Wellen und Leistung auf einer verlustlosen Leitung

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Wellen und Leistung auf einer verlustlosen Leitung
Stand vom 29.05.12, v3.1
Vorbemerkungen
Dieses Papier entstand im Kontext der Diskussion „Herleitung der Reflexionsbedingungen
am Leitungseingang“ im Amateurfunk Forum. Es behandelt hauptsächlich die Fragen
inwieweit Wellen getrennt Träger von Leistung sind oder gerade nicht, was genau
reflektiert wird und wie Leistung auf einer beliebig abgeschlossenen verlustlosen Leitung
auftritt.
Strom und Spannung auf verlustlosen Leitungen, Wellen
Im 19. Jahrhundert kam man bei der Untersuchung des Verlaufs von zeitlichen
Spannungs- und Stromänderungen entlang langer Kabel zu den Telegraphengleichungen.
Man wollte wohl ermitteln, wie sich eine Änderung von Spannung bzw. Strom an einem
Ende des Kabels auf die Werte am anderen Ende auswirken.
Die Telegraphengleichungen sind partielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung und
entsprechen einer Form der Wellengleichungen. Somit kann man den zeitlichen und
örtlichen Verlauf der Spannung (des Stromes) aus der Überlagerung zweier Wellen
ermitteln, die entgegengesetzt verlaufen. Jede dieser einzelnen Wellen lässt sich mittels
einer Kosinusfunktion beschreiben. Der zeitliche Verlauf entspricht der Kosinusfunktion mit
einer Frequenz und der örtliche Verlauf (entlang des Kabels) entspricht der
Kosinusfunktion mit der zur Frequenz gehörenden Wellenlänge als Periode. (Diese
Wellenlänge weicht auf dem Kabel von der im Freiraum ab.)
Für die Beschreibung der Verläufe von Spannung und Strom können die aus der
Wechselstromtechnik bekannten Methoden verwendet werden: der zeitliche
Momentanwert, drehende und ruhende Zeiger sowie komplexe Zahlen. Soweit immer die
richtigen Rechenregeln eingehalten werden, kommt man über jede Methode zu richtigen
Ergebnissen. Für die Wellen wird oft mit komplexen Zahlen in der Eulerschen Form
gearbeitet. Für diese gelten spezielle Rechenregeln, gerade für die Anwendung in der
Wechselstromtechnik. Da in diesem Dokument letztendlich Leistungen ermittelt werden
sollen, wird mit den zeitabhängigen Momentanwerten gearbeitet. Diese setzen direkt an
der physikalischen Realität an und erfordern für die Leistungsberechnung keine speziellen,
auf die Wechselstromtechnik zugeschnittenen Rechenregeln. Es werden nur die
Umformungen von Winkelfunktionen benötigt. Einige weitere Bemerkungen zu den
Methoden in der Wechselstromtechnik stehen im Anhang.
Man hat eine vergleichsweise einfache mathematische Beschreibung der zeit- und
ortsabhängigen Verläufe von Spannung und Strom. Die Momentanwerte von Spannung
und Strom der Wellen jeweils einer Laufrichtung bilden einen konstanten Quotienten. Da
U/I ansonsten einen Widerstandswert beschreibt, wurde diese Bezeichnung auch hier
verwendet. Dieser Quotient ist der Wellenwiderstand. Wir wollen uns merken, dass dieser
Quotient immer nur für die Wellen jeweils einer Laufrichtung gilt.
Über den Wellenwiderstand sind die Spannungs- und die Stromwelle jeweils einer
Laufrichtung ineinander umrechenbar. Die Angabe einer der Wellen und des
Wellenwiderstandes reicht aus. Deshalb spricht man manchmal auch von „der“
hinlaufenden oder „der“ rücklaufenden Welle (ggf. normierte Welle). Wir wollen uns aber
immer bewusst sein, dass Werte, die über Spannung und Strom hinausgehen, die
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Berücksichtigung beider Wellen jeder Laufrichtung erfordern. Die momentane Spannung
für einen Zeitpunkt ergibt sich aus der Überlagerung der beiden Spannungskomponenten
für diesen Ort. Gleiches gilt für den Strom.
