Sächische Staatskapelle Dresden Geschichte und Dirigenten Den Wettbewerb, welches Orchester das älteste in Deutschland sei, stel- Sächsische Staatsoper Dresden len sich mehrere Ensembles. Die Dresdener Staatskapelle ist unter ihnen Orchesterdirektion das einzige alte Orchester, das in seiner langen Geschichte keine Unter- Theaterplatz 2 01067 Dresden brechung in seiner Spieltätigkeit erleben musste, obwohl seine Heimat- Tel. 0351/49 11–340 stadt Dresden und sein Stammland Sachsen in den zurückliegenden Fax 0351/49 11–633 Jahrhunderten vielfach von Kriegen und anderen Fährnissen bedroht [email protected] worden sind. Doch die Musiker der früheren Hof- und späteren Staats­ www.staatskapelle-dresden.de kapelle fanden immer wieder Nischen, in denen sie – in welcher reduChefdirigent: zierten Form auch immer – ihre Musik weiter ausüben konnten. Christian Thielemann Von der Sächsischen Staatskapelle kennt man sogar das exakte Orchesterdirektor: Jan Nast Gründungsdatum: Am 22.9.1548 setzte Kurfürst Moritz von Sachsen Gründungsjahr: 1548 seinen Namenszug unter die »Cantorei Ordnung«, das Gründungsdokument der Hofkapelle. Wie der Name besagt, handelt es sich hier allerdings um ein Vokalensemble, dem Brauch der Zeit folgend. Sogar die Größe der Kantorei wird festgelegt: nämlich dass »under eilff grosse personen zum Baß/ Alt unnd Tenor/ unnd den neun knaben zum Discant nicht sein sollen«. Man könnte die Traditionslinie sogar noch weiter in die Vergangenheit ziehen, denn der direkte Vorläufer der Dresdener Hofkantorei war ein Sängerensemble in Torgau, wo die sächsischen Fürsten zuvor residiert hatten. Der Übergang zum Instrumentalensemble ging, wie andernorts auch, sehr langsam vor sich. Dass ein Organist den Gesang unterstützte, war schon zur Gründungszeit selbstverständlich, ebenso die Aufgabenstellung vorrangig innerhalb des Gottesdienstes. Bald aber übernahmen die Sänger repräsentative weltliche Aufgaben im Umkreis des Hofes. So erfolgte schon 1555 eine Revision der Kantoreiordnung. Bereits im Jahr zuvor umfasste die Hofkapelle 38 Sänger und zehn Instrumentalisten; sie spielten Vio­ linen, Gamben, Lauten, Schalmeien, Hörner, Krummhörner, Dulciane, Zinken, Trompeten, Posaunen, Pauken und Orgel. Schon in dieser Zeit wurden Musiker aus dem euro­ päischen Ausland angeworben und verpflichtet, darunter etliche Italiener, aber auch solche aus dem musikgeschichtlich so wichtigen flämischen Raum. Die überregionale Bedeutung der Dresdener Hofkapelle lässt sich schon in der Frühzeit an der Bekanntheit ihrer Leiter ablesen. Die lange Reihe beginnt mit Johann Walter, der gemeinsam mit Martin Luther die Fundamente der protestantischen Kirchenmusik schuf. Sie setzt sich fort mit Michael Prätorius und kulminiert 1617 mit Geschichte und Dirigenten 171 der Berufung von Heinrich Schütz zum Hofkapellmeister. Darauf beziehen sich heutige Chefdirigenten bis zu Christian Thielemann gern und sehen sich stolz in einer direkten Linie mit solch illustren Vorgängern. Die Schütz-Ära stellt den ersten Höhepunkt in der Chronologie dar, gekennzeichnet durch repräsentative Auftritte im weltlichen und geistlichen Rahmen, mit oft großen und vielfarbigen Instrumental- und Vokalbesetzungen. Hier wurde der Grundstein für die Dresdener Operngeschichte gelegt wurde, auch wenn sich leider kein einziges Zeugnis des Opernschaffens von Heinrich Schütz erhalten hat. Man sollte allerdings nicht übersehen, dass sein langes Wirken in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges fiel. Die Hofkapelle durchlebte damals eine existentielle Krise und bestand zeitweise nur noch aus zehn Musikern. 