FOKUS PLASMA 1010 108 Tiefgefrorenes Plasma INSTITUT FÜR KOMPLEXER Temperatur [K] Plasmen nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur untersuchen JAN MICHAEL ROST und seine Mitarbeiter am MAX-PLANCKPHYSIK SYSTEME – 46 MA X P LA N C K F O R SCHUNG 1/2008 KOMPLEXER P HYSIK FÜR MPI UNTEN : P HYSIK / A BB . FÜR EXTRATERRESTRISCHE MPI OBEN : A BB . P HYSIK (2) FÜR EXTRATERRESTRISCHE haupt auf der ISS forschen lassen. Denn der nicht mal hüfthohe schwarze Metallcontainer, in dem sie ihre Plasmakammer, die Elektroden, Laser und Gasflaschen und die übrige Ausrüstung verpackten, gelangte mit einer russischen Progress-Rakete zur ISS. Sie waren daher nicht von den Verzögerungen betroffen, die nach dem Unglück der Raumfähre Columbia den Start des europäischen Labors Columbus behinderten. Umso beliebter sind die Versuche mit den komplexen Plasmen und Plasmakristallen bei den Kosmonauten und Astronauten: Thomas Reiter betonte in einem Interview mit dem SPIEGEL, wie sehr ihn Wie Turbulenzen (kleines Bild links oben) entdiese Versuche beeindruckt stehen, lässt sich untersuchen, wenn ein komplexes hätten. Und einer der rus- Plasma um ein Hindernis strömt. Der laminare Fluss sischen Kosmonauten hat es franst dann immer mehr aus (Bild rechts unten). F OTO : A XEL G RIESCH / A BB .: MPI Ab durch die Düse: An der Engstelle verdichtet sich der Teilchenstrom und wird beschleunigt. sogar vorgezogen, mit den komplexen Plasmen zu experimentieren statt sich vor dem vorgesehenen Ruhevideo zu entspannen. Dabei drangen die Wissenschaftler von grundlegenden Prozessen wie der Kristallisation eines komplexen Plasmas schnell zu ausgefalleneren Phänomenen vor. Zum Beispiel zu elektrorheologischen Flüssigkeiten, welche die Physiker kurz ER-Flüssigkeiten nennen. Sie erstarren in einem starken elektrischen Feld und finden unter anderem in der Hydraulik oder in Stoßdämpfern Anwendung. Sie bestehen aus einer neutralen Flüssigkeit und elektrisch aktiven Partikeln. Die elektrischen Ladungen dieser Teilchen lassen sich in einem elek- Als Jan Michael Rost im Alter von 37 Jahren Direktor des Dresdner Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme wurde, hatte er bereits etwas Ungewöhnliches geleistet: Er hatte beschrieben, was passiert, wenn ein Helium-Atom seine beiden Elektronen verliert. Das allein ist noch nichts Besonderes, denn Helium ist das zweiteinfachste Atom in der Natur und dementsprechend eingehend untersucht. Doch Rost war es gelungen, die hierbei auftretenden Prozesse analog eines Phasenübergangs, etwa von fest nach flüssig, mit den Gesetzen der klassischen Physik zu beschreiben – also ohne die Quantenmechanik, mit der Physiker solche Prozesse gewöhnlich beschreiben. Diese Arbeitsweise hat er bei seiner heutigen Forschung beibehalten – und das mit großem Erfolg. Doch heute geht es Rost nicht um die Vorgänge in einem einzelnen Atom, sondern um das Verhalten einer großen Zahl von ionisierten Atomen, und die bilden – ganz dem Namen des Instituts entsprechend – ein wahrhaft komplexes System. „Komplexe Systeme bewegen sich auf der Grenze zwischen Regelmäßigkeit und Chaos“, umschreibt Rost seinen Forschungsgegenstand. Sie verhalten sich oft in unerwarteter Weise, zeigen einerseits ein schwer vorhersagbares nicht lineares Verhalten und können sich andererseits selbst organisieren. Plasmen bilden solche komplexen Systeme. In den angestammten Gebieten wie der Astrophysik oder der Fusionsforschung überwiegt das typische Verhalten eines Gases – Selbstorganisation kommt nicht vor. Und doch, so sagen Rechungen von Rost und seinem Kollegen Thomas Pohl voraus, sollte es das in ultrakalten Plasmen geben. „Grundlage der Theorie ist der Wettstreit zweier Kräfte, die zwischen den Plasmateilchen wirken“, erklärt Rost. Ein Plasma ist normalerweise so heiß, dass die Atome S YSTEME - T HOMAS P OHL auch in Kristallform. Inzwischen lassen die Garchinger Physiker in einem gebogenen Glasrohr komplexe Plasmen durch eine Düse strömen, wie sie Martin Fink vor dem Versuchsaufbau präsentiert. eines oder mehrere ihrer Elektro„Für Physiker, die mittlerweile Vornen verloren haben und so zu po- 106 gänge im Innern von Atomen mit eisitiv geladenen Ionen geworden ner Zeitauflösung von einer billionstel sind. Zwischen ihnen wirkt desSekunde und weniger studieren, ist halb die elektrische Coulombdas ein sehr langer Zeitraum“, sagt 4 10 Kraft. Gleichzeitig bewegen Rost. Tatsächlich nehmen die Forscher sich die Ionen wegen der hodas Plasma mit einer gewöhnlichen, hen Temperatur sehr schnell. wenn auch sehr schnellen CCD-Kame102 In den normalen Plasmen aus ra auf und können so die Entwicklung atomaren Ionen ist die Bewedes Plasmas verfolgen. gungsenergie – anders als in Was Rost besonders fasziniert, ist 100 Plasmen aus Mikropartikeln – die Tatsache, dass mit dieser Technik selbst bei Raumtemperatur viel Plasmaphänomene auf atomarer Ebegrößer als die Coulomb-Energie. ne leicht zugänglich werden. „Wir un10-2 Deshalb flitzen die Ionen ungetersuchen Plasmen gewissermaßen in ordnet hin und her. Senkt man Zeitlupe unter einem Vergrößerungsnun die Temperatur des Plasmas glas“, so Rost. Die Ergebnisse – und 10-4 ab, so wird die Bewegungsenerdas ist eine der Hauptmotivationen gie immer kleiner, bis sie irgendfür diese Forschung – sind auf andere wann etwa so groß ist wie die Plasmen übertragbar. 