Sonderausgabe der Zeitschrift LICHT TAGES 2/10 Architektur Planung Forschung Produkte Pflaum Verlag http://www.LICHTnet.de ARCHITEKTUR Eine Visitenkarte für die Bioenergie-Region Das Wissenschaftszentrum Straubing strahlt in weißer Lamellenhülle Die Bioenergie-Region Straubing-Bogen ist eine von 25 ihrer Art in Deutschland. In dem bayerischen Landkreis dreht sich alles um nachwachsende Rohstoffe. Zentraler Standort ist ein hochmodernes Wissenschaftszentrum in Straubing. Auf einer Gesamtfläche von 2 800 m2 erstrecken sich moderne Labors, in denen chemische, biologische und technische Versuchsreihen durchgeführt werden, kofortable Büro-, Konferenz- und Schulungsräume und eine multifunktionale Technikumshalle. 1 Der bayerische Landkreis StraubingBogen positioniert sich auf nationalem und internationalem Parkett als Bioenergie-Region, deren Herzstück das Straubinger Wissenschaftszentrum ist. Fünf Universitäten bündeln hier Forschung, Lehre und Wissenstransfer im Bereich der Nutzung und Verwertung von nachwachsenden Rohstoffen. Eine weithin sichtbare weiße Sonnenschutzfassade aus Textillamellen umschließt das Gebäude als »zweite Haut«. 1 In dem dreigeschossigen Baukörper sind die Büros nach Südosten, die Labors nach Nordwesten ausgerichtet. Der Eingangsbereich öffnet sich Richtung Westen. Im Osten des Gebäudes bildet ein 10 m hoher, stützenfreier Kubus mit Holzverkleidung das so genannte »Technikum« für spezielle Großversuche. Nach dem Willen der Bayerischen Staatsregierung werden hier interdisziplinäre Lehre, Forschung und Vermarktung, kurzum eine Fülle von Aktivitäten rund um nachwachsende Rohstoffe gebündelt. Natur-, Ingenieur-, Ökosystem- und Wirtschaftswissenschaftler arbeiten in Straubing eng zusammen, um alle erdenklichen Fragestellungen, vom Molekül bis zur Vermarktung von nachwachsenden Rohstoffen, umfassend beantworten zu können. Ziel aller Aktivitäten ist die Entwicklung von Strategien für den weitgehenden Verzicht auf fossile Rohstoffe. Mit dem Architekturbüro Nickl & Partner fand der Bauherr, das Bayerische Staatsmi- Fotos: Colt International, Kleve 1 In this three-storey building, the offices face the southeast and the laboratories, the northwest. The entrance area opens toward the west. At the east end of the building, a cube, 10 metres high without columns and clad in wood, serves as a technical unit (“Technikum”) for special large-scale experiments. 2 Weiße Textillamellen – teils starr, teils verstellbar – schützen die Innenräume vor zu starker Sonneneinstrahlung. Der markante Sonnenschutz verbessert die Energiebilanz des Hauses und ist so auch eine Visitenkarte für die Forschungsthemen hinter der Fassade. 2 White textile louvers – some fixed in place, and some movable – protect the interior of the building from excessive solar tradition. This impressive form of protection from the sun enhances the energy balance of the structure and serves as a highly visible calling card for the research activities being conducted behind the façade. 54 2 2/2010 TAGESLICHT ARCHITEKTUR nisterium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, einen Partner, zu dessen Selbstverständnis das besondere Augenmerk auf die »Angemessenheit der Mittel in Bezug zur Aufgabe« eines Gebäudes gehört. In Straubing war naturgemäß die Verwendung nachwachsender Rohstoffe als Baumaterial im Außen- und Innenbereich ein wichtiges Anliegen. Nickl & Partner setzte deshalb Holz als Baustoff für die Tragkonstruktion und bei den Bodenbelägen, im Innenausbau und bei der Wärmedämmung ein. Für Wärme im Gebäude sorgt eine Biomassefeuerungsanlage. In dieses nachhaltige Gebäudekonzept fügt sich die attraktive Sonnenschutzfassade aus dem Hause Colt International mühelos ein. Und zwar sowohl in funktionaler Hinsicht als 3 auch im Zusammenhang mit dem regionalen lichen Lamellen unterstützt dieses angeMarketinggedanken: Die weithin sichtbaren nehme Gleichmaß: Auf der Südwestseite und strahlend weißen Textillamellen sind neben dem Haupteingang und dem dahinlängst zu einer Visitenkarte für das ehrgeiter befindlichen Bereich sind alle Lamellen zige interdisziplinäre Projekt geworden. Als fixiert. Etwa zwei Drittel dieser starren Gebäudehülle schützen sie die Nutzer des Lamellen sind in einem Winkel von 30° zur Wissenschaftszentrums vor zu viel SonnenHorizontalen geöffnet, die anderen sind einstrahlung und machen zugleich die optigeschlossen. An allen anderen Gebäudemale Ausnutzung der Sonne als Licht- und seiten sind die Lamellen vor den FensterEnergielieferant möglich. bändern (etwa zwei Drittel) beweglich, im Brüstungsbereich unter den Fenstern beGleich einer zweiten Haut aus Glasfaserlafinden sich nur fest stehende geschlossene mellen umschließt die Colt-SonnenschutzLamellenelemente. anlage das neue Wissenschaftszentrum von drei Seiten. Insgesamt 1 488 MembranlamelZwischen der Lamellenhülle und der eigentlen vom Typ »Colt Shadotex« (zwischen 1,75 lichen Gebäudefassade verläuft vor jedem und 1,60 m breit und rund 60 bzw. 75 cm hoch) wurden rund um das quaderförmige Gebäude in 18 Reihen übereinander angeordnet. Offen blieb allein der im Westen gelegene gläserne Eingangsbereich und auf der gegenüber liegenden Seite setzt sich das holzverkleidete Technikum optisch ab. Insgesamt wurden 1 612m2 Fassadenflächen mit Lamellen bestückt. Die Haltekonstruktion, an der die Lamellen befestigt sind, orientiert sich konsequent an der Struktur der Primärfassade. So entstand ein kongruentes Raster, das den Rhythmus der Gebäudefassade weder von innen nach außen, noch von außen nach innen betrachtet stört oder unterbricht. Ein geschickter Wechsel von fest stehenden und bewegTAGESLICHT 2/2010 3 Die mehrfache Beschichtung des weißen Lamellengewebes mit Teflon sorgt für die gleichmäßig diffuse Streuung des Lichts. Überhitzung und Blendung werden so verhindert. 3 The multi-layer Teflon™ covering of the louver fabric ensures the uniformly diffuse dispersion of the light – which prevents overheating and glare. 4 Es gibt starre und verstellbare Lamellen. Je nach Intensität der Sonneneinstrahlung wurden Aluminiumrahmen ein- oder zweilagig mit Gewebe bespannt. 4 4 Some of the louvers are fixed in place, and the others can be adjusted. Aluminium frames were covered with one or two layers of textile, depending on the intensity of solar radiation encountered at each respective point. 55 ARCHITEKTUR Stockwerk ein etwa 40 cm breiter Gitterrostgang. Er dient zur Reinigung und Wartung von Lamellenanlage und Fassade. geometrischen Anordnung des Sonnenschutzes sowie den strahlungstechnischen Kerngrößen der verwendeten Materialien. Strenggenommen variiert dieser Wert sogar mit der Tageszeit, so dass bauphysikalisch üblicherweise repräsentative sommerliche Mittelwerte errechnet werden und diese zur sicheren Seite hin gerundet werden. Die Lamellen selbst bestehen aus textilen Membranen aus Glasfasergewebe, die stramm auf Aluminiumrahmen aufgespannt sind. Je nach Position und energetischem Bedarf – bezogen auf den Sonnenstand – sind 846 Lamellen einzeln und 542 Lamellen doppelt bespannt. In Straubing legte Colt International kalorische Messungen des Instituts für Fenstertechnik IFT in Rosenheim zu Grunde, korrigierte diese Daten allerdings aufgrund der spezifischen Verhältnisse vor Ort. So wurde beispielsweise zusätzlich berücksichtigt, dass bei der Sonnenschutzanlage des Wissenschaftszentrums Straubing die Sonnenstrahlen teilweise mehrere Lamellen passieren, bevor sie nach innen dringen, was die Strahlung mehrfach schwächt. Außerdem floss