Bachelorstudiengänge Wirtschaftswissenschaften und Informatik Mathematik I Prof. Dr. Diethard Klatte Universität Zürich Vorlesungsmaterialien Herbstsemester 2012 Version 29. August 2012 c D. Klatte, o.Prof. Mathematik für Ökonomen UZH, August 2012 ⃝ Nur die durch meinen Lehrstuhl online gestellten Skripte und Aufgaben sind von mir autorisiert, andere (insbesondere kommerziell angebotene) Materialien und Repetitorien nicht. 1 Pflichtliteratur [Kl] D. Klatte Foliensammlung und Skript Brückenkurs Mathematik online. [Ro] H. Rommelfanger Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler, Band 1, Spektrum, 6. Auflage, 2004. [SH] K. Sydsaeter, P. Hammond Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler, Pearson Studium, 3. Auflage 2009. Es können auch andere Auflagen der beiden Lehrbücher benutzt werden, auf den Folien wird auf die Auflagen [Ro] oder [SH] verwiesen. Weitere empfohlene Literatur vgl. OLAT oder www.business.uzh.ch/professorships/qba/teaching/mathematics.html 2 Hinweise zu Vorlesung, Übungen und Selbststudium Die Vorlesungsfolien vermitteln nur den ”roten Faden” durch den Stoff, in der Vorlesung erläutert der Dozent die Konzepte, Aussagen und Zusammenhänge im Detail und illustriert sie durch Beispiele. Zum Verständnis sind sehr wichtig das selbstständige Lösen der Übungsaufgaben, das Erarbeiten des Stoffs mit Hilfe der Lehrbücher sowie die aktive Beteiligung an den Übungen. Das Skript Brückenkurs Mathematik ist integraler Bestandteil der Vorlesung und im Selbststudium zu erarbeiten - der Stoff sollte aus der Schule bekannt sein. Die regulären Übungsaufgaben greifen oft auf den Brückenkurs zurück. Auf der E-Learning-Plattform OLAT werden Ergänzungsübungen , d.h. zusätzliche Übungsaufgaben mit vollständigen Musterlösungen, angeboten. Auf OLAT finden sich alle überhaupt alle relevanten Informationen zur Mathe I, z.B. mein Skript, die Übungsaufgabenserien, ein betreutes Diskussionsforum, alte Prüfungen etc. 3 Stoffverteilung 1. Aussagen (1. Woche) 2. Mengen (1.-2. Woche) 3. Funktionen (2.-3. Woche) 4. Funktionen in einer Variablen (3.-5. Woche) 5. Differentialrechnung der Funktionen in einer Variablen (6.-9. Woche) 6. Differentialrechnung der Funktionen in mehreren Variablen (9.-13. Woche) 4 1. Aussagen [Ro §1.3], [SH §§3.4-3.5] Definition: Eine Aussage ist ein sinnvoller Satz, der entweder wahr oder falsch ist. Hierbei kann man unter einem Satz auch eine (mathematische) Regel oder ein Gesetz, das mit Hilfe mathematischer Formeln gegeben ist, verstehen. Beispiele: p Bern ist die Hauptstadt der Schweiz. q sin π2 = 1 r Es gibt eine reelle Zahl x mit x2 = −1. w(ahr) w (ahr) f (alsch) p, q, r sind Aussagen, es kann jeweils eindeutig der Wahrheitswert w oder f zugeordnet werden. 