Diversity – Begriff, Kriterien, Dimensionen, Maßnahmen

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Diversity – Begriff, Kriterien, Dimensionen, Maßnahmen
1. Einleitung. Vorgeschichte und Ausgangslage
Die historischen Ursprünge der ‚Politiken der Vielfalt‘ in Nordamerika, insbesondere in den
USA, liegen bei den Bürgerrechtsbewegungen sowie einem gesellschaftspolitischen Bewusstsein von Benachteiligungen. In Deutschland hingegen ist die zunehmende politische und
gesellschaftliche Aufmerksamkeit gegenüber kultureller Vielfalt durch eine veränderte
demografische Situation entstanden. Während die gesellschaftspolitischen Diskussionen
über ethnische Minderheiten und Integration bisher mehr an Defiziten orientiert war, konzentriert sich nunmehr der Fokus auf einer Akzeptanz von ethnisch-kultureller Vielfalt.
Benachteiligung und Diskriminierungen von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft,
ihres Alters und Geschlechts, ihrer Behinderung oder sexuellen Orientierung rücken dadurch
in den Vordergrund.
Spätestens nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts von 2000, des Zuwanderungsgesetzes von 2005 und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von 2006 hat in Deutschland
eine Auseinandersetzung mit kultureller Vielfalt in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und in
den Kommunen der Bundesrepublik eingesetzt. Auch in Deutschland sind im Zuge der
Durchsetzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Diversity-Ansätze mehr und mehr
populär sowie politisch opportun. Ursprünglich mehr von deutschen Konzernen wie Siemens
oder Telekom entwickelt, interessieren sich inzwischen vor allem auch Kommunen für eine
Politik der kulturellen Vielfalt. Ziel dabei ist die Gewährleistung an Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichem und politischem Leben unabhängig von der Herkunft, dem
Alter, Geschlecht und sexueller Orientierung.
2. Zum Begriff
Der Diversity-Ansatz verknüpfte in den USA ursprünglich Postulate und Forderungen der
feministischen Emanzipationsbewegungen sowie der antirassistischen Bürgerrechtspolitik mit politisch umsetzbaren Maßnahmen und Zielen. Ein wesentlicher Bestandteil dieser
sozialen Bewegungen war das politische Selbstverständnis und die Erkenntnis einer Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund einer anderen Abstammung (Afroamerikaner) oder
des Geschlechts. Zugleich entstand ein historisches Selbstverständnis darüber, dass diese
Benachteiligung gesellschaftlich und politisch durch Rollenzuschreibungen, Fremdbilder
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und Rassismus entstanden ist. Ziel war eine Gleichstellung und Emanzipation im Sinne gleicher Menschen- und Bürgerrechte.
Eine einheitliche deutschsprachige Definition von ‚Diversity‘ erscheint schwierig, da der
Begriff aus dem angloamerikanischen Raum stammt. Die durchgesehenen Publikationen
setzen unterschiedlich an: Vielfalt bezieht sich auf äußerlich wahrgenommene Merkmale
(Behinderung, Hautfarbe, Geschlecht), subjektive mehr innere Kriterien (Erziehung, Bildung, Religion) sowie gesellschaftlich-kulturelle Dimensionen (Nationalität, ethnische Zugehörigkeit), wodurch sich Menschen unterscheiden.
Folgende Definition kann hier beispielhaft dienen:
„Diversity bedeutet Vielfalt und beschreibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen
Menschen. In unserer Welt treten täglich mehr und mehr Menschen in Kontakt miteinander
und erleben diese Vielfalt.
Organisationen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und dem Non-Profit-Bereich müssen
sich mit dieser Vielfalt in ihren eigenen Reihen, aber auch auf der Seite der Kundschaft auseinander setzen.“ (Homepage: www.idm-diversity.org/deu/dmanagemtent.html)
Aus diesen genannten Kriterien können sechs Kerndimensionen von Diversity abgeleitet
werden: Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnisch-kulturelle Zugehörigkeit, Religion, Behinderung. Auffällig ist bei allen Definitionen deren Abhängigkeit von gesellschaftlichen, politischen Kontexten, in denen Unterscheidungskriterien zwischen Bevölkerungsgruppen festgeschrieben werden. Diversity-Kriterien sind also nicht per se vorhanden,
sondern werden von sozialen und politischen Akteuren konstruiert. Diversity zeichnet
sich also dadurch aus, dass deren Dimensionen nicht eindeutig abgrenzbar ist. Erkennbar
ist aber auch, dass in diesem Sinne Diversity oder auf Deutsch: individueller Unterschied
jeglicher Art beim Menschen ein vom Kontext abhängiges Merkmal und eine Ressource
darstellen und in einem System oder Bereich (Wirtschaft, Unternehmen, Gesellschaft u.a.)
als kreatives und individuelles Potenzial genutzt werden kann.
