollis Framptons aus dem Jahr 1971. Dass der analoge Film überholt und veraltet sei, hört man zur Zeit vor allem aus dem industriellen Kontext; in cinephilen Kreisen und in der Kunstwelt beobachtet man eine Gegenbewegung: Die Singularität und Schönheit dieser letzten Maschinenkunst scheint gerade erst wiederentdeckt zu werden. 3 Im Rahmen der Vienna Art Week fokussiert das Filmmuseum auf drei Orte, an denen der Film nie als überholt betrachtet und konsequent mit ihm weiter gearbeitet wurde: Die Wiener „Schule Friedl Kubelka für unabhängigen Film“ feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen und stellt den seltenen Fall einer im eigentlichen Sinne ausbildenden Institution im Bereich des analogen Films dar. Im Vergleich dazu ist „LaborBerlin“ nicht lehrplanmäßig organisiert und fungiert als eigenständiges, basisdemokratisch geführtes Filmkollektiv, in dessen Zentrum der analoge Film und – konsequenterweise – ein analoges Filmlabor stehen. Vergleichbar damit ist auch das von Künstler/inne/n unterhaltene Kollektiv „L'Abominable“ in Paris, das seit nunmehr 20 Jahren das Arbeiten mit analogem Film unterstützt, begleitet und weiter entwickelt. Die Reihe zeigt eine verdichtete Auswahl von Filmen, die in den Orbits dieser Institutionen zu kreisen begonnen haben. Zugleich geht es aber auch – in Form von Gesprächen mit Vertreter/inne/n der drei Institutionen – um die Kontexte und Strukturen, die es überhaupt erst ermöglichen, dass Film in Zeiten seiner industriellen Verdrängung weiter bestehen kann, um seine Ausdruckskraft – seine Kunst – in die Umlaufbahn unserer Weltwahrnehmung zurückfließen zu lassen. Im Zuge der Reihe finden Gespräche mit den Gästen Philipp Fleischmann (Schule Friedl Kubelka), Bernd Lützeler (LaborBerlin) und Nicolas Rey (L‘Abominable) statt – sowie die Präsentation der neuen Wiener Publikation Alles gegen die Anpassung! Alles gegen die Regeln! 16. bis 18. November 2016 Weitere Informationen und Fotos finden Sie auf www.filmmuseum.at oder Sie wenden sich direkt an: Alessandra Thiele, [email protected], T + 43 | 1 | 533 70 54 DW 22 Eszter Kondor, [email protected], T +43 | 1 | 533 70 54 DW 12 4