Gaetano Donizetti L`Elisir d`amore – Der Liebestrank

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Gaetano Donizetti
L’Elisir d’amore – Der Liebestrank
Es gibt drei Wege, sich einer Oper zu nähern. Der Erste und vielleicht wichtigste
ist der Genuss der Musik, der schönen Stimmen, der Bilder und der Stimmung –
man kommt und geniesst. Der zweite Weg ist der steinigere der Auseinandersetzung mit dem Werk, mit dem Komponisten, mit der Geschichte der Oper und den
sozialen Hintergründen. Darauf baut sich dann vielleicht ein dritter Weg der Annäherung auf, jener der Beurteilung der Interpretation der Oper, die durch den Regisseur geleistet wird, und der Beurteilung der Sängerinnen und Sänger. Es liegt
mir fern, diese drei Wege werten und gegeneinander ausspielen zu wollen, zu sagen etwa, dass derjenige, der nur geniesst, kein Kenner sein könne oder dass
derjenige, der beurteilt, am Wesen der Oper vorbeigehe. Oper – und gerade die
des frühen 19. Jahrhunderts – ist immer auch Unterhaltung und es ist legitim,
Unterhaltung zu geniessen.
Da Sie – meine Damen und Herren – nun aber mal hier sind und sich Zeit nehmen,
vor der Aufführung eine Einführung zu hören, nehme ich an, dass Sie sich neben
dem reinen Genuss, den Ihnen niemand nehmen kann, auch für die Hintergründe
interessieren.
Die Oper des frühen 19. Jahrhunderts ist mit der Oper unserer Tage nicht vergleichbar. Wir verstehen das Opernhaus heute als den Ort der hohen Kunst, als
einen Ort der Bildung und der grossen Traditionen. Diese Auffassung ist eine bürgerliche Vorstellung des späten 19. Jahrhunderts, und eine deutsche dazu. Das
Theater in Italien war keine „moralische Anstalt“ zur „ästhetischen Erziehung des
Menschen“; das ist eine Prägung der Weimarer Klassik und des Bürgertums. Das
Opernhaus war auch nicht eine Einrichtung der Gesellschaft einer Stadt oder eines
Staates. Die Oper, für welche Donizetti komponiert hat, war ein privatwirtschaftliches Unternehmen, man spricht denn auch von der „Unternehmeroper.“ Unternehmen müssen rentieren, sie müssen Gewinn abwerfen, um jeden Preis, bei Defizit und Verlust wird das Haus geschlossen. Ein Verlustgeschäft war sie aber nicht,
wenn ein Unternehmer tüchtig und geschickt war, dann konnte er mit einem
Opernhaus sehr viel Geld verdienen. Opernhäuser waren wahre Industriezweige.
1890 bot die Mailänder Scala rund 3`000 Leuten Arbeit und ernährte damit wohl
etwa 12‘000 Menschen, etwa 4,6% der Bevölkerung. Die Unterhaltungsindustrie
ist keineswegs eine Erfindung unserer Tage! Diese Oper musste rentieren, Rendite
ging klar über künstlerische Qualität. Man bot, was das Publikum anzog, blieb es
weg, wurde ein Werk sofort abgesetzt. Darauf müssen wir noch kommen.
Das Opernhaus war auch kein Ort der Tradition. Es gab eigentlich kein Opernrepertoire, wie heute. Ein Impresario, der Unternehmer, bestellte bei einem Komponisten eine Oper, machte einen Vertrag mit ihm, setzte den Preis fest, den er zu
bezahlen gewillt war und den Termin, an dem die Oper abgeliefert werden musste.
Meistens bekam der Musiker nicht mehr als ein paar Wochen! Das Textbuch, das
Libretto stellt er dem Komponisten zur Verfügung. Der hatte da kein Mitspracherecht, von der Möglichkeit einen Text, ein Sujet selber zu wählen oder gar zu gestalten, war keine Rede. Einen Verleger gab es nicht, der Impresario war dann der
Eigentümer der Oper, trug das Risiko, strich aber auch den Gewinn ein.
Dann wurde geprobt, aber wenig. Vor einer Uraufführung gab es etwa sechs, sieben Proben, dann musste es klappen – wochenlange Proben waren viel zu teuer.
Erst ein Giuseppe Verdi konnte mehr Proben verlangen. Einen Regisseur, der da
eine Deutung und Interpretation hätte verwirklichen können, gab es nicht. Dazu
war keine Zeit. War die Oper ein Erfolg, wurde sie gespielt, bis sie alle, die sie
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Gaetano Donizetti: L’elisir d‘amore
hören wollten, gehört hatten, dann kam eine andere Oper. Wenn sie ein grosser
Erfolg war, dann nahmen andere Opernhäuser sie vielleicht auch auf, aber sonst
verschwanden sie in der Versenkung. Vielleicht ist die Situation ein wenig mit Hollywood zu vergleichen. Nicht das künstlerisch Wertvolle und Hochstehende bringt
das grosse Geld, oder anders gesagt, wenn man das grosse Geld im Auge hat,
kann das Wertvolle und Hochstehende nicht das oberste Prinzip sein.
