BAU9_012S8b118_Layout 1 02.10.12 12:32 Seite 88 Fokus Sanierung Sanierung von Nachkriegsgebäuden Das neue Erscheinungsbild lässt eher an einen Neubau denken: Komplett-Sanierung in der Zirkusgasse in Wien Trister Altbestand, der an eine Kaserne erinnerte ©silberpfeil (2) Alt war gestern Gebäude aus den 50ern bis in die 70er-Jahre weisen erhebliche Defizite auf, wenn man sie mit den Anforderungen und technischen Möglichkeiten von heute betrachtet. Und sind deshalb Herausforderung und Spielwiese für Planer, die sich aufs Bauen im Bestand spezialisiert haben. Text: Alexander s ist hinlänglich bekannt, dass 40 Prozent der in Österreich benötigten Gesamtenergie auf den Bedarf für Heizen und Warmwasser in Gebäuden entfällt. Dementsprechend groß ist auch der Ausstoß an Schadstoffen, die Häuser aus der Nachkriegszeit verursachen. Im Rahmen einer Sanierung ist jedoch nicht nur die thermische Modernisierung gefragt, auch die Umsetzung zeitgemäßer Wohnbehaglichkeit und Nutzung. „Gerade in den letzten Jahren haben die Länder mit ihren Förderinstrumenten stark den Fokus für Gebäude aus diesem Zeitraum gelegt“, erklärt Walter Hüttler, Geschäftsführer und Gesellschafter von e7, E 88 9/2012 Mit dem Thema „Bauen im Bestand“ hat sich auch Peter Rogl, mit Christian Koblinger Gründer von silberpfeil-architekten, seit Beginn seines Architekturbüros 2001 befasst. Mit dem Begriff „Substanzinnovation“ wird die Komplexität des Sanierungsthemas beschrieben. „Naturgemäß sehen wir Architekten diesen Themenbereich nicht rein technisch, sondern vor allem als gestalterische Aufgabe“, proklamiert Rogl sein Credo, „gerade Gebäude aus den 50er- bis 70er-Jahren machen in hohem Ausmaß eine funktionelle Sanierung erforderlich.“ Peer einem Unternehmen, das Forschung und Beratung zu energieeffizientem Bauen und Sanieren betreibt. „Das Wichtige bei langfristigen Projekten wie Gebäudeerrichtung und -sanierung ist Planungssicherheit und Verlässlichkeit in Hinblick auf Baustandards und Förderbedingungen. Leider ist die Bereitschaft ein wenig zurückgehend, aber ich hoffe, dass die Politik wieder eine kontinuierliche Förderwilligkeit demonstriert.“ Denn mit einem Altgebäudebestand von 70 Prozent, worunter ein großer Teil eben auch die Nachkriegsära betrifft, weist beispielsweise Wien immer noch einen massiven Sanierungsbedarf auf. Christian Koblinger, Peter Rogl (silberpfeilArchitekten) Ein vor kürzerer Zeit abgeschlossenes Projekt in der Zirkusgasse veranschaulicht die Herausforderung gut. 200 Bestandswohnungen wurden adaptiert, dazu kam eine Sockelsanierung sowie ein Neubau für 26 Dachgeschoßwohnungen. „Wir haben die triste, kasernenhafte Fassade eines sehr ©silberpfeil (4) Fokus Sanierung Eine komplette Neugestaltung des Stiegenhauses ermöglicht nun völlige Barrierefreiheit statt einer Lösung mit Halbstöcken großen Gebäudekomplexes im Rahmen der thermischen Sanierung neu eingekleidet“, illustriert Rogl. „Dass wir all die anderen Dinge zur Wohnungsverbesserung – wie Freiräume schaffen, bessere Belichtung ermöglichen usw. – berücksichtigt haben, versteht sich von selbst. Ganz wichtig bei diesem Projekt war aber auch die Gewährleistung von Barrierefreiheit.