die hochzeit des figaro - Hessisches Staatstheater Wiesbaden

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DIE HOCHZEIT DES FIGARO
WOLFGANG AMADEUS MOZART
—
Libretto von Lorenzo da Ponte nach »Le Mariage de Figaro ou La Folle Journée«
von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais
Opera buffa in vier Akten
Uraufführung 1786 in Wien
HANDLUNG
Die Hochzeit des Grafen Almaviva liegt drei Jahre
zurück. Nun will sein Kammerdiener Figaro die
Zofe der Gräfin, Susanna, heiraten. Doch der
Graf hat längst ein Auge auf sie geworfen und
sucht Wege, zu seinem Recht der ersten Nacht
zu kommen – ein zweifelhaftes Privileg des
Adels, das er selbst abgeschafft hatte. Während
der Graf also die Hochzeit mit allen Mitteln
verhindern will, treibt Figaro die Hochzeitsvorbereitungen
voran.
Im Hintergrund bereiten Doktor Bartolo, der
ehemalige Vormund der Gräfin, und Marcellina
ein Komplott gegen Figaro vor. Marcellina hat
Figaro eine große Summe Geld geliehen. Kann
er nicht zahlen, muss er sie heiraten – was
Marcellina das liebste wäre. Auch Cherubino,
Patenkind der Gräfin und Schützling Susannas,
wurde von der Liebe angesteckt. Er schwärmt
für alle Frauen, allen voran die Gräfin. Damit
kommt er dem Grafen auf dessen Beutezügen in
die Quere. Als dieser Susanna in ihrem Zimmer
bedrängt, ist Cherubino schon da und hört
alles mit. Um ihn ein für alle Mal loszuwerden,
schickt der Graf ihn zum Militär.
Figaro geht indes zum Gegenangriff vor. Der
Page soll als Susanna verkleidet den Grafen zum
Rendez-vous verführen, der dann auf frischer
Tat ertappt werden soll. Noch während Cherubino
von den Frauen umgezogen wird, bricht
der von Misstrauen getriebene Graf gewaltsam
ins Zimmer ein. Ein Sprung aus dem Fenster
rettet den Jungen und lässt den wütenden Graf
ohne Druckmittel dastehen. Nun verbünden
sich Susanna und die Gräfin, um die ehebrecherischen
Aktivitäten des Grafen zu durchkreuzen.
Susanna lädt den Schürzenjäger zum
Stelldichein in den Garten, wo ihn seine Frau in
Susannas Kleidern erwarten wird. Wieder soll
der Graf inflagranti beim Stelldichein erwischt
werden. Figaro, der nichts von dieser Intrige
weiß, fängt den Lockbrief Susannas an den
Grafen ab. Von Eifersucht getrieben startet er
eine Gegenintrige.
Nachdem sich Marcellina und Bartolo zur
Überraschung aller als Figaros Eltern herausgestellt
haben und das nächtliche Rendez-vous im
Garten die erotischen Ambitionen des Grafen
bloßstellen konnte, kann die mehrfach verschobene
Hochzeit zwischen Figaro und Susanna
endlich stattfinden. Der verrückte Tag scheint
süß zu enden, doch das Vertrauen aller ineinander
wurde erschüttert: Der Nachgeschmack
ist bitter.
Katja Leclerc
Ein spanischer hoher Herr liebt
ein verlobtes junges Mädchen, das
er zu verführen sucht. Die Verlobte,
der Mann, den sie heiraten soll,
und die Frau des Edelmannes
finden
sich zusammen, um den
Plan eines absoluten Heuchlers
zum Scheitern zu bringen, dem
Rang, Vermögen und Freigebigkeit
alle Macht verleihen, sein Vorhaben
zu verwirklichen. Das ist alles,
nichts weiter.
Beaumarchais im Vorwort zu »Le Mariage de Figaro«
Kann nun der Autor, der sich mit dem Publikum
einlässt, um es zu unterhalten oder zu belehren,
die Handlung seines Stückes nicht nach freiem
Ermessen
gestalten? Muss er sich mit unmöglichen
Ereignissen befassen, muss er spotten statt zu
lachen und seine Vorbilder außerhalb der Gesellschaft
suchen, damit er sich nicht tausend Feinde
schafft, die er beim Verfassen seines traurigen
Schauspiels gar nicht kannte?