Auch die Aufführung einer Oper war etwas völlig anderes als heute. Das Opernhaus
war eine Art Freizeitcenter. Man konnte herumgehen, sich in den Logen besuchen,
die Bars aufsuchen und Geschäfte machen. Vielfach hatte der Impresario auch das
Monopol für die Glücksspiele. Opernaufführungen dauerten viele Stunden, vielfach
wurden zwischen den Akten Ballette eingefügt, in den ernsten Opern auch buffoneske Zwischenspiele. Aber das machte ja nichts, man war nicht an seinen Platz
gefesselt. Hector Berlioz hat eine der Aufführungen des „Liebestranks“ in Mailand
besucht. Charakteristisch für den damaligen Theaterbetrieb ist sein Bericht; er
schreibt, dass er sich anstrengen musste, die Musik durch den Lärm im Theater zu
hören. „Die Leute reden“, schreibt er, „spielen um Geld, dinieren und übertönen
erfolgreich das Orchester.“
Wenn Oper rentieren muss, dann legt sie das Schwergewicht auf die Effekte. Die
Effekte kommen aber nicht vom Komponisten, sondern von den Sängerinnen und
Sängern. Sie waren die Künstler, um sie drehte sich alles, der Komponist war bloss
der Musiklieferant. Er lieferte die Basis, auf der die Sängerinnen und Sänger ihre
Kunst entfalten konnten. Der Komponist galt nicht als Künstler! Das zeigt sich
schon bei den Löhnen. Spitzensängerinnen und –sänger bekamen bis zu 10‘000
francs für die Aufführungsserie, Donizetti – als einer der berühmtesten Komponisten seiner Zeit – bekam maximal 3000 – 4000 francs für die Komposition.
Sie können sich den ungeheuren Bedarf an Opern vorstellen, der in Italien befriedigt werden musste. Es wurden um jeden Preis Opern komponiert, am Laufmeter,
viele hatten Erfolg, weil die Sänger gut waren, weil sie gutes musikalisches Handwerk darstellten oder einfach gute Unterhaltung waren. Genie war nicht gefragt;
viele waren auch ein Fiasko; nach ein paar Monaten waren sie ohnehin vergessen,
es gab andere, neue Opern. Es ist wie beim Film. Wer kennt noch die Filme des
letzten Jahres?
In diese Opernwelt wird nun Gaetano Donizetti hinein geboren. Man nennt seine
Zeit die Epoche des „Belcanto“. Belcanto meint zweierlei. Einerseits bezeichnet
man damit eben – wie das Wort sagt – den „schönen Gesang“; andererseits ist es
aber auch eine Bezeichnung für die italienische Oper des frühen 19. Jahrhunderts.
Rossini, Donizetti, Bellini und der frühe Verdi gehören dieser Epoche an. Die Sängerinnen und Sänger dominieren die Oper, die Komponisten hatten nichts anderes
zu tun, als den schönen Gesang zu ermöglichen.
Die Belcanto – Oper ist daher meist schematisch, sie ist ein Gattungswerk, kein
Individualwerk, es kann nicht anders sein, wie hätte ein Komponist in wenigen
Wochen eine Oper fertigstellen können, wenn er nicht einem gewissen Schema
hätte folgen können. Nicht nur folgte der musikalische Ablauf einem bestimmten
Schema – davon später – auch die Handlung war bestimmt durch die Gegebenheiten der Sängertruppen, der sog. „Compagnie di canto“. Ein Komponist konnte nicht
einfach eine Oper schreiben, und der Impresario suchte dann die passenden Sängerinnen und Sänger zusammen. Das Gegenteil war der Fall. Die Gesangstruppe
gab es schon und der Komponist musste die Oper diesen Gegebenheiten anpassen.
In der Compagnia di canto gab es eine Sopranistin, die Primadonna, einen Tenor,
der Primouomo , dann die übrigen Stimmlagen. Die Sängerinnen und Sänger waren eingeteilt in Primarier, eben die Primadonna und der Primouomo, dann in Sekundarier und die Tertiarier. Ein Komponist konnte also keine Oper machen für
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Gaetano Donizetti: L’elisir d‘amore
drei Tenöre, die Primarier hatten eine gewisse Anzahl Arien zu Gute. Die Konstellation der Gesangstruppe bestimmte oft die Handlung, denn was will man mit einer
Primadonna du einem Primo Uomo anderes machen als eine Liebesgeschichte?
Gaetano Donizetti wurde 1797 in Bergamo geboren, in ärmlichen Verhältnissen.
Seine Ausbildung zum Musiker erhielt er von Simone Mayr. Dieser Mayr ist in der
Musikgeschichte eine besondere Figur. Er stammte aus Bayern und gilt heute als
grosser Reformer der italienischen Oper. Seine Werke sind heute zwar alle vergessen, trotzdem war sein Einfluss enorm. Dieser Simone Mayr erkannte Donizettis
Talent und bildete ihn zum Opernkomponisten aus, schickte ihn dann nach Bologna, damit er auch noch das Handwerk des Kontrapunkts beherrsche. Mit neunzehn Jahren stürzte sich Donizetti in den Opernbetrieb seiner Zeit, komponierte
Oper um Oper, im ganzen sind es 75! Die meisten der 75 Opern sind heute vergessen; das liegt aber keinesfalls am Genie Donizettis, sondern einfach an den
Verhältnissen seiner Zeit. Als Opernkomponist musste man produzieren, sonst
konnte man von seiner Arbeit nicht leben. Die künstlerische Qualität war zweitrangig, ebenso das Sujet und die Handlung der Oper. Es war ohnehin äusserst schwierig, überhaupt einen Textdichter zu finden. Gute Libretti waren rar und es kam
nicht selten vor, dass ein Libretto mehrfach vertont wurde von verschiedenen
Komponisten. Nicht weil es besonders gut gewesen wäre, sondern einfach, weil
ein Unternehmer dringend eine Oper brauchte. Heinrich Heine, der immer Bissige,
hat Donizetti folgendermassen charakterisiert: „Sein Talent ist gross, aber noch
grösser ist seine Fruchtbarkeit, worin er nur den Kaninchen nachsteht!“
Donizetti hat denn auch mit einer ungeheuren Geschwindigkeit komponiert. Er
brauchte, um eine abendfüllende Oper herzustellen, meist nur drei bis vier Wochen, manchmal auch weniger. Er komponierte acht Stunden am Tag, in der Regel
ohne Klavier. Interessant ist es, die Autographen von Donizetti zu sehen. Er
schrieb nur die Gesangstimmen ganz aus, dann zuunterst die Basstimme, die den
harmonischen Verlauf festlegte. Dazwischen machte er einige Bemerkungen, wie
zu instrumentieren sei. Der Kopist konnte dann die Partitur fertigstellen und alle
Stimmen ganz ausschreiben. Wir dürfen nicht vergessen, dass eine Oper erst geprobt werden konnte, wenn Kopisten die einzelnen Stimmen von Hand aus der
Partitur abgeschrieben hatten, für jeden Geiger und Sänger einzeln. Der Komponist reichte dem Impresario auch keine fertige Partitur ein, die so und nicht anders
aufgeführt werden musste. Während der Proben wurde immer wieder angepasst,
verändert, es wurden die Wünsche von Sängerinnen und Sängern erfüllt, oder die
Musik wurde ihren Fähigkeiten angepasst. Es gibt eine Anekdote, die Donizettis
ungeheures Tempo treffend charakterisiert. Jemand soll ihn gefragt haben, ob er
glaube, dass Rossini den „Barbier von Sevilla“ in vierzehn Tagen komponiert habe.
Donizetti soll geantwortet haben: „Das glaube ich sofort, Rossini war schon immer
ein fauler Kerl!“
Von den 75 Opern kennen wir heute nur noch wenige: am besten wohl eben das
„Elisir d‘amore“, dem wir uns nachher zuwenden wollen, dann die „Lucia di Lammermoor“, die allein genügen würde, Donizettis Weltruhm zu begründen. Vielleicht
noch „Don Pasquale“ und die „Regimentstochter“. Die 70 anderen Opern sind vergessen. Manchmal wagt ein Opernhaus wieder eine Aufführung etwa der „Maria
Stuart“ oder der „Linda di Chamonix“, aber keine der Opern hat die RepertoireBühne erobern können. Trotzdem: Dutzendware sind Donizettis Opern nie! Auch
wenn ihnen eine gewisse Gleichförmigkeit eignet, gelingt es Donizetti immer wieder, dramatische Handlung in der Musik abzubilden und damit über den reinen
„schönen Gesang“ hinauszugehen. Die meisten Opern sind heute vergessen, weil
der Belcanto wohl einfach einer anderen Zeit angehört.
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Was wäre gewesen, wenn Donizetti Musse gehabt hätte, mit Sorgfalt und Hingabe
zu komponieren, wie der spätere Verdi oder Puccini? Bestimmt hätte er das Orchester weniger nur als Begleitinstrument behandelt und noch differenzierter instrumentiert, vielleicht sogar dem Orchester eine eigenständigere Rolle zugewiesen. Und bestimmt hätte er viele Textbücher abgelehnt, die ihm einfach aufgezwungen wurden. Aber was kann Donizetti letztlich doch mehr sein als Donizetti!
Kommen wir nun zur Aufführung des heutigen Abends, zum Liebestrank, zum „Elisir d’Amore.“ Die Entstehungsgeschichte ist typisch für Donizetti und seine Zeit.
