Luhmann Systemtheorie und Kommunikation

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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Studenten Ressource für die Lehrveranstaltung
„Luhmann Systemtheorie und Kommunikation“
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Inhaltsverzeichnis:
I.
Einleitung
II.
Zur Person Luhmanns
III.
Luhmanns wissenschaftlicher Ansatz der Theorie sozialer Systeme
IV.
Systemtheorie als interdisziplinäres Paradigma
V.
Sozialität der Kommunikation
VI.
Zur Theorie der Massenkommunikation und der Medien
Anhang: Wikipedia: Theorie Sozialer Systeme
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
I.
Einleitung
Kneer und Nassehi (1993) konstatieren das gespaltene Verhältnis Luhmanns zur Disziplin der
Soziologie. Luhmann, der nach einer Karriere als Jurist in der öffentlichen Verwaltung 1968
an die Universität Bielefeld berufen wurde, gibt an, an einem Lehrstuhl für Soziologie deshalb
besonders interessiert zu sein, „weil man als Soziologe alles machen kann, ohne auf einen
bestimmten Themenbereich festgelegt zu sein.“ (S. 8 Kneer und Nassehi 1993) Luhmann
differenziert sich sowohl von der empirischen Sozialforschung, die nur methodologisch, nicht
aber theoretisch schule, als auch von der theoretischen Soziologie, die nur Texte über Texte
produziere. Vielmehr fokussiert Luhmann auf das Interesse an einer Theorie, „deren Auflöse-,
und Rekombinationsvermögen soweit fortgeschritten ist, dass man die moderne Gesellschaft
theoretisch besser in den Blick bekommt.
(S. 9 ebd.) Da er Theorien aus besseren
Differenzen ableitet, ist für ihn das Verhältnis von Systemen und Umwelt wesentlich, wie
auch der Funktionalismus, der es ermöglichte, Verschiedenes miteinander zu vergleichen.
Der
Untersuchungsgegenstand
dieser
Seminararbeit
befasst
sich
mit
Luhmanns
wissenschaftlichem Ansatz der Sozialität als Kommunikation, sowie der Theorie der
Massenkommunikation und der Medien. Daumenlang und Heinrich (1997) erläutern zu
Kommunikationstheorien die enge Verwandtschaft von Kommunikation mit den Begriffen
„Interaktion“ und „Sprache“, wobei Kommunikation im engeren Sinn als „Vermittlung von
Bedeutung zwischen Menschen nach Reimann (1991, S. 965, ebd.) definiert wird. Zu den
notwendigen Kommunikationsvoraussetzungen gehören linguistische Kompetenz (Chomsky,
S.973 ebd.) der Anwendung grammatikalischer Regeln, sowie kommunikativen Kompetenz
der Erfüllung dieses Zeichensystems mit Sinn durch Erlernen der Bedeutungen, (Habermas,
S. 973 ebd.) die gemäß der Theorie des Symbolischen Interaktionismus ( Mead. S. 973, ebd.)
erst Verstehen ein gemeinschaftliches Zusammenleben ermöglicht; weiters die Beachtung der
menschlichen
Wahrnehmungsformen
um
Kommunikationsmangel
bzw.
Kommunikationsüberfluss zu beherrschen. Niklas Luhmann (1986, S.973, ebd.) sieht
gleichfalls in dieser kommunikativen Verbundenheit die Grundlage von sozialen Systemen.
Diese bestünde nicht aus Menschen oder deren Handlungen, sondern aus deren symbolischem
Ergebnis, das heißt aus deren Kommunikationen. In den sozialen Systemen entwickeln sich
Kommunikationsstrukturen (Festlegung der Teilnehmer am Kommunikationsprozess) und
Kommunikationsmuster. (Festlegung der Art der Kommunikation und ihrer Situationen, siehe
informelle und formelle Kommunikation). Die allgemeine Systemtheorie betrachtet
Kommunikationsstörungen als Entropie, verursacht durch das Nicht-Beachten bzw. NichtVorhandensein der kommunikativen Kompetenz - wogegen negative Entropie der
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Kommunikation, Redundanz, Feedback und Metakommunikation, geeignete Instrumente
bilden. Nach Daumenlang und Heinrich (1997, S. 975ff.) ist die Massenkommunikation, der
auf den Einsatz elektronischer Medien gestützte Bereich der Kommunikation mit den
Funktionen Unterhaltung, Bildung, Information und Alltagsstrukturierung der Rezipienten;
wobei
die
informierenden
Massenmedien
als
vierte
Macht
im
Staate,
somit
Massenkommunikation als persuasive Kommunikation fungiert. Ortmann (1999, S.17) fasst
über die Realität der Massenmedien von Niklas Luhmann zusammen, dass sie die Realität
nicht abbilden, sondern als Stoff für unsere Wirklichkeit konstruieren. Die Gesellschaft kenne
von der Welt nur, was die Massenmedien darstellen und könne nur das als Welt zur Kenntnis
nehmen, was von den Massenmedien berichtet wird, sodass wir nach Luhmann kaum in der
Lage wären, „das medienvermittelte Wissen von dem kleingeschriebenen, selbsterfahrenen
wirklich zu trennen , und bezweifelt die Wahrheit der Massenmedien
als nicht-
wissenschaftliche Wahrheit , wobei er Massenmedien als eigenes gesellschaftliches
Funktionssystem untersucht.
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
II.
Zur Person Luhmanns
Geboren 08.12.1927 in Lüneburg, gestorben 06.11.1998 in Bielefeld.
Kneer und Nassehi (1993) deuten an, dass Luhmanns Weg als Jurist und Soziologe in die
Wissenschaft ungewöhnlich verlaufen sei. Als studierter Jurist im Verwaltungsdienst befasste
er sich mit soziologischen Texten. Er erfand den Zettelkasten, ein thematisch vernetztes TextVerweissystem, ging 1960/1961 an die Harward Universität, mit dem Fokus auf
Systemtheorie, bevor er 1962 als Referent an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften
in Speyer seine akademische Laufbahn begann, da er als Verwaltungsbeamter seinen
speziellen wissenschaftlichen Interessen nicht nachgehen konnte. 1966 promovierte und
habilitierte sich Luhmann an der Universität Münster, 1968 wurde er Universitätsprofessor an
der neukonzipierten Universität Bielfeld. Nach der Universität Essen (2003a) gilt der
Soziologe Niklas Luhmann ... als der deutsche Vertreter und Begründer der Systemtheorie.
Er hat mannigfaltige Forschungen nicht nur in der Soziologie, sondern auch in den
Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, in der Theologie, der Geschichtswissenschaft,
Kommunikationswissenschaft und in der Literaturwissenschaft angeregt. Grund hierfür ist
sein Anspruch, alle gesellschaftlichen Teilbereiche mit denselben Kategorien beschreiben zu
können. Wie ist das möglich? Die Systemtheorie hat einen völlig neuen Blick auf die
vormoderne und moderne europäische Gesellschaft geworfen. Für Luhmann gelten nicht
länger die sozialen Unterschiede als bestimmende Strukturprinzipien der Gesellschaft,
sondern die verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche (Wirtschaft, Recht, Politik,
Wissenschaft, Kunst, Erziehung, Liebe), in denen nach je eigenen Logiken unabhängig von
den jeweils anderen Systemen gehandelt wird - Luhmann bevorzugt den Begriff kommuniziert.
Diese Systeme bezeichnet er als Funktionssysteme, die jeweils eine wichtige gesellschaftliche
Aufgabe / Funktion exklusiv übernehmen. Das Wirtschaftssystem hat die Aufgabe, knappe
Güter zu verteilen, das Rechtssystem formuliert allgemein bindende Rechtsnormen und setzt
sie durch, das Wissenschaftssystem gewinnt Erkenntnisse über die Wirklichkeit und das
Politiksystem trifft kollektiv bindende Entscheidungen. All diese Systeme sind laut Luhmann
ähnlich strukturiert. Ihnen ist gemeinsam, daß sie eine Funktion exklusiv erfüllen müssen, und
daß sie autonom sind - sie erzeugen also die Regeln, nach denen sie operieren, ebenso selber,
wie auch die Elemente, aus denen sie bestehen. Diesen Vorgang nennt Luhmann Autopoiesis.
Außerdem orientieren sich die Systeme an einer Leitdifferenz, im Wirtschaftssystem geht es
etwa vorrangig um Zahlen und Nichtzahlen, im Rechtssystem um die Differenz zwischen
Recht und Unrecht, im Wissenschaftssystem um die von Wahrheit und Unwahrheit, - im
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Politiksystem schließlich um Macht oder Nicht-Macht. Diese Leitdifferenz wird auch der
Code des Systems genannt.
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
III.
Luhmanns wissenschaftlicher Ansatz der Theorie sozialer Systeme
Luhmann versucht, zwischen folgenden heterogenen Bestandteilen einen Theorieverbund
herzustellen.
1. Allgemeine
Systemtheorie.