5 Dagegen sind die folgenden Sätze keine Aussagen: • Wie geht es Dir? (Fragesatz) • Rauchen nicht erwünscht! (Befehl) • x+3 4 < 1 (Aussageform) Die Ungleichung enthält eine Variable, so dass kein Wahrheitswert w oder f zuzuordnen ist. Durch Einsetzen eines Zahlenwertes für x (z.B. x := 7) oder durch Quantifizierung, z.B. es existiert eine reelle Zahl x mit x+3 4 < 1 , kann man die Aussageform zur Aussage machen. Quantoren erlauben kurze Darstellungen von Aussagen: ∀ ”für alle” ∃ ”es existiert (mindestens) ein” z.B. ∀x : sin2 x + cos2 x = 1 6 Operationen mit Aussagen: ”Operation”: Zwei Aussagen p und q werden zu einer neuen Aussage verknüpft. Definition: p ∧ q Konjunktion p und q (genau dann wahr, wenn p wahr und q wahr) Beispiele: • sin 0 = 0 ∧ sin π = 0 (wahr, weil beide wahr) • cos 0 = 1 ∧ cos π = 1 (falsch, obwohl nur eine falsch) Definition: p ∨ q Alternative p oder q (genau dann falsch, wenn p falsch und q falsch) Beispiel: • cos 0 = 1 ∨ cos π = 1 (wahr, obwohl nur eine wahr) 7 Definition: ¬p nicht p (genau dann wahr, wenn p falsch) Definition: p⇒q Negation (Verneinung) Implikation aus p folgt q (genau dann falsch, wenn p wahr und q falsch) Dabei heissen p Voraussetzung (oder Prämisse) und q Behauptung der Implikation und man sagt auch: • p impliziert q, • p ist eine hinreichende Bedingung für q, • q ist eine notwendige Bedingung für p. • Die Implikation q ⇒ p heisst Umkehrung der Implikation p ⇒ q. Wichtig: Die Umkehrung q ⇒ p kann einen anderen Wahrheitswert haben als p ⇒ q, siehe folgendes Beispiel. 8 Mathematischer Satz (wahre Aussage): Wenn eine natürliche Zahl n durch 24 teilbar ist, dann ist n auch durch 4 und 6 teilbar. Beweis: Nach Voraussetzung gilt n = 24 · m für eine gewisse natürliche Zahl m. Damit gilt aber auch n = 4 · (6 · m) und n = 6 · (4 · m) , d.h., n ist durch 4 und durch 6 teilbar, was zu zeigen war. Diese Beweistechnik ist ein direkter Beweis: Unter Anwendung der Voraussetzungen und richtiger Schlüsse (mathematische Gesetze bzw. bekannte mathematische Sätze) wird die Behauptung direkt gezeigt. Die Umkehrung des Satzes lautet n ist durch 4 und 6 teilbar ⇒ n ist durch 24 teilbar. Diese Aussage ist falsch! Man muss nur ein Gegenbeispiel angeben, z.B. n = 12 ist durch 4 und durch 6 teilbar, aber nicht durch 24. 9 Die Umkehrung einer wahren Implikation kann aber auch wahr sein! Man betrachte den berühmten Satz des Pythagoras über die Längen c der längsten Seite und a, b der kürzeren Seiten eines Dreiecks: Satz: Wenn das Dreieck rechtwinklig ist, so gilt c2 = a2 + b2. Umkehrung: Wenn c2 = a2 + b2, so ist das Dreieck rechtwinklig. Zusammengefasst als Äquivalenz: Das Dreieck ist genau dann rechtwinklig, wenn c2 = a2 + b2. Definition: p⇔q Äquivalenz p genau dann, wenn q (genau dann wahr, wenn p und q die gleichen Wahrheitswerte haben) Bemerkungen: • Man sagt auch: p ist äquivalent zu q. • p ⇔ q ist äquivalent zu ( (p ⇒ q) ∧ (q ⇒ p) ). 10 Folgende Äquivalenzen sind stets wahr, d.h., die linke Seite ist wahr genau dann, wenn die rechte Seite wahr ist (und demnach falsch genau dann, wenn die rechte Seite falsch ist). ¬¬p ⇔ p (p ⇒ q) ⇔ (¬q ⇒ ¬p) ¬(p ⇒ q) ⇔ (p ∧ ¬q) ¬(p ∧ q) ⇔ (¬p ∨ ¬q) Gesetz der doppelten Verneinung Gesetz der Kontraposition Gesetz der Verneinung der Implikation Gesetz der Verneinung der Konjunktion Die Kontraposition verwendet man beim sogenannten indirekten Beweis: Man geht vom Gegenteil der Behauptung aus und schliesst auf einen Widerspruch zur Voraussetzung. Hinweis: Es gibt weitere wichtige Gesetze dieser Art, man vgl. in [Ro §1.3] das Stichwort ”Gesetze der Aussagenlogik”. 