der ersten Auflage des Buchs

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2. Auflage erschienen
Liebe Leser,
im April 2009 ist endlich die
zweite und deutlich überarbeitete
Auflage unseres Buchs erschienen.
Die Kapitelstruktur und
wesentliche Definitionen wurden
ebenso überarbeitet wie die
Fallstudien aktualisiert.
Auszüge der überarbeiteten 2.
Auflage können Sie wiederum auf
der Website zum Buch,
www.open-innovation.de,
downloaden.
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Nutzungsbedingungen dieses Dokuments
Dieser File wird von den Autoren des Buchs unter einer Creative Commons Lizenz
zur Verfügung gestellt.
Die vollständigen Bedingungen dieser Lizenz lesen Sie hier:
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Die aktuelle Version dieses Buchs erhalten Sie unter
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Ralf Reichwald/Frank Piller
Interaktive Wertschöpfung
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Seite 2
Dieses Buch wird von der Peter-Pribilla-Stiftung gefördert.
Ziel der Stiftung ist die Förderung von Forschung und Wissenstransfer auf den Gebieten „Innovation und Leadership“.
Professor Peter Pribilla (*1941, †2003) war Mitglied des
Zentralvorstands der Siemens AG und Honorarprofessor an
der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der TU München.
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Seite 3
Ralf Reichwald/Frank Piller
Interaktive
Wertschöpfung
Open Innovation, Individualisierung
und neue Formen der Arbeitsteilung
Konzepte – Methoden – Praxis
unter Mitarbeit von Christoph Ihl und Sascha Seifert
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
Die diesem Buch zugrunde liegenden Forschungsarbeiten wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 582 an der TU
München sowie das BMBF im Rahmen der Projekte WinServ (FKZ 01HW0182) und EwoMacs
(FKZ 02PD1120) unterstützt.
Autorenkontakt:
Prof. Dr. Prof. h. c. Dr. h. c. Ralf Reichwald
Technische Universität München,
Lst. für Information, Organisation u. Mgt.
Leopoldstr. 139
80804 München
[email protected]
Dr. Frank Piller
MIT Sloan School of Management
50 Memorial Drive, E52-513
Cambridge, MA 02139
USA
[email protected]
Web-Seiten zum Buch im Internet:
www.prof-reichwald.org/iws
www.open-innovation.com/iws
1. Auflage Mai 2006
Alle Rechte vorbehalten
© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
Lektorat: Barbara Roscher / Jutta Hinrichsen
Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.
www.gabler.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk
berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im
Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher
von jedermann benutzt werden dürften.
Konzeption und Layout des Umschlags: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany
ISBN-10 3-8349-0106-7
ISBN-13 978-3-8349-0106-4
2. Auflage erschienen
Liebe Leser,
im April 2009 ist endlich die
zweite und deutlich überarbeitete
Auflage unseres Buchs erschienen.
Die Kapitelstruktur und
wesentliche Definitionen wurden
ebenso überarbeitet wie die
Fallstudien aktualisiert.
Auszüge der überarbeiteten 2.
Auflage können Sie wiederum auf
der Website zum Buch,
www.open-innovation.de,
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Vorwort
Ideen, Beispiele und Herausforderungen zur
Interaktiven Wertschöpfung – geschrieben von
unseren Kunden: unseren Lesern
Dieses Buch ist eine Innovation, und wir praktizieren „Open Innovation“ mit diesem
Vorwort. Unsere wichtigsten Kunden, unsere Master- und Executive-MBA-Studenten
sowie Forschungspartner, haben wir in die Buchproduktion einbezogen. In den
Vorlesungen und Seminaren der letzten Semester haben wir intensiv Cases und
Literaturbeiträge zu Open Innovation und Mass Customization thematisiert und
diskutiert. So entstand eine Vorabversion zu diesem Buch, und wir konnten unsere
Kunden einladen, mit uns das Vorwort zu schreiben. Die folgende Einführung ist
nach den Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung entstanden und wurde ausnahmslos von unseren Lesern geschrieben. Als Autoren verblieb uns lediglich die
Integration und Zusammenstellung der Einzelbeiträge. Dabei sind wir nach dem
Innovationskonzept des Unternehmens Zagat vorgegangen, das in den USA hoch
erfolgreich Restaurant- und Reiseführer rein auf Basis von Kundenbeiträgen erstellt.
Was unsere Kunden hier zustande gebracht haben, hat uns ebenso erstaunt wie
erfreut.