Er hielt sich im April 1832 in Mailand auf, um seine Oper „Ugo, conte di Parigi“ an
der Scala einzustudieren. Der Impresario eines anderen Mailänder Opernhauses,
des „Teatro della Cannobbiana“, suchte verzweifelt nach einer Oper, weil der Komponist, den er verpflichtet hatte, den Vertrag nicht einhielt und keine Oper ablieferte. Der Termin der Aufführung stand bereits fest – es blieben ganze vierzehn
Tage! Der Impresario setzte sich mit Donizetti in Verbindung und bat ihn, eine alte
Partitur von irgendwem zu überarbeiten und dem Publikum schmackhaft zu machen. Donizetti soll geantwortet haben: „Ich bin nicht gewohnt, meine eigenen
Opern zusammenzuflicken, und niemals die von anderen Komponisten. Sie werden
vielmehr sehen, dass ich genug Energie habe, Ihnen eine funkelnagelneue Oper in
vierzehn Tagen zu liefern! Ich gebe Ihnen mein Wort! So, und nun senden Sie
Romani her!“ Romani war der Librettist. Donizetti gab dem Textdichter von den
zwei Wochen eine zur Einrichtung des Textes. Interessant ist auch, was er dem
Textdichter sonst noch gesagt haben soll: „Es ist ein gutes Vorzeichen, mein
Freund, dass wir eine deutsche Primadonna, einen stotternden Tenor, einen französischen Bass, der nicht viel Wert ist, haben – wir müssen sie trotzdem respektieren.“ Sie sehen, Romani lieferte also nicht einfach ein Textbuch, er musste darin
bereits auf die Konstellation der Sängerinnen und Sänger Rücksicht nehmen. Die
Premiere fand statt am 12. Mai 1832 im Teatro della Cannobbiana, 32 Aufführungen folgten – „L’Elisir d’Amore“ wurde zu einem Welterfolg und ist von den Spielplänen der Opernhäuser nicht mehr wegzudenken.
Die Handlung der Oper ist denkbar einfach, aber das macht gerade ihren Charme
aus: Erster Akt: Nemorino ist in Adina verliebt, doch kann er sich niemandem anvertrauen, schon gar nicht seiner angebeteten Adina. Er ist voller Bewunderung
ihr gegenüber: Sie erscheint ihm gebildet, klug – und vor allem unendlich schön.
Er selbst hält sich jedoch für dumm und nicht liebenswert. Adina bemerkt von all
der Liebespein angeblich gar nichts und kümmert sich nur um ihre neueste Lektüre: Tristan und Isolde. Sie liest der Dorfgemeinschaft daraus vor, wie Tristan
sich in Isolde verliebt, diese ihn aber kaum bemerkt. Erst als ein Wundermann
kommt und den beiden einen Liebestrank verabreicht, werden sie unlösbar aneinander gekettet. Alle hoffen, man könnte doch diesen Wundermann und sein Rezept wieder finden. Da tritt der Sergeant Belcore auf, der mit seiner Truppe die
Gegend unsicher macht. Adina findet sofort Gefallen am schneidigen Sergeanten.
Belcore zögert nicht, Adina bei der ersten Begegnung sogleich einen Heiratsantrag
zu unterbreiten – morgen Hochzeit, übermorgen wieder aufs Schlachtfeld…. Sie
nimmt leichtsinnigerweise den Antrag auch gleich an. Die Soldateska hat immer
Eindruck gemacht auf das weibliche Geschlecht!
Nun muss Nemorino handeln: Er gibt sich einen Ruck und offenbart Adina seine
Liebe. Sie jedoch weist seine Gefühle zurück. Er solle sich lieber um seinen alten,
kranken, aber reichen Onkel kümmern.
Doch für Nemorino erscheint ein Hoffnungsschimmer am Horizont in der Person
des Quacksalbers Dulcamara, der nun auf der Szene erscheint. Er behauptet, mit
seinen Tränken alle Leiden der Welt heilen zu können. Nemorino erinnert sich an
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Gaetano Donizetti: L’elisir d‘amore
die Geschichte von Tristan und Isolde und erkundigt sich bei Dulcamara nach dem
Zaubertrank, in der Hoffnung, der Quacksalber sei der besagte Wundermann.
Dulcamara, der sich kein Geschäft entgehen lässt, verkauft dem überglücklichen
Nemorino einen Liebestrank. Er verspricht ihm, innerhalb eines Tages werde das
Ziel seiner Leidenschaft ihm gehören. Kaum hat Nemorino von dem Elixier getrunken – es ist gewöhnlicher Rotwein – steigt sein Selbstbewusstsein. Nun fürchtet
Nemorino auch nicht mehr die drohende Hochzeit Adinas. Die Wandlung in Nemorino löst in Adina aber nur Trotz aus. Sie weist ihn nun erst recht zurück, insgeheim
liebt sie ihn ja, aber das kann sie sich natürlich nicht zugestehen. Belcore und
Adina versichern sich ihrer vermeintlichen Liebe, Nemorino sieht dem gelassen zu,
da er ja weiss, dass Morgen sein Liebestrank wirken wird und er nichts mehr zu
befürchten hat. Da erhält Belcore den Befehl, am morgigen Tage abzureisen. Adina
willigt ein, ihn nun bereits heute und nicht erst Morgen zu heiraten. Nemorino ist
entsetzt, sieht er doch die Zeit zu seinen Ungunsten davonlaufen. Die endgültige
Wirkung des Liebestranks ist ihm ja erst auf den morgigen Tag hin zugesagt.
