Die Irrationalität von ζ(3) Beweisanalyse und Verallgemeinerungen Nicola Oswald 13. Januar 2011 Inhaltsverzeichnis 1 Irrationalität 1.1 Historie, Philosophie und Mathematik . . . . 1.1.1 Vom Menschsein und der Mathematik 1.1.2 Erste reelle Meilensteine . . . . . . . . 1.1.3 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . 1.2 Irrationalität und Transzendenz . . . . . . . . 1.2.1 Einige Sätze . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Transzendenz . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Herangehensweisen . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Bedeutung des Kettenbruchs . . . . . . 1.3.2 Khinchine-Konstante . . . . . . . . . . 1.3.3 Irrationalitätsmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3 4 5 7 9 9 11 13 13 15 16 2 Irrationalitätsbeweis von ζ(3) 2.1 Geschichtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Kurze arithmetische Einordnung der Riemannschen ζFunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Motivation für Irrationalitätsuntersuchungen . . . . . . 2.2 Mathematische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Strukturentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Irrationalitätsmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Eine Rekursion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Gesetzmäßigkeiten der verwendeten Zähler- und Nennerfolgen 19 19 3 Entscheidende Beweisideen 3.1 Der Durchbruch - Apérys Beweis 3.1.1 Die Apéry-Konstante . . . 3.1.2 Die Anforderungen . . . . 3.2 Viel einfacher - Beukers Beweis . 3.2.1 Grundlagen . . . . . . . . 3.2.2 Legendre-Polynome . . . . 32 32 33 34 36 37 39 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 21 21 21 23 24 25 INHALTSVERZEICHNIS 3.3 3.4 Hypergeometrisch - Nesterenkos Beweis . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Einführung Hypergeometrischer Funktionen . . . . . 3.3.2 Die Linearform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Die Abschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rationale Folgen - Hypergeometrische Reihen - Multiple Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Rationale Folge - Rekursion . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Hypergeometrische Reihen - Integrale . . . . . . . . . 2 . . . . 43 43 45 48 . 52 . 52 . 53 4 Ideen übertragen 4.1 Neue Integraldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Harmonische Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Multiple Zetawerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Differenz der Integraldarstellungen . . . . . . . . . . . 4.2 Verallgemeinerungen auf multiple ζ-Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Eulersche Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Dilogarithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Komplexes Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Beukers Integrale angewandt auf die Dirichletsche L-Funktion 56 56 57 62 64 5 Anregungen und Ausblick 5.1 Weitere Integraldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Darstellung von Calabi . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Das Drinfeld-Kontsevich-Integral . . . . . . . . . . . 5.2 Anwendung auf multiple ζ-Werte . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Hypergeometrische Darstellung benutzen . . . . . . . . . . . 5.3.1 Zum Beweis von Nesterenko/Zudilin . . . . . . . . . 5.3.2 Konstruktion von Linearkombinationen von Polylogarithmen als hypergeometrische Funktionen . . . . . . 5.4 Resumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 77 77 78 80 81 81 . . . . . . 65 67 69 70 71 . 82 . 85 Kapitel 1 Irrationalität Diese Arbeit ist in erster Linie dem Nachweis der Irrationalität einer außergewöhnlichen Konstanten gewidmet: dem Wert der Riemannschen ζFunktion an der Stelle drei. Diesen werden wir im folgenden Kapitel noch ausführlich kennenlernen. Viele Jahre gilt es als nahezu unantastbare Vermutung, daß Werte der Riemannschen ζ-Funktion für positive ungerade Argumente irrationalen Charakter besitzen, bis schließlich 1979 Roger APÉRY (1916 - 1994) [2] der entscheidende Beweis für ζ(3) gelingt. In [39] beschreibt Alfred van der POORTEN (1942 - 2010) die allgemeine Skepsis gegenüber Apérys Nachweis und die generelle Tendenz, ihn als Aneinanderreihung unwahrscheinlicher Behauptungen anzusehen. In diesem Kapitel wollen wir uns unter anderem mit den Hintergründen befassen, warum dieser Beweis zunächst auf einen derartigen Unglauben bei seinen ZuhörerInnen stößt. Worin liegt die Herausforderung im Umgang mit irrationalen oder mehr noch mit transzendenten Zahlen? Und warum erregen sie seit Jahrhunderten das oft kontroverse Interesse von MathematikerInnen? 1.1 Historie, Philosophie und Mathematik Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Irrationalität ist außerordentlich vielschichtig. Obwohl die exakte mathematische Definition einer irrationalen Zahl erst im 19. Jahrhundert formuliert wird, findet bereits seit der griechischen Antike ein mathematisch weitgehend korrekter Umgang damit statt. Ausdrücke wie Unendlichkeit, Grenze beziehungsweise Grenzwertbildung geben lange Zeit Anlass zu Skepsis, Diskussion und Zerwürfnissen. Wir wollen hier eine einleitende Betrachtung durchführen, die einige herausragende philosophische und mathematische Perspektiven aufzeigt. 3 KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 1.1.1 4 Vom Menschsein und der Mathematik “ [...] die Mathematik ist ein Abstraktum oder allenfalls eine Gestalt des objektiven oder gar des absoluten Geistes, und diese kann wohl groß, aber nicht elend sein wie ein Mensch.“ [10] Als Ausgangspunkt soll zunächst der Konflikt beziehungsweise Konsens dienen, der aus den Begriffen des “Menschseins“ und der “Mathematik“ (altgriech. “Die Lehre des Denkens“) hervorgeht. In der Charakterisierung des Menschlichen wollen wir die Aspekte der Individualität und des menschlichen Temperaments, die bei umfassender Betrachtung miteinbezogen werden müssen, außer Acht lassen und uns auf die Eigenschaft der “endlichen Lebenszeit mit beschränktem Verstand“ [20] konzentrieren. Diese steht in diametralem Gegensatz zu dem Ideal des “göttlichen Verstandeswesen“ [20], welches in der Literatur der Mathematik zugeordnet wird. Da diese Gegenüberstellung Hand in Hand geht mit dem historischen Konflikt des Formalismus und der Intuition bei mathematischen Beweisführungen, wollen wir im Weiteren den antiken Begriff der “Göttlichkeit“ durch “Intuition“ aktualisieren. Um die Wechselwirkung beider Seiten aufeinander zu beschreiben, soll folgende Sichtweise angenommen werden: “Der endliche Mathematiker dient dem klaren Formalismus, der aus Intuition für das unbeschränkte, mathematische Ideal erst angewandt werden kann.“[20] Die MathematikerIn beschließt durch abstrahierende geistige Tätigkeit also selbst das Sein mathematischer Sachverhalte, woraus sich ein spannendes Abhängigkeits- beziehungsweise Unabhängigkeitsgefüge ableiten lässt. Zum einen charakterisiert die MathematikerIn durch Axiomensysteme bestimmte Gegenstandsbereiche und entwickelt dadurch ein methodisches Mittel zur Behandlung von Theoremen und Beweisen. Ein bekannter wissenschaftliche Anhänger dieses Formalismus unter anderem David HILBERT (1862 - 1943), dessen Ideen auf der Interpretation aufbauen, daß die Mathematik vom Menschen erst erfunden wird. Dies beschreibt den von Immanuel KANT (17241804) eingeführten Begriff des diskursiven, also anschauenden Verstandes. Ihm gegenüber stellt der Philosoph den intuitiven Verstand wie folgt: “Weil aber zur Erkenntnis doch auch Anschauung gehört, und ein Vermögen einer völligen Spontaneität der Anschauung ein KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 5 von der Sinnlichkeit unterschiedenes und davon ganz unabhängiges Erkenntnisvermögen, mithin Verstand in der allgemeinsten Bedeutung sein würde: so kann man sich auch einen intuitiven Verstand (negativ, nämlich bloß als nicht diskursiven) denken [...]“ [24] Auf die Mathematik bezogen, lässt sich folglich die Unabhängigkeit erörtern: Die Mathematik existiert unabhängig vom Menschsein, ihr ist ein intuitiver Verstand zuzuordnen. Dies beschreibt die Grundlage des Platonismus, dessen Anhänger wie beispielsweise Kurt GÖDEL (1906 - 1978) und Paul ERDÖS (1913 - 1996) die Ansicht vertreten, dass der Mensch mathematische Sachverhalte lediglich entdeckt. Das zugrunde liegende Prinzip, durch das die Endlichkeit des Menschen also auf die Mathematik angewandt wird, entspricht der Beherrschung des Großen durch das Kleine beziehungsweise des Unendlichen durch das Endliche. Dennoch bleibt als gestecktes Ziel nicht die Methodik der menschlichen Mathematik, sondern die Mathematik selbst in ihrer Unendlichkeit. 1.1.2 Erste reelle Meilensteine Die Tatsache, dass WissenschaftlerInnen bereits Jahrhunderte vor der exakten Einordbarkeit von Begriffen wie “irrational“ oder “unendlich“ Erklärungen dafür suchen, zeugt von der Faszination, die nicht-rationale Zahlen ausüben. Geht man von der Grundlage eines Zählsystems aus, welches vermag, beliebige Näherungswerte beliebiger reeller Zahlen anzugeben, so geht die Theorie der reellen Zahlen zurück bis auf das babylonische Reich um 600 v. Chr.. Der Umgang ist allerdings noch sehr intuitiv und naiv. So vermag er nicht, die Kluft zwischen erfahrenen Größenmaßen und prinzipiell approximierbaren Zahlen zu schließen und liefert folglich keine axiomatische Einordnung nicht-rationaler Zahlen. Insbesondere während der griechischen Antike ist die Mathematik stets eng mit philosophischen, teilweise mystischen Spekulationen verbunden. Erst im 4. Jahrhundert v. Chr. definiert ARISTOTELES (384 - 322 v.Chr.) die Kunst der Mathematik als freie Lehre (“padeia“). Er gesteht ihr zu, daß sie “[...] um ihrer selbst willen betrieben wird, nicht wegen ihres Nutzen oder zum Vergnügen“ [10]. PYTHAGORAS von Samos (570 - 510 v. Chr.) gilt bereits als erster Wissenschaftler, der gemäß dieser Definition studiert und sein Leben der Mathematik gewidmet hat. Gerade die Befreiung vom Anwendungszwang stellt hierbei die entscheidende Innovation dar. Einer der wegweisenden Grundsätze KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 6 der pythagoräischen Schule besteht in dem ideellen Vorsatz “Alles ist Zahl.“, welcher die Maxime beschreibt, daß jede reale Begebenheit in ganzen Zahlen dargestellt werden kann. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel bietet hierfür das von ANAXIMANDER (619 - 547 v. Chr.) entwickelte Weltsystem. Der vorpythagoräische griechische Mathematiker versucht ein exaktes zahlentheoretisches Konstrukt für den Aufbau der Welt festzulegen. So wird beispielsweise beschrieben, dass die Erde in einem Verhältnis von Eins zu Drei in der Mitte des Kosmos schwebt. Das Chaos wird im Begriff “Apeiron“, des Unbegrenzten, versuchsweise rational erfasst. Zeitbemessen soll hieraus der ganze Kosmos entstehen. Eingebettet in ein striktes System aus Verhältnissen ganzer Zahlen, widmet man sich dem Begriff der Unendlichkeit. Der griechische Philosoph Anaximander (610 - 547 v. Chr.) wird den miletischen Naturphilosophen zugeordnet. Sein Hauptinteresse galt der Frage nach dem Ursprung allen Seins. Von weiteren Philsophen seiner Zeit unterschied er sich insbesondere durch das sogenannte Apeiron, das Unbegrenzte oder auch Unermessliche, aus dem alles Sein entsteht. Als erster beschäftigte er sich mit der Frage nach dem Weltganzen beziehungsweise der Kosmogonie, zeichnete die erste bekannte Weltkarte und sogar eine Karte des Universums. In der pythagoräischen Schule begegnet uns einer der ersten philosophischen Konflikte der Mathematik. Einen Widerspruch ihrer eigenen Maxime werfen die Pythagoräer selbst auf, als sie entdecken, daß die Seite eines Quadrats mit ihrer Diagonalen inkommensurabel ist. Für ein√Quadrat mit Seitenlänge Eins folgt hieraus die berühmte Tatsache, dass 2 kein Element der rationalen Zahlen sein kann. Diese erste Entdeckung einer irrationalen Zahl erschüttert bekanntermaßen die antike Idealvorstellung von der Mathematik zutiefst. Nach dem Untergang der pythagoräischen Schule im 4. Jahrhundert v. Chr. ging schließlich eine Vielzahl an erklärenden Ideen und Errungenschaften verloren. KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 1.1.3 7 19. Jahrhundert Als entscheidende Epoche der Neuerungen innerhalb der Mathematik ist das 19. Jahrhundert hervorzuheben. Der Konflikt zwischen Religion und Naturwissenschaft spaltet MathematikerInnen in BefürworterInnen und Ablehnende des Unendlichen als mathematische Größe. Insbesondere die Frage nach einem Existenzbeweis Gottes führt zu unterschiedlichen Positionen und indirekt zu einer Motivation für neue mathematische Herangehensweisen. Wir wollen zunächst anhand eines Auszugs innerhalb eines Briefwechsels zwischen Carl Friedrich GAUSS (1777 - 1855) und Heinrich Christian SCHUMACHER (1780 - 1850) den Konflikt bezüglich der Behandlung des Unendlichen ableiten, die die Mathematik des 19. Jahrhunderts beschäftigen soll. Innerhalb der Auseinandersetzung mit der Konstruktion eines Dreiecks mit Seiten unendlicher Länge bezieht Gauß eindeutig eine ablehnende Haltung gegenüber dem Unendlichen. “Was nun aber Ihren Beweis für 1) betrifft, so protestire ich zuvörderst gegen den Gebrauch einer unendlichen Grösse als einer Vollendeten, welcher in der Mathematik niemals erlaubt ist. Das Unendliche ist nur eine Facon de parler, indem man eigentlich von Grenzen spricht, denen gewisse Verhältnisse so nahe kommen als man will, während anderen ohne Einschränkung zu wachsen verstattet ist. In diesem Sinne enthält die NichtEuclidische Geometrie durchaus nichts Widersprechendes, wenn gleich diejenigen viele Ergebnisse derselben anfangs für paradox halten müssen, was aber für widersprechend zu halten nur eine Selbsttäuschung sein würde, hervorgebracht von der früheren Gewöhnung die Euclidische Geometrie für streng wahr zu halten “ [21] Bemerkenswert ist unter anderem, dass die Auseinandersetzung mit mathematischen Grössen auf Prinzipien der Geometrie fußt. Dies wird sich innerhalb des kommenden Jahrhunderts entscheidend wandeln. Am Ende des Briefes bezieht Gauß eine versöhnlichere Position gegenüber der Idee einer unendlichen Größe seines Kollegen Schumacher, indem er sie in die menschlichen Vorstellungskraft einbettet. Damit liefert er ein aufschlussreiches Bild von der Behandlung des Unendlichen zu Beginn des 19. Jahrhunderts: “Hierin ist aber nichts Widersprechendes, wenn der endliche Mensch sich nicht vermisst etwas Unendliches als etwas Gegebenes und von ihm mit seiner gewohnten Anschauung zu Umspannendes betrachten zu wollen.“[21] KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 8 Unterstützt wird Gauß in seinen Ansichten unter anderem von Augustin Louis CAUCHY (1789 - 1857). Der überaus fromme Mathematiker sieht das Unendliche im Widerspruch zum Beweis der Existenz Gottes. In [15] bezieht Georg CANTOR (1845 - 1918) Stellung zu der Behandlung des Unendlichen und übt dabei unter anderem auch scharfe Kritik an der vehementen Ablehnung durch, von ihm durchaus geschätzten Persönlichkeiten der Mathematik wie Gauss und Cauchy. Der deutsche Mathematiker Georg Cantor wurde am 3. März 1845 in Sankt Petersburg geboren. Eine streng-katholische Erziehung begründet sein lebenslanges theologisches Interesse und die intensive Auseinandersetzung mit philopsophischen Thesen. Darüber hinaus war er außerordentlich engagiert in literarischen Forschungen und veröffentlichte mehrere Abhandlungen außerhalb der Mathematik. Besonders seine Entwicklung der “transfiniten Zahlen“ waren außerordentlich umstritten und so musste er sich, unter anderem beim Internationalen Mathematikerkongress von 1904, mehrfach gegenüber Kritikern durchsetzen. Berühmt ist Cantor letztendlich als Begründer der Mengenlehre, die eine Revolution in der Zuordnung von Mengen von Elementen begründet. Bemerkung. Das aktual Unendliche beschreibt im Folgenden die tatsächliche Existenz einer unendlichen Mächtigkeit. Cantor beschreibt, dass sich die Kritiker auf einen “grundfalschen Satz[es], wie [denjenigen] von der Unmöglichkeit aktual unendlicher Zahlen“ berufen. Vielmehr verfolgt er die erstaunlich moderne Idee, dass “unendliche Zahlen [...] durch ihren Gegensatz zu den endlichen Zahlen ein ganz neues Zahlengeschlecht konstituieren [...]