(Erkenntnistheorien
von
Beobachtungsverhältnissen);
2. Allgemeine
Theorie
sozialer
Systeme.
(Selbstreferentieller
Kommunikationszusammenhang in struktureller Koppelung mit psychischen
Systemen);
3. Theorie sozio-kultureller Evolution. (Zusammenwirken von
Selektions-,
Stabilisierungsmechanismen
bei
langfristiger
Variations-,
Veränderung
sozialer Strukturen);
4. Theorie gesellschaftlicher Differenzierung. (Funktionale Differenzierung in
Teilsysteme, die anhand von Leitdifferenzen Funktionen der Gesellschaft
exklusiv bedienen);
5. Theorie
symbolisch
generalisierter
Kommunikationsmedien.
(Motivationsmittel für Anschlusskommunikation und somit die Bildung
sozialer Systeme);
Nach Kneer und Nassehi (1993) verdankt sich Luhmanns öffentliche Wirkungsgeschichte vor
allem der Kontroverse - als Anti-Habermas - mit dem Frankfurter Sozialphilosophen Jürgen
Habermas; sein 1984 erschienenes
Hauptwerk „Soziale Systeme“ begründe den
Paradigmenwechsel zur Theorie autopoietischer Systeme, bevor er sich mit den
verschiedensten Themen theoretischer Teilsysteme (Recht, Religion, Politik, Wirtschaft,
Wissenschaft, Kunst) auseinandersetzte. Für ihn war Soziologie die Lehre vom „zweiten
Blick“, bei dem erst Fragen und Bedenken vorkommen, indem gerade das „Nicht-Verstehen“
des ersten Blicks zum Verstehen auf den zweiten Blick gerade zu zwingen. (S. 11-13, ebd.)
Nach Heinze (2000, S.71) sind die Theorie des kommunikativen Handelns und die Theorie
autonomer sozialer Systeme von Luhmann, die mit Abstand wichtigsten Theoriemodelle in
der gegenwärtigen Diskussion. Beiden gemeinsam sei das Anliegen der Komplettierung
strukturtheoretischer Positionen mittels handlungstheoretischer Ansätze, die sich beide als
Kommunikations- und nicht als Handlungstheorien definieren.
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
IV.
Systemtheorie als interdisziplinäres Paradigma
Kneer und Nassehi (1993) eröffnen ihr Fachbuch über Niklas Luhmanns Theorie sozialer
Systeme mit einer Einführung in die allgemeine Systemtheorie, sowie in holistische und
systemtheoretische Denkweisen in der Soziologie. Sie betrachten Systemtheorie als
interdiziplinäres Paradigma.
Nach Bornmann (2003) hat Luhmann seine Systemtheorie auf autopoietische Systeme
gestützt, in der Form von Welt würde mit der Unterscheidung System und Umwelt operiert,
wobei die Umwelt eines Systems alles ist ohne das System. Die Dualität Umwelt und System
bildet zusammen die Welt. Nach Luhmann unterscheiden sich System und Umwelt dadurch,
dass :
1. die Umwelt als Rest der Welt nicht handeln könne, zum Handeln nur ein System in
der Lage sei;
2. jedes System die Welt zerlege, durch Unterscheidungen in Umwelt und darin
enthaltene andere Systeme,
3. die systeminterne Komplexität immer kleiner als die systemexterne sei, in der
relevante Informationen (Beobachtenswertes versus Ignorables) aus der Nahumwelt
anhand systemspezifischer Unterscheidungen erschlossen würden. System und
Umwelt interagieren, so, dass ein system nie als ganzes reagiert, dabei resonieren
destoweniger seiner Elemente auf einzelne Umweltereignisse je höher der
Komplexitätsgrad eines Systems ist. Luhmann vergleicht dies mit der Differenzierung
von Teilsystemen in der Gesellschaft als Maß des höheren Komplexitätsgrades des
Gesellschaftssystems
zur
Erreichung
effektiver
Resonanzmöglichkeiten
auf
Umweltereignisse. Umwelt ist für Luhmann das „Korrelat aller im System benutzten
Fremdreferenzen , die im System anhand systeminterner Operationen repräsentiert
und über die Differenzierung Selbstreferentialität/Fremdreferentialität bezeichnet
wird. Elemente sind die kleinsten nicht weiter auflösbaren Einheiten eines Systems,
exklusive Bestandteile des Systems, das sie bestimmen und von einer Umwelt
abgrenzen. In der Theorie sozialer Systeme sind die Elemente kurzzeitige,
ereignishafte Konstituenten, wie Kommunikation und Gedanken, die einer raschen
Aktualisierung bzw. Erneuerung bedürfen. Nach Luhmann bilden funktional
differenzierte Gesellschaften (nach segmentären gefolgt von stratifizierten) den
derzeitigen Endpunkt einer Typologie struktureller Organisationsformen von
Gesellschaft,
die
funktional
differenziert
aus
ungleichen
Teilsystemen
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
zusammengesetzt ist, die exklusiv zentrale Funktionen der Gesellschaft (Wissenschaft,
Wirtschaft, Recht, Politik) bedienen.
Jedes Funktionssystem kann nur die eigene Funktion erfüllen und nicht für ein anderes
einspringen, die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen steigert die Integration des
Metasystems, da jedes „Funktionssystem voraussetzen muss, dass andere Funktionen
woanders erfüllt werden . Ein Subsystem entsteht, wenn die Unterscheidung von System und
Umwelt rekursiv auf das System angewandt wird. Für Luhmann ist die Gesellschaft das
„umfassende soziale System aller aufeinander bezugnehmender Kommunikationen . Die
elementaren
Einheiten
der
Gesellschaft
sind
sinnhafte,
rekursive,
relationale
Kommunikationen und nicht Individuen. Indem die gesellschaftliche Realität kommunikativ
konstruiert wird und zunehmende funktionale Differenzierung Funktionssysteme bildet, muss
nach Luhmann eine Gesellschaftstheorie eines Gesellschaftssystemsenthalten:
1. Die Betrachtung der Einheit der Welt als Differenzierung von Gesellschaftssystem
und Umwelt.
2. Eine eigenständige Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems und Selbstdefinition
seiner Grenzen.
Die Operation der Beobachtung bzw. Unterscheidung markiert eine Grenze zwischen
Bezeichnetem (Unterscheidung zwischen Innen und Außen, die ein Beobachter vornimmt)
und Nicht-Bezeichnetem. Da Kommunikation nicht beobachtet werden könne, würde er/sie
auf eine beobachtbare Form, auf die Handlung reduziert, dabei gäbe es keine Kommunikation
ohne Informationen ab getroffenen Entscheidungen von sozialen und psychischen Systemen
(autopoietische Systeme, deren nicht wahr auflösbare Letzteinheiten Gedanken bzw.
Vorstellungen sind, die als Bewusstseinselemente Ereignischarakter von kurzer, momentaner
Dauer haben und als Gedanken mit Erinnerungsstrukturen gekoppelt sind), mit denen sie
Ereignisse und Zustände erfassen. Für Luhmann gibt es keine Informationsübertragung
zwischen Systemen, die lediglich durch Umweltereignisse irritiert werden könnten, die
innerhalb der Systeme als Resonanzleistungen Informationen verursachen, die sich (soziale
und psychische) Systeme durch eigene Selektionsleistungen (Informationswert) auf der
Grundlage
über
Wahrnehmungsmöglichkeiten
beobachtend
durch
Operation
der
Unterscheidung erarbeiten.
Autopoietische Systeme sind selbsterzeugende und selbsterhaltende Einheiten, die als
rekursives Netzwerk interagierender Komponenten organisationell geschlossen und autonom
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
ohne Input von der Umwelt nicht determiniert sondern nur irritiert werden können; wobei von
den transformierten Umwelteinflüssen nicht die konkreten Systemzustände bestimmt werden,
sondern struktur- und zustansdeterminiert vom System selbst.
Für Luhmann sind die autopoietischen Systeme der Soziologie (Gesellschaft, Bewusstsein,
soziale Systeme) eine Selbstreproduktion des Sinngeschehens, eine Selbstorganisation, eine
Strukturdeterminiertheit und somit eine operative Schließung; wobei Systeme autopoietisch
operieren, indem sie mit Operationen, als kleinste Rechenschritte, sich generieren und über
selbsterzeugende Einheiten erhalten können.
Kommunikationseinheiten sind für Luhmann nicht weiter auflösbare Letztelemente sozialer
Systeme, dabei setzt sich Kommunikation aus drei ausschließlichen Bestandteilen bzw.
Selektionsleistungen zusammen:
1. Information: als Konstrukt einer sozialen Situation die inhaltliche Komponente der
Kommunikation
2. Mitteilung: formale Art der Übermittlung von Kommunikation
3. Verstehen: Signal der Anschlusskommunikation
Die Selbsterzeugung von Anschlusskommunikation resultiert aus dem Umstand, dass
Kommunikation, die selektiven Operationen bei Information und Verstehen, die Gedanken
nicht direkt beobachtet werden können; wobei das Fehlen von Informationen aller am
Kommunikationsprozess Beteiligter zur Kommunikation zwinge und Strukturen entstehen,
die eine Realität sui generis produzieren, also reduzierte Komplexität der sozialen Situation.