Ich habe gedacht und ich denke noch, dass weder
großes Pathos noch tiefe Sittlichkeit, noch gute und
wahre Komik auf der Bühne zustande kommen,
wenn nicht das Thema starke Konflikte aufweist,
die ihrerseits immer aus einem gesellschaftlichen
Missverhältnis entstehen.
Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, Auszug aus dem Vorwort von
»Le Mariage de Figaro«
Lorenzo da Ponte
Aus den Memoiren
Was Mozart anbelangt, so war mir klar, dass sein unermessliches Genie
einen vielseitigen, erhabenen Stoff brauchte. Als ich mich eines Tages
mit ihm darüber unterhielt, fragte er mich, ob ich nicht vielleicht ohne
zu große Mühe die Komödie »Die Hochzeit des Figaro« von Beaumarchais
zu einem Opernlibretto umarbeiten könne. Dieser Vorschlag gefiel mir
sehr, und ich versprach ihm, dies zu tun. Es war dabei aber eine große
Schwierigkeit zu überwinden. Wenige Tage zuvor hatte nämlich der
Kaiser der Gesellschaft des deutschen Theaters die Aufführung dieser
Komödie untersagt, weil sie nach seiner Meinung nicht ganz anständig
war. Wie konnte ich ihm nun gerade diese Komödie vorschlagen?
Der Baron von Wetzlar bot mir ein sehr ansehnliches Honorar für das
Textbuch. Er wollte die Oper in London oder in Frankreich aufführen
lassen, wenn es in Wien nicht gestattet werden sollte. Ich nahm aber
sein Anerbieten nicht an, sondern schlug vor, Text und Musik sollten in
aller Stille geschrieben und dann bei einer günstigen Gelegenheit den
Direktoren oder dem Kaiser selbst angeboten werden. Ich hatte den
Mut, die Bearbeitung des Textes selbst zu übernehmen.
Ich begann also mit der Ausarbeitung. Wir arbeiteten Hand in Hand.
Sobald ich eine Szene fertig hatte, setzte Mozart sie in Musik, und in
sechs Wochen war alles fertig. Mozart hatte diesmal Glück. Das Theater
hatte Mangel an neuen Opern. Ich benutzte die Gelegenheit und bot,
ohne mit irgendjemand darüber zu sprechen, den »Figaro« dem Kaiser
persönlich an.
»Wie«, sagte er, »Sie wissen doch, dass Mozart zwar ganz ausgezeichnet
in der Instrumentalmusik ist, aber bis jetzt nur eine Oper geschrieben
hat, die noch dazu keinen besonderen Wert hat.« »Ich selbst«, erwiderte
ich ehrerbietig, »hätte ohne die gnädige Huld Eurer Kaiserlichen
Majestät auch nur eine Oper geschrieben.« »Das ist wahr, aber diese
›Hochzeit des Figaro‹ habe ich schon der Gesellschaft des deutschen
Theaters verboten.« »Ich weiß es, aber da ich eine Oper und nicht eine
Komödie geschrieben habe, musste ich mehrere Szenen ganz weglassen
und viele andere stark kürzen. Ich habe dabei alles weggelassen, was
gegen den Anstand und die Sitte verstößt und ungehörig sein könnte in
einem Theater, in dem die höchste Majestät selbst anwesend ist. Was
aber die Musik betrifft, so halte ich sie, soweit ich dies beurteilen kann,
für ganz außerordentlich schön.« »Gut, wenn sich die Sache so verhält,
verlasse ich mich hinsichtlich der Musik auf Ihren guten Geschmack
und hinsichtlich des Textes auf Ihre Klugheit und Geschicklichkeit.
Lassen Sie sogleich die Partitur dem Kopisten übergeben.«
Le Nozze di Figaro
Wolfgang Willaschek
Die zwischen Herbst 1785 und Ende April 1786 entstandene, am 1.
Mai 1786 in der Wiener Hofoper uraufgeführte commedia per musica stellt
gattungsgeschichtlich, inhaltlich und formal ein stilbildendes Werk
dar: das Gegenwartsstück, das der Komponist seit Jahren schreiben
wollte.
