Broschüre - AlliiertenMuseum

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D eut sc he J u d en i m D i ens t d e r A l l i i e rt e n
Werner Tom Angress / Ernst Cramer / Alfred Döblin
Stefan Doernberg / Stefan Heym / Henry Kissinger
Hans Neumann / Geoffrey Perry / Julius Posener
Walter Reed / Manfred Steinfeld / Guy Stern
Celia Treitel / Erwin Weinberg
LESEHE F T
Das Leseheft versammelt alle
Texte der Sonderausstellung
D e u t s c h e Ju d e n i m D i e n s t de r Al l i i e rt e n
im AlliiertenMuseum, Berlin
15. März – 1. Dezember 2013
Deutsche Ju d en im Dienst d er Alliierten
Im Themenjahr „Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933-1938-1945“ zeigt
das AlliiertenMuseum eine Ausstellung über ein kaum bekanntes
Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte. Während dem nationalsozialistischen Rassenwahn über sechs Millionen europäische
Juden zum Opfer fielen, gelang es rund 30 000 der Verfolgten aus
dem Deutschen Reich zu fliehen. Nicht wenige von ihnen kehrten
im Zweiten Weltkrieg im Dienst der Alliierten nach Europa zurück.
Auch deutsche Juden landeten an den Stränden der Normandie,
kämpften an der Front, befreiten Konzentrationslager, arbeiteten
in den Militärverwaltungen der vier Besatzungsmächte und gestalteten die politische Zukunft Deutschlands mit. Sie waren für Entnazifizierung und Reeducation zuständig und bauten ein demokratisches Rundfunk- und Pressewesen auf.
Nach Kriegsende kehrten die Meisten Deutschland für immer den
Rücken, manche setzten sich für Versöhnung ein. Nur wenige
entschlossen sich zu bleiben.
Die Sonderausstellung veranschaulicht vierzehn bewegte und bewegende Biographien, welche die Erzählungen über Leid und
Opfer deutscher Juden im Zeichen nationalsozialistischer Vernichtungspolitik ergänzen. Originalexponate, Fotografien und Zeitzeugeninterviews lassen die denkwürdigen Schicksale lebendig
werden.
FLUCHT UND EMIGRATION
U nmittelbar nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 begann die Verfolgung und Verhaftung von Juden und
anderen „Feinden“ des Nationalsozialismus. Sehr bald entstanden erste Konzentrationslager. Die diskriminierenden „Nürnberger Rasse-Gesetze“ von 1935 machten das Leben für Juden in
Deutschland vollends unerträglich.
Z wischen 1933 und 1938 gab es deshalb die größten Flüchtlingswellen aus dem Deutschen Reich. Je mehr Zeit verstrich, desto
schwieriger wurde es allerdings zu fliehen. Spätestens nach den
Novemberpogromen von 1938 war offenkundig, dass Juden in
Deutschland in Lebensgefahr waren. Doch eine Emigration war
kostspielig und mit vielen bürokratischen Hindernissen verbunden. Sämtliches Eigentum und Vermögen musste zurück gelassen
werden, so dass die meisten deutschen Juden mittellos in der Fremde ankamen. Eine Auswanderung war mit Statusverlust verbunden;
Arbeit zu finden, war im Exil oft sehr schwierig. Selbst jüdische
Familien, die – trotz weitgehender Berufsverbote – Rücklagen gebildet hatten, konnten oft nur einem ihrer Kinder die Flucht ermöglichen, die zunächst vielfach in europäische Nachbarländer führte.
D ie Konferenz von Evian 1938, in der darüber diskutiert wurde,
wie den Juden im Deutschen Reich geholfen werden könnte, zeigte
jedoch, dass sich die Aufnahmebereitschaft der meisten Staaten in
Grenzen hielt. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges gab es nur
wenige Länder, in denen Juden in Sicherheit waren.
LEBEN IM EXIL
F lüchtlinge versuchten zunächst bei Verwandten oder Bekannten
unterzukommen, die bei den Behörden für die Neuankömmlinge
bürgen mussten. Oftmals fehlende Sprachkenntnisse erschwerten
die Eingewöhnung. Nicht wenige der jüngeren Flüchtlinge verdienten sich tagsüber mit kleinen Jobs etwas Geld und besuchten abends
eine Schule. Ältere Flüchtlinge konnten ihren erlernten Beruf häufig nicht mehr ausüben und hatten in der Fremde größte Schwierigkeiten. Fast niemand wusste, ob er zur dauerhaften Emigration
gezwungen oder vorübergehend im Exil war.
O bwohl deutsche Juden Verfolgte des NS-Staates waren, galten sie
nach Kriegsbeginn 1939 vor allem in den Staaten des Commonwealth und den USA als „Enemy Aliens“ – als feindliche Ausländer.
In Großbritannien, Kanada und Australien führte dies zu Verhaftungen und sogar Internierungen. In den USA, erst seit 1941 im
Krieg gegen NS-Deutschland und seine Verbündeten, wurde eine
öffentliche Debatte über den Umgang mit „Enemy Aliens“ geführt.
Internierungen blieben zwar aus, aber Skepsis und Misstrauen gegenüber deutsch-jüdischen Emigranten blieben groß. Erst im weiteren Kriegsverlauf erkannte man, dass sie für den Kampf gegen
NS-Deutschland unverzichtbar waren. In den von der deutschen
Wehrmacht besetzten Ländern wie Frankreich war das Leben der
Juden weiterhin in Gefahr. Selbst im unbesetzten Frankreich wurden sie verfolgt.
In alliierten Diensten
D ie Angst vor Spionage und Sabotage durch deutsch-jüdische
Flüchtlinge war in Großbritannien so groß, dass man sich erst spät
entschloss, diese Gruppe zu rekrutieren oder sie freiwillig dienen
zu lassen. Allerdings entschied man, sie nicht zu bewaffnen. Somit
wurde das „Schaufelregiment“ zur Heimat aller bisherigen „Enemy
Aliens“. Der Versetzung zu den Pionieren entsprach bei den USStreitkräften die Verwendung deutsch-jüdischer Flüchtlinge als unbewaffnete Sanitäter. Erst ab 1943 dienten deutsche Juden in allen
bewaffneten Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition.