“, deren Betrachtung “in concreto“ und “in abstractro“ absolviert werden kann. Ausdrücklich bejaht er das Aktual-Unendliche in beiden Sichtweisen: “[...] vielleicht bin ich der zeitlich erste, der diesen Standpunkt mit voller Bestimmtheit und in allen seinen Konsequenzen KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 9 vertritt, doch das weiß ich sicher, daß ich nicht der letzte sein werde, der ihn verteidigt!“ 1.2 Irrationalität und Transzendenz Nachdem wir eine einleitende philosophische Betrachtung anhand ausgewählter historischer Betrachtungsweisen durchgeführt haben, wollen wir uns nun einigen mathematischen Gesichtspunkten zuwenden. Zunächst charakterisieren wir den Begriff der irrationalen Zahlen in ihrer Abgrenzung zu rationalen Zahlen. Definition. Eine reelle Zahl z ∈ R wird irrational genannt, wenn sie nicht als Verhältnis zweier ganzer Zahlen ausgedrückt werden kann. Es gilt z 6= p mit p, q ∈ Z und q 6= 0. q Da die Menge der reellen Zahlen durch diese Charakterisierung disjunkt zerlegt wird, lässt sich die Menge der irrationalen Zahlen durch R\Q ausdrücken. 1.2.1 Einige Sätze Aus der obigen Definition lassen sich einige interessante Tatsachen ableiten. Cantor, siehe [17], beweist durch das sogenannte Diagonalverfahren zum einen die Gleichmächtigkeit von natürlichen Zahlen und rationalen Zahlen, zum anderen, dass es keine bijektive Abbildung zwischen der Menge der reellen Zahlen und den natürlichen Zahlen gibt. Daraus folgt die geläufige Tatsache, dass die Menge der rationale Zahlen abzählbar und die Menge der reellen Zahlen überabzählbar ist. Desweiteren gilt Satz. Die Menge der irrationalen Zahlen ist überabzählbar. Beweis. Angenommen, es gäbe abzählbar viele irrationale Zahlen. Die Vereinigung zweier disjunkter abzählbarer Mengen ergibt wiederum eine abzählbare Menge. Demzufolge müsste es abzählbar viele reelle Zahlen geben. Dies liefert einen Widerspruch zur Überabzählbarkeit der reellen Zahlen. Den folgenden entscheidenden Satz findet man unter anderem in [35]. Satz. Im Sinne des Lebesgue-Maßes sind fast alle reellen Zahlen irrational. KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 10 Beweis. Es ist ausreichend, den Beweis für das offene Einheitsintervall (0, 1) zu führen. Alle rationalen Zahlen pq mit 1 ≤ p ≤ q im Einheitsintervall liegen ebenso in dem Intervall p p Ip,q := − , + , q q3 q q3 wobei > 0 beliebig klein gewählt werden kann. Für die Länge des Intervalls Ip,q gilt die Abschätzung L (Ip,q ) ≤ q ∞ X X 2 q=1 p=1 q3 = ∞ X 2 q=1 q2 = π2 2. 6 Positive rationale Zahlen besitzen folglich im Intervall (0, 1) Lebensgue-Maß Null, was den obigen Satz beweist. Nun wollen wir näher auf die Approximierbarkeit der Zahlen untereinander eingehen. Satz. Zwischen zwei reellen Zahlen z1 < z2 befindet sich stets sowohl eine rationale als auch eine irrationale Zahl. Beweis. Wir wissen nach dem Archimedischen Axiom, dass für zwei reelle Zahlen 0 < z1 < z2 eine ganze Zahl n existiert, so dass 1 n gilt. Wählen wir eine ganze Zahl m mit m < nz2 ≤ m + 1, so ergibt sich z2 − z1 > m+1 1 m 1 ≤ − = < z2 . n n n n Folglich ist m eine rationale Zahl zwischen z1 und z2 . n Um eine irrationale Zahl zu erhalten, wählen wir eine ganze Zahl k mit √ 2 m z1 − n > k . Es ergibt sich √ m m 2 + < < z2 . z1 < n k n z1 < z2 − In diesem Fall ist also liegt. m n √ + 2 k eine irrationale Zahl, die zwischen z1 und z2 Aus dem obigen Satz lässt sich schlussfolgern, dass jede reelle Zahl beliebig gut durch rationale und irrationale Zahlen angenähert werden kann. Dies bedeutet, dass sowohl die rationalen als auch die irrationalen Zahlen dicht in R liegen. Innerhalb der Menge der irrationalen Zahlen werden algebraische und transzendente Zahlen unterschieden. KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 11 Definfition. Als algebraisch bezeichnet man eine reelle Zahl z, die Nullstelle eines Polynoms von einem Grad n größer Null mit rationalen Koeffizienten √ ist. Ein einfaches Beispiel hierfür sind unter anderem Wurzeln wie 2. Eine algebraische Zahl z ist vom Grad n ≥ 1, wenn sie der algebraische Gleichung p(z) = a0 + a1 z + a2 z 2 + · · · + an z n mit a0 6= 0 und ganzzahligen Koeffizienten ak ∈ Z, allerdings keiner Gleichung von kleinerem Grad genügt. Desweiteren lässt sich beweisen, dass die Menge der algebraischen Zahlen abzählbar ist und der folgende Satz gilt. Satz. Ist ξ eine irrationale, algebraische Zahl n-ten Grades mit n ≥ 2, so gilt ξ − p < 1 (1.1) q q n+1 nur für endlich viele rationale Zahlen p q mit q > 0. Einen Beweis lässt sich beispielsweise in [36] finden. 1.2.2 Transzendenz Spannender sind für uns die sogenannten transzendenten Zahlen. Definition. Eine reelle Zahl, die nicht algebraisch ist, wird transzendent genannt. Aus der Abzählbarkeit der Menge der algebraischen Zahlen kann sofort die folgende Tatsache geschlossen werden. Satz. Die Menge der transzendenten Zahlen ist überabzählbar. Die Existenz und Überabzählbarkeit transzendenter Zahlen lassen sich durch das Cantorsche Abzählbarkeitskriterium recht einfach ableiten. Schwieriger hingegen ist ihre tatsächliche Angabe. Die erste Einordnung transzendenter Zahlen schreibt man Joseph LIOUVILLE (1809 - 1882) zu. KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 12 Der französische Mathematiker Joseph Liouville (1809 - 1882) beendet 1827 sein Studium an der École Polytechnique in Paris, wo er im Jahr 1831 seine wissenschaftliche Laufbahn als Assistent beginnt. Seine immense Lehrtätigkeit an verschiedenen Instituten Frankreichs wird als perfektionistisch und leidenschaftlich beschrieben. Insbesondere sein außeruniversitäres Engagement ist bemerkenswert: 1836 gründet Liouville das “Journal de Mathematiques Pures et Appliquées“ und ein herausragender politischer Einsatz verschafft ihm 1848 einen Sitz in der Nationalversammlung. Im Jahr 1850 wirde seine Bewerbung um einen Mathematiklehrstuhl am Collège de France knapp der von Cauchy vorgezogen, was das Verhältnis der beiden Mathematiker lebenslang erschüttert. Abgesehen von zahlreichen Arbeiten im Bereich partieller Differentialgleichungen, sind rund 200 von 400 Veröffentlichungen Liouvilles der Zahlentheorie gewidmet. Im Folgenden wollen wir betrachten, wie es Liouville gelingt, eine unendliche Klasse transzendenter Zahlen zu konstruieren. Deifnition. Als Liouvillesche Zahl bezeichnet man eine irrationale Zahl ξ, m wenn zu jeder ganzen Zahl m eine rationale Zahl pqm mit qm > 1 existiert, so dass die Ungleichung p m < 1 ξ − m qm qm gilt. Es gibt dann insbesondere unendlich viele solcher Brüche. Satz. Jede Liouvillesche Zahl ist transzendent. Beweis. Angenommen, ξ ist eine algebraische Zahl n-ten Grades. Dann wäre die obige Ungleichung nach (1.1) nicht für unendlich viele rationale Zahlen pq erfüllt. Dies widerspricht allerdings der Definition Liouvillescher Zahlen. Durch die Anwedung der Liouvilleschen Vorgaben lassen sich also transzendente Zahlen konstruieren. 1873 gelingt es Charles HERMITE (1822 - 1901), die Transzendenz der Eulerschen Zahl e zu beweisen. Seine Methode wird KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 13 von Carl Louis Ferdinand von LINDEMANN (1852 - 1939) aufgegriffen und für den Nachweis der Transzendent von π erweitert. Lindemann verwendet hierfür den bekannten Zusammenhang der Zahlen e und π und beendet 1882 somit das uralte Problem der Quadratur des Kreises. Den verallgemeinerten Satz Lindemanns wollen wir ohne Beweis aufführen. Satz. Es seien beliebige voneinander verschiedene algebraische Zahlen α1 , α2 , · · · , αm gegeben. Dann ist die Gleichung m X aj eαj = 0, j=1 mit von Null verschiedenen algebraischen Zahlen a1 , a2 , · · · , am nicht lösbar. Als Konsequenz dieses Satzes lässt sich unter anderem die Transzendenz von eα , sin α, cos α, tan α, sinh α, cosh α und tanh α für eine beliebige algebraische Zahl α, mit α 6= 0, nachweisen. 1.3 Herangehensweisen Im Zuge der Untersuchungen einer reelle Zahl auf Irrationalität bieten sich verschiedene Herangehensweisen. In diesem Abschnitt wollen wir einige solcher Möglichkeiten erörtern. Weiterführende Methoden und Ergebnisse finden sich beispielsweise in [37], [17] und [35]. 1.3.1 Bedeutung des Kettenbruchs Obwohl Ideen zu rationalen Approximationen bereits seit der Antike bestehen, wird erst im 16. Jahrhundert die Methode entwickelt, die wir nun vorstellen wollen, um irrationale Zahlen sehr gut anzunähern. Vornehmlich Leonhard EULER (1707 - 1783) und Joseph Louis LAGRANGE (1736 1813) etablieren im 18. Jahrhundert diese Art der Untersuchung. Sie basiert auf der Anwendung des bekannten euklidischen Algorithmus. Die sukzessive Division mit Rest zweier ganzer Zahlen n0 und n1 liefert n0 = a0 + 1/(n1 /n2 ) = a0 + 1/(a1 + n3 /n2 ) = a0 + 1/(a1 + 1/(n2 /3 )) = ... n1 1 1 1 = a0 + = a0 + = a0 + = .... n1 a1 + n12 a1 + n3 n2 n2 n3 mit natürlichen Zahlen nj und ganzen Zahlen aj . Dies liefert die sogenannte Kettenbruchentwicklung. Für ganze Zahlen n0 , n1 terminiert der euklidische Algorithmus und der Kettenbruch ist demzufolge endlich. KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 14 Definition. Unter der regulären Kettenbruchentwicklung einer Zahl z versteht man eine Entwicklung der Form 1 z = a0 + = [a0 , a1 , a2 , ..., an , ...]. 1 a1 + ... a2 + 1 ... Der reellen Zahl z wird eine Folge von Zahlen (an )n∈N zugeordnet. Ist diese Folge unendlich, so sprechen wir von einer unendlichen Kettenbruchentwicklung. an + Hauptsatz über Kettenbrüche. Für jede irrationale Zahl ξ > 1 existiert eine eindeutige Folge natürlicher Zahlen an mit ξ = lim [a0 , a1 , ..., an ], n→∞ wobei a0 := bξc und an ∈ N für n ∈ N. Auf der anderen Seite definiert eine Folge ganzer Zahlen (an )n∈N eine irrationale Zahl ξ vermöge ξ = limn→∞ [a0 , a1 , ..., an ] für jedes a0 ∈ Z. Einen ausführlichen Beweis des Hauptsatzes findet man in [17]. Als Folge des Hauptsatzes lässt sich nun festhalten, dass das Auffinden einer unendlichen regelmäßigen Kettenbruchentwicklung einer reellen Zahl implizit einen Beweis für die Irrationalität dieser Zahl liefert. Aus der Kettenbruchentwicklung erhält man nun augenscheinlich eine sich mit jedem hinzukommenden sogenannten Teilnenner an verbessernde Approximation an die irrationale Zahl ξ. Definition. Bezüglich eines unendlichen Kettenbruchs [a0 , a1 , ...] = lim [a0 , a1 , ..., an ] n→∞ einer reellen Zahl z nennt man [a0 , a1 , ..., an ] = pqnn für n ≥ 1 den n-ten Näherungsbruch an z. Eine Hilfe bei der Berechnung der zugehörigen Näherungsbrüche soll nun der folgende Satz liefern. Berechnung der Näherungsbrüche. Für die obige eindeutige Folge (an )n∈N definieren wir eine Zählerfolge (pn )n≥−2 und eine Nennerfolge (qn )n≥−2 durch p−1 = 1, p0 = a0 und pn = an pn−1 pn−2 für n ≥ 0, KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 15 und q−1 = 0, q0 = 1 und qn = an qn−1 + qn−2 , für n ≥ 0. Dann gilt für den n-ten Näherungsbruch: [a0 , a1 , ..., an ] = pqnn . Der Beweis lässt sich durch eine Induktion für n nachvollziehen. Nun wollen wir√die obigen Definitionen und Sätze endlich auf das berühmte Beispiel ξ = 2 beziehen. Gemäß den Rechenvorschriften ergibt sich als Kettenbruchentwicklung: √ 1 = [1, 2, 2, 2, ...] 2=1+ 2 + 2+1 1 2... √ 1 Aus 2 + 1 = 2 + √2+1 ergibt sich eine periodische, insbesondere unendliche Folge von Teilnennern an = √ 2 für n ≥ 1. Zum einen liefert dies den gesuchten Irrationalitätsbeweis von 2. Zum anderen lässt sich ableiten, dass generell aus einem periodischen Kettenbruch eine quadratische Gleichung folgt. Hier √ etwa für ξ = 2 + 1: ξ =2+ 1 , also 0 = ξ 2 − 2ξ − 1. ξ Um den direkten Zusammenhang mit irrationalen Quadratwurzeln zu erklären, stellen wir einen Satz der bereits zu Beginn erwähnten Wegbereiter vor: Satz von Euler-Lagrange. Jede quadratische Irrationalzahl besitzt einen periodischen Kettenbruch und umgekehrt. Den Beweis des Satzes teilen sich die beiden Mathematiker. Da allerdings die anspruchsvollere Richtung von der Quadratwurzel hin zum Kettenbruch Lagrange zugeordnet wird, ist der Satz oft lediglich nach ihm benannt. Bemerkung. Unter einer verallgemeinerten Kettenbruchentwicklung versteht man einen Kettenbruch, in dem der Zähler der einzelnen Teilbrüche nicht zwingend auf 1 festgelegt sein muss. In Kapiel 2 werden wir uns intensiv mit der Kettenbruchentwicklung von ζ(3) auseinandersetzen. 1.3.2 Khinchine-Konstante Ausgehend von der regulären Kettenbruchentwicklung einer reellen Zahl z, lernen wir nun ein heuristisches Mittel zur Irrationalitätsuntersuchung kennen. KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 16 Bemerkung. Vor der Einführung dieser Methode sei erwähnt, dass es eine Menge von reellen Zahlen vom Lebesgue-Maß Null gibt, die sich nicht auf die folgende Weise approximieren lassen. Defintion. Die sogenannte Khinchine-Konstante beschreibt das geometrische Mittel 1 lim (a1 a2 ...an ) n = K0 = 2.685452001... n→∞ über den Teilnennern der regulären Kettenbruchentwicklung von z. Die besondere Eigenschaft der Konstanten ist die Unabhängigkeit von z für fast alle z, siehe [23]. Bei der Untersuchung von z wertet man nun eine hohe Qualität der Genau1 igkeit, mit der Kn (z) = (a1 a2 ...an ) n sich bis auf einige Nachkommastellen an K0 annähert, als Hinweis auf die Irrationalität von ξ. Für die Anwendung auf ζ(3) folgen wir einer Idee, die in [29] auf nichttriviale Nullstellen der Riemannschen ζ-Funktion angewandt wird. Hierfür berechnen wir mit Mathematica zuerst die ersten hundert Teilnenner ContinuedF raction[Zeta[3], 101] = (1, 4, 1, 18, 1, 1, 1, 4, ..., 14, 2, 7, 1, 4) und betrachten das erste Ergebnis: N [Exp[Log[4∗1∗18∗1∗1∗1∗4∗...14∗2∗7∗1∗4)]/100], 10] = 2.403798518.... Um die Aussagekraft unserer Untersuchungen zu verstärken, führen wir die gleiche Rechnung noch einmal für die ersten tausend Teilnenner von ζ(3) durch und erhalten K1000 (ζ(3)) = 2.689482700.... Tatsächlich stellen wir fest, daß dieser Wert sehr nah an K0 liegt. Daraus lässt sich bereits ein Hinweis auf die Irrationalität von ζ(3) ableiten. Wendet man die gleiche Methode bei Untersuchungen für ζ(2), ζ(4) und ζ(5) an, so erhält man sehr ähnliche Ergebnisse. Wie oben bereits erwähnt, lassen sie sich als Hinweis, allerdings nicht als Beweis für Irrationalität interpretieren. 1.3.3 Irrationalitätsmaß Bezüglich der Irrationalität lässt sich zusätzlich eine gewisse Hierarchie auf der Menge der reellen Zahlen einführen. Als Ordnung dient uns hier ein besonderes Maß, welches wir zunächst definieren wollen. KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 17 Definition. Sei z eine reelle Zahl und Ψ die Menge der µ ∈ R+ , für die die Ungleichung p 1 0 < z − < µ q q nur endlich viele Lösungen besitzt. Dann bezeichnet man µ(z) = inf µ µ∈Ψ als Irrationalitätsmaß von ξ. Mit dem folgenden Satz von 1955 trägt Klaus Friedrich ROTH (*1925) entscheidend zur Einordnung reeller Zahlen bei. Satz von Thue-Siegel-Roth. Hinsichtlich einer reellen algebraischen Zahl ξ hat die Ungleichung p ξ − < 1 q q 2+ für alle > 0 höchstens endlich viele rationale Lösungen pq . Unter anderem für dieses Resultat wird der britische Mathematiker 1958 mit der Fieldsmedaille ausgezeichnet. Bemerkenswert ist, dass hier insbesondere der Begriff der Diophantischen Approximation gerechtfertig wird, indem zur Untersuchung algebraischer Zahlen die Approximierbarkeit durch rationale Zahlen verwendet wird. Aus dem Satz lässt sich ableiten, dass alle irrationalen algebraischen Zahlen ξ ein Irrationalitätsmaß µ(ξ) ≥ 2 besitzen. Insgesamt gilt für relle Zahlen z der folgende Zusammenhang: µ(z) = 1, µ(z) = 2, µ(z) ≥ 2, falls z eine rationale Zahl ist falls z eine algebraische Zahl vom Grad ≥ 1 ist falls z eine tranzendent Zahl ist. Für den Fall µ(z) = 2 besteht folglich sowohl die Möglichkeit, dass z eine transzendente als auch eine reelle algebraische Zahl sein kann. Falls es sich bei Ψ um eine leere Menge handelt, so wird das Irrationalitätsmaß µ(z) = ∞ gesetzt und man spricht gemäß der obigen Definition von einer Liouville-Zahl. Insbesondere innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte wurden Irrationalitätsmaße bekannter irrationaler Zahlen präzisiert. Einige Ergebnisse wollen wir KAPITEL 1. IRRATIONALITÄT 18 im Folgenden betrachten: π π2 π √ 3 log 2 e ζ(2) mit Irrationalitätsmaß 7, 6304 , Salikhof [47], 2008 mit Irrationalitätsmaß 5, 4413 , Rhin und Viola [41], 1996 mit Irrationalitätsmaß 4, 6016 , Hata [22], 1993 mit Irrationalitätsmaß 3, 57455391 , Marcovecchio [28], 2009 mit Irrationalitätsmaß 2 , Davis [16], 1978 mit Irrationalitätsmaß 7, 398537 , Rhin und Viola [40], 1993 Es sei bemerkt, dass hier insbesondere Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte aufgeführt sind, deren Inhalte teilweise seit langem als bewiesen gelten. Das Irrationalitätsmaß µ(e) = 2 war beispielsweise bereits Euler im 18. Jahrhundert bekannt. Kapitel 2 Irrationalitätsbeweis von ζ(3) Dieses Kapitel widmet sich den Irrationalitätsuntersuchungen einer besonderen Dirichlet-Reihe ∞ X f (n) F (s) = , s n n=1 wobei f eine arithmetische Funktion und s = σ + it eine komplexe Veränderliche bezeichnet. Die sogenannte Riemannschen ζ-Funktion ergibt sich, wenn alle Koeffizienten f (n) = 1 gesetzt werden: ∞ X 1 1 1 1 = 1 + s + s + s + .... ζ(s) = s n 2 3 4 n=1 (2.1) Es ist bekannt, dass diese Reihe für Re s > 1 absolut konvergiert. Insbesondere soll der Irrationalitätsbeweis des Reihenwertes für s = 3 eingehend betrachtet und gewisse ableitbare Gemeinsamkeiten verschiedener Beweise im Detail untersucht werden. In Kapitel 4 werden verwandte Dirichlet-Reihen untersucht. 