1641 entstand sogar ein zweites konkurrierendes Ensemble, die Kurprinzliche Kapelle, die sich vorwiegend um ein neues, italienisch geprägtes Repertoire bemühte. Bereits wenige Jahre später (1656) schloss sie sich mit der alten Hofkapelle zusammen. Im Verlauf des ganzen 17. Jahrhunderts spielte die Oper, sowohl in ihrer modischen italienischen wie in ihrer deutschsprachigen Variante, bereits eine wichtige Rolle. Die stilistische Dominanz der italienischen Musiker sorgte gelegentlich für Unmut, denn sie verdienten deutlich mehr als ihre deutschen Kapell-Kollegen. Als Friedrich August I. 1697 als sächsischer Kurfürst auch noch die polnische Königswürde erhielt, sich fortan August II. nennen durfte und den Ehrentitel »der Starke« erhielt, wirkte sich das auch auf die Stellung der Hofkapelle aus. Der König wies nun einem Teil der Musiker, überwiegend den Instrumentalisten, einen eigenen Aufgabenbereich zu: den der protestantischen Kirchenmusik, den weltlichen Bereich der Tafel- und Kammermusik sowie den Dienst in der Oper. »Tafel« und »Kammer« weisen auf die weltlich-höfischen Aufführungsorte hin und dienten seinerzeit noch nicht zur Unterscheidung von solistischer kammermusikalischer im Gegensatz zu symphonischer (chorischer) Besetzung, wie es heute üblich ist. Seit dieser Zeit war es den Musikern, deren Zahl inzwischen auf 38 gestiegen war, erlaubt, sich ganz auf ein einziges Instrument zu spezialisieren – eine epochemachende Neuerung, die dem modernen Virtuosentum mit zum Durchbruch verhalf. Zuvor waren die Musiker verpflichtet gewesen, bei Bedarf auch andere Instrumente zu spielen; dass diese vorgeschriebene Vielseitigkeit die spieltechnische Qualität nicht gefördert hatte, liegt auf der Hand. Um den angestrebten Qualitätsstandard abzusichern, suchten sich die Verantwortlichen am Hofe in ganz Europa die besten Musiker zusammen, auch das eine bemerkenswerte Vorstufe jener Tendenz zur Internationalisierung, die wir heute in allen Orchestern erleben. War schon die Zeit des Wirkens von Heinrich Schütz eine »Ära«, so verdient insbesondere die Zeit, in der Johann Adolf Hasse in Dresden das Amt bekleidete, diese Bezeichnung. Von 1750 bis 1763 versah er das Amt des Hofkapellmeisters, hielt die künstlerische Beziehung zur Hofkapelle jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 1783. Hasses Bedeutung liegt vor allem auf seinem Wirken für die Oper. Hasse gilt als Vollender der opera seria; für diese Gattung schuf er zahlreiche Werke und führte sie in Dresden auf, unterstützt durch seine Hofkapelle, die inzwischen auf 48 Mitglieder angewachsen war. Mit dieser Zahl stellte sie sogar das seinerzeit renommierte Mannheimer Orchester des Kurfürsten Carl Theodor in den Schatten. Hasses Bedeutung liegt auf kompositorischem wie auf interpretatorischem Gebiet. Unter seiner Leitung reifte die Hofkapelle zu einem überregional beachteten und viel- 172 Sächische Staatskapelle Dresden fach als Maßstab angesehenen Ensemble heran. Unterstützung fand Hasse vor allem bei seinem Konzertmeister, dem Geiger und Komponisten Johann Georg Pisendel. Er darf als einer der ersten »modernen« Konzertmeister gelten, der bereits damals alle wesentlichen Aufgaben dieser herausgehobenen Position im Orchester wahrnahm, die auch heute noch Gültigkeit haben. Mit Hasse teilte er sich während der Aufführungen die Leitung: Pisendel von der Geige aus in das Orchester hineinwirkend, Hasse vom Cembalo