Das Journal Nr. 07 // März, April, Mai 2013 Die Staatstheater Stuttgart // März, April, Mai 2013 // Nr. 07 Das Journal Inhalt Vorwort Das Journal März / April / Mai 2013 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebes Publikum der Staatstheater Stuttgart! Ballett auf Reisen, um vier Vorstellungen im Moskauer BolschoiTheater zu geben. Zu Gast am Schauspiel Stuttgart ist demnächst wieder Corinna Harfouch. Gemeinsam mit ihrer Schwester Catherine Stoyan wird sie in Was geschah mit Baby Jane? zu sehen sein. Der scheidende Schauspielintendant Hasko Weber präsentiert seine Abschieds-Inszenierung: die Uraufführung von Sibylle Bergs Angst reist mit. Und vier junge Regisseure begeben sich auf die theatrale Suche nach dem Glück. Der Tänzer Arman Zazyan in der Maske des Bunka Kaikan-Theaters in Tokyo während der Japan/Korea-Tour des Stuttgarter Balletts im Jahr 2012. Foto: Roman Novitzky Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und viele spannende Theatererlebnisse im Frühjahr 2013! Die Staatstheater Stuttgart 01. Nicht ohne unsere Justitiarin! // SEITE 5 Verena Beurle-Bernardić kümmert sich um Rechtsfragen 02. Was geschah mit Baby Jane ? // SEITE 8 Wieder gemeinsam auf der Bühne: Corinna Harfouch und Catherine Stoyan 03. Susanne Gschwender // SEITE 10 Die Bühnenbildnerin der Oper Stuttgart im Gespräch 04. Uraufführung des Balletts Krabat // SEITE 12 Der Choreograph Demis Volpi und sein Team im Gespräch 05. Ana Durlovski // SEITE 14 Die Sopranistin des Stuttgarter Sängerensembles im Portrait 06. Das ist Glück // SEITE 16 Die vier jungen Regisseure von Dea Lohers »Magazin des Glücks« im Portrait 07. Atemberaubende Hingabe // SEITE 18 Der neue Ballettabend »Meisterwerke« 08. Angst reist mit // SEITE 20 Uraufführung des neusten Stücks von Sibylle Berg 09. Engelslieder und Zauberflöten // SEITE 22 Der Musiktheaterpädagoge Christoph Sökler bei der Arbeit 10. Gastspielreise nach Moskau // SEITE 24 Das Stuttgarter Ballett gastiert am legendären Bolschoi-Theater Foto: Jasha Bhadra wieder einmal möchten wir Ihnen die Gelegenheit bieten, hinter die Kulissen der Staatstheater Stuttgart zu schauen. Hätten Sie gewusst, dass ohne die Arbeit unserer Justitiarin Verena Beuerle-Bernardić wohl kaum eine Aufführung zustande kommen würde? Wir stellen sie Ihnen vor. Außerdem lernen Sie die mehrfach ausgezeichnete Sängerin des Stuttgarter Opernensembles Ana Durlovski, demnächst zu sehen als Zerbinetta in Strauss’ Ariadne auf Naxos, sowie die Bühnenbildnerin Susanne Gschwender, die derzeit die Räume für Rossinis Cenerentola entwickelt, näher kennen. Der Choreograph Demis Volpi berichtet gemeinsam mit seinem Team von der Entstehung seines brandneuen Handlungsballetts Krabat, das im März uraufgeführt wird. Einige Wochen später geht das Stuttgarter Plus 10 Fragen an … // SEITE 26 Hannes Hartmann, Ausstattungsleiter & Bühnenbildner am Schauspiel Karten und Informationen 0711.20 20 90 // www.staatstheater-stuttgart.de 01. Die Anwältin 01. Verena Beurle-Bernardić kümmert sich um Rechtsfragen Nicht ohne unsere Justitiarin! Foto: Martin Sigmund Sie wirkt zwar dahinter, aber ohne sie passiert vor den Kulissen nicht viel: VERENA BEURLE-BERNARDIĆ ist bei den Württembergischen Staatstheatern Stuttgart für Urheberrechte, Medien und Gastspiele zuständig. 4 Das Journal März/April/Mai 2013 5 01. Ihre Größe spricht im wahrsten Sinne des Wortes Bände. Die Rede ist von der Akte, die für Lulu. Eine Monstretragödie angelegt wurde, jenes Handlungsballett, das der einstige Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts, Christian Spuck, für die Compagnie im Jahr 2003 schuf. Verena Beurle-Bernardić hat sie auf dem Tisch ihres Büros im Opernhaus ausgebreitet, um einen Einblick in einen Bereich zu geben, der zu den wichtigsten im Theaterbetrieb gehört. Hinter den Kulissen ablaufend, wird er nach außen indes nie sichtbar. Dabei kommt ohne den Einsatz der studierten Juristin mit Zusatzabschluss in Kulturmanagement kein Werk auf die Bühnen der Stuttgarter Staatstheater: Beurle-Bernardić ist in dem Dreispartenhaus als Justitiarin tätig, ihr Arbeitsbereich umfasst Urheberrechte, Medien und Gastspiele. Für alle drei Sparten – Oper, Schauspiel und Ballett – klärt sie die Rechte in Sachen Musik, Theaterstücke, Texte, Kulissen, Fotos, Filme und Persönlichkeit. Die Gebühren der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) laufen über ihren Tisch, genauso wie die Verträge von Gastspielen und Kooperationen. »In Lulu hat Christian Spuck viele unterschiedliche Kompositionen verwendet, wir mussten also zahlreiche Urheber anfragen«, erinnert sich BeurleBernardić, während sie in der Akte blättert und auf die damaligen Verträge zeigt. Da seien Kompositionen von Alban Berg und Arnold Schönberg dabei gewesen, aber auch Stücke von Dmitri Schostakowitsch oder gar Nina Simones »Wild is the Wind«, das von einer Tänzerin gesungen wurde. Die Rechte der Persönlichkeit Wäre diese gefilmt worden, wäre eine weitere Dimension ins Spiel gekommen, die der Persönlichkeitsrechte, die jeder Mensch hat, und die besonderen Rechte der Darsteller, die so genannten Leistungsschutzrechte. Diese werden etwa verletzt, wenn Zuschauer im Theater heimlich mit Smartphones filmen. So ist es zwingend, dass Kunstschaffende Film- oder Hörfunkaufnahmen sowie dem Abdruck ihrer Fotos zustimmen, die im Programmheft oder in sonstigen Medien einschließlich Internet erscheinen. Beurle-Bernardić beschreibt dies anhand der Oper Don Giovanni, die im Sommer 2012 in Stuttgart Premiere feierte. »In der berühmten ›Registerarie‹ des Leporello, der Szene, in der Leporello alle Liebschaften Don Giovannis aufzählt, werden in Andrea Moses’ Inszenierung zahlreiche Frauenporträts projiziert – und jede einzelne dieser Damen musste ihrer Präsentation in der Öffentlichkeit zustimmen, zumal die Aufführung auch vom SWR gedreht wurde.« Das war auch der Fall, als eine Sängerin zunächst einer Radioaufzeichnung zugestimmt hatte, dann aber mit ihrem Auftritt unzufrieden war und hinterher ihre Zustimmung zur Aussendung verweigern wollte. »So verständlich dies ist, aber das geht nicht, wenn man vorher mit dem Sender die Ausstrahlung vereinbart hat. Wir freuen uns ja auch über eine Berichterstattung.« Die Aufführungsrechte hole man sich in der Regel nur für eine Spielzeit ein, erläutert Beurle-Bernardić. Bei einer Wiederaufnahme müssten erneut alle angefragt werden, insbesondere jene, die die Urheberrechte besäßen. Das können Nachfahren der Komponisten oder Schriftsteller sein, sehr häufig sind das aber Verlage. Mitunter gibt es gleich mehrere für ein Stück, wie bei Krabat. Das berühmte Jugendbuch, das Otfried Preußler im Jahr 1971 verfasste, wird vom Choreographen Demis Volpi als Ballett umgesetzt. »Wir fragten zunächst beim Buchverlag an, um dann zu erfahren, dass es noch einen anderen Verlag gab, der für die szenische Umsetzung des Stückes zuständig ist«, so Beurle-Bernardić. Werden dann noch musikalische Werke verwendet, deren Komponist jenseits des großen Teichs lebt und dort seinen Musikverlag hat, wie z.B. der US-Amerikaner Philip Glass, muss zunächst recherchiert werden, ob der Rechteinhaber in Deutschland oder Europa eine Vertretung hat. »Wenn nicht, heißt es, mit den USA Kontakt aufnehmen, was kompliziert sein kann, weil das Recht dort anders funktioniert.« Auch sei die Bezahlung eine andere. Grenzen der Vergütung In Deutschland haben die Verantwortlichen des Deutschen Bühnenvereins mit jenen der Verlage Vorgaben ausgehandelt, die in einer Regelsammlung zum Bühnen- und Musik- 6 01. recht niedergelegt ist. Beurle-Bernardić zückt eine schwarz eingefasste Blattsammlung und schmunzelt: »Die Leib- und Magenlektüre für Justitiare an Theatern.« Und gemäß dieser Lektüre liegt die Urhebervergütung pro verkaufter Karte in den Sparten Oper und Ballett üblicherweise bei 3,24 Euro, im Schauspiel sind es 1,92 Euro. Dabei gibt es Unter- und Obergrenzen der Vergütung, diese liegen zwischen 13 und 17 Prozent der Roheinnahmen einer Vorstellung. Für kleine Spielstätten gilt eine Sonderregelung. Diese garantiert den Autoren und Komponisten Pauschalen zwischen 200 und 300 Euro. Mit den Choreographen, die nur in Ausnahmefällen von Verlagen vertreten werden, wird gesondert verhandelt. Der Wille der Erben Meist lasse sich mit den Verlagen gut zusammenarbeiten, betont die Juristin. Auch mit den Nachkommen, obschon diese nicht selten mit Argusaugen die Kreationen ihrer Vorfahren bewachten. Gerade auch, wenn ein Regisseur oder eine Regisseurin eine neue Version eines Stückes zeigen wolle. So darf nach dem Willen der Erben die Dreigroschenoper von Bertold Brecht nur mit der dazugehörigen Musik von Kurt Weill aufgeführt werden. Die Nachfahren Béla Bartóks nehmen ebenso genau unter die Lupe, was zur Musik ihres Ahns vertanzt wird. Und die Erben Richard Strauss’ wiederum haben gänzlich verboten, Kompositionen ihres Vorfahren in Tanz umzusetzen – sie dürfen nur als Opern oder orchestral aufgeführt werden. »Daher ließ der australische Choreograph Graeme Murphy vor Jahren sein vom Rosenkavalier inspiriertes Ballett Die Silberne Rose gänzlich ohne Originalmusik aufführen«, erinnert sich Beurle-Bernardić. Und derlei könnte bis zum Jahr 2019 vorkommen, dem 70. Todestag von Richard Strauss. »Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod eines Künstlers. Ab da sind auch die Erben außen vor, dann ist ein Werk historisch und gemeinfrei. Es kann also verwendet werden, ohne dass mit jemandem über Lizenzen verhandelt werden muss. Das gilt z.B. für Stücke von Shakespeare und Goethe oder Kompositionen von Mozart oder Bach.« Deren Werke seien Allgemeingut und könnten daher verändert, bearbeitet und übersetzt werden, wie es beliebe. Bei Stücken indes, die noch nicht den Status der Gemeinfreiheit erlangt haben, müssen Änderungen mit den Nachfahren beziehungsweise den Autoren abgesprochen werden. Das gelte auch für Auftragswerke. »Kürzungen, also die so genannten Strichfassungen sind zulässig. Anders ist es bei gravierenden Änderungen, wenn beispielsweise Fremdtexte in das Original einfügt werden oder man sehr frei mit dem Text umgeht, wie das der auch bei uns inszenierende Regisseur Volker Lösch gerne macht.« Als dieser etwa im vergangenen Jahr Albert Camus’ Revoltenstück Die Gerechten in die Jetztzeit versetzte, das Publikum, die Stuttgart 21-Debatte und gesellschaftliche Fragen wie Altersarmut oder Einkommensmillionäre einbezog, mussten dem die Camus-Erben zustimmen. Die reisten denn auch eigens etwas skeptisch aus Frankreich an, um das Maß der Verfremdung zu begutachten. Doch die politische Aktualität der Inszenierung gefiel ihnen letztendlich. »Sie sahen, dass die angesprochenen Themen und Camus’ Text gut zusammen gingen«, so Beurle-Bernardić. »Manchmal einigt man sich auch darauf, dass an unserem Haus eine Fassung entsteht, die dann beispielsweise als Stuttgarter Fassung angekündigt wird.« Stuttgarter Versionen So geschehen bei Dancer in the Dark. Die Koproduktion des Stuttgarter Schauspiels und des Balletts – unter der Regie von Christian Brey mit Choreographien von Marco Goecke und Louis Stiens – feierte vergangenen November im NORD Premiere. Eine äußerst interessante Konstellation, sinniert die Urheberrechtsexpertin. »Ursprünglich basiert alles auf dem Film von Lars von Trier und dessen Drehbuch, für das dann der amerikanische Autor Patrick Ellsworth die Rechte für ein Bühnenstück erwarb. Wir wollten wiederum von Ellsworth ausgehend unsere Fassung mit Tanz und Theater machen.« Und dazu habe zwangsläufig viel Text gestrichen werden müssen, worüber Rechteinhaber Ellsworth anfangs nicht so glücklich gewesen sei. Als er sich dann allerdings mit Regisseur und Choreographen austauschte, involviert wurde und schließlich auch die Proben sah, habe ihm Fassung wie Umsetzung gefallen. »Wir haben uns inhaltlich einigen können, nun gilt das Werk als ›Stuttgart version‹ von Dancer in the Dark.« Dass nicht die Filmmusik von Björk erklingen würde, war indes von Anfang an klar: die Isländerin hat die Rechte auf von Triers Streifen beschränkt. Kein Freibrief für Zitate Ein Spezialfall sei denn auch das Thema Zitate, weiß BeurleBernardić, ob nun in Stücken oder Programmheften, im Internet oder in Magazinen. »Da geistert immer noch die Meinung herum, dass man ein bis drei Sätze frei zitieren kann. Das stimmt so nicht: Es gibt keinen Freibrief für Zitate.« Das erfuhr man bei der Oper Frankfurt bitter: Die Zuständigen bekamen von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine dicke Rechnung, weil sie längere Passagen aus Rezensionen auf ihre Homepage gestellt hatten. Es sei immer besser, alles ›en détail‹ abzuklären, rät Beurle-Bernardić. Doch selbst bei bester Absicherung kann etwas passieren. So klagte etwa ein Autor, dass ein Stuttgarter Handlungsballett auf seinem Roman beruhe. Der Choreograph erklärte indes, er habe sich vom Buch nur inspirieren lassen, es indes frei verwendet. »Hier sind die Grenzen fließend: Was ist Inspiration, ab wann ist es eine exakte Umsetzung? Das Landgericht folgte dem Kläger nicht in dem Punkt, dass das Buch vertanzt wurde – damit war es keine Urheberrechtsverletzung.« Das sei aber ein Einzelfall gewesen in den 13 Jahren, in denen sie bei den Staatstheatern arbeite, so Verena Beurle-Bernardić. Und das tut sie nach wie vor mit Begeisterung: »Diese Position ist eine tolle Berufsnische für Juristen, in der es nie langweilig wird.