2.1 Geschichtliche Einordnung Zunächst wollen wir uns einen kurzen historischen Überblick über klassische arithmetische Untersuchungen der Funktion verschaffen. Dieser wird nicht zuletzt dabei helfen, die Besonderheit und Motivation des anschließenden Beweises nachvollziehen zu können. Für eine vertieftere Auseinandersetzung mit den folgenden Funktionseigenschaften sei die interessierte LeserIn auf [6] verwiesen. 19 KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 2.1.1 20 Kurze arithmetische Einordnung der Riemannschen ζ-Funktion Dem schweizer Mathematiker Leonhard Euler gelingen 1730 erste Approximationen an den Wert von ζ(2). Erst einige Jahrzehnte später notiert Bernhard RIEMANN (1826 - 1866) die nach ihm benannte Riemannsche ζFunktion als die obige unendliche Reihe (2.1). Die exakte Bestimmung gehört heute zum Grundwissen der Analysis (insbesondere bezüglich der Konvergenzkriterien unendlicher Reihen): ∞ X π2 1 . = ζ(2) = n2 6 n=1 Euler gelingt nicht nur ein Beweis für die Konvergenz der Reihe an der Stelle s = 2. Vielmehr dienen seine Untersuchungen der späteren Erkenntnis, dass es sich hierbei um einen transzendenten, also insbesondere irrationalen Wert handelt. Dafür wird die bereits erwähnte, von Lindemann bewiesene Transzendenzeigenschaft der Kreiszahl π, verwendet, die sich, als einzige nichtra2 tionale Komponente, direkt auf π6 überträgt. Außerdem entwickelt Euler die Gleichung ζ(2k) = (−1)k−1 B2k (2π)2k für k ∈ N 2(2k)! an positiven geradzahligen Stellen. Bemerkenswert sind hierbei die sogenannten Bernoulli-Zahlen Bk , die gemäß ∞ X k=0 Bk zk z 1 1 = = 1 − z + z 2 − ..., k! exp(z) − 1 2 12 definiert werden. Da es sich bei B2k um rationale Werte handelt, ergibt sich die Eigenschaft der Transzendenz wiederum aus der Transzendenz der Kreiszahl π. Insbesondere wird durch den obigen Ausdruck folglich die Irrationalität der Werte der Riemannschen ζ-Funktion an den positiven geraden Zahlen gezeigt. Bis 1749 gelingen Euler noch zahlreiche folgenreiche Untersuchungen und Resultate ähnlicher Art. So stellt er unter anderem die Gleichungen (2π)2k ζ(1 − 2k) 2(2k − 1)!(−1)k Bn+1 ζ(−n) = − , wobei n ∈ N n+1 ζ(2k) = KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 21 auf, die 1859 durch Riemann endlich zu der bekannten Funktionalgleichung s π− 2 Γ s 2 ζ(s) = π − 1−s 2 Γ 1−s 2 ζ(1 − s) ergänzt werden. Die Symmetrieeigenschaften der Gleichung erweisen sich bei der Untersuchung einzelner Werte der Funktion als außerordentlich nützlich, indem sie es der BetrachterIn erlauben, eine Beziehung zwischen bekannten Funktionswerten an der Stelle s und unbekannten Funktionswerten an der Stelle 1 − s herzustellen. Somit dient sie als Grundlage zahlreicher Aussagen, die seitdem über die Riemannsche ζ-Funktion getroffen werden konnten. 2.1.2 Motivation für Irrationalitätsuntersuchungen Als direkte Konsequenz lassen sich Kenntnisse von Werten in s ,beziehungsweise in unserem Fall 2k, auf die zu untersuchenden Werte in 1 − s beziehungsweise 1−2k anwenden. In der uns bekannten oben erwähnten Gleichung für die Werte von ζ(2k) spielen die Bernoulli-Zahlen eine tragende Rolle. Betrachten wir nun diese Zahlen für den Index-Wert 2k + 1, so ergibt sich B2k+1 = 0 für alle k N und folglich implizit ζ(−2k) = − B2k+1 = 0. 2k + 1 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass wir mit Hilfe der Funktionalgleichung keine verwertbaren Rückschlüsse auf positive ungerade Werte ableiten können. 2.2 Mathematische Grundlagen Zur Entwicklung einer weiteren Idee eines Irrationalitätsnachweises sollen zunächst einige zahlentheoretische Grundlagen erwähnt werden. Für konkrete Beweise sei auf Standardliteratur zur analytischen Zahlentheorie, u.a. [13] und [36], bzw. zu Rekursionen, u.a. auf [53] und [30], verwiesen. 2.2.1 Strukturentwicklung Eine naheliegende und auch hier verwendete Idee, um eine Methode für einen Irrationalitätsbeweis zu entwickeln, basiert auf der Charakterisierung von Irrationalzahlen, die sich aus dem folgenden Satz von 1842 ergibt. KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 22 Dirichletscher Approximationssatz. Für jede irrationale Zahl ξ ∈ R \ Q gibt es unendlich viele rationale Zahlen pq ∈ Q, die sich folgendermaßen an ξ annähern: p 1 0 < ξ − < 2 . (2.2) q q Für ξ ∈ Q hingegen existieren nur endlich viele pq , die der Ungleichung (2.2) genügen. Insbesondere sei hier an den Satz von Thue-Siegel-Roth aus Kapitel 1.3.3 erinnert. Aus der Charakterisierung von Dirchlet leitet sich das folgende Irrationalitätskriterium ab: Kriterium 1. Sei 0 < κ < δ. Gilt für eine unendliche Folge rationaler 1+κ streng monoton wächst, die Zahlen ( pqnn )nN , deren Nennerfolge mit qn < qn−1 Abschätzung p n ξ − < 1 , qn qn1+δ so handelt es sich bei ξ 6= pn qn um eine irrationale Zahl. Um dieses Kriterium anwenden zu können, besteht die erste Hürde zunächst in der adäquaten Konstruktion einer geeigneten Quotientenfolge. Hierfür wollen wir uns der bereits erwähnten Kettenbruchentwicklung zuwenden. Aus der regulären Kettenbruchentwicklung von ξ der Form 1 ξ = a0 + = [a0 , a1 , a2 , ..., an , ...], 1 a1 + a2 + ... ... 1 an + ... ... lassen sich Näherungsbrüche von ξ bestimmen: p0 p1 1 p2 = a0 , = a0 + , = a0 + q0 q1 a1 q 2 1 1 a1 + a2 ... pn = a0 + qn 1 . 1 a1 + a2 + 1 ... an−1 + 1 an Eine unendliche Folge von Teilnennern a0 , a1 , a2 , ..., an , ... würde hier bereits die Irrationalität von ξ liefern (siehe Hauptsatz in Kapitel 1.3). KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 23 In seinem Gesetz der besten Näherung von 1770 beschreibt Joseph Louis LAGRANGE (1736 - 1813), dass die durch die reguläre Kettenbruchentwicklung einer Zahl ξ erhaltenen Näherungsbrüche die besten Approximationseigenschaften unter allen Rationalzahlen aufweisen. Da bisher allerdings wenig über die reguläre Kettenbruchentwicklung von ζ(3) bekannt ist, kann das Kriterium in dieser Form nicht angewandt werden. Allerdings lässt sich mit Hilfe algebraischer Umformungen für hinzukommende Teiler- und Nennerfaktoren eine verallgemeinerte Kettenbruchentwicklung ζ(3) = a0 − b0 C0 C1 B0 − A 1 C2 B1 − ... B2 − An−1 Cn ... − Bn . (2.3) herleiten, durch die man zumindest gute statt beste Näherungsbrüche erhält. Im Folgenden werden die Größen Aj , Bj , Cj noch genauer beschrieben. Die daraus entstandene approximierende Folge ( pqnn )n∈N von Näherungsbrüchen liefert wiederum Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit der Konvergenz, die durch ein Irrationalitätsmaß µ = µ(ξ) ausgedrückt werden kann. 2.2.2 Irrationalitätsmaß Um die Funktion des Irrationalitätsmaßes µ = µ(ξ) und dessen Zusammenhang mit der Näherungsfolge ( pqnn )nN nachzuvollziehen, sollen dessen Abschätzungen eingehend betrachtet werden: Es gelten die gleichen Annahmen wie in Kriterium 1. Bei (qn )n∈N handle es sich um eine monoton wachsende Folge mit 1+κ qn < qn−1 , mit beliebig kleinem κ > 0. Außerdem gelte 1 p |ξ − | ≤ τ , q q wobei für δ ≥ 1 der Wert q τ der Abschätzung 1+δ qn−1 ≤ q τ ≤ qn1+δ genügen soll. KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) Dann gilt zur Bestimmung von τ : p pn p 1 n ≤ − ≤ ξ − + ξ − qqn q qn qn beziehungsweise mit 1+δ δ−κ =1+ 1 τ q 2 24 p 1 ≤ qn1+δ + qnτ < 2 τ q q 1+κ δ−κ 1+κ 1+κ < qqn < qqn−1 ≤ q 1+τ 1+δ , woraus sich die Abschätzung τ ≤1+ 1+κ + δ−κ für ein beliebig kleines > 0 ergibt. Da qn geometrisch wächst und κ als beliebig klein angenommen wird, ergibt sich für das Irrationalitätsmaß µ = µ(ξ) ≤ 1 + 1δ . Hier wird also der kleinste Exponent µ bestimmt, so dass nur endlich viele rationale Zahlen p ∈ Q existieren, für die gilt: q p ξ − < q −µ− für alle > 0 und q ≥ 1. q In Anbetracht von (2.2) kann dies als Umkehrschluss zur Charakterisierung von Irrationalzahlen betrachtet werden. Mit Hilfe von Kriterium 1 wird die Näherungsfolge angewandt, um ein Maß der Irrationalität abzuleiten. Im Folgenden werden wir noch darauf eingehen, dass die ersten Annäherungen für µ(ζ(3)) seit 1978 wiederholt präzisiert wurden. 2.2.3 Eine Rekursion Bevor wir uns im folgenden Kapitel mit dem Irrationalitätsbeweis von Roger APÉRY (1916 - 1994) auseinandersetzen werden, wollen wir zunächst dessen Aufbau zurückverfolgen. Für die Suche nach einer geeigneten Folge ( abnn )n∈N rationaler Zahlen, dessen Grenzwert bei ζ(3) liegt, verwendet Apéry den folgenden Satz. Satz. Den Einträgen An , Bn und Cn der verallgemeinerten Kettenbruchentwicklung (2.3) liegt eine spezielle Rekursionsgleichung zu Grunde: Für eine Folge (un )n∈N positiver ganzer Zahlen gilt An un+1 − Bn un + Cn un−1 = 0, wobei An , Bn , Cn > 0 Polynome mit der Variablen n sind. (2.4) KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 25 Einen jeweiligen Beweis dafür, dass eine verallgemeinerte Kettenbruchentwicklung (2.3) einer Drei-Term-Rekursion (2.4) genügt und umgekehrt, findet man in [49] und [36]. Dem Satz folgend lässt sich aus der verallgemeinerten Kettenbruchentwicklung von ζ(3): 6 ζ(3) = (2.5) 16 5− 26 117 − ... − n6 34n3 + 51n2 + 27n + 5 − ... die Rekursionsgleichung (n + 1)3 un+1 − (34n3 + 51n2 + 27n + 5)un + n3 un−1 = 0. (2.6) entwickeln. Eine ausführliche Herleitung der Rekursionsgleichung hat Apéry in [1] aufgeführt. Die tragende Rolle, die diese Rekursionsgleichung bei unterschiedlichen Irrationalitätsbeweisen von ζ(3) spielen wird, erklärt sich, indem man die Eigenschaften untersucht, denen bestimmte Lösungsfolgen (an )n∈N , (bn )n∈N genügen müssen. Entsprechend (2.5) legen wir zunächst die Startwerte a0 = 1, a1 = 5 und b0 = 0, b1 = 6 fest. Um spätere Schritte nachvollziehen zu können, betrachten wir die Folgen (an )n∈N und (bn )n∈N als Elemente des linearen Raumes Υ der Lösungsfolgen der Rekursionsgleichung (2.6): (an )n∈N , (bn )n∈N ∈ Υ := {(un )n∈N |(un )n∈N genügt (2.6)}. Die Dimension von Υ entspricht der Anzahl der Nullstellen des charakteristischen Polynoms. Im Fall von (2.6) erhält man das charakteristische Polynom Φ(X) = X 2 − 34X + 1 √ √ mit den Nullstellen λ1 = ( 2+1)4 und λ2 = ( 2−1)4 , woraus die Dimension dim Υ = 2 folgt. 2.3 Gesetzmäßigkeiten der Zähler- und Nennerfolgen verwendeten Die Lösungen der Rekusionsgleichung (2.6) definieren einen Vektoraum Υ. Desweiteren werden die Eigenwerte durch die Nullstellen λ1 und λ2 des charakteristischen Polynoms Φ(X) beschrieben. Der Lösungsraum entspricht KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 26 dem erzeugten Eigenraum und jede Lösungsfolge (un )n∈N genügt der Asymptotik √ √ un ∼ c1 (λ1 )n + c2 (λ2 )n = c1 ( 2 + 1)4n + c2 ( 2 − 1)4n . Folglich lassen sich Merkmale untersuchen, die für alle Lösungsfolgen zutreffen. Einige wollen wir genauer betrachten: 1. Linearkombination. Die Linearkombination zweier beliebiger Lösungsfolgen ergibt wiederum eine Lösungsfolge. Eigenschaft 1. Handelt es sich bei (an )n∈N P und (bn )n∈N um beliebige Lösungsfolgen einer Rekursionsgleichung m i=0 yi un−i = 0 mit m ∈ N, so ist (αan + βbn )n∈N , |α| + |β| > 0, α, β ∈ C ebenfalls eine Lösungsfolge dieser Rekursionsgleichung. Pm P y a = 0, Beweis. Für m i n−i i=0 yi bn−i = 0 gilt trivialerweise i=0 m X i=0 m m X X yi (αan−i + βbn−i ) = α( yi an−i ) + β( yi bn−i ) = 0. i=0 i=0 2. Asymptotisches Verhalten. Durch die Gewissheit, dass sich sowohl an als auch bn wie c1 λn1 + c2 λn2 verhalten, lassen sich Rückschlüsse auf das asymptotisches Verhalten der Folgen (an )n∈N und (bn )n∈N ziehen. Eigenschaft 2. Für den Fall c1 = 0 ist der Grenzwert von logn|un | √ durch log( 2 − 1)4 eindeutig festgelegt. Da wir (an )n∈N und (bn )n∈N als streng monoton wachsend annehmen, interessiert uns inbesondere der Fall c1 6= 0, für den die Abschätzungen √ √ lim sup |an |1/n ≤ ( 2 + 1)4 und lim sup |bn |1/n ≤ ( 2 + 1)4 . n→∞ n→∞ gelten. Beweis. Zunächst zerlegen wir mit Hilfe der Funktionalgleichung des Logarithmus: n log |un | log |c1 | 1 c2 λ2 = + log λ1 + log 1 + . n n n c1 λ1 KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 27 Für n → ∞ heben sich einige Glieder weg: Es gilt logn|c1 | → 0 und ( λλ21 )n → 0, womit sich für c1 6= 0 der Grenzwert log λ1 ergibt, beziehungsweise log λ2 falls c2 6= 0 . Seien (an )n∈N und (bn )n∈N Lösungsfolgen einer Rekursionsgleichung mit charakteristischem Polynom Φ(X), so gilt nach [53] für die Linearform In = an ξ − bn der folgende Satz: Satz. Sei |λ1 | > δ = maxi=2,...,n |λi |, wobei λi die Nullstellen des charakteristischen Polynoms Φ(X) sind. Sind (an )n∈N und (bn )n∈N außerdem Lösungsfolgen mit limn→∞ abnn = ξ 6= 0, dann gilt die Abschätzung: lim sup |In |1/n = lim sup |an ξ − bn |1/n ≤ δ. n→∞ n→∞ Im Folgenden seien (an )n∈N und (bn )n∈N streng monoton wachsende Lösungsfolgen der Rekursionsgleichung (2.6). Da der Grenzwert limn→∞ abnn immer existiert, gilt nach obigem Satz folglich √ lim sup |In |1/n ≤ ( 2 − 1)4 . n→∞ 3. Streng monotones Wachstum von ( abnn )n∈N . Durch Determinantenbildung lassen sich Aussagen über die Wachstumseigenschaften und die Grenzwertbildung von ( abnn )n∈N treffen: Eigenschaft 3. Die rationale Folge ( abnn )n∈N ist streng monoton wachsend und besitzt, wie in Eigenschaft 2 bereits untersucht, stets einen Grenzwert `. Für diesen Grenzwert gilt: an ` − b n = ∞ X k=n+1 6an . k ak+1 k3a Beweis. Aus den Rekursionen n3 an − Bn−1 an−1 + (n − 1)3 an−2 = 0 n3 bn − Bn−1 bn−1 + (n − 1)3 bn−2 = 0 (2.7) KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 28 mit Bn−1 = 34(n − 1)3 + 51(n − 1)2 + 27(n − 1) + 5 ergibt sich die Determinante n−1 3 ) (bn−1 an−2 − bn−2 an−1 ). n Eine ausführliche Rechnung finden wir in [19]. Mit b1 a0 − b0 a1 = 6 erhält man durch induktive Fortsetzung 4n = n63 . Damit zeigt sich das streng monotone Wachstum durch 4n = bn an−1 − bn−1 an = ( bn−1 6 bn − = 3 > 0. an an−1 n an an−1 Für die Grenzwertuntersuchung betrachten wir ζ(3) − bn = xn . an Man sieht sofort, dass ζ(3) − ab00 = ζ(3) gilt. Desweiteren ergibt sich durch die obige Rechnung wiederum xn−1 − xn = n3 an6an−1 . Somit beschreibt ( abnn )n∈N den n- ten Näherungsbruch in der Kettenbruchentwicklung (2.3), und es gilt: ∞ X b 6 1 n ζ(3) − = < . 3a a 2 an k a k k−1 n k=n+1 Folglich ist die Gültigkeit der obigen Linearform bewiesen und als Grenzwert der Quotientenfolge ergibt sich bn = ` = ζ(3). n→∞ an lim 4. Abschätzung für das Irrationalitätsmaß µ. Als lineare homogene Gleichung liefert die Rekursionsgleichung eine explizite Abschätzung für das in nach Kapitel 1.3.3 vorgestellte Irrationalitätsmaß µ(ζ(3)) und somit insbesondere ein Irrationalitätskriterium. Wir beziehen uns hierfür im Folgenden auf einen in [53] aufgeführten Sachverhalt. Zunächst notieren wir das kleinste gemeinsame Vielfache der Zahlen 1 bis n als dn = lcm[1, ..., n] KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) und definieren M := max{νp : qb,n = m Y 29 ν pj p } j=1 als maximalen Exponenten der Primfaktoren p1 , · · · pm des Nenners qb,n von bn . Damit stellen wir sicher, dass dM n bn ∈ Z gilt. Außerdem sei δ wie in Eigenschaft 2 durch die Nullstellen λi des charakteristischen Polynoms Φ(X) bestimmt. Satz. Seien (an )n∈N und (bn )n∈N linear unabhängige Lösungsfolgen einer linear homogenen Gleichung (2.4) und gelte lim abnn = ξ 6= 0. Im n→∞ Fall der Voraussetzungen M 1/n ≤ C, an ∈ Z und dM n bn ∈ Z mit lim (dn ) n→∞ wobei für die Konstante C ≥ 1 und Cδ < 1 gelten muss, folgt daraus die Irrationalität von ξ und die Abschätzung µ(ξ) ≤ 1 − log C + log |λ1 | log C + log δ für das Irrationalitätsmaß von ξ. Indem die Nenner der Folge (bn )n∈N durch dM n beschränkt ist, erfüllt sich die Voraussetzung einer rationalen Folge ( abnn )n∈N . Im nächsten Kapitel werden wir sehen, dass die von Apéry konstruierten Zähler- und Nennerfolgen diese Eigenschaft ebenso erfüllen. Da es sich bei (an )n∈N und (bn )n∈N um Basisfolgen des Lösungsraumes handelt, die durch ihre Startwerte eindeutig festgelegt sind, gilt dies tatsächlich für alle konstruierten Folgen und kann folglich generell angenommen werden. Um schließlich zu einer Abschätzung des Irrationalitätsmaß von ζ(3) zu gelangen, stellen wir noch einige Vorüberlegungen an: Wir wissen, dass Y [ log n ] dn = p log p p≤n aus denselben Primfaktoren zusammengesetzt ist wie n!. Es gilt die Äquivalenz (pv ≤ n ≤ pv+1 ) ⇔ (v ≤ [ log n ] ≤ v + 1). log p Durch Anwendung des Primzahlsatzes ergibt sich die Abschätzung Y [ log n ] Y dn = p logp ≤ n = e(1+o(1))n . p≤n p≤n KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 30 Mit Hilfe dieser Überlegungen erhalten wir im folgenden Korollar eine erste Abschätzung für das Irrationalitätsmaß von ζ(3). Korollar. Gemäß des obigen Satzes wählen wir C = eM . Als maximaler Exponent M ∈ N, der der Abschätzung √ ( 2 − 1)4 eM < 1 genügt, ergibt sich M = 3. Mit Hilfe der vorhergehenden Betrachtungen gilt lim (d3n )1/n ≤ e3 , n→∞ woraus das Irrationalitätsmaß √ 3 + 4 log( 2 + 1) √ µ(ζ(3)) ≤ 1 − ≈ 13, 4178... 