3. Von der Diversity zum Diversity-Management
Das Diversity-Konzept entstand in den USA als Folge gesellschaftlicher und politischer
Umbrüche. Eine zentrale Grundlage der politischen Umorientierung bildete dabei die Entwicklung von Diversity-Management im kapitalistisch-liberalen Wirtschaftssystem,
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d.h. der unterschiedliche Umgang mit Vielfalt durch Maßnahmen, Strategien unter Gewährleistung der Marktfreiheit.
Mit dem Civil Rights Act von 1964 sollten in den USA die politischen Forderungen nach
gesetzlichem Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Rasse, Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, nationaler Herkunft erfüllt werden. Eine Folge der Emanzipationsbewegungen sowie des Civil Rights Act war in den USA die praktizierte „Affirmative Action“ oder
‚positive Diskriminierung‘ seit 1965, in der durch gesetzliche Regelungen, Institutionen und
Maßnahmen, Minderheiten (insbesondere Afroamerikaner) gefördert werden. Ein wichtiger
Bestandteil dabei ist die Vergabe von Subventionen an Unternehmen, die konkrete Pläne zu
Fördermaßnahmen vorlegen.
Diversity-Management bezeichnete also ursprünglich Formen des Umgangs mit Verschiedenheit und Vielfalt, wodurch ein Unternehmen eine an Vielfalt orientierte Organisationsund Personalpolitik realisiert. Mit diesem Begriff sind jedoch nicht direkt gesetzliche Vorgaben gemeint, die Chancengleichheit gewährleisten und Benachteiligung durch Diskriminierungsverbote verhindern. Diversity-Management beruht auf der Idee der individuellen
Leistung ohne dabei konkret ‚Gleichbehandlung‘ zu thematisieren (vgl. dazu Handbuch der
Vielfalt). Diversity-Management beruht daher auf einer Akzeptanz von Vielfalt, wobei sich
jedoch der Fokus nicht wie bei Anti-Diskriminierungsmaßnahmen auf dem Abbau von Vorurteilen und Diskriminierung konzentriert. Diversity-Management und Anti-Diskriminierung
können in einem System (Unternehmen, Gesellschaft, Stadt u.a.) daher nebeneinander existieren, sie sind kompatibel und ergänzen sich.
In den USA ist dieses Managementkonzept wichtiger Bestandteil geschäftsorientierter Ziele. Charakteristisch sind maßgeschneiderte Instrumente mit dem Charakter einer Institutionalisierung oder Maßnahmen wie Diversitybeauftragte, -traninings, die Definition und
Kontrolle von Zielen, die auf eine Unternehmensstrategie ausgerichtet sind, Informationsveranstaltungen, Assessment der Fähigkeit zum Umgang mit Diversity, Trainings, Coaching von
Führungskräften, Auslandseinsätze, Mentoringprogramme zur Förderung bestimmter kultureller Gruppen, internationale Netzwerke, Maßnahmen der Work-Life-Balance. Mit diesem
Konzept ist also das ethisch-moralische Argument verbunden, neben finanziellen und ökonomischen Faktoren, auch nachhaltig soziale Dimensionen in Unternehmensentscheidungen zu berücksichtigen. Die Instrumentarien sollen hierbei zu einer Verhaltensänderung der
Mitarbeiter_innen innerhalb des Unternehmens führen.
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Ziel von Diversity Management ist also ein handlungsorientierter Umgang mit Vielfalt,
wobei die Steigerung der individuellen Motivation und Kreativität von Mitarbeitern durch die
Nutzung der verschiedenen Hintergründe ins Zentrum rückt. Der Nutzen von Diversity Management wird dabei in der kulturell oder individuell diversen Belegschaft gesehen, wodurch
ein Unternehmen effektiver als Global Player fungieren und eine effizientere Ausrichtung
auf den internationalen Markt mit Mitarbeitern aus dem Ausland erzielen kann. Das Unternehmen erzielt also in der gezielteren Kundenorientierung, in der Konfliktreduktion durch
eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit aufgrund der Gleichbehandlung einen höheren ökonomischen Profit. Ein Unternehmen erhält durch diese Stärkung des Wissens- und Humankapitals einen größeren Wettbewerbsvorteil.