« Petra Mostbacher-Dix Großes Bild Verena Beurle-Bernardić in ihrem Büro (Foto: Martin Sigmund) Bild links Aufführungsakten zu Irgendwie Anders, dem Intergenerationenprojekt der Jungen Oper (Dezember 2012), und der Schauspielproduktion Das Leben ein Traum von Pedro Calderón de la Barca in einer Bearbeitung von Soeren Voima, die am 21. Februar 2013 zur Premiere kam (Foto: Matthias Dreher) Bilder oben Szene aus Die Gerechten / Occupy nach Albert Camus (Regie: Volker Lösch), auf dem Bild Jan Jaroszek und Stuttgarter Publikum (Foto: Sonja Rothweiler); Alicia Amatriain als Lulu in Christian Spucks gleichnamigem Ballett (Foto: Stuttgarter Ballett); Rebecca von Lipinski (Donna Elvira) und André Morsch (Leporello) in Don Giovanni (Foto: A.T. Schaefer) Das Journal März /April /Mai 2013 7 02. Was geschah mit Baby Jane ? 02. Familienbande Schwestern im Leben und auf der Bühne: CORINNA HARFOUCH und CATHERINE STOYAN spielen nach sieben Jahren wieder gemeinsam in Stuttgart Die Schwestern Corinna Harfouch und Catherine Stoyan waren dem Schauspiel Stuttgart in den vergangenen acht Spielzeiten eng verbunden. Gemeinsam auf der Bühne standen sie hier aber nur einmal, und zwar in der Don Quixote-Bearbeitung Herr Ritter von der traurigen Gestalt (2006). Nun sind beide in Was geschah mit Baby Jane? erneut zusammen zu erleben. Am Ende der ersten Probenwoche trafen sich Corinna Harfouch und Catherine Stoyan mit dem Regisseur Christian Weise und dem Dramaturgen Christian Holtzhauer und sprachen über die Unterschiede zwischen Spiel und Leben, Konkurrenz und Erfolg und ihre Arbeit am Schauspiel Stuttgart. Christian Holtzhauer: In Was geschah mit Baby Jane? spielt ihr zwei Schwestern, die – wie ihr – Schauspielerinnen sind. Die eine war ein großer Filmstar, die andere ein Kinderstar, der im Filmgeschäft nie Fuß fassen konnte. Ein tragischer Unfall hat beider Karrieren abrupt beendet. Seit vielen Jahren leben die Schwestern zurückgezogen in einem alten Haus, sind aufeinander angewiesen, hassen sich aber zutiefst. Nun wurde dieser Stoff zwar zuerst als Roman veröffentlicht, aber bekannter ist die Verfilmung mit Joan Crawford und Bette Davis. In unserer Inszenierung überlagern sich also gleich mehrere Ebenen, die nicht leicht voneinander zu trennen sind: Zwei Schwestern, die zugleich Schauspielerinnen sind, spielen zwei Schauspielerinnen, die zugleich Schwestern sind (bzw. spielen die Schauspielerinnen, die die Schwestern spielen). Ist es nun leichter oder schwerer, die Figuren zu entwickeln, wenn man tatsächlich verwandt ist? Und welche Rolle spielt der Film dabei? Schwestern im Film ist ja nicht wie unsere. Wir können also ganz frei damit spielen. Allerdings gibt es schon hier und da Einblicke in eine Realität, die etwas mit uns zu tun hat. Wir haben als Schwestern keine ausgeprägte Streitkultur. Es bereitet daher große Lust, im Rahmen der Rolle mal so richtig aneinander geraten zu können. Christian Weise: Obwohl es uns nicht darum geht, die Geschichte der Schwestern Harfouch und Stoyan zu erzählen, sind Blanche und Jane, also die beiden Schwestern aus der Geschichte, auf den Proben auf eine gewisse Weise sofort da. Das war sogar regelrecht erschreckend, dass man die Figuren gar nicht erst anfüttern musste, sondern sie gleich von der ersten Probe an voll »Fleisch« waren. Zugleich empfand ich es als sehr beglückend, weil wir sofort aus dem Vollen schöpfen konnten. „Es gibt hier und da Einblicke in eine Realität, die etwas mit uns zu tun hat.“ Corinna Harfouch Holtzhauer: Zwischen allen Geschwistern gibt es hin und wieder Konkurrenz. Bei den Schwestern unserer Vorlage zerstört diese Konkurrenz beider Leben; der Film zeigt sozusagen die Schattenseiten des Erfolgs. Aber was bedeutet Erfolg denn eigentlich? Maske draufzudrücken, sondern die Masken gerade wegzulassen. Die Kunst des Schauspielens besteht für mich gerade darin, nicht mehr zu spielen. Oder zumindest immer weniger zu spielen, durchlässiger zu werden. Holtzhauer: Seht ihr euch eigentlich eure alten Filme an, wie Blanche in unserem Stück? Harfouch: Nein. Was vorbei ist, ist vorbei. Es geht mir immer um den Moment, ums Jetzt, um diese ungeheure Verdichtung an Energie, an Kraft. Beim Filmdrehen ist dieses »Jetzt« allerdings deutlich weniger ausgeprägt als beim Theaterspielen. Weise: Ich bin da anders. Ich nehme immer alles auf, damit ich mir das später im Altersheim anschauen kann. Ich glaube auch nicht, dass ich mit dem Wunsch, das festzuhalten, was ich gemacht habe, allein dastehe. Ganz im Gegenteil. Das will doch jeder, etwas hinterlassen, sei es ein Erbe oder so etwas wie Ruhm. Es gibt doch diese unglaubliche Sucht nach Erfolg, von der ja auch unser Stück handelt. Die Leute wollen vorkommen. „Es geht mir immer um den Moment, ums Jetzt, um diese ungeheure Verdichtung an Energie.“ Corinna Harfouch Catherine Stoyan: Wir spielen ja den Film nicht einfach nach, sondern gehen – wie in jeder anderen Produktion auch – von einem Textbuch aus. Bette Davis, die im Film die Jane spielt, war natürlich eine großartige Schauspielerin, aber was sie in diesem Film spielt, hat nichts mit mir zu tun. Das kann gar nichts mit mir zu tun haben, denn ich muss ja meine eigene Sicht auf die Figur entwickeln. Ich habe mir den Film daher nur ein einziges Mal angesehen und ihn dann sofort wieder vergessen. Der Weg kann nur sein, auf meine eigene Kreativität zu vertrauen. Ich bewundere Schauspieler, die einfach so jemanden nachspielen können. Ich kann das nicht. Wenn ich eine Rolle spiele, dann muss ich das, was ich dafür brauche, aus mir selbst schöpfen. Was mich aber tatsächlich viel mehr beschäftigt hat war die Frage, wie wir als Schwestern bei den Proben einen Zugang zu den verfeindeten Schwestern unserer Geschichte finden würden. Davor hatte ich sogar ein bisschen Angst. Aber auch das ist schließlich eine ganz normale schauspielerische Aufgabe. Denn wenn ich mit einer anderen Schauspielerin als meiner Schwester proben würde, müsste ich mir die Rolle ja trotzdem erst einmal erarbeiten, und dafür würde ich auch aus meiner eigenen Erfahrung schöpfen, also aus der Erfahrung mit Corinna. „Was mich aber tatsächlich beschäftigt hat war die Frage, wie wir als Schwestern bei den Proben einen Zugang zu den verfeindeten Schwestern unserer Geschichte finden würden.“ Catherine Stoyan Corinna Harfouch: Es gibt aber Momente während unserer Proben, in denen ich stärker berührt bin als bei anderen Proben, weil wir uns natürlich nah sind. Catherine verschwindet ja nicht hinter ihrer Rolle wie hinter einer Folie. Wenn wir die Szenen miteinander probieren, sehe ich nicht nur die Figur, sondern immer auch meine Schwester. Das wäre bei einer anderen Schauspielerin nicht so. Trotzdem arbeiten wir hier nicht unsere Beziehung auf, denn die Beziehung der beiden 8 Stoyan: Ich frage mich ja manchmal, ob mit mir etwas nicht stimmt, aber ich hab das einfach nicht, dieses Konkurrenzdenken. Erfolg heißt für mich, in einer konkreten Produktion das zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Das geht auch gar nicht anders, denn für mich ist es normal, dass ich nicht weiß, was ich als nächstes mache. Harfouch: Erfolg gibt mir auf einer äußeren Ebene Sicherheit und einen gewissen Schutz; er hilft auch in bestimmten Alltagssituationen. In anderen kann er sich aber auch nachteilig auswirken. Vor allem aber ist es für mich Arbeit, wenn ich einen Film drehe oder in einem Theaterstück spiele. Und um diese Arbeit gut zu machen, kann ich zwar auf meiner Erfahrung aufbauen, nicht aber auf dem Erfolg. Eigentlich beginnt man bei jedem Projekt wieder bei Null. Und ich hatte einfach ganz viel Glück, weil ich ganz früh in meiner Karriere auf Leute getroffen bin, die mich stark machen wollten. Ich durfte wachsen, ohne dass mich jemand fertig machen wollte, und irgendwann war die Bühne mein Zuhause. „Erfolg heißt für mich, in einer konkreten Produktion das zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe.“ Catherine Stoyan Holtzhauer: Im Fall der Schwestern Jane und Blanche waren die Filmstudios ihr Zuhause bzw. ihr Leben, aus dem sie durch diesen mysteriösen Unfall gerissen wurden. Aber kann man überhaupt aufhören Schauspielerin zu sein? Denkt ihr manchmal ans Aufhören? Stoyan: (lacht) Immer wieder. Harfouch: (lacht ebenfalls) Eigentlich ständig. Aber man hört tatsächlich nicht einfach auf, Schauspielerin zu sein. Dieser Beruf ist das Leben, wobei in diesem Leben natürlich noch viel mehr stattfindet, als nur auf der Probebühne zu sitzen. Auf eine gewisse Art und Weise ist das Spielen sogar eine Art Überlebenstechnik: Wir alle spielen doch in allen möglichen Situationen unseres Lebens Rollen, tragen Masken. Je zersplitterter unsere Leben sind, umso mehr Masken tragen wir. Es geht für mich auf der Bühne aber nicht darum, sich noch eine Holtzhauer: Wir nähern uns mit gewaltigen Schritten dem Ende der achtjährigen Intendanz von Hasko Weber am Schauspiel Stuttgart. Ihr habt in unserer ersten Spielzeit gemeinsam im Kammertheater auf der Bühne gestanden. Du, Catherine, hast anschließend viele Rollen in Stuttgart gespielt, zuletzt die Dorine im Tartuffe, während du, Corinna, mit eigenen Projekten hier zu sehen warst, und natürlich als der Teufel in Meister und Margarita. Zum (vielleicht) letzten Mal in Stuttgart spielt ihr nun wieder gemeinsam in einer Inszenierung – und wieder führt Christian Weise Regie. Was bedeutet euch die Stuttgarter Zeit? Harfouch: Ich habe mich hier – sowohl in der Stadt als auch im Theater – unglaublich gut empfangen gefühlt. Ich hatte hier Möglichkeiten, die ich nirgendwo anders bekommen hätte, und konnte viele verschiedene Sachen ausprobieren. Und dafür bin ich sehr dankbar. Stoyan: Das geht mir ganz genauso. Weise: Ich habe hier eine wunderbare Zeit gehabt. Ich habe mit befreundeten Mitstreitern gemeinsame Arbeiten realisieren können und neue Mitstreiter kennengelernt, mit denen ich nun unbedingt weiterarbeiten will. Und durch die vielen Formate, die wir entwickelt haben, etwa Viva la Mittwoch in der Interimsspielstätte in der Türlenstraße, haben wir Kontakt zu vielen Menschen in der Stadt bekommen, die man im normalen Theateralltag nie kennenlernen würde. Es wurde dadurch eine wahnsinnig intensive Zeit. Was geschah mit Baby Jane? frei nach dem Roman von Henry Farrell Regie: Christian Weise, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Andy Besuch, Musik: Jens Dohle, Dramaturgie: Christian Holtzhauer, Mit: Dorothea Arnold, Benjamin Grüter, Corinna Harfouch, Jan Jaroszek, Jan Krauter, Katharina Ortmayr, Nora Quest, Sebastian Röhrle, Michael Stiller, Catherine Stoyan, Anna Windmüller sowie Jens Dohle und Falk Effenberger Premiere: 02. März 2013 // 20:00 Uhr // Kammertheater Catherine Stoyan und Corinna Harfouch auf der Probebühne von Was geschah mit Baby Jane? (Foto: Christian Kleiner) Das Journal März /April /Mai 2013 9 03. Susanne Gschwender 03. Die Bühnenbildnerin der Oper Stuttgart im Gespräch d n u n e g r u b s Gral sümpfe Frosch Seit der Spielzeit 1999/2000 ist die Architektin Susanne Gschwender an der Oper Stuttgart für die künstlerische Produktionsleitung im Bereich Bühnenbild verantwortlich. Zwei ihrer Arbeiten sind demnächst wieder in Stuttgart zu sehen: Parsifal und Platée. Mit Dramaturg Patrick Hahn spricht sie über die Herausforderungen ihres Berufes. Patrick Hahn: Opern spielen oft an merkwürdigen Orten und zu merkwürdigen Zeiten. Mal im alten Ägypten, mit Babyloniern und Hebräern, mal im Mittelalter mit Gralsburgen, dann wieder in einer nicht definierten Antike in Froschsümpfen und an anderen kuriosen Orten. Was ist schwieriger, diese Schauplätze auf die Bühne zu hieven oder neue Übersetzungen dafür zu finden? Susanne Gschwender: Entscheidend ist doch eher: Was ist künstlerisch interessant? Recherche ist in jedem Fall wichtig: Wie hat der Ort, der gezeigt werden soll, zur Zeit der Handlung des Stückes ausgesehen? Man sollte auch wissen, wie eine Theaterbühne zur Zeit der Entstehung eines Stückes funktioniert hat, welche Möglichkeiten sie geboten hat – und was zur damaligen Zeit dann die bühnengemäße Darstellung eines Ortes bedeutet hat (häufig etwas anderes als heute). Aber ein historisierendes Erscheinungsbild ist lediglich eine von vielen möglichen Annäherungsweisen. Für mich geht es vor allem darum, eine heute relevante Idee des jeweiligen Stückes mit dem Bühnenbild zu unterstützen. PH: Dennoch erfährt man von vielen Zuschauern immer wieder den Wunsch, »Historienfilme« mit einer vermeintlich authentischen Kulisse zu sehen. Kann die Bühne das einfach nur schlechter als der Film? SG: Film ist ein ganz anderes Medium. Mit allen Vor- und Nachteilen. Ein ganz pragmatischer Nachteil ist, dass ein Bühnenvorgang reproduzierbar sein muss, jeden Abend aufs Neue, während einer Probe vielleicht mehrfach. Man kann nicht so einfach 100 Stühle zertrümmern oder Hochhäuser in die Luft jagen – auch wenn es lustig wäre. Zudem hat man mit dem Schnitt im Film die Möglichkeit ein Geschehen anders zu fokussieren. Ein Bühnenbild ist dagegen immer präsent und muss durchgehend in jeder Situation funktionieren. Einer der großen Vorteile des Theaters ist, dass man den Zuschauer direkt erreicht. Der Zuschauer ist faktisch im gleichen Raum wie die Darsteller. „Now I’ve got the concept!