in die Berechnungen ein, dass die Sonnenstrahlen nicht immer senkrecht auf die Lamellen auftreffen, und dass die Himmelsstrahlung in der Realität nicht immer gleichmäßig verteilt ist. Die Ingenieure ermittelten auf diese Weise einen tatsächlichen FC-Wert der einfach bespannten Lamellen von 0,25 (beweglich) und 0,26 (fest). Im Klartext: Hier gelangt nur noch 25% bzw. 26% der ursprünglichen Sonneneinstrahlung ins Ge- Um die Maschen des Glasfasergewebes zu verschließen, wurden die Bespannungen der Lamellen achtfach mit Teflon (PTFE) überzogen. Bei Sonneneinstrahlung sorgt diese Beschichtung für eine sehr hohe und gleichmäßig diffuse Streuung des Lichts ins Gebäudeinnere. Das Gewebe ist zudem wasserdicht und extrem Schmutz abweisend. Colt International baute für das Straubinger Projekt eine eigene Musteranlage und führte spezielle Testreihen durch, um die Belastbarkeit des Lamellengewebes zu gewährleisten. In so genannten Biaxialtests vermaßen die Experten die Spannung der textilen Lamellen in den Richtungen von Schuss und Kette. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass sich die leichtgewichtigen Lamellen auch bei widrigen Witterungsverhältnissen nicht verziehen oder wegen Materialermüdung Falten werfen. Besonderes Augenmerk richteten die ColtIngenieure auf die Berechnung des FC-Wertes der Sonnenschutzanlage, also auf den energetischen Abminderungsfaktor. Dieser Wert bezeichnet den Quotienten der solaren Strahlung, die durch das Sonnenschutzsystem hindurch tritt und der auf das Schutzsystem auftreffenden Strahlung. Der FC-Wert ist abhängig von vielen Einflussfaktoren wie der geografischen Lage, der Jahreszeit, der Ausrichtung der Fassade, der 5 Zwischen der Lamellenhülle und der eigentlichen Gebäudefassade verläuft ein Gang. Von hier aus erfolgt die Reinigung und Wartung der Lamellen. 5 Between the louver enclosure and the actual building façade, there is an access way that enables cleaning and servicing the louvers. 56 bäude. Der Wert bei den doppelt bespannten Lamellen liegt bei 0,17 (beweglich) und 0,18 (fest). Summa summarum mindert die Anlage also bei direkter Sonneneinstrahlung wirksam den Energieertrag ins Gebäude, hält also die Raumtemperatur niedrig und senkt so die Kühllast. Objektinformationen Bauherr: Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, München Architekt: Architekturbüro Nickl & Partner, München / Berlin Sonnenschutzlamellen: Colt International GmbH, Kleve Summary The Science Centre in Straubing, Germany, is radiant in its white louver, second-skin façade The Bavarian county of Straubing-Bogen has made the attempt to gain the status of a leading bio-energy region, on the national and international scene. The Science Centre in Straubing plays a key role in this effort. At this centre, five universities have concentrated their activities in research, teaching, and knowledge transfer in the field of the use and exploitation of regenerative raw materials. Visible from afar, a white sun-protection façade consisting of textile louvers encloses the building like a second skin. This sun-protection solution created by the company Colt International is one component in a sustainable building concept. It protects the interior of the building from excessive heat and solar radiation and at the same time makes possible the optimal utilization of the sun as provider of light and energy. Louvers cover a total of 1612 m2 of the façade of the building. On the southwest side of the building, all louvers are permanently fixed. Around two-thirds of these immobile louvers are opened at an angle of 30° to the horizontal, and the remaining louvers are closed. On all other sides of the structure, the louvers are movable in front of the strip windows. 5 2/2010 TAGESLICHT