Während Realität für Luhmann als ein internes Produkt von sinnhaften Systemoperationen wie Gedankenprodukte psychischer Systeme - systemintern durch Sinngebung erschaffen
wird, operiert Sinn als Einheit der Unterscheidung von Aktuellem und Möglichem; dabei ist
Sinn der Operationsmodus von Bewusstsein bzw. Gesellschaft, der außerhalb dieser Systeme
nicht
vorkomme,
der
auch die strukturelle
Kopplung psychischer und sozialer
Systembildungen bei Bewahrung über Autopoiesis ermögliche: „Sinn ermöglicht das SichVerstehen und Sichfortzeugen von Gedanken in der Kommunikation und zugleich das
Zurückrechnen der Kommunikation auf das Bewusstsein der Beteiligten. (Bornmann, 2003)
Nach
Luhmann
steuern
symbolisch
generalisierte
Kommunikationsmedien
die
gesellschaftlichen Kommunikationszusammenhänge mittels allgemein funktionierenden
Semantiken, deren Entwicklungsstufe es den Kommunikationstechniken ermögliche, sowohl
unter Anwesenden als auch mit Nichtanwesenden in nicht vorhersagbaren Situationen zu
kommunizieren.
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Jedes System hat eine spezifische Funktion, für die es exklusiv zuständig ist. Das
Rechtssystem formuliert Rechtsnormen und sichert sie, das Wirtschaftssystem verteilt knappe
Güter, und das Literatursystem hat die Funktion Weltkontingenz zu erzeugen, also der
Wirklichkeit eine zweite Wirklichkeit gegenüberzustellen, die schöner, fortschrittlicher,
besser, oder einfach nur anders ist als die eigentliche Wirklichkeit. Literatur führt uns also
stets eine Alternative vor Augen. Das können, eher auf den Einzelnen gemünzt, alternative
Handlungen z.B. in Bezug auf das Ende einer Liebesbeziehung, oder - globaler gesehen auch vollständig alternative Gesellschaftsmodelle sein. (Universität Essen, 2003b)
Kneer und Nassehi (1993) bezeichnen „System“ als etwas Zusammengesetztes im Vergleich
zum Elementaren (S. 17, ebd.), das eine Ganzheit als Einheit anspricht, die sich nicht nur aus
der Summe ihrer zueinander in Relation stehenden Elemente zusammensetzt.
Während das klassische Paradigma der (Natur-)Wissenschaften auf dem reduktionistischen
Weltbild der statischen Gültigkeit von Naturgesetzen, die als ewige Gesetze kosmischer
Ordnung auf alle Phänomene anwendbar sind, beruhte, führte - insbesondere in der Biologie die Unmöglichkeit, Leben durch klassische Wissenschaftsauffassung abzubilden, zu einem
Paradigmenwechsel
von
Einzelphänomenen
zum
System,
durch
Vernetzung
von
Einzelphänomenen (z.B. lebender Organismus als System) im Sinne der wissenschaftlichen
Systemtheorie das Newtonsche Weltbild um den Gedanken einer interdisziplinären
allgemeinen Systemlehre zu ergänzen und das Problem der organisierten Komplexität
lebender Organismen oder sozialer Gruppen zu untersuchen.
Neben organisierter und unorganisierter Komplexität differenziert von Bertalanffy (S.21,
ebd.) nach Kneer und Nassehi (1993) die Unterscheidung zwischen offenen und
geschlossenen Systemen, wobei den wesentlichen Gegenstand der Systemtheorie
die
Organisationsform der komplexen Wechselbeziehung zwischen einzelnen Elementen ist .
Morin (1999) warnt vor dem Unerwarteten: „Wenn das Unerwartete eingetreten ist, müssen
wir fähig sein, unsere Ideen und Theorien zu überdenken...“. Morin (1999) erachtet es im
Zusammenhang mit der Ungewißheit der Erkenntnis für jede Erziehung als notwendig, „die
Frage nach der Möglichkeit des Erkennens freizulegen“, dabei bliebe die Erkenntnis „ein
Abenteuer, für das die Erziehung die unerläßliche Wegzehrung liefern muß“, die das
Erkennen der Erkenntnis, die Integration des Erkennenden in seine Erkenntnis als permanent
notwendiges Erziehungsprinzip einschließe. Bioantropologische Bedingungen (Fähigkeiten
Gehirn↔Geist),
soziokulturelle
Bedingungen
(Offene
Ideenaustausch-Kultur)
und
noologische Bedingungen (offene Theorien) erlaubten dem Menschen fundamentale
Fragestellungen über die Welt, den Menschen und über die Erkenntnis selbst. In der Suche
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
nach Wahrheit müssten daher die selbstbeobachtenden, reflexiven und selbstkritischen
Prozesse untrennbar verbunden sein mit den betrachtenden, objektivierenden, kritischen
Tätigkeiten. So erfordere die Suche nach Wahrheit die Entwicklung von Reflexion
erlaubenden Metastandpunkten sowie eine Ausgewogenheit zwischen dem doppelten Besitz
von Ideen und Mythen durch unseren Geist und unseren Geist durch Ideen und Mythen, „wo
die gegenseitige Unterwerfung der beiden zu einem gastlichen Miteinander wird“. Morin
(1999) empfiehlt, sich des Es und des Man, die durch das Ich hindurch sprechen, bewußt zu
werden und unablässig bereit zu sein, die Selbstlüge aufzuspüren: „Wir müssen unsere
Theorien zivilisieren, d.h. wir brauchen eine neue Generation offener, rationaler, kritischer,
reflexiver und selbstkritischer Ideen, die in der Lage sind, sich selbst zu reformieren“, und es
müsse sich ein „Paradigma herauskristallisieren und Wurzeln fassen, das eine komplexe
Erkenntnis erlaubt“. Da nach Morin Irrtümer die Autonomie des Geistes hemmen und die
Suche nach Wahrheit verhindern, sieht er eine Hauptaufgabe der Erziehung darin, uns für den
vitalen Kampf um Klarsicht zu bewaffnen.
Capra (1996) umschreibt ebenfalls den Paradigmenwandel: „Das neue Paradigma könnte als
eine ganzheitliche Weltsicht bezeichnet werden, die Welt eher als ein integriertes Ganzes
betrachtend als eine unzusammenhängende Sammlung von Teilen. Es könnte auch als eine
ökologische Sicht bezeichnet werden, wenn der Begriff `ökologisch´ in einem viel breiteren
und tieferen Sinn als üblich verwendet wird. Tiefe ökologische Einsicht erkennt die
fundamentale Interdependenz aller Phänomene und die Tatsache, daß wir als Individuen und
Gesellschaften eingebettet sind in (und ultimativ abhängig sind von) den zyklischen Prozessen
der Natur.“
Morin (1999) beschreibt die paradigmischen Blindheiten: Wahrheit und Irrtum seien auch in
selektiven, deterministischen Paradigmen enthalten, die Morin (1999) in zwei Klassen
differenziert:
•
Auswahl der intellektuellen Leitkonzepte, die widersprüchliche Konzepte ausschließen
oder unterordnen,
•
Festlegung der logischen Leitoperationen, die bestimmten logischen Operationen auf
Kosten anderer den Vorzug einräumen.
Nach Morin (1999) äußerten sich Imprinting und Normalisierung in Form Kognitiver
Stereotypen, „prüfungslos übernommene Ideen“ resultierend aus der gebietenden und
verbietenden
Macht
der
Paradigmen
als
vorherrschende
Lehren,
offizielle
Glaubensanschauungen, regierende Doktrinen und etablierte Wahrheiten. Nach Morin (1999)
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
würden alle spezifisch sozial-ökonomisch-politischen Bestimmungen mit spezifisch
kulturellen
Bestimmungen
zusammenwirken,
„um
die
Erkenntnis
in
einem
Multideterminismus von Imperativen, Normen, Verboten, Starrheiten und Blockaden
einzusperren“. Unter dem kognitiven Konformismus liege nach Morin (1999) ein kulturelles
Imprinting, als den Konformismus eingravierende Stammprägung, „und eine Normalisierung,
die ausschaltet, was ihn in Frage stellen könnte“. Das kulturelle Imprinting präge durch
Umwelt und Anpassung den Menschen von der Krippe bis ins Grab, somit könne die
soziologische und kulturelle Selektion sich der Wahrheitssuche widersetzen.