11 Beispiel Bilden Sie nach den o.a. Gesetzen die Kontraposition und die Verneinung der Implikation Wenn Q ein Quadrat ist, so ist Q ein Rechteck. (1) Die Implikation (1) ist offenbar wahr. Kontraposition der Implikation (1): Wenn Q kein Rechteck ist, so ist Q kein Quadrat. (2) Offenbar ist auch (2) wahr - das muss so sein nach dem Gesetz der Kontraposition. Verneinung der Implikation (1): Sie lautet ”Q ist ein Quadrat und Q ist kein Rechteck”, d.h., Q ist ein Quadrat, aber kein Rechteck. (3) Offenbar ist (3) eine falsche Aussage - dass muss so sein, da (3) die Negation der wahren Aussage (1) ist. 12 [Ro §§1.1- 1.2, 1.4-1.5], [SH §3.6] 2. Mengen Eine Menge wird definiert durch Aufzählung ihrer Elemente oder Angabe von Eigenschaften, welche die Elemente der Menge haben. Beispiele: a) M1 = Menge der Kantone u. Halbkantone der Schweiz (Eigenschaft) oder M1 = {BE, VD, AI, . . . , SH, ZH} ( Aufzählung der Elemente) z.B. AG ∈ M1, aber F L ∈ / M1 b) M2 = {x|x2 + x − 6 = 0}, d.h. x ∈ M2 gilt genau dann, wenn x die Lösung der quadratischen Gleichung x2 + x − 6 = 0 ist. (Eigenschaft) oder M2 = {−3, 2} (Aufzählung der Elemente) z.B. −3 ∈ M2, 1 ∈ / M2 . 13 Allgemein gilt: Ist M eine Menge, so ist für jedes Objekt m entscheidbar, ob m∈M m∈ /M oder ” m ist Element von M ” ” m ist nicht Element von M ” Symbole für Zahlenmengen: N := {1, 2, 3, ...} Menge der natürlichen Zahlen Z := {..., −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, ...} Menge der ganzen Zahlen Q := { m Menge der rationalen Zahlen n | m ∈ Z, n ∈ N} R (auch R1 ) Menge der reellen Zahlen Definitionssymbol: Bei der Definition einer Menge, Funktion etc. wird oft das Zeichen := verwendet. 14 Teilmengen Definition: A ⊆ B bedeutet: ∀x : x ∈ A ⇒ x ∈ B A ist Teilmenge von B (auch: Untermenge von B, enthalten in B) A ⊂ B bedeutet: (A ⊆ B) ∧ (A ̸= B) A ist echte Teilmenge von B. A = B bedeutet: (A ⊆ B) ∧ (B ⊆ A) Die Mengen A und B sind gleich . Statt A ⊆ B schreibt man auch B ⊇ A (B ist Obermenge von A), analog auch B ⊃ A statt A ⊂ B (B ist echte Obermenge von A). 15 Darstellung von Teilmengen Wir erläutern das am Beispiel der folgenden Teilmenge A von Q, (a) dargestellt durch die Eigenschaften der Elemente der Teilmenge: 2 − 1 ) = 0} A = {x ∈ Q | (x2 − 1 ) · (x 3 4 d.h. , 2 − 1) = 0 ] )(x x ∈ A ⇔ [ x ∈ Q und x löst (x2 − 1 3 4 d.h. A ist die Menge aller rationalen Nullstellen des Polynoms 1 )(x2 − 1 ) = x4 − 7 x2 + 1 ; P (x) = (x2 − 3 4 12 12 (b) dargestellt durch Aufzählung aller Elemente der Teilmenge: 1 , 1 } , denn in unserem Beispiel gilt für x ∈ R : A = {− 2 2 [ ] 1 , P (x) = 0 ⇔ x = √1 ∨ x = − √1 ∨ x = 1 ∨ x = − 2 2 3 3 also bleiben als rationale Lösungen x = ± 1 2. 16 Im Beispiel wird ein Prinzip der Definition von Zahlenmengen deutlich: Man betrachtet eine Grundmenge (hier: Q) und definiert eine Teilmenge davon als Lösung von Gleichungen, Ungleichungen oder durch andere Eigenschaften. Definition: Die Menge, die kein Element enthält, heisst leere Menge , Symbol ∅ . Zwei Mengen A, B, die kein gemeinsames Element enthalten, heissen disjunkt (oder durchschnittsfremd). Es gilt stets: ∅⊆A ∅ ̸= {∅} für alle Mengen A 17 Definition von Mengenverknüpfungen Sind A und B Mengen und ist Ω eine Obermenge von A, so definieren wir A∪B := {x | x ∈ A ∨ x ∈ B} Vereinigung von A und B A∩B := {x | x ∈ A ∧ x ∈ B} Durchschnitt von A und B AΩ := {x | x ∈ Ω ∧ x ∈ / A} Komplement von A bezgl. Ω A\B := {x | x ∈ A ∧ x ∈ / B} Differenz von A und B A△B := (A \ B) ∪ (B \ A) symmetrische Differenz von A und B Wenn Ω eine bekannte Grundmenge ist (z.B. bei A := {x ∈ R | x < 1} wäre Ω = R), so schreibt man statt AΩ auch kurz A. 18 Venn-Diagramme A B A∪B Beispiel Ω := N = {1, 2, . . .}, A := {2k | k ∈ N} ⊂ N (Menge der geraden Zahlen) A B := {0, 1, 2} B A∩B A ∪ B = {0, 1, 2, 4, 6, . . .} A B A \B A \ B = {4, 6, . . .} A B A∆B Ω A A ∩ B = {2} AΩ A△B = {0, 1, 4, 6, . . .} AΩ = {2k − 1 | k ∈ N} (Menge der ungeraden Zahlen) 19 Vereinigung und Durchschnitt von n Mengen n ∪ Ai := A1 ∪ A2 ∪ . . . ∪ An i=1 n ∩ = {x | ∃i ∈ {1, . . . , n} : x ∈ Ai} Ai := A1 ∩ A2 ∩ . . . ∩ An i=1 = {x | ∀i ∈ {1, . . . , n} : x ∈ Ai} Venn-Diagramme A A B C B C A∩B∩C A∪B∪C 20 [Ro §1.5, SH §1.7] Mengen reeller Zahlen Beispiele für Intervalle auf der reellen Zahlengerade: ( -1, 2 ] -2 -1 0 1 2 3 0 1 2 3 2 3 ( -∞, 1 ] -2 -1 ( 0, 2 ) -2 -1 0 1 Warnung: Schreibweisen wie [−∞, 1] oder (2, +∞] haben für Teilmengen von R keinen Sinn! 21 Definition: Intervalle Endliche Intervalle (auch beschränkte Intervalle genannt): Seien a und b Elemente von R mit a < b. [a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} abgeschlossenes Intervall [a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b} halboffenes Intervall (a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ b} halboffenes Intervall (a, b) := {x ∈ R | a < x < b} offenes Intervall In [SH §1.7 ff] wird unsere Schreibweise verwendet. Wie in [Ro §1.5] können die runden Klammern durch ”umgekehrte” eckige Klammern ersetzt werden, also ]a, b[= (a, b), ]a, b] = (a, b] usw. 22 Unendliche Intervalle (auch unbeschränkte Intervalle genannt): Seien a und b Elemente von R. (−∞, a) := {x ∈ R | x < a}, (−∞, a] := {x ∈ R | x ≤ a}, (b, +∞) := {x ∈ R | x > b}, [b, +∞) := {x ∈ R | x ≥ b}. Ferner schreiben wir (−∞, +∞) := R. Wieder können die runden Klammern durch ”umgekehrte” eckige Klammern ersetzt werden, also ]a, +∞[= (a, +∞), ] − ∞, b] = (−∞, b] usw. 23 Definition: Beschränktheit Eine Menge M ⊆ R heisst nach oben beschränkt , wenn eine reelle Zahl k̄ existiert mit x ≤ k̄ für alle x ∈ M . Eine Menge M ⊆ R heisst nach unten beschränkt , wenn eine reelle Zahl k existiert mit x ≥ k für alle x ∈ M . Dabei heissen k̄ eine obere Schranke von M und k eine untere Schranke von M . M ⊆ R heisst beschränkt , wenn M nach oben und unten beschränkt ist. 24 Beispiele: 1. Nun ist klar, warum endliche Intervalle auch beschränkt genannt werden; z.B. ist in M1 := (a, b ], a, b ∈ R, a < b, a eine untere Schranke, b eine obere Schranke; ebenso sind α mit α < a eine untere bzw. β mit β > b eine obere Schranke von M1. 2. Analog heissen unendliche Intervalle auch unbeschränkt; z.B. M2 := [a, +∞), a ∈ R: M2 hat keine obere Schranke, ist also nicht nach oben beschränkt, folglich nicht beschränkt. 1 , 1 , . . . , 1 , . . .