aus mit koordinierendem Blick auf das Bühnengeschehen. Pisendel pflegte engen künstlerischen Kontakt zum Venezianer Antonio Vivaldi, was unter anderem durch einen Hinweis in einer Vivaldi-Partitur dokumentiert ist: »Concerto per l’orches­ tra di Dresda«. In der Nachfolge Hasses führte Johann Gottlieb Naumann ab 1802 die Hofkapelle durch krisenhafte Jahre. Unter seiner Leitung setzte eine besondere Pflege der italienischen Opera buffa ein, die sich dann im neuen deutschen Singspiel fortsetzte. Unter Naumanns Nachfolger Ferdinando Paër wuchs die Kapelle auf 60 Musiker, doch kam es nicht zu einer »Ära Paër«, denn Napoleon »entführte« ihn 1806 auf seinem Durchzug durch Sachsen an den Hof nach Paris. In den politischen Wirren der napoleonischen Kriegsfolgen entging die Hofkapelle nur knapp der Auflösung. Dagegen markiert die Berufung von Carl Maria von Weber im Jahr 1813 zum Leiter des »deutschen Departements« innerhalb der Oper den Beginn einer neuen Ära. Wenn die Musiker der Staatskapelle bis heute ihre Chefdirigenten selber wählen, dann geht diese Tradition auf Webers Dienstzeit zurück. Ihn hatten sich die Kapellmusiker ausgesucht und durchgesetzt. Weber kümmerte sich, seinem Auftrag gemäß und der Mode der Zeit folgend, um das neue deutsche Repertoire in der Oper. Die Neugründung eines eigenen Opernchores diente ebenfalls diesem Zweck. Weber verkörpert in der langen Reihe der Dresdener Hofkapellmeister den ersten »modernen« Dirigenten. Äußerlich sichtbar wurde das daran, dass er mit einem Taktstock dirigierte und das Orchester nicht mehr vom Tasten­instrument aus leitete. Seine intensive und produktiv-fantasievolle Probenarbeit machte ihn zum modernen Orchester-»Erzieher«. Weber starb 1826 überraschend auf einer Reise nach London. Nach einigen Interimsjahren wurde 1843 der junge Richard Wagner zum Königlich Sächsischen Kapellmeister ernannt und behielt sein Amt bis 1849, als er im Zuge revolutionärer Wirren Dresden fluchtartig verlassen musste. Wenn Wagner auch wie sein Vorgänger Weber in die Musikgeschichte vorrangig als Komponist eingegangen ist, so zeigen gerade seine Dresdener Jahre, dass er mit gleicher Berechtigung in die Geschichte des Dirigenten-­ Berufes gehört. Unter seiner Leitung erlebten Der Fliegende Holländer (2.1.1843) und Tannhäuser (19.10.1845) hier ihre Uraufführungen. Daneben setzte er sich nachdrücklich für die Belange seines Orchesters und der Institution Oper ein, wobei sein Vorschlag, der Hofkapelle eine eigene Orchesterschule für den instrumentalen Nachwuchs anzugliedern, eine Pionieridee war: Erst in unseren Tagen hat sich dieses Konzept in allen großen Orchestern durchgesetzt. Wagner sprühte vor Ideen, konnte sich jedoch nicht mit allen Neuerungsvorschlägen, mit denen er der Alltagsroutine vor allem in der Oper den Kampf ansagte, durchsetzen. Eine seiner zukunftswirksamen Maßnahmen war, im Rahmen der traditionellen Palmsonntagskonzerte 1846 die 9. Symphonie von Beethoven auf das Programm zu setzen. Aus heutiger Sicht, wo die Neunte bei allen möglichen Festanlässen zur musikalischen Routine gehört, mag die Aufregung, die sein Vorschlag auslöste, unverständlich scheinen. Wagners penible musikalische ­Vorbereitung Geschichte und Dirigenten 173 in zahllosen Einzel- und Gesamtproben sowie mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit ist dokumentarisch überliefert und führte zu einem grandiosen Erfolg. Bis heute ist diese Palmsonntagstradition mit wenigen Unterbrechungen erhalten geblieben. Die Bedeutung eines Orchesters