“ Manchmal ist die gesetzliche Vorgabe noch nicht die Garantie dafür, dass dann in der Realität diese Barrierefreiheit tatsächlich gegeben ist. Der Altbestand wies ein zweiläufiges Stiegenhaus auf, das durch einen neuen, ergänzenden Lift noch nicht befriedigend nutzbar wurde. „Wenn der Aufzug im Halbstock ankommt und dann für die mehrheitlich alten Menschen immer noch eine Schwelle in Form einiger Stufen vorhanden ist, bis sie in ihre Wohnung gelangen, habe ich nicht vollkommene Barrierefreiheit erzielt“, so Rogl. Die Lösung dafür erforderte ein radikales Vorgehen. Eine Lösung, die auch einigen Energieaufwand bedeutete, um in der Planungsphase alle Beteiligten von deren Sinnhaftigkeit zu überzeugen. Denn die Stiegenhäuser wurden schließlich komplett herausgerissen, wodurch das Gebäude während der Sanierung kein Bestandsstiegenhaus aufwies. „Wir mussten provisorische Stiegenhäuser davor stellen und einen zusätzlichen Fluchtweg über den Dachraum in das Nachbarhaus einrichten“, erklärt Rogl. Da der Gebäudekomplex acht Stiegenhäuser aufwies, kann man daraus leicht schließen, welch enorme logistische Aufgabe in der Umsetzung gegeben war. Der Aufwand scheint sich jedoch gelohnt zu haben. Das zweiläufige Stiegenhaus wurde durch eine einläufige Treppe mit einem durchgängigen Podest über die Länge des alten Stiegenhauses ersetzt. „Es war ein Arbeiten fast wie im Bergwerk“, schildert Rogl. Dass eine solch massive Gebäudeintervention bei laufendem Betrieb auch eine Herausforderung an die kommunikativen Fähigkeit des Architekten oder Ingenieurs stellt, ist offensichtlich. Gerade der Eingriff in den Intimbereich, zu dem sich die eigene Wohnung gewiss zählen lässt, erfordert ständige Kommunikation mit den Betroffenen, die so selten nicht die Sanierung als grobe Störung und Aufdringlichkeit empfinden. Dieses Spiel endet nicht mit dem Schlusspfiff Eine ähnliche Erfahrung hat auch Hüttler gemacht, der darüber hinaus betont, dass das Ende der Sanierung nicht notwendigerweise das Ende der Arbeit bedeutet. „Wichtig ist, dass nach der Installation der neuen Anlagen auch dafür Sorge getragen wird, dass diese ordnungsgemäß funktionieren“, plädiert Hüttler für eine Evaluierungsphase. „In den allermeis- Fokus Sanierung Nachkriegszeit ein Muss. Im Detail kann ten Fällen ist das nämlich leider nicht so. die Lösung jedoch recht unterschiedlich Sie funktionieren in 90 Prozent der Fälle aussehen. „Eine Schwierigkeit bei einer suboptimal, weil die Einstellungen nicht Lüftungsanlage ist beispielsweise, dass ich passen. Diese können nur durch ein Monieine Verrohrung in den Vorräumen durchtoring verbessert werden.“ führen muss, um die Lüftungsleitung in die Am besten sei eine gewissenhafte PrüWohnräume zu legen“, stellt Hüttler dar. fung über zwei Heizperioden, dann lässt „Dabei ist die Decke abzuhängen. Viele sich feststellen, ob das in Aussicht gestellte Vorzimmer weisen Einbaukästen auf, die Einsparpotenzial Raumhöhen sind außerdem niedrig. Das auch wirklich ist der Grund, warum man bei der Sanieerbracht wird. „Da rung manchmal Einzelraumlüftungsgeräte wird einiges an Potenzial verschenkt, einsetzt.“ Eine Lüftungsnotwendigkeit ergibt sich was eine gute Sanieallein durch die Dichtheit der neuen rung brächte“, ärgert Gebäudehülle. Zumindest fünfmal täglich sich Hüttler. Üblimuss ein Stoßlüften von mehreren Minucherweise ruft ein ten erfolgen, damit der hygienisch und Wohnungsnutzer bauphysikalisch erforderliche Luftwechsel nur dann den technizur Vermeidung von Schimmelbildung schen Hilfsdienst, e7-Geschäftsführer stattfindet. Bei etlichen Wohnungen sind wenn seine Heizung Walter Hüttler verjedoch deren Nutzer tagsüber aufgrund zum Beispiel nicht misst Förderwilligkeit von Beruf, Studium oder anderweitigen funktioniert. Wenn in der Politik Erledigungen gar nicht in der Lage, diese die thermische Stoßlüftung selbst zu leisten. „Außerdem Solaranlage jedoch ist das Lüftungsverhalten auch eine Frage nur die Hälfte des Ertrags liefert, kommt der der Gewohnheit“, schafft Hüttler VerständRest etwa aus dem Gaskessel. Die Erkenntnis für festgefahrene Verhaltensweisen. nis kommt dann erst mit der Energiekosten„Wenn ich jahrzehntelang mit zugigen abrechnung. Fenstern lebe, dann brauche ich eben nicht Natürlich ist die Verbesserung der extra lüften.