Nach Capra (2002) „entwickelten die frühen Hominiden ein komplexes Gehirn, die Fähigkeit
zur Werkzeugherstellung und die Sprache, während die Hilflosigkeit ihrer zu früh geborenen
Kinder zur Bildung einander unterstützender Familien und Gemeinschaften führte, des
Fundaments des menschlichen Gesellschaftslebens. Daher ist es sinnvoll, das Verstehen
sozialer Phänomene in einer einheitlichen Konzeption der Evolution von Leben und
Bewußtsein zu begründen ... Eine der wichtigsten philosophischen Folgen des neuen
Verständnisses von Leben ist eine neuartige Konzeption des Wesens von Geist und
Bewußtsein, die endlich die kartesianische Trennung von Geist und Materie überwindet ...
Die zentrale Erkenntnis der Santiago-Theorie der Kognition ist die Gleichsetzung von
Kognition, also dem Wissensprozeß, und Lebensprozeß. Die Kognition ist ... die mit der
Selbsterzeugung und Selbsterhaltung lebender Netzwerke verbundene Tätigkeit. Mit anderen
Worten: Die Kognition ist der Prozeß des Lebens selbst. Die organisierende Tätigkeit
lebender Systeme ist auf allen Ebenen des Lebens die geistige Tätigkeit ... Damit sind Leben
und Kognition untrennbar miteinander verbunden ... Die Kognition ist ... mit allen Ebenen
des Lebens verbunden und daher ein viel umfassenderes Phänomen als das Bewußtsein ... Die
Dialoge zwischen Menschen und Schimpansen vermittelten ein einzigartiges Verständnis der
kognitiven Fähigkeiten von Affen, was wiederum ein neues Licht auf die Ursprünge der
menschlichen Sprache wirft. Über die menschliche Natur stellt Capra (2002) fest, „daß sich
das kognitive und emotionale Leben von Menschen und Tieren nur graduell unterscheidet,
daß das Leben ein großes Kontinuum ist, in dem die Unterschiede zwischen den Arten
graduell und evolutionär sind“; dabei zitiert Capra (2002) Lakoff und Johnson (1999): „Der
Verstand ist somit nicht eine Substanz, die uns von anderen Tieren trennt
er stellt uns
vielmehr in ein Kontinuum mit ihnen.“
Davies (2001) vertritt den Standpunkt, daß die sich in komplexer Selbstorganisation
entwickelte „Menschheit ein integraler Bestandteil des andauernden Prozesses der
Komplexifikation (so die Formulierung von Teilhard de Chardin) ist, verleiht uns zumindest
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
eine gewisse Würde, die wir nicht besäßen, wenn wir nur ein zufälliger Zwischenfall in der
Weite des Kosmos wären“.
Nach Capra (2001) müsse jede Wissenschaft selbst herausfinden, wo in ihrem Bereich die
Grenzen ihres mechanistischen und reduktionistischen Weltbildes liegen. „Die Methode,
komplexe Phänomene auf ihre Grundbausteine zu reduzieren und die Mechanismen zu
betrachten, die zwischen ihnen wirken, ist in unserer Kultur so tief verwurzelt, daß sie häufig
mit der Wissenschaft selbst gleichgesetzt wird.“ Capra (2001) propagiert eine über das
mechanistische und reduktionistische Weltbild hinausgehende zu einer organischen,
ganzheitlichen und ökologischen Sicht führende Transparenz, die starken Einfluß auf die
Wissenschaften haben sowie therapeutisch und kulturell einigend wirken würde. Capra (2001)
betrachtet das Ungleichgewicht zwischen den beiden Arten des Bewußtseins, zwischen dem
dominant-männlichen „rationalen“ „Yang“ und dem unterdrückten-weiblichen „intuitiven“
„Yin“ in unserer „Kultur und Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt dieser beiden
entgegengesetzten
Pole“
und
propagiert
einen
„evolutionären
Umschwung“
zur
„Wiederentdeckung ganzheitlicher Auffassungen ... und nicht zuletzt eines stärker werdenden
feministischen Bewußtseins“, ein Gleichgewicht der Gegensätze Yin und Yang, „weil die
Funktionen von Körper und Geist nur als unterschiedliche Aspekte ein und desselben Systems
angesehen werden. Darüberhinaus wird der menschliche Organismus in seiner Beziehung
zum gesamten Kosmos betrachtet ... Bei der genaueren Untersuchung dieses dynamischen
Gleichgewichts erscheint es sinnvoll, beim Menschen drei
zusammenhängende
allerdings wesentlich miteinander
Aspekte zu unterscheiden und daraus erste begriffliche Ansätze für eine
ganzheitliche Betrachtungsweise zu gewinnen ... der Körper, die Seele ... und die Umwelt“.
Capra
(2001)
schlußfolgert,
daß
das
Weltbild
des
kulturell-philosophischen
Ungleichgewichtes zunächst ausgesprochen erfolgreich gewesen sei, bis es „weit über die
Grenzen seiner Anwendbarkeit hinaus bis zu einem Punkt ausgeweitet wurde, daß es dazu
beitrug, eine materielle und gesellschaftliche Umwelt zu schaffen, die ... möglicherweise
sogar unser Überleben bedroht“.
Morin (1999) warnt vor intellektuellen Irrtümern: Unsere Ideen unterlägen nicht nur dem
Irrtum, sie förderten und unterstützten ihn sogar, indem sich Theorien gegen entgegengesetzte
Argumentationen wehren würden. „Obwohl wissenschaftliche Theorien die einzigen sind, die
die Möglichkeit ihrer Widerlegung akzeptieren, neigen sie auch dazu, diesen Widerstand an
den Tag zu legen.“
Morin (1999) erkennt als Antinomie, die riesigen Wissensfortschritte der disziplinären
Spezialisierungen der „in sich verkapselten Disziplinen“ seien verstreut und nicht verbunden
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
und häufig die Kontexte, die Globalitäten, die Komplexitäten zerbrochen; wodurch
Hindernisse in unserem Erziehungssystem „die Ausübung einer umfassenden Erkenntnis
verhindern“, indem die fundamentalen und global-komplexen Probleme „aus den
Disziplinwissenschaften evakuiert worden“ seien. „Unter diesen Bedingungen verliert der
durch die Disziplinen geformte Geist seine natürlichen Fähigkeiten, die Wissenselemente zu
kontextualisieren, und sie in ihre natürlichen Gesamtheiten zu integrieren. Die Schwächung
der Wahrnehmung des Globalen führt zur Schwächung der Verantwortung (jeder neigt dazu,
nur für seine spezialisierte Aufgabe verantwortlich zu sein) sowie zur Schwächung der
Solidarität (der einzelne empfindet nicht mehr seine Verbindung mit seinen Mitbürgern).
Die essentiellen Probleme sind nach Morin (1999)
•
Disziplinen und geschlossene Spezialisierung:
Nach Morin hindere die Überspezialisierung daran, das Globale und Wesentliche zu
sehen: „Während die Allgemeinbildung den Ansporn enthielt, jede Information oder jede
Idee in den Kontext zu stellen, parzelliert, trennt und unterteilt die disziplinäre
wissenschaftliche und technische Kultur die Kenntnisse und macht es immer schwieriger,
sie in den Zusammenhang zu stellen. Gleichzeitig macht das Zerschneiden der Disziplinen
unfähig, das zu erfassen, was ... komplex ist.“
Infolge der mathematisch kalkulierbaren Abstrahierung der Spezialisierung zeigt Morin
am Beispiel der Ökonomie auf, daß sie sozial und menschlich am rückschrittlichsten sei,
was die Unfähigkeit ihrer Fachleute erkläre, u.a. den wirtschaftlichen Verlauf
vorherzusagen.
•
Reduktion und Disjunktion
Das wissenschaftliche Prinzip der Reduktion, das die Erkenntnis eines Ganzen auf die
Erkenntnis seiner Teile zurückführt, führe nach Morin „natürlich dazu, das Komplexe auf
das Einfache zu reduzieren“; entferne das Menschliche aus dem Menschen, blende das
Zufällige, das Neue, die Erfindung aus. „Die großen menschlichen Probleme
verschwinden zugunsten einzelner technischer (eindimensionaler) Probleme ... Je
multidimensionaler daher die Probleme werden, desto größer wird die Unfähigkeit, ihre
Multidimensionalität zu denken ... macht die blinde Intelligenz unwissend und
unverantwortlich.“
Capra (1996) postuliert: „Sich wieder ins Lebensnetz einzubringen, das heißt vor allem:
Gemeinwesen zu bilden und zu pflegen, die sich am Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit
ausrichten. In ihnen können wir unsere Bedürfnisse befriedigen und unsere Ziele
verwirklichen, ohne die Chancen künftiger Generationen zu schmälern.“
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Nach Kneer und Nassehi (1993) betrachten holistische (ganzheitliche) und systemtheoretische
Denkweisen in der Soziologie ein Soziales System als Ganzheit einer Menge von Elementen,
die soziale Elemente sind, nämlich soziale Handlungen . (S. 31, ebd.)
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
V.