3 + 4 log( 2 − 1) folgt. Damit ist das bereits genannten Irrationalitätskriteriums erfüllt, woraus ζ(3) 6∈ Q folgt. Im Laufe der Jahre gelingen einige Verbesserungen dieses Näherungswertes. Der aktuelle Rekord von Georges RHIN und Carlo VIOLA [42] liegt seit 2001 bei 5,513891... . Um eine Vorstellung von der Bedeutung der Wertigkeit für die Irrationalität zu bekommen, wurde hierauf in 1.3.3 genauer eingegangen. Betrachten wir die drei aufgeführten Eigenschaften der Zähler- und Nennerfolgen, so erhalten wir zusammenfassend ein neues Irrationalitätskriterium. Dieses besitzt als Grundlage die Konstruktion einer Linearform, deren Koeffizienten rationale Folgen darstellen. Ein Großteil der unterschiedlichen Beweise der Irrationalität von ζ(3) lassen sich hinsichtlich der folgenden abgeleiteten Anforderungen untersuchen. Kriterium 2. Angenommen die rationalen Folgen (an )n∈N und (bn )n∈N genügen den Anforderungen: 1. Die Linearform In = an ζ(3) − bn erfüllt: √ lim sup |In |1/n ≤ ( 2 − 1)4 . n→∞ 2. Mit dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen dn = lcm[1, ..., n] gilt: an ∈ Z und 2d3n bn ∈ Z. KAPITEL 2. IRRATIONALITÄTSBEWEIS VON ζ(3) 31 3. Für unendliche viele n erfüllt die Linearform die Bedingung: In 6= 0. So folgt daraus die Irrationalität von ζ(3). Zur Erklärung von Anforderung 1 sei noch angemerkt, dass aus √ √ ( 2 − 1)4 e3 < 1 bzw. ( 2 − 1)4 d3n < 1 (siehe Eigenschaft 4) und √ lim sup |an ζ(3) − bn |1/4 ≤ ( 2 − 1)4 auch lim sup |d3n In |1/4 < 1 folgt. Die Schlussfolgerung, die sich insgesamt aus den drei Anforderungen ergibt, ist durch eine kurze Widerspruchsuntersuchung nachvollziehbar. Angenommen ζ(3) sei rational: ζ(3) = pq ∈ Q. Dann würde gelten: 2d3n In q = an p2d3n − bn q2d3n ∈ Z Ließe man nun n gegen unendlich laufen, so würde der Ausdruck gegen Null √ konvergieren, da ( 2 − 1)4 < 1 gilt. Da sich somit In = 0 für alle hinreichend großen n ergeben würde, führt dies zum Widerspruch zu der dritten Anforderung. Somit handelt es sich bei ζ(3) um keinen rationalen, sondern einen irrationalen Wert. Kapitel 3 Entscheidende Beweisideen In den letzten 30 Jahren werden verschiedene Beweisideen für die Irrationalität von ζ(3) von unterschiedlichen mathematischen Gesichtspunkten aus entwickelt. Diese bauen oft aufeinander auf und sind teilweise ineinander umwandelbar. Uns soll hier insbesondere der Zusammenhang zwischen der bereits mehrmals hervorgehobenen Rekursion, der Entwicklung orthogonaler Polynome in multiplen Integralen und nicht zuletzt der Bezug zu hypergeometrischen Reihen interessieren. 3.1 Der Durchbruch - Apérys Beweis Wie bereits erwähnt, entfacht Roger Apéry das Interesse an irrationalen Werten der Riemannschen ζ-Funktion an ganzzahligen ungeraden Stellen von Neuem, als er 1978 auf den Journées Arithmétiques in Marseille-Luminy einen Beweis der Irrationalität von ζ(3), siehe [2], vorstellt. Wie in Kapitel 1 erwähnt, dokumentiert Alfred van der Poorten diese Präsentation in [39]. Mit seiner unerwarteten Idee zieht Apéry nicht nur helles Aufsehen auf sich, sondern ebenso Skeptiker, die erst nach mehrfachen fruchtlosen Widerlegungsversuchen einsehen, dass es Apérys Methode als unumstößlich zu akzeptieren gilt. 32 KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 33 Der griechisch-französische Mathematiker Roger Apéry wird 1916 im normannischen Rouen geboren. Nach seinem Studium an der École Normale Supérieure arbeitet er zunächst als Dozent in Rennes, bis er schließlich 1949 als Professor an die Universität Caen gerufen wird. In [3] beschreibt sein Sohn Francois Apérys insbesondere die Zuwendung zu diophantischen Fragestellungen seit den 50er Jahren und “his study of the Diophantine equation x2 + A = pn “, von der Spezialfälle bereits von Srinivasa RAMANUJAN (1887 - 1920) untersucht wurden. Der indische Mathematiker inspiriert ihn auch bei seiner berühmten Idee des Irrationalitätsbeweis von ζ(3). Außerhalb seiner universitären Laufbahn zeichnet sich Apéry durch sein enormes politisches Engagement aus: Nach dem zweiten Weltkrieg wird ihm das “Croix de Combattant Volontaire“ überreicht und bis 1969 führt er verschiedene leitende Ämter innerhalb der “Parti radical“ aus. 3.1.1 Die Apéry-Konstante Das Herzstück Apérys Beweises stellt in erster Linie die nach ihm benannte Apéry-Konstante dar, die er aus der Diagonalisierung der Folge cn,k = n k X X 1 (−1)m−1 n+m + 3 3 n m 2m m m m=1 m=1 mit 0 ≤ k ≤ n entwickelt. Um die Darstellung einer Reihenentwicklung von ζ(3) zu erhalten, betrachten wir die Differenz der Folgeglieder. Für n ∈ N gilt 5 (−1)n−1 . cn,n − cn−1,n−1 = 2 n3 2n n Desweiteren folgt aus Z ∞ n X 1 dx = ζ(3) + O = ζ(3) + O(n−2 ) 3 3 m x n m=1 und mit k ∈ N, k ≤ n aus k k n X X m−1 X 1 (−1) 1 ≤ ≤ = O(n−2 ) n+m n m=1 2m3 m m m=1 2n2 m3 m=1 2n2 m3 KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 34 die Abschätzung cn,n = ζ(3) + O(n−2 ). Da also lim cn,n = ζ(3) und c0,0 = 0 gilt, ergibt sich durch Aufsummierung n→∞ die Konstante ∞ X 5 (−1)n−1 . (3.1) ζ(3) = 3 2n 2 n n n=1 Eine detaillierte Rechnung und Herleitung der Folge cn,k lässt sich in [39] finden. Bemerkung. Ähnliche Darstellungen gibt es auch für ζ(2), ζ(4). Für ζ(5) weiß man, dass der Nenner des ersten Quotienten sehr groß werden würde, siehe [19]. 3.1.2 Die Anforderungen Entsprechend den Untersuchungen in Kapitel 2.3 werden in Apérys Beweis Folgen (an )n∈N und (bn )n∈N konstruiert. Dafür sei zunächst eine weitere Folge vorgestellt: 2 2 n n+k λn,k = k k für 0 ≤ k ≤ n. Unter Berücksichtigung der obigen Folge cn,k definieren wir damit die Glieder 2 n 2 n X X n n+k λn,k = an = k k k=0 k=0 und bn = n X k=0 cn,k λn,k n X 2 2 n n+k = cn,k . k k k=0 Satz 1. Die Folgen (an )n∈N und (bn )n∈N genügen der Rekursion (2.6). Beweis. Der Beweis hierfür ist recht technisch und bringt keine neuen spannenden Erkenntnisse, so dass wir uns darauf beschränken wollen, die Idee für (an )n∈N zu skizzieren. Zunächst wird λn,k in 2 2 n n+k (n + k)!2 λn,k = = 4 k k k! (n − k)!2 umgeformt und Bn,k = 4(2n + 1)(2k 2 + k − (2n + 1)2 )λn,k KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 35 konstruiert. Man kann nun zeigen, dass für 1 ≤ k ≤ n die Differenzbildung Bn,k − Bn,k−1 = (n + 1)3 λn+1,k − Bn λn,k + n3 λn−1,k gilt. Für die Summierung über k = 0, ..., n + 1 ergibt sich, dass der Binomi alkoeffizient nk für n < k oder k < 0 verschwindet. Somit folgt λn,n+1 = λn−1,n+1 = λn−1,n = λn,−1 = 0 und damit Bn,n+1 = Bn,−1 = 0. Insgesamt erhalten wir 0 = (n + 1)3 n+1 X λn+1,k − Bn k=0 n X λn,k + n3 k=0 n−1 X λn−1,k k=0 und folglich den Beweis dafür, dass (an )n∈N der Rekursion (2.6) genügt. Der Beweis für (bn )n∈N benutzt analog die Eigenschaften von λn,k . Da für die Folgen (an )n∈N und (bn )n∈N die Grenzwertbildung lim n→∞ bn = ζ(3) an gilt, kann eine entsprechende Linearform In = an ζ(3) − bn gemäß Kriterium 2 konstruiert werden. Den drei Anforderungen folgend verbleibt nun noch die Untersuchung auf Ganzzahligkeit. Satz 2. Für die Zählerfolge (bn )n∈N und das kleinste gemeinsame Vielfache dn = lcm[1, ..., n] gilt 2d3n bn ∈ Z. Beweis. Durch die Definition von cn,k reicht es aus, zu zeigen, dass n 1 3 ∈Z 2dn n n + k 2m3 m n+m m gilt. Hierfür betrachten wir die Primfaktorisierung des Nenners: p beschreibe die jeweilige Primzahl und νp das Vorkommen von p. Es gilt n νp ≤ νp (dn ) − νp (m) m KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN und n+m m 36 −1 −1 n+k k n+k = . k m k−m Daraus ergibt sich mit m ≤ k ≤ n νp −1 ! −1 ! n k n + k n n + m n + k = νp m3 m3 m m k−m m m k log n log k log n ≤ νp (m) + + ≤3 = 3νp (dn ). log p log p log p Daraus folgt, dass jede Primzahl im Nenner höchstens dreimal vorkommt und somit durch d3n beschränkt wird. Zusammenfassend folgt aus der Tatsache, dass (an )n∈N und (bn )n∈N der Rekursion (2.6) genügen direkt, dass für die Linearform In = an ζ(3) − bn die Abschätzung √ lim sup |In |1/n ≤ ( 2 − 1)4 n→∞ erfüllt ist. Außerdem gilt In 6= 0 für unendlich viele n ∈ N. Damit erhalten wir nach Kriterium 2: ζ(3) 6∈ Q, die Irrationalität von ζ(3). 3.2 Viel einfacher - Beukers Beweis Bereits wenige Monate später, im November 1978, publiziert Fritz BEUKERS (*1953) einen weiteren Beweis für die Irrationalität von ζ(3) [11]. Auch dieser basiert auf der Konstruktion einer Linearform In = an ζ(3) − bn . Allerdings verwendet Beukers hierfür multiple Integrale und spezielle orthogonale Polynome, die sogenannten geshifteten Legendre-Polynome. KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 37 Der niederländische Mathematiker Frits Beukers wird 1953 in Ankara geboren. Sein Studium und seine Promotion über die verallgemeinerte Ramanujan-Nagell-Gleichung absolviert er an der Universitt Leiden, wo er bis zum Jahr 2000 anschließend selbst als Professor tätig ist, bevor er an seinen heutigen Schaffensort, die Universität Utrecht, wechselt. Bereits zu Beginn seiner Forschertätigkeit faszinieren ihn zahlentheoretische und insbesondere diophantische Problemstellungen. So beschreibt er 2003 in [3] seine enge Verwebung mit Arbeitsbereichen Apérys. Neben inhaltlichen Überschneidungen seiner Dissertation mit der Arbeit des französischen Mathematikers an diophantischen Gleichungen berichtet Beukers von der Begeisterung nach Apérys Vortrag in Marseille und zugleich von der Motivation für seinen alternativen Beweis [11]. Obwohl sich Frits Beukers mit einer Vielzahl weiterer zahlentheoretischer Problemstellungen beschäftigt, begleitet ihn seit seiner Veröffentlichung insbesondere der Ruf als Spezialist in Transzendenz- und Irrationalitätsfragen und als Namensgeber der sogenannten Beukers-Integrale. 3.2.1 Grundlagen Den Ausgangspunkt des Beukerschen Beweises liefert zunächst der folgende elementare Zusammenhang zwischen multiplen Integralen über dem Einheitsintervall und unendlichen Reihen: Lemma 1. Es gilt Z 1 Z 1 a+ b+ ∞ X s t 1 dsdt = , 1 − st (n + a + + 1)(n + b + + 1) 0 0 n=0 (3.2) für nicht-negative a, b ∈ Z und ∈ N. Bemerkungen. Um Schwierigkeiten durch die Polstelle am Rande des Integrationsbererichs für den Fall s = t = 1 zu umgehen, rechtfertigen wir R 1−γ die Existenz der Integrale als uneigentliche Integrale der Form limγ→0 0 . Die gleichmäßige Konvergenz der unendlichen Reihe erlaubt uns hier eine Vertauschung der Summations- bzw. Integrationsabfolge. KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 38 Beweis. Das Lemma lässt sich mit Hilfe einfachen Nachrechnens beweisen. Durch Verwenden der geometrische Reihenentwicklung ∞ X 1 = (st)n 1 − st n=0 im linken Teil der Gleichung und Ausführen der doppelten Integration ergibt sich sofort Z 1Z 1X Z 1 ∞ ∞ X 1 n+a+ n+b+ s t dsdt = tn+b+ dt = n + a + + 1 0 n=0 0 0 n=0 = ∞ X n=0 1 . (n + a + + 1)(n + b + + 1) Aus (3.2) lässt sich nun für den Fall a = b direkt Z 1 Z 1 a+ a+ ∞ X 1 s t dsdt = 1 − st (n + a + + 1)2 0 0 n=0 (3.3) folgern. Um von dieser allgemeinen Herangehensweise ausgehend einen direkten Zusammenhang zu ζ(3) herstellen zu können, wird zunächst = 0 gesetzt und der Startwert der unendlichen Reihe durch Indexverschiebung auf n = 1 festgelegt. Anschließend betrachten wir die Ableitung von (3.3) nach a auf beiden Seiten und erhalten Z 1Z 1 a a ∞ X 1 s t log(st) dsdt = −2 . (3.4) 1 − st (n + a)3 0 0 n=1 Für den Fall a 6= b lässt sich aus (3.2) eine weitere interessante Konsequenz ablesen. Angenommen, es gelte a > b, dann ergibt sich durch Anwendung einer Partialbruchzerlegung für die unendliche Reihe ∞ ∞ X 1 1 X 1 1 = − (n + a + 1)(n + b + 1) a − b n + b + 1 n+a+1 n=0 n=0 1 1 1 = + ... + a−b b+1 a und durch Ableiten nach a die Identität Z 1Z 1 a b s t log(st) −1 1 1 dsdt = + ... + 2 . 1 − st a − b (b + 1)2 a 0 0 (3.5) Beukers zieht aus diesen Überlegungen nun eine entscheidende Schlussfolgerung, die wir hier auf Grund ihrer Relevanz in einem Satz hervorheben wollen. KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 39 Satz 1. Es gilt: 1. Bei (3.5) handelt es sich um eine rationale Zahl, deren Nenner ein Teiler des bereits kennengelernten größten gemeinsamen Vielfachen d3n mit n = a ist. 2. Desweiteren gilt der linearen Zusammenhang: Z 1Z 1 1 sa ta log(st) 1 − dsdt = 2 ζ(3) − 3 − ... − 3 . 1 − st 1 a 0 0 (3.6) Die von uns geforderten grundsätzlichen Voraussetzungen einer Linearform mit Koeffizienten ζ(3) ist nach Satz 1 also erfüllt. Als direkte Folgerung dieses Satzes sei insbesonders die Integraldarstellung Z Z 1 1 1 log(st) − dsdt (3.7) ζ(3) = 2 0 0 1 − st hervorgehoben. 3.2.2 Legendre-Polynome Für den Beweis der Irrationalität von ζ(3) sucht Beukers nach einer geschickten Möglichkeit, multiple Integrale so zu konstruieren, dass sie den in Kapitel 2 aufgestellten Anforderungen von Kriterium 2 entsprechen. Hierfür sei zunächst eine allgemeine Feststellung erwähnt: Folgerung. Für jedes Polynom P (s, t) ∈ Z mit ganzzahligen Koeffizienten und Grad n gilt nach Satz 1: Z 1Z 1 P (s, t) log(st) an ζ(3) − bn dsdt = , wobei an , bn , dn ∈ Z. (3.8) 1 − st d3n 0 0 Hervorgehoben sei insbesondere die Tatsache, dass das Polynom P (s, t) beliebig gewählt werden kann. Dies bietet ein breites Spektrum an Konstruktionsmöglichkeiten. Um im Anschluss eine erwünschte Abschätzung zu erhalten, kann Beukers folglich zielgerichtet eine besondere Form der orthogonalen Legendre Polynome dn 2 n pn (s) = s − s n!dsn mit ganzzahligen Koeffizienten wählen. Warum gerade die Eigenschaften dieser Polynome von entscheidendem Nutzen sind, werden wir im Folgenden erarbeiten. KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 40 Bemerkungen. Zur Förderung der Übersichtlichkeit werden in diesem Kapitel Tripel-Integrale ab sofort durch die Schreibweise Z 1Z 1Z 1 Z = 0 0 0 dargestellt. Bei der weiteren Untersuchung des Beweises werden wir uns inhaltlich an einer Publikation [31] von Stephan D. MILLER (*1974) orientieren, der 1998 darin eine recht kompakte Vorgehensweise beschreibt, die eine von Beukers verwendete Variablensubstitution vermeidet. Zunächst wollen wir uns eine äquivalente Integraldarstellung zu dem vorgestellten Integral (3.8) erarbeiten, die bei weiteren Umformungen schließlich hilfreich sein wird. Satz 2. Es gilt die Gleichung Z Z 1Z 1 pn (s)pn (t) pn (s)pn (t) log(st) dsdt = dsdtdu, 1 − st (1 − (1 − u)s)(1 − tu) 0 0 (3.9) wobei pn die oben definierten Legendre-Polynome beschreibt. Für den Beweis des Satzes stellen wir vorab zwei weitere Hilfssätze fest: Lemma 2. Es gilt die alternative Integraldarstellung Z 1Z 1 Z pn (s)pn (t) pn (s)pn (t) log(st) dsdt = − dsdudt. 