A lliierte Geheimdienste und Propagandaabteilungen setzten
deutsche Juden vielfach als Übersetzer, Analysten und Verhörspezialisten ein. Besonders die „Ritchie Boys“ – benannt nach Camp
Ritchie in Maryland, wo sie ausgebildet wurden – erlangten Berühmtheit. Zu ihnen zählten überwiegend europäische Flüchtlinge,
darunter viele deutschen Juden. Schriftsteller, Theaterregisseure,
Akademiker und Intellektuelle entwickelten bei den „Ritchie Boys“
ihre eigenen Methoden der psychologischen Kriegführung gegen
den Faschismus.
A uch die britischen Streitkräfte, de Gaulles Armee des „Freien
Frankreich“ und die Rote Armee machten sich das Know-how der
Flüchtlinge zunutze, die Flugblätter, Zeitungen und Rundfunksendungen produzierten und so versuchten, deutsche Wehrmachtssoldaten zur Kapitulation zu bewegen.
Nach 1945:
bleiben, gehen, remigrieren?
F ür die meisten deutsch-jüdischen Flüchtlinge, die in der Endphase
des Zweiten Weltkriegs 1944/45 im Dienst der Alliierten nach
Deutschland zurück kamen, war eine Zukunft im Land der Täter
nicht vorstellbar. Vielfach bereits im Kindesalter geflohen, verstanden sich die Befreier inzwischen als Angehörige jener Nation, für
die sie in den Kampf gezogen waren. Vor allem das Wissen um die
nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen und oftmals auch
um die Ermordung ihrer Familien im Holocaust zerstörte jegliches
Heimatgefühl.
W ährend der alliierten Besetzung Deutschlands waren zahlreiche
Juden für die Militärregierungen in den vier Zonen tätig. Nicht
wenige zeigten sich enttäuscht, als die Anti-Hitler-Koalition zerfiel
und der beginnende Kalte Krieg dazu führte, dass die Alliierten mit
dem ehemaligen Feind kooperierten und sogar NS-Mitläufer für
die Rüstungsindustrie rekrutierten.
W er in Deutschland blieb, sah sich meist mit dem Unverständnis anderer Emigranten ausgesetzt. Die Motive für eine Rückkehr waren
unterschiedlich. Manche wussten nicht, wohin sie gehörten. Andere
wollten an der Gestaltung eines besseren Deutschland mitwirken.
Den Rückkehrern ist es mit zu verdanken, dass jüdisches Leben in
Deutschland nach 1945 wieder Wurzeln schlug.
V or k rieg s z eit
Werner Karl Angress erlebte bis 1936 eine unbekümmerte Kindheit in Berlin. Als die
Situation für Juden immer bedrohlicher wurde, bereitete er sich auf dem Auswandererlehrgut Groß Breesen (Schlesien) mit landwirtschaftlichen Kursen auf ein Leben in
Palästina vor. 1937 flüchtete Angress nach Amsterdam, dann in die USA. Seine Mutter
und zwei Brüder konnten sich in Holland verstecken. Als er 1940 US-Staatsbürger wurde,
nannte er sich mit zweitem Vornamen nach Mark Twains Romanheld Tom Sawyer.
Krieg s z eit
W. Angress verpflichtete sich 1941 freiwillig. In Camp Ritchie, Maryland, wurde er zum
Verhörexperten für Kriegsgefangene geschult. In der Nacht des „D-Day“, am 6. Juni 1944,
sprang er mit der 82. US-Luftlandedivison über der Normandie ab. Auf der Suche nach
seinen versprengten Kameraden geriet er in deutsche Gefangenschaft, doch vorrückende US-Truppen befreiten ihn wieder. W. Angress kämpfte in Frankreich, den Benelux-Ländern und im Deutschen Reich. 1945 betrachtete er die Mehrheit der deutschen
Bevölkerung als einen „verdorbenen Haufen“. Im Schlosspark Ludwigslust war er am 7.
Mai 1945 Zeuge, als 200 tote Häftlinge des kurz zuvor befreiten Konzentrationslagers
Wöbbelin, begraben wurden. Zuletzt verhörte W. Angress SS-Soldaten. Er verzichtete
auf eine Beförderung, um Deutschland und den Krieg so schnell wie möglich hinter
sich zu lassen.
B iografi s che Stationen
1920
In Berlin geboren
1937-1939
Flucht über Amsterdam
und England in die USA
1941
Eintritt in die US-Armee
1943
Versetzung nach
Camp Ritchie
Dieser Staat, diese
Nation hat ihr Existenzrecht verwirkt.
© Dependance des Archivs des Leo Baeck Institutes
am Jüdischen Museum Berlin, Schenkung von Werner Tom Angress
Werner Tom Angress als Feldwebel der 82. US-Luftlandeeinheit.
Juli 1944
N ach k rieg s z eit
Auf der Suche nach seiner Familie, die in Holland untergetaucht war, fand W. Angress
am 13. Mai 1945 – es war Muttertag – seine Mutter und beide Brüder wieder. Der Vater
war in Auschwitz ermordet worden. Nach Rückkehr in die USA begann er eine Laufbahn als Historiker und Hochschullehrer. Später reiste er wiederholt nach Deutschland,
bis er sich im Alter von fast 70 Jahren entschloss, an seinen Geburtsort Berlin zurückzukehren. Bis zu seinem Tod berichtete Werner Angress an vielen Schulen über sein
wechselvolles Leben.
1944
Fallschirmabsprung am
„D-Day“ in der Normandie
1945
Rückkehr in die USA
1988
Remigration nach Berlin
2010
In Berlin gestorben
V or k rieg s z eit
Ernst Cramer war 1933 Mitbegründer des Bundes deutsch-jüdischer Jugend, aus
dem später das Auswandererlehrgut Groß Breesen (Schlesien) hervorging. Junge, oft
städtische Juden bereiteten sich dort auf landwirtschaftliche Arbeit im Ausland vor.
E. Cramer war Assistent der Gutsleitung. Nach den Novemberpogromen wurde er verschleppt und im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Ein bereits vorhandenes
Visum war lebensrettend und ebnete ihm den Weg in die USA. Aus seiner Familie überlebte nur seine Schwester den Holocaust.
Krieg s z eit
Nach der deutschen Kriegserklärung an die USA meldete sich E. Cramer 1941 freiwillig
zur Armee. Obwohl man deutschen Flüchtlingen misstraute und sie oft der Spionage
verdächtigte, wurde er 1942 eingezogen. Wie viele deutsche Juden fand er in der psychologischen Kriegführung Verwendung. Am 8. Juni 1944 landete er in der Normandie.
Im April 1945 besichtigte er das kurz zuvor befreite Konzentrationslager Buchenwald.
Der tiefe Schock über das Gesehene bewegte ihn zu bleiben. E. Cramer wollte mithelfen, ein besseres und gerechteres Deutschland wiederaufzubauen.
N ach k rieg s z eit
Nach 1945 war er mehrere Jahre stellvertretender Chefredakteur bei der von der USBesatzungsmacht herausgegebenen „Neuen Zeitung“. E. Cramer zählte zu jenen Offizieren, die sich nachhaltig um eine pluralistische Presselandschaft verdient machten.
Von 1958 an bestimmte er in Berlin die Geschicke des Axel Springer Verlags mit: in der
B iografi s che Stationen
1913
In Augsburg geboren
1938
Auswanderer-Lehrgut Groß
Breesen / deportation ins
KZ Buchenwald
1938
Flucht in die USA
1941
Freiwilliger Kriegsdienst
Nach dem Furchtbaren, das wir gesehen
haben, finde ich, es
ist nahezu meine Pflicht
hierzubleiben.
© privat
Eine der wenigen überlieferten Aufnahmen von Ernst Cramer
als Soldat. Camp Ripley, Minnesota, 1942
Chefredaktion der „Welt“, als Herausgeber der „Welt am Sonntag“ und als Vorstandsvorsitzender der Springer Stiftung. Zeit seines Lebens setzte sich Ernst Cramer für die
Aussöhnung zwischen Israel und Deutschland ein. In beiden Ländern wurden ihm
Auszeichnungen und Würdigungen zuteil.
1945
Besichtigung des befreiten
KZ Buchenwald
1948-1954
Presseoffizier und Redakteur
der „Neuen Zeitung“
1958
Wechsel zum Axel
Springer Verlag
2010
In Berlin gestorben
V or k rieg s z eit
Alfred Döblin entstammte einer bürgerlichen jüdischen Familie. Er begann eine Laufbahn als Nervenarzt und war im Ersten Weltkrieg an der Westfront im Einsatz. Sein
Romanerfolg „Berlin Alexanderplatz“ machte ihn zu einem einflussreichen Schriftsteller der Weimarer Republik, was ihn nicht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten schützte. Im Februar 1933 flüchtete A. Döblin über Zürich nach Paris und
nahm 1936 die französische Staatsbürgerschaft an.
Krieg s z eit
Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen 1939 war A. Döblin beim französischen
Propagandaministerium tätig. Er verfasste Flugblätter, die sich an deutsche Soldaten
richteten. Als Paris von deutschen Truppen besetzt wurde, floh er mit seiner Frau nach
Südfrankreich und setzte sich über Lissabon schließlich in die USA ab. In Hollywood
verdingte sich Döblin erfolglos als Drehbuchautor.
N ach k rieg s z eit
Der politisch links orientierte Schriftsteller kehrte im November 1945 in französischer Offiziersuniform nach Deutschland zurück. Als Literaturinspekteur der Militärregierung in Baden-Baden und Mainz oblag ihm die inhaltliche Prüfung von
Manuskripten deutscher Autoren. A. Döblin baute den Südwestdeutschen Rundfunk
(SWR) mit auf und führte an der Akademie der Wissenschaften und Literatur eine
Literaturklasse ein. Als Herausgeber der von den Franzosen finanzierten, literarischen
B iografi s che Stationen
1918
In Stettin geboren
1914-1918
Lazarettarzt im Heer des
Deutschen Kaiserreichs
1933
Flucht nach
Frankreich
1936
Einbürgerung
1939
In Diensten des
französischen
Propagandaministeriums
Und als ich
wiederkam, da – kam
ich nicht wieder.
© Deutsches Literaturarchiv Marbach
Der Literaturinspekteur der französischen Besatzungsmacht
Alfred Döblin. Um 1947
Monatszeitschrift „Das goldene Tor“ beanspruchte A. Döblin nicht weniger, als in
Deutschland „die Menschheit“ wiederherzustellen. Von den politischen Entwicklungen
enttäuscht, kehrte er dem Land 1953 erneut den Rücken. Für Klinikaufenthalte kam er
jedoch mehrmals nach Deutschland zurück. Alfred Döblin starb 1957 bei Freiburg i. Br.
an den Folgen einer Parkinson-Krankheit.
1940
Flucht in die USA
1945
Beauftragter der französischen
Militärregierung in Deutschland
1953
Rückkehr nach
Frankreich
1957
In Emmendingen während
eines Klinikaufenthalts
gestorben
V or k rieg s z eit
Stefan Doernberg wurde als Sohn eines jüdischen KPD-Funktionärs geboren. Er war 11
Jahre alt, als seine Eltern 1935 mit ihm nach Moskau emigrierten. Mit 15 trat er dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands bei, der im Deutschen Reich im politischen
Untergrund agierte. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion
meldete er sich freiwillig zur Roten Armee.
Krieg s z eit
St. Doernberg nahm an Kämpfen in der Ukraine, in Polen und im April/Mai 1945 an der
Schlacht um Berlin teil. An den Fronten stellte er Flugblätter her und schrieb Aufrufe,
die per Lautsprecher übertragen wurden. Deutsche Wehrmachtssoldaten zur Kapitulation zu bewegen, gelang der sowjetischen Propaganda allerdings selten. Am 2. Mai
1945 übersetzte St. Doernberg für seinen Stab den Aufruf von Wehrmachtsgeneral
Weidling, dem Befehlshaber des Berliner Verteidigungsbereichs, an dessen Truppen in
Berlin, die Kampfhandlungen einzustellen.
N ach k rieg s z eit
Von 1946 bis 1950 diente St. Doernberg bei der Sowjetischen Militäradministration
Mecklenburg. Er war Dolmetscher und außenpolitischer Redakteur der von der Besatzungsmacht herausgegebenen „Täglichen Rundschau“, dem Gegenstück zur amerikanischen „Neuen Zeitung“. In diesen Jahren absolvierte er auch ein Fernstudium der
Geschichte und übernahm 1955 in Ost-Berlin einen Lehrstuhl. St. Doernbergs Wirken
blieb herausragend und einflussreich: als kritischer Historiker widmete er sich vor
B iografi s che Stationen
1924
In Berlin geboren
1935
Emigration in die
Sowjetunion
1939
Mitglied im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands
1941
Eintritt in die
Rote Armee
1945/1946
Dienst bei der
Sowjetischen Militäradministration
Mecklenburg
Ich war ja nicht
gegen Deutsche,
ich war gegen
Faschisten, das ist
etwas anderes.
© privat
Stefan Doernberg als junger Offizier der Roten Armee. 1945
allem friedenspolitischen Themen. Im Entspannungsprozess zwischen Ost und West,
der 1975 bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zur
„Schlussakte von Helsinki“ führte, war er DDR-Repräsentant des „Helsinki-Komitees“.
Ab 1982 vertrat er die DDR als Botschafter in Finnland. Stefan Doernberg gilt als wichtiger Vertreter der Zeitgeschichte in der DDR.
1946-1950
Außenpolitischer
Redakteur
1955
Lehrstuhl für Allgemeine
Geschichte am Institut für
Gesellschaftswissenschaften
in Ost-Berlin
1982-1987
Botschafter der DDR
in Finnland
2010
In Berlin gestorben
vormals
HELMUT F LIEG
V or k rieg s z eit
Der Chemnitzer Helmut Flieg veröffentlichte 1932 ein antimilitaristisches Gedicht und
handelte sich damit eine Auseinandersetzung mit der örtlichen NSDAP und einen
Schulverweis ein. Sein Abitur legte er in Berlin ab. Der NS-Terror nach dem Reichstagsbrand 1933 ließ ihn nach Prag flüchten und seinen Namen ändern. Dank eines Stipendiums konnte er in Chicago studieren und promovieren. In New York war er Chefredakteur des „Deutschen Volksecho“. Sein erster Roman „Hostages“ machte ihn in den
USA bekannt.
Krieg s z eit
1943, im Jahr seiner Einbürgerung, wurde St. Heym zur US-Armee eingezogen und in
Camp Ritchie, Maryland, für die psychologische Kriegführung ausgebildet. Während
der alliierten Invasion in Nordfrankreich schrieb er für die „Frontpost“, die hinter
die deutschen Linien geschossen wurde. Nach der Eroberung des Senders Radio
Luxemburg gestaltete er dessen Programm mit, das bis weit ins Deutsche Reich ausgestrahlt wurde.
N ach k rieg s z eit
1945 wurde St. Heym Presseoffizier bei der von der US-Besatzungsmacht herausgegebenen „Ruhr-Zeitung“ und der „Neuen Zeitung“. Prosowjetisch eingestellt, eckte
er jedoch bald an. Als Schriftsteller kehrte er in die USA zurück. Antikommunistische
Auswüchse der „McCarthy-Ära“ veranlassten ihn erneut zur Flucht. 1953 remigrierte er
B iografi s che Stationen
1913
In Chemnitz geboren
1933
Flucht nach Prag
/Namensänderung
1935
Studium in den USA
1937-1939
Chefredakteur beim
„Deutschen Volksecho“
1943
Einberufung /
US-Staatsbürgerschaft
Ich habe geweint,
als ich mein Gewehr
bekam. Ich war nicht
mehr wehrlos. Zum
ersten Mal konnte ich
mich verteidigen.
© privat
Stefan Heym mit Gewehr und Stahlhelm vor einem Tarnnetz.
Vermutlich Normandie, 1944
nach Ost-Berlin, wo er als kritischer Intellektueller bis zum Ende der DDR wiederholt
mit dem Regime in Konflikt geriet. Manche seiner Bücher erschienen nur im Westen,
wo er zu einem der bekanntesten DDR-Autoren avancierte. 1994 wurde er als unabhängiger Kandidat über die Liste der SED-Nachfolgepartei PDS in den gesamtdeutschen
Bundestag gewählt. Seine Eröffnungsrede als Alterspräsident wurde von der CDU/CSU
mit Nichtachtung gestraft, was für einen Eklat sorgte. 1995 legte Stefan Heym sein Mandat nieder und widmete sich erneut dem Schreiben.
1944
Landung in der
Normandie / Einsatz
in der psychologischen
Kriegsführung
1945
Rückkehr in die USA /
freier Schriftsteller
1953
Remigration in die DDR
1994/1995
Alterspräsident des
gesamtdeutschen
Bundestag
2001
Auf einer
Israelreise
gestorben
vormals
HEIN Z A L F RE D K ISSINGER
V or k rieg s z eit
Heinz Kissinger erlebte im bayerischen Fürth als Sohn eines Oberstudienrats eine unbeschwerte Kindheit. Seine Familie verstand sich als Teil der deutschen Mittelschicht,
doch ihr Verhältnis zum eigenen Land änderte sich mit dem Berufsverbot des Vaters.
Heinz und sein Bruder erhielten Schulverbot und wurden von Hitlerjungen verprügelt.
Der Familie gelang es, noch vor den Novemberpogromen zu emigrieren. Sie zog nach
Washington Heights, einer New Yorker Hochburg deutschsprachiger Flüchtlinge.
H. Kissinger konnte sich rasch in die amerikanische Gesellschaft integrieren. Tagsüber
arbeitete er in einer Fabrik, abends besuchte er die Schule.
Krieg s z eit
1943 wurde H. Kissinger amerikanischer Staatsbürger und trug fortan den Vornamen
Henry. Er war 21 Jahre alt, als er am „D-Day“ mit den ersten Invasionstruppen in der
Normandie landete. Bald wurde er zum Heeresnachrichtendienst, dem Counter Intelligence Corps, versetzt. Als Unteroffizier gelangte er 1945 nach Deutschland und erlebte die letzten Kriegstage in Hessen. In seinem Einsatzgebiet hatte er für öffentliche
Sicherheit zu sorgen. Seine Spezialaufgabe war es jedoch, höhere Ränge des NS-Regimes aufzuspüren und zu verhaften. Von seinen Verwandten, die in Fürth zurückgeblieben waren und deren Schicksal er ausfindig zu machen versuchte, hatte niemand
den Holocaust überlebt.
B iografi s che Stationen
1923
In Fürth geboren
1938
Flucht nach
New York
1943
Einbürgerung
1943
Eintritt in die US-Armee
1945/1946
Militärgeheimdienst in
Bensheim (Hessen)
Eines Tages werde
ich zurückkomme
© Dr. Kissinger
Henry Kissinger (rechts), ein Kamerad und belgische Mädchen
freuen sich über ihr Gruppenbild. 1945
N ach k rieg s z eit
H. Kissinger blieb bis April 1946 für die US-Besatzungsmacht in Hessen, wo er dazu beitrug, deutsche Kriegsverbrechen aufzuklären. Nach seiner Rückkehr studierte er in
Harvard Politikwissenschaften. Später schlug er eine politische Laufbahn ein. Auf dem
Höhepunkt seiner Karriere war er von 1973 bis 1977 Außenminister der US-Präsidenten
Richard Nixon und Gerald Ford. Der betagte Friedensnobelpreisträger ist bis heute als
politischer Spitzenberater seines Landes tätig.
1946/1947
Ausbilder an der
US-Geheimdienstschule
in Oberursel (Taunus)
1947
Harvard-Universität
1973-1977
US-Außenminister
Lebt in den USA
V or k rieg s z eit
Als Sozialdemokrat und Mitglied beim „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, der die
Weimarer Republik gegen innenpolitische Feinde von links wie rechts verteidigte, bekämpfte Hans Neumann schon vor 1933 die Straßengewalt der NSDAP. 1936 musste der
Textilkaufmann Hals über Kopf vor der Gestapo fliehen. H. Neumann meldete sich als
Freiwilliger für einen Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg. Von 1937 an kämpfte er in den
Reihen der Internationalen Brigaden gegen das faschistische Franco-Regime. Nach der
Niederlage in Spanien schlug er sich 1939 nach Holland durch.
Krieg s z eit
Als die Wehrmacht Holland besetzte, floh H. Neumann nach Frankreich und ließ sich
von der Fremdenlegion anwerben. Doch bald war er erneut Verfolgung ausgesetzt:
„Vichy-Frankreich“, das mit der deutschen Besatzungsmacht kollaborierte, machte
jüdische Fremdenlegionäre zu Zwangsarbeitern. In Strafkompanien mussten sie unter mörderischen Bedingungen einen Schienenweg quer durch die Sahara legen. 1943
wurde H. Neumann von General de Gaulles Exilarmee befreit. Wie zahlreiche Kameraden schloss er sich seinem Befreier an und war in Nordafrika und in Italien im Einsatz.
In der Uniform des „Freien Frankreich“ landete er 1944 an der Côte d’Azur, um den
Kampf gegen die deutschen Besatzer aufzunehmen. Wenig später marschierte H. Neumann mit de Gaulles Armee und den amerikanischen Befreiern in Paris ein. Im Sommer
1945 quittierte er den Militärdienst und kehrte nach Deutschland zurück.
B iografi s che Stationen
1902
In Breslau
geboren
1936
Flucht nach Prag
1937
Als internationaler
Brigadist Kampfeinsatz im
Spanischen Bürgerkrieg
1939
Flucht nach
Holland
1940
Flucht nach Frankreich /
Eintritt in die Fremdenlegion
© privat
Hans Neumann in der Armee „Freies Frankreich“ unter
General de Gaulle. 1944/45
N ach k rieg s z eit
Erst hier erfuhr er vom Ausmaß des Völkermords an den europäischen Juden. In Fulda lernte er Frania Broner kennen, eine polnische Jüdin und Auschwitz-Überlebende.
Sie heirateten 1947 und bauten ein Textilgeschäft auf. Bis zu seinem Tode 1972 war H.
Neumann Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Fulda. Sein Sohn Moritz pflegt die Erinnerung an Hans Neumann weiter.
1940
Als Jude in Strafkompanie in die
Sahara versetzt
1943
Befreiung durch de
Gaulles Exilarmee
1944/1945
Einsatz in de Gaulles
„Freien Französischen
Streitkräften“
1945
Rückkehr nach Deutschland /
Vorsitzender der Jüdischen
Gemeinde Fulda
1972
In Fulda
gestorben
vormals
Horst Pinschewer
V or k rieg s z eit
Geoffrey Perry wuchs als Horst Pinschewer in Berlin auf. Seine Eltern besaßen eine
kleine Fabrik, die der Hutproduktion zuarbeitete. Sie erkannten bereits ab 1935 die Gefahr, die von den Nationalsozialisten ausging und beschlossen, Horst und seine beiden
Geschwister nach England zu schicken. In den Schulferien kamen sie zu Besuch, doch
dann wurde es zu gefährlich. Die Eltern folgten ihren Kindern später nach. Von 1938 an
arbeitete der 16-jährige G. Perry in England als Pressefotograf.
Krieg s z eit
Mit Kriegsausbruch wurde G. Perry als „feindlicher Ausländer“ vorübergehend interniert. Später meldete er sich freiwillig, wurde aber, wie die meisten deutschen Flüchtlinge, zunächst nur für eine unbewaffnete Pionier-Einheit zugelassen. Nach der alliierten Invasion in der Normandie brauchte man ihn jedoch als Verhörspezialisten und
später als Presseoffizier in der Abteilung für psychologische Kriegführung. Wenige Tage
nach der Befreiung sah er im Konzentrationslager Bergen-Belsen mit eigenen Augen
die schrecklichen Konsequenzen des Holocaust. Beim Einmarsch britischer Truppen
war G. Perry an der Übernahme von Radio Hamburg beteiligt. Für die Durchsagen der
Besatzungsmacht nutzte er jenes Mikrofon, in das kurz zuvor noch William Joyce, britischer Faschist in deutschen Diensten, letzte Durchhalteparolen gesprochen hatte.
Es war G. Perry, der ihn wenige Tage später in einem Wald bei Flensburg stellte und
verhaftete.
B iografi s che Stationen
1922
In Berlin geboren
1935
Emigration nach
England
1939
Internierung als
„feindlicher Ausländer“
1940
Freiwillige Meldung in
das Pionierkorps
1944
Verhörspezialist in
der Normandie
I shot
William Joyce!
© privat
Der Pionier Horst Pinschewer. England, 1940
N ach k rieg s z eit
Im Norden der britischen Besatzungszone war G. Perry führend am Aufbau eines freien
Presse- und Rundfunkwesens beteiligt. Er war Redakteur des „Hamburger NachrichtenBlatt“ und zählte zu den Gründern der Tageszeitung „Die Welt“. Das Flaggschiff der
britischen Pressepolitik wurde früh zu einem Leitmedium der jungen Bundesrepublik.
Zurück in Großbritannien machte er Karriere als Verleger und Herausgeber und trat mit
neuen Konzepten für den Zeitschriftenvertrieb hervor. Geoffrey Perry lebt in London.
1944/45
Einsatz in der psychologischen
Kriegsführung
1945
Verhaftung des
britischen Faschisten
William Joyce
1946
Rückkehr nach England
Lebt in London
V or k rieg s z eit
Julius Posener wurde in Berlin in eine großbürgerliche jüdische Familie hineingeboren.
Dem Zionismus, für den sich sein älterer Bruder begeisterte, konnte er nicht viel abgewinnen. An der Technischen Hochschule studierte er Architektur. 1933 flüchtete er
nach Frankreich und ging zwei Jahre später nach Palästina.
Krieg s z eit
Als die Erfolge der Wehrmacht in Nordafrika 1941 auch Palästina und die Idee eines
Staates Israel gefährdeten, meldete sich J. Posener freiwillig zur britischen Armee. Er
wurde Royal Engineer und kurz darauf zum Offizier befördert. Mit Stolz schrieb er
später an seine Familie, am 6. April 1945 als erster Palästinenser den Rhein überquert
zu haben. Den alliierten Sieg über NS-Deutschland erlebte er im Rheinland.
N ach k rieg s z eit
Seine Erfahrungen als Besatzungsoffizier hielt J. Posener in dem bis 2001 unveröffentlichten Manuskript „In Deutschland 1945 bis 1946“ fest. Darin kritisierte er auch die
britische Politik. Das Ziel des „Umerziehungs-Programms“ – zwölf Jahre Nationalsozialismus gleichsam über Nacht aus den Köpfen der Deutschen zu verbannen – hielt er für
fragwürdig; den demokratischen Neuaufbau für unzulänglich geplant. Hinsichtlich der
Deutschen widerten ihn Anbiederung, Reue und Betroffenheit an, die er als heuchlerisch empfand. Dass ehemalige Nationalsozialisten wieder in öffentliche Ämter gelangt
B iografi s che Stationen
1904
In Berlin geboren
1933-1935
Flucht via Frankreich
nach Palästina
1941
In Palästina Eintritt ins
britische Militär
1943
Teilnahme am
Italienfeldzug der
Alliierten
1945
Einsatz im Rheinland
Was ich heute
empfinde, ist so
gemischt aus
Erlösung, Furcht,
Hoffnung, Schmerz,
dass ich es nicht
beschreiben kann.
© Akademie der Künste, Berlin
Julius Posener als Leutnant der britischen Armee. 1945
waren, hielt er für inakzeptabel. J. Posener verlängerte 1947 seine Dienstzeit: für den Geheimdienst beobachtete er nun in der Britischen Zone das politische Leben, sah sich jedoch von interner Zensur behindert. Sein Plan, als Lehrer oder Journalist in Deutschland
zu bleiben, ließ sich nicht realisieren. J. Posener zog nach London, wurde britischer
Staatsbürger und heiratete. 1961 nahm er einen Ruf an die Berliner Hochschule für Bildende Künste an und war dort zehn Jahre lang als Professor für Baugeschichte tätig. Als
Architekturhistoriker wirkte Julius Posener bis zu seinem Tode in Berlin.
1946
Rückkehr nach
Palästina
1948
Einbürgerung in
Großbritannien
1961
Remigration nach
Berlin / Hochschule für
Bildende Künste
1972
Vorsitzender des
Deutschen Werkbundes
1996
In Berlin gestorben
V or k rieg s z eit
Werner Moritz Rindsberg wuchs in Mainstockheim (Bayern) auf. In der Reichspogromnacht verhaftete die SA ihn und seinen Vater. Als Kind ließ man ihn nach drei
Tagen frei; sein Vater wurde ins KZ Dachau deportiert. 1939 schickten die Eltern den
Jungen mit einem Kindertransport nach Belgien. Er sah seine Familie nie wieder. 1940,
nach dem Einmarsch deutscher Truppen, kamen die Kinder mit Hilfe ihrer belgischen
Beschützer nach Südfrankreich. 1941 flüchtete W. Rindsberg weiter nach New York, wo
er tagsüber Geld verdiente und abends zur Schule ging.
Krieg s z eit
Nach Kriegseintritt der USA wurde W. Rindsberg als 19jähriger zur Armee eingezogen,
obwohl er lieber die Schule beendet hätte. Aus Angst vor Benachteiligung verschleierte
er seine jüdische Herkunft und gab sich als Walter Reed eine amerikanische Identität.
Sechs Tage nach dem „D-Day“ landete er in der Normandie und diente unter General
Patton im befreiten Paris als Übersetzer. Einer geheimdienstlichen Spezialeinheit zu
gehörig, verhörte er bis Kriegsende deutsche Kriegsgefangene und Zivilisten nahe
der Front.
N ach k rieg s z eit
In der amerikanischen Besatzungszone war W. Reed als Geheimagent im Heeresnachrichtendienst in Hessen tätig. Im Zuge der Entnazifizierung spürte er an der Universität
Marburg ehemalige NSDAP-Mitglieder auf. Im Juli 1945 fuhr W. Reed in seine frühere
Heimat. Nachbarn berichteten von der Deportation seiner Familie in ein Arbeitslager im
B iografi s che Stationen
1924
In Würzburg geboren
1939
Kindertransport
nach Belgien
1940
Flucht nach
Frankreich
1941
Flucht nach New York
1943
Einberufung
Alle waren total
‚brainwashed‘. Wenn
die Deutschen nicht
Juden zur Vernichtung ausgewählt
hätten, wäre ich in
meinem Dorf sicher
der enthusiastischste
Hitlerjunge geworden
– da habe ich keine
Zweifel.
© privat
Walter Reed als frisch eingezogener Soldat der US-Armee.
Frühjahr 1943
Osten. Was das bedeutete, fand er erst später heraus. 1946 verließ er die Armee und kehrte
in die USA zurück, wo er studierte und Public-Relations-Experte wurde. Vor 15 Jahren
sah er die Zeit gekommen, seine wahre Identität und Geschichte öffentlich zu machen.
Bis heute tritt Walter Reed als Mahner auf, der vor Hass unter den Menschen warnt.
1944
Landung in der
Normandie
1945
Entnazifizierung an der
Universität Marburg
1946
Entlassung aus Armee
Lebt in Wilmette, Illinois
V or k rieg s z eit
Manfred Steinfeld wuchs im hessischen Josbach auf. Nach den Novemberpogromen
1938 setzte seine Mutter alles daran, ihn und seine Geschwister außer Landes zu
bringen. Der Bruder gelangte nach Palästina, während die Flucht der Schwester mit
einem Kindertransport nach England scheiterte. Das Mädchen und die Mutter wurden
später in einem Konzentrationslager ermordet. Mit Hilfe einer jüdischen Auswanderungshilfsorganisation entkam M. Steinfeld in die USA. In Chicago, wo Verwandte lebten,
verdiente sich der 14-Jährige als Zeitungsjunge sein erstes Geld.
Krieg s z eit
1943 erhielt M. Steinfeld seine Einberufung und die US-Staatsbürgerschaft. Als NeuAmerikaner wollte er seinen persönlichen Beitrag zum Sieg über den Faschismus leisten.
In Camp Ritchie, Maryland, wurde er geschult, um Verhöre zu führen und Luftbilder
auszuwerten. Als Fallschirmjäger der 82. US-Luftlandedivision landete er im September 1944 in den Niederlanden. Am 2. Mai 1945 erlebte er ein amerikanisch-sowjetisches
Zusammentreffen an der Elbe bei Ludwigslust mit. Wenige Tage vor dem endgültigen
Zusammenbruch des Deutschen Reiches übersetzte M. Steinfeld die Urkunde der
Teilkapitulation der deutschen Heeresgruppe Weichsel unter General von Tippelskirch. Am selben Tag zählte er zu den Befreiern des Konzentrationslagers Wöbbelin.
B iografi s che Stationen
1924
In Josbach (Hessen)
geboren
1938
Flucht via Amsterdam
nach New York und
Chicago
1943
Eintritt in die US-Armee
/ Einbürgerung
1944
Kampfeinsatz
in Holland
1945
Zusammentreffen mit
der Roten Armee
an der Elbe
Wir mussten tun,
was zu tun war!
© privat
Manfred Steinfeld (rechts) bei einem Zusammentreffen seiner
Einheit mit der Roten Armee an der Elbe. Grabow, 2. Mai 1945
N ach k rieg s z eit
Bei Kriegsende gehörte M. Steinfeld zum Heeresnachrichtendienst. Auf Hinweis einer
KZ-Überlebenden nahm er in Boitzenburg einen Mann fest, der sich später als stellvertretender Kommandant des KZ Ravensbrück herausstellte. Danach wurde M. Steinfeld
in den US-Sektor von Berlin verlegt. In Dahlem requirierte er Wohn- und Arbeitsräume
für den Stab seiner Division. Nach seiner Rückkehr in die USA im Oktober 1945 machte
er als erfolgreicher Geschäftsmann Karriere in der Möbelbranche. Manfred Steinfeld
lebt in Chicago und Boca Raton, Florida.
1945
Befreiung des
KZ Wöbbelin
1945
Stationierung in Berlin
1945
Rückkehr in die USA
Lebt in Chicago und
Florida
vormals
G Ü NTHER STERN
V or k rieg s z eit
Günther Stern war der einzige seiner Familie, dem 1937 die Flucht in die USA gelang,
per Schiff über den Atlantik. Ein Onkel in Amerika verschaffte ihm, was jeder Flüchtling
benötigte: die „Affidavit“ genannte Bürgschaft. G. Stern ließ sich in St. Louis, Missouri,
nieder, wo er zunächst als Kellner arbeitete. Bürgschaften für seine in Deutschland
zurückgebliebene Familie zu erhalten, gelang ihm nicht.
Krieg s z eit
1942 meldete sich G. Stern freiwillig zur US-Armee. Nach der Grundausbildung kam er,
nun als Guy Stern, nach Camp Ritchie, Maryland. Wie viele andere deutsch-jüdischen
Flüchtlinge wurde er dort zum Verhörspezialisten für deutsche Kriegsgefangene geschult. Nach der Landung in der Normandie 1944 musste sich das Gelernte in der Praxis
bewähren. Im Umgang mit den Deutschen griffen G. Stern und andere „Ritchie Boys“
auch zu besonderen Methoden. Hatten sie es mit überzeugten Nationalsozialisten zu tun,
machten sie sich die weitverbreitete Angst vor sowjetischer Kriegsgefangenschaft zunutze. Wer nicht aussagen wollte, wurde in das Zelt eines vermeintlichen Kommissars der
Roten Armee geführt. Die Drohung, an ihn überstellt zu werden, brachte viele zum Reden.
B iografi s che Stationen
1922
In Hildesheim geboren
1937
Flucht nach New York
1942
Freiwillige Meldung zur
US-Armee
1943
Einbürgerung
Die Freiheit stand
auf dem Spiel – nicht
nur in Europa,
sondern weltweit!
© privat
Guy Stern nach seiner Ankunft in Camp Ritchie, Maryland. 1943
N ach k rieg s z eit
Nach der Kapitulation der Wehrmacht fahndete G. Stern zunächst in einem Kriegsgefangenenlager bei Koblenz nach Kriegsverbrechern und Saboteuren. In Karlsruhe
war er für die Spionageabwehr der amerikanischen Militärregierung im Einsatz. Ende
1945 kehrte er in die USA zurück, studierte und wurde später Professor für deutsche
Literatur. Erst im Laufe der Jahre fand er heraus, dass seine gesamte Familie dem Holocaust zum Opfer gefallen war. Er lehrte an verschiedenen amerikanischen Universitäten
und hatte wiederholt Gastprofessuren in Deutschland inne. Guy Sterns Engagement für
die Völkerverständigung zwischen den USA und Deutschland wurde mit dem Großen
Verdienstkreuz gewürdigt.
1944
Landung in der Normandie mit
den „Ritchie Boys“
1945
Rückkehr in die USA
Lebt in West Bloomfield,
Michigan
vormals
CILLY TREITEL
V or k rieg s z eit
Cilly Treitel wurde in eine praktizierende jüdische Familie in Berlin hineingeboren.
Ihr Vater war ein Rechtsanwalt und Notar mit vielen Mandanten aus der Theater- und
Kunstszene. Als das NS-Regime seine Zulassung als Notar strich, war die Existenzgrundlage der Familie gefährdet. Wie ihre Brüder besuchte Cilly die Amerikanische Schule in
Berlin, weil jüdische Kinder an deutschen Schulen keinen Platz mehr bekamen. 1939
wurden ihre Brüder mit einem Kindertransport nach London geschickt. Cilly und ihre
Eltern folgten wenige Monate später nach. Der Krieg vereitelte den ursprünglichen
Plan, in die USA auszuwandern. Aus Geldnot und Platzmangel musste sich die Familie trennen, und Cilly kam anderswo unter. Da der Name Cilly im Englischen leicht
ein Spottname hätte werden können, nannte sie sich fortan Celia.
Krieg s z eit
Während der Kriegsjahre schloss C. Treitel in London eine Ausbildung als Sekretärin ab
und fand in diesem Beruf auch eine Anstellung.
N ach k rieg s z eit
1945 folgte C. Treitel einem Aufruf der US-Streitkräfte in England und meldete sich freiwillig. Der militärische Geheimdienst schickte sie als Sekretärin und Übersetzerin zur
Civil Censorship Division (CCD) in die amerikanische Zone des besetzten Deutschland,
zunächst in die Nähe von Stuttgart, dann nach Frankfurt. Die CCD überwachte den
deutschen Telefon- und Postverkehr. Auf diese Weise sollten ehemalige NS-Funktionäre
aufgespürt und die allgemeine Stimmungslage der deutschen Bevölkerung erkundet
werden. An Tuberkulose erkrankt, kehrte C. Treitel 1950 nach England zurück und erholte sich in einem Sanatorium. Später arbeitete sie als Verkäuferin und bis zu ihrer
Pensionierung 1994 im Museum of London.
Celia Treitel lebt in einem Londoner Altersheim.
© privat
Celia Treitel in der Uniform einer zivilen Mitarbeiterin der US-Besatzungsmacht. Um 1949
B iografi s che Stationen
1925
In Berlin geboren
1939
Flucht nach England
1945-1950
Einsatz bei der
Zensurbehörde der
US-Besatzungsmacht
in Esslingen und Frankfurt
1950
Rückkehr nach
England
Lebt in London
V or k rieg s z eit
Erwin Weinberg stammte aus einer orthodoxen, in Fulda ansässigen Familie und erlebte schon früh antisemitische Übergriffe. Nach den Novemberpogromen war er für
mehrere Wochen im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Nach seiner Entlassung konnte die Mutter seine Flucht nach England organisieren. Wenig später emigrierte auch die Familie. Infolge der deutschen Kriegserklärung an Großbritannien
wurde E. Weinberg wie viele andere deutsche Juden in England vorübergehend als
„feindlicher Ausländer“ interniert. Ein Jahr später ging er in die USA.
Krieg s z eit
1943 erhielt E. Weinberg seine Einberufung und kam ein Jahr später zur strategischen
US-Luftwaffe nach England. In der Informationsabteilung wertete er Nachrichten
aus, die man geheimdienstlich oder durch das Abhören deutscher Kriegsgefangener
erlangte. E. Weinberg gab einen entscheidenden Hinweis auf eine bis dahin von den
Alliierten unentdeckte Kugellagerfabrik in seiner Heimatstadt Fulda. In mehreren Luftangriffen wurde diese zerstört. Dabei fiel auch das eigene Elternhaus in Schutt und
Asche. Gegen Ende des Krieges war E. Weinberg Fahrer und Übersetzer einer Einheit,
die Schäden alliierter Bombenangriffe verzeichnete. Im April 1945 nutzte er eine dieser
Touren, um das befreite Konzentrationslager Buchenwald zu besuchen.
B iografi s che Stationen
1922
In Fulda geboren
1938
Nach der Reichspogromnacht
ins KZ Buchenwald deportiert
1938
Flucht nach England
1939
Internierung als
„feindlicher Ausländer“
The world went
meschugge!
© Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Erwin Weinberg
Erwin Weinberg bei der strategischen US-Luftwaffe in England. 1944
N ach k rieg s z eit
Im Dezember 1945 kehrte E. Weinberg in die USA zurück und verließ kurz darauf das
Militär. Kurzzeitig versuchte er sich als Diamantenschleifer, dann betrieb er einen
kleinen Lebensmittel- und Süßwarenhandel. Später verkaufte er in New York koschere
Produkte an Supermärkte. In den 1960er Jahren kehrte Erwin Weinberg erstmals für
einen Besuch nach Fulda zurück.
1940
Emigration in die USA
1945
Kampfeinsatz im Deutschen Reich /
Besichtigung des befreiten
KZ Buchenwald
1945
Rückkehr in die USA
2013
In New York gestorben
Sonderausstellung
D e u t s c h e Ju d e n i m D i e n s t de r Al l i i e rt e n
im AlliiertenMuseum, Berlin
15. März – 1. Dezember 2013
Gesamtleitung
Dr. Gundula Bavendamm
Ausstellungsleitung
Florian Weiß
Kurator
Daniel Schmiedke
Grafische Gestaltung
Franke | Steinert
Hanna Adén
Druck
LASERLINE
SIEGER, BEFREIER, BESATZER:
DEUTSCHE JUDEN IM DIENST DER ALLIIERTEN
vom 15. März bis 1. Dezember 2013
Alliiertenmuseum | Clayallee 135 | 14195 Berlin
Geöffnet täglich außer montags von 10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt frei | www.alliiertenmuseum.de
Gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
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