Sozialität der Kommunikation
Nach Luhmann meint soziales System einen Sinnzusammenhang von aufeinander
verweisenden sozialen Handlungen, der sich von seiner Umwelt abgrenzt und dadurch
komplex ist, dass es mehr als einen Zustand annehmen kann, wobei Komplexität die
Gesamtheit der möglichen Zustände umfasst.
Reduktion von Komplexität bezeichnet die zentrale Funktion von Systemen, die Gesamtheit
der in der Welt möglichen Ereignisse einzuschränken. (S. 46, ebd.) Indem soziale Systeme
autopoietische Systeme sind, die fortlaufend Kommunikation aus Kommunikation in einem
rekursiv-geschlossenen Prozess produzieren, verarbeiten (soziale und psychische) Systeme
Komplexität in der Form von Sinn durch fortlaufendes Differenzieren zwischen Aktualität
und Möglichkeit. Sinn, der ständig auf Sinn und Nicht-Sinn verweist, ist somit
selbstreferentielles Geschehen (S. 80, ebd.).
Für Luhmann operieren die an der Kommunikation beteiligten Bewußtseinssysteme
selbstreferentiell-geschlossen,
dabei
bildet
Kommunikation
einen
dreistelligen
Selektionsprozess (eine Einheit), der Information, Mitteilung und Verstehen miteinander
kombiniert (S. 81, ebd.) als Synthese aller drei Selektionsleistungen, weshalb Kommunikation
nicht
auf
die
Mitteilungshandlung
Kommunikationssysteme sich selbst
reduziert
werden
als Handlungssysteme
könne,
obzwar
verstehen,
häufig
indem sich
Kommunikation selbst als Handlung auffasst, die einer Person zugerechnet wird. Die
Vereinfachung der Kommunikation als Mitteilungshandlung erlaubt es, durch Reduktion das
soziale Geschehen personenorientiert aufzufassen, verkürzt aber die dreistellige komplexe
Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen auf den Selektionspunkt der
Mitteilungshandlung einer Person; dabei sind auch Beschreibungen sozialer Zusammenhänge
als Handlungsketten und nicht als Kommunikationsketten einseitig (S. 87-89, ebd.).
Soziale
Systeme
nehmen
sich
interne
Anknüpfungspunkte
dadurch,
dass
sie
Kommunikationen als Mitteilungshandlungen auffassen und einzelnen Personen zurechnen;
dabei fungieren Struktur und Prozess als zwei Formen der Selektionsverstärkung in sozialen
Systemen – Strukturen erfüllen diese Funktionen durch Exklusionen, Prozesse erreichen
durch Auswahl passender Ausschlußmöglichkeiten eine Vorselektion. (S. 95, ebd.)
Nach Luhmanns Theorie der Gesellschaft sind Struktur und Prozess keine sich
ausschließenden Größen, vielmehr reproduzieren sich Strukturen nur in autopoietischen
Prozessen, die selbst innerhalb der Grenzen der jeweiligen Systemstruktur verlaufen. (S. 122,
ebd.)
17
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
An der modernen funktional differenzierten Gesellschaft sind die Leitunterscheidungen der
funktionsspezifischen Kommunikationen in Form binärer Codierungen (entweder/oder), die
für das Funktionssystem nicht hintergehbar sind, gebaut, die mittels Codierung das Teilsystem
operativ schließen bzw. mittels Programmen, die über die Zuweisung von Codewerten
entscheiden, das System für externen Sinn öffnen. (S. 141, ebd.)
Während Lebenswelt
die subjektive Perspektive des Beobachters bezeichnet, ist
Weltgesellschaft der Gesellschaftstyp der Moderne, in der die Einheit der Gesellschaft nur
mehr als erdumspannende Gesamtheit aller möglichen Kommunikationen verstanden wird (S.
155, ebd.); wobei Inklusion die Teilhabe von Personen an bestimmten Kommunikationen
bedeutet (S. 165, ebd.).
Für Luhmann ist Kommunikation auf der Ebene organischer, neuronaler und psychischer
Prozesse ausgeschlossen; vielmehr sind Kommunikationen keine Operationen von
Organismen, Nervensystemen oder Bewußtseinssystemen, sondern entstehen durch
Konstitution neuer sozialer Systeme, die als autopoietische Systeme fortlaufend rekursiv
Kommunikation an Kommunikation anschließen (S. 67-68, ebd.), der selbstrefentiellen
Erzeugung von Kommunikation durch Kommunikation als soziales Geschehen (S. 69, ebd.).
Da allein Bewußtsein Kommunikation irritieren oder reizen könne, sind soziale und
psychische Systeme strukturell miteinander gekoppelt: Keine Kommunikation ohne
Bewußtsein und umgekehrt.
Indem die Umweltkopplung der Kommunikationssysteme auf Bewußtseinsebene beschränkt
ist, bleibt ein Kommunikationssystem ein operativ geschlossenes selbstreferentielles System
(S. 70-71, ebd.); weshalb Kommunikation und Bewußtsein als strukturell gekoppelte
selbstreferentiell-geschlossene Systeme vollständig getrennt
und überschneidungsfrei
operieren und auf unterschiedlichen Emergenzebenen ihre je eigene Autopoiesis auf ihre je
eigene Weise zustandebringen (S. 72 u. 74, ebd.): Kommunikation kommuniziert und denkt
nicht (S. 73, ebd.).
Nach Luhmann ist jede Information eine Selektion aus einem Horizont von Möglichkeiten, zu
deren Kommunikation mehrere Mitteilungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen; wobei eine
Kommunikation dann vorliegt, wenn eine Auswahl von Information und mehreren
Mitteilungsmöglichkeiten sowie von mehreren Verstehensmöglichkeiten als Synthese aller
drei Selektionsleistungen getroffen wird (S. 81, ebd.).
Solange nur die Selektionen von Informationen und Mitteilung miteinander verknüpft werden,
liegt keine Kommunikation vor, von der erst als emergentem Geschehen gesprochen werden
18
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
könne, wenn die mitgeteilte Information selektiv, in der einen oder anderen Weise verstanden
würde (S. 84, ebd.).
19
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
VI.
Zur Theorie der Massenkommunikation und der Medien
Da die Wirklichkeit, nicht als das, was sie ist, sondern nur als das, was sie nicht ist, erfasst
werden könne, sind Beobachtungssysteme Beobachterkonstruktionen, die Beobachtungen in
spezifischen
Beobachtungsfeldern
und
die
Übertragung
ihrer
Ergebnisse
in
die
Kommunikation in Form kognitiver Repräsentationen der beobachteten Realität ermöglichen.
Daraus erkläre sich Systemtheorie als Methode der Darstellung von Zusammenhängen aller
Arten als System. Indem Realität im Handlungssystem nur über Beobachtung zugänglich ist
und es kein System ohne kognitive Repräsentation gibt, hängt die Wirklichkeit von der
Theorie ab, sodass äußere und innere Realität zwei Aspekte derselben Konstruktion sind:
Sinnproduktionen als menschliche Konstruktionsleistungen. Kommunikation bildet soziale
Systeme,
sozial
konstruierte
Wirklichkeiten,
Realitätsdefinitionen,
Eckwerte
eines
gesellschaftlichen Wirklichkeitsmodells, das von der Kultur programmiert wird, einem
Gesamtpropgramm zum Vollzug der Gesellschaft durch kommunikative Thematisierung des
Wirklichkeitsmodells mittels Legitimation, Interpretation, Reflexion und Veränderung der
Eckwerte.
Indem sie Anlässe für systemspezifische Konstruktionsprozesse liefern, koppeln die Medien
kognitive mit kognitiven, kognitive mit sozialen und soziale mit sozialen Systemen, wobei die
Massenmedien durch das Gefühl des authentischen Dabeiseins ein angeblich gemeinsames
Wirklichkeitsmodell unterstellen; aus dem Bild der Wirklichkeit die Wirklichkeit des Bildes
wird.
Nach Luhmanns Realität der Massenmedien (1996) konstruieren – nicht verzerren –
Massenmedien die Realität; wobei er Massenmedien definiert als alle Einrichtungen der
Gesellschaft, die zur Verbreitung von Kommunikation technische Mittel zur Vervielfältigung
benutzen. Grundlegend dafür ist, dass keine Interaktion zwischen Sendern und Empfängern
besteht aufgrund der Zwischenschaltung von Technik.
In den Massenmedien erfolgt eine Doppelung der Realität, als reale Realität der die
Massenmedien durchlaufenden Kommunikationen sowie im Sinne dessen, was für oder durch
die Massenmedien für andere als Realität erscheint.
Der gesellschaftliche Erfolg der Massenmedien beruht nach Luhmann (1996) auf der
Durchsetzung der Akzeptanz von Themen, wobei die Codierung der Massenmedien eine
Unterscheidung zwischen Information und Non-Information ermögliche.