10-6 Coulomb-Energie. Die Experimentatoren in Frankreich 100 103 106 109 1012 1015 1018 1021 1024 1027 Jetzt gewinnen die elektrischen und den USA haben das Plasma bereits Dichte [cm-3] Kräfte die Oberhand. Sie sorgen Plasmen gibt es bei sehr unterschiedlichen Temperaturen und so weit abgekühlt, dass es beginnt, für Ordnung, zunächst zwischen Dichten: Das Sonnenzentrum ist viele Millionen Grad heiß und flüssigkeitsähnliches Veralten anzubenachbarten Ionen, wie es für extrem dicht. Ultrakalte Plasmen existieren knapp über dem nehmen. Können sie die Temperatur Flüssigkeiten typisch ist. Sobald absoluten Nullpunkt der Temperatur und sind recht dünn. noch weiter drücken, lagern sich die die Coulomb-Energie genau Ionen auf ineinander geschachtelten 174-mal stärker ist als die BeweKugelschalen an – das sagen zumingungsenergie, sollte sich den Rechdest Rosts Rechnungen voraus. Ob sie nungen von Rost und seinen Kollegen es tatsächlich tun, wollen die Physiker zufolge ein Plasmakristall bilden. kontrollieren, indem sie die PlasmaSo weit abkühlen lassen sich Plasmen wolke durchleuchten. Das Licht sollte mit einer Kombination aus Laserkühin einer Kamera dann ein ringförmiges lung und magneto-optischen Fallen, Muster erzeugen. die Atome und Moleküle in vielen Plasmakristalle sind keine Spielerei, Bereichen der Tieftemperaturphysik sondern ermöglichen es, klassische einfrieren. Die Experimente, zu denen Theorien über das Verhalten von Gader Theoretiker Rost das Rezept beisen in Extrembereichen zu überprüsteuert, laufen an der Universität von fen. So lässt sich zum Beispiel das Paris in Orsay sowie an der Rice UniSchwingungsverhalten von Plasmen, versity in Texas und der Universität das in vielen anderen Experimenten von Maryland. beobachtet wurde, auf der atomaren In magneto-optischen Fallen wird zuSkala studieren – ein Traum vieler nächst ein Gas aus Atomen eingefanPhysiker. gen und in mehreren Schritten abgeDarüber hinaus interessieren sich kühlt. Dabei nutzen Physiker unter auch Forscher am europäischen Teilanderem aus, dass Atome, die durch chenlabor CERN für Rosts Ergebnisse, Blick auf eine Kristallkugel: Bei sehr tiefen einen Laserstrahl angeregt wurden die Antiwasserstoff aus einem ultrakalten Temperaturen erstarren die Ionen eines und anschließend wieder ein Photon Plasma von Positronen und Antiprotonen Plasmas und ordnen sich auf Kugelschalen an. emittieren, einen Rückstoß spüren. herstellen wollen. Einige Erkenntnisse ultrakalten Gases ein Plasma. Das erwärmt Erwischt sie dieser Stoß entgegen ihrer könnten auch in die Forschung an dem sich durch den Laserbeschuss schlagartig Bewegungsrichtung, werden sie gebremst Freie-Elektronen-Laser FLASH am DESY in bis auf knapp ein Kelvin, was immer noch und abgekühlt. Hamburg einfließen. Beim Auftreffen auf wesentlich kälter ist als die Temperatur Wenn die nicht einmal einen KubikmillimeMaterie erzeugt FLASH extrem kurzlebige eines herkömmlichen Plasmas. In der mater kleine, in Magnetfeldern hängende Plasmen, die sich wie ultrakalte Plasmen gneto-optischen Falle sinkt die Temperatur Gaswolke bis auf etwa ein millionstel Grad im Zeitraffer verhalten. des Plasmas zudem schell wieder ab. über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt Doch im Wesentlichen betreiben Jan Die Mini-Plasmawolke lebt auch nur für ist, wird ein Laserpuls hineingeschossen. Michael Rost und seine Kollegen Grundeine geringe Zeit. Sie dehnt sich aus und In diesem Fall kühlt er die Wolke nicht lagenforschung. Vielleicht, so meint er, fällt aus der Magnetfalle heraus, denn weiter ab, sondern heizt sie in einem kleiließen sich seine Ergebnisse über das dynadiese kann nur Atome gefangen halten, nen Volumen kurzzeitig auf. Einige Atome mische Verhalten der Ionen vom Chaos nicht aber Ionen. Dennoch bleibt den verlieren bei dem Beschuss ihre Elektronen, zur Ordnung sogar einmal auf ganz andere Physikern etwa eine millionstel Sekunde die ihrerseits weitere Elektronen von den Gebiete übertragen, zum Beispiel auf gelang Zeit, die etwa 0,2 Millimeter kleine, umgebenden Atomen wegschießen. Diese sellschaftliches Verhalten. Doch das ist eine ultrakalte Plasmawolke zu studieren. Elektronenlawine erzeugt im Innern des ganz andere Geschichte. THOMAS BÜHRKE 1/2008 MA X P L A N C K F ORSCHUNG 47