Ähnliche Entwicklungen bei Diversity-Ansätzen auf der rechtlichen Ebene existieren auch
in der Europäischen Union. Eine der wichtigsten Etappen hierbei ist die konkretisierte Formulierung des Diskriminierungsverbots im Amsterdamer Vertrag von 1999 als Rechtsgrundlage sowie die Verkündung der EU Grundrechtecharta im Jahre 2000. In diese Charta gehen die sechs Diversity-Kerndimensionen ein. Diversity-Ansätze erweisen sich somit nicht
nur im ökonomischen Bereich aus wirtschaftlichen und ethischen Gründen durchaus erfolgversprechend, sie können auch für eine Politik, die über Vielfalt reflektiert, eine Grundlage
bilden.
Etliche europäische Staaten haben inzwischen Diversity-Ansätze in ihrer Gesetzgebung, so
z.B. das Gesetz über Beziehungen zwischen den ‚Rassen‘ (Race Relation Act von 1976) in
Großbritannien.
Diversity-Management in Deutschland und in deutschen Unternehmen ist durch mehr unspezifische Maßnahmen gekennzeichnet. In Unternehmen werden besonders Maßnahmen der
Work-Life-Balance neben Auslandseinsätzen, Sprachtrainings bevorzugt. Assessments sowie
institutionelle Verankerungen wie Beauftragte oder Mentoring sind in deutschen Unternehmen weniger gefragt (Bertelsmann-Studie). Eine Wertschätzung von kulturell andersartigen
Mitarbeitern geschieht in Deutschland mehr über die Bedienung ausländischer Märkte und
Kunden, weniger steht dabei Diversity als ökonomische Ressource im Vordergrund. In den
einzelnen Studien wird darauf hingewiesen, dass der Nutzen von Diversity-Management in
deutschen Unternehmen nicht so ausgeprägt ist. Die von der konservativ-liberalen Regierung initiierten Programme und Kampagnen dokumentieren auch in Deutschland diesen
Perspektivenwechsel in der Politik. Es bleibt jedoch auf einzelne Förderungen beschränkt. Die
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Bundesregierung bekennt sich mit Maßnahmen, Kampagnen und Förderprogrammen zu
Diversity und Diversity-Management, wie z.B. im Bundesprogramm Xenos, der DiversityLeitfaden der Bundesregierung bietet Orientierung für die öffentliche Verwaltung, der
Diversity-Atlas wirbt für „Vielfalt nutzen“ (2008). Dieser gibt Vorschläge zum DiversityManagement für Behörden in einer Fünf-Schritt-Methode:
Ziele definieren – Ist-Zustand ermitteln: welche Diversität gibt es bei mir? – Konzept, Maßnahmen entwickeln – Maßnahmen umsetzen – Erfolg messen.
Auch in Deutschland hat die Charta der Vielfalt einen verbindlichen Rahmen für die Akzeptanz von Vielfalt bei Akteuren in der Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung geschaffen.
Die Charta der Vielfalt ist im europäischen, aber auch im bundesdeutschen Rahmen eine
Antwort auf den demografischen Wandel aufgrund Globalisierung, Migration und Entstehen von kulturellen Mehrfachbezügen eines Individuums. Durch die europäische Charta der
Vielfalt haben inzwischen zahlreiche Unternehmen und Institutionen auch in Hamburg, die
Universität Hamburg sowie die Verwaltung sich für die Einhaltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verpflichtet und zum Teil institutionelle Strukturen geschaffen.
Hamburg berücksichtigt ebenso Diversity durch Culture Fair Tests in seinen Rekrutierungsverfahren für die öffentliche Verwaltung. So werden Bewerbungsverfahren zunächst
über allgemeinverständliche Symbole in Eignungstests (Intelligenztests) durchgeführt. Erst
später sollen separate Sprachtests die Sprachkenntnisse überprüfen. Sprachliche Schwächen
sollen bei dieser Bewertung in Bewerbungsverfahren zunächst keine Rolle spielen. Hat der
/die Bewerber_in einen guten Culture Fair Test absolviert, kann nachträglich die Sprachkenntnis in der Ausbildung verbessert werden.