“ PH: Diese Nähe zwischen Darstellern und Publikum hast Du auch in Deinen letzten Bühnenbildern betont – ob bei Hanjo, einer Inszenierung, die bei der Ruhrtriennale Premiere gefeiert hat und nun in Berlin zu sehen sein wird, oder in den Stuttgarter Produktionen Triumph von Zeit und Enttäuschung und Platée. Oft ragt das Bühnenbild bis in den Zuschauerbereich hinein oder es gibt wenigstens einen Steg, der den Darstellern »über die Rampe« hilft. SG: Alle diese Produktionen sind in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Calixto Bieito entstanden. Ihn interessiert eine starke Interaktion mit dem Zuschauer. Es weckt ganz unterschiedliche Emotionen, je nachdem ob man einen Menschen neben sich singen hört oder über die Distanz eines Orchestergrabens hinweg. PH: Aber auch im übertragenen Sinne muss ein Bühnenbild eine Brücke zum Publikum schlagen: es ist oft der erste Eindruck, den ein Zuschauer von einer Inszenierung empfängt. Wann ist ein Bühnenbild in Deinen Augen gelungen? SG: Wenn es die Idee, die man im Team gefunden hat, in einem starken Bild komprimiert. Eines der schönsten Komplimente habe ich nach der Technischen Einrichtung von Parsifal bekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Ensemble auf der Probebühne gearbeitet und nach der ersten Probe in der Originaldekoration sagte einer der Sänger: »Now I’ve got the concept!«. Für die Hauptdarstellerin in Hanjo war das Bühnenbild eine heftige körperliche Herausforderung: Sie bewegte sich barfuss und kniend auf echtem Schotter und Eisenbahnschienen. Aber für sie war das Agieren mit diesen rauen Materialien wichtig für die Konzentration auf ihre Rolle. Natürlich ist es ein großes Vergnügen starke Bilder zu schaffen, aber die Themen, um die es geht, und die Darsteller sollten immer im Mittelpunkt bleiben. Die Bilder dürfen kein Selbstzweck sein. Die Brücke zum Zuschauer PH: Wenn die Materialien von solcher Bedeutung sind – wo bleibt denn dann die Illusion? Man kann doch nicht unbegrenzt Matthias Hölle (Titurel), Heinz Göhrig (1. Gralsritter), Staatsopernchor Stuttgart in Parsifal. Foto: Martin Sigmund 10 Inszenierungsfoto zur Premiere von Platée am 1. Juli 2012 mit Cyril Auvity (Mercure), Rebecca von Lipinski (Thalie), André Morsch (Cithéron), Ana Durlovski (La Folie), Andreas Wolf (Jupiter), Sophie Marilley (Juno), Shigeo Ishino (Momus), Thomas Walker (Platée). Foto: A.T. Schaefer Stahlbeton auf die Bühne stellen und staubige Materialien wie Sand sind für Sänger beim Singen doch recht ungesund, oder? SG: Tatsächlich kann man aus den verschiedensten Gründen nicht immer Echt-Material verwenden. Es war riskant, aber bei Parsifal ist es geglückt, Beton so zu imitieren, dass er echt wirkt. Was vor allem damit zu tun hat, dass die Werkstätten hier ganz wunderbar sind. Doch auch wenn ich »reale« Materialien benutze, bedeutet dies noch nicht, dass ich diese so verwende, wie »im wirklichen Leben«. Spannend ist, wenn eine Umwertung stattfindet. Man muss den Grat finden zwischen Illusion und ... des Abends verwandelt. Ein Einheitsraum kann viel mehr sein als nur ein Raum. Die Definition des Raumes erfolgt auch sehr stark über die Menschen, die sich in ihm bewegen und ihn »in Besitz« nehmen. Nachdem Gurnemanz singt: »zum Raum wird hier die Zeit«, füllt sich während der großartigen Verwandlungsmusik die Bühne mit dem Herrenchor, der aus Luken in die Endzeitwelt aufsteigt. Um sie geht es in diesem Moment. PH: ... Wahrhaftigkeit? SG: Wahrhaftigkeit klingt so pathetisch. Aber man spürt, dass die Echtheit des Materials den Darstellern oft hilft. Keine hohle Wand, sondern Steine, an denen man sich »abarbeiten« muss ... Wenn sich die Darsteller im Parsifal Teile aus der Brücke herausreißen, hört man auch im Zuschauerraum, dass es echtes Metall ist. Derzeit arbeitet Susanne Gschwender am Bühnenbild für die Neuinszenierung von La Cenerentola (Regie: Andrea Moses, Premiere am 30.06.2013). Parsifal von Richard Wagner PH: Auch Bühnenbilder machen Musik. Regie: Calixto Bieito; Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling SG: Was die meisten Dirigenten nicht so gerne hören ... PH: Deine letzten Bühnenbilder, die Du mit Calixto Bieito entwickelt hast, haben einen geradezu installativen Charakter. Viele Werke sehen jedoch eigentlich viele Szenenwechsel, viele Verwandlungen vor. Früher hat man in so einem Fall einen anderen Prospekt eingehängt und hat die Handlung dadurch an einen anderen Ort verlegt. Doch heute gibt es auf den Bühnen einen regelrechten Trend zu sogenannten »Durchstehern« ... SG: Gut gesetzte Verwandlungen können eine schöne Dynamik in die Inszenierung bringen. Für mich ist es aber vor allem spannend, wenn die ganze Welt, die man zeigen möchte, bereits im Raum vorhanden ist und dieser sich im Laufe Das Journal März /April /Mai 2013 SG: In dieser Hinsicht bin ich ziemlich altmodisch. Am Computer kann zu viel verfälscht werden und zudem sind mir die computergenerierten Bilder zu unsinnlich. Manche Proportionen kann ich mir nur über das Modell klar machen. Zum Beispiel steigt die Landschaft in Parsifal – was keiner vermuten würde – an der höchsten Stelle drei Meter über Bühnenniveau an. Die Brücke ist gegenläufig dazu gebaut, was dem Gesamtraum optisch viel mehr Tiefe gibt, als es real im Bühnenhaus möglich wäre. Darüber hinaus bereiten viele Regisseure mit dem Modell ihre Arbeit vor, und auch für die Werkstätten ist es bedeutend anschaulicher, wenn sie beim Bauen ein Modell haben. Schließlich lässt sich selbst die technische Realisierbarkeit bis zu einem gewissen Grad am Modell abschätzen. Was im Modell kompliziert zu bauen ist, ist meist auch für die Technik schwer umsetzbar. Pappe lässt sich doch irgendwie zwingen. Alles andere nicht. Wiederaufnahme: 01. April 2013 // 17:00 Uhr // Opernhaus April 2013: 14.04. // 21.04. // 28.04. Mai 2013: 05.05. // 09.05. // 12.05. Susanne Gschwender bei der Bauprobe. Foto: Moritz Lobeck PH: Wenn man in Dein Atelier kommt, oberhalb des Malsaals, wo meistens noch Licht brennt, auch wenn das Theater schon lange schlafen gegangen ist, findet man auf einem großen Arbeitstisch immer mindestens ein Modell in Arbeit: sämtliche Bühnenbilder, die in den Werkstätten gebaut werden, entstehen zunächst hier an Deinem Tisch in Miniaturform. Ist diese Vorgehensweise nicht anachronistisch? Kann man das heute nicht viel besser im Computer machen? Platée von Jean-Philippe Rameau Im Repertoire ab 04. Juni 2013 sowie weitere Vorstellungen im Juni und Juli 2013 11 00. Titel Krabat 04. Uraufführung: 04. Blindtext für Untertitel Ein Ballett von Demis Volpi nach Otfried Preußler Zauberei, Verlockungen der Macht und die Kraft der Liebe Ab März steht ein brandneues Handlungsballett auf dem Spielplan des Stuttgarter Balletts. Der junge deutsch-argentinische Choreograph DEMIS VOLPI lässt gemeinsam mit Kostüm- und Bühnenbildnerin KATHARINA SCHLIPF, Dramaturgin VIVIEN ARNOLD und Dirigent JAMES TUGGLE Otfried Preußlers preisgekrönten Jugendroman Krabat auf der Ballettbühne lebendig werden. Kristina Scharmacher vom Stuttgarter Ballett hat mit Demis Volpi und seinem Team gesprochen. Kristina Scharmacher: Wie entstand die Idee zu diesem Ballett? Demis Volpi: Reid Anderson hat mich gebeten, ein Ballett zu schaffen, das nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche ansprechen soll. Ich habe dann versucht mich zu erinnern, welche Geschichten mich selbst als Kind und Jugendlicher interessiert haben, habe viel gelesen. Dabei habe ich übrigens festgestellt, dass die meisten für junge Menschen gedachten Stoffe viel grausamer sind, als Geschichten für Erwachsene – aber es kommt auf die Verpackung an! Ich habe mich schließlich für Otfried Preußlers Jugendroman Krabat als Vorlage für mein Ballett entschieden. KS: Warum ausgerechnet Krabat? Demis Volpi: Ich finde es sehr wichtig, diese Geschich- te am Leben zu erhalten. Sie ist aktuell und universell. Es geht ja im Prinzip um einen Jungen, der sich in die falsche Gesellschaft begibt und dort zunächst den Verlockungen der Macht erliegt. Als er realisiert, was ihm geschieht, ist es schon fast zu spät. Aber durch die Kraft der Liebe kann er sich und seine Mitmenschen retten. Außerdem finde ich natürlich das Element der Zauberei unheimlich spannend, das hat mich schon immer fasziniert. Krabat ist eine tolle Chance, dieses Interesse mit dem Tanz zu verbinden. „Ich finde es sehr wichtig, diese Geschichte am Leben zu erhalten. Sie ist aktuell und universell.“ Demis Volpi KS: Wie wird aus einem Buch ein Ballett? Vivien Arnold: Indem man das Buch Kapitel für Kapitel durchgeht und sich im Hinblick auf die Vision des Choreographen fragt: Welche Szenen und Charaktere sind unverzichtbar, welche überflüssig? Welche Szenen haben Bühnen- bzw. Tanzpotential? Bei einigen Passagen des Buches scheint es auf den ersten Blick unmöglich, sie in Tanz umzusetzen. Dann sucht man nach Bildern und Motiven, die das Geschriebene im Tanz darstellen können. So entsteht nach und nach das Libretto: Akt für Akt, Szene für Szene. Wir haben versucht, die Essenz der Geschichte so klar wie möglich herauszuarbeiten, indem wir immer stärker reduziert haben. Letztendlich ist die Entwicklung dieses Balletts vor allem geprägt durch eine sehr enge Teamarbeit. Choreographie, Dramaturgie, Ausstattung und Musik: Alles wurde im Team besprochen und entwickelt, alles hängt voneinander ab und greift ineinander. KS: Demis, verändert sich Ihre Herangehensweise an ein Stück, wenn Sie für Jugendliche arbeiten? Demis Volpi: Ja und nein. Ich suche natürlich nach einer Art der Darstellung, die für junge Menschen leicht nachvollziehbar ist. Preußler arbeitet in seinem Roman ja mit unterschiedlichen Zeitebenen, Rückblenden, Traum und Wirklichkeit, und wir versuchen, das möglichst übersichtlich zu zeigen. Andererseits darf man die jungen Zuschauer nicht unterschätzen. Als ich für die John Cranko Schule Der Karneval der Tiere choreographiert habe, fragte ein Mädchen aus dem Publikum: »Warum ist das Känguru so bunt?« Ein Junge antwortete: »Das ist doch Fantasie!« Kinder sind sich also durchaus des Unterschiedes zwischen Realität und Bühne bewusst und kommen mit einer gewissen Abstraktion gut zurecht. „Choreographie, Dramaturgie, Ausstattung und Musik – alles hängt voneinander ab und greift ineinander.“ Vivien Arnold KS: Als Sie mit den Proben im Ballettsaal begonnen haben, war da schon die komplette Choreographie in Ihrem Kopf? Demis Volpi: Nein, ich finde es spannender, alles gemeinsam mit den Tänzern zu entwickeln. Wenn ich mit einer neuen Passage beginne, spreche ich mit den Tänzern zunächst über die jeweilige Szene, spiele Ihnen die Musik vor. Sie sollen genauso viel über das Stück wissen, wie ich. Ich schaffe Raum, um zusammenzuarbeiten, damit die Tänzer Impulse und Ideen geben können. KS: Katharina, der Roman spielt zur Zeit des Großen Nor- dischen Krieges zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Lehnt sich Ihre Ausstattung an diese Zeit an? Katharina Schlipf: Nicht direkt, wir haben stark abstrahiert. Man wird die Mühle, in der sich alles abspielt, erkennen, aber ich stelle sie nicht eins zu eins dar. Wie das funktioniert, soll noch bis zur Premiere ein Geheimnis bleiben, damit möchten wir das Publikum überraschen. Wichtig war mir vor allem, die richtige Stimmung zu vermitteln, dabei haben mir natürlich auch unsere Mühlen-Besichtigungen sehr geholfen. „Es ist spannend, die ganze Welt, die Otfried Preußler in seinem Roman entwirft, in einem Raum darzustellen.“ Katharina Schlipf KS: Was hat Sie besonders an der Arbeit an Krabat ge- reizt? Katharina Schlipf: Es ist sehr spannend, die ganze Welt, die Otfried Preußler in seinem Roman entwirft, in einem Raum darzustellen. Für Krabat ist dieser Raum ja einerseits ein Gefängnis, wird aber andererseits später auch zu einem Ort der Befreiung. Für diese Gegensätze Lösungen zu finden, war sehr faszinierend. Ein Ballett auszustatten, birgt außerdem verglichen mit Oper und Schauspiel besondere Herausforderungen. Zum Beispiel muss jedes Kostüm mehrfach vorhanden sein und man kann viel weniger mit Requisiten arbeiten. Dramaturgin Vivien Arnold, Choreograph Demis Volpi, Kostüm- und Bühnenbildnerin Katharina Schlipf und Dirigent James Tuggle. Foto: Roman Novitzky Katharina Schlipf: Die Bühnenbilder und Kostüme werden komplett in den Werkstätten der Staatstheater angefertigt. Viele Abteilungen arbeiten daran mit, von der Schreinerei bis zur Schneiderei. KS: James, wie muss man sich die Entstehung einer musikalischen Grundlage für ein neues Ballett vorstellen? James Tuggle: Welche Musik man für ein Ballett auswählt, hängt natürlich sehr stark von der Inszenierung und vom Libretto ab. Zunächst muss man wissen, was in jeder Szene genau erzählt wird, wann die Handlung sich abspielt und welche Atmosphäre kreiert werden soll. Uns war es außerdem wichtig, dass die Musik noch nicht zu häufig in Balletten verwendet worden ist. Es wird natürlich immer schwieriger, etwas Neues zu finden. Wir haben uns deshalb nicht für Tonsetzer der Klassik, sondern des 20. bzw. 21. Jahrhunderts entschieden. KS: Welche Komponisten haben Sie dann ausgewählt? Und warum? James Tuggle: Nachdem wir zunächst sehr viele Komponisten zur Auswahl hatten, haben wir uns entschlossen, uns auf drei von ihnen zu reduzieren. Mit ihren unterschiedlichen Stilen können wir die verschiedenen Stimmungen Krabats wunderbar zum Ausdruck bringen: Pe-teris Vasks Musik ist frisch und eingängig, Krzysztof Pendereckis Klänge sind sehr avantgardistisch und stark emotional, Philip Glass wird für das Magische stehen. „Gerade junge Menschen sind ja offen für ungewöhnliche Hörerlebnisse.“ James Tuggle KS: Und wie wird die spezielle Atmosphäre der Mühle in der Musik vermittelt? Vivien Arnold: Im Rahmen der Recherchearbeiten haben wir verschiedene Mühlen besucht. Bei einer unserer Besichtigungen hat der Müller angeboten, die Mühle, die eigentlich gerade nicht in Betrieb war, anzuschalten. Die Klänge, die durch die Mühle erzeugt wurden, waren fantastisch, wie Musik! Uns war sofort klar, dass wir diese Eindrücke in Krabat integrieren müssen. James Tuggle: Unsere Tontechniker haben die Geräusche der Mühle aufgezeichnet und daraus ist das akustische Leitmotiv des Balletts entstanden. Die Klänge sind wunderschön, aber auch grausam und manchmal schmerzen sie beinahe. Gerade junge Menschen sind ja sehr offen für solche ungewöhnlichen Hörerlebnisse. Krabat Ballett von Demis Volpi nach Otfried Preußler - teris Vasks, Choreographie: Demis Volpi; Musik: Pe Philip Glass, Krzysztof Penderecki u.a.; Bühnenbild und Kostüme: Katharina Schlipf; Libretto und Dramaturgie: Vivien Arnold; Licht: Bonnie Beecher; Musikalische Leitung: James Tuggle; Staatsorchester Stuttgart; Solisten und Corps de ballet Uraufführung: 22. März 2013 // 19:00 // Opernhaus Weitere Vorstellungen: 29.03. // 31.03. (nm/abd) // 03.04. // 06.04. // 31.05. // 03.06. // 06.06. // 24.06. // 06.07. (Ballett im Park) // 07.07.2013 KS: Wie funktioniert die Umsetzung Ihrer Entwürfe rein praktisch? Marijn Rademaker als Meister und David Moore als Krabat (Foto: Stuttgarter Ballett) 12 Das Journal März /April /Mai 2013 13 05. Ana Durlovski 05. Die Sopranistin des Stuttgarter Sängerensembles im Portrait Mit 21 Jahren sang sie bereits Lucia di Lammermoor in Donizettis gleichnamiger Oper in ihrer Heimatstadt Skopje – die gleiche Partie, mit der sie hier in Stuttgart vor drei Jahren bekannt wurde. Seither hat sich Ana Durlovski durch ihr Rollenportrait der Amina in Die Nachtwandlerin und der Doppelpartie Amour und La Folie in Platée unaufhaltsam in die Herzen des Stuttgarter Publikums gesungen. »In meinem Leben sind viele Sachen passiert, die ich nicht erklären kann« – so antwortet Ana Durlovski auf die Frage, wie es kam, dass sie, Tochter zweier Tiermediziner, aufgewachsen im mazedonischen Skopje, heute gefeierte Solistin und von allen geschätztes, ja, geliebtes Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart ist. Hört man ihr zu, erlebt man sie, sowohl auf der Bühne als auch jenseits davon, scheint dieser Weg jedoch nicht nur Zufällen geschuldet, auch nicht allein ihrer großen Begabung und unablässigen Arbeit, sondern nicht zuletzt einer bewundernswert glücklichen Einstellung zum Leben. Stehplatz in der Wiener Staatsoper s e n n : We d r i w m m schli n! e h c a L Foto: Martin Sigmund Ein Zufall allerdings war es, dass sie bereits in jungen Jahren einmal in der Oper war und Carmen gesehen hat. Sie erinnert sich, wie sie im Kindergarten versucht hat, die Carmen zu singen, – »ein Wunsch, den ich bis zum heutigen Tag habe«, lacht sie. Musiklehrerin wollte sie werden, als sie sich später dann für einen Beruf entscheiden musste. Bei der Aufnahmeprüfung entdeckten die Dozenten jedoch ihre Stimme und rieten ihr, stattdessen Sologesang zu studieren, »ich wusste damals nicht, dass man die Stimme auch ausbilden kann«. Mit 21 Jahren bereits hatte sie ihr Debüt als Lucia in Donizettis Lucia di Lammermoor an der Oper in Skopje. »Heute«, erzählt sie, »habe ich Angst, wenn ich daran denke. Aber damals habe ich einfach ›ja‹ gesagt, ich wusste ja überhaupt nicht, was das bedeutet. Gott sei Dank ist alles gut gegangen!« Es war ein großer Erfolg – wie sich jeder vorstellen kann, der Ana Durlovski dann bei ihrem Stuttgarter Debüt als Lucia erlebt hat. Wenig später kamen sie und ihr Mann, ebenfalls ein Sänger, über die Teilnahme am Belvedere-Wettbewerb nach Wien – und da sich die politische Situation in Mazedonien als Teil des ehemaligen Jugoslawien zuspitzte, blieben sie dort, für ganze vier Jahre. Ab und zu sangen sie irgendwo, Ana Durlovski war für zwei Jahre im Chor in St. Pölten. »Es war eine schwere, aber auch eine schöne Zeit. Man lernte den Wert der Dinge schätzen«, erinnert sich Ana Durlovski heute an diese nicht sehr üppigen Jahre. »Wenn man sich etwas Kleines leistete, eine Brezel, eine Tüte heiße Maroni, war es eine große Freude. Und wenn man nach langem Anstehen eine Stehplatzkarte an der Staatsoper bekam, dann hatte man wirklich gekämpft für diesen Abend.« Das erste, was sie in der Oper in Wien sah, war Donizettis Lucia di Lammermoor mit Edita Gruberova in der Titelpartie. »Was will ich in dieser Welt?« erinnert sie sich an die Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen, als sie die große Sängerin hörte, die sie bislang nur von Aufnahmen kannte, und nicht glauben konnte, dass es möglich war, auch live mit solcher Perfektion zu singen. »Also«, lacht sie heute, »habe ich mich entschlossen, mehr zu arbeiten.« „Das ist nun mein erstes und letztes Mal auf dieser Bühne und ich genieße das jetzt!“ Einige Jahre später, sie lebte wieder in Mazedonien, erhielt sie selbst eine Einladung, auf der Bühne der Wiener Staatsoper zu singen: ein Vorsingen, organisiert von einem Stipendienprogramm. Sie war gerade noch einkaufen in Wien, als sie einen Anruf erhielt, dass der Vorsingtermin vorgezogen wurde. Abgehetzt kam sie in der Oper an und auf ihre Frage nach einer Möglichkeit zum Einsingen hieß es nur, wenn sie singen wolle, dann jetzt. »Ich habe gezittert, als ich auf der Bühne stand. Dieses Haus, dieser Blick nach oben. Dann dachte ich: O.K., das ist jetzt mein erstes und letztes Mal auf dieser Bühne und ich genieße das jetzt!« Doch es blieb nicht bei diesem einen Mal, sie wurde engagiert und sang die Königin der Nacht an der Wiener Staatsoper. Ein weiteres Vorsingen wenig später brachte ihr zur Spielzeit 2006/07 ein festes Engagement am Theater Mainz. Für ihr Engagement an der Oper Stuttgart brauchte sie nicht vorzusingen. 2009 übernahm sie in der Neuproduktion von Donizettis Lucia di Lammermoor kurzfristig die Titelpartie und zog in der Rolle dieser bis zum Wahnsinn liebenden jungen Frau bei jeder Vorstellung aufs Neue das Publikum in ihren Bann. Seit der Spielzeit 2011/12 ist Ana Durlovski nun festes Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart. »Ich habe solches Glück gehabt, dass ich nicht mehr Vorsingen durchstehen 14 2012 mit dem deutschen Theaterpreis DER FAUST als beste Sängerdarstellerin im Musiktheater ausgezeichnet. Aber es ist nicht nur Arbeit, sondern auch Vergnügen, sich so tief auf die Charaktere der Bühnenrollen einzulassen, man erhält die Möglichkeit, so Ana Durlovski, unterschiedlichste Gefühle auszuleben. Die Bosheit etwa, mit der Morgana ihrer gebrochenen Schwester Alcina begegnet – »nun wünsche ich mir, auch einmal eine böse Rolle zu bekommen!« Dieser Wunsch wird sich in Stuttgart zumindest in nächster Zeit wohl nicht erfüllen. Denn nach Morgana und Amina, als die sie ab dem 13. April 2013 wieder in Stuttgart zu erleben ist, wird sie in dieser Spielzeit ab dem 20. Mai 2013 die Zerbinetta in der Neuinszenierung von Strauss’ Ariadne auf Naxos übernehmen – ein Rollendebüt. Und während sie nach Schwester Constance und Amour/La Folie in Platée am Singen auf Französisch Gefallen gefunden hat – »zunächst musste ich viel denken, viel arbeiten, Kiefer und Zunge ganz anders einstellen« –, ist es Zeichen ihres Perfektionsdranges, dass ihr der Gedanke an Zerbinetta, trotz ihrer guten Deutschkenntnisse, wegen der Aussprache noch »total Angst« macht. Zugleich jedoch liebt sie die Musik Richard Strauss’, die sie erst hier in Deutschland richtig kennen gelernt hat, so sehr, dass sie ihre Tochter nach ihrer ersten Strauss-Rolle – Sophie – genannt hat. Das Journal März /April /Mai 2013 Ana Durlovski in Die Nachtwandlerin und in Platée (Fotos: A.T. Schaefer) musste, denn da singe ich am allerschlechtesten, man ist belastet mit anderen Gedanken, steht unter großem Druck.« Eine ganz andere Situation als in einer Vorstellung am Abend auf der Bühne. Da lebt sie in ihrer Rolle, ist ganz da, ohne jeden anderen Gedanken. Allerdings, so schränkt sie ein, »ist es schwierig, etwas zu spielen, wenn man es nicht versteht.« Hier liegt wohl ein Geheimnis von Ana Durlovskis Bühnenpräsenz, der Intensität ihres Gesangs und ihres Spiels, mit der sie jede Rolle, die sie verkörpert, zu einem Zentrum des Abends werden lässt, zu einer Figur, die einen auch lange nach dem letzten Vorhang noch begleitet. Denn dieses Verstehen ist Voraussetzung für die Hingabe, mit der Ana Durlovski sich in diese Figuren hineinbegibt, eine Hingabe, die in ihrer unaufwändigen Selbstverständlichkeit zutiefst berührt. Eine Hingabe, die jedoch nie zur Selbstaufgabe wird, sondern die Kraft und den Willen von Ana Durlovskis ganzer Person mit sich trägt, eine Kraft und ein Wille, welche die Figur – sei es Lucia di Lammermoor, die nachtwandelnde Amina, Alcinas Schwester Morgana, die lebenslustige und todessehnsüchtige Schwester Constance aus den Gesprächen der Karmeliterinnen oder aber Amour / La Folie aus Platée – von innen heraus mit Leben füllt. Sich in dieser Weise auf so verschiedene Rollencharaktere, so verschiedene Geschichten einzulassen, braucht darüberhinaus eine vorurteilsfreie Offenheit, eine Durchlässigkeit und positive Neugierde, die Ana Durlovski auch jenseits der Bühne auszeichnet. Und so begibt sie sich in den Prozess der Inszenierung hinein. Etwa bei Amina in Die Nachtwandlerin: »Ich hätte nie gedacht, dass diese Figur sich so entwickelt. Als wir beim Finale des 1. Aktes angekommen waren, war klar: Sie kann nicht mehr zurück, es kann kein Happy End mehr geben.« Eine solche Auseinandersetzung mit einer Rolle geht mitunter ganz schön unter die Haut: »Ich war so traurig für Amina, noch nie war ich so traurig um die Persönlichkeit einer Rolle.« Dass sich diese innige Beschäftigung mit der Figur auch dem Publikum mitteilt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie für ihre Verkörperung der Amina gleich zwei der wichtigsten Auszeichnungen der deutschen Opernlandschaft erhielt: in der Umfrage der Zeitschrift »Opernwelt« wurde sie zur »Nachwuchssängerin des Jahres« 2012 gewählt und im November Die eindringliche Lebendigkeit der von Ana Durlovski verkörperten Figuren lässt sich jedoch nicht allein aus dem Szenischen erklären, sondern viel mehr noch aus dem unmittelbaren Ineinandergreifen von Darstellung und Gesang. Das Verstehen einer Figur und die Hingabe an ihre jeweilige Verfasstheit hört bei Ana Durlovski so auch bei der musikalischen Ausgestaltung einer Partie nicht auf: »Eine Koloratur muss für mich immer eine Bedeutung haben. Ich muss erst wissen: Wie ist die Regie, wer bin ich – und dann kommen die Verzierungen, so, dass sie dazu passen.« Das Staunen über die scheinbar unendliche Virtuosität und Beweglichkeit ihrer Stimme wird so auch in den stupendesten Momenten immer überlagert von der zu Herzen gehenden emotionalen Kraft, die ihr Gesang im Dienste der jeweiligen Figur vermittelt. Mit ihrer Stimme zieht Ana Durlovski das Publikum gleichsam auf die Bühne und auch das leiseste Piano erhält eine Intensität, die es mühelos jeden Platz im Saal erreichen lässt. Dabei täuscht die Zartheit ihrer Stimme nie hinweg über ihre Kraft, so wenig wie die Zerbrechlichkeit der meisten Figuren, denen sie sie leiht, ihrer Eindringlichkeit entgegensteht. Ferien in der Oper Seit mehreren Jahren lebt Ana Durlovski nun in Deutschland, hat jedoch nach wie vor engen Kontakt nach Mazedonien. So oft es geht, singen sie und ihr Mann an der mazedonischen Oper in Skopje und den Sommer verbringt sie mit ihrer Familie immer dort. »Das Obst und Gemüse von den Feldern schmeckt so gut. Überhaupt ist man in einer anderen Welt, einem ganz anderen Lebensstil. Ich freue mich immer über den Wechsel – aber dann auch wieder über den zurück nach Deutschland.« Ihre Familie, das sind neben ihrem Mann ihre drei Kinder im Vorschulalter, darunter ein zweijähriges Zwillingspaar – vielleicht auch das ein Grund, weshalb Ana Durlovski den Katastrophen des Alltags mit trainierten Nerven gegenübersteht. »Außerdem«, erzählt sie, »habe ich einen Defekt: immer wenn es ganz schlimm wird, muss ich lachen.« Ihren Beruf weiß sie, seit sie Kinder hat, jedenfalls nur noch mehr zu schätzen: »Wenn ich in der Oper bin, habe ich Ferien!« Angela Beuerle Ariadne auf Naxos von Richard Strauss Regie: Jossi Wieler und Sergio Morabito; Musikalische Leitung: Michael Schønwandt Premiere: 20. Mai 2013 // 18:00 Uhr // Opernhaus Mai 2013: 20.05. // 24.05. // 28.05.2013 Juni 2013: 09.06. // 12.06. // 15.06. // 22.06. // 29.06.2013 15 06. Magazin des Glücks 06. Theatertexte von Dea Loher im NORD Das ist Glück In Stuttgart werden unter diesem Titel vier junge Regisseure ihr Regieglück an Texten der Autorin erproben – zwei aus der Sammlung Magazin des Glücks: Licht und Hände, zwei aus dem übrigen Stückerepertoire der Autorin: Blaubart – Hoffnung der Frauen und Manhattan Medea. Alle diese Texte verbindet die lakonisch poetische Sprache, ein grimmiger schwarzer Humor und die trotzige Hoffnung, dass irgendwo vielleicht ein Glück doch noch zu finden ist. Es inszenieren zwei junge Regieassistentinnen des Schauspiel Stuttgart: Anna Drescher und Sarah Schmid. Zu ihnen gesellen sich zwei junge Regisseure: Jan Koslowski, Regieabsolvent der Theaterakademie Ludwigsburg und Sebastian Martin. Sebastian Martin Der Regisseur im Gespräch mit Annabelle Leschke, die an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg Dramaturgie studiert und bei der Produktion »Hände« als Dramaturgin tätig ist. Annabelle Leschke: Wie bist du zum Theater gekommen? Sebastian Martin: Ich bin 1976 in Leverkusen geboren und aufgewachsen und bin über den üblichen Weg zum Theater gekommen: Erst mal übers Gymnasium in der TheaterAG. Aus der AG hat sich dann eine freie Gruppe entwickelt, das Junge Theater Leverkusen, und da hab ich damals begonnen zu spielen. Parallel dazu habe ich nach dem Zivildienst angefangen, Philosophie und Germanistik in Köln zu studieren und hab das dann abgebrochen, als ich an der »Ernst Busch«Hochschule angenommen wurde für Regie. Nebenbei hab ich früher auch noch viel Musik gemacht. AL: Welche Musik machst du? SM: Ich spiele E-Bass, u.a. in einer Expe- rimentalband mit zwei Bässen und einem Schlagzeug. Ich hatte immer eine Liebe DEA LOHER ist eine der wichtigsten Dramatikerinnen ihrer Generation. Unter dem Titel Magazin des Glücks, den sie Horváth – einem ihrer literarischen Vorbilder – entlehnte, versammelt sie eine Reihe von unheimlichen Geschichten von Glückssuchern, die allesamt scheitern. zum Krach, eine zur Struktur und eine zum Quatsch. Und zwischen den drei Polen bewegt sich das heute noch. AL: Das Stück Hände erzählt von zwei Paaren, die ihr Glück von dem Verlust der Hände der Ehemänner abhängig machen. Was fasziniert dich daran? SM: Für die beiden Ehepaare entwickelt sich ein Glücksversprechen, also die Handtransplantationen der Männer, zu einem Alptraum. Der fremde, angenähte Körperteil stört die Beziehung der Paare, z.B. sieht sich eine der Frauen vom Geist des Vorbesitzers verfolgt. Die Berührungen ihres Mannes werden für sie zu den Berührungen eines Verstorbenen. Dem neuen Körperteil wird ein Eigenleben zugestanden, das die körperliche Integrität der Figuren in Frage stellt. Und je mehr dieses dann zerfällt, tritt die eigentliche Zerrüttung der Paare hervor. Ich besitze ein hämisches Interesse an solchen beschädigten Figuren, weil ihre Verwundungen überhöhte Abbildungen unserer eigenen zwischenmenschlichen Unzulänglichkeiten sind. Als Regisseur macht es mir Spaß, in diesen Wunden zu bohren. Ich denke, der Zweck von Theaterfiguren liegt zum größten Teil darin, entweder auf die klügste, oder auf die haarsträubendste Weise so viele Fehler wie möglich zu machen, um dann unglücklich zu sterben. Wir Zuschauer wohnen dem bei, und nach der Vorstellung ist es uns dann überlassen, ob wir dieselben Fehler machen wollen, oder nicht. SM: Also mich interessieren kaputte, zwischenmenschliche Beziehungen und gesellschaftliche Stillstände. So finden die Figuren von Dea Loher nicht zueinander und reden aneinander vorbei. Dieses Auf-der-StelleTreten, da liegt ein Witz drin und das hat eine gesellschaftliche Relevanz. Es gibt keine Visionen mehr, sondern nur noch Modelle. Sarah Schmid Beate Seidel, Dramaturgin des Schauspiel Stuttgart im Interview mit der Regisseurin Beate Seidel: Manhattan Medea ist deine erste Regiearbeit. Warum hast du dich innerhalb unseres Dea-Loher-Projekts gerade für diesen Text entschieden? Sarah Schmid: Mir gefällt, wie Dea Loher mit dem antiken, vielfach rezipierten Stoff umgeht. In Anlehnung an ihre eigene Biografie verlagert sie die gescheiterte Liebesgeschichte von Medea und Jason aus dem antiken Griechenland ins Amerika des 20. Jahrhunderts, angereichert mit Figuren, die bei Euripides keine Entsprechung finden, wie der Transvestit Deaf Daisy und der als Türsteher seinen Lebensunterhalt bestreitende Maler Velázquez. Der Bezug zur bildenden Kunst ist mir wichtig. BS: Worin besteht für dich der entscheidende Unterschied zwischen der Tragödie des Euripides und Dea Lohers Adaption? AL: Mir gefällt der Satz »In den Wunden bohren«. Suchst du dir die Stücke danach aus? SS: Ein wesentlicher Unterschied besteht für mich darin, dass die Geschichte von Medea und Jason bei Loher exemplarisch für das Scheitern einer Liebesbeziehung zu stehen scheint, während Euripides explizit das Schicksal der mythologischen Figur in den Blick nimmt. Auch das Motiv des Kindermords scheint bei Loher – deren Medea nur ein Kind hat, nicht wie im Original zwei – eine Metapher für die irreversible Zerstörung der Verbindung des einstigen Liebespaars zu sein. Ein anderer, vielleicht sogar der markanteste Unterschied liegt für mich in der Ebenenvielfalt der Loherschen Adaption. Vor dem Hintergrund der mythologischen Handlung eröffnet Loher mit Verweis auf die Malerei einen philosophischen Diskurs über Sein und Schein, das Verhältnis von Original und Kopie und den Aspekt der Verwandlung. Sie stellt damit die Unantastbarkeit eines Mythos infrage und befreit sich von diesem. BS: Bei Euripides, aber auch bei Loher ist Medea eine Außenseiterin, die zur Mörderin wird. Wie definiert sich für dich das Außenseitertum der Figur? SS: Medea, die aus Liebe zu einem Mann die eigene Familie verraten und Menschenleben auf dem Gewissen hat – darunter ihren eigenen Bruder – hat keine Existenzberechtigung in einer Gesellschaft, die diese Taten nicht einordnen kann. Medea befindet sich bei Loher am Rand der Gesellschaft, zusammen mit gescheiterten Künstlern und Transvestiten, die gesellschaftlichen Normen genauso wenig entsprechen, wie die spätere Kindsmörderin. BS: In dem von Loher entworfenen Setting scheint eine Art Medea-Film zu entstehen. Loher spielt mit Bildern, die man aus dem Kino kennt. Wie näherst du dich solchen Versatzstücken und Zitaten an? SS: Lohers Drama gleicht in gewisser Weise einem David-Lynch-Film. Die Geschichte folgt keiner stringent durcherzählten Hand- lung, sondern setzt sich – analog zur Malerei und zum Film – aus einzelnen szenischen Bildern zusammen, die auf verschiedenen Realitätsebenen operieren. Damit wirft Loher die Frage nach Raum und Zeit, Wahrnehmung und Perspektive auf. Unter Rückgriff auf vorgefundenes Material (Euripides, Velázquez, Picasso) entwirft sie in Manhattan Medea eine Art Collage des Mythos. Dieser CollageCharakter interessiert mich besonders. Jan Koslowski Jan Koslowski bringt Dea Lohers Kurzdrama Licht aus dem Dramenzyklus Magazin des Glücks im Spiegel von Hannelore Kohls Biografie auf die Bühne. Koslowski wurde 1987 in Rostock geboren und wuchs in Berlin auf. Seit 2007 ist er Mitglied des Jugendtheaters P14 der Volksbühne Berlin am Rosa-LuxemburgPlatz. Es folgten Regiehospitanzen bei René Pollesch und erste eigene Arbeiten im Rahmen von P14. Seine Inszenierungen wurden beim ›Theatertreffen der Jugend‹ sowie beim ›Bundestreffen der Jugendclubs an Theatern‹ gezeigt. Er studierte Theaterregie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg und belegt aktuell die Masterclass an der Zürcher Hochschule der Künste. Das Interview führte Otto A. Thoß. Er studiert Dramaturgie an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg und ist bei der Produktion »Licht / Hannelore / Cool« als Dramaturg tätig. Otto A. Thoß: Was ist für dich Theater? Jan Koslowski: Das Schöne an Theater ist, dass man diese Frage hoffentlich nie beantworten kann. den Abend entwickeln. Wenn ich Musik höre, weiß ich, wie der Abend aussehen wird. Zunächst muss ich mich natürlich für ein Thema entscheiden, den Text untersuchen, verstehen und für mich selbst dechiffrieren. Und natürlich meine Phantasie arbeiten lassen, also schauen, ob mir ein Szenario in den Sinn kommt. Ich fange meistens an mit Recherche: ich suche und lese andere Literatur, die mich inspiriert oder die thematisch nützlich ist. Ich muss einen Bezug für mich finden, das kann auch ein bestimmtes Gefühl sein oder eine Ahnung davon. Konkreter wird es dann in der Zusammenarbeit mit Bühne und Kostüm: Welche Aspekte lassen sich visuell ausdrücken, wie ist die Stimmung des Abends, wie lassen sich die Inhalte darstellen? Gleichzeitig stelle ich das Ensemble zusammen: mit wem diskutiere ich gerne, wer wäre inhaltlich eine Bereicherung. OT: Was interessiert dich an Dea Lohers Text Licht ? JK: Der Text funktioniert für mich wie ein Libretto, und er ist eigentlich sehr undramatisch, besitzt aber eine gewisse Mystik, wie der letzte Akt eines großen Opernabends, das mag ich sehr. OT: Welche Rolle spielt Hannelore Kohl dabei? JK: Man ist da ja nicht frei von kitschigen Gedanken über diese allein gelassene Frau, ohne Mann, ohne ihre Kinder, wie so ein Auslaufmodell in den letzten Atemzügen. Ihr Lebensmodell zu betrachten, finde ich sehr spannend, auch die Ideale dieser Nachkriegsgeneration und die verschiedenen Ideologien, in denen sie sich zurecht finden musste. Ihr Ausstieg aus der Gesellschaft, ihre Funktion in der Öffentlichkeit, das gibt viel Material. OT: Was bedeutet es für Dich, Regie zu füh- ren? JK: Man sollte in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen und man ist verantwortlich für alles und jeden. Ein bisschen ist Regie führen wie Tetris spielen: wenn alles passt, ist es auch schon wieder vorbei. Und: Regie führen bedeutet jede Menge fun. OT: Wie bereitest du dich auf die Probenzeit für eine Produktion vor? JK: Ganz klassisch: Viel lesen, gucken, analysieren, Musik hören und dabei ein Gefühl für Anna Drescher Patent, schnell, und obendrein noch klug, war sie die Regieassistentin, die sich alle wünschen, doch nun ist endlich der Zeitpunkt gekommen, diese Qualitäten ganz für die eigenen Ziele einzusetzen. Und eigene Ziele, die hat sie, da ist sie nicht zurückhaltend und weiß auch, dass man sich das in dieser Branche nicht leisten kann: Anna Drescher, Schweizerin und Deutsche, noch keine Dreißig. Andere wählen das Theater, weil sie schon immer einen Hang zum Chaotischen hatten; für Anna Drescher war es eher das Gegengewicht zu ihrer behüteten Kindheit. Kultur war ihr bereits an der Wiege gesungen, das schon: ihre Familie ist eine Musikerfamilie, der Vater leitet in Basel eine renommierte Hochschule für Alte Musik, Anna spielte mit vier Geige und ging mit diesem Hauptfach ins Abitur. Mit der Geige aufzuhören, beim Jugendclub im Theater einzusteigen, bedeutete eine kleine Revolution: den Schritt heraus in eine eigene Welt, die auch ein bisschen »cooler« schien als die elterliche. Denn in der Schule fühlte sie sich nie ganz zugehörig, statt Lieblingsbands kannte sie klassische Musik, nicht mal einen Fernseher hatten sie zuhause – Besonderheiten, die sie aus der Distanz neu zu schätzen lernte. Der Theaterpädagoge vom Jugendclub entzündete ihre theatrale Leidenschaft und legte den Grundstein für ihr Studium der Kulturwissenschaften und Ästhetischen Praxis in Hildesheim. Anna ließ sich in Gesang ausbilden, was ihr mehr lag als die Geige und mehr mit Theater zu tun hat. Überhaupt: auf der Grenzlinie zwischen Musik und Theater bewegt sie sich schon immer, spricht von ihrer »Hassliebe zur Oper«. Nur wenn die Stimme bewusst als erzählerisches Mittel verwendet wird, lässt sie sie gelten. Herbert Wernicke war ein großes Vorbild, ein Kantatenabend Magazin des Glücks von Dea Lohrer von ihm rührte sie zu Tränen wie nichts vorher oder nachher auf einer Bühne. Im Schauspiel interessieren sie ganz andere Qualitäten: eine starke Formalisierung und Überhöhung einerseits: diese hohe Künstlichkeit wie häufig in Andreas Kriegenburgs Inszenierungen – oder andererseits eine Art »Non-Acting« wie bei Pollesch: wenn die Schauspieler eher als Textträger fungieren. In Hildesheim, wo alle Prozesse viel kollektiver verlaufen als in der Theaterpraxis, lernte sie vor allem eines: dass sie nicht gut im Kollektiv arbeitet. Sehr gern hingegen und frühzeitig im Team, bei den Vorarbeiten für eine Inszenierung, doch ab dem Probenbeginn weiß sie die Befugnis zu schätzen, im Zweifel selber zu entscheiden. Noch in ihrer Studienzeit stemmte sie mit großem Erfolg allein ein Hamlet-Projekt mit Psychiatrieerfahrenen. Vor Dea Lohers Texten hat sie Respekt: die soziale Härte, die Düsterkeit dieser Autorin kontrastieren mit der hellen Welt, aus der sie selber stammt. Doch Blaubart übte auf Anhieb einen unwiderstehlichen Sog auf sie aus. »Ich kenne niemanden, der so konsequent und so hartnäckig mit sich selber ist«, sagt Annas beste Freundin über sie, und während sie das erzählt, ziehen sich ihre aparten Augen ein wenig zusammen, und die ungeheure Energie wird spürbar, die in dieser zierlichen Person steckt. Kekke Schmidt Blaubart – Hoffnung der Frauen Regie: Anna Drescher, Bühne und Kostüme: Hudda Chukri, Musik: Murat Parlak, Dramaturgie: Kekke Schmidt, Mit: Lisa Bitter, Benjamin Grüter, Anna Windmüller Licht / Hannelore / Cool Regie: Jan Koslowksi, Bühne: Chasper Bertschinger, Kostüme: Nina Kroschinske, Dramaturgie: Otto A. Thoß, Mit: Sarah Horak*, Jan Jaroszek, Nora Quest**, Fridolin Y. Sandmeyer Hände Regie: Sebastian Martin, Bühne und Kostüme: Katja Fritzsche, Dramaturgie: Annabelle Leschke, Mit: Boris Koneczny, Markus Lerch, Sarah Sophia Meyer, Nadja Stübiger, Toni Jessen Manhattan Medea Regie: Sarah Schmid, Bühne: Caroline Sexauer, Kostüme: Irmela Schwengler, Dramaturgie: Beate Seidel, Mit: Dorothea Arnold, Toni Jessen, Boris Koneczny, Michael Stiller, Bijan Zamani Premiere: 13. April 2013 // 20:00 Uhr // NORD Premiere: 14. April 2013 // 18:00 Uhr // NORD Außerdem liest an diesem Wochenende Dea Loher aus ihrem ersten Roman »Bugatti taucht auf« (Sonntag, 14. April 2013, 16:00 Uhr, Foyer NORD) Anna Drescher, fotografiert von Jan Koslowski Sarah Schmid, fotografiert von Sebastian Martin Jan Koslowski, fotografiert von Anna Drescher Sebastian Martin, fotografiert von Sarah Schmid 16 Das Journal März /April /Mai 2013 17 07. Ballettabend: MEISTERWERKE Choreographien von George Balanchine, Jerome Robbins und Glen Tetley Atemberaubende Hingabe Der Ballettabend MEISTERWERKE vereint drei Choreographien von herausragender Bedeutung. Die Stücke, die das Ballett des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst haben, sind eine schöne Herausforderung für die Tänzer – auch für den Ersten Solisten ALEXANDER ZAITSEV, einem Experten für Tetley-Choreographien. Eine Arbeit von George Balanchine darf natürlich nicht fehlen im Rahmen dieses Programms. Mit seinem Die Vier Temperamente, entstanden 1946 für die gerade von ihm und Lincoln Kirstein gegründete Ballet Society, zeigt das Stuttgarter Ballett ein Schlüsselwerk dieses so bedeutenden Choreographen. Zwei Jahre später ging aus der Ballet Society das berühmte New York City Ballet hervor, für das Jerome Robbins 1969 sein Dances at a Gathering, diese Hymne an den Tanz, schuf. Die Deutsche Erstaufführung fand 2002 beim Stuttgarter Ballett statt, eine große Ehre für die Compagnie. Mit der Aufführung des dritten Werkes des Abends verneigt sich das Stuttgarter Ballett vor einer der größten Kompositionen des 20. Jahrhunderts: Le Sacre du Printemps. Die Komposition, die im Frühjahr 2013 genau 100 Jahre alt wird, bildet das eigentliche Herzstück von MEISTERWERKE. Heftige Dissonanzen und eine wilde Choreographie führten vor 100 Jahren zu einem Theaterskandal Die Uraufführung von Igor Strawinskys neuester Komposition Le Sacre du Printemps führte am Abend des 29. Mai 1913 in Paris zu einem handfesten Theaterskandal. Die heftigen Rhythmen, die zahlreichen Dissonanzen der Musik sowie die wilde Choreographie von Waslaw Nijinsky widersprachen völlig den Hörund Sehgewohnheiten der Premierengäste. Ein Teil des Publikums war empört, ein anderer Teil war sich durchaus der bahnbrechenden Bedeutung des Werkes bewusst. Das Ergebnis waren riesige Tumulte im Théâtre des Champs-Élysées, die Zuschauer verließen die Vorstellung, riefen »Bravo« oder tobten, es kam sogar zu Handgreiflichkeiten. Das aufbrausende Klanggewitter und die entfesselten Bewegungen waren für das noble Pariser Publikum, das mit den schmeichelnden Melodien und der zarten, ätherischen Tanzsprache der Romantik aufgewachsen war, höchst schockierend. Plötzlich stand die Moderne vor der Tür. Ein ganzes Jahrhundert ist das nun her und noch immer hat Strawinskys Musik kein bisschen ihrer Wucht und ekstatischen Schönheit verloren. Sie diente als Grundlage zahlreicher Choreographien, etwa von Maurice Béjart, Kenneth MacMillan oder Pina Bausch. Eine der international bedeutendsten Umsetzungen ist die Interpretation Glen Tetleys, der von 1974 bis 1976 das Stuttgarter Ballett leitete. Es ist nur zu passend, dass dieser Visionär sich der bahnbrechenden Musik Strawinskys annahm. Der Erste Solist Alexander Zaitsev hat eine ganz besondere Beziehung zu den Choreographien Tetleys Seit 1976 befindet sich Glen Tetleys Le Sacre du Printemps im Repertoire der Compagnie, zahlreiche Tänzer haben sich der Titelrolle des Frühlingsopfers seither angenommen. Unter den Interpreten der jüngeren Generation hat sich besonders einer hervorgetan: Alexander Zaitsev. Der Erste Solist des Stuttgarter Balletts hat eine ganz besondere Beziehung zu den Werken Tetleys, scheinen sie doch wie auf seinen Körper Auch im Rahmen von MEISTERWERKE zu sehen: Jerome Robbins’ Dances at a Gathering, hier mit Alicia Amatriain. Foto: Stuttgarter Ballett und seine Fähigkeiten zugeschnitten zu sein. »Die Hauptrolle ist ungeheuer anstrengend, fast beängstigend in ihrer Körperlichkeit und die Hingabe, die Alexander Zaitsev zeigte, war atemberaubend – er ist ein ausgezeichneter, ausdrucksstarker junger Künstler mit unglaublicher Ausdauer«, lobte die Dancing Times aus London Zaitsevs Sacre-Interpretation im Rahmen der Gala zu Glen Tetleys 80. Geburtstag im Jahr 2006. Dass Zaitsev sich in der erdverbundenen, ausdrucksstarken Bewegungssprache dieses Choreographen so zuhause fühlt, ist für einen Tänzer seiner Herkunft nicht selbstverständlich. Geboren in Moskau, erhielt er seine Ausbildung zum Balletttänzer an der berühmten Akademie des Bolschoi-Balletts in seiner Heimatstadt. 1992 machte er seinen Abschluss und erhielt im selben Jahr sein erstes Engagement beim Bolschoi-Ballett unter der Leitung von Juri Grigorowitsch. Drei Jahre später wechselte er für eine Spielzeit an das Ballett der Dresdner Semperoper bevor er 1996 Mitglied des Stuttgarter Balletts wurde. Nach dem absolut klassischen Repertoire des russischen Balletts eröffneten sich ihm hier ganz neue Möglichkeiten. »Noch etwas anderes als den klassischen Tanz kennenzulernen und mein Repertoire zu erweitern, das war vielleicht mit ein Grund, in den Westen zu gehen; anfangs hat es mich schon sehr überrascht zu sehen, was es noch alles an Tanz gibt«, sagt Zaitsev. Den ersten Kontakt zum zeitgenössischen Tanz gab es dann auch gleich in der ersten Spielzeit: Mit dem Solo Notations von Uwe Scholz interpretierte er eine der wohl wichtigsten Partien seiner Karriere. Er lasse das Stück scheinbar aus dem Körper heraus explodieren, schrieb Udo Klebes vom Neuen Merker aus Wien später. Pierrot Lunaire ans Royal Ballet in London, wo Zaitsev als Gast einen triumphalen Erfolg feiern sollte. »Er ist ein Guru des Tanzes. Wenn man einmal mit ihm gearbeitet, seine Botschaft verstanden und begriffen hat, wohin er einen mit seinen Lehren führt, ist nichts mehr wie vorher. Weder man selbst noch die Compagnie, für die man arbeitet«, sagte Ballettintendant Reid Anderson über Glen Tetley und dieselbe Erfahrung machte auch Alexander Zaitsev. So ebnete ihm seine Auseinandersetzung mit den Werken Tetleys den Weg zum gefragten Tänzer moderner Choreographien. Zahlreiche zeitgenössische Choreographen kreierten fortan für ihn, so etwa Wayne McGregor in EDEN/EDEN und Yantra oder zuletzt Marco Goecke in Black Breath. Seine großen schauspielerischen Fähigkeiten durfte Zaitsev in Christian Spucks Der Sandmann zur Schau stellen. Spuck, damals Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts und mittlerweile Ballettdirektor in Zürich, schuf für ihn im Jahr 2006 die tragende Rolle des Nathanael in seinem abendfüllenden Handlungsballett nach dem gleichnamigen Schauerroman von E.T.A. Hoffmann. »Dabei als Nathanael stets im Mittelpunkt: Alexander Zaitsev. Ihn hat man in Stuttgart darstellerisch selten so expressiv gesehen. Einfühlsam drückt er in Körpersprache, Gestik und Mimik die Zerrissenheit seiner Figur aus«, freute sich die Stuttgarter Zeitung – ebenso wie Reid Anderson. Er beförderte Zaitsev kurze Zeit später zum Ersten Solisten. So groß Alexander Zaitsevs Repertoire zeitgenössischer Choreographien mittlerweile auch sein mag – mit Begeisterung und unerschöpflichem Enthusiasmus widmet er sich immer wieder den Stücken Glen Tetleys. Auch im Rahmen des Ballettabends MEISTERWERKE wird er wieder in Le Sacre du Printemps zu sehen sein. Kristina Scharmacher Ballettabend: MEISTERWERKE Die Vier Temperamente Choreographie: George Balanchine, Musik: Paul Hindemith; Kostüme nach Kurt Seligmann; Uraufführung: 20. November 1946, Ballet Society, New York; Erstaufführung beim Stuttgarter Ballett: 5. Dezember 1996 Dances at a Gathering Choreographie: Jerome Robbins; Musik: Frédéric Chopin; Kostüme: Joe Eula; Licht: Jennifer Tipton; Uraufführung: 8. Mai 1969, New York City Ballet; Deutsche Erstaufführung beim Stuttgarter Ballett: 29. November 2002 Le Sacre du Printemps Choreographie: Glen Tetley / © Glen Tetley Legacy; Musik: Igor Strawinsky; Bühnenbild und Kostüme: Nadine Baylis; Uraufführung: 18. April 1974, Bayerische Staatsoper; Erstaufführung beim Stuttgarter Ballett: 14. April 1976 Musikalische Leitung: Sian Edwards Premiere: 20. April 2013 // 19:00 Uhr // Opernhaus Weitere Vorstellungen im Opernhaus: 24.04. // 18.05. // 19.05. // 23.05. // 25.05. // 29.05. // 13.06. // 16.06. (nm/abd) // 21.06.2013 Es war aber vor allem die Zusammenarbeit mit dem aus dem amerikanischen Modern Dance kommenden Glen Tetley, die Alexander Zaitsev neben einer Koryphäe der klassisch-russischen Schule auch zu einem Experten für zeitgenössischen Tanz werden ließ. Nach und nach machte er sich sämtliche Tetley-Stücke des Stuttgarter Repertoires zu eigen, erarbeitete die expressive Bewegungssprache, die die Tänzer bis an ihre physischen Grenzen treibt, gemeinsam mit ihrem Schöpfer. Dieser empfahl den jungen Russen dann auch für sein Alexander Zaitsev in Glen Tetleys Le Sacre du Printemps. Foto: Stuttgarter Ballett 18 Das Journal März /April /Mai 2013 19 08. Angst reist mit 08. Uraufführung „Das ist nicht mehr verrückte Zukunft, das ist das normale Leben.“ JB: Was für Bilder wird es konkret geben? Im Stück wird von Geiselnahme gesprochen, von Tsunamis, also da gibt es viele Bilder, die man im Fernsehen gesehen hat. Was sieht man für Bilder hinter der Oberfläche? Was für eine Bildwelt soll entstehen? HM: Naja, das war heute der erste Probentag. Ich habe da natürlich Vorstellungen, aber konkret weiß ich das noch nicht. Sibylle Berg ist eine sehr dankbare Autorin für eine Videokünstlerin, weil ihre Texte so weite Assoziationsräume in einem eröffnen. Im Text sind immer wieder mehrere Richtungen, die vorangetrieben werden. Jörg Bochow: Sibylle Berg, Angst reist mit hast du ein Reise-Oper-Epos genannt. Was verbindet dich mit dem Thema Reise? Reist du persönlich auch viel – ist es etwas, was dich beschäftigt? Sibylle Berg: Eher immer weniger und eher immer zu nahegelegenen Destinationen und eigentlich nur noch an Orte, wo die Menschen gleich viel oder mehr Geld haben als ich. JB: Ist das auch für die Kostümbildner dankbar, mit dieser Art von Text umzugehen? Es gibt einerseits Figuren, aber trotzdem lösen sich die Texte ja auch immer von den Figuren. Wie macht man das mit dem Kostüm? Oder muss man da immer ganz konkret und figürlich werden? Anette Hachmann: Mir geht es auch so, dass der Text auf jeden Fall viel Fantasie freisetzt und man erst einmal viele Möglichkeiten hat, zum Beispiel auch Unterweltkreaturen zu erfinden. Das macht schon erst einmal Spaß, sich zu überlegen, wie die dann aussehen. Bei den anderen Figuren muss man in der Probenzeit einiges ausprobieren, wie man die konkret kriegt. Also, ich würde jetzt ungern sagen, von vorneherein, die sehen so und so aus, sondern lieber mit den Schauspielern gemeinsam sehen, wie sich so eine Figur entwickelt oder herauskristallisiert. JB: Weil du schlechte Erfahrungen gemacht hast? SB: Weil ich früher dieses Reisen gar nicht groß hinter- fragt habe, wie das wahrscheinlich viele tun, weil ich als Ossi das Gefühl hatte, ich muss die Welt besichtigen und Kriege verstehen und Elend verstehen und dann irgendwann anfing, mich zu sehen: ich war immer der beobachtende, weise, wohlhabende Mensch, der irgendwas anguckt. Und das kann ich nicht mehr so gut. JB: Aber dreht sich das jetzt nicht auch um? Es kommen ja immer mehr Touristen aus Asien und Russland auch zu uns. SB: Das steht als nächstes an. Aber so weit sind wir noch nicht, das kommt dann mal. Das wird sehr lustig, wenn die von frierenden Berlin-Mitte-Bewohnern Fotos machen. JB: Angst reist mit heißt das Stück – ist Angst auch ein Thema für euch oder wie übersetze ich das in Bilder, ins Kostüm? AH: Angst ist, glaube ich, generell ein Thema für alle Menschen. JB: Du hast im Stück viele solche Beschreibungen, »frierende Bewohner«. Siehst du so die Zukunft? SB: Hier geht es ja nicht um Zukunft, sondern das gibt es ja jetzt schon in deutschen Städten. Menschen, die entmietet werden sollen, wo die Heizung abgedreht wird. Das ist nicht mehr verrückte Zukunft, das ist ja das normale Leben. JB: Empfindet ihr das auch so? Im Stück wird von den Journalisten gesprochen, die von Minijob zu Minijob gehen. Heta Multanen: Das ist durchaus was, womit wir uns identifizieren können und was uns bekannt vorkommt, diese Lebenssituation, so wie die Beschreibung im Stück ist. Ich sehe jedoch, dass in Sibylles Stücken alles auch wieder relativiert wird. Es ist eine Möglichkeit, wie man die Zukunft deuten kann oder etwas, womit wir uns identifizieren können, aber im nächsten Abschnitt wird es relativiert und auch anders beschrieben. JB: Du wirst Bilder für die Aufführung machen, Videoprojektionen. Wie bist du überhaupt dazu gekommen? Wie wird man Videokünstler fürs Theater? HM: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es gar nicht. Eigentlich bin ich von der Ausbildung her Fotografin, ich komme von der bildenden Kunst und bin dann zufällig nach meinem Studium beim Theater gelandet. Ich bin Autodidakt. Ich habe keine Ausbildung für Video und Theater. Aber ich glaube, das gibt es in dem Sinne auch nicht. Es ist ein vollkommen anderes Feld, als wenn man jetzt Film studieren würde oder Bühnenbild. Eine eigene Welt, wie man einen Raum mit Bildern schafft – mit dem Schauspieler zusammen, was auch eine andere Dramaturgie verfolgt, andere technische Prozesse als beim klassischen Video oder Film. 20 Heta Multanen, Sibylle Berg und Anette Hachmann JB: Es gibt auch angstfreie Menschen. SB: Kenne ich nicht, vielleicht irgendwelche Bungeejum- per. AH: Meine Schwester ist Psychologin und sie sagt, es gibt Ängste vor allem. Es gibt Menschen, die haben zum Beispiel Knopfängste. Also insofern glaube ich nicht, dass es angstfreie Menschen gibt. Ich habe auch meine Ängste. Mit der Erfindung einer Art ›Unterwelt‹, gestalten wir etwas, das diese Ängste transportiert. Da hat man im Theater vielleicht andere Mittel als im Film. Da ist so eine diffuse Erscheinung oder eine Skurrilität interessanter, als wenn man das in einer Großaufnahme im Film sieht. Aber wir werden ja wahrscheinlich mit Heta zusammen auch im Film dazu eine andere Ebene erschaffen und dafür dann andere Kostüme entwickeln. JB: Die Texte von Sibylle arbeiten ja immer mit Überspitzungen. Deckt sich dies auch auf den Kostüm- oder Bildebenen? Sind diese auch komisch, grotesk, zugespitzt? SB: Komisch nicht im Sinne von Karneval, vielleicht sind sie eher merkwürdig, rätselhaft, seltsam. JB: Es gibt drei Ebenen im Stück. Es gibt die Animateure, es gibt Touristen, dann gibt es einen Chor, die Unterweltwesen. Warum diese überreale Ebene? SB: Ich weiß nie genau, was ist Realität? Da sind ja noch viele Schichten darüber und darunter. Für jeden ist Realität etwas anderes. Meistens schreibe ich ja – egal ob in Stücken oder Büchern – sehr naturalistisch, sagen wir mal so: es ist einfach das, was stattfindet, was meine Realität ausmacht. Was ich wahrnehme von anderen. Und ich finde dann diese kurze Störung sehr schön, wo man als Leser oder Betrachter kurz denken kann, muss das so sein? Ist das meine Einbildung? Das mag ich ganz gerne. Also ich mag auch absurdes Zeug gern oder dass man einen scheinbar ernsten Rahmen, wie eine Trauerfeier, sprengt mit verkleideten Figuren, die durchs Bild laufen. Weil ich mich immer wieder dabei ertappe, wie ich mich zu ernst nehme. Und dann kurz dran denke, wie ich später mal in der Grube liege und dann relativiert sich das alles sehr schnell wieder. JB: Was ist der Unterschied für dich beim Schreiben von Romanen und beim Arbeiten für die Bühne? SB: Es gibt da drei Ebenen. Es gibt wirklich Gebrauchstexte. Das sind so Texte für Zeitungen – Gebrauchstexte, die man eben schnell mal schreibt, am besten, wenn man wütend ist. Bücher sind eine ganz andere Art und haben eine ganz andere Ich-Bezogenheit. Bücher schreibe ich nie für irgendwelche Leser, sondern die schreibe ich eigentlich nur einer Perfektionssucht folgend. Das mache ich nur, damit mir endlich das perfekte Buch gelingt. Theaterstücke: dadurch, dass ich das jetzt über 10 Jahre betreibe und sehr viele Proben mit verfolgt habe – weiß ich, dass der Text ein Baustein von vielen ist. Ich schreibe nie einen Text, um mich an den Worten zu berauschen, sondern denke immer, da sind Menschen, die müssen die sprechen. Da müssen Bilder dazu, alles auf einer gleichwertigen Ebene. Theater ist für mich viel mehr Unterhaltung als Literatur. Da gehen Menschen nach ihrer Arbeit für zwei Stunden in ein Theater und ich habe die Pflicht, sie nicht zu langweilen. Wenn ich den Menschen noch irgendwas mitgeben kann, dass sie noch eine Minute über etwas nachdenken, ist das ein toller Zusatz. Mir geht es nicht um die Erziehung des Menschen, sondern darum, Menschen zu unterhalten. Angst reist mit Ein Reiseoperepos in diversen Aufzügen von Sibylle Berg Regie: Hasko Weber, Co-Regie: Sibylle Berg, Video und Raumgestaltung: Heta Multanen, Kostüme: Anette Hachmann, Komposition & musikalische Einrichtung: Sven Helbig, Chorleitung: Johannes Knecht, Dramaturgie: Jörg Bochow, Mit: Marco Albrecht, Jonas Fürstenau, Marietta Meguid, Christian Schmidt, Jens Winterstein, Minna Wündrich sowie Sängerinnen aus dem Extrachor der Staatstheater Stuttgart Fotos: Schauspiel Stuttgart Der Dramaturg Jörg Bochow im Gespräch mit der Autorin Sibylle Berg, der Videokünstlerin Heta Multanen und der Ausstatterin Anette Hachmann über Angst reist mit. Das neueste Stück von Sibylle Berg ist als Auftragsarbeit für das Schauspiel Stuttgart entstanden. Premiere: 23. März 2013 // 19:30 Uhr // NORD / Große Bühne Das Journal März /April /Mai 2013 21 09. Junge Oper 09. Der Musiktheaterpädagoge Christoph Sökler bei der Arbeit r e d e i l s l e g n E , n e v a l k n S e t ö fl r e b u a Z d un mit Trommeln und eine Wasserwand mit Klangstäben haben sie selbst komponiert und choreografiert. Hier müssen die Helden durch. Hakki nimmt die Querflöte, Andreas Noack hat ihm etwas Spieltechnik beigebracht, doch die Feuersbrunst gerät außer Rand und Band. »He Leute, macht Platz hier!« Gelächter, Geschubse. Zum Glück ist erst Probe. Doch eines ist klar für Hakki: Es ist die Macht seiner Melodie, die ihm den Mut verleihen wird, durch Feuer und Wasser zu gehen. Später trifft Christoph Sökler den Komponisten Jan Kopp und den Musiklehrer Alexander Burda, bespricht mit ihnen Details für den anstehenden Kompositionsworkshop mit der Klasse 11 vom Heidehofgymnasium Stuttgart. Die Schüler haben bereits eine Probe mit dem Staatsorchester besucht und sich mit dem Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling unterhalten. Nun werden sie eigene Trauermusik schreiben, welche Musiker des Staatsorchesters vor dem 7. Sinfoniekonzert im Juli spielen werden. Inzwischen ist es Abend, zwölf Lehrerinnen und Lehrer präsentieren ihre Pläne und Ideen für die Kinderdebatte zum Thema »Zeit« am 3. März im Opernhaus. Drittklässler wollen eine Zeitmaschine erfinden, Fünftklässler Zeit sammeln und verschenken, Achtklässler mit Tanz und Klängen den alles beherrschenden Stress sichtbar machen. Zusammen mit den Dramaturgen Barbara Tacchini und Koen Bollen wird ausgewertet und geplant. Ob die Versammlung die Welt verändern wird, wie es einst in Michael Endes Roman die Kinder um Momo und Gigi vorhatten? In den nächsten Wochen wird Christoph Sökler in jeder Klasse einmal zu Gast sein und die Beiträge coachen. Oper – ein Remix von Theater und Gesang Noch ist der lange Tag nicht zu Ende. Im Büro wartet Organisationskram. Musiktheaterpädagogik ist ein Beruf, der einen in vielerlei Hinsicht fordert und den man bezeichnenderweise in Deutschland noch an keiner Hochschule einfach so lernen kann. Seit die Opernhäuser in Deutschland in den 90er Jahren – und damit viel später als die Schauspielhäuser – erkannten, dass für den Nachwuchs etwas getan werden musste, leisten die Musiktheaterpädagogen wichtige Arbeit, nicht nur um Opernfans der Zukunft heranzuziehen, sondern auch in sozialpädagogischer Hinsicht. Die Oper Stuttgart trug mit der Gründung der Jungen Oper im Jahr 1995 von Anfang an maßgeblich zur Entwicklung von Methoden und zur Schaffung eines Repertoires sowie neuen Ansätzen von Jugendopern bei. Bestand die Junge Oper damals aus einem einzigen Musiktheaterpädagogen, so bietet sie nun schon seit Jahren jährlich mindestens zwei eigene Opernproduktionen für junges Publikum an. Christoph Sökler ist glücklich, seine Arbeit in einem Opernhaus tun zu dürfen, in dem Künstler und Werkstätten sie in gleicher Weise mittragen. Und wenn mitten in einer Vorstellung von Schaf, wie in der Jungen Oper kürzlich geschehen, plötzlich zweihundert Kinder leise und zart das Lied des Engels mitsingen, so dass die Sängerin erstaunt und gerührt hochblickt, oder wenn Hakki liebevoll und ehrfürchtig seine Flöte anschaut, bevor er zum Spielen ansetzt, ist er sich sicher: »Alle Anstrengung hat sich gelohnt – die Oper lebt.« Barbara Tacchini Die Nabucco-Patenklasse hat inzwischen ihre Szenen selbständig entwickelt und führt sie nun vor: Den Sklavenchor singen die Jugendlichen erst begleitend zu Fronarbeit. Doch dann stehen sie auf, fixieren einen Punkt in der Ferne: »Va pensiero!« »Wenn ich dabei den Boden kehre«, beschreibt Jonathan, »bin ich ohne Hoffnung, hier je wieder rauszukommen. Springe ich auf, blitzen Hoffnung und Mut in mir auf. Vielleicht hilft mir der neue Gott.« Um Götter und Götzen, welche die Menschen verführen, soll es in Rudolf Freys Inszenierung gehen, das wissen die Schüler vom Konzeptionsgespräch. »Aber«, so rätselt Annika, »wollen Götter eigentlich, dass man sie verehrt?« Seit 1995 gibt es die Junge Oper an der Oper Stuttgart. Neben der künstlerischen Arbeit im Rahmen von Theaterproduktionen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene liegt ein weiterer Fokus der Jungen Oper im Bereich Musiktheaterpädagogik. Ihre Zusammenarbeit mit Schülern und Lehrern wurde über die Jahre hinweg immer weiter ausgebaut und vertieft. Der Musiktheaterpädagoge Christoph Sökler ließ sich bei seiner Arbeit mit verschiedenen Schulklassen von Barbara Tacchini über die Schulter blicken. »Za.« Das erste Resultat ist noch ziemlich verschlafen, mehr gehaucht als gerufen. Einen Bogen sollten sich die Schüler vorstellen, den Pfeil spannen, die Stimme mit ihm losschicken. Spannung halten! »Za!« Das ist es! Musiktheaterpädagoge Christoph Sökler ist begeistert. Es ist morgens kurz nach acht und die Patenklasse von Nabucco hat sich im Musiksaal des Theodor-Heuss-Gymnasiums Esslingen eingefunden. Patenklasse einer Neuinszenierung der Oper Stuttgart zu sein bedeutet nicht nur, dass man bereits beim Konzeptionsgespräch, dem ersten offiziellen Zusammentreffen von Sängern und Regieteam, dabei sein, Proben beobachten und sich mit Sängern, Regisseur, Dramaturg und Dirigent austauschen darf. Zum Projekt gehört auch eigene szenische und musikalische Arbeit. Unter Anleitung des Musiktheaterpädagogen schlüpfen die Sechzehnjährigen in die Rolle von Nabucco und Abigaille, erleben deren Konflikte und Emotionen und erkennen sie später wieder, wenn sie bei der Aufführung im Zuschauerraum der Oper sitzen. Götter und Sklaven, Sieger und Verlierer mimen die elf Jugendlichen, und diskutieren anschließend über Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie sie selbst im Leben beobachten. Später singen die Schüler einen Ausschnitt aus dem Sklavenchor. Der Theaterpädagoge Christoph Sökler begleitet am Klavier, hämmert schon mal intensiv in die Tasten, wenn der Gesang zu schüchtern wird. Es geht darum, an die Erfahrungswelt der jugendlichen Operngänger 22 anzudocken, ihren Erfahrungshorizont zu weiten und ihnen Wege zu erschließen zu einem kreativen Kunsterlebnis, in dem es um mehr und anderes geht als bloßes Verstehen oder Nicht-Verstehen. »Viele Menschen erleben Kunstwerke als Rätsel, die es zu lösen gibt, und stehen ratlos und mutlos davor. „Wollen Götter eigentlich, dass man sie verehrt?“ Es sind eure Beobachtungen, eure Gedanken und Assoziationen, die das Kunstwerk erst zu einem Ganzen machen, das möchte ich ihnen vermitteln. Dabei gibt es viele Hürden zu nehmen: Mit Kindern aus kulturfernen Familien orten wir nicht selten erst mal, wo das Opernhaus in Stuttgart überhaupt steht. Oder erörtern, dass Opernkarten für Schüler billiger als Kinokarten zu haben sind. Die Kids, die an Oper allenfalls beim Fernsehen schon mal vorbeigezappt haben, halten ihr Misstrauen nicht zurück. Eigentlich ist es ihnen aus der Welt der Pop-Songs vertraut: Man singt, um Gefühle auszudrücken. Aber so dauernd? Und wenn, dann im bombastischen Design mit schöner Musik, ein Ereignis für Reiche, das man abhakt, in möglichst schickem Dress.« Christoph Sökler, selbst acht Jahre Sänger im Solistenensemble der Oper Stuttgart, lacht und wendet sich wieder den Schülern zu. Schnell wird beim Rollenspiel klar, dass Oper weit mehr kann als unterhalten, dass sie Dinge kann wie Fragen stellen, Zweifel säen, Emotionen und Dispute wecken. Doch dabei kann sie auch ganz schön sperrig sein. Oper, dieser Remix von Theater und Gesang, wie ein Schüler es jüngst genannt hat, sei Overkill! Bühne, Bewegung, Kostüm, Übertitel, Orchester, Gesang. Das Erzähltempo ist befremdend langsam, die Illusion nicht halb so perfekt wie im Kino. Warum singt der Mensch in der Oper? Nicht selten bekommt Christoph Sökler von Jugendlichen zu hören: »War ja ganz O.K., aber noch besser wäre gewesen, wenn die weniger gesungen hätten.« Da holt sie uns einmal mehr ein, die so oft gestellte Frage: Warum singt der Mensch in der Oper? Die Frage ist so alt wie das Genre selbst, das um 1600 an italienischen Fürstenhöfen erfunden wurde – und einen Wust an Streitschriften über die Unwahrscheinlichkeit und Lächerlichkeit des verbalen Schlagabtausches in gesungener Form mit sich zog. Der Halbgott Orpheus, der erste und ideale Opernheld, hatte zumindest ein akzeptables Motiv für sein seltsames Gebaren: Er war Sänger! Auch für »normale« Götter konnte man das Singen notfalls noch erklären. Aber für Könige? Gestritten wurde natürlich auch immer wieder über die Länge und Gestalt der Musik. Selbst Mozart war bisweilen klar, dass eine Arie in ihrer Länge die Geduld der Zuschauer arg strapazierte, sagte aber entschuldigend, ein Mensch, der sich in heftigem Affekt befinde, »überschreite eben alle Ordnung, Maß und Ziel«. Nach Verdi steht nun tatsächlich Mozart an: Christoph Sökler fährt mit Bus und Bahn zur Hohensteinschule in Zuffenhausen. Dort probt die 8. Klasse für ihre Abschlusspräsentation zum Projekt IMPULS MusikTheaterTanz, das die Junge Oper eigens für Grund- und Hauptschulen mit besonderer sozialer Aufgabenstellung entwickelt hat und das – initiiert und gesponsert u.a. vom Förderverein der Staatstheater Stuttgart – Vorbild für Projekte aller drei Sparten wurde. Es ist mit rund vierzig Projektstunden pro Klasse das zeitintensivste Schulprojekt der Jungen Oper und wird für fünf bis sechs Klassen pro Jahr angeboten, immer gekoppelt an eine Inszenierung. Gemeinsam mit Christoph Sökler und dem Flötisten Andreas Noack vom Staatsorchester Stuttgart haben sich die Hauptschüler mit der Zauberflöte beschäftigt. Eine Feuersbrunst Bilder oben Schüler der Hohensteinschule Stuttgart beim IMPULS Workshop zur Zauberflöte. Bild links Christoph Sökler mit Schülern des Theodor-Heuss-Gymnasium Esslingen, der Patenklasse von Nabucco. Fotos: A. T. Schaefer Das Journal März /April /Mai 2013 23 10. Gastspielreise nach Moskau 10. Das Stuttgarter Ballett gastiert am legendären Bolschoi-Theater Ein lebender Mythos Nach beinahe 30 Jahren reist das Stuttgarter Ballett im Mai wieder nach Russland und gastiert auf Einladung des Bolschoi-Theaters an diesem weltberühmten Haus – eine besondere Ehre für die Compagnie. Große Klassiker wie Schwanensee und Don Quijote wurden hier uraufgeführt, Tanzlegende Maja Plissetskaja war hier zuhause. Das Bolschoi-Theater in Moskau ist das Aushängeschild der russischen Kultur, ein lebender Mythos. Es nimmt in der Geschichte des Tanzes eine kaum vergleichbare Stellung ein, beherbergt eine der weltweit bedeutendsten Ballettcompagnien: das Bolschoi-Ballett. Neben einer atemberaubenden historischen Architektur mit wertvoller Inneneinrichtung verfügt der Theaterbau aus dem 19. Jahrhundert auch über die neueste Technik und eine der modernsten Bühnen der Welt – dank einer neun Jahre dauernden aufwendigen Renovierung. Im Oktober 2011 wurde das Theater glanzvoll wiedereröffnet. Im Mai hat das Stuttgarter Ballett die außerordentliche Freude, in diesem so geschichtsträchtigen Haus zu tanzen. Ein Auftritt auf dieser Bühne gehört wohl zu den ganz großen Träumen eines jeden Tänzers. Und so ging ein ehrfürchtiges Raunen durch die Reihen der Compagnie, als Ballettintendant Reid Anderson die Einladung des Bolschoi-Theaters verkündete. Vier Vorstellungen wird das Stuttgarter Ballett in Moskau geben. Foto: Fotolia / Yuri Gubin Mit im Gepäck: Romeo und Julia und ein Ballettabend mit Highlights des Repertoires Die Compagnie bringt ein großes Handlungsballett mit nach Russland: Romeo und Julia. Dass John Crankos ShakespeareBallett um die tragische Geschichte der jungen Liebenden mit im Gepäck ist, wenn sich das Stuttgarter Ballett auf der Bühne des Bolschoi-Theaters präsentiert, liegt aus unterschiedlichen Gründen nahe: Diesem Signaturwerk verdankt das Stuttgarter Ballett gewissermaßen seinen Ruhm, mit ihm schaffte Cranko kurz nach seinem Antritt als Ballettdirektor in Stuttgart den Durchbruch in seiner neuen Heimat, mit ihm legte er im Jahr 1962 den Grundstein für das Stuttgarter Ballettwunder. Kein anderes Stück vermittelt den ganz speziellen Zauber des Stuttgarter Balletts so sehr wie dieses. Außerdem war es immerhin eine Romeo und Julia-Aufführung des Bolschoi Balletts, die John Cranko zu seiner Auseinandersetzung mit dem Shakespeareschen Stoff inspirierte. Als die russische Compagnie im Jahr 1956 mit Leonid Lawrowskis Choreographie, die als erste einschlägige Romeo und Julia-Ballettfassung gilt, auf Gastspielreise in den Westen ging, saß in London der junge John Cranko im Publikum. Seine eigene, mittlerweile weltberühmte Version von Romeo und Julia zeigt das Stuttgarter Ballett nun zum ersten Mal in Russland und so schließt sich nach über 50 Jahren der Kreis. Mit auf die Reise geht außerdem ein gemischter Ballettabend mit Highlights des Stuttgarter Repertoires – hier dürfen neben Werken John Crankos natürlich Glanzstücke der jüngeren Generation nicht fehlen, gezeigt werden Arbeiten von Marco Goecke, Christian Spuck, Demis Volpi und weiteren Choreographen, die dem Stuttgarter Ballett eng verbunden sind. Während Romeo und Julia auf der großen, traditionellen Bühne des BolschoiTheaters getanzt wird, geht dieser gemischte Abend passend zum innovativen Programm über eine neuere Bühne, die während der Renovierungsphase ersatzweise in Betrieb genommen wurde. Künstlerische Erfolge und politische Schwierigkeiten Viele Jahre liegt das letzte Gastspiel in Russland zurück: 1985 reiste die Compagnie zuletzt in die damalige UdSSR und trat damals u.a. mit Onegin und Initialen R.B.M.E. auf. Die erste Tournee durch die kommunistisch regierte Sowjetunion unternahm das Stuttgarter Ballett im Februar 1972. John Cranko und seine Compagnie waren natürlich begeistert von der Möglichkeit, sich in den Balletthochburgen St. Petersburg bzw. Leningrad und Moskau präsentieren zu können. Andererseits brachte die politische Situation Schwierigkeiten mit sich, warf einen Schatten auf die Freude über das Gastspiel. Der Kalte Krieg zwang drei Tänzer dazu, in Stuttgart zurückzubleiben: die Tschechoslowaken Jiří Kylián und Vladimir Klos sowie Bernd Berg, der aus der DDR geflohen war. Es wurde eine anstrengende Reise. Die Compagniemitglieder wurden überwacht, egal ob im Theater, beim Essen oder in den Hotelzimmern. Auch im künstlerischen Bereich verlief nicht alles problemlos, bei den der Tour vorangegangenen Verhandlungen gab es einige Anlaufschwierigkeiten. Cranko bestand darauf, das Gastspiel mit Onegin zu 24 Das Journal März /April /Mai 2013 Marcia Haydée 1972 in Russland (oben, Foto: Kilian); Alicia Amatriain und Friedemann Vogel in Romeo und Julia (Foto: Stuttgarter Ballett) eröffnen – für die russische Agentur undenkbar. Puschkins Versroman, dieses Nationalheiligtum Russlands, auf der Bühne vertanzt zu sehen, das grenzte schon fast an Blasphemie. Cranko blieb jedoch hartnäckig, setzte sich durch, auch was seine Pläne für einen Ballettabend mit modernen Choreographien anging, und wurde belohnt: Im Stanislavsky-Theater in Moskau drängten sich 16 Personen in eine Loge mit acht Plätzen, so groß war die Nachfrage. Das skeptische russische Publikum – immerhin stand hier die Compagnie einer deutschen »Kleinstadt« auf der Bühne – war schnell überzeugt. Reagierte es auf Onegin noch zurückhaltend, war das Eis spätestens bei der ersten Vorstellung der Der Widerspenstigen Zähmung in St. Petersburg gebrochen. Über 30 Minuten lang dauerte der Schlussapplaus. Während das Orchester seine Instrumente einpackte und nach Hause ging, die Techniker das Bühnenbild abbauten, klatschten die Zuschauer weiter – solange bis Marcia Haydée und Richard Cragun den Schluss-Pas de deux wiederholten, ohne Musik. So viel Anerkennung wünscht sich das Stuttgarter Ballett natürlich auch für das Gastspiel am legendären Bolschoi-Theater – auch wenn die Überraschung seitens des russischen Publikums nicht mehr ganz so groß sein dürfte wie vor 40 Jahren. Immerhin eilt dem Stuttgarter Ballett mittlerweile sein international hervorragender Ruf bereits voraus. Nicht umsonst wurde die Compagnie in die »heiligen Hallen« des Bolschoi eingeladen. Kristina Scharmacher Gastspielreise des Stuttgarter Balletts nach Moskau 1. & 2. Mai: John Crankos Romeo und Julia Bolschoi-Theater / Traditionelle Bühne 4. & 5. Mai: Highlights des Stuttgarter Balletts Bolschoi-Theater / Neue Bühne 25 Plus 10 Fragen an ... P Hannes Hartmann, Ausstattungsleiter & Bühnenbildner am Schauspiel Stuttgart O R U M A M S C H L O S S PA R K in der Kulturmeile beim Staatstheater Stuttgart „Ein Gesamtkunstwerk im besten Sinne“ P Landesbibliothek Konrad-Adenauer-Straße 10, 70173 Stuttgart P Staatsgalerie 420 Plätze Konrad-Adenauer-Straße 32, 70173 Stuttgart - Durchgehend geöffnet - 123 Plätze - Durchgehend geöffnet - jede angefangene ½ Stunde 1€ Tageshöchstsatz 12 € jede angefangene ½ Stunde 1€ Tageshöchstsatz 12 € TIPP TIPP Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr Abend-Pauschale Mo - Sa 18 - 6 Uhr Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr max. 5€ max. 4€ Abend-Pauschale max. 4€ Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr Mo - Sa 18 - 6 Uhr max. 5€ max. 4€ max. 4€ Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €. Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €. P Landtag P Haus der Geschichte Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 Stuttgart 175 Plätze Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 Stuttgart 59 Plätze 1/4 hoch FR 26. APRIL 2013 SO 12. MAI 2013 & Münchener Kammerorchester Kammerorchester arcata stuttgart Isabelle Faust Alexander Liebreich, Leitung - Durchgehend geöffnet - - Durchgehend geöffnet - jede angefangene ½ Stunde 1€ Tageshöchstsatz 12 € TIPP Abend-Pauschale Mo - Sa 18 - 6 Uhr Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr Hannes Hartmann im Foyer der Spielstätte NORD / Große Bühne. Foto: Sebastian Kowski max. 4€ max. 4€ jede angefangene ½ Stunde Tageshöchstsatz 1€ 12 € TIPP Abend-Pauschale Mo - Sa 18 - 6 Uhr Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr 4€ Seit wann arbeiten Sie an den Staatstheatern Stuttgart? Als Ausstattungsleiter seit der Spielzeit 2009/10. 2007 war ich als Gast für Irrfelsen Stuttgart da. 02 Wie kamen Sie ans Theater? Eher zufällig, über einen befreundeten Maler, der früher als Regisseur und Bühnenbildner gearbeitet hatte. Ich war in einer Tischlerei beschäftigt und total gelangweilt, dann habe ich schnell ein paar Zeichnungen zusammengepackt und kam gerade noch rechtzeitig zur Aufnahmeprüfung ans Mozarteum in Salzburg. Und es hat geklappt. Das ist natürlich etwas verkürzt dargestellt, aber im Wesentlichen war es so. 03 Wie wird man Bühnenbildner? Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Man kann Bühnenbildund Kostümentwurf studieren, man kann aber auch einfach am Theater beginnen zu arbeiten. Als Hospitant einsteigen, als Assistent weitermachen und dann mit eigenen Arbeiten beginnen. Wobei dieser Weg beim Bühnenbild inzwischen schwierig ist, weil die technischen Anforderungen an Assistenten so hoch sind, dass es ohne Vorbildung kaum geht. Viele sind auch Quereinsteiger aus Bildender Kunst oder Architektur. 04 Was macht/ist ein Ausstattungsleiter? 26 Das ärgerlichste … Das ist sehr unterschiedlich und kommt auf die Anforderungen des jeweiligen Hauses an. In meinem Fall ging es hauptsächlich um die Planung der Übergangspielstätte(n) – es sind ja dann doch mehr geworden. Wir haben vier geplant und zwei davon haben wir umgesetzt; und die Leitung der Abteilung. Ein paar Bühnenbilder und Kostüme kamen auch dazu. Und natürlich immer auch die Bürokratie, die so ein Haus mit sich bringt. Gab’s auch welche, muss man aber hier nicht im Detail ausführen. 05 Schauspiel: Schlachten (Perceval / Brack) – bahnbrechende Ästhetik, In der Einsamkeit der Baumwollfelder (Chéreau / Peduzzi) mit einem unglaublichen Pascal Greggory – beides Salzburger Festspiele. Oper: Le Roi Arthus bei den Bregenzer Festspielen. In Stuttgart: Fundament von Jan Neumann und Der blaue Boll. Was war bisher Ihre größte Herausforderung? Im Leben, oder hier am Haus? Ersteres würde zu weit führen. Hier steht sicherlich an erster Stelle der Umbau der ehemaligen Mercedes-Benz-Niederlassung in der Türlenstraße in ein funktionierendes Theater für 850 Besucher. Im März die erste Begehung, dann Entwurf, Planung und Umsetzung inklusive Umzug einer ganzen Sparte und im September die Eröffnung. Das geht eigentlich gar nicht und wenn, dann nur in einem extrem guten Team. Wobei wir das vorher ja nicht wissen konnten, wir hatten uns alle ja gerade erst kennengelernt. Wir hatten Glück und es hat einfach gepasst. Da können wir uns echt auf die Schultern klopfen. 06 08 Meine Lieblingsinszenierung ... 09 Theater ist für mich ... Wenn es gut ist im besten Sinn ein Gesamtkunstwerk im Zusammenspiel von Literatur, Darstellender und Bildender Kunst und Musik – wenn’s schlecht ist, wahnsinnig ärgerlich. 10 Das wünsche ich mir ... Das schönste oder vergnüglichste Erlebnis? In der Zeit in Stuttgart war das schönste die Geburt unseres zweiten Sohnes und auch sehr vergnüglich, weil er ein ziemlich fröhliches Kerlchen ist. Impressum: Herausgeber Die Staatstheater Stuttgart // Geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks // Intendant Oper Stuttgart Jossi Wieler // Intendant Stuttgarter Ballett Reid Anderson // Intendant Schauspiel Stuttgart Hasko Weber // Redaktion Oper Stuttgart: Sara Hörr, Claudia Eich-Parkin Stuttgarter Ballett: Vivien Arnold, Kristina Scharmacher Schauspiel Stuttgart: Ingrid Trobitz // Gestaltung Anja Haas // Gestaltungskonzept Bureau Johannes Erler // Druck Bechtle Druck & Service // Titelseite Arman Zazyan, Stuttgarter Ballett. Foto: Roman Novitzky Redaktionsschluss 15. Februar 2013 // Hausanschrift Die Staatstheater Stuttgart, Oberer Schlossgarten 6, 70173 Stuttgart / Postfach 10 43 45, 70038 Stuttgart. 07 Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts Für’s Theater: dass veraltete Strukturen im Stadttheaterbetrieb aufbrechen und so die Chance besteht, dass Theater in dieser Form überlebensfähig bleibt. Förderer des Stuttgarter Balletts Partner der Oper Stuttgart Förderer des Stuttgarter Balletts Netta Or, Sopran Andreas Weller, Tenor Patrick Strub, Leitung Arien, Ouvertüren und Sinfonien von Jommelli, Mozart, Brescianello u. a. 4€ Ihr Partner rund ums Parken 01 Bach 2. Violinkonzert E-Dur Mozart 29. Sinfonie A-Dur sowie Werke von Strawinskij und Martin Ludwigsburg Concert Huberstr. 3 · 70174 Stuttgart · [email protected] Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg mbH Tel.: 0711/89255-0 · Fax: -599 · www.pbw.de Tickets: (0 71 41) 910-39 00 | www.forum.ludwigsburg.de Typisch BW-Bank Kunden: Haben stets auch die Wertbeständigkeit im Auge. Baden-Württembergische Bank Blicken Sie ganz entspannt der Zukunft entgegen. Mit höchster Sorgfalt und professionellem Know-how finden wir gemeinsam mit Ihnen Lösungen, die Sie überzeugen werden. 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