} enthält unendlich viele Elemente, , 3. M3 := { 1 2 3 4 n 1 ]. ist aber beschränkt: M3 ⊂ (0, 2 25 Definition: sup, inf, max, min Die kleinste obere Schranke einer Menge M ⊆ R heisst Supremum von M und wird mit sup M bezeichnet. Die grösste untere Schranke einer Menge M ⊆ R heisst Infimum von M und wird mit inf M bezeichnet. Falls die Zahl sup M zu M gehört, so heisst sie Maximum von M und wird mit max M bezeichnet. Falls die Zahl inf M zu M gehört, so heisst sie Minimum von M und wird mit min M bezeichnet. Satz: vgl. [Ro, Satz 1.7] Falls die Menge M ⊂ R nichtleer und nach oben beschränkt ist, so existiert sup M . Falls die Menge M ⊂ R nichtleer und nach unten beschränkt ist, so existiert inf M . 26 Bezeichnungen: a) k∗ = sup M liest man ”k∗ ist das Supremum von M ” ; b) Existieren für M ̸= ∅ das Supremum bzw. das Infimum nicht, so schreiben wir symbolisch sup M = +∞ bzw. inf M = −∞ . Beispiele: (i) M4 := [−1, 25) min M4 = −1, d.h. inf M4 = −1 und −1 ∈ M4 sup M4 = 25. Da 25 ∈ / M4, existiert kein Maximum von M4. M4 ist beschränkt. √ (ii) M5 = { x | 0 ≤ x < +∞} • min M5 = 0 • sup M5 = +∞ 27 (iii) M6 := {sin x | 0 < x < 2π} Da für alle x ∈ R gilt −1 ≤ sin x ≤ 1, sind alle k ≤ −1 untere Schranken und alle k ≥ 1 obere Schranken für M6. ⇒ M6 beschränkt. y 1 sin x 0 -1 0 π 2π x d.h.: M6 = {y ∈ R | ∃x ∈ (0, 2π) : y = sin x} = [−1, 1], also • max M6 = 1 = sin π2 • min M6 = −1 = sin 3π 2 28 [Ro §4], [SH §§4-5] 3. Funktionen Der Funktionsbegriff: nicht nur innerhalb der Mathematik wichtig, sondern auch grundlegend zur Beschreibung von ökonomischen Zusammenhängen. Einführendes Beispiel DV K + DF K = DK (vgl. Varian Mikroökonomie) DK DVK Durchschnittskosten φ fixe Kosten DFK φ variable Kosten DK(y 0 ) output output y output z.B.: die Gleichung der Durchschnittskosten DK = DK(y) definiert Zuordnungsvorschrift, und zwar die Funktion y 7−→ DK(y) (y ≥ 0). Existiert auch eine Umkehrfunktion DK 7−→ y(DK) ? 0 29 3.1. Kartesisches Produkt von Mengen [Ro §4.1], [SH §4.3] Um allgemeinere als die in der Schule behandelten Funktionen betrachten zu können, definieren wir zunächst Produktmengen. Definition: Produktmenge (kartesisches Produkt) Soll für zwei Elemente a ∈ A und b ∈ B die Reihenfolge berücksichtigt werden, so schreiben wir sie als geordnetes Paar (a, b). Zwei geordnete Paare (a, b) und (c, d) heissen gleich, wenn a = c und b = d. Seien A und B zwei beliebige Mengen. Dann heisst die Menge A × B := {(a, b) | a ∈ A ∧ b ∈ B} Produktmenge (bzw. kartesisches Produkt ) von A und B. Beispiel: A = {Anna, Max}, B = {Mathe, Statistik, BWL}. Dann gilt z.B.: (Anna,BWL) ∈ A × B, (Anna,Max) ∈ A × A, (BWL,Anna) ∈ B × A, aber ̸∈ A × B. 30 Für A × A schreiben wir auch A2 . Speziell ist die Menge R2 die Menge aller geordneten Paare (x, y) mit x ∈ R und y ∈ R, d.h., die Menge aller geordneten Paare von reellen Zahlen. Den R2 kann man veranschaulichen (z.B.) durch Punkte (oder Ortsvektoren) in einem kartesischen Koordinatensystem : y 4 1. oder 2. Quadrant -4 2 -2 3. Quadrant positiver Quadrant 2 -2 -4 4 x 4. Quadrant . (2,-4) Das kartesische Produkt von zwei Halbachsen heisst Quadrant . ([Ro §4.1] fordert: ”die Punkte auf den Achsen gehören nicht dazu” - wird in der Literatur nicht einheitlich so gehandhabt) 31 Spezielle Quadranten positiver Quadrant (0, +∞) × (0, +∞) nichtnegativer Quadrant [0, +∞) × [0, +∞) Punkte (d.h. Ortsvektoren ) im kartesischen Koordinatensystem schreiben wir als geordnete Paare (in der Zeichnung oben z.B. (2, −4), allgemein (x, y)). Definition n-Tupel Seien A1, . . . , An gegebene Mengen. Werden n Objekte a1, a2, ..., an mit ai ∈ Ai (∀i) unter Berücksichtigung der Reihenfolge zusammengefasst, so schreibt man (a1, a2, ..., an) und nennt diesen Ausdruck (geordnetes) n-Tupel . 