“ Gebäudehülle und der Ersatz der hausDie Einzelraumlüftungsgeräte mit technischen Anlagen wie WarmwasseraufWärmerückgewinnung haben für gewöhnbereitung, Heizungsanlage oder thermische lich eine Größe von 40 x 40 cm und weisen Solaranlage bei vielen Häusern aus der Sanierung „Wien Süd“ – Buckalgasse in Wien Das Gebäude der Wien-Süd Gemeinnützige Bau- und Wohnungsgenossenschaft wurde in den Jahren 1958/59 errichtet. Es war eine Herausforderung, diese umfassende Sanierung in einem voll bewohnten Wohnhaus umzusetzen. In Zusammenarbeit mit dem Lichtlabor der Universität Krems wurden an den Ost-Süd-West-Fassaden 45° schräge Fensterlaibungen im Seiten- und Sturzbereich geschaffen. Dadurch wurde bewiesen, dass eine Erhöhung des Lichteinfalls in die Wohnungen auch bei zunehmender Dämmstärke möglich ist. Die gebäudeintegrierten Photovoltaik-Paneele sind auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar, da sie in Farbe und Textur an dekorative schwarze Glasplatten erinnern. Es handelt sich um CIS-Module, eine Mischung aus Kristallin- und Dünnschichttechnik, die auch bei Schwachlicht Strom produzieren können. Sie erfüllen die Aufgabe der Balkonverkleidung, erzeugen ca. 4000 kWh Strom (CO2-neutral) und tragen wesentlich zum positiven Erscheinungsbild des Gebäudes bei. 90 9/2012 einen lärmarmen Ventilator auf. Mittels Kernbohrung durch die Außenwand werden diese installiert. In der Wohnung selbst ist ein minimaler Eingriff nötig und damit wird die Belastbarkeit der Mieter nicht über Gebühr strapaziert. Aus diesem Grund werden Einzelraumlüftungsgeräte vielfach in der Sanierung eingesetzt. So zum Beispiel bei einem der innovativsten Projekte der letzten Jahre, der Sanierung der GIWOG-Wohnhausanlage in der Makartstraße in Linz. Bei dieser Sanierung des Objekts mittels vorgehängten Fassadenelementen auf Passivhausstandard wurde die kostenschonendere und für den Gebäudekorpus sozusagen weniger invasive Lösung mit Einzelraumlüftungsgeräten gewählt. Das allgemeine Ziel der thermischen Sanierung ist, das Gebäude zumindest auf Niedrigenergiehausstandard zu hieven. Neu interpretiert Ein großer Vorteil, den Gebäude aus der Nachkriegszeit gegenüber Gründerzeithäusern aufweisen, ist der Wegfall all zu einengender Denkmalschutzauflagen. Eine Jugendstilfassade kann nun einmal nicht mit Dämmwänden zugeklebt werden. In der Nachkriegszeit waren Fassaden eben nicht mehr unbedingt Visitkarten ihrer Besitzer. Dennoch können auch diese Gebäude Erhaltenswertes aufweisen. Die silberpfeil-architekten haben vor gar nicht langer Zeit ein Gebäude mit einer hochwertigen Glasmosaikfassade aus den 50er-Jahren saniert. „Man hat natürlich als verantwortungsbewusster Planer immer das Ziel, ein attraktives und nicht nur ein technisch funktionierendes Gebäude zu hinterlassen, wenn die Arbeit beendet ist“, versichert der Architekt. Im konkreten Fall wurde in Abstimmung mit der MA 19 ein Sanierungsvorschlag ausgearbeitet, der die Qualitäten der ursprünglichen Fassade neu interpretiert. Dazu wurde ein anderes Material gewählt. Es handelt sich nicht mehr um Glasmosaik, sondern es wurden auf einer