120 Die Hochzeit des Figaro Eine Produktion des Landestheaters Detmold Unter Kennern genießt Wolfgang Amadeus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ höchsten Stellenwert. Mag die „Zauberflöte“ auch Publikumsfavorit und der „Don Giovanni“ mit mehr Dramatik erfüllt sein und daher häufiger neu inszeniert werden: das wahre Mozartglück stellt sich mit jener Oper ein, die Mozart lapidar als „opera buffa“ bezeichnet, obwohl sie doch viel mehr als nur komisch ist. Connaisseure also geraten ins Schwärmen, wenn das Stichwort „Le Nozze di Figaro“ fällt. Besonders die Finalszenen des zweiten und des vierten Aktes haben es den Opernfreunden angetan. Da baut Mozart nämlich durchkomponierte Ensembles von 20 Minuten Länge, in denen es vor Aktion und inhaltlichen Umschwüngen nur so wimmelt. Höhepunkte der musikalischen Ensemblekunst sind hier gelungen, in ihrer Schlüssigkeit und zutiefst menschlichen Glaubwürdigkeit unübertroffen in der inzwischen über 400jährigen Operngeschichte. „Figaros Hochzeit“ ist bester Mozart, von einem dreißigjährigen komponiert, der über alle musikalischen Mittel verfügt, um einem derart komplexen Stoff gerecht zu werden. Vier Jahre waren seit der letzten fertig gestellten Oper vergangen, als sich Mozart dem „Figaro“ zuwandte. Mit der „Entführung aus dem Serail“ hatte er sich in die Herzen der Besucher und ebenso in die Operngeschichte eingeschrieben. Nichts weniger als das erste bedeutende deutsche Singspiel war ihm mit der „Entführung“ aus der Feder geflossen. Zwei Jahre später erfolgte in Paris die Uraufführung eines Schauspiels von Beaumarchais, das viel von sich reden machen sollte: „Die Hochzeit des Figaro“ war die Fortsetzung jener Trilogie gewesen, die der Autor zehn Jahre zuvor mit „Der Barbier von Sevilla“ eröffnet hatte. Als 1785 das Stück nach Wien unterwegs war, untersagte die kaiserliche Zensur eine Aufführung. Der revolutionäre Ton des Stückes, der sich im Aufbegehren des Dieners gegenüber dem Grafen äußert, gefiel den Herrschenden nicht und durfte deshalb nicht auf die Bühne. Trotzdem nahm Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte das Stück als Opernstoff ins Visier. Er strich alles, „was gegen den guten Geschmack und gegen die öffentliche Moral verstößt“, und bastelte ein Textbuch, das ganz auf die menschlichen Verwirrnisse der Liebe setzt. Dass Mozart begeistert war, muss nicht extra betont werden. Trotz Verzicht auf die politische Dimension des Stückes war es nicht leicht, eine Aufführung in Wien zu erreichen. Zuerst musste sich der als Opernkomponist beinahe unbekannte Mozart gegen die italienischen Meister der Zeit durchsetzen, dann noch den Kaiser von der „Sittlichkeit“ des Stoffes überzeugen. Am 01. Mai 1786 aber war es schließlich soweit. Am Burgtheater fand die Uraufführung von „Figaros Hochzeit“ statt. Die Publikumsreaktion war so euphorisch, dass der Kaiser Wiederholungen einzelner Gesangsnummern verbieten musste; die Auf-führungen wären ansonsten zeitlich völlig aus dem Ruder gelaufen. Tatsächlich ist KV 492 die ausgedehnteste MozartOper: das liegt vor allem an den langen Rezitativen, in denen die vertrackten Handlungsstränge ausgelegt und nachher wieder entknotet werden müssen. Es mag überraschen: aber zeitlich betrachtet ist Mozarts Komödie genauso lang wie Richard Wagners „Lohengrin“. Aber inhaltlich schwerer verständlich. Worum geht es? Das junge Brautpaar Susanna und Figaro bereitet die eigene Hochzeit vor. Graf Almawiwa aber hat es auf Susanna abgesehen; Susanna und die Gräfin stellen ihm jedoch eine Falle. Bei einem nächtlichen Verkleidungsspuk verführt der Graf letztlich 121 seine eigene Gattin. Am Ende muss er Reue üben und klein beigeben: das Happyend für Figaros Hochzeit ist gesichert. Tatsächlich „ein toller Tag“, wie der Untertitel der Oper es verspricht. Nebenstränge und Handlungsdetails machen die Sache allerdings nicht gerade einfach; dabei hatte Librettist da Ponte schon gestrafft und das Personal des Stückes verkleinert. Dem Genuss der Oper schaden die vielen Handlungsdetails nicht. Eben weil Mozart seine ganze großartige Kunst des Opernkomponierens in die Waagschale geworfen hat. Eingängige melodische Erfindungen und genial gebaute Ensembles zeichnen den „Figaro“ aus. Dramatische Wahrheit und musikalische Schönheit gehen eine wunderbare Verbindung ein. Doch nur turbulente Intrigenkomödie ist der „Figaro“ nicht. Das würde Mozarts Lebenserfahrung, die sich in der psychologischen Feinzeichnung der Figuren spiegelt, widersprechen. Und so fehlt es nicht an melancholischen Momenten (wie etwa der mitreißend innigen Arie der Gräfin aus dem 3. Akt) und nach- denklichen Einschüben. Am nachdrücklichsten im Finale des 4. Aktes; wenn alle Verwirrungen sich entzerrt haben und die Beteiligten davon singen, dass sie nun zufrieden sind, dann unterlegt Mozart diese Stelle mit einer besonnen anmutenden Musik traurigen Einschlags. Nein – dieser tolle Tag hat in den Seelen der Figuren kein glückliches Ende hinterlassen, will uns Mozart schlussendlich sagen. Die Detmolder Inszenierung wird auf das Erfolgsteam setzen, das in der vergangenen Saison Mozarts „Zauberflöte“ in einer hochkarätigen Deutungen und einer profilierten musikalischen Interpretation nach Minden brachte. Hinrich Horstkotte wird sicherlich auch den „Figaro“ mit seiner glänzenden szenischen Fantasie beflügeln und Generalmusikdirektor Erich Wächter wieder für den eleganten Mozart-Fluss im Graben sorgen. Ein neues Mozart-Hoch ist zu erwarten. Udo Stephan Köhne Montag, 23. Januar 2012