3-Tupel heissen Tripel, 4-Tupel heissen Quadrupel. Zwei n-Tupel (a1, a2, ..., an) und (b1, b2, ..., bn) heissen gleich , wenn a1 = b1, a2 = b2, . . . , an = bn. 32 Definition Kartesisches Produkt von n Mengen Mengen) a1 ∈ n X Ai := (a1, a2, ..., an) a2 ∈... i=1 an ∈ (A1, . . . , An gegebene A1 A2 An In einem n-Tupel (a1, ..., ai, ..., an) heissen die Elemente Komponenten (oder Koordinaten ) des n-Tupels, z.B. ist a1 die 1. Komponente und ai die i-te Komponente. Die Menge An = A × A × . . . × A (n-mal) n-te (kartesische) Potenz der Menge A. nennt man die Für die Menge aller n-Tupel reeller Zahlen schreiben wir Rn . Im Rn heissen die kartesischen Produkte von n Halbachsen Orthanten , z.B. ist [0, +∞)n der nichtnegative Orthant des Rn und (0, +∞)n der positive Orthant des Rn. 33 Beispiel: Güterbündel aus n Gütern a = (a1, ..., ai, ..., an) ↑ Menge des i-ten Gutes Wenn z.B. ai in Stück angegeben ist, wäre ai ∈ N ∪ {0}, i = 1, ..., n, also a ∈ (N ∪ {0}) × ... × (N ∪ {0}) n-mal, {z } | d.h. a ∈ (N ∪ {0})n. 34 3.2. Funktionen (Abbildungen) vgl. speziell [Ro §4.3] [SH §5.6] Definition: Eine Funktion f von A in B ist eine Zuordnung, die jedem Element x ∈ A genau ein Element y ∈ B zuordnet. x f y = f(x) A B Man nennt y = f (x) eine Zuordnungsvorschrift. Synonym zum Begriff Funktion ist der Begriff Abbildung üblich. 35 x f y = f(x) A B Dabei heisst A Definitionsbereich (auch Urbildmenge) von f , wir benutzen auch oft das Symbol Df . B heisst Zielmenge von f . f (A) := {f (x) ∈ B | x ∈ A} heisst Wertebereich (auch Bild- oder Wertemenge) von f , wir benutzen auch oft das Symbol Wf . gph f : = {(x, f (x)) | x ∈ A} heisst Graph von f , wir benutzen auch die Symbole Gf bzw. graph f . 36 Bezeichnungen: f :A→B f ist eine Funktion von A in B f x 7→ y bzw. x 7→ y = f (x) bzw. y = f (x) steht gleichberechtigt für als auch ”y ist das Bild von x bezüglich f ” ”x ist ein Urbild von y bezüglich f ”. Ist f : A → B und X ⊂ A, so heisst die Menge f (X) := {f (x) ∈ B | x ∈ X} Bild von X bezüglich f . Zur Definition einer Funktion f : A → B gehören immer 3 Angaben: • der Definitionsbereich A, • die Zielmenge B, • die Zuordnungsvorschrift x ∈ A 7→ y = f (x) ∈ B. 37 Beispiele: (1) Studentinnen - Vorlesung - Beispiel A = { Maria, Anna, Rosa}, B = {Mathe, Statistik}. m a r µ τ m µ a r A τ B Das definiert eine Funktion F von A = {m,a,r} in B = {µ, τ }: Jedes x ∈ A hat genau ein Bild y = F (x) ∈ B. Bemerkung: Dagegen kann es zu Elementen des Wertebereichs einer Funktion mehrere Urbilder geben! In unserem Beispiel ist die Menge der Urbilder von µ bezüglich F gleich {m, a}, denn m 7→ µ und a 7→ µ. 38 (2) Modifikation von Beispiel (1) A = { Maria, Anna, Rosa}, B = {Mathe, Statistik}. m a r µ τ m µ a r A τ B Das ist keine Funktion von A in B, denn dem Element m ∈ A werden mehrere Elemente in B zugeordnet, nämlich µ, τ ∈ B, die Definition einer Funktion fordert aber Eindeutigkeit der Zuordnung. Bemerkung: Eine Zuordnung wie im Beispiel (2), in der mindestens einem Element von A mehrere Elemente von B entsprechen, heisst mengenwertige Abbildung oder Korrespondenz , vgl. auch (optional!) den Begriff der Relation in [Ro §4.2]. 