Nach Luhmann (1996) bilden die Programmbereiche der Massenmedien die drei Säulen der
Massenkommunikation:
20
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
1. Nachrichten und Berichte, die als autopoietische Systeme immer unter
Manipulationsverdacht stehen;
2. Werbung, als Strukturierung des Begehrens;
3. Unterhaltung, als Spiel der Realitätsverdopplung durch Ausgliederung.
Die Massenmedien setzen den kognitiven, moralisch verantwortlichen Menschen als soziales
Konstrukt voraus, sie konstruieren Realität, indem die Massenmedien im Erarbeiten von
Informationen die Fähigkeit der Gesellschaft steigern, Informationen zu erarbeiten. Zugleich
erzeugen die Massenmedien eine nicht konsens-pflichtige Realität.
Massenmedien erfüllen nach Luhmann (1996) die Funktion, zur Selbstbeobachtung des
Gesellschaftssystems als soziales Gedächtnis der Gesellschaft die nötige Hintergrundrealität
bereitzustellen, die die Massenmedien fortlaufend re-imprägnieren; sie erzeugen weiters
Objekte, die in weiterer Kommunikation als bekannt gelten; sie leisten einen Beitrag zur
Realitätskonstruktion einer Gesellschaft durch Reaktualisierung ihrer Selbstbeschreibung und
sie repräsentieren Öffentlichkeit.
Ortmann (1999) fasst zusammen:
Der gängige Vorwurf gegen die Massenmedien ist der, sie würden die Realität verfälscht
wiedergeben. Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass die Medien wissen, was Realität
ist, und dennoch, zum Beispiel um die Auflage oder die Einschaltquoten zu steigern, ein
verfälschtes Bild dieser Realität anbieten. Niklas Luhmann wählt in seinem ausgearbeiteten
Vortrag "Die Realität der Massenmedien" (in diesem Buch äussert sich Luhmann zum ersten
Mal ausführlich über das System der Massenmedien) einen von dieser populären Meinung
abweichenden Ansatz. Luhmann betont, man könne die Realität der Massenmedien nicht
begreifen, wenn man "ihre Aufgabe in der Bereitstellung zutreffender Informationen über die
Welt sieht und daran ihr Versagen, ihre Realitätsverzerrung, ihre Meinungsmanipulation
mißt"(Luhmann 1996). Ausgehend von seiner Systemtheorie entwirft Luhmann eine Theorie
der Konstruktion von Realität durch die Massenmedien, bei der sich alles um Selektion und
Unterscheidung dreht. Zentrales Problem seiner Überlegungen ist die "Konstruktion der
Realität der modernen Welt und ihres Gesellschaftssystems" (Luhmann 1996). Die zentralen
Fragen lauten: "Welche Realitätsbeschreibung erzeugen Massenmedien?" und: "Welche
Gesellschaft entsteht, wenn sie sich laufend und dauerhaft auf diese Weise über sich selbst
informiert?" (Luhmann 1996) ... Luhmann unternimmt den Versuch, die Theorie des
Massenmedien in seine allgemeine Theorie der modernen Gesellschaft einzuordnen. Dabei
geht er davon aus, "die Massenmedien seien eines der Funktionssysteme der modernen
21
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Gesellschaft, das, wie all anderen auch, seine gesteigerte Leistungsfähigkeit der
Ausdifferenzierung, der operativen Schließung und der autopoietischen Autonomie des
betreffendes Systems verdankt." (Luhmann 1996) Unter "Ausdifferenzierung" versteht
Luhmann "die Emergenz eines besonderen Teilsystems der Gesellschaft", welches "die
Merkmale
der
Systembildung,
vor
allem
autopoietische
Selbstreproduktion,
Selbstorganisation, Strukturdeterminiertheit und mit all dem: operative Schließung selbst
realisiert" (Luhmann 1996). Die Funktion der Massenmedien liegt darin, Informationen zu
verbreiten, deren wichtigstes Merkmal die Neuheit oder eine Abweichung vom Gewohnten
und Normalen ist und die ständig Aufmerksamkeit mobilisieren, binden und in
Alarmbereitschaft halten müssen (Rötzer). Im Sinne der Luhmannschen Systemtheorie handelt
es sich dabei um autopoietisch operierende soziale Systeme, die der technischen Erzeugung
und Verbreitung von Kommunikationen in der Gesellschaft dienen (Krause) ... Luhmann
betrachtet die Massenmedien als beobachtende Systeme, die zwischen Selbstreferenz und
Fremdreferenz
Kommunikationen
unterscheiden
sind
die
Elemente
(müssen)
des
(Luhmann
Systems
und
1996).
werden
als
Information/Nichtinformation codiert: "Mit Information kann das System arbeiten ... Die
Massenmedien formen Kommunikationen und schaffen damit die Voraussetzung für weitere
Kommunikationen und dienen der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung. Die Leistung der
Massenmedien besteht in der Formung der öffentlichen Meinung, wobei die Massenmedien
selbst formgebend im Medium der Öffentlichkeit operieren und zugleich als Repräsentanten
öffentlicher Meinung beobachtbar sind (Krause) ... Realität im luhmannschen Sinne kann nur
Konstruktion sein wenn "alle Erkenntnis aufgrund einer Unterscheidung von Selbstreferenz
und Fremdreferenz erarbeitet werden muß" und zwar im System selbst (Luhmann 1996). Wird
Realität in einer Kommunikation ausdrücklich betont, so impliziert dies für Luhmann
zugleich, "daß Zweifel möglich und vielleicht sogar angebracht sind" (Luhmann 1996) ...
Luhmanns Grundgedanke: erst die maschinelle Herstellung eines Produktes als Träger der
Kommunikation hat zur Ausdifferenzierung eines besonderen Systems der Massenmedien
geführt ... Kommunikation gilt allgemein als eine Austauschbeziehung (ausgetauscht wird
Information) zwischen zwei oder mehreren Partnern und setzt Vorhandensein von Sender und
Empfänger voraus Damit die Kommunikation gelingt, müssen Sender und Empfänger einen
gemeinsamen Code benutzen und beständig die Rollen wechseln. Im Falle der Massenmedien
ist dies nicht oder nur sehr schwer möglich: der Rückkanal zur Interaktion mit den
Empfängern fehlt. Darüber hinaus senden die Massenmedien in gewisser Weise ins
Ungewisse; sie wissen nicht, wer der Kommunikationspartner auf der Empfängerseite ist ...
22
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Darüber hinaus ist es den Massenmedien nicht möglich, die direkte Wirkung ihrer
Kommunikation auf die Empfänger abzulesen. Sie bekommen keine Rückmeldung darüber, ob
ihre Mitteilungen verstanden oder missverstanden worden sind ... Luhmann spricht wie
gesagt von einer "technisch bedingten Notwendigkeit einer Kontaktunterbrechung" und
betont, dass
im Gegensatz zum sonst üblichen Ablauf von Kommunikation
im Falle der
Massenmedien keine Interaktion zwischen Sender und Empfänger stattfinden kann ...
Luhmanns Überlegungen zur Realität der Massenmedien setzten sich nicht
vermuten könnte
wie man leicht
mit der populären Frage auseinander, wie die Massenmedien die Realität
in ihrer Darstellungsweise verzerren, zum Beispiel auf Grund von bestimmten Interessen.
Dafür müsste man von der Existenz einer allgemeingültigen Realität, bzw. von einer
objektiven Wahrheit ausgehen. Für Luhmann gibt es aber keine objektive Kontrolle über den
Informationsbegriff: "Wenn jemand etwas als Information aufnimmt, dann ist es Information
für ihn, ob es nun stimmt oder nicht. (...) Wenn man vom Primat der Unterscheidung zwischen
Information und Nichtinformation ausgeht, dann tritt die Wahrheitsfrage erst an zweiter
Stelle auf." (Luhmann, DS, 1996) ... Auf der anderen Seite betrachtet Luhmann also die von
den
Massenmedien
inszenierte
und
konstruierte
Wirklichkeit,
d.h.
durch
die
Kommunikationen der Massenmedien erscheint etwas für deren Empfänger als Realität
(Luhmann 1996) ... Demnach müssen die Massenmedien uns wissen lassen, dass wir ihnen
nicht trauen können, da wir nach Luhmann nur das wissen, was wir durch die Massenmedien
wissen. Dieser Konflikt führe weiterhin zu einem ( konsequenzlosen ) Manipulationsverdacht
in der Gesellschaft ... Luhmanns These lautet: "Wir haben es (...) mit einem Effekt der
funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft zu tun." (Luhmann 1996) ...