Zweiter Akt: Die Vorbereitungen zur Hochzeit von Adina und Belcore laufen auf
Hochtouren. Auch Dulcamara ist eingeladen. Er will eine kleine Barkarole mit Adina
zum Besten geben: Die Barcarole gestaltet – wie jene von Tristan und Isolde –
eine Begebenheit, welche die Situation von Nemorino und Adina kommentiert und
überhöht. Es ist die Geschichte von einem Senator, dem es nicht gelingt, die Gondoliera Nina zu einer Heirat zu bewegen. Die Gondoliera zieht den mittellosen
Jüngling Zanetto vor.
Nemorino kommt nun unter Zeitdruck. Er bittet Dulcamara um eine weitere Dosis
des Elixiers. Doch Dulcamara, der skrupellose Geschäftsmann – gibt ihm die zweite
Flasche Rotwein nicht mehr billig, er verlangt nun 20 Scudi dafür. Soviel besitzt
Nemorino nicht mehr. In seiner Not vertraut er sich sogar Belcore an. Der sieht
sofort die gute Möglichkeit sieht, seinen Gegenspieler aus dem Feld zu schlagen,
bietet Nemorino 20 Scudi dafür, dass er beim Militär oder bei den Carabinieri anheuert. Ohne Zögern geht Nemorino darauf ein. Er erhält das Geld und kauft sofort
das Wundermittel.
In diesem Moment verbreitet sich das Gerücht, Nemorino habe seinen gerade verstorbenen Onkel beerbt und sei nun reich. Jetzt wird er schlagartig zur guten Partie
und alle Frauen umschwärmen ihn! Nemorino weiss allerdings noch nichts von
seinem Glück, er führt das erstaunliche Verhalten der Dorfmädchen auf die gerade
erstandene und verzehrte Portion Elixier zurück. Adina, die von Nemorinos Reichtum auch noch nichts weiss, wird plötzlich misstrauisch und wundert sich, Nemorino von allen umschwärmt zu sehen. Dulcamara klärt sie geschäftstüchtig auf:
Sein Elixier bewirke dies alles, sie solle doch auch eine Flasche kaufen. Adina jedoch winkt ab. Sie verlässt sich lieber auf ihren Verstand. Adina erkennt, dass sie
mit Nemorino ein grausames Spiel treibt und dass sie ihr Liebesglück aufs Spiel
setzt. Endlich bekennt sie sich zu ihren Gefühlen zu Nemorino und kauft ihn von
der Militärpflicht frei. Sie löst ihre Bindung zu Belcore, dem nun nichts anderes
mehr übrigbleibt, als in den Krieg zu ziehen. Der überglückliche Nemorino führt
seinen unerwarteten Erfolg auf den Trank Dulcamaras zurück. Dieser reist ab, nicht
ohne noch einmal seine Wundertränke anzubieten, die nicht nur als Liebestrank
wirken, sondern zugleich offensichtlich auch noch reich machen.
Obwohl Romani nur gerade eine Woche Zeit hatte, das Textbuch zu verfassen, hat
es bei aller Einfachheit durchaus auch literarische Qualitäten. Felice Romani war
einer der bedeutendsten Textdichter Italiens. Er hat mit Rossini und auch mit dem
jungen Verdi zusammen gearbeitet. Die Fabel der Oper ist zwar nicht von ihm, er
übernimmt die Geschichte vom Franzosen Eugène Scribe; trotzdem: es zeigt sein
grosses Können, wie er es schafft, dem Hauptgegenstand seiner Oper – dem Liebestrank eben – treu zu bleiben. Nemorino bleibt bis zum Schluss im Glauben, sein
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Gaetano Donizetti: L’elisir d‘amore
ganzes Glück sei nur dem Liebestrank zu verdanken. Romani geht auch weit über
die Typenkomödie hinaus – nicht der Liebestrank bewirkt Nemorinos Glück, nicht
Dulcamara, sondern es ist Adina, die von der zickigen Komödienfigur zur reifen
Frau wird, welche die Ernsthaftigkeit Nemorinos zu schätzen beginnt. Auch wie
Romani zweimal seine eigene Geschichte überhöht, durch die Einbindung der Sage
von Tristan und Isolde und durch die Barcarole vom Senator und der Gondoliera,
zeigt sein Können. Die Geschichte ist ja sehr simpel und ein weniger begabter
Librettist hätte wohl einfach eine derbe Komödie daraus gemacht. Romani aber
liefert keine Gags, es ist ihm letztlich um die Menschen und ihre Entwicklung zu
tun. Der Librettist Romani musste ein Könner sein, sonst hätte es Donizetti nie
geschafft, in vierzehn Tagen die Oper zu schreiben. Ein Operntext ist nicht einfach
ein Theaterstück, er folgt anderen Regeln, er muss bereits musikalisch durchdacht
sein, die Musik gleichsam antizipieren, er muss die mögliche musikalische Wirkung
bereits im Auge haben. Es muss dem Komponisten die Möglichkeiten offen lassen,
sich zu entfalten.