39 (3) Folgen reeller Zahlen 1 2 ... n ... 7−→ 7−→ ... 7−→ ... a1 a2 ... an ... ∈N ∈R Definitionsbereich Zielmenge definiert die Funktion a : N → R , die jeder natürlichen Zahl n das Element a(n) = an ∈ R zuordnet. Diese Funktion heisst reelle Zahlenfolge , kompakt geschrieben: {an}n∈N. Speziell: 1. an = 1/n, n ∈ N, ist die Zuordnungsvorschrift der harmonischen Folge, ihr Wertebereich ist die Menge {1/n}n∈N. 2. bn = (−1)n, n ∈ N, definiert die beschränkte, aber divergente Folge {−1, 1, −1, 1, . . .} mit dem Wertebereich {1, −1}. 3−2n , n ∈ N, definiert die Folge {1, −1, −1, −1, . . .}, sie 3. cn = |3−2n| ist konvergent und hat auch den Wertebereich {1, −1}. Zum Begriff der Konvergenz bzw. Divergenz vgl. Kapitel 4. 40 (4) Quadratwurzelfunktion Bekanntlich wird für jedes x ∈ [0, +∞) die eindeutig bestimmte nichtnegative Lösung y der quadratischen Gleichung y 2 = x als 1 √ Quadratwurzel von x bezeichnet, Symbol: y = x = x 2 . Das definiert eine Funktion f : [0, +∞) → [0, +∞) mit Hilfe der Zuordnungsvorschrift √ y = x, x ≥ 0, (Quadratwurzelfunktion) - eine spezielle Potenzfunktion. y 2 1 0 0 1 2 3 4 5 x 41 (5) Eine Funktionen von R2 in R Betrachtet wird die Funktion g : R2 → R, die durch g(x, y) = x2 + y 2, (x, y) ∈ R2, (∗) definiert ist. Das ist ein spezielles Polynom in 2 Variablen. Warum ist das eine Funktion? Jedem Paar (x, y) (Urbild!) wird durch (∗) genau ein z = g(x, y) (Bild!) zugeordnet. z 20 4 10 2 0 -2 0 -1 -2 0 x 1 y Definitionsbereich: A = R2 Zielmenge: B=R Wertebereich: g(A) = [0, +∞) Zuordnungsvorschrift: (x, y) 7→ z = x2 + y 2 -4 2 42 Definition: Der natürliche Definitionsbereich Df einer reellen Funktion x 7→ y = f (x) gibt an, für welche x ∈ R die betreffenden Definitionsterme f (x) erklärt sind, der natürliche Wertebereich ist dann Wf = f (Df ). Beispiele: (vgl. Illustration auf der folgenden Seite) 1 (a) f (x) = : x 4 (b) g(x) = : |1 − x| √ (c) h(x) = x − 1 : Df = R \ {0}, Wf = R \ {0} Dg = R \ {1}, Wg = (0, +∞) Dh = [1, +∞), Wh = [0, +∞) 43 y 20 f (x) = 1 x 10 x -4 2 -2 4 -10 -20 y 4 g(x) = |1−x| 150 100 50 x -2 1 -1 2 3 3 4 4 y 2 √ h(x) = x − 1 1.5 1 0.5 x 1 2 5 44 3.3 Eigenschaften von Funktionen [Ro §4.3.3], [SH 5.2-5.3] f : A −→ B heisst eineindeutige bzw. injektive Funktion∗, falls für alle x, x b ∈ A gilt: x ̸= x b ⇒ f (x) ̸= f (b x). Mit anderen Worten: Jedes Element y aus dem Wertebereich f (A) von f hat nur genau ein Urbild x ∈ A. Letzteres ist präzise die Kontraposition der obigen Implikation: Für alle x, x b ∈ A gilt f (x) = f (b x) ∗ auch: ⇒ x=x b. Eins zu Eins oder umkehrbar eindeutig 45 Beispiele 1. Sei f (x) = x2. y 4 3 2 1 x -2 -1 1 2 1a. f : R −→ R ist nicht injektiv , denn z.B. f (1) = f (−1). 1b. f : [0, +∞) → R ist dagegen injektiv , denn zu jedem Element y √ im Wertebereich Wf = [0, +∞) gibt es genau ein Urbild x = y. Vorgriff: Im Fall 1b. ist die betrachtete Funktion streng monoton 2 wachsend über ihrem Definitionsbereich: aus x1 < x2 folgt x2 1 < x2 . Das ist offenbar ein Spezialfall der Injektivität. 