Massenmedien sind also ein System, das durch eine operative Schließung eine Differenz von
System und Umwelt erzeugt ... Luhmann geht davon aus, dass die Wahrheit
zur Wissenschaft
im Gegensatz
im Bereich der Massenmedien nicht ausschlaggebend ist. Vielmehr sieht
er das Problem "in der unvermeidlichen, aber auch gewollten und geregelten Selektivität". Es
geht also darum, das die Massenmedien aus der Fülle der zur Verfügung stehenden
Informationen selektieren, denn es ist unmöglich (und wäre wahrscheinlich auch
uninteressant), alle Informationen zu verbreiten. Luhmann betont jedoch, dass mit "Selektion"
nicht die "Freiheit der Auswahl" gemeint sei ... Die Realität, die die Massenmedien in der
heutigen Gesellschaft erzeugen, ersetzt nach Luhmann die Wissensvorgaben, die ansonsten
durch die Religion, die Weisen, etc. bereitgestellt werden: es handelt sich um eine Realität der
Beobachtung zweiter Ordnung, d.h. die Gesellschaft überlässt ihre Selbstbeobachtung dem
Funktionssystem der Massenmedien (Luhmann 1996).
23
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Literaturquellen:
Bornmann
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Universität
Kassel,
http://www.uni-
kassel.de/~bornmann/Theorie/Luhmann/luh.htm
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London. – Deutsche Ausgabe: „Lebensnetz
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Capra, F. (2001) „Die neue Physik und die wissenschaftliche Realität unserer Zeit“ in J.
Lovelock/R.Sheldrake/F.Capra/P.Davies „Der wisssende Kosmos
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Capra, F. (2002) „The Hidden Connections
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a Division of Random House, New York; HarperCollinsPublishers, London. Deutsche
Ausgabe: „Verborgene Zusammenhänge
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Daumenlang, K., Heinrich, T. (1997) „Kommunikationstheorien“ in „Taschenbuch der
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Davies, P. (2001) „Die kosmische Blaupause: Selbstorganisierte Prinzipien der Materie und
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Heinze, T. (2000) „Qualitative Sozialforschung
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Kneer, G., Nassehi, A. (1993) „Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme“, Wilhelm Fink
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Luhmann, N. (1996) „Die Realität der Massenmedien“, Opladen, Westdeutscher Verlag
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Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Morin, E. (1999) „Die sieben Fundamente des Wissens für eine Erziehung der Zukunft“,
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Ortmann,
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(1999)
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http://www.berlinerzimmer.de/ortmann/studium/luhmann.pdf
Universität Essen (2003a) „Niklas Luhmann“, http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaftaktiv/Vorlesungen/methoden/luhmann.htm
Universität
Essen
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und
Literatur“,
http://www.uni-
essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/methoden/systemtheorie.htm
25
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Soziologische_Systemtheorie
Soziologische Systemtheorie
Als soziologische Systemtheorie wird eine auf systemtheoretischen Diskursen und Begriffen basierende Theorie
der Gesellschaft als Teil einer allgemeinen Soziologie bezeichnet. Als wichtigste Vertreter gelten Talcott
Parsons (handlungstheoretische Systemtheorie) und Niklas Luhmann (kommunikationstheoretische
Systemtheorie). Die Systemtheorie hat dabei den Anspruch, eine Universaltheorie im Sinne eines umfassenden
und kohärenten Theoriegebäudes zu sein. Damit umfasst sie auch sich selbst als Gegenstand ihrer Theorie.
Funktionalismus und Systemerhaltung
Während die soziologische Systemtheorie gegenwärtig fast ausschließlich in Europa weiterentwickelt wird,
liegen ihre Ursprünge in den USA. Es gab zwei Hauptströmungen: den Struktur- oder Bestandsfunktionalismus
und die Theorie Parsons, für die sich die zutreffendere Bezeichnung Systemfunktionalismus nicht durchgesetzt
hat. Parsons wird häufig unter Strukturfunktionalismus subsumiert, was er jedoch selbst (wie auch sein Schüler
Niklas Luhmann) zurückweist. Tatsächlich unterscheidet sich seine Theorie auch fundamental vom
Strukturfunktionalismus.
VII.
Strukturfunktionalismus
Ausgehend von ethnologischen und anthropologischen Fragestellungen untersuchte der Strukturfunktionalismus
(Alfred R. Radcliffe-Brown, Bronis aw Malinowski, Edward E. Evans-Pritchard) die Frage, wie Strukturen das
Verhalten von Individuen innerhalb einer Gesellschaft determinieren. Dabei wurden alle gesellschaftlichen
Strukturen auf ihre Funktion hin befragt. Als Struktur wird dabei die Gesamtheit der sozialen Beziehungen und
Interaktionen im sozialen Netzwerk einer Gesellschaft verstanden. Diese Strukturen einer Gesellschaft werden
als äußerst stabil und als nur durch externe Faktoren wandelbar angesehen. In diesem Sinne suchte der
Strukturfunktionalismus nach den Bestandsvoraussetzungen sozialer Systeme und gesellschaftlicher Strukturen.
Das Ergebnis waren im wesentlichen Listen mit Bestandsvoraussetzungen und Variablen. Die Limitierung auf
segmentäre Gesellschaften, wie etwa Stämme, wurde damit begründet, dass man einen isolierbaren begrenzbaren
Forschungsgegenstand brauchte, um überhaupt Aussagen treffen zu können.
Systemtheorie bei Parsons
Der soziologische Systembegriff geht auf Talcott Parsons zurück. Parsons betrachtet dabei Handlungen als
konstitutive Elemente sozialer Systeme. Er prägte den Begriff der strukturell-funktionalen Systemtheorie. Der
Begriff Struktur bezieht sich dabei auf diejenigen Systemelemente, die von kurzfristigen Schwankungen im
System-Umwelt-Verhältnis unabhängig sind. Funktion dagegen bezeichnet den dynamischen Aspekt eines
sozialen Systems, also diejenigen sozialen Prozesse, die die Stabilität der Systemstrukturen in einer sich
ändernden Umwelt gewährleisten sollen. Die strukturell-funktionale Theorie beschreibt also den Rahmen, der
Handlungsprozesse steuert. Ist die Struktur eines Systems bekannt, kann in funktionalen Analysen angegeben
werden, welche Handlungen für die Systemstabilisierung funktional oder dysfunktional sind. Handlungen
werden also nicht isoliert betrachtet, sondern im Kontext der strukturellen und funktionalen Aspekte des
jeweiligen Sozialsystems.
VIII. AGIL-Schema
Zur strukturellen und funktionalen Analyse von sozialen Systemen entwickelte Parsons ein Schema, mit dem die
für die Strukturerhaltung notwendigen Funktionen benannt werden können. Demnach müssen alle Systeme vier
elementare Funktionen erfüllen:
1.Adaption (Anpassung),
2.Goal Attainment
(Zielerreichung),
3.Integration (Integration) und
4.Latent Pattern Maintenance
(Strukturerhaltung)
(= AGIL). Einzelne Handlungen werden also nicht isoliert, sondern im Rahmen eines strukturellen und
funktionalen Systemzusammenhanges betrachtet. Handlungen sind dabei Resultate eben jenes
Systemzusammenhanges, der durch diese Handlungen gestiftet wird (handlungstheoretische Systemtheorie).
Parsons beschreibt den Zusammenhang zwischen System und Systemelementen also als rekursiv und
berücksichtigt damit wechselseitige Ermöglichungs-, Verstärkungs- und Rückkopplungsbedingungen.
Erweiterung und Neuformulierung durch Luhmann
siehe auch den Hauptartikel Systemtheorie (Luhmann)
26
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Niklas Luhmann erweiterte und revolutionierte die Theorie Parsons, indem er sich vom Handlungsbegriff
abwandte und die Kommunikation (Systemtheorie) zum zentralen Punkt der Systemtheorie macht
(kommunikationstheoretische Systemtheorie). Er sagt: Systeme (z.B. soziale Systeme) haben Operationen.
Kommunikation ist dabei kein Ergebnis menschlichen Handelns, sondern ein Produkt sozialer Systeme.
Luhmann teilt die Kommunikation in drei Elemente auf (Selektionsprozess):
• Information
• Mitteilung und
• Verstehen
Die Kommunikation wird durch symbolisch generalisierte Medien (z.B. Sprache, Schrift) vollzogen. Sprache als
grundlegendes Kommunikationsmedium ist binär kodiert, d.h. jede Aussage kann als Affirmation (Bejahung)
oder Negation (Verneinung) getroffen werden.
Personen sind keine Systeme, sondern Identifikationspunkte der Kommunikation. Gesellschaft
konstituiert und reproduziert sich also durch Kommunikation und ist darin auf Anschlußmöglichkeiten
für weitere Kommunikationen angewiesen, wobei Kommunikation nicht ohne Gesellschaft zu denken
ist. Diese zirkuläre Definition grenzt sich bewusst von deduktiven Methoden der klassischen
Wissenschaft ab. Die Gesellschaft wird als sich selbst beschreibendes (autopoietisches) System
betrachtet, das seine eigenen Beschreibungen enthält.
IX.