hochwertig hinterlüfteten Fassade Paneele angebracht. Diese strukturierten, gelochten und in verschiedenen Farben eloxierten Metall-Aluminium-Paneele bewahren mit ihrer farblichen Hinterlegung das fröhliche Erscheinungsbild, das der ursprünglichen Planung innewohnte. Neuinterpretation ohne Verlust von Wertvollem ist hier das Motto gewesen. Die Einbettung des Gebäudes in seine urbane Umgebung ist den silberpfeilarchitekten auch bei einem brandaktuellen Projekt ein wichtiges Anliegen. In sehr prominenter Innenstadtlage wird die Umstrukturierung des Gebäudes dazu genutzt, neuen öffentlichen Raum zu schaffen. „Ein brachliegender Innenhof wird zu einer neuen Passage, die in Hinkunft die Wollzeile mit dem Lugeck verbindet“, hebt Rogl hervor. Dieser ästhetische Mehrwert hat jedoch auch einen für das Mikroklima faktisch bedeutsamen Gewinn. Gerade die dicht verbauten Innenstadtbezirke Wiens können jeden Quadratmeter Grünfläche gut gebrauchen. „Abgesehen vom allgemeinen Erholungswert durch Grünzonen finden Verbesserungen des Mikroklimas in fast allen unseren Konzepten einen Niederschlag“, versichert Rogl. Damit ist auch die Frage der Haustechnikadaption verbunden, denn durch einen begrünten Innenhof kann auf energetischer Ebene mehr erreicht werden, als durch das phantasielose Eindämmen von Gebäuden. Nicht zuletzt deshalb versinnbildlicht der Name von Rogls & Koblingers Architekturbüro – silberpfeil-architekten – den Charakter einer maßgeblichen Innovation. Es war der Silberpfeil von Mercedes, der in den 30er-Jahren im Automobilsport für Furore gesorgt hat und den die leidenschaftlichen Architekten mit Perspektive auf die Profession und Innovation dieser geistigen Vorfahren für ihre eigene Berufung herangezogen haben. HIER HAGELT‘S SICHERHEIT! Sanierung Buwog – Rudolf-Zeller-Gasse in Wien Die an der Rudolf-Zeller-Gasse 54 im 23. Wiener Gemeindebezirk gelegene Anlage der Buwog ist zu Beginn der 1970erJahre fertiggestellt worden und besteht aus drei viergeschoßigen Trakten. Die unschlagbare Fassadendämmung mit Carbonschutz! Rund 25 % höhere Dämmleistung Dauerhaft formstabil Thermisch robust Unverwechselbare Optik Das optimale WärmedämmVerbundsystem für Ihr Haus! *(7(;,*;)H\Z[VMÄUK\Z[YPL.TI/ (7LYN)HOUOVMZ[YHL;LSLMVU -H_PUMV'JHWH[LJ[H[ www.capatect.at Ausgehend von einer kompletten thermischen Sanierung der Anlage mit insgesamt 92 Wohnungen wurden alle elf Stiegenhäuser mit einem neuen Lift ausgestattet, sämtliche Loggien der bestehenden Wohnungen mit neuen Balkonen erweitert, und in einem neuen Dachgeschoß zusätzlich 16 Dachterrassenwohnungen errichtet. Ergänzend dazu wurden die Erschließungs- und Allgemeinflächen der gesamten Anlage neu gestaltet und Teile des Grünbereichs zu Eigengärten umgewidmet. Für die anspruchsvolle Gestaltung der Details zeichnet die Atelier Heiss GmbH verantwortlich. Ein spannender Punkt dabei ist das neue Lichtkonzept. Durch großflächige Anrampungen sind die Stiegenhauszugänge und somit die Aufzüge nun barrierefrei erreichbar. Speziell bei von Mieter identifizierten „Angsträumen“ wurde die Beleuchtungsdichte durch Lichtpoller massiv gesteigert. Zusätzlich bringen im Schachtkopf montierte LED-Strahler die Liftschächte zum Leuchten und bieten zusätzlich Orientierung. Weitere Maßnahmen sind eine 14 Zentimeter starke Kellerdeckendämmung, 15 Zentimeter Fassadendämmung, Fenstertausch im Bestand: Holzfenster mit 2-Scheibenisolierverglasung (U-Wert 1,3 W/m2K, und 41dB Schalldämmwert), die bestehenden Loggien wurden mittels Balkonzubauten erweitert.