lässt sich an der Liste ihrer prominenten Orchesterleiter erkennen; sie zeigt, wie attraktiv das Dirigentenpult gerade in der Semperoper ist. Aber darunter sind auch Künstler, die heute weitgehend vergessen sind, obwohl sie für die Weiterentwicklung des Orchesters wichtig waren. Ein gutes Beispiel dafür ist der junge Karl Gottlieb Reißiger. Er war 1826 als Nachfolger Webers als »Musikdirektor der deutschen und italienischen Oper« eingestellt worden und wirkte immerhin 33 Jahre lange in Dresden, also auch während der sechs Wagner-Jahre. Reißiger bewährte sich in mehrfacher Hinsicht: So studierte er für Wagner die Uraufführung seines Rienzi ein (20.10.1842); er engagierte Hector Berlioz für mehrere Gastspiele, hielt in der täglichen Arbeit die Qualität des Orchesters aufrecht und erweiterte die Anzahl seiner Mitglieder. Noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1858 führte er die Reihe der turnusmäßigen Symphoniekonzerte ein. Für kurze Zeit machte man sich in der Intendanz der Dresdener Oper sogar die Hoffnung, Berlioz ganz an das Haus binden zu können. Stattdessen kam 1860, nach Stationen in Düsseldorf und beim Gewandhaus in Leipzig, Julius Rietz. In seine Zeit fallen sowohl die Dresdener Erstaufführung von Wagners Meistersingern wie leider auch der Brand des Opernhauses im Jahr 1869. Rietz erhielt 1874 als erster Dresdener Kapellmeister den Titel Generalmusikdirektor und amtierte bis 1877. Bekannter als Rietz ist bis heute Franz Wüllner, der ihm nachfolgte und dessen Ruf unter anderem von den beiden Uraufführungen von Wagners Rheingold und Walküre in München herrührte. Das kontinuierliche Wachstum der Kapelle hatte zu einer Besetzung mit etwa 70 Musikern geführt, als 1872 Ernst von Schuch sein Amt bei der Staatskapelle antrat – der erste in der Reihe der Stardirigenten. Er wirkte 24 Jahre am Ort, durfte sich ab 1882 Direktor der Oper und ab 1889 Generalmusikdirektor nennen. Hier haben wir einen Präzedenzfall dafür, wie segensreich ein gemeinsamer Chef für Oper und Konzert ist. Hatte das Orchester noch unter seinen Vorgängern nur viermal pro Woche im Operngraben Dienst zu tun, so war es seit 1896 im regelmäßigen Einsatz und umfasste inzwischen rund 89 Musiker. Hinzu kamen weitere 40 Instrumentalisten »in Reserve«, sogenannte Aspiranten und Expectanten, mit deren Unterstützung das Orchester auch besonders große Besetzungen bewältigen konnte. So kam es bald zu Kontakten mit Richard Strauss und seiner Musik. Schuch liebte die Musik seiner Zeit, was sich an den Programmen seiner Symphoniekonzerte und am Opernspielplan ablesen lässt. Er dirigierte neben Bruckner und Brahms Musik von Richard Strauss, Gustav Mahler, Reger, Berlioz, Debussy, Ravel, Verdi, Rachmaninow, Scrjabin, Dvořák und Sibelius, um nur die Wichtigsten zu nennen. In der Oper standen alle wichtigen neuen Werke der Zeit auf dem Spielplan. Neben Wagners Ring und dem Tristan gab man 1914 sogar schon den Parsifal, und es erklangen wichtige Opern von Verdi und Puccini. Aus dieser Zeit stammt der Ruf der Staatskapelle als eines der führenden »Strauss-Orchester«, Seite an Seite mit den Wiener Philharmonikern. Unter Schuchs Direktion gelangten Feuersnot (21.11.1901), Salome (9.12.1905), Elektra (25.1.1909) und Der Rosenkavalier (26.1.1911) zu ihren Dresdener Uraufführungen, bemerkenswert innerhalb der beeindruckenden Reihe von 50 Opernuraufführungen in dieser Ära. Dies war der Auftakt zu jener uneinholbaren Reihe von Uraufführungen eines einzelnen 174 Sächische Staatskapelle Dresden