Ein möglicher Nachteil kann hier das schichtenspezifisch und kulturabhängige Wissen sein,
das im Culture Fair Test nicht berücksichtigt wird und somit das Ergebnis verzerren kann.
Auch bei Menschen mit visuell-räumlichen Beeinträchtigungen bleibt der Test wenig aussagekräftig.
Diversity Management hat im europäischen Rahmen, aber auch bundesweit ComplianceDimension erhalten. Nicht-Einhaltung von Diversity-Standards kann so zu rechtlichen Schritten und zu Wettbewerbsnachteilen führen.
Eine inzwischen auch in Deutschland anerkannte Typologie des Diversity Management geht
von drei Paradigmen aus (vgl. Weheliye, Vier Ansätze des Managing Diversity):
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Im ersten konzentriert sich ein Unternehmen auf Ziele, die eine Gleichbehandlung aller Mitarbeiter anstreben ohne den Einbezug der Individualität in den Arbeitsprozess und die –
beziehungen (discrimination and fairness). Auf einer weiteren Entwicklungsstufe des
Diversity Managements wird die Vielfalt der Belegschaft als Wettbewerbsfaktor erschlossen (access and legitimacy). Durch eine Nachbildung der demografischen Struktur der
Kunden in der Belegschaft sollen Wettbewerbsvorteile erzielt werden. Diese Verschiedenheit
wird dabei als ökonomischer Vorteil angesehen. Doch hier besteht die Gefahr, dass minderheitsspezifische Kriterien und Fähigkeiten unreflektiert übernommen werden. Ein Informationsaustausch findet nicht statt. Eine weitere Erweiterung des Diversity Managements bildet
eine Organisations- und Kommunikationsstruktur in einem Unternehmen, in der durch die
Vielfalt der Belegschaft die unterschiedlichen Zugänge zu Arbeitsweise, Aufgabenplanung und Problemlösung genutzt werden (integration and learning). Durch das Hinterfragen von Strategien, Arbeitsprozessen sollen Lerneffekte möglich werden. Dieses Paradigma
nutzt also die Vorteile und positiven Effekte der anderen beiden Ansätze.
Diversity-Management kann jedoch vorschnell zu einer unkritischen Marketingstrategie verkommen. Wenn es nur bei einem Feiern der ‚bunten Vielfalt‘ aus ethischen Gründen verbleibt, aber bei aller Liebe zu Buntheit, bestehende Hierarchien und Barrieren und vorhandene Vorurteile bei allen Akteuren nicht mitgedacht werden. Wenn also die sozial konstruierten Differenzen mit ihren Machtstrukturen in einer Organisation nicht kritisch beleuchtet
werden, bleiben die gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen erhalten.
Unter dem Label Diversity existiert ein Nebeneinander unterschiedlicher Umsetzungen. Diese umfassen Anwendungsfelder in Unternehmen, der öffentlichen Verwaltung, in einer Politik der Vielfalt – besonders in den Kommunen – sowie in der Pädagogik (vgl. Merx, „Alles
so schön bunt hier!“). Daher ist auch hier ein kritischer Blick auf praktische Möglichkeiten
je nach Bereich und Akteur notwendig.
4. Zur Kritik am Diversity-Ansatz
Kritik am Diversity-Ansatz und Diversity-Management existiert besonders von feministischer Seite. Dem Diversity-Ansatz fehle ein Selbstverständnis im Umgang mit Macht. So
ermögliche zum Beispiel der Work-Life-Balance eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
aber eine Lösung, wie das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen in gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen abgebaut werden kann, liefere sie nicht (Purtschert, Wir sind alle
divers). Dieser Gender-Ansatz unterscheidet sich von Diversity. Er geht davon aus, dass das
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soziale Geschlecht konstruiert ist und Macht sowie Ungleichheit reproduziert. Diversity hingegen ist inhaltlich neutral und verweist lediglich auf Differenz und Unterschied. Aber wo
Differenz, Vielfalt ist, gibt es auf der anderen Seite Einheit. D.h. wenn wir von Diversity
sprechen, ist in der Praxis der / die / das jeweils Andere (Frau, Senior, Jugendlicher mit Migrationshintergrund) ebenso gemeint. Der Begriff bezieht sich also auf soziale Phänomene,
bei der Einzelne oder Kollektive durch gesellschaftliche Rollenzuschreibungen und
Merkmale zu ‚Anderen‘ einer Mehrheit und Norm werden.
Wenn Diversity-Ansätze diese gesellschaftliche Produktion von wahrgenommener Differenz, das Anderssein, die Abweichung nicht mit reflektieren, können sie keine genügende
Alternative bieten. Die Orientierung an Kriterien, Eigenschaften und äußerlichen Merkmalen
verfestigt nur gesellschaftliche Vorurteile. Erfolgversprechend können daher nur DiversityAnsätze sein, die über die Zuschreibungen von Differenzen und Unterschiede nachdenken (vgl. Mecheril, ‚Diversity‘. Differenzordnungen und Modi ihrer Verknüpfung). ‚Kultur‘
und kulturelle Differenz im weitesten Sinne (dazu gehören auch die sozialen Phänomene wie
Geschlechterdifferenz, Religion oder Alter) erweist sich in dieser Perspektive als wechselseitige Zuschreibung und Rückbindung in sich überlagernde Kontexte und Zugehörigkeiten. Während Diversity zunächst inhaltsleer ‚Vielfalt‘ oder ‚Verschiedenheit‘ meint, sind
Differenzierungsmerkmale des Geschlechts, Alters, der Kultur und Ethnien kontextgebunden und nicht wertfrei. Sie werden mitunter über Machtstrukturen einer sie definierenden ‚Dominanzkultur‘ der Mehrheit festgeschrieben und normativ festgelegt. Letztendlich
weist das Konzept der nationalen Kultur ebenso Stereotype und Vorurteile auf. Zudem muss
darauf hingewiesen werden, dass Ausdrücke wie ‚ethnische Zugehörigkeit‘, ‚kulturelle Identität‘, ‚Nationalität‘ oder ‚Rasse‘ in ihren entsprechenden Pendants von Land zu Land andere Bedeutungen haben. So konnotiert das geläufige ‚Race‘ in den USA mehr ethnische Zugehörigkeit und wird zum Beispiel in Volkszählungen verwendet. Und in Deutschland wird
im Begriff ‚Nationalität‘ im allgemeinen Sprachgebrauch sehr schnell die Staatsangehörigkeit mit kultureller oder gar ethnischer Zugehörigkeit gleich gesetzt. Der Begriff der Rasse
in Deutschland ist hingegen historisch vorbelastet und wird gemieden, ist tabuisiert.
Daher: Ein Bestandteil von interkulturellen Trainings als eine Diversity-Strategie muss
zum Beispiel ebenso ‚Kultur‘ als von Menschen gemachte Konstruktion thematisieren und
aufzeigen, dass diese Ethnozentrismen („Unsere Gruppe ist die beste“) produzieren. Wird
‚Kultur‘ lediglich als eine ethnische Herkunft verstanden und gar mit Nationalität gleich
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gesetzt, kann sich dies nicht unbedingt positiv für eine multikulturell und divers ausgerichtete Unternehmenskultur auswirken (vgl. hierzu Hubert Kuhn).
5. Diversity in der deutschen (Integrations-) Politik
Inzwischen ist auch in Deutschland die Politik in der Realität angekommen: Migration und
Erfahrung von kultureller Differenz ist keine Ausnahme, sondern die Regel, Normalität. Die
Präsenz von Bevölkerungsgruppen aus unterschiedlichen Herkunftsländern hat auch in der
ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Landschaft in Deutschland ihre Spuren hinterlassen. Zunehmend findet dies auch in der Politik eine Beachtung. Mittlerweile spielen
zahlreiche Künstler und Politiker mit Migrationshintergrund eine zentrale Rolle im bundesdeutschen Kultur- und Politikbetrieb. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung veränderte sich der Stellenwert kultureller Vielfalt. Seit der ‚Berliner Rede‘ des Bundespräsidenten Johannes Rau von 2000, in der Deutschland zum ersten Mal als ein Einwanderungsland beschrieben wird und rechtliche Regelungen gefordert werden, hat ein politischer Perspektivenwechsel stattgefunden. Während Integrationsdebatten öffentlich und medial mit
plakativen Thesen fortgeführt werden (siehe Kopftuch- oder Beschneidungsdebatte, SarazzinDebatte), ist in der politischen Mentalität der Regierenden eine ‚stille Revolution‘ erfolgt.
