Infektiologie Leben auf dem Menschen: schützende Mikroorganismen Peter Graber Infektiologie Kantonsspital Liestal 7‘000‘000‘000 Menschen 7 Milliarden = 7 x 10 9 Anzahl Bakterien: 1014 mehr als 14‘000 mal so viele Bakterien auf einem Menschen wie Menschen auf der Erde leben Infektiologie The human microbiome • Anzahl Körperzellen • 10 12 - 10 13 • 10 x mehr Bakterien Infektiologie Begriffe • Bakterielle Flora (z.B. „Darmflora“) • „Normale Flora“ • Mikroflora • Microbiota • Flora: Begriff bezieht sich auf Pflanzen, deshalb unpräzis • Biota: Die Gesamtheit der Mikroorganismen in einem bestimmten Ökosystem Infektiologie Methoden der Taxonomie Traditionell •Kultur, Morphologie, Biochemie etc Molekular •16 S rRNA Infektiologie 16S r RNA • Nukleinsäure, die in den Ribosomen vorkommt • Nicht kodierende RNA (non coding) • Keine genetische Information, die in Proteine umgeschrieben wird Infektiologie Infektiologie NIH Projekt, > 100 Mio USD Start 2008 •Charakterisierung des „mikrobiologischen Kosmos“ des Menschen •Assoziation mit Krankheiten 10% kultivierbare Bakterien 90% nicht kultivierte, mittels 16S rRNA nachweisbare Bakterien Infektiologie Formen des Zusammenlebens Infektiologie Kolonisation vs. Infektion Kolonisation Asymptomat.Trägertum Infektion Gewebsinvasion, Symptome Infektiologie Welche Bereiche sind besiedelt? • Alle Haut- und Schleimhautstrukturen, die mit der Aussenwelt in Kontakt stehen • Nase, Mund/Rachen, Obere Luftwege, Magen-Darmtrakt, Haut und Hautanhangsgebilde, Urogenitaltrakt • Das am dichtesten besiedelte Gebiet ist der Dickdarm • Im Dickdarm findet sich mehr genetisches Material als in der Gesamtheit der Zellen eines Menschen. Infektiologie www.uptodate.com Infektiologie HautFlora Infektiologie Besiedelung der Haut • Haut ist ein komplexes Ökosystem • Abstriche der Haut ergeben zwischen 102 und 107 Bakterien • Faktoren • Lokalisation, pH, Präsenz von Talgdrüsen, Schweissdrüsen Evans CA et al. J Invest Dermat 1950 Infektiologie Infektiologie Hautflora: Verteilung112‘000 near full-length 16S rRNA Sequences Talgdrüsenreiche Haut Propionibacteria spp Staphylococci Feuchte Haut Corynebacteria spp Staphylococci 1 Actinobacteria 2 Firmicutes 3 Proteobacteria 4 Bacteroidetes Trockene Haut Proteobacteria 10 gesunde Probanden Grice et al. Science 2009;24 Infektiologie Bedeutung der Grundlagenforschung • Hautflora ist viel komplexer als bisher angenommen • Funktionen: • „Platzhalter“ zu einfache Erklärung • Ernährung der Haut? • Abwehrfunktionen? • Immunmodulation? • Geruchlicher Marker für Partnerwahl? • Mögliche Auswirkung gestörter Hautflora • Atopisches Ekzem • Psoriasis • Akne • Seborrhoische Ekzeme • U.v.a. Infektiologie Haut-Staphylokokken regulieren Inflammation der Haut Hautschaden Freisetzung von Doppelstrang-RNA durch absterbende Keratinozyten intakte Keratinozyten TLR-3 Aktivierung Staphylococcal-LTA BLOCK Proinflammatorische Zytokine Entzündung , Abwehr Laj Y, Nature Medicine 2009;15(12) Infektiologie Darmbakterien Infektiologie Rolle der Darmbakterien in der Entwicklung • Darm ist Lebensraum von hunderten von Bakterienstämmen • Balance zwischen nützlichen und schädlichen Bakterien • Neugeborenes kommt mit keimfreiem Darm zur Welt • Kolonisation geschieht in den ersten Lebenswochen • Entstehung eines komplexen Ökosystems Mensch < -- >Bakterien • Dysbalance des Oekosystems wird diskutiert als Ursache von • Nekrotisierende Enterokolitis des Säuglings • C. difficile Enterokolitis • Chronisch entzündliche Darmerkrankungen • Adipositas / Diabetes (1) (2) • Kolonkarzinom (3) • Atopische Erkrankungen (4) 1)Frank et al. (2007) Proc Natl Acad Sci 104: 13780–5. 2)Turnbaugh PJ et al. (2006) Nature 444: 1027–1031. 3)Yang L, et al. (2006) World J Gastroenterol 12: 6741–6746 4)Penders J, et al. (2007) Gut 56: 661–667. Infektiologie Zusammensetzung der Darmflora Firmicutes Bacteroidetes Proteobacteria Actinobacteria > 274 Genera > 90% der Darmflora Vorwiegend Gram-positive mit niedrigem GCGehalt Vorwiegend Gram-negative Gram-negative Gram-positive mit hohem GC-Gehalt Clostridien, Bacillus spp Enterokokken, Laktokokken, Staphylokokken, Streptokokken Bacteroides Gruppe Enterobacteriaceae Pseudomonaden Hämophilus Neisserien Burkholderia Xanthomonas Corynebakterien Mykobakterien Nocardien Actinomyces Infektiologie Was haben Bakterien im gesunden Darm für Funktionen? • Verdauungsfunktionen • Bereitstellen von Nährstoffen durch Spaltung