Die Wellen mit entgegengesetzter Richtung haben die selbe Frequenz, sind aber
ansonsten erst einmal nicht voneinander abhängig. Sowohl die Amplituden als auch die
Startwinkel können ganz unterschiedlich sein. Da die Länge l der Leitung im Verhältnis zur
Wellenlänge ganz unterschiedlich sein kann, können am Ort z die Phasen der beiden
Laufrichtungen ganz unterschiedlich zueinander stehen.
u h t , z  = U h cos t zh 
(1)
u r t , z  = U r cos −t zr  = U r cos t zr 
(2)
i h t , z  = I h cos t zh 
(3)
i r t , z  = I r cos− t zr  = I r cos t zr 
(4)
mit:
 zh =
z
 Ltg
2 0h
(5) und
 zr =
l−z
2  0r
 Ltg
(6)
U : Amplitude der Spannung
I : Amplitude des Stroms
 z.. : jeweiliger Winkelversatz durch den Ort auf der Leitung
z :Ort auf der Leitung in z−Richtung 
l : Länge der Leitung am Leitungsende gilt z=l
 Ltg :Wellenlänge auf der Leitung
0.. : jeweiliger Startwinkel
Die Argumente der Winkelfunktionen enthalten zwei Summanden. Der erste steht für die
Zeitabhängigkeit am jeweiligen Ort z und der zweite für die Ortsabhängigkeit zu einem
Zeitpunkt t. Es ist deutlich erkennbar, dass beide Abhängigkeiten der gleichen Funktion
folgen. Das macht gerade die Welle aus.
In den Formeln wurde bereits eine Vereinfachung berücksichtigt, die für den gesamten HFBereich gilt: der Wellenwiderstand ist bei HF rein reell. Zwischen der Spannungs- und der
Stromwelle der jeweiligen Richtung gibt es keinen Zeitversatz (Phasenversatz), die Winkel
sind für die jeweilige Strom- und die jeweilige Spannungswelle gleich.
Die Momentanwerte von Spannung und Strom ergeben sich durch vorzeichenrichtige
Addition der jeweiligen Komponenten.
u t , z  = uh t , zu r t , z
(7)
it , z  = i h t , z−i r t , z
(8)
Keine der Wellen transportiert erst einmal Energie, keine Welle stellt einen Energiefluss
(Leistung) dar.
Wenn eine Welle etwas „transportiert“, dann ist es die Informationen über den örtlichen
Momentanwert der jeweiligen Spannungs- bzw. Stromkomponente.
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Reflexion am Leitungsabschluss
Wellen können reflektiert werden. Die örtlichen Momentanwerte von Strom und Spannung
werden durch die Verhältnisse an der Stelle mit der Reflexion beeinflusst. Wie kommt man
zum Reflexionsfaktor, und was steckt elektrotechnisch „hinter“ der Reflexion?
Zur Beschreibung dient folgendes Bild der Zusammenschaltung von einer Leitung und
einem Lastwiderstand ZL mit einer beliebigen Impedanz.
Die Leitung und der Lastwiderstand sind anfangs frei von Energie. Nach Beginn der
Speisung der Leitung bilden sich die hinlaufenden Wellen (u und i). Die Werte von Strom
und Spannung sind über den Wellenwiderstand fest miteinander gekoppelt.
u h t , z  = i h t , z ⋅Z 0
(9)
Der Lastwiderstand lässt an seinen Klemmen ein bestimmtes Verhältnis von u zu i zu,
genau das seiner Impedanz.
u L t
= ZL
i L t 
(10)
Gl. (10) beschreibt die Kennlinie von Z L.
Bilden uh und ih der bisher hinlaufenden Welle genau einen Punkt auf der Kennlinie von Z L,
dann gibt es keinen Widerspruch zwischen den Verhältnissen auf der Leitung und denen
an ZL, alles kann so weitergehen.
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Bildet das Paar aus uh und ih der bisher hinlaufenden Welle keinen dieser möglichen
Arbeitspunkte, dann bedarf es zusätzlicher Komponenten auf der Leitung, um einen
Arbeitspunkt von ZL zu erreichen. Das könnte über eine Korrekturkomponente der
Spannung oder über eine des Stroms oder über Korrekturkomponenten der Spannung und
des Stroms erfolgen.