Besonders hat sich dabei die kommunale Politik hervorgetan. Städte wie Wiesbaden, Stuttgart, Frankfurt am Main und Berlin haben mit ihrer Vielfaltspolitik europaweit Beachtung
gefunden. Mit dem Diversity-Konzept wurde schließlich eine erfolgversprechendere Alternative mit neueren politischen Instrumentarien gegenüber der bisherigen Integrationspolitik geschaffen.
Die bisherigen Integrationsansätze in Deutschland sind unter eine Legitimationskrise geraten, weil die Probleme und Ungleichheiten der ‚klassischen‘ Zielgruppen (Migranten, Jugendliche mit ausländischen Eltern) durch Maßnahmenpolitik nicht oder kaum gelöst werden.
Ebenso hat eine Sichtbarkeit der Einwanderer und ihrer Nachkommen ‚positiv‘ und ‚negativ‘ in Städten zugenommen. Im Zuge dieser Umorientierung hat auch der Bund mit den
Ländern im Rahmen des Nationalen Integrationsplans 2008 beschlossen, ein Integrationsmonitoring als Instrument einzusetzen, dass gezielt die Wirksamkeit von Maßnahmen
und dadurch Integrationsprozesse messbar machen soll. Dieser Ansatz wird inzwischen
fortgeschrieben und politisch weiterentwickelt. Eine umfassende Diversity-Politik fehlt aber.
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Dem neuen politischen Problemdenken entspricht besonders in den Kommunen die Akzeptanz kultureller Diversität, bei der Mehrfachbezüge und ausdifferenzierte Lebensmilieus der
transnationalen Einwanderergemeinschaften berücksichtigt werden. Orientierte sich die bisherige Integrationspolitik an Fördermaßnahmen für Zielgruppen und deren Anpassung an
die Mehrheitsgesellschaft im Sinne eines ‚Fordern und Fördern‘, konzentrieren sich die kommunalen Diversity-Ansätze an einer Stärkung der Beteiligungsstrukturen in einer ethnisch
vielfältigen Bevölkerung einer Stadtgesellschaft als Bürgergesellschaft. So war die bisherige Kommunalpolitik ebenso mehr durch eine Zielgruppen- und Minderheitenpolitik gekennzeichnet, die benachteiligte Gruppen lokalisierte, um deren Defizite durch Maßnahmen
abzubauen. Die Diversity-Ansätze hingegen konzentrieren sich an einer Politik, die Vielfalt
und Verschiedenheit als eine individuelle, ökonomische und gesellschaftliche Ressource
sieht und dies als Potenzial aktivieren möchte.
Der gängige Integrationsbegriff orientiert sich an der Idee der nationalstaatlich orientierten Mehrheitsgesellschaft. Eine Anpassung an die Normen der Mehrheit einer ‚Dominanzkultur‘ mit ihren Machtstrukturen wird angestrebt. Bevölkerungen werden als geschlossene
Einheiten wahrgenommen, nicht in ihrer Heterogenität. Der Diversity-Ansatz reflektiert hingegen diese über globale Zusammenhänge in Wirtschaft und Kultur entstandenen transnationalen Lebenswelten, Netzwerke und Erfahrungen.
6. Fazit
Der Diversity-Ansatz bietet eine Möglichkeit, die derzeitigen Debatten über kulturelle Vielfalt
und Integration in Deutschland auf einer sachlichen Ebene fortzuführen. Auch wenn diese
Umorientierung im föderalen System noch uneinheitlich ist, gibt es das politische Ziel, gemeinsame Kriterien zu etablieren und sich von einer ‚Integrationspolitik‘, die zielgruppenorientiert arbeitet, zu verabschieden.