1 − st 1 − (1 − st)u 0 0 (3.10) Beweis. Aus der Rechnung 1 Z 1 1 −1 log x du = log(1 − (1 − x)u) =− 1−x 0 1−x 0 1 − (1 − x)u folgt (3.10) direkt. Zusätzlich sei bemerkt, dass (3.10) uns zugleich eine weitere Darstellung von ζ(3) liefert: Z 1 dsdtdu ζ(3) = . (3.11) 2 1 − (1 − st)u Lemma 3. Für festgelegte s, t ∈ (0, 1) gelten die Gleichheit von Integralen Z 1 Z 1 1 1 du = du. 0 (1 − (1 − u)s)(1 − (1 − t)u) 0 1 − (1 − (1 − s)t)u KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 41 Beweis. Der Beweis lässt sich ausgehend von einer Partialbruchzerlegung bezüglich der Faktoren, deren Nenner von der Variablen u abhängen, leicht erbringen. Es gilt 1 s 1−t 1 = − . (1 − (1 − u)s)(1 − (1 − t)u) 1 − (1 − s)t 1 − (1 − u)s 1 − (1 − t)u Damit folgt nun die Möglichkeit, bei der Integration die Faktoren nach u aufzuspalten: Z 1 1 du 0 (1 − (1 − u)s)(1 − (1 − t)u) Z 1 Z 1 1 1−t s = du − du 1 − (1 − s)t 1 − (1 − t)u 0 1 − (1 − u)s 0 log(1 − s) log(t) log(t(1 − s)) 1 −s + (1 − t) =− . = 1 − (1 − s)t s t−1 1 − (1 − s)t Aus (3.10) ergibt sich nun für die Substitution x = (1 − s)t die Gleichheit der beiden Integrale. Beweis von Satz 2. Beachten wir die Eigenschaft pn (1 − s) = (−1)n pn (s) der Legendre-Polynome, so ergeben sich mit den beiden Lemmata insgesamt die Integralumformungen Z 1Z 1 Z pn (s)pn (t) log(st) pn (s)pn (t) n dsdt = (−1) dsdtdu 1 − st −(1 − (1 − s)t)u 0 0 Z pn (s)pn (t) n = (−1) dsdtdu (1 − (1 − u)s)(1 − (1 − t)u) Z pn (s)pn (t) = dsdtdu. (1 − (1 − u)s)(1 − tu) Damit ist (3.9) schließlich bewiesen. Während wir bisher die rekursiven Eigenschaften der Legendre-Polynome für die unterschiedlichen Integraldarstellungen ausgenutzt haben, wollen wir jetzt eine Darstellung finden, in der die Polynome nicht mehr vorkommen. Damit wandeln wir das Integral in eine Form um, für die anschließend mit einfachen Mitteln eine Abschätzung entsprechend der in Kapiel 2 aufgeführten Axiome von Kriterium 2 durchgeführt werden kann. KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 42 Satz 3. Es gilt die Gleichung Z n Z s (1 − s)n tn (1 − t)n un (1 − u)n pn (s)pn (t) dsdtdu = dsdtdu. (1 − (1 − u)s)(1 − tu) ((1 − (1 − u)s)(1 − tu))n+1 (3.12) Beweis. Der Beweis basiert auf der n-fachen partiellen Integration bezüglich der Variablen s und t. Eine umfassende Ausführung lässt sich in [11] finden. Diese Darstellung liefert eine ideale Vorlage zur Konstruktion eines Integrals, welches unseren Anforderungen entspricht: Z n s (1 − s)n tn (1 − t)n un (1 − u)n In (z) = dsdudt. (3.13) ((1 − (1 − u)s)(1 − tu)z)n+1 Bemerkung. Um die Ähnlichkeit der Vorgehensweise in Kapitel 3.3 (s.u.) beziehungsweise weiterer Beweise darzustellen, definieren wir das Integral allgemein, obwohl im Folgenden lediglich der Fall z = 1 benötigt wird. Dieses Integral konvergiert für alle z ∈ C\] − ∞, 0]. Insbesondere gilt die Gleichheit zu (3.12) für den Wert z = 1. Betrachten wir nun das Maximum der Funktion s(1 − s)t(1 − t)u(1 − u) f (s, t, u) = ((1 − (1 − u)s)(1 − tu)) auf [0, 1]3 , so ergibt sich dies als f (2 − √ √ √ 1 2, 2 − 1, ) = ( 2 − 1)4 2 und liefert damit die Abschätzung √ log(In (1)) = log(( 2 − 1)4 ). n→∞ n lim Wir erhalten also eine Linearform In (1) = 2(an ζ(3) − bn ), wobei an ∈ Z und 2d3n bn ∈ Z gilt. (3.14) Diese genügt den Anforderungen von Kriterium 2 und liefert somit einen weiteren Beweis der Irrationalität von ζ(3). KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 3.3 43 Hypergeometrisch - Nesterenkos Beweis In seiner Arbeit ‘A few remarks on ζ(3)’ [33] definiert Yuri V. NESTERENKO (*1946) eine neue Reihe rationaler Zahlen, um Apérys Theorem alternativ zu verifizieren. Durch die Anwendung hypergeometrischer Reihen lässt sich diese wiederum zu einer Linearform mit Koeffizienten ζ(3) umformen, siehe [19]. Bevor wir uns dem eigentlichen Beweis zuwenden, soll zunächst der Begriff der hypergeometrischen Reihe genauer thematisiert werden. Der russische Mathematiker Yuri V. Nesterenko wurde 1946 in Charkow geboren. Sein Studium absolvierte er an der LomonossowUniversität Moskau, wo er 1973 bei Andrei SCHIDLOWSKI (1915 - 2007) promovierte. Sein Hauptinteresse gilt jeher der Auseinandersetzung mit diophanischen Approximationen, insbesondere der Theorie transzendenter Zahlen. Als mathematische Mittel entwickelt er unter anderem Ideen aus Bereichen der linearen Differentialgleichungen und algebraischer Unabhängigkeiten. 3.3.1 Einführung Hypergeometrischer Funktionen Die Wurzeln der arithmetischen Darstellung hypergeometrischer Reihen lassen sich bis in die frühe Neuzeit zurückverfolgen, als Professor John WALLIS (1616 - 1703) in Oxford im Jahr 1655 in seinem Werk Arithmetica infinitorum eine unendliche Reihenentwicklung von π2 als “hypergeometrisch“ bezeichnet. Später befassen sich viele herausragende Persönlichkeiten der mathematischen Forschung mit diesen speziellen unendlichen Reihen. Für einen umfassenden historischen Überblick sei die LeserIn auf [48] verwiesen. Als einer der prägendsten Urväter gilt Gauß, der 1812 in seinem berühmten Vortrag Disquisitiones generales circa seriem infinitam vor der königlich wissenschaftlichen Gesellschaft in Göttingen als Erster eine systematische Notation der sogenannten Gaußschen hypergeometrischen Funktion 2 F1 (a1 , a2 ; b2 ; z) =1+ a1 a2 a1 (a1 + 1)a2 (a2 + 1) + x + ... 1!b2 2!b2 (b2 + 1) KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 44 vorstellt. Die Besonderheit liegt hierbei auf der Betrachtung der Reihe als Funktion in vier Variablen. Unter anderem Riemann trägt mit seiner Erweiterung der Theorie der Gaußschen Funktion von 1857 entscheidend zu einer verallgemeinerten Darstellung bei. Bemerkung. Im Folgenden verwenden wir die Eulersche Gammafunktion in positiven ganzen Zahlen s mit ihrer Funktionalgleichung Γ(s + 1) = sΓ(s). Definition. Die allgemeine hypergeometrische Funktion wird definiert durch ∞ X (a1 )n · · · (ap )n z n , (3.15) p Fq (a1 , ..., ap ; b2 , ..., bq ; z) = (b2 )n · · · (bq )n n! n=0 wobei (a)n mit n ≥ 1 das sogenannte Pochhammersymbol (a)n = a(a + 1)(a + 2) · · · (a + n) = Γ(a + n) Γ(a) bezeichnet. Sowohl die Parameter a1 , a1 , ..., ap ; b2 , b3 , ..., bq als auch die Variable z können reell oder komplex gewählt werden. Allerdings muss beachtet werden, dass die Reihe für negative ganzzahlige b-Parameter nicht definiert ist. Desweiteren gilt, dass die Funktion sich zu einem Polynom reduziert, falls einer der a-Parameter als negative ganze Zahl gewählt wird. Diese vollständige Definition geht zurück auf eine Notation von Ernest William BARNES (1874-1953) [8] im Jahr 1907. Der Unterschied zwischen einer hypergeometrischen Reihe und der geometrischen Reihe besteht in der rationalen Funktion zwischen den Verhältnissen der Funktionswerte und dem an sich rationalen Verhältnis der einzelnen Terme. Hierdurch erklärt sich auch die historische Definition der allgemeinen hypergeometrischen Funktion. Sie beschreibt die Entwicklung derselben als P n Reihe ∞ c z , deren Reihenglieder zueinander im Verhältnis n=0 n (n + a1 ) · · · (n + ap ) Q(n) cn+1 = = , cn (n + b1 ) · · · (n + bq )(n + 1) P (n) also als Quotient von Polynomen Q(n) und P (n), stehen. 1836 gelingt Ernst Eduard KUMMER (1810 - 1893) die Erkenntnis, dass die hypergeomtrische Gaußsche Funktion die Lösung der sogenannten hypergeometrischen Rekursion z(1 − z)y 00 + (b − 2 − (a1 + a2 + 1)z)y 0 − a1 a2 y = 0 KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 45 beschreibt und sich daraus ableiten lässt. Darüber hinaus beweist er, dass es 24 Lösungen gibt, die alle ähnlich zu der von Gauß sind. Mit Hilfe der Frobenius-Methode lässt sich die charakteristische Gleichung (n + a1 )(n + a2 ) un (n + 1)(n + b2 ) P n errechnen. Setzen wir diese in den Ansatz y = ∞ n=0 un z ein, so erhalten wir die Lösung a1 a2 a1 (a1 + 1)a2 (a2 + 1) y = u0 1 + + z + ... , 1!b2 2!b3 (b2 + 1) un+1 = was der Gaußschen Funktion 2 F1 (a1 , a2 ; b2 ; z) = ∞ X (a1 )n (a2 )n z n n=0 (b2 )n n! entspricht. Falls b2 keine negative ganze Zahl ist, konvergiert diese Reihe für alle z mit |z| < 1. Im Allgemeinen konvergieren hypergeometrische Reihen mit beliebigen (an )n∈N , (bn )n≥2 für reelle z ∈ (−1, 1) beziehungsweise für z = 1 und z = −1, falls ∞ ∞ X X bn > an n=2 n=1 gilt. Eine erste hypergeometrische Integraldarstellung lässt sich bereits im Jahr 1748 bei Leonhard Euler finden. Es dauert allerding bis 1910, dass Barnes die Kurvenintegraldarstellung Z ∞ 1 Γ(a1 + s)Γ(a2 + s)Γ(b2 − s)Γ(d − s)ds 2πi −∞ Γ(a1 + b2 )Γ(a1 + d)Γ(a2 + b2 )Γ(b2 + d) = , Γ(a1 + a2 + b2 + d) siehe [27], der 24 Kummerschen Lösungen veröffentlicht. 3.3.2 Die Linearform Nun wollen wir uns endlich dem Irrationalitätbeweis von ζ(3) zuwenden, in dem eine Linearform In = an ζ(3) − bn KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 46 mit Hilfe hypergeometrischer Reihen entwickelt wird. Dafür betrachten wir insbesondere die Arbeit Nesterenkos von 1996 [33] und einen alternativen Beweis [55], der 2002 von Wadim ZUDILIN veröffentlicht wurde. Die Grundlage beider Beweise bildet die Konstruktion der rationalen Folge Rn (X) = Γ(X)4 , Γ(X − n)2 Γ(X + n + 1)2 (3.16) wobei n ∈ N gilt. Durch den rekursiven Charakter der oben eingeführten Gammafunktion ergibt sich die Darstellung (X − 1)2 · · · (X − n)2 (X − n)2n = 2 . Rn (X) = (X)2n+1 X (X + 1)2 · · · (X + n)2 Um die Folge anschließend entsprechend verwenden zu können, soll im Weiteren eine Entwicklung von Rn als Reihe mit einfachen Faktoren gefunden werden. Hierfür betrachten wir die gegebenen Glieder zunächst ohne Quadrierung. Durch Partialbruchzerlegung lässt sich der obige Quotient in n X (−1)n−k nk n+k (X − 1) · · · (X − n) k = , X(X + 1) · · · (X + n) k=0 X +k umformen. Für diese Reihe kann man eine einfache Polstelle in X = −k für k = 0, . . . , n ablesen. Quadrieren wir diesen Ausdruck, so erhalten wir mit Hilfe der Gleichung 1 1 1 1 1 · = · − für k 6= l X +k X +l l−k X +k X +l die Darstellung Rn (X) = n X k=0 αk βk + 2 (X + k) X +k . Für die Koeffizienten αk und βk ergibt sich 2 2 n n+k αk = k k beziehungsweise X (−1)l nl n+l n n+k l βk = 2(−1) . l−k k k l∈{0,...,n} k l6=k (3.17) KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 47 Betrachten wir die Partialbruchzerlegung (3.17) als endliche Summe des Hauptteils der Laurent-Reihenentwicklung bei der Polstelle X = −k, so ergibt sich das Residuum βk = ResX=−k Rn (X). Um letztendlich zu einer Linearform mit Koeffizienten ζ(3) zu gelangen, führen wir den Polylogarithmus Lis (z) = ∞ X zν ν=1 νs ein. Der Konvergenzradius dieser unendlichen Reihe ist 1. Der Grund für die Verwendung von Polylogarithmen erklärt sich sofort, wenn man die Reihe im Punkt z = 1: ∞ X 1 = ζ(s) Lis (1) = νs ν=1 betrachtet. Hierbei ergibt sich offensichtlich die zu untersuchende Riemannsche ζ-Funktion. Setzen wir die Ableitung der obigen Entwicklung von Rn (X) in ∞ X Rn0 (t)z −t In (z) = − t=1 ein, so erhalten wir ∞ X n X 2αk βk In (z) = + z −t 3 2 (t + k) (t + k) t=1 k=0 ∞ n ∞ X X X z −(t+k) z −(t+k) k = 2 αk z + β z k (t + k)3 k=0 (t + k)2 t=1 t=1 k=0 n X k = 2An (z)Li3 ( z1 ) + Bn Li2 ( z1 ) + Cn (z). Für die Polynome An , Bn und Cn gilt An (z) = Bn (z) = n X k=0 n X αk z k =4 F3 (−n, −n, n + 1, n + 1; 1, 1, 1, ; z) βk z k k=0 n−1 X Cn (z) = − l=0 n X βk 2αk , z + (k − l)3 (k − l)2 k=l+1 l KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 48 wobei es sich bei An (z), dn Bn (z) und d3n Cn (z) um Polynome mit ganzzahligen Koeffizienten handelt. Wegen Li3 (1) = ζ(3) interessieren wir uns insbesondere für den Fall z = 1. Es lässt sich zeigen, dass für X → ∞ die Abschätzung Rn (X) = O(X −2 ) gilt. Hieraus ergibt sich für das Residuum im Unendlichen von Rn : ResX=∞ Rn (X) = 0, woraus für die Summe der Residuen nach (3.17) n X ResX=−k Rn (X) = −ResX=∞ Rn (X) = 0 k=0 folgt. Damit erhält man das Polynom Bn (z) an der Stelle z = 1: Bn (1) = n X βk = k=0 n X ResX=−k Rn (X) = 0. k=0 Desweiteren setzen wir z = 1 in die Polynome An (z) und Cn (z) ein: an = An (1) und bn = − Cn (1) 2 und erhalten eine Linearform In (1) = 2(an ζ(3) − bn ) mit an ∈ Z und 2d3n bn ∈ Z, die zwei der gewünschten Anforderungen von Kriterium 2 aus dem 2. Kapitel genügt. Noch fehlt der Nachweis, dass für diese Linearform die geforderte Abschätzung gilt. 3.3.3 Die Abschätzung Bei der Abschätzung von In (1) gehen Nesterenko und Zudilin unterschiedliche Wege. Um deren Zusammenhang darzustellen, sollen beide in diesem Abschnitt zumindest skizziert werden. Nesterenko: Komplexes Integral. Die Abschätzung Nesterenkos basiert auf der Umwandlung der erhaltenen Linearform In (1) in ein komplexes Integral, welches sich anschließend mit Hilfe der Sattelpunktmethode abschätzen lässt. Eine umfassende Auseinandersetzung dieser funktionentheoretischen Methode lässt sich beipielsweise in [14] finden. KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 49 Lemma 1. Sei n eine natürliche Zahl und c eine reelle Zahl mit 0 < c < n+1. Dann gilt für das Integral entlang der Geraden Re s = c ∈ C mit einer Orientierung von unten nach oben: ∞ X Rn0 (t) t=1 1 = 2πi Z c+i∞ c−i∞ π sin (πs) 2 Rn (s)ds. (3.18) Beweis . Zunächst wollen wir den Integranden betrachten. Mit der Be 2 schränkung 0 < c < n+1 wird die Funktion sin π(πs) durch das Quadrat mit den Eckpunkten (±N + 12 , ±N + 21 ) für ein ausreichend großes ganzzahliges N > n begrenzt. Außerdem gilt Rn (X) = O(N −2 ). Mit dem Residuensatz folgt damit, dass das obige Integral gleich der Summe der Residuen des Integranden an den Stellen n + 1, n + 2, ... ist. Im Folgenden untersuchen wir also das Residuum. In der Umgebung der ganzzahligen Stellen z = k mit k > 0 gelten die Abschätzung 2 1 π + O(1) = sin (πs) (s − t)2 und die Entwicklung Rn (s) = Rn (t) + Rn0 (t)(s − t) + O((s − t)2 ). Daraus ergibt sich das Residuum Ress=t π sin (πs) ! 2 Rn (s) = Rn0 (t). Da bei t = 1, 2, ..., n für die rationale Funktion Rn0 (t) = 0 gilt, folgt die Gleichheit von unendlicher Reihe und komplexem Integral. Lemma 2. Für n → ∞ gilt die asymptotische Abschätzung In (1) = π 3/2 s3/4 √ ( 2 − 1)4n+2 (1 + O(n−1 )). n3/2 Beweis. Aus der Definition von Rn (X) und die Gleichung π sin (πs) 2 Rn (s) = π sin (πs) = Γ(s)Γ(1−s) erhält man Γ(n + 1 − z)Γ(z)2 Γ(n + 1 + z) 2 . KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 50 √ Wählen wir nun c = (n+1) und führen die Substitution s = (n + 1)v durch, 2 so ergibt sich mit Hilfe der Stirlingschen Formel log Γ(s) = s − 21 log s − s + 21 log 2π + r(s), für |r(s)| ≤ N |Re(s)|−1 , wobei N eine absloute Konstante darstellt, die Asymptotik 2 Γ(n+1−z)Γ(z)2 log Γ(n+1+z) = log h(v) + 2(n + 1)f (v) − 2 log(n + 1) + 2 log 2π + O(n−1 ). Hierbei sind die Funktionen h und f definiert durch h(v) = 1+v und f (v) = (1 − v) log(1 − v) + 2v log v − (1 + v) log(1 + v) (1 − v)v 2 und die Konstante in O(·) ist absolut. Daraus ergibt sich Z sπ c+i∞ 2(n+1)f (v) 1 + v e (1 + O(n−1 ))dv, In (1) = − ni c−i∞ (1 + v)v 2 wobei wiederum die Konstante in O(·) absolut ist und c = √12 gilt. Bei v = √12 handelt es sich um ein eindeutiges Maximum auf der Integrationslinie. Somit erhält man durch Abschätzungen von f (v) auf der Kurve schließlich 1 √ −1 2 √ √ 2π −1 2 4n+4 (8 2) In (1) = −2πn · 2( 2 + 1) ( 2 − 1) (1 + O(n−1 ). n+1 Dies liefert die Erfüllung der letzten fehlenden Anforderung von Kriterium 2 und somit einen Beweis der Irrationalität von ζ(3). Zudilin: Creative telescoping Zudilin verwendet den sogenannten “Zeilberger’s algorithm of creative telescoping“, dessen ausführliche Beschreibung sich in [38] finden lässt. Der Algorithmus dient der Auffindung von Rekursionen, denen bestimmte Reihen genügen. Insbesondere nutzt Zudilin die Tatsache, dass zwei Reihen Fn und Gn , die derselben Rekursion genügen und gleiche Startwerte aufweisen, für n ∈ N identisch sind. Zu Fn = In (1) betrachtet er die von K.Ball [7] entwickelte hypergeometrische Reihe Gn = ∞ X t=1 Pn (t) KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 51 mit Pn (t) = n!2 (2t + n) (t − 1) · · · (t − n)(t + n + 1) · · · (t + 2n) . (t(t + 1) · · · (t + n))4 Lemma 3. Es gilt √ 0 < Gn < 20(n + 1)4 ( 2 − 1)4n für alle n = 0, 1, 2, .... In [55] wird ein Beweis dieser Abschätzung aufgeführt. Für Rn findet man nun die rationate Funktion Sn (t) = 4(2n + 1)(−2t2 + t + (2n + 1)2 )Rn (t). Indem gezeigt wird, dass (n+1)3 Rn+1 (t)−(2n+1)(17n2 +17n+5)Rn (t)+n3 Rn−1 (t) = Sn (t+1)−Sn (t) gilt, ergibt sich, dass Fn der Rekursionsgleichung (n + 1)3 Fn+1 − (2n + 1)(17n2 + 17n + 5)Fn + n3 Fn−1 = Sn0 (1) (3.19) genügt. Wendet man das gleiche Verfahren auf Pn an, so lässt sich die rationale Funktion Pn (t) (t6 − (8n − 1)t5 + (4n2 + 27n + 5)z 4 (2t + n)(t + 2n − 1)(t + 2n) + 2n(67n2 + 71n + 15)t3 + (358n4 + 339n3 + 76n2 − 7n − 3)t2 + (384n5 + 396n4 + 97n3 − 29n2 − 17n − 2)t + n(153n5 + 183n4 + 50n3 − 30n2 − 22n − 4)) Tn (t) = ermitteln, für die nun wiederum (n + 1)3 Gn+1 − (2n + 1)(17n2 + 17n + 5)Gn + n3 Gn−1 = −Tn (1) gilt. Da sowohl Pn als auch Tn in t = 1 eine Nullstelle besitzen, gilt folglich die Rekursion (3.19) ebenso für Gn . Der geforderte Nachweis der gleichen Startwerte ergibt sich durch direktes Nachrechnen. Es gilt F0 = G0 = 2ζ(3) und F1 = G1 = 10ζ(3) − 12. Aus der obigen Abschätzung und der bewiesenen Gleichheit der beiden Reihen Fn und Gn ergibt sich letztendlich wiederum der Beweis der Irrationalität von ζ(3). KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 3.4 52 Rationale Folgen - Hypergeometrische Reihen - Multiple Integrale Besonders interessant ist es nun, die Zusammenhänge zwischen den drei kennengelernten Beweisen herzustellen. Wir wollen in diesem Abschnitt einen Ausschnitt aus diesbezüglichen Forschungsergebnissen darstellen. Für allgemeine Literatur und eine Vertiefung der Koinzidenzen sei die LeserIn auf [5], [34], [54] und darauf aufbauende Artikel verwiesen. 