organischer Substanzen Adaptation an verschiedene Oekosysteme • Produktion von Vitaminen (Vitamin K, Vitamin B-Komplex) • Regulation des mukosalen Immunsystems • Verhinderung bakterieller Translokation (Durchwandern des Darmes durch pathogene Erreger) • Regulierung der Fettspeicherung • Versorgung der Darmepithelien mit Nährstoffen Infektiologie 1. Verdauungsfunktionen • Darmbakterien können viele Substanzen verdauen, für die der Körper keine Enzyme hat • Symbiose • Darmbakterien leben in einem äusserst Nährstoffreichen, physikalisch relativ konstanten Milieu (Profit) • Durch Bakterien vorverdaute Nahrung kann vom Körper aufgenommen werden Dies ermöglicht die Adaptationsfähigkeit des Menschen an höchst unterschiedliche Umweltbedingungen Infektiologie Tierexperimentelle Studie Darmflora • 15 Labormäuse • Stuhlproben vor Behandlung • „Darmsterilisation“ mit Antibiotikum (Enrofloxacin) • Stuhlproben nach Behandlung vor • Bestimmung aller organischen Substanzen mittels Massenspektrometrie nach • Vor Darmsterilisation • Nach Darmsterilisation NMR-based Metabonomics Romick-Rosendale et al. Magn Reson Chem 2009;47:S36-46 Infektiologie Änderung der Metabolischen Aktivität • Verlust äusserst vielfältiger metabolischer Funktionen • Abbau von Nährstoffen • Abbau von Giftstoffen • Abbau von körpereigenen Ausscheidungsstoffen Romick-Rosendale et al. Magn Reson Chem 2009;47:S36-46 Infektiologie 2. Synthesefunktionen • Darmbakterien produzieren Vitamine Vit B7 Vit B2 Vit B1 Vit B3 Burckholder PR. Proc Natl Acad Sci 1942 Klinisch von Bedeutung: Antibiotikagabe bei Patienten unter oraler Antikoagulation Infektiologie 3. Funktionen im Immunsystem • Kommensale Flora beeinflusst GALT (Gut-associated lymphoid tissue) • Inhalt des Darmlumens wird fortwährend vom intestinalen Immunsystem analysiert • M-Zellen = spezialisierte Darmepithelzellen • Stehen in engem Kontakt mit dem Inhalt des Darmlumens • Stehen in engem Kontakt mit den Peyer‘schen Plaques (=intestinalem Lymphfollikeln) Artis D, Nat Rev Immunol 2008 Artis D, Nat Rev Immunol 2008 Infektiologie 4. Verhinderung von Bakterieller Invasion / Translokation • Regulierung des Angebots essentieller Substanzen verschiedener Bakterienstämme • Produktion antimikrobieller Peptide • Interaktion mit Darmepithelzellen • Interaktion mit dem GALT (Gut associated lymphoid tissue) Infektiologie 5. Darmflora und Übergewicht (1) Experimente: ob/ob +/+ C57BL/6J Mäuse • ob/ob Mäuse sind homozygot für Mutationen im Leptin-Gen • Leptin ist eine Substanz, die im Fettgewebe synthetisiert wird und im Hirn das Hungergefühl drosselt, wenn ein Individuum genug gegessen hat • ob/ob Mäuse sind bei Geburt normalgewichtig (wie +/+ Mäuse), werden dann aber rasch übergewichtig und diabetisch Infektiologie Darmflora und Übergewicht (2) Analyse der Stuhlflora (Microbiome) mittels Sequenzierungsmethoden (16s rRNA) • Firmicutes vermehrt • Firmicutes relativ vermindert • Bacteroidetes vermindert • Bacteroidetes relativ vermehrt „Vollständigere“ Verdauung Höhere Energieextraktion aus Nahrung Normale Verdauung Unterschiedliches Muster bezüglich Enzymaktivitäten Ley RE et al. 2005. Obesity alters gut microbial ecology. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 102:11070–75 Infektiologie Darmflora und Übergewicht (3) Kalorienaufnahme Transplantation der Darmflora von normal aufgewachsenen Mäusen 27% Abnahme der Kalorienzufuhr via Nahrung C57BL6 Mäuse mit keimfreiem Darm t 60% Zunahme des Körperfetts Identifizierte Faktoren: •Mikrobielle Fermentation von Polysacchariden, die vom Wirt nicht gespalten werden können Erhöhte intestinale Absorption von Monosacchariden und kurzkettigen Fettsäuren •Umwandlung in komplexere Lipide in der Leber •Mikrobiell vermittelte Regulation von Wirtsgenen, die die Speicherung der Lipide in den Adipozyten stimuliert Bäckhed et al. PNAS 2004;101 (44): 15718-23 Infektiologie Zusammenfassung • Bakterien haben sich über Millionen von Jahren zusammen mit den höheren mehrzelligen Lebensformen entwickelt • Der Mensch beherbergt 10x mehr Bakterien als Körperzellen • Zusammensetzung und Funktionen des menschlichen Mikrobioms sind bisher weitgehend unerforscht • Massiv zunehmende Probleme unserer Industriegesellschaft sind Adipositas, Diabetes, Allergien, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Asthma • - sie könnten mit der Veränderung des Mikrobioms zusammenhängen Infektiologie Blaser, Nature, 2011;476