Im kommunalen Bereich profitiert eine Stadt vom Diversity-Management nicht nur wie bei
einem Unternehmen aus dem Humankapital, sondern in der Reflexion über kulturelle Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung, in Non-Profit-Organisationen und insgesamt in einer
Stadtgesellschaft entsteht eine Sensibilisierung für Benachteiligung und die Vorteile einer
Akzeptanz von individueller Leistungen je nach besonderen Fähigkeiten überwiegen. Da das
Diversity-Konzept die Heterogenität einer Stadtgesellschaft in der gelebten Erfahrung von
Mehrfachbezügen ihrer Bevölkerung und eine aktive Teilhabe aller an den ökonomischen,
kulturellen und sozialen Ressourcen der Stadt als Bürgergesellschaft berücksichtigt, kann es
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eine effizientere Grundlage sowie ein Instrument für eine sinnvolle Integrations- und Antidiskriminierungspolitik als die bisherige Integrationspolitik sein. Letztendlich geht es sowohl
beim Diskriminierungsverbot als auch beim Diversity-Ansatz nicht bloß um moralischethische Forderungen. Vielmehr ermöglicht erst der Abbau von gesellschaftlichen Barrieren
die Teilhabe am ökonomischen Wohlstand und einer individuellen Wohlfahrt. Durch sozialen Aufstieg benachteiligter Menschen wird erst politische Beteiligung möglich.
7. Diversity Management in Hamburg (Links)
Diversity Management an der FOM, http://www.fom.de/die-fom/diversity-management.html
Diversity Management an Hamburger Schulen, http://idw-online.de/de/news494499
Hamburg Institute of Change Management – HICM: Studie „Vielfalt als Wettbewerbsfaktor“,
http://www.hicm.de/de/divm.html
Landesexzelleninitiative Linguistic Diversity Management in Urban Areas – LiMA,
http://www.lima.uni-hamburg.de/
Projekt Hamburger Diversity Netzwerk, http://www.einfal.de/projekte/hamburger-diversitynetzwerk/
8. Quellen
Fick, Patrick: Diversity Management in Deutschland. Ein Wandel des Umgangs mit kultureller Vielfalt in Unternehmen – Motor für einen gesellschaftlichen Perspektivenwechsel? B.A.-Arbeit, Universität Siegen 2007.
Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Politics of Diversity. Dossier, Berlin 2008.
Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Positive Maßnahmen. Von Antidiskriminierung zu Diversity, Berlin
2010.
Keil, Marion u.a.: Trainings Handbuch. Diversity Management, September 2007, Wien 2008.
Köppel, Petra / Junchen Yan / Jörg Ludicke: Cultural Diversity Management in Deutschland hinkt
hinterher, Gütersloh 2007.
Kuhn, Hubert: Interkulturelle Kompetenz entwickeln in gruppendynamischen Trainings, in: PersonalEntwickeln, März 2009, in: http://www.idmdiversity.org/deu/infothek_kuhn_gruppendynamik.html.
Mecheril, Paul: ‚Diversity‘. Differenzordnungen und Modi ihrer Verknüpfung, in: http://migrationboell.de/web/diversity/48_1761.asp.
Merx, Andreas / Joana Vassilopoulou: Das arbeitsrechtliche AGG und Diversity-Perspektiven (2007),
in: http://pro-diversity.de/downloads/AGG_DiversityMV.pdf.
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Merx, Andreas: „Alles so schön bunt hier!“ Diversity zwischen Lippenbekenntnis, Marketing-Label
und nachhaltigem Wandel zur offenen Unternehmung, Dezember 2011, in: http://www.networkmigration.org/rethinking-migration-2011/3/papers/Merx_idm_Rethinking_Migration091211.pdf.
Müller, Patrick: Diversity & Diversity Management, Powerpointpräsentation.
Provincia di Roma: Projekt Readi for Immigrants – Handbuch zur Vielfalt, Juli 2010.
Putschert, Patricia: Wir sind alle divers, http://www.woz.ch/0537/diversity-management/wir-sind-alledivers.
Süß, Stefan: Diversity-Management in Deutschland. Ergebnisse einer Intensivbefragung von in
Deutschland agierenden Unternehmen, Hagen 2007.
Universität Lüneburg, in: http://www.leuphana.de/gender-diversity-portal/diversity/historie.html.
Weheliye, Asli-Juliya: Vier Ansätze des Managing Diversity, in: Dossier Managing Diversity – Alle
Chancen genutzt?, Heinrich-Böll-Stiftung, in: http://www.migrationboell.de/web/diversity/48_1023.asp.
Wikipedia-Artikel: „Diversity-Management“, in: http://de.wikipedia.org/wiki/Diversity_Management
Dr. Anıl Kaputanoğlu, Sprecher der LAG Migration und Flucht
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