Kommen wir, meine Damen und Herren, nun endlich zur Musik und zur Komposition in einigen Einzelheiten. Hier wollen wir uns mit einigen Hinweisen begnügen,
Musik kann man nicht erzählen! Ich kann Ihnen einen kurzen geschichtlichen Rückblick nicht ganz ersparen. Es ist mir bei der Vorbereitung dieser Einführung wieder
bewusst geworden, wie untrennbar die italienische Oper des 19. Jahrhunderts mit
ihrer Sozialgeschichte verbunden ist. Aufführungspraxis, Unternehmertum und
Unterhaltungsindustrie bestimmen Inhalt und Machart der Oper stark. Ich kann
das nicht genug betonen, weil es heute völlig anders ist. Die Oper und der Opernbetrieb, wie wir sie heute kennen, entsteht erst mit dem Aufkommen des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es ist das heute eher belächelte
Bildungsbürgertum, welches Oper und Theater zu einem hehren Ort der Bildung
macht.
„L‘elisir d’amore“ ist eine späte Form der Opera buffa. Donizetti ist der letzte Meister der Opera buffa, jener Gattung, die Gioachino Rossini mit dem „Barbier von
Sevilla“ 1816 zur Vollendung geführt hatte. Donizetti gelingt es, diese Form noch
einmal aufzugreifen und mit dem „Liebestrank“ und vor allem mit dem „Don Pasquale“ zu einer späten Blüte zu bringen.
Die Opera buffa entwickelt sich aus der neapolitanischen Opera seria, also aus der
ernsten Oper. Die Opera seria ist die Oper des 18. Jahrhunderts. Sie ist eine
Adelsoper, gespielt in den Hoftheatern, nicht in der Unternehmeroper, sie zeigt
Sinnbilder des menschlichen Seins, grosse Tragik der Götter und Könige. Die Mythologie ist ihre Welt, in der sich Adel bespiegelt. Sie war nicht als Unterhaltung
gedacht. Für unsere Begriffe ist sie steif und unnatürlich, vor allem, wenn wir bedenken, dass die Hauptrollen darin von Kastraten, männlichen Sopranen, gesungen wurden. Zwar soll der Klang einer Kastratenstimme berückend und einzigartig
gewesen sein, doch dass in der Opera seria bei Händel zum Beispiel Julius Cäsar
von einem Sopran verkörpert und gesungen wird, ist uns heute fremd.
Als Gegenstück zur Opera seria entwickelte sich die Opera buffa: Zuerst wurden
einzelne lustige Szenen in die grosse Tragik der Seria eingefügt, später wurde
daraus die abendfüllende Opera buffa.
Die Buffa greift alltägliche Situationen auf, sie dient der Unterhaltung und ist damit
ein typisches Kind der Unternehmeroper. Die Handlung der Buffa geht aus von der
„Commedia dell’arte“, der italienischen Stegreifkomödie mit ihren typisierten Figuren, mit denen man unzählige Handlungen improvisieren konnte.
Von den Opere buffe kennen wir heute die Meisterwerke von Mozart und von Rossini; doch das sind eben Meisterwerke, die in ihrer Grösse und Bedeutung nur
bedingt repräsentativ sind für die Geschichte der Oper. Wolfgang Amadeus Mozart
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ist gleichsam der Vollender der Opera buffa, er deutet die Figuren klassisch aus
und macht sie zu Individuen, Gioacchino Rossini ist der Höhepunkt der künstlerischen Mittel der Opera buffa und Donizetti ist vielleicht ihr später Vollender.
Die Opera seria hat musikalisch ein klares Schema: Rezitativ und Arie. Das Rezitativ war musikalisch einfach, oft auch nur improvisiert, der Komponist gab die
Harmonien an, mehr nicht. Begleitet wurde das Rezitativ vom Cembalo. Diese Rezitative nennt man Secco-Rezitative, secco heisst „trocken“, also ohne Orchester.
In diesen Rezitativen findet die Handlung der Oper statt. Hier wird agiert, hier
herrscht Bewegung hier „geht es weiter.“ Nach dem typischen Rezitativschluss Dominante – Tonika beginnt die Arie. Die Arie steht in der Seria ausserhalb der Handlung. Der Sänger tritt an die Rampe, verlässt also gleichsam das Spiel und singt
seine Arie, wie ein Instrumentalsolist. Die Arie handelt von hohen Leidenschaften,
von tragischen Verwicklungen, von Liebe und Tod und menschlicher Grösse. Wenn
sie fertig ist, tritt er wieder zurück in die Handlung, ins Spiel zum nächsten Rezitativ. Dieses Schema ist geeignet für mythologische Stoffe, wenn Götter und Könige agieren und musikalisch über das Leben nachdenken. Die Buffa nun aber will
unterhalten, ihr Stoff stammt aus dem Alltag, sie nährt sich von der Commedia
dell’ arte mit ihren Typen: dem vertrottelten Alten, dem listigen Diener, der raffinierten Magd. Mit diesen Figuren ein einleuchtendes Stück zu machen, da ist die
Form Rezitativ und Arie völlig ungeeignet. Da muss man die Arie und die hohe
Tragik, die darin zum Ausdruck gebracht wird, ernst nehmen können. Wenn der
vertrottelte Alte eine Arie im Stil der Seria singt, kann das nur noch einen komischen Zweck haben. Die Entwicklung, die nun beginnt, ist klar: die Buffa löst das
starre Schema, Rezitativ und Arie = Handlung und Kontemplation, allmählich auf.
D.h. die Handlung zieht sich in die Musik hinein, sie geht über das Rezitativ hinaus.
Das ist in der Musikentwicklung ein gewaltiger Schritt. Konnte die Musik in der
Seria einfach schön und eindringlich sein, musste sie in der Buffa selber gleichsam
zu handeln beginnen! Sie muss sich der Situation auf der Bühne anpassen, sie
muss das, was da geschieht, direkt einbeziehen, kommentieren, ausdrücken. Die
Arie verliert damit mehr und mehr an Bedeutung, auch die Arie wird in die Handlung einbezogen, ist nicht einfach mehr reflektierend, obwohl sie diesen Charakter
behält. Die Oper wird als Ganzes dynamisch, das ist der grosse Schritt von der
Seria zur Buffa. Die Seria stellt das Gefühl dar, die Buffa ist das Gefühl.
Da haben Sie nun den Liebestrank ganz. Donizettis Musik ist handelnd, nicht ausdeutend! Die Musik handelt und sie handelt atemberaubend. Es ist nicht die musikalische Entwicklung, die thematische und motivische Arbeit, die Differenzierung,
die den Erfolg ausmacht, es ist die direkte musikalische Handlung.
Eine Musik, die handelt, das hat nun klar formale Folgen! Es ist nicht der Sonatensatz, der entwickelnde, der im Vordergrund steht, nicht die Durchführung, die bei
Mozart ein Abbild ist der menschlichen Entwicklung. Die Buffa ist eine Nummernoper. Das heisst, sie unterteilt in klare musikalische Abschnitte, in die sogenannten
Nummern, die in sich geschlossen sind. Verbunden werden sie durch Rezitative.
Musikalisch wird die Buffa durch zwei Elemente bestimmt: Wie die Figuren aus
dem Volk stammen, nicht Könige sind und Götter, so kommt auch die einfache
Volksweise, das Volkslied, in der Buffa zum Zuge. Es ist der Achttakter mit Vordersatz und Nachsatz, wie in einem Kinderlied. Sie können das heute Abend sehr
gut in der Auftrittsarie des Nemorino hören „Quanto è bella, quanto è cara“. Sie
ist äusserlich ein einfaches Lied im Volksliedton. Aber nur äusserlich, wie wir noch
sehen werden.
Ein zweites Element der Buffa ist die Steigerung und das Parlando. Was volksliedhaft beginnt, wird im weiteren verlaufe bis zum Schluss der Nummer immens gesteigert. Ein kleines szenisches Motiv löst sich aus dem Volksliedhaften es wird
wiederholt, variiert, sequenziert, melodisch verändert, lauter und leiser, diesem,
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Gaetano Donizetti: L’elisir d‘amore
dann jenem Instrument zugeordnet, die anderen Sänger setzen ein, der Chor –
und alles drängt hin zu einem fulminanten Schluss der Nummer. Die Steigerung
ist eine Art Kettenreaktion. Das ist das Geheimnis der Wirkung: Durch die ständige
Wiederholung ergibt sich eine drängende, vorwärts stürmende Motorik, die uns
Zuschauer in den Bann schlägt und elektrisiert. Das kleine Motiv setzt sich - wie
eben in der Kettenreaktion – fort und entzündet sich selbst wieder in der nächsten
Wiederholung. Die Steigerung wird noch eindrücklicher durch das Parlando, eine
Art Sprechgesang. Auf jede Note fällt eine Silbe des Textes. Bei einem rasenden
Tempo steigert das Parlando die Steigerung noch einmal gewaltig. Sie werden es
vor allem bei Dulcamara und Belcore hören.
Die italienische Oper ist immer auf Wirkung bedacht, nie auf Analyse. Donizetti ist
ein Meister der Wirkung, darum ist es ihm zu tun. Er erreicht die Wirkung folgendermassen. Ich erkläre es Ihnen anhand der bereits erwähnten Auftrittsarie des
Nemorino. Nemorino ist sterblich verliebt in Adina, aber sie scheint ihm unerreichbar, weil sie so gebildet ist und lesen kann, während er ein ungebildeter Bauer ist,
„io son sempre un idiota, io non so che sospirar“ – ich bin immer ein Trottel, ich
kann nichts als seufzen!“ Nach einer ganz kurzen Einleitung von vier Takten singt
Nemorino seine Cavatina oder Arie, ein einfaches dreiteiliges Lied, mit einem wirkungsvollen Mittelteil, in dem das Orchester zwei Takte Generalpause hat, damit
der Wiedereinsatz umso wirkungsvoller ausfällt. Dann folgt die Wiederholung des
Liedes mit einer Schlusskadenz. In diesem Moment ergibt sich für den Komponisten ein Problem. Die Arie oder Cavatina ist immer etwas Beschauliches, Kontemplatives. Nemorino denkt über seine Situation nach. Damit kommt die Handlung
zum Stillstand, es geht nicht mehr weiter. Das ist ein Problem, das bereits der
Textdichter im Auge haben musste. Irgendwie muss man wieder in die Handlung
hineinkommen. Das geschieht nun, indem eine Nebenfigur auftritt und irgendetwas ins Spiel bringt, das den Primo Uomo wieder in die Handlung hineinbringt. Hier
ist es das Landmädchen Gianetta, das vom kühlen Quell spricht, der bei der Hitze
Erquickung verspricht. Damit lässt sich nun mit dem Chor der Landleute und
Nemorino etwas machen, es erfolgt eine grosse Steigerung in eine Art Finale, in
dem Nemorino mit der Banalität getröstet wird, dass nur derjenige heiter sein
kann, der der Liebe Macht entsagt.
Wir haben also folgendes Schema: Liedhafte Arie und dann ungeheure Steigerung
durch den Chor. Dieses Schema wendet Donizetti immer wieder an. In der Auftrittsarie des Belcoro, die mit einem martialischen Auftakt beginnt. Dann Belcores
Cavatina, dann folgt die gewaltige Steigerung durch Vermehrung der Stimmen,
zuerst Belcore im Quartett mit Adina, Nemorino und Gianetta, dann mit dem Chor
zu einer hinreissenden Stretta.
Aber Donizetti wusste wohl, dass man mit Steigerungen sparsam sein muss. Eine
Oper braucht auch Ruhepunkte. Donizetti bestand deshalb, vor dem guten Ende
eine ruhende Arie – Donizetti nennt sie Romanze – einzusetzen. „Una furtiva
lacrima“ – einer verstohlene Träne. Sie ist eine der berühmtesten Tenorarien der
ganzen italienischen Oper geworden. Ich möchte sie zum Schluss ein weniger genauer anschauen, Ihnen zu zeigen, wie differenziert Donizetti komponiert hat. Von
der Form her ist die Romanze ein einfaches Lied, ein Strophenlied. Schon das Vorspiel ist aber aussergewöhnlich. Harfe und Fagott – das wirkt ambivalent, komisch
und geheimnisvoll zugleich. Ambivalenz auch im Tongeschlecht, die Romanze
schwankt zwischen Dur und Moll, geht in der ersten Strophe von b-moll nach Fdur, dann nach Des-dur. Das tönt kompliziert, aber ich bin überzeugt, wenn Sie
die Arie hören, gibt es am Ende der ersten Strophe einen Moment, in welchem Sie
aufhorchen werden, das ist der Moment, in dem Donizetti in die entfernte Tonart
F-Dur geht. Die zweite Strophe verzichtet auf diesen Tonartenwechsel. Auch das
werden Sie intuitiv hören. Zudem ist die Romanze auch voller Ironie: Nemorino,
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Gaetano Donizetti: L’elisir d‘amore
der sich zu Beginn der Oper als Trottel bezeichnet hat, erscheint hier als der grosse
Liebende, der mit Adina Tristans Liebestod sterben möchte. Dabei kann man sich
ja etwa vorstellen, was aus dieser grossen Liebe auf dem Lande werden wird. Das
Fagott mit seiner latent komischen Klangfarbe verhindert, dass wir uns im Romantischen ganz verlieren. Trotzdem: Die Romanze löst Adina aus ihrer Rolle der Spötterin, sie wird gleichsam durch diese Arie zu Liebenden.
Es sind dies, meine Damen und Herren, bloss ein paar Hinweise. Musik lässt sich,
wie gesagt, nicht erzählen und die Analyse bleibt zum Glück immer hinter der
Wirkung zurück.
Mit dem Elisir d’amore und dem Don Pasquale schliesst Donizetti die Geschichte
der Opera buffa endgültig ab. In einer Beziehung gelingt es Donizetti sogar über
den König der Opera buffa, Rossini, hinauszugelangen. Er gelingt ihm, dem
Schwank und dem Klamauk das ernsthafte, echte Gefühl beizugesellen. Nemorino
ist nicht nur der Dorftrottel, der einfach Glück hat und Adina ist nicht nur die zickige
reiche Tochter. Beide sind auch Menschen, nicht nur Figuren. Sie entwickeln sich,
werden von Typen zu Individuen. So genial Rossinis Barbier von Sevilla ist, seine
Figuren bleiben Typen, sie entwickeln sich nicht. Donizettis Figuren entwickeln
sich, wir lachen nicht mehr über sie, sondern mit ihnen. Darin liegt das Geheimnis
des Erfolgs des „Liebestranks“.
Gartenoper 2012
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