Differenz und Beobachtung
Gesellschaft besteht also nicht aus handelnden Subjekten, Grundlage der Theorie ist vielmehr ein sich selbst
beobachtendes Beobachtungssystem. Am Anfang dieser Theorie steht also keine einheitliche Perspektive,
sondern die Differenz (Systemtheorie) von Beobachtendem und Beobachtetem. Deren Einheit ist die Operation
der Beobachtung, die sich als Kommunikation vollzieht. Beobachtung ist dabei immer eine systeminterne
Operation, also eine Konstruktion eines Systems. Dabei ist die Beobachtung immer an die gewählte
Unterscheidung gebunden, sie kann also nicht erfassen, was sie nicht sehen kann ("blinder Fleck"). Diesen
blinden Fleck kann nur ein Beobachter zweiter Ordnung (Second Order Cybernetics, Second Semiotics)
beobachten (wobei auch er wegen seines eigenen blinden Flecks nur sehen kann, was er sehen kann, usw.). Auf
der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung gelangt man zu einer "polykontexturalen" Welt.
Als Leitdifferenz setzt Luhmann die Unterscheidung von System und Umwelt. Systeme werden dabei im Sinne
Maturanas und von Foersters als autopoietisch, d.h. selbstreferentiell und operativ geschlossen, verstanden. Eine
"Weltgesellschaft" stellt dabei den Gesamthorizont von vernetzten Kommunikationen dar. Gesellschaft ist hier
das umfassende System, das sich in funktionaler Weise ausdifferenziert und somit Systeme im System erzeugt,
die ihre Umwelt in Form einer spezifischen binären Codierung beobachten (z.B. Recht/Unrecht im
Rechtssystem, Wahr/Falsch im Wissenschaftssystem, Allokation/Nichtallokation im Wirtschaftsystem,
Immanenz/Transzendenz im Religionssystem oder Regierung/Opposition im politischen System). Diese Codes
bilden lediglich den kontexturellen Rahmen, innerhalb dessen das Teilsystem Formen ausbilden kann. Der Code
sorgt für die operative Schließung des Systems. Für die Offenheit des Systems sorgen Programme, also die
Bedingungen, nach denen für die eine oder andere Seite einer Entscheidung optiert wird. Als Beispiel für ein
Systemprogramm können etwa Theorien in der Wissenschaft genannt werden, die über eine Zuordnung zu den
Codewerten wahr / falsch entscheiden.
X.
Soziale Systeme
Soziale Systeme sind dabei die komplexesten Systeme, die Systemtheorien behandeln können. Soziale Systeme
vermitteln durch Komplexitätsreduktion zwischen der unbestimmten Weltkomplexität und der
Komplexitätsverarbeitungskapazität des einzelnen Menschen. In einem sozialen System entsteht also im
Vergleich zur Umwelt eine höhere Ordnung mit weniger Möglichkeiten, die durch eine Grenze stabilisiert wird.
27
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
Die Einschränkung der im System zugelassenen Anschlußmöglichkeiten für Kommunikation werden als Struktur
des Systems bezeichnet. Von der Struktur sind die System-Prozesse zu unterscheiden, die eine selektive zeitliche
Anordnung von Einzelereignissen beinhalten.
Luhmann unterscheidet drei besondere Typen sozialer Systeme:
• Interaktionssysteme,
• Organisationssysteme und
• Gesellschaftssysteme. Die
Gesellschaft ist dabei ein
System höherer Ordnung, ein
System "anderen Typs". Sie
umfasst die anderen Systeme,
ohne dass sie in ihr aufgehen.
Wichtige, kommunikativ erzeugte Unterscheidungen sind für Luhmann etwa
• Zentrum/Peripherie,
• Interaktion/Organisation,
• Stratifikation/funktionale
Differenzierung. Die
soziologische Systemtheorie
ist konstruktivistisch und
basiert auf der Theorie
operativ geschlossener
Systeme.
Luhmanns Systemtheorie wird vor allem in Deutschland und Italien rezipiert.
An der Weiterentwicklung der soziologischen Systemtheorie arbeiten in Deutschland vor allem die SoziologieProfessoren und Schüler Luhmanns Peter Fuchs und Dirk Baecker.
Kritik an der Systemtheorie
Die Systemtheorie nach Luhmann ist aufgrund ihres hohen begrifflichen Abstraktionsniveaus umstritten. Sie
liefert lediglich funktional-strukturelle Beschreibungen. Aus diesem begrenzten Anspruch folgt auch ihr
Selbstverständnis als nicht 'kritische', bzw. nicht am Ideal des Humanismus ausgerichtete Theorie. Bekannt ist in
diesem Zusammenhang Luhmanns Kontroverse mit Jürgen Habermas.
Weitere Kritikpunkte bestehen darin, die Systemtheorie stelle eher eine Begriffssammlung als ein
Theoriegebäude dar: "Hinter der Fassade ungeheurer Schwierigkeit und einem komplizierten Räderwerk
artistischer Begrifflichkeit steckt lediglich eine Handvoll simpler Sätze: Die Welt ist kompliziert, alles ist mit
allem verbunden, der Mensch erträgt nur ein begrenztes Mass an Kompliziertheit" (Dirk Käsler, zit. in
Kunczik/Zipfel 2005: 84). Dabei bestehe weder eine präzise und allgemein akzeptierte Definition des
funktionalistischen Systembegriffs, noch gebe es über die Lösung der vier Problembereiche gemäss AGILSchema bei Parsons hinaus explizite Hypothesen.
Ausserdem wird der Systemtheorie eine versteckte Teleologie zum Vorwurf gemacht: Indem die
Zielorientierung eines Subsystems zur Erhaltung des gesamten Systems als positive Funktion gewertet wird,
geschieht eine versteckte Wertung und eine Legitimation des gesellschaftlichen Status quo. Bereits Robert K.
Merton hatte von latenten (verborgenen) und manifesten (expliziten) Funktionen eines Systems gesprochen und
somit die funktionale Einheit eines Systems zurückgewiesen.
Begriffe der soziologischen Systemtheorie
•
•
•
•
Anschluss
Anschlussfähigkeit
Beobachtung
Differenz (Systemtheorie)
• Kontingenz
• Doppelte Kontingenz
• Kommunikation (Systemtheorie)
28
Luhmanns Sozialität der Kommunikation LV
• Zeitdimension
• Resonanz (Luhmann)
• Selektion (Luhmann)
• Strukturelle Kopplung
• Autopoiese
Literatur
XI.
Primärliteratur
• Talcott Parsons Das System
moderner Gesellschaften, 6.
Auflage, Juventa, 2003, ISBN
3779907100
• Niklas Luhmann / Dirk Baecker,
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Systemtheorie, 2. Auflage,
Carl Auer, 2004, ISBN
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• Niklas Luhmann, Soziale
Systeme, 11. Auflage (1.
Auflage 1984), Suhrkamp
2001, ISBN 3518282662
• Niklas Luhmann, Einführung in
die Theorie der Gesellschaft,
Carl Auer, 2005, ISBN
389670477X
• Niklas Luhmann, Soziologische
Aufklärung (6 Bde.), VS
Verlag, 2005, ISBN
3531141767
• Niklas Luhmann, Die
Gesellschaft der Gesellschaft
(2 Bde.), Suhrkamp 1998,
ISBN 3518289608
• Dirk Baecker, Schlüsselwerke
der Systemtheorie, Wiesbaden,
VS Verlag, 2005, ISBN
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• Jürgen Habermas / Niklas
Luhmann, Theorie der
Gesellschaft oder
Sozialtechnologie, Suhrkamp,
1971, ISBN 3518063588
XII.
Sekundärliteratur
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ISBN 3825223604
• Michael Gerth, 2005: Luhmann
für Einsteiger, multimediale
Einführung in die
Systemtheorie
• Walter Reese-Schäfer, Niklas
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Auflage, Junius, 2005, ISBN
3885063050
29
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• Helmut Willke, Systemtheorie, 6.
Auflage, Utb, 2000, ISBN
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• Georg Kneer / Armin Nassehi,
Niklas Luhmanns Theorie
sozialer Systeme, 4. Auflage,
Utb, 2000, ISBN 3825217515
• David J. Krieger, Einführung in
die allgemeine Systemtheorie,
2. Auflage, Utb, 1996, ISBN
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• Detlef Krause, LuhmannLexikon, Neudruck, Utb,
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• Johann Dieckmann, Einführung
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2005, ISBN 3825283054
• Johann Dieckmann, LuhmannLehrbuch, Utb, 2004, ISBN
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• Detlef Horster, Niklas Luhmann,
2. Auflage, Beck, 2005, ISBN
3406528120
• Stefan Jensen, Erkenntnis,
Konstruktivismus,
Systemtheorie, VS Verlag,
1999, ISBN 3531133810
• Dirk Baecker, Wozu Systeme?,
Kadmos, 2002, ISBN
3931659232
• Jens Jetzkowitz / Carsten Stark,
Soziologischer
Funktionalismus, VS Verlag,
2003, ISBN 3810037052
Von „http://de.wikipedia.org/wiki/Soziologische_Systemtheorie“
http://de.wikipedia.org/wiki/Systemwissenschaft
30
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