3.4.1 Rationale Folge - Rekursion In [5] beschreiben Askey und Wilson den direkten Zusammenhang zwischen hypergeometrischen Funktionen und Rekursionen. Insbesondere ist für uns eine Aussage bezüglich 4 F3 -Reihen, deren Anwendung im Irrationalitätsbeweis von ζ(3) im letzten Abschnitt beschrieben wurde, interessant. Zuallererst wollen wir zwei Eigenschaften kennenlernen. Definition. Zwei Reihen 2 F1 heißen benachbart, wenn genau ein Parameter einer Reihe sich um 1 von dem der anderen Reihe unterscheidet. Definition. Eine Reihe p Fq wird balanciert genannt, wenn p = q + 1 und z = 1 gilt und einer der Parameter ai eine negative ganze Zahl ist, also wenn die Reihe terminiert. Für balancierte Reihen soll der Begriff der Benachbartheit eigens festgelegt werden: Werden zwei Parameter jeweils um 1 so verändert, dass die sich daraus ergebende Reihe wieder balanciert ist, so sprechen wir von benachbarten Funktionen. Dies können Pnwir direkt auf die von Apérys verwendete Folge λn,k anwenden. Für an = k=0 λn,k gilt, dass 2 n 2 X n n+k an = =4 F3 (−n, −n, n + 1, n + 1; 1, 1, 1; 1) k k k=0 eine ebenso balancierte Reihe darstellt wie an+1 und an−1 . Diese Überlegung liefert nun das entscheidende Bindeglied zu einer Rekursionbeziehung zweiter Ordnung, also mit drei Termen. Der Zusammenhang wird im folgenden Lemma beschrieben. Lemma 1. Zwischen jeder beliebigen balancierten 4 F3 -Reihe und zwei dazu benachbarten balancierten Reihen besteht ein linearer Zusammenhang. Eine komplette Auflistung der zueinander in Beziehung stehenden 4 F3 -Reihen lässt sich in [52] finden. In [5] wird ein allgemeiner Weg beschrieben, eir Koeffizienten der Rekursionsgleichung zu errechnen sind. Dieser ist recht technisch KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 53 und liefert keine tieferen Erkenntnisse. Deshalb wollen wir hier lediglich kurz die Idee skizzieren: Die Binomialkoeffizienten der zu Grunde liegenden Folge, in unserem Beispiel an , lassen sich mit Hilfe der Gammafunktion als n Γ(n + 1) = k Γ(n − k + 1)Γ(k + 1) darstellen. Desweiteren wird der Index n, wie oben beschrieben, als Parameter der hypergeometrischen Reihe verwendet, die dann selbst als Folge Fn betrachtet werden kann. Daraus erhält man die Möglichkeit, eine Rekursionsgleichung der Form An Fn+1 + Bn Fn + Cn Fn−1 = 0 aufzustellen und die jeweiligen Polynome An , Bn , Cn als Koeffizienten zu berechnen. In unserem Fall ergibt dies schließlich die bekannte Rekursion n3 an + (n − 1)3 an−2 = (34n3 − 51n2 + 27n − 5)an−1 . 3.4.2 Hypergeometrische Reihen - Integrale In Kapitel 3.2 haben wir bereits die geshifteten Legendre-Polynome kennengelernt. Sie stellen eine besondere Art orthogonaler Polynome dar. Definition. Sei Pn (x) ein Polynom vom Grad n, dann ist (Pn (x))∞ n=0 genau dann eine Menge orthogonaler Polynome, wenn Z ∞ Pn (x)Pm (x)dα(x) = 0 für m 6= n −∞ gilt, wobei dα(x) ein positives Maß sein soll. Die Verbindung von orthogonalen Polynomen und Rekursionen wird im folgenden Satz, siehe [50], beschrieben. Lemma 2. Genau dann, wenn Polynome einer Menge (Pn (x))∞ n=0 orthogonaler Polynome entstammen, genügen sie der Rekursion xPn (x) = An Pn+1 (x) + Bn Pn (x) + Cn Pn−1 (x), wobei An , Bn und Cn reell sind und An Cn+1 < 0 für n = 0, 1, ... gilt. Desweiteren stellt Wilson in [52] den folgenden Zusammenhang zu Integralen her. KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 54 Lemma 3. Das Polynom eines quadratischen Arguments lässt sich als 4 F3 Reihe schreiben Pn (x2 ) =4 F3 (−n, n + a + b + c + d − 1; a + ix + a − ix; a + b, a + c, a + d; 1) und genügt der Gleichung 2 Z ∞ 2 2 Γ(a + ix)Γ(b + ix)Γ(c + ix)Γ(d + ix) Pn (x )Pm (x ) dx = 0. Γ(2iπ) 0 Um nun wieder einen Bezug zu unserem Irrationalitätsbeweis von ζ(3) ersichtlich werden zu lassen, sei zunächst eine weitere Eigenschaft hypergeometrischer Reihen erklärt. Siehe hierzu auch [45]. Definition. Eine hypergeometrische Reihe heißt genau dann gut balanciert, wenn a1 + 1 = a2 + b2 = ... = am + bm , und sehr gut balanciert, wenn sie gut balanciert ist und a2 = 21 a1 + 1 gilt. In [34], [54] und [56] erklären Nesterenko und Zudilin nun allgemeine Zusammenhänge von Linearformen mit ζ-Koeffizienten als hypergeometrische Reihen und als multiple Integrale. Wir wollen hier insbesondere zwei dieser Gleichungen zitieren. Lemma 4. Für reelle a mit 0 ≤ a < m − 1 gilt die folgende Identität Z dx2 · · · dxm =m Fm−1 (1, 1, ..., a; 2, 2, ..., 2; 1), a [0,1]m−1 (1 − x2 · · · xm ) wobei sowohl die Reihe als auch das Integral konvergieren. Lemma 5. Für sehr gut balancierte hypergeometrische Reihen der Form Q Γ(1 + h0 ) m j=1 Γ(hj ) Fm (h0 ; h1 , ..., hm ) := Qm × j=1 Γ(1 + h0 − hj ) m+2 Fm+1 (h0 , 1 + 21 h0 , h1 , ..., hm ; 12 h0 , 1 + h0 − h1 , ..., 1 + h0 − hm ; (−1)m+1 ) und multiple Integrale der Form Z Jm (a0 , a1 , ..., am ; b1 , ..., bm ) := [0,1]m Qm a −1 xj j (1 − xj )bj −aj −1 dx1 · · · dxm Qm (x1 , ..., xm )a0 j=1 KAPITEL 3. ENTSCHEIDENDE BEWEISIDEEN 55 mit Q0 = 1 und Qm = Qm (x1 , ..., xm ) = 1 − (· · ·(1 − (1 − xm )xm−1 ) · · · x2 )x1 gilt für alle m ≥ 1 die Identität Qm+1 j=1 Γ(1 + h0 − hj − hj+1 ) × Fm+2 (h0 ; h1 , ..., hm+2 ) Γ(h1 )Γ(hm+2 ) = Jm (h1 , ..., hm+1 ; 1 + h0 − h3 , 1 + h0 − h4 , ..., 1 + h0 − hm+2 ). Bemerkung. Im obigen Integral wird von der verallgemeinerten Form faktorweise variierender Exponenten aj beziehungsweise bj −aj −1 ausgegangen. Da in für uns interessanten multiplen Integralen lediglich der feststehende Exponent n vorkommt, verwenden wir die übersichtlichere Schreibweise Qm n Z n j=1 xj (1 − xj ) dx1 · · · dxm . Jm,n := n+1 [0,1]m Qm (x1 , ..., xm ) Bezüglich des obigen Integrals gilt also a0 = n, aj = n + 1 und bj = 2n + 2, woraus sich für die Parameter von Lemma 5 h1 = n, h2 = · · · = hm+1 = n + 1 und 1 + h0 − h3 = · · · 1 + h0 − hm+2 = 2n + 2 ergeben. Angewandt auf das bekannte Beukersche Integral mit m = 3: Z xn1 (1 − x1 )n xn2 (1 − x2 )n xn3 (1 − x3 )n dx1 dx2 dx3 J3,n = Q3 (x1 , x2 , x3 )n+1 [0,1]3 erhalten wir damit die hypergeometrische Darstellung Γ(n + 2)Γ(n + 1)3 × F5 (3n + 2; n, n + 1, n + 1, n + 1, n + 1) Γ(n)Γ(n + 1) Γ(n + 2)Γ(n + 1)4 Γ(3 + 3n) = Γ(2n + 3)Γ(2n + 2)2 3n 3n × 5 F4 (3n+2, +2, n, n+1, n+1; +1, 2n+3, 2n+2, 2n+2; (−1)4 ). 2 2 Mit der bereits erwähnten Methode des “creative telescoping“ [38] ließe sich nun eventuell wiederum eine Rekursion finden, der die hypergeometrische Reihe und somit implizit das Integral genügt. F3,n = Kapitel 4 Ideen übertragen Die in Kapitel 3 vorgestellten unterschiedlichen Irrationalitätsbeweise bieten kombiniert und einzeln ein weites Feld an Möglichkeiten zur Inspiration und Modifikation für weitere arithmetische Untersuchungen. Exemplarisch seien hier einige Ideen beziehungsweise Spekulationen aufgeführt: • Lässt sich einer der Beweis zum Nachweis der Irrationalität einer weiteren Konstanten nutzen? • Bieten sich modifizierte Möglichkeiten an, um ζ(3) und andere ζ-Werte zu betrachen? • Finden sich Möglichkeiten die Ideen von Apéry, Beukers und Nesterenko zu kombinieren? Dieses Kapitel ist unter anderem diesen Fragestellungen gewidmet. 4.1 Neue Integraldarstellungen Wir wollen uns nun wieder ζ(3) zuwenden und insbesondere der Suche nach weiteren Darstellungen, die uns neue Ansätze für alternative Irrationalitätsbeweise liefern sollen. In diesem Abschnitt werden alternative Tripel-Integrale für ζ(3) aufgezeigt. Obwohl sie auf bekannten Identitäten basieren und dem Bukerschen Integral ähneln, ergeben sich erstaunlich einfache und handliche Repräsentationen, die Möglichkeiten zu neuen Untersuchungen eröffnen. 56 KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 4.1.1 57 Harmonische Zahlen Einen engen Bezug zur Riemannschen ζ-Funktion ζ(s) = ∞ X 1 ns n=1 an der Stelle s = 3 liefert eine bereits von Euler entwickelte Gleichung, die den Zusammenhang mit den sogenannten harmonischen Zahlen beschreibt. Um diesen Ansatz näher auszuführen, seien diese zunächst vorgestellt: Definition. Die harmonischen Zahlen sind für n ∈ N definiert durch n X 1 . h(n) = m m=1 Dazu erklärt man die Dirchlet-Reihe H(s) = ∞ X h(n) n=1 ns , (4.1) welche für Re(s) > 1 absolut konvergiert. Natürlich interessiert uns insbesondere der Zusammenhang mit ζ(3). Die folgende Eigenschaft kann man wiederum auf Euler zurückführen. Sie wird ursprünglich in [18] und später beispielsweise in [4] aufgeführt. Satz 1. Für die in (4.1) definierte Dirchlet-Reihe gilt H(2) = 2ζ(3). (4.2) Beweis. Wir wollen hier einen elementaren Beweis von (4.2) nach Basu und Apostol [9] anführen. Für jedes n ∈ N gilt ∞ X 1 1 2 − = − h(n) m−n m n m=1 m6=n bzw. ∞ X m=1 m6=n 1 2 h(n) = 2− . m(m − n) n n Dividieren wir diese Identität durch n und summieren über n, so erhalten wir eine neue Darstellung in Abhängigkeit von ζ(3) und obiger Dirichlet-Reihe: ∞ ∞ X X 1 2 h(n) = − 2 = 2ζ(3) − H(2). mn(m − n) n=1 n3 n m,n=1 m6=n KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 58 Die linke absolut konvergente Reihe verschwindet durch eine Umsortierung von m und n. Somin gilt die obige Gleichung (4.2). Mit der bereits in Kapitel 3.2 entwickelten Methode gilt nun für b ∈ N0 : Z 1Z 1 Z 1 ∞ ∞ ∞ X X X h(n) h(n) b+n sb+n tb+n s ds = h(n) = 2 (n + b) (n + b + 1) 0 0 0 n=1 n=1 n=1 Z 1Z 1X ∞ X n 1 = (st)b+n 0 n=0 m=1 m 0 Z 1Z 1X ∞ = h(m + 1 − b)(st)m dsdt. (4.3) 0 0 m=b Definieren wir die Funktion f (x) = ∞ X m h(m + 1 − b)x = x m=b k=1 = xb x h(k)xk−1 + x k=1 = xb = xb ∞ X h(k + 1)xk , k=0 so zeigt eine kurze Rechnung ∞ X b f (x) = x 1 + x h(k) + ∞ X b 1 k+1 ∞ X k=1 ∞ X ! xk−1 1 xk−1 + 1 k+1 1 x1−b xb h(k + 1)xk + x k=0 ! ∞ 1 X xk x1−b f (x) + x k=1 k ! ∞ X xk+1 −x k + 1 k=0 ! ! +1 = xf (x) − xb−1 log(1 − x), womit wir die Darstellung f (x) = −xb−1 log(1 − x) 1−x erhalten. Diese ist gültig für |x| < 1, dem Konvergenzbereich der f definierenden Reihe. Insgesamt ergibt sich aus (4.3): Z 1Z 1 ∞ X h(n) −(st)b−1 log(1 − st) = dsdt. 2 (n + b) 1 − st 0 0 n=1 KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 59 Erinnern wir uns an die Ausgangsüberlegung, also an die Eulersche Identität für ζ(3), so ergibt sich mit (4.2) und b = 0 insbsondere Z 1Z 1 − log(1 − st) 1 1 dsdt. (4.4) ζ(3) = 2 H(2) = 2 st(1 − st) 0 0 Mit einer ähnlichen Rechnung wie im Beukerschen Beweis über dem Integral des Logarithmus gilt die Gleichung 1 Z 1 du −1 log(1 − v) = log(1 − uv) . (4.5) =− v 0 v 0 1 − uv Setzen wir nun v = st, so erhalten wir eine erstaunlich einfache neue Formel. Satz 2. Für die Riemannsche ζ- Funktion an der Stelle 3 gilt die Integraldarstellung: Z 1Z 1Z 1 dsdtdu 1 . (4.6) ζ(3) = 2 0 0 0 (1 − st)(1 − stu) Sofort auffallend ist hier die Ähnlichkeit der Integraldarstellung zu (3.11) aus Frits Beukers’ Beweis. Allerdings macht es den Anschein, dass die obige Alternative nicht in dieser Form bekannt ist. Es besteht die Hoffnung, dass wir hier mit einer neuen Integraldarstellung von ζ(3) einen alternativen Beweis für ζ(3) 6∈ Q entdecken können. Zunächst wollen wir versuchen, unser Integral in ein Integral nach Beukers umzuwandeln. Dafür behandeln wir das Integral Z 1 ds I := 0 (1 − st)(1 − stu) mittels Partialbruchzerlegung. Da diese Rechnung nicht offensichtlich ist, soll sie ausführlich notiert werden. Wir beginnen mit dem Standardansatz: 1 A B = + (1 − st)(1 − stu) 1 − st 1 − stu Die rechte Seite wird nun wieder zu einem Bruch zusammengefasst: A − Astu + B − Bst (A + B) − (Au + B)st A(1 − stu) + B(1 − st) = = . (1 − st)(1 − stu) (1 − st)(1 − stu) (1 − st)(1 − stu) Aus einem einfachen Zählervergleich ergeben sich nun A und B: 1 ) Au − A = −1 , also A = Au + B = 0 1−u ⇐⇒ 1 1 A+B =1 + B = 1 , also B = −u . 1−u 1−u KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 60 Übertragen auf unser zu untersuchendes Integral ergibt sich damit die Zerlegung Z 1 Z 1 log 1−tu ds ds 1 1−t −u = . I := 1−u t(1 − u) 0 1 − st 0 1 − stu Wählen wir nun τ := 1−tu , so ist 1 − τ = t(u−1) . Durch Einsetzen ergibt sich, 1−t 1−t wiederum vermöge (4.5), die Umformung log τ 1 1 −1 log τ =− · = log(1 − (1 − τ )) t(1 − u) 1−τ 1−t 1−t1−τ Z 1 dy = , 0 (1 − (1 − τ )y)(1 − t) I = womit wir für das Integral I die Identität Z 1 Z 1 ds dy I := = . 0 (1 − st)(1 − stu) 0 1 − (1 − (1 − u)y)t erhalten. Besinnen wir uns auf die obige Darstellung (4.6) von ζ(3), so lässt sich diese mit Hilfe der Substitution x = 1 − u in Z 1Z 1Z 1 dxdydt 1 ζ(3) = 2 , 0 0 0 1 − (1 − xy)t umwandeln, also in exakt die gesuchte Darstellung (3.11) aus dem Beukerschen Beweis. Bemerkung. Als spannendes Nebenprodukt erhalten wir aus der Rückrichtung unserer Argumentation einen neuen Beweis für (4.2): ζ(3) = 21 H(2). Diesen wollen wir kurz skizzieren: Neuer Beweis von Satz 1. Die Darstellung von ζ(3) als Tripel-Integral (4.2) ist aus dem Beukerschen Beweis wohlbekannt. Wir wandeln das obige einfache Integral I gemäß unserer aufgeführten Rechnung rückwärts um. Mit u = x − 1 ergibt sich Z Irück = 0 1 log 1−tu dy 1−t = ... = . 1 − (1 − (1 − u)y)t t(1 − u) KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 61 Ebenso durchlaufen wir die Partialbruchzerlegung auf umgekehrtem Weg und erhalten durch das Zusammenfügen zum Tripel-Integral wiederum die neue Darstellung Z 1Z 1Z 1 dsdtdu 1 . ζ(3) = 2 0 0 0 (1 − st)(1 − stu) Wenden wir uns jetzt der Dirichlet- Reihe H(2) zu. Zu Beginn unserer Betrachtungen wurde in (4.4) die Integraldarstellung Z 1Z 1 − log(1 − st) H(2) = dsdt st(1 − st) 0 0 hergeleitet. Mit dem Integral des Logarithmus (4.5) erhalten wir den Beweis für die Identität. Vergleichen wir unseren Beweis mit der oben beschriebenen Herangehensweise von Basu und Apostol [9], so sieht man sofort, dass er umständlicher ist und keinen untmittelbaren Wissenszuwachs liefert. Nichtsdestotrotz verdeutlicht die Methode den bemerkenswerten Zusammenhang von H(2) und ζ(3) mittels Integralen über dem Einheitsintervall. Nun werden wir mit der Idee fortfahren (4.2) für eine neuen Irrationalitätsbeweis von ζ(3) zu verwenden. Hierfür wollen wir weiterhin an der Methode des Beukerschen Beweis anknüpfen und untersuchen den Fall a < b für nicht-negative ganze Zahlen. Es ergibt sich gemäß (3.2) ∞ X n=1 h(n) = (n + b)(n + a) Z 0 1 Z 0 1 −sb ta log(1 − st) dsdt. st(1 − st) Mit Hilfe der Partialbruchzerlegung erkennt man, dass es sich bei der linken Reihe um eine Teleskopsumme handelt ∞ X n=1 ∞ X 1 1 1 h(n) = h(n) − . (n + b)(n + a) n+a n+b b−a n=1 Was wir gerne erreichen würden, wäre die Konstruktion einer Linearform mit Koeffizienten ζ(3) ähnlich derjenigen von Beukers. Allerdings ergibt sich bereits für den Fall a = 0, b = 1 ein unerwartetes Resultat. Wir erhalten ∞ X n=1 ∞ X h(n) = h(n) (n + 1)n n=1 1 1 − n n+1 ...ζ(2) KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 62 Für den speziellen Fall a = 0, b = 1 entsteht folglich keine rationale Zahl, sondern die irrationale Zahl ζ(2). Dies schließt zwar aus, dass wir wie im Beukerschen Beweis mit einem beliebigen Polynom P ∈ Z[s, t] ein Integral Z 1Z 1 P (s, t) log(1 − st) dsdt IP = st(1 − st) 0 0 erhalten, welches gleich einer Linearform IP = aP ζ(3) + bP mit gewissen rationalen Zahlen aP , bP ist. Dennoch ist das Ergebnis interessant, weil wir aus dem Spezialfall a = 0, b = 1 auf eine Linearform I0,1 = a0,1 ζ(3) + b0,1 ζ(2) + c0,1 stoßen. Dadurch besteht die Hoffnung, dass eine Verallgemeinerung für weitere Werte ζ(k) mit k ∈ N bezüglich a und b der Form Ia,b = aa,b ζ(3) + bab ζ(k) + ca,b , wobei es sich bei aa,b , ba,b und ca,b um rationale Zahlen handelt, gefunden werden kann. 4.1.2 Multiple Zetawerte In diesem Abschnitt soll der Irrationalitätsbweis aus Kapitel 3.2 mit Hilfe der multiplen Zetafunktion ζ(2, 1) in neuer Weise ausgeführt werden. Zunächst wollen wir uns mit dieser speziellen Reihe näher vertraut machen. Defintion. Die multiple Zetafunktion in s und t wird beschrieben durch ζ(s, t) = ∞ X X 1 1 1 X 1 = . s nt s t k k n n=1 n<k k>n≥1 Außerdem gilt, wiederum nach Euler [18], die Gleichung ∞ ∞ X 1 X 1 ζ(s)ζ(t) = k s n=1 nt k=1 ∞ X 1 1 X 1 1 X 1 = + + s t s t s+t k k k n k k>n≥1 k>n≥1 k=1 = ζ(s, t) + ζ(t, s) + ζ(s + t) beziehungsweise ζ(s, t) = ζ(s)ζ(t) − ζ(t, s) − ζ(s + t). (4.7) KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 63 Es ergibt sich insbesondere ∞ X 1 H(2) − ζ(2, 1) = n2 n=1 ! X − X m<n m≤n ∞ X 1 1 1 = = ζ(3), m n=1 n2 n also ζ(2, 1) = H(2) − ζ(3) = ζ(3). Legen wir also `(n) = X 1 k n>k≥1 fest, so gelangen wir erneut zu einer alernativen Darstellung von ζ(3): ζ(3) = ∞ X `(n) n2 n=1 . (4.8) Bemerkung. Der entscheidende Unterschied zur Methode ist P vorherigen 1 also das Ersetzen von ≥ durch >. Es gilt `(1) = k<1 k = 0. Im Folgenden wollen wir gemäß der bekannten Rechnung eine Integraldarstellung für ζ(3) ohne den Vorfaktor 12 bestimmen. Mit dem gleichen Ansatz wie in Abschnitt 4.1.3 erhalten wir für b ∈ N0 : Z 1Z 1X ∞ ∞ X `(n) `(n)(st)n+b−1 dsdt. (4.9) = 2 (n + b) 0 0 n=1 n=1 Definieren wir die erzeugende Funktion f (x) := ∞ X `(m + 1 − b)xm = xb m=b ∞ X `(k + 1)xk , k=0 so zeigt sich mit f (x) =xb x+x ∞ X k=2 =xb x ∞ X 1 `(k) + k =x b x 1−b f (x) + ∞ X xk k=1 ! xk−1 ∞ X 1 `(k)xk−1 + x k=2 k=1 ! k = xf (x) − xb log(1 − x), k ! xk−1 + x KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 64 dass wir wiederum eine alternative Darstellung −xb log(1 − x) 1−x erhalten. Wie zuvor ist die erzeugende Funktion gültig für den Konvergenzbereich |x| < 1 der f definierenden Reihe. Zusammenfassend ergibt sich aus (4.9): Z 1Z 1 ∞ X `(n) −(st)b log(1 − st) dsdt. (4.10) = (n + b)2 1 − st 0 0 n=1 f (x) = Unter Berücksichtigung der ursprünglichen Annahme, setzen wir b = 0 und erhalten Z 1Z 1 − log(1 − st) ζ(3) = dsdt. 1 − st 0 0 Mit der Substitution v = st und Hilfe des Integrals über dem Logarithmus 1 Z 1 −v −log(1 − v) v du = log ((1 − v)(1 − vu)) = 2 v−v 0 1−v 0 (1 − v)(1 − vu) (4.11) erhalten wir schließlich eine weitere neue Formel. Satz 3. Es gilt die Integraldarstellung Z 1Z 1Z 1 st ζ(3) = dsdtdu. 0 0 0 (1 − st)(1 − stu) (4.12) Es ergibt sich also wiederum eine Darstellung von ζ(3) als Tripel-Integral über dem Einheitsintervall mit einer rationalen Funktion als Integranden. Die entscheidende Neuerung zur vorherigen Integraldarstellung besteht in der Eliminierung des Vorfaktors 12 . 4.1.3 Differenz der Integraldarstellungen Aus den obigen Untersuchungen wissen wir, dass der Zusammenhang H(2) − ζ(2, 1) = ζ(3) gilt. Wir haben außerdem neue Integraldarstellungen für die jeweiligen Summanden gefunden. Aus der Differenz dieser Tripel-Integrale für H(2) und ζ(2, 1), erhalten wir Z 1Z 1Z 1 Z 1Z 1Z 1 1 st dsdtdu − dsdtdu 0 0 0 (1 − st)(1 − stu) 0 0 0 (1 − st)(1 − stu) Z 1Z 1Z 1 Z 1Z 1Z 1 1 − st 1 = dsdtdu = dsdtdu. 0 0 0 (1 − st)(1 − stu) 0 0 0 1 − stu KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 65 Wiederum ergibt sich eine erstaulich einfach neue Integraldarstellung von ζ(3), die sich auch direkt mit der übliche Methode über den Grenzwert der geometrischen Reihe Z 1Z 1Z 1X Z 1Z 1Z 1 ∞ ∞ X 1 1 n−1 dsdtdu (4.13) = (stu) dsdtdu = 3 n 1 − stu 0 0 0 0 0 0 n=1 n=1 verifizieren lässt. Tatsächlich lassen sich die drei gefundenen Integraldarstellungen von ζ(3) durch Addition und Subtraktion ineinander umrechnen. Innerhalb weiterer Untersuchungen könnten die Tripel-Integrale als interessante Ausgangspunkte zur Konstruktion von Linearformen dienen, die ähnlich wie der Beukersche Beweis schließlich zu einem alternativen Nachweis der Irrationalität von ζ(3) führen könnten. 4.2 Verallgemeinerungen auf multiple ζ-Werte In Kapitel 4.1 haben wir also mit Hilfe multipler ζ- Werte eine TripelIntegraldarstellung (4.12) von ζ(3) = ζ(2, 1) erzielt: Z 1Z 1Z 1 st dsdtdu. ζ(3) = 0 0 0 (1 − st)(1 − stu) Diese Identität wollen wir nun zur Untersuchung weiterer multipler ζ- Werte verallgemeinern. Dafür erinnern wir uns zunächst an den in Kapitel 3.3 bereits eingeführten Polylogarithmus Lib (X) := ∞ X Xm , b m m=1 wobei b ≥ 1 ganzzahlig gewählt werden soll. Insbesondere gilt Li1 (X) = − ∞ X (−x)m (−1)m+1 m = − log(1 − X). m=1 Legen wir weiterhin a ≥ 2 als ganzzahlig fest, so lässt sich für X = x1 · . . . · xa und dX = dx1 · . . . · dxa , die Integraldarstellung (4.12) auf multiple ζ-Wete verallgemeinern. Übertragen wir den Ansatz aus dem vorherigen Kapitel für ζ(2, 1) auf die verallgemeinerte ζ-Funktion, so erhalten wir Z ∞ ∞ X X `(n)b ζ(a, b) = = `(n)b X n−1 dX a a (n) [0,1] n=1 n=1 KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 66 und mit n = m + 1 für die erzeugende Funktion f (X) := ∞ X `(m + 1)b X m m=0 ∞ X =X b `(k) X k−1 k=2 =Xf (X) + ∞ X 1 k−1 +X X +X kb k=1 ∞ X Xk kb k=1 =Xf (X) + Lib (X). Insgesamt ergibt sich Z ζ(a, b) = [0,1]a Lib (X) dX. 1−X (4.14) Definieren wir Y = y1 · . . . · ya und dY = dy1 · . . . · dyb , dann erhalten wir durch den integralen Zusammenhang Z 1X Z 1 Z 1 ∞ ∞ X m y m−1 Lib−1 (Xy) d X X mym dy = dy = dy, Lib (X) = b b−1 m m y 0 m=1 0 0 dy m=1 nach b-maliger Anwendung Z Lib (X) ζ(a, b) = dX [0,1]a 1 − X ... Z − log(1 − Xy1 · . . . · yb−1 ) = dyb−1 . . . dy1 dX (1 − X)y1 · . . . · yb−1 [0,1]a+b−1 Z Xy1 · . . . · yb−1 = dY dX [0,1]a+b (1 − X)y1 · . . . · yb−1 (1 − Xy1 · . . . · yb−1 yb ) und damit schließlich Z ζ(a, b) = [0,1]a+b X dXdY. (1 − X)(1 − XY ) (4.15) Diese neue allgemeine Darstellung für so genannte Euler-Zagier ζ-Werte lässt sich für unterschiedlichste Untersuchungen und Spekulationen verwenden. Zunächst leiten wir verallgemeinerte Identitäten zu im vorherigen Kapitel aufgeführten Spezielfällen ab. Zum einen erhalten wir Z dX ζ(a) = , (4.16) [0,1]a 1 − X KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 67 aus der sich (4.13) augenscheinlich als Spezialfall für a = 3 ableiten lässt. Zum anderen gilt Z dXdy = ζ(a, 1) + ζ(a + 1), [0,1]a+1 (1 − X)(1 − Xy) woraus wir H(a) = ∞ X h(n) n=1 na Z = [0,1]a+1 dXdy , (1 − X)(1 − Xy) und damit eine verallgemeinerte Formel für H(2) erhalten. 4.2.1 Eulersche Formeln Mit diesen neuen Erkenntnissen, sollen zunächst alternative Beweise für bekannte Gleichungen untersucht werden. In Kapitel 2 wurde bereits auf die herausragenden Ergebnisse Leonhard Eulers bezüglich der Riemanschen ζFunktion eingegegangen. Seine Auseinandersetzung erstreckt sich ebenso auf multiple ζ- Werte, siehe [18]. Beispielsweise kennt Euler bereits die Gleichung ζ(a)ζ(b) = ζ(a, b) + ζ(b, a) + ζ(a + b). (4.17) Mit Hilfe der Integrale (4.15) und (4.16) lässt sich diese Formel nun als Z Z Z dY X dX = dXdY [0,1]a+b (1 − X)(1 − XY ) [0,1]a 1 − X [0,1]b 1 − Y Z Z Y 1 + dXdY + dXdY, a+b (1 − Y )(1 − XY ) [0,1] [0,1]a+b 1 − XY beziehungsweise Z 1 dXdY (1 − X)(1 − Y ) Rn X Y = + (1−Y )(1−XY + (1−X)(1−XY ) ) (4.18) 1 1−XY o dXdY, darstellen. Die Integrationsgrenzen können hier vernachlässigt werden, da sie auf beiden Seiten gleich sind. Gelingt es uns, die Gleichheit der Integranden nachzuweisen, so folgt damit direkt der Beweis von (4.17). Aus 1 X Y 1 = + + (1 − X)(1 − Y ) (1 − X)(1 − XY ) (1 − Y )(1 − XY ) 1 − XY KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 68 lässt sich durch Multiplikation des Hauptnenners 1 − XY = X(1 − Y ) + Y (1 − X) + (1 − X)(1 − Y ) und damit die gewünschte Identität erlangen. Eine weitere bekannte Formel, die sich auf Euler zurückführen lässt, ist die Identität X ζ(c + 1) = ζ(a, b), a+b=c+1 a≥2 für c ≥ 2. Es stellt sich auch hier die Frage, ob die entwickelten Integraldarstellungen dabei helfen, diesen wesentlich komplexeren Zusammenhang erneut zu beweisen. Es gilt Z dZ ζ(c + 1) = [0,1]c+1 1 − Z und X X Z ζ(a, b) = a+b a+b=c+1 a≥2 a+b=c+1 a≥2 [0,1] X dXdY. (1 − X)(1 − XY ) Aus der vorherigen Formel wissen wir, dass ζ(c + 1) = ζ(c)ζ(1) − ζ(c, 1) − ζ(1, c), also, entsprechend des Falls a = c und b = 1, Z 1 dXdy [0,1]c+1 1 − Xy Z X y 1 = − − dXdy (1 − X)(1 − y) (1 − X)(1 − Xy) (1 − y)(1 − Xy) [0,1]c+1 Z 1 − X − y + Xy = dXdy [0,1]c+1 (1 − X)(1 − y)(1 − Xy) gelten muss. Desweiteren lässt sich die rechte Seite in die einzelnen Summanden aufspalten X ζ(a, b) = ζ(2, c − 1) + ζ(3, c − 2) + ... + ζ(c, 1) + ζ(c + 1, 0), a+b=c+1 a≥2 also X a+b=c+1 a≥2 + Z ζ(a, b) = [0,1]a+b x1 x2 + ... (1 − x1 x2 )(1 − x1 x2 y1 ...yc−1 ) X x1 x2 ...xc+1 + dx1 ...dxc+1 dy1 ...dyc−1 . (1 − X)(1 − Xy) 1 − x1 x2 ...xc+1 KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 69 Diese bisherigen Überlegungen zeigen lediglich eine alternative Herangehensweise auf. Ob dadurch ein weiterer Beweis gefunden werden kann ist noch nicht klar. 4.2.2 Dilogarithmen Ein weiteres Anwednungsgebiet unserer verallgemeinerten Integraldarstellung multipler ζ-Werte sind die sogenannten Dilogarithmen, sprich den Spezialfall des Polylogarithmus [34] zum Exponenten b = 2 ∞ X Xm Li2 (X) = . 2 m m=1 In einschlägiger Literatur, wie beispielsweise [26] oder [46] finden sich umfassende Anwendungen. Betrachten wir doch zunächst die dilogarithmische Funktion genauer. Aus Z x dy x x2 x3 + + ... = − log(1 − x) = Li1 (x) = + 1 2 3 0 1−y lässt sich x x2 x3 Li2 (x) = 2 + 2 + 2 + ... = − 1 2 3 Z 0 x log(1 − y) dy y ableiten. Bemerkung Obwohl diese Reihen lediglich für |x| ≤ 1 konvergieren, sind sie nicht auf diese Integrationsgrenzen beschränkt, da die Argumente transformiert ebenso das Einheitsintervall durch laufen. Hier etwa: 1 − x ∈ [0, 1]. Es gibt eine Vielzahl an bekannten Funktionalgleichen in einer oder mehreren Variablen für die dilogarithmische Funktion. Wir wollen unsere Untersuchungen mit einer Gleichung in einer Variablen beginnen. Diese wurde übrigens wiederum von Euler entwickelt und lässt sich mittels partieller Integration herleiten. Z x Z x log(1 − y) log y Li2 (x) = − dy = dy − log x log(1 − x) y 0 0 1−y = −Li2 (1 − x) + Li2 (1) − log x log(1 − x) Wenden wir nun die allgemeine Gleichung (4.14) für X = x1 · . . . xa und dX = dx1 . . . dxa an, und setzen b = 2 ein, so erhalten wir Z Z −Li2 (1 − X) + Li2 (1) − log X log(1 − X) Li2 (X) ζ(a, 2) = dX = dX, 1−X [0,1]a 1 − X [0,1]a KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 70 was sich mit Li2 (1) = ζ(2) und Z 1 X log(1 − X) − log X log(1 − X) = dy1 1−X 0 (1 − Xy1 )(1 − X) Z 1Z 1 X dy1 dy2 = 0 0 (1 − Xy1 )(1 − (1 − X)y2 ) umformen lässt zu Z Z Li2 (1 − X) XdXdy1 dy2 ζ(a, 2) = − dX+ζ(a)ζ(2)− . 1−X [0,1]a [0,1]a+2 (1 − Xy1 )(1 − (1 − X)y2 ) Wir wollen nun den ersten und den dritten Summanden genauer betrachten. Es ergibt sich Z Z Li2 (1 − X) Li1 (Xy1 ) dX = dy1 dX 1−X [0,1]a [0,1]a+1 (1 − X)y1 Z Xy1 = dy1 dy2 dX [0,1]a+2 (1 − X)y1 (1 − Xy1 y2 ) Z − log(1 − Xy1 ) = dy1 dX (1 − X)y1 [0,1]2+a Z Lia (X) = dX [0,1]2 1 − X = ζ(2, a). Aus (4.17) folgt zusätzlich Z Z 1Z 1 dy1 dy2 dX X ζ(2 + a) = = dy1 dy2 , [0,1]2+a 1 − y1 y2 X 0 0 (1 − Xy1 )(1 − (1 − X)y2 ) was für den Spezialfall a = 1 wiederum eine alternative Integraldarstellung Z 1Z 1 s ζ(3) = dtdu 0 0 (1 − st)(1 − (1 − s)u) von ζ(3) liefert. 4.3 Komplexes Integral In diesem Abschnitt wollen wir einen Ansatz aus Kapitel 3.4.2 aufgreifen. Für reelle a mit 0 ≤ a < m − 1 gilt, nach [34], die Identität Z dx2 · · · dxm =m Fm−1 (1, 1, ..., a; 2, 2, ..., 2; 1). a [0,1]m−1 (1 − x2 · · · xm ) KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 71 Das bedeutet, dass sich das Integral (4.13) aus Abschnitt 4.1.3 für ζ(3) als hypergeometrische Reihe Z dsdtdu =4 F3 (1, 1, 1, 1; 2, 2, 2; 1) [0,1]3 1 − stu darstellen lässt. Wir definieren für b1 = 1 und komplexe Zahlen a1 , ..., am , b2 , ...bm , aj 6= 0, −1, −2, ... das Integral Z c+i∞ Qm Γ(s + aj ) 1 Qj=1 I(z) := · Γ(−s) · (−z)s ds, m 2πi c−i∞ Γ(s + b ) j j=2 wobei der Geraden Res = c integriert wird. Lemma. Für alle z mit |arg(−z)| ≥ π, für die sowohl das Integral als auch die Reihe konvergieren, gilt die Gleichung m Fm−1 (a1 , a2 , ..., am ; b2 , ..., am ; z) = m Y Γ(bj ) · I(z). Γ(a ) j j=1 Angewandt auf unser bekanntes Integral, ergibt sich damit Z c+i∞ Z 1 Γ(s + 1)4 dsdtdu 3 =1 · · Γ(−s) · (−1)s ds, ζ(3) = 3 2πi c−i∞ Γ(s + 2) [0,1]3 1 − stu eine neue Darstellung als komplexes Integral. Diese erinnert an den Irrationalitätsbeweis von Nesterenko aus Kapitel 3.3. Eine interessante Frage, die sich für fortführende Untersuchungen also stellt, ist die, ob man eine ähnliche oder sogar präzisere Abschätzung durchführen kann. 4.4 Beukers Integrale angewandt auf die Dirichletsche L-Funktion Eine weitere Idee an bisherigen Irrationalitätsbeweisen von ζ(3) anzuknüpfen, bietet die Möglichkeit, diese auf andere unendliche Reihen zu übertragen. Im Folgenden soll exemplarisch ein Ansatz dargestellt werden, einen Beweis ähnlich dem Beukerschen für die Dirchletsche L-Funktion an der Stelle 3, also ∞ X χ(n) L(3, χ) = , n3 n=1 zu konstruieren. Zur Erklärung dieser Dirchlet-Reihe soll zunächst der Begriff des Dirichletschen Charakters betrachtet werden. KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 72 Definition. Unter einem Dirichletschen Charakter versteht man einen Homomorphismus χ mod q : N → C, der folgenden Eigenschaften für m, n, ∈ N genügt: 1. Er ist streng-multiplikativ: χ(mn) = χ(m)χ(n). 2. Er ist q-periodisch, das heißt, es gibt ein q ∈ Z mit χ(n) = χ(n + q). 3. Falls n und q teilerfremd sind, dann gilt χ(n) = χ(n mod q) 6= 0, ansonsten gilt χ(n) = 0. Als Hauptcharakter χ0 bezeichnet man das Element χ0 (n) = 1, für alle n ∈ N. Insbesondere die Eigenschaft der Periodizität wird in weiteren Untersuchungen von Interesse sein. Die Grundlage der folgenden Integralumformungen bildet wieder die bekannte Grenzwertbildung der unendlichen geometrischen Reihe: ∞ X 1 = sn t n , 1 − st n=0 für |st| < 1. Wir erinnern uns an die ersten Umformungen im Beukerschen Beweis: Z 1Z 1 a a ∞ Z 1Z 1 X s t dsdt = sa+n ta+n dsdt 0 0 0 1 − st n=0 0 Z 1 ∞ X 1 = ta+n dt a + n + 1 0 n=0 ∞ X = n=1 1 , (a + n)2 woraus wir durch beidseitiges Differenzieren nach a −2 ∞ X n=1 1 = (a + n)3 Z 0 1 Z 0 1 sa ta log(st) dsdt 1 − st KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 73 erhalten. Um diese Idee auf Dirichletsche L-Reihen übertragen zu können, soll nun insbesondere die q-Periodizität miteinbezogen werden. Wir erhalten ∞ X 1 1 = 2 (n + a) (c + mq + a)2 m=0 n≡c mod q ∞ Z 1Z 1 X = sc+mq−1+a tc+mq−1+a dsdt X m=0 0 Z 1Z 1 = 0 0 0 s c−1+a c−1+a t dsdt, 1 − (st)q beziehungsweise wiederum durch beidseitiges Ableiten nach a: Z 1Z 1 X (st)c−1+a log(st) 1 −2 = dsdt. 3 q (n + a) 1 − (st) 0 0 n≡c mod q (4.19) Mithilfe der logarithmischen Funktionalgleichung log(st) = log(s) + log(t), und der direkten Konsequenz für das Integral Z 1Z 1 (st)b+c−1 log(st) dsdt 1 − (st)q 0 0 Z 1Z 1 Z 1 Z 1 b+c−1 (st)b+c−1 log(s) (t) log(st) = dsdt + dsdt, q 1 − (st) 1 − (st)q 0 0 0 0 ergibt sich aus dem symmetrischen Aufbau des obigen Integrals Z 1Z 1 X (st)c−1+a log(t) 1 − = dsdt. (b + n)3 1 − (st)q 0 0 n≡c mod q Auch der Fall a 6= b lässt sich ganz ähnlich zum Beukerschen Beweis betrachten. Es gilt X 1 X 1 1 1 − = b − a n≡c mod q n + a n + b (n + a)(n + b) n≡c mod q Z 1 Z 1 c−1+a c−1+b s t = dsdt, 1 − (st)q 0 0 woraus sich durch Differenzieren nach a X X 1 1 1 1 1 + − a − b n≡c mod q (n + a)2 (a − b)2 n≡c mod q n + a n + b Z 1 Z 1 c−1+a c−1+b s t log s != dsdt, q 1 − (st) 0 0 (4.20) KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 74 beziehungsweise durch Differenzieren nach b X X 1 1 1 1 1 − + b − a n≡c mod q (n + b)2 (a − b)2 n≡c mod q n + b n + a Z 1 Z 1 c−1+a c−1+b s t log t = dsdt q 1 − (st) 0 0 (4.21) ergibt. Führen wir nun (4.20) und (4.21) bezüglich s und t wieder zusammen, so erhalten wir das Integral Z 1 Z 1 c−1+a c−1+b X s t log(st) 1 1 1 = − dsdt. a − b n≡c mod q (n + a)2 (n + b)2 1 − (st)q 0 0 (4.22) Nachdem wir alle grundlegenden Beukerschen Integralumformungen im Hinblick auf q-Periodizität übertragen haben, stellt sich nun die Aufgabe ein Polynom P ∈ Z[s, t] der Form X X P = γα (st)α + γαξ sα tξ α α,ξ;α6=ξ zu finden, dass uns bei der Umformung des Integrals in eine Linearform mit Koeffizienten L(3, χ) hilft. Dafür wollen wir zunächst die sich ergebende Darstellung SP genauer betrachten: Z 1Z 1 P (s, t) log(st) dsdt SP := 1 − (st)q 0 0 Z 1Z 1 α ξ X Z 1 Z 1 (st)α log(st) X s t log(st) γα = γ dsdt + dsdt. αξ q q 1 − (st) 1 − (st) 0 0 0 0 α α,ξ;α6=ξ Wenden wir (4.19) mit α = c−1+a, (4.22) mit α = c−1+a und ξ = c−1+b an, so erhalten wir 1 (n + 1 − c + α)3 α n≡c mod q (4.23) X X 1 1 1 + γαξ − 2 (n + 1 − c + α) (n + 1 − c + ξ)2 ξ − α α,ξ;α6=ξ n≡c mod q SP = − 2 X γα X Um einen analogen Rückschluss entsprechend des Beukerschen Beweises auf die Irrationalität von L(3, χ) ziehen zu können, muss geklärt werden, ob diese Form ähnliche Bedingungen erfüllt: KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 75 Unter welchen Umständen kann SP ∈ Q(L(3, χ)) angenommen werden und lässt sich eine Linearform der Art Q + QL(3, χ) nachweisen? Um uns dieser allgemeinen Feststellung anzunähern, wollen wir einige Spezialfälle betrachen. Für den Charakter χ mod 2 mit q = 2 und c = 1 ergibt sich 1 (n + a)3 a n≡1 mod 2 X X 1 1 1 + . γab − 2 2 (n + a) (n + b) b − a a,b;a6=b n≡1 mod 2 SP = −2 X X γa Im Hinblick auf P unsere vorherigen Überlegungen zu ζ(3) ist für uns insbeson1 dere der Faktor n≡1 mod 2 (n+a) 3 von Interesse. Für weitere Untersuchungen, wollen wir nun eine Fallunterscheidung desselbigen durchführen. Bemerkung. Im Folgenden steht das Symbol 4 stellvertretend für weitere rationale Summanden. 1. Für den Fall, dass a gerade ist, ergibt sich X 1 1 1 1 1 = + + +... = −4. 3 3 3 3 3 (n + a) (1 + a) (3 + a) (5 + a) n n≡1 mod 2 n≡1 mod 2 X 2. Falls a ungerade ist, so erhält man X 1 1 1 1 1 = + + +... = −4. 3 3 3 3 3 (n + a) (1 + a) (3 + a) (5 + a) n n≡1 mod 2 n≡0 mod 2 X Betrachten wir nun den Zusammenhang ∞ 1 X 1 1 1 = = ζ(s) s s s s n 2 m 2 m=1 n≡0 mod 2 X und ∞ ∞ X 1 X 1 1 = − = (1 − 2−s )ζ(s), s s s n n (2n) n=1 n=1 n≡1 mod 2 X so ergibt sich, dass bezüglich χ mod 2 beide Fälle zu einer Linearform der Bauart Qζ(3) + Q führen. Folglich liefert ein Irrationalitätsbeweis wiederum nur ζ(3) 6∈ Q. KAPITEL 4. IDEEN ÜBERTRAGEN 76 Als weiteren Dirichlet-Charakter wollen wir χ mod 4 mit q = 4 und c = 1, 3 betrachen, wobei χ als Einheitscharakter ausgeschlossen sein soll, also für n ≡ 1 1, χ(n) = −1, für n ≡ 3 0, sonst. Man erhält für den Fall c = 1 X X SP = −2 γa 1 (n + a)3 a n≡1 mod 4 X X 1 1 1 + γab − (n + a)2 (n + b)2 b − a a,b;a6=b n≡1 mod 4 und für c = 3 SP = −2 X + X γa a 1 (n + a)3 n≡3 mod 4 X γa+2b+2 X a+2,b+2;a6=b n≡3 mod 4 1 1 − (n + a)2 (n + b)2 1 . b−a Eine Möglichkeit fortzufahren, besteht nun darin, Linearkombinationen der obigen P Reihen näher zu betrachten. Wie zuvor wollen wir dies bezüglich der 1 Reihes n≡1,3 mod 4 (n+a) 3 durchführen. Exemplarisch betrachen wir exemplarisch den Fall, dass a gerade ist. Es ergibt sich mit (4.19) X 1 1 − +4 3 3 (n + a) (n + a) n≡1 mod 4 n≡3 mod 4 Z Z −1 1 1 (st)a = log(st)dsdt + 4, 2 0 0 1 + (st)2 L(3, χ) = X eine Linearkombination von der Form QL(3, χ) + Q. Da die Konstruktion eines geeigneten Polynoms bisher nicht gelungen ist, können wir noch keine allgemeinen Rückschlüsse auf einen Irrationalitätsbeweis von Dirichletschen LFunktionen oder anderer unendlicher Reihen folgern. Obwohl die bisherigen Überlegungen von exemplarischer Natur sind, könnten sie als Ausgangspunkt Für einen Nachweis der Irrationalität dienen. Insbesondere der elementare Charakter des Beukerschen Beweises, deutet darauf hin, dass es möglich ist, ihn auf weitere Funktionen zu übertragen. Kapitel 5 Anregungen und Ausblick 5.1 Weitere Integraldarstellungen Insgesamt lassen sich aus bekannten Zusammenhängen der Konstanten ζ(3) mit anderen unendlichen Reihen eine Vielzahl weiterer Integraldarstellungen herleiten, die zu alternativen Beweisen der Irrationalität und eventuell zu einer Verbesserung der Abschätzung des Irrationalitätsmaß führen könnten. 5.1.1 Darstellung von Calabi Eine Idee hierfür ist es beispielsweise den Beweis von Eugenio Calabi (*1923) 2 für ζ(2) = π6 aufzugreifen [49]. Er liefert eine neue Darstellung von ζ-Werten als Integrale. Betrachten wir die Darstellung ζ(3) = ∞ X n=1 ∞ ∞ X X 1 1 1 1 + = 8 ζ(3) + , 3 3 3 (2n) (2n + 1) (2n + 1) n=0 n=0 so ergibt sich das Tripel-Integral ζ(3) = 8 7 ∞ X n=0 ∞ Z 1Z 1Z 1 X 1 8 (stu)2n dsdtdu. =7 (2n + 1)3 0 0 n=0 0 Vertauschen wir nun Summation und Integration, so erhalten wir mit Hilfe der geometrischen Reihenformel Z 1Z 1Z 1 Z 1Z 1Z 1 dsdtdu dsdtdu 8 8 ζ(3) = 7 = . 7 2 0 0 0 1 − (stu) 0 0 0 (1 − stu)(1 + stu) Der Vorfaktor 87 lässt darauf schließen, dass wir es nicht mit einem zu (3.11) identischen Integral zu tun haben. Dies wirft die Frage auf, ob man bei einem 77 KAPITEL 5. ANREGUNGEN UND AUSBLICK 78 auf diesem Integral basierenden Irrationalitätsbeweis eine Präzisierung des Irrationalitätsmaß erhalten könnte. Mit Hilfe der Partialbruchzerlegung Z Z Z 1 1 1 8 1 1 11 + dsdtdu 7 0 0 0 2 1 − stu 2 1 + stu Z Z Z Z Z Z 4 1 1 1 dsdtdu 4 1 1 1 dsdtdu = + 7 0 0 0 1 − stu 7 0 0 0 1 + stu lässt sich durch Verwenden die Integraldarstellung von ζ(3) aus Kapitel 4.1.3 mit Z Z Z 4 1 1 1 dsdtdu 4 ζ(3) = ζ(3) + 7 7 0 0 0 1 + stu noch eine weitere Formel ζ(3) = 4 3 Z 0 1 Z 0 1 Z 0 1 dsdtdu . 1 + stu herleiten. 5.1.2 Das Drinfeld-Kontsevich-Integral Das allgemeine Integral von Vladimir DRINFELD (*1954) und Maxim KONTSEVICH (*1964) für multiple Zeta-Werte ! ! Z a1 aY 1 +a2 dt1 Y dta1 +1 dtj1 dtj2 ζ(a1 , . . . , ar ) = × 1 − t1 j =2 tj1 1 − ta1 +1 j =a +2 tj2 0<t1 <...<ta1 +...+ar <1 1 2 1 a1 +...+ar−1 +ar Y dta1 +...+ar−1 +1 dtjr ×... × 1 − ta1 +...+ar−1 +1 j=a +...+a +2 tjr 1 r−1 macht zunächst einen recht unübersichtlichen Eindruck. Betrachtet man spezielle Werte, wie etwa die Funktion ζ(2, 1), so ergibt sich durch geometrische KAPITEL 5. ANREGUNGEN UND AUSBLICK Reihenentwicklungen und sukzessive Integration Z dt1 dt2 dt3 0<t1 <t2 <t3 <1 1 − t1 t2 1 − t3 Z 1 Z t3 Z t2 X ∞ dt2 dt3 tk11 dt1 = , t2 1 − t3 0 k =0 0 0 1 Z ∞ 1 Z t3 X 1 dt3 tk21 dt2 = k1 + 1 0 0 1 − t3 k1 =0 Z 1 X ∞ ∞ ∞ X X 1 1 k2 = dt = t 3 3 (k1 + 1)2 0 k =k +1 (k1 + 1)2 k =0 k =0 1 2 1 1 79 ∞ X k2 =k1 1 . k 2+1 +1 Wählen wir nun k = k1 + 1 und k2 + 1 = k + `, so lässt sich daraus Z ∞ ∞ X X 1 dt1 dt2 dt3 = , 2 (k + `) k 0<t1 <t2 <t3 <1 1 − t1 t2 1 − t3 k=1 `=1 folgern. Mit der Reihenentwicklung sieht man ∞ X 1 X 1 = ζ(2, 1). 2 n m n=1 m<n Aus dem bekannten Zusammenhang ζ(2, 1) = ζ(3), ergibt sich mit (4.15) das Tripel-Integral Z stds ζ(2, 1) = dtdu [0,1]3 (1 − st)(1 − stu) beziehungsweise nach der Substitution mit x = st, dx = tds Z Z t xdxdu dt ζ(2, 1) = . [0,1]2 0 (1 − x)(1 − xu) t Durch eine weitere Substitution mit v = xu, dv = xdu erhalten wir Z 1Z tZ x dv dx dt ζ(2, 1) = . 0 0 0 1−v1−x t Mit den Verschiebungen t 7→ 1 − t und x 7→ 1 − x erzielt man letztendlich Z 1 Z 1−t Z x Z 1Z tZ x dv dx dt dv dx dt ζ(2, 1) = = , 0 0 0 1−v1−x1−t 0 0 0 1−v x 1−t was genau unserem Ausgangsintegral entspricht. KAPITEL 5. ANREGUNGEN UND AUSBLICK 80 Wir sehen also, dass es offensichtlich eine Vielzahl an potentiellen Möglichkeiten gibt, weitere Intgraldarstellungen zu konstruieren und sie auf ihre Tauglichkeit für alternative Irrationalitätsbeweise zu testen. Interessant wäre hierbei insbesondere eine Optimierung des bekannten Irrationalitätsmaßes für ζ(3) = ζ(2, 1). 5.2 Anwendung auf multiple ζ-Werte Eventuell lassen sich die neuen verallgemeinerten Integraldarstellungen (4.15) und (4.16), insbesondere ihr Vorteil der homogenen Integrationsgrenzen der einzelnen Faktoren, ausnutzen, um weitere Aussagen über arithmetische Eigenschaften der Riemannschen ζ-Funktion zu untersuchen. Eine Anregung wäre beispielsweise die Überprüfung der Nähe multipler ζ-Werte zu einfachen ζ-Werten. Kann man etwa mit der Irrationalität von Z dx1 dx2 dx3 dx4 ζ(4) = [0,1]4 1 − x1 x2 x3 x4 Aussagen über den arithmetischen Charakter von Z x1 x2 x3 ζ(3, 2) = dx1 dx2 dx3 dy1 dy2 [0,1]5 (1 − x1 x2 x3 )(1 − x1 x2 x3 y1 y2 ) treffen und würden diese bei einem Irrationalitätsbeweis von Z dx1 dx2 dx3 dx4 dx5 ζ(5) = [0,1]5 1 − x1 x2 x3 x4 x5 helfen? Ein wünschenswertes, wenn auch äußerst komplexes Gebiet, für das die Integraldarstellung ebenso Ansätze liefern könnte, ist die Behandlung algebraischer Relationen von ζ-Werten. Lassen sich etwas Gleichungen wie ζ(5) = 2ζ(3, 2) + 6ζ(4, 1) also Z [0,1]5 dx1 dx2 dx3 dx4 dx5 = 2 1 − x 1 x2 x3 x4 x5 Z [0,1]5 Z + 6 [0,1]5 x1 x2 x3 dx1 dx2 dx3 dy1 dy2 (1 − x1 x2 x3 )(1 − x1 x2 x3 y1 y2 ) x1 x2 x3 x4 dx1 dx2 dx3 dx4 dy (1 − x1 x2 x3 x4 )(1 − x1 x2 x3 x4 y) mit den Beukerschen Integraldarstellungen beweisen? In Kaptel 4.2.1 konnten wir die verallgemeinerte Darstellung der ζ-Funktion KAPITEL 5. ANREGUNGEN UND AUSBLICK 81 bereits auf Eulersche Formeln anwenden. Es scheint vielversprechend, diesen Ansatz auf kompliziertere Zusammenhänge zu übertragen. Wir haben uns beispielsweise bereits die Frage gestellt, ob sich die Eulersche Summenformel X ζ(c + 1) = ζ(a, b) für 2 ≤ c ∈ N a+b=c+1 a≥2 mit ähnlicher Methode beweisen lässt. 5.3 Hypergeometrische Darstellung benutzen Die Darstellung von Funktionen in hypergeometrischer Form bietet, nicht zuletzt auf Grund ihres elementare Charakters, eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten. In Kapitel 3.4 wurden Zusammenhänge zwischen hypergeometrischen Reihen und Rekursionen beschrieben. Dies liefert verschiedene fortführende Ideen: Lassen sich beispielsweise weitere Konstanten finden, deren hypergeomtrische Reihendarstellungen zu unserer Reihe benachbart sind? Und kann man über die beschriebene Drei-Term-Rekursion, der diese Reihen genügen, neue Folgen (an )n∈N und (bn )n∈N , entsprechend Kapitel 2, konstruieren? Interessant wäre es außerdem, die daraus ent an auf eine eventuelle Verbesserung des stehende Quotientenfolge bn n∈N Irrationalitätsmaß hin zu untersuchen. Desweiteren bieten sich noch andere hypergeometrische chungsmöglichkeiten. Einige Ideen sollen hier vorgestellt werden. 5.3.1 Untersu- Zum Beweis von Nesterenko/Zudilin In den Kapiteln 3.4 und 4.3 konnten wir sowohl eine Darstellung von ζ(3) als komplexes Integral Z c+i∞ 1 Γ(s + 1)4 · Γ(−s) · (−1)s ds ζ(3) = 2πi c−i∞ Γ(s + 2)3 ausfindig machen als auch eine hypergeometrische Darstellung Γ(n + 2)Γ(n + 1)3 × F5 (3n + 2; n, n + 1, n + 1, n + 1, n + 1) Γ(n)Γ(n + 1) Γ(n + 2)Γ(n + 1)4 Γ(3 + 3n) = Γ(2n + 3)Γ(2n + 2)2 3n 3n × 5 F4 (3n+2, +2, n, n+1, n+1; +1, 2n+3, 2n+2, 2n+2; (−1)4 ). 2 2 F3,n = KAPITEL 5. ANREGUNGEN UND AUSBLICK 82 n konstruieren. Die der in Kapitel 3.2 vorgestellten Linearform In = an ζ(3)−b d3n von Nesterenko und Zudilin verwendeten Methoden zur Abschätzung der Linearform im Irrationalitätsbeweis von ζ(3), siehe Kapitel 3.3, basieren auf ähnlichen Darstellungen. Innerhalb zukünftiger Untersuchungen kann versucht werden diese durch die Obigen oder weitere alternative Konstruktionen zu präzisieren. 5.3.2 Konstruktion von Linearkombinationen von Polylogarithmen als hypergeometrische Funktionen Tatsächlich ist der Irrationalitätsbeweis für ζ(3) noch immer einzigartig. Abschließend wollen wir uns schließlich aktuellen Ergebnissen für weitere Werte der Riemannschen ζ-Funktion an ungeraden ganzzahligen positiven Stellen, ζ(2k + 1) = X n≥1 1 n2k+1 , mit k ∈ N, k ≥ 1 zuwenden. Über deren arithmetischen Charakter ist bisher noch wenig bekannt. In den letzten zehn Jahren widmet sich insbesondere Tanguy RIVOAL in [45] und [44], beziehungsweise in Zusammenarbeit mit Christian Friedrich KRATTENTHALER (*1958) in [25] der Untersuchung dieser Werte. Die Methode, die sie hierbei verwenden, beinhaltet wiederum den Zusammenhang der Konstruktion von Linearformen mit Polylogarithmen als hypergeometrische Funktion und als komplexes Integral. Wir wollen uns im Folgenden einen Überblick über die Vorgehensweise verschaffen. Die Grundidee besteht in einer Weiterführung der Verwendung einer Linearform, indem der von 1 und den n ersten ungeraden ζ-Werten aufgespannte Q-Vektorraum untersucht wird. Aus der Abschätzung der Dimension des Vektorraums lassen sich Rückschlüsse auf die lineare Unabhängigkeit der ζWerte, und somit auf deren Irrationalität schließen. Als Mittel wird hier das Kriterium der Linearen Unabhängigkeit [32] von Nesterenko verwendet. Kriterium der Linearen Unabhängigkeit. Seien θ1 , θ2 , · · · θN reelle Zahlen, wobei N ≥ 2. Angenommen es gibt N Folgen (pi,n )n≥0 für die ∞ X log pi,n θi = n log(α) + o(n) mit 0 < α < 1 i=1 und log |pi,n | ≤ n log(ξ) + o(n) für alle i = 1, · · · N und mit ξ > 1 KAPITEL 5. ANREGUNGEN UND AUSBLICK 83 gilt. Dann lässt sich die Dimension des von θ1 , θ2 , · · · θN aufgespannten QVektorraums folgendermaßen abschätzen: dimQ (Qθ1 + Qθ2 + · · · + QθN ) ≥ 1 − log α . log ξ Ähnlich wie in Kapitel 3.3 beschrieben, werden polylogarithmische Funktionen ∞ X zn Lis (z) = , s n n=1 benutzt, um Ergebnisse anschließend auf die ζ-Funktion für z = 1 zu spezialisieren. Der Vorteil liegt in der Konstruktion der Reihe Sn,a,r (z) = n!a−2r ∞ X (k − rn)rn (k + n + 1)rn (k)an+1 k=1 = z −rn−1 n!a−2r z −k Γ(rn + 1)a+1 Γ((2r + 1)n + 2) × Fa Γ((r + 1)n + 2)a+1 mit der hypergeometrischen Darstellung Fa =a+2 Fa+1 (rn + 1, · · · , rn + 1, (2r + 1)n + 2; (r + 1)n + 2, · · · , (r + 1)n + 2; z −1 ) für n ≥ 0, 1 ≤ r < a2 . Die Reihe, die wir ab jetzt lediglich mit Sn (z) bezeichnen wollen, konvergiert für alle komplexen |z| ≥ 1. Es lässt sich die Gleichheit a X 1 Pl,n (z)Lil ( ) + P0,n (z), Sn = z l=1 mit Polynomen P0,n (z) = − a X n X l=1 j=1 cl,j,n j n X X 1 j−k z und P (z) = cl,j,n z j l,n l k j=0 k=1 mit rationalen Koeffizienten cl,j,n ∈ Q nachweisen. Die Besonderheit besteht darin, dass für gerade n und ungerade a ≥ 3 Pl,n (1) = 0 für alle l ∈ {2, · · · , a} gilt. Somit ergibt sich die Linearkombination Sn (1) = P0,n (1) + (a+1) 2 X l=1 P2l+1,n (1)ζ(2l + 1) KAPITEL 5. ANREGUNGEN UND AUSBLICK 84 von ζ-Werten an positiven ungeraden Zahlen. Der nächste Schritt basiert auf dem bereits in vorherigen Kapiteln vorgestellten Zusammenhang zwischen hypergeometrischen Reihen und komplexen Integralen. Es gilt die Identität Sn (z) = ((2r + 1)n + 1)! (r+1)n+1 z In (z) n!2r+1 mit Qa+1 Z In (z) = [0,1]a+1 r l=1 xl (1 − xl ) (z − x1 x2 · · · xa+1 )2r+1 !n dx1 dx1 · · · dxa+1 . (z − x1 x2 · · · xa+1 )2 Diese Darstellung bietet die Möglichkeit, die einzelnen Glieder der Linearform mit bekannten Methoden wie der Stirlingschen Formel und der Cauchyschen Integralformel abzuschätzen. Es ergibt sich: sr,a := lim n→inf ty 1 |Sn (1)| n ≤ (2r + 1) und + r)ra+r (a − 2r)a−2r (ra + a − r)ra+a−r 2r+1 (ra 1 pr,a := lim |Pi,n (1)| n ≤ sa−2r (2r + 1)2r+1 n→inf ty für alle i = 1, · · · , a. Durch da−i n Pi,n (1) ∈ Z für das kleinste gemeinsame Vielfache dn = lcm[1, · · · , n] bei i = 0, · · · , a erfüllen sich die Bedingungen des Kriteriums der Linearen Unabhängigkeit. Mit p0,n = da2n P2n (1) und pi,n = lässt sich eine Linearform da2n P2i+1,2n (1) für i = 1, · · · , (a−1) 2 `n = p0,n + (a−1) 2 X pi,n ζ(2i + 1) i=1 in ganzen Zahlen konstruieren. Desweiteren folgt aus dem Primzahlsatz dn = e(1+o(1))n , womit sich für das Kriterium der Linearen Unabhängigkeit von Nesterenko α = (exp(a)sr,a )2 und ξ = (exp(a)pr,a )2 ergibt. Hiermit gelingen Rivoal zunächst einige allgemeine Schlussfolgerungen. Allgemeine Resultate von Rivoal. Man bezeichne die Dimension des von 1, ζ(3), ζ(5), · · · , ζ(a) aufgespannten Q-Vektorraum mit δ(a). 1. Für ein ganzzahliges ungerades a ≥ 3 gilt die Abschätzung δ(a) ≥ 1 log a. 3 KAPITEL 5. ANREGUNGEN UND AUSBLICK 85 2. Für alle > 0 gibt es eine ganze Zahl A(), so dass für a ≥ A() die Abschätzung 1− . δ(a) ≥ 1 + log 2 Die Dimension des Vektorraums wächst also jeweils mindestens um ein Vielfaches von log(n). Somit muss die Riemannsche ζ-Funktion unendlich viele irrationale Werte ζ(2k + 1) besitzen. Für a = 169 und r = 10 liefert die Approximation noch speziellere Ergebnisse, siehe [44]. Spezielles Resultat von Rivoal. Es gibt zwei ungerade j, k mit 3 ≤ j, k ≤ 169, so dass 1, ζ(j) und ζ(k) linear unabhängig über Q sind. In Zusammenarbeit mit Krattenthaler gelingt ein weiteres Ergebnis: Resultat von Krattenthaler und Rivoal. Unter den acht Werten ζ(5), ζ(7), · · · , ζ(19) gibt es mindestens einen irrationalen Wert. In [25] drücken die beiden Autoren bereits ihr Hoffnung aus, dass mit Hilfe einer weiter verallgemeinerteren Linearform ihre Folgerung auf vier ζ-Werte verbessert werden könnte. 5.4 Resumé Abschließend haben wir uns einen Eindruck vom aktuellen Forschungsstand arithmetischer Problemstellungen der Riemannschen ζ-Funktion verschafft. Insbesondere seit dem Irrationalitätsbeweis von ζ(3) ist das Interesse an Folgeuntersuchungen enorm gewachsen. Auch wenn dem erste Erfolg von Roger Apéry sehr schnell weitere und vielleicht elegantere Ergebnisse gefolg sind, bleibt es bemerkenswert welche Erkenntnissprünge durch seine Arbeit ausgelöst wurden. Wir konnten sehen, wie der aufgezeigte Weg zu alternativen Konstruktionen einlädt und in benachbarten Problemstellungen angewandt werden kann. Abgesehen von dem Wert ζ(3) können weitere Funktionen untersucht werden und eventuell liefern neue Integraldarstellungen von Linearformen sogar Aussagen über algebraische Relationen in einfachen und multiplen Werten der Riemannschen ζ-Funktion. Literaturverzeichnis [1] R. Apéry, Interpolation de Fractions Continues et Irrationalité de Certaines Constantes, Bulletin de la section de sciences du C.T.H.S. no.3 (1981), 37 -53. [2] R. Apéry, Irrationalit de ζ(2) et ζ(3), Astrisque61 (1979), 11-13. [3] F. Apéry, A Radical Mathematician, The Mathematical Intelligencer 18, no. 2, (1996), 54-61. [4] T.M. Apostol, T.H. Vu, Dirichlet Series Related to the Riemann Zeta Function, Journal of Number Theory 19 (1984), 85-102. [5] R. Askey, J.A. Wilson, A recurrence relation generalizing those of Apéry, J. Austral. Math. Soc. (Series A) (1982), 267-278. [6] R. Ayoub, Euler and the Zeta Function, The American Mathematical Monthly 81 (1974), 1067-1086. [7] K. Ball, T. 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