Diese Korrekturen gelten in Zukunft auch für die ganze Leitung, nicht nur für das Ende bei
ZL. Dazu muss sich die Korrektur, die Änderung von u und/ oder i, auf der Leitung
ausbreiten, vom Ende mit ZL in Gegenrichtung. Für die Ausbreitung solcher Änderungen
gilt immer noch die Wellengleichung. Die Leitung hat keine Vorzugsrichtung, was in einer
Richtung gilt, gilt auch in der Gegenrichtung. Die Korrekturkomponenten breiten sich als
Wellen aus, es gilt auch hier der Wellenwiderstand. Somit ist klar, dass es eine
Korrekturkomponente für die Spannung und eine für den Strom gibt. Die Werte lassen sich
wie folgt ermitteln:
ZL =
u L t u h t , z=lur t , z=l 
=
i L t 
i h t , z=l−i r t , z=l 
(11)
Mit den Formeln
u h t , z=l = i h t , z=l⋅Z 0
und
u r t , z=l  = i r t , z=l ⋅Z 0
(12)
(13)
kommt man zu folgenden Zusammenhängen
u r t , z=l  Z L −Z 0
=
=
u h t , z=l Z L Z 0
i r t , z=l  Z L −Z 0
=
=
i h t , z=l Z L Z 0
und
(14)
(15)
Durch die Reflexion werden Spannung und Strom am Leitungsausgang auf ein zu Z L
passendes Verhältnis gebracht.
Die Korrekturkomponenten bilden, erzwungen durch die Leitungseigenschaften, ein
bestimmtes Paar aus Spannungs- und Stromwelle. In der Wellengleichung ist neben „der“
hinlaufenden Welle nur noch Platz für „eine“ rücklaufende Welle, mehr lässt die Gleichung,
die die Gesamtverhältnisse auf der Leitung beschreibt, nicht zu. Auch diese rücklaufenden
Wellen transportieren primär keine Energie, sie „transportieren“ die Information über die
Momentanwerte der Korrekturen von u und i.
Die Korrekturkomponente der Spannung hängt über den Faktor Γ von der hinlaufenden
Spannungswelle am Leitungsende ab. Gleiches gilt für die Korrekturkomponente des
Stroms. „Die“ Korrekturwelle ergibt sich über einen Faktor aus „der“ hinlaufenden Welle.
Außerdem läuft „die“ Korrekturwelle in entgegengesetzter Richtung zur hinlaufenden
Welle. Das ergibt genau das Bild einer Reflexion. Γ ist der komplexe Reflexionsfaktor. Der
Betrag von Γ bestimmt die Amplitude der rücklaufenden Wellen und der Winkel von Γ
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bestimmt die Phasendrehung zwischen hinlaufender Welle am Leitungsende und
rücklaufender Welle am selben Leitungsende.
Die rücklaufenden Wellen sind jetzt von den hinlaufenden Wellen (und Γ) abhängig. Am
Leitungsende sind „die“ hinlaufende und „die“ rücklaufende Welle fest über Γ gekoppelt.
Deshalb sind modifizierte Formeln für die hinlaufenden Wellen sinnvoll, bei denen die
Werte am Ort z in Abhängigkeit von den Werten am Leitungsende (z=l) beschrieben
werden. Anstelle der Gln. (1), (3) und (5) arbeiten wir in Zukunft mit
u h t , z  = U h cos t− l −zh 
(16)
i h t , z  = I h cos t−l −zh 
(17)
mit
 l− zh =
l−z
2  lh
 Ltg
(18)
l −zh : jeweiliger Winkelversatz durch den Ort z vor dem Ende mit z=l
z :Ort auf der Leitung in z−Richtung 
l : Länge der Leitung am Leitungsende gilt z=l
 Ltg : Wellenlänge auf der Leitung
lh :Startwinkel am Leitungsende
Die Subtraktion des Winkels φl-zh bedeutet einen Wert, den die Funktion erst in einer
späteren Zeit t einnehmen wird. Der Wert der hinlaufenden Welle an der Stelle z wird das
Leitungsende (z=l) erst in der Zukunft erreichen.