Der Librettist Lorenzo da Ponte verdichtete die fünf Akte und 83
Szenen des Schauspiels »Le Mariage de Figaro« (1776 –1780) von Pierre
Augustin Caron de Beaumarchais zu vier Aufzügen und 48
Szenen, die er in einem in zwei Sprachen verfassten Entwurf »eine fast neue
Art von Schauspiel« nannte, »um verschiedene Leidenschaften, die
da vorkommen, mit verschiedenen Farben auszudrücken«. Dieses
Programm, das knapp und präzise die dramaturgischen Erfordernisse,
eine Vorlage nicht zu »übersetzen, sondern nachzuahmen« und
»einen Auszug von ihr zumachen« mit den besonderen Qualitäten
dieses Schauspiels verknüpft, ist als Rechtfertigung gegen die zahlreichen
Anfeindungen verfasst, denen sich da Ponte und Mozart im
Umkreis der Uraufführung ausgesetzt sahen: Auseinandersetzungen
unter den Verantwortlichen der Hofoper, Kabale neidischer Kollegen,
den Verwirrungen des Stücks in nichts nachstehende Intrigen. Dabei
war es, da Ponte dürfte in seinen Memoiren nicht gelogen haben,
äußerst schwierig, das hitzige Temperament Mozarts zu beschwichtigen.
Der französische König Ludwig XVI. und Napoleon deuteten das
Schauspiel von Beaumarchais als Ankündigung des Sturmes auf die
Bastille und als vorrevolutionäres Fanal.
Die meisten Zeitgenossen begriffen es in erster Linie als soziale Satire.
Sie ahnten wohl in den wenigsten Fällen, dass der angeprangerte
Missbrauch der Aristokratie, der Beaumarchais selbst angehörte, die
Fehde um das Selbstverständnis eines sich nach wie vor mächtig und
unantastbar fühlenden privilegierten Standes schließlich zu einem
wesentlichen Impuls der europäischen Revolutionen werden sollte.
In »Le Nozze di Figaro« wird nicht offen zur Revolution aufgerufen,
aber es werden Konflikte und Missstände behandelt, die nach dem
Scheitern von Reformen zum Aufstand der am stärksten unter feudaler
Willkür leidenden Schichten führen musste. Dabei kommt der
vierte Stand, der später zum Pöbel der Straße wurde, in Schauspiel
und Oper nur am Rande vor und ordnet sich noch willenlos den
Anweisungen Figaros unter, der mit öffentlichem Druck seine Hochzeit
gegen die Verzögerungstaktik des hohen Herrn durchzusetzen
versucht.
Soziologie eines Genies
Norbert Elias
Das Leben Mozarts illustriert sehr eindringlich die Situation bürgerlicher
Gruppen, die als abhängige Außenseiter zu einer vom höfischen
Adel beherrschten Wirtschaft gehörten, und zwar in einer Zeit, wo der
Machtvorsprung des höfischen Establishments noch recht groß war,
aber nicht mehr groß genug, um Äußerungen des Protests, zumindest
auf dem politisch weniger gefährlichen kulturellen Gebiet, völlig zu
unterbinden. Mozart focht als bürgerlicher Außenseiter in höfischen
Diensten mit erstaunlichem Mut einen Befreiungskampf gegen seine
aristokratischen Dienstherren und Auftraggeber aus. Er tat es auf
eigene Faust, um seiner persönlichen Würde und seiner musikalischen
Arbeit willen.
Über die Rolle, die Mozarts Animosität gegen den höfischen Adel in
Seinen Werken spielt, ist mancherlei geschrieben worden. Man kann
dazu aber nichts Zuverlässiges sagen, wenn man nicht prüft, wie Mozart
sich selbst im Verhältnis zu der Herrenschicht seiner Zeit sah.
Seine Situation war eine sehr besondere: er stand als sozial Abhängiger
und Untergebener höfischen Aristokraten gegenüber, denen er sich
zugleich im Bewusstsein seiner außerordentlichen musikalischen
Begabung als gleichwertig, wenn nicht überlegen fühlte; er war, mit
einem Wort, ein »Genie«, ein ungewöhnlich begabter schöpferischer
Mensch, geboren in eine Gesellschaft, die den romantischen Geniebegriff
noch nicht kannte, deren sozialer Kanon dem hochindividualisierten
genialen Künstler noch keinen legitimen Platz in ihrer Mitte bot.
Mozarts eigene Reaktion auf diese Lage war vielschichtig. Mit begrifflichen
Schwarz-Weiß-Zeichnungen, mit Worten wie »Freundschaft«
oder »Feindschaft« kommt man den Spannungen und Konflikten, um
die es hier geht, nicht bei. Mozart erlebte eine Grundambivalenz des
bürgerlichen Künstlers in der höfischen Gesellschaft, die sich auf die
Formel bringen lässt: Identifizierung mit dem höfischen Adel und dessen
Geschmack, Erbitterung über die Erniedrigung durch ihn.
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