46 (2) Sei g(x) = (1 + x−0.5)−2, x > 0, in Anwendungen ist das eine spezielle CES-Produktionsfunktion: 1 0.9 0.8 0.7 x 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0 0 50 100 150 200 250 x 300 350 400 450 500 g : (0, +∞) −→ R ist injektiv , ihr Wertebereich ist Wg = (0, 1). Wie man diese beiden Erkenntnisse ohne Kenntnis des Graphen von g erhält, ist Gegenstand von Kapitel 4 und 5. 47 Zusammensetzung von Funktionen Beispiel: h(x) = ln|x − 1| entsteht durch Verkettung von x 7−→ y = f (x) := |x − 1| y 7−→ z = g(y) = ln y. Allgemein: x 7−→ y = f (x) y 7−→ z = g(y). Das funktioniert nur, wenn Wf ⊆ Dg . Definition: Genügen f : A −→ B und g : C −→ D der Bedingung Wertebereich von f ⊆ C, so lassen sich f und g verketten zur Zusammensetzung g ◦ f von f und g: g◦f : A − 7 → D x − 7 → z = g(f (x)). 48 Beispiel: Bestimme den natürlichen Definitionsbereich Dg◦f und den natürlichen Wertebereich Wg◦f für f (x) = |x − 1| und g(y) = ln y. Da ln y nur definiert ist für y > 0, folgt Dg◦f = R\{1} . Offenbar gilt Wg◦f = R , denn zu jedem z ∈ R existiert ein x ̸= 1 mit z = ln |x − 1|, wähle z.B. x = ez + 1 (> 1!). Zusammenhang zur Theorie: Der natürliche Definitionsbereich Df = R von f (x) = |x − 1| muss eingeschränkt werden auf A = R \ {1}, folglich gilt f (A) = (0, +∞) = Dg . Damit lassen sich (vgl. Definition!) f und g verketten. 49 Definition: Umkehrfunktion einer injektiven Funktion Ist f : A → B injektiv und hat den Wertebereich Wf , so heisst f −1 : Wf → A y 7→ x := f −1(y) f 2 -10 -8 -6 -4 -2 2 -2 mit f −1 ◦ f (x) = x f ◦ f −1(y) = y ∀x ∈ A ∀y ∈ Wf Umkehrfunktion zu f Inverse zu f ). (auch -4 -6 -8 f −1 Rechtfertigung der Definition: Eine injektive Funktion f : A → B hat • zu jedem x ∈ A genau ein Bild y = f (x) ∈ Wf (nach Definition einer Funktion), • zu jedem y ∈ Wf genau ein Urbild x ∈ A (weil f injektiv ist); das Symbol f −1 steht für diese Rück-Zuordnung: x = f −1(y). 50 Beispiele B1. Nachfragefunktion [Ro, Bsp. < 4.11 >] Seien p der Preis eines Gutes, x die Nachfrage nach dem Gut. Typische Annahmen: ”sinkende Nachfrage bei steigendem Preis” sowie ”Nachfrage bleibt beschränkt bei Preis =0”. Traditionelle Konvention [A. Marshall 1842 - 1924]: p aufgetragen auf Ordinate, x aufgetragen auf Abzisse. Gegeben: p = p(x) = − 2 5 x + 2, x ∈ [0, 5] 5 x(p) = 5/2 p + 5 4 Umkehrung nach Konvention: Abbildungsrichtung umkehren. 3 p, x Umkehrfunktion zu x 7→ p(x): x = x(p) = − 5 2 p + 5, p ∈ [0, 2] 2 1 Umkehrung mathematisch: Spiegelung an {(x, p)|p = x}. 0 p(x) = 2/5 x + 2 0 1 2 3 4 5 x, p 51 B2. Parabel Die Funktion x(y) = √ y, y ∈ [0, +∞), ist Umkehrfunktion von y(x) = x2, x ∈ [0, +∞), (Achtung! Eingeschränkter Definitionsbereich!) - und umgekehrt! Vgl. Beispiel 1b. in diesem Abschnitt. B3. Permutationen Die Funktion π : {1, 2, 3} → {1, 2, 3} mit der Wertetabelle n 1 2 3 π(n) 3 1 2 ist eine spezielle Permutation der natürlichen Zahlen 1, 2, 3. Bemerkung: Man nennt eine Funktion f : A → B mit Wf = B eine surjektive Funktion von A auf B. Ist f : A → B injektiv und surjektiv, so heisst f bijektiv. In diesem Sinne sind in den o.a. Beispielen • p = p(x) eine bijektive Funktion von [0, 5] auf [0, 2], (B1) √ • y(x) = x eine bijektive Funktion von [0, +∞) auf [0, +∞), (B2) • π eine bijektive Funktion von {1, 2, 3} auf {1, 2, 3}. (B3) 52