Mit den Gln. (14) und (15) erhalten wir aus den Gln. (2), (4) und (6)
u r t , z  =∣∣U h cos t zr 
(19)
i r t , z  = ∣∣I h cos t  zr 
(20)
mit
 zr =
l−z
2  lr
 Ltg
(21)
 zr : jeweiliger Winkelversatz durch den Ort z vor dem Ende mit z=l
z :Ort auf der Leitung in z−Richtung 
l : Länge der Leitung am Leitungsende gilt z=l
 Ltg : Wellenlänge auf der Leitung
lr : Startwinkel am Leitungsende
Die Addition des Winkels φzr bedeutet einen Wert, den die Funktion bereits in einer
vergangenen Zeit t hatte. Der Wert der rücklaufenden Welle an der Stelle z hatte das
Leitungsende (z=l) bereits in der Vergangenheit verlassen.
Die Startwinkel am Ende der Leitung stehen in folgender Beziehung
 lr∣z=l =  l −zh ∣z=l  
(22)
  :Winkel des Reflexionsfaktors 
Im Folgenden interessieren uns die resultierende Spannung und der resultierende
Strom. Für diese Betrachtungen können wir vorerst φΓ = 0 annehmen, was nachfolgend
erklärt wird.
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Das folgende Bild zeigt den Fall der vollständigen Reflexion durch einen Leerlauf am
Leitungsende (φΓ = 0, Reflexion am rechten Rand).
blau und rot:
grün:
orange:
violett:
Einhüllende der resultierenden Spannung
hinlaufende Spannungswelle
rücklaufende Spannungswelle
resultierende Spannung (grün + orange)
u ist normiert auf Uh.
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Das folgende Bild zeigt den Fall der vollständigen Reflexion durch einen reinen
Blindwiderstand am Leitungsende (φΓ ≠ 0, Reflexion am rechten Rand).
Es ist gut zu erkennen, dass sich die Verläufe der Einhüllenden bis auf eine horizontale
Verschiebung gleichen. Man kann es auch so sehen, dass sich die Phasenverschiebung
bei der Reflexion nur wie eine Verkürzung oder Verlängerung der Leitung am
Leitungsende auswirkt. Es ist hier egal, ob der Phasenversatz durch ein Stück mehr oder
weniger Leitung oder durch die Reflexion erfolgt. Da die Leitung keine Dämpfung hat,
bleibt der Spannungsverlauf auf dem vorherigen Abschnitt der Leitung gleich.
Somit kann für die folgenden Betrachtungen in diesem Papier φ Γ = 0 angenommen
werden.
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Das folgende Bild zeigt den Fall des Leerlaufs für die Ströme (φ Γ = 0, Reflexion am
rechten Rand).
blau und rot:
grün:
orange:
violett:
Einhüllende des resultierenden Stroms
hinlaufende Stromwelle
rücklaufende Stromwelle
resultierender Strom (grün – orange)
i ist normiert auf Ih.
An den Bildern soll noch Folgendes festgestellt werden.
• Die Einhüllenden der Spannungs- und Stromverläufe sind um 0,5 π gegeneinander
verschoben.
• Im Abstand von π gibt es Nullstellen einer Einhüllenden, sogenannte Knoten
• Im Abstand von 0,5 π gibt es Nullstellen beider Einhüllenden
• An diesen Nullstellen sind spezielle Situationen zu erwarten.
Bei nicht vollständiger Reflexion gibt es anstelle der Knoten Minima in den Einhüllenden.
Diese befinden sich an den selben Stellen wie zuvor die Knoten.
Im Ergebnis dieser Vereinfachung ( φΓ = 0) werden die Startwinkel bei z = l zu 0 und
 zr =  l −zh = 
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(23)
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Energie und Leistung auf beliebig abgeschlossenen, verlustlosen
Leitungen
Die momentane Leistung in Abhängigkeit von der Zeit und dem Ort ergibt sich wie folgt:
p t , z  = u t , z ⋅it , z 
(23)
p t , z  =  uh t , zu r t , z⋅i h t , z −i r t , z 
(24)
p t , z  = U h cos t−∣∣U h cos t  
 I h cos t− −∣∣I h cos t
(25)
p t , z  = U h I h cos t−∣∣cos t
cos t−−∣∣cos t
(26)
Nach einigem Umstellen erhalten wir folgende Gleichung mit den Summanden I und II:
p t , z  =
1
U h I h 1−G 2 1cos 2  t cos 2  
2
(27)
I
1
 U h I h 1G 2 sin 2  t sin  2 
2
II
mit
=
l −z
2
 Ltg
(28)
und
G =∣∣
(29)
In Gl. (27) sind Zeit- und Ortsabhängigkeit voneinander getrennt. So kann die
Momentanleistung für einen festen Ort in Abhängigkeit von der Zeit und für eine feste Zeit
abhängig vom Ort dargestellt werden.
Folgendes kann aus der Gl. (27) relativ leicht erkannt werden:
• Der gesamte Mittelwert kann aus den einzelnen Mittelwerten der Summanden I und
II ermittelt werden.
• Summand I ist immer positiv. Für jeden festen Ort z beträgt der zeitliche Mittelwert
1
U h I h 1−G2  . Dieser Summand stellt Wirkleistung dar. Diese ist an allen Orten z
2
gleich groß.
• Summand II schwankt um die Nullinie. Für einen festen Ort z (oder eine feste Zeit t)
ist für die andere Veränderliche der Mittelwert = 0. Der zeitliche Mittelwert von 0
sollte bedeuten, dass dieser Summand Blindleistung darstellt.
• An allen Orten z mit
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sin 2  = 0 sind alle Momentanwerte der Blindleistung = 0.
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Diese Orte entsprechen einem Abstand vom Leitungsende = n  Ltg
mit n = 0, ¼, ½, ¾, ... Das sind die Orte mit Minima in den Einhüllenden.
• An diesen Orten tritt nur Wirkleistung auf, die mit einer Frequenz von 2 ω pulsiert
und immer zum Lastwiderstand gerichtet ist. Das ist das gleiche Verhalten wie bei
der direkten Speisung eines ohmschen Widerstandes mit einer symmetrischen
Wechselspannung mit der Frequenz ω.
• Bei G =0, also bei Anpassung, tritt auf der Leitung nur Wirkleistung auf. Summand II
müsste komplett „verschwinden“, wenn er nur Blindleistung darstellen würde, was
aber nicht der Fall ist! Zwischen den zuvor genannten, jeweils  Ltg / 4 voneinander
entfernten Orten, trägt dieser Summand zum Pulsieren der Wirkleistung bei.
Nach einer weiteren Umformung erhalten wir folgende Gleichung mit den Summanden III
und IV, die weitere Klarheit bringen:
p t , z  =
1
U h I h 1−G2 1cos 2  t−2 
2
(30)
III
1
 U h I h 2 G 2 sin 2  tsin 2  
2
IV
Gl. (30) kann wie folgt interpretiert werden (dazu auch das Bild weiter unten):
• Summand III steht für die pulsierende Wirkleistung an allen Stellen z der Leitung. Die
Amplitude ist an allen Stellen z gleich. Der jeweilige Momentanwert ergibt sich aus
dem durch z bestimmten Winkel φ und der Zeit t.
• Die mit der Wirkleistung einhergehende Energie läuft vom Generator stetig über die
Leitung zur Last und wird dort absorbiert.
• Summand IV steht für die pulsierende Blindleistung an allen Stellen z der Leitung.
Die lokale Amplitude ist über φ von z abhängig. An bestimmten Stellen (siehe oben)
sind alle Momentanwerte der Blindleistung Null.
• Bei G = 1 gibt es keine Wirkleistung, nur Blindleistung.
• Bei G = 0 gibt es keine Blindleistung, nur Wirkleistung.
• Bei 0 < G < 1 gibt es sowohl Blindleistung als auch Wirkleistung.
• (Weitere Betrachtungen zur Energie sind möglich und werden ggf. noch
nachgetragen.)
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Das folgende Bild visualisiert Gl. (30). Entlang der x-Achse verläuft die Leitung. Am
rechten Rand ist die Lastimpedanz angeschlossen.
p' ist normiert auf
1
2
U h I h . G = 0,6
blau:
rot:
grün:
Summand IV
Summand III
Summe aus III und IV
bei ωt = π / 3 ) alles bei dem
bei ωt = π / 3 ) gleichen Zeitbei ωt = π / 3 ) punkt
violett:
orange:
Summand IV
Summand III
bei ωt = π / 1,8 ) anderer Zeitbei ωt = π / 1,8 ) punkt
• Die Wirkleistung (Summand III) pulsiert zeitlich. Die Amplitude ist für alle Stellen z
gleich. Die „Pulse“ laufen in Richtung ZL.
• Die Blindleistung (Summand IV) pulsiert lokal. Es entsteht eine sogenannte
„stehende Welle“. Die blaue und die violette Kurve zeigen das.
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Seite 11
Anhang: Methoden zur Beschreibung von Wechselgrößen
Ausführliche Angaben dazu sind z. B. in [1] zu finden. Hier wird das Thema nur kurz
angerissen.
Wechselströme und Wechselspannungen sind zeitveränderliche Größen. Arbeitet man mit
diesen Größen u t und it  , so befindet man sich direkt an der physikalischen
Realität, was auch für (richtig ausgeführte) Berechnungen gilt.
Für einige Berechnungen bringen diese Momentanwerte Probleme. Bei ohmschen
Widerständen ist der Quotient aus u und i eine konstante natürliche Zahl. Bei induktiven
und kapazitiven Widerständen spielt auch die Zeit eine Rolle und es gibt auch keinen
einfachen Quotienten. Die Zusammenhänge bei einem kapazitiven Widerstand und einem
induktiven Widerstand lauten:
u C t =
1
∫ it  dt
C
u L t = L
di t
dt
Man kommt bei Berechnungen in das Gebiet der Differentialgleichungen (und Integrale).
Das macht solche Berechnungen kompliziert.
Man kann einen Weg zur Vereinfachung beschreiten: Verwendet man als Zeifunktion der
Anregung nur eine cos-Funktion, so sind alle anderen zeitveränderlichen Größen im
System auch harmonische Funktionen mit der selben Frequenz, also cos-Funktionen mit
der selben Frequenz und einer Phasenverschiebung gegenüber der anregenden Funktion.
(Analog gilt das für sin-Funktionen). Zum Beispiel ist das Differential oder das Integral
einer harmonischen Funktion wieder eine harmonische Funktion. Ausgangsfunktion und
Ergebnisfunktion bei der Ableitung oder dem Integrieren unterscheiden sich im Winkel um
+/- 90°. Bei gemischten Widerständen kommen Winkel zwischen von -90° ... 0 ... +90° vor.
Die Wechselgrößen können gut als Drehzeiger oder ruhende Zeiger dargestellt werden.
Bei beiden Varianten sind die Winkeldifferenzen der betrachteten Wechselgrößen zeitlich
konstant. Bei Drehzeigern sind Frequenz und Phasenversatz erkennbar, bei ruhenden
Zeigern nur noch der Phasenversatz. Berechnungen erfolgen vektoriell. Es sind spezielle
Regeln der Wechselstromtechnik zu beachten (richtige Verwendung von Spitzenwerten
oder Effektivwerten für die Beträge der Vektoren).
Vektoren wiederum können gut mittels komplexer Zahlen dargestellt werden. Damit hat die
komplexe Rechnung einen exponierten Platz bei der Arbeit mit Wechselgrößen. So wird
zur reellen Zeitfunktion (z. B. cos) eine imaginäre Zeitfunktion (im Beispiel dann sin)
hinzugefügt. Diese passt zu den um +/- 90° verschobenen Zeitfunktionen, die durch
Blindwiderstände entstehen. Die reelle Zeitfunktion passt zu den nicht verschobenen
Funktionen, die durch ohmsche Widerstände entstehen. Durch die passende Kombination
des reellen und des imaginären Anteils kann jede durch eine Kombination aus ohmschen
und Blindwiderständen entstehende Ausgangsgröße dargestellt werden. Es sind spezielle
Regeln der Wechselstromtechnik zu beachten.
Literaturverzeichnis
[1]
Lunze, Klaus: Theorie der Wechselstromschaltungen, Verlag Technik Berlin 1991
© Ludwig Niebel 2011-12
Seite 12
Historie
v1
25.8.11
erste Version
v2
27.8.11
Diskussion der Ergebnisse überarbeitet und dort Bild eingefügt
v3
18.1.12
auf S. 7 Text etwas ergänzt, keine Inhaltlichen Änderungen,
Text mit Interpretation zu Gl.(27) weiter nach vorn verschoben
v3.1
29.5.12
auf S. 6 und 8 in den Bildunterschriften Fehler bei der Farbzuordnung
berichtigt: „(grün ... rot)“ geändert in „(grün ... orange)“
© Ludwig Niebel 2011-12
Seite 13
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