Der Einstieg
Den Einstieg bildet die Frage „interaktive Wertschöpfung und Open Innovation –
sind das nicht einfach weitere Buzzwords irgendwelcher Berater?“ Die Antwort
unserer Kunden heißt Nein: „Ein hervorragendes Beispiel für Open Innovation ist
das Open-Logo-Projekt von Spreadshirt.com [ein Anbieter individueller Kleidung].
Das Unternehmen lässt nicht nur sein Corporate Design von der eigenen KundenCommunity entwickeln, sondern gibt sein Schicksal und seine Zukunft mehr und
mehr in die Hände seiner Kunden ... Dabei geht es nicht mehr rein um T-ShirtEntwürfe. Zusammen mit der TRND-Agentur werden neue Projektideen und
Unternehmensstandbeine aus der Community heraus entwickelt.” “SpreadshirtGeschäftsführer Lukasz Gadowski hat seine Strategie kürzlich gegenüber dem
SPIEGEL auf den Punkt gebracht: ‘Wir befähigen die User, ihr eigenes Ding zu
machen.’ “
Aber es geht auch viel einfacher: “Letzte Woche habe ich meiner Schwiegermutter ein
bei ‘personalnovel.de’ individuell gestaltetes Buch geschenkt. Sie spielt die Mutter des
Helden, und auch ihr Hund bekam eine Rolle. Das Buch war ein Volltreffer und wurde
bei der Geburtstagsfeier eifrig herumgereicht. Das finde ich im Moment das beste
Mass-Customization-Beispiel, weil es mir (zumindest für dieses Jahr) die Qual [einer
passenden Geschenkwahl] erspart hat.”
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Vorwort
„Es sind die kleinen Dinge, die den Fortschritt ausmachen“
Diese Beispiele haben gemeinsam, “dass sie den Kunden in den Mittelpunkt der
Wertschöpfung stellen.” Anstelle einer “rein unternehmensintern dominierten
Produktion und Innovation werden die Kunden zu aktiven Wertschöpfungspartnern.”
“Die Vorstufen dieses Ansatzes waren immer Meinungsbefragungen, Markttests etc.”
So laden wir [ein Hersteller von Finanzsoftware] “als Banksoftware-OutsourcingPartner unsere Kunden ein, unsere Software zu testen. Dies beginnt bei den Basistests,
die bereits der Kunde wahrnimmt. Durch die Einladung in die Testphase gewinnt der
Kunde Einblick in die neuen Funktionen des Produkts und kann diese gleich prüfen.
Im Weiteren gibt dies uns die Gelegenheit, den Kunden mit seinen Bedürfnissen kennenzulernen. Diese Bedürfnisse geben wiederum die Basis für die Fortentwicklung
außerhalb von Management-Schranken wie Kosten/Nutzen – denn oft sind es die kleinen Dinge, die den Fortschritt ausmachen.”
“Seit es Amateurfunk gibt, wird dort Open Innovation praktiziert.”
Doch interaktive Wertschöpfung “geht weiter als Selbstbedienung oder Marktforschung.” Im Mittelpunkt steht die “partnerschaftliche Organisation der Leistungserstellung” in einer “Community aus Kunden, Nutzern, Herstellern, Lieferanten,
Händlern und anderen Quellen innovativen Wissens.” Diese Art der Mitwirkung von
Kunden und Nutzern an der Wertschöpfung ist dabei nicht unbedingt neu: “Seit es
Amateurfunk gibt, wird dort Open Innovation praktiziert.” Alle wesentlichen
Entwicklungen kommen von den Nutzern. “Die Vereine bauen gar Satelliten (OskarSatelliten-Programm), die sie weitgehend selbst finanzieren und mit Erstflügen im All
platzieren. Amateurfunk ist wegweisend im Hochfrequenzbereich …. Der Idealismus
der Personen und das hohe Engagement der in der Wirtschaft engagierten Forscher
und die Tüftler, die Hochfrequenz betrieben haben – denen verdanken wir heute
wesentliche Teile unserer Mobilfunktechnologie.”
“Ich war jahrelang ein eifriger Gestalter von Community-Medien“
Auch im Bereich der Medienproduktion sind Kunden seit vielen Jahren aktiv. “Ich war
jahrelang ein eifriger Nutzer/Gestalter von Community-Medien – ob bei einem
Bürgerradio als Reporter von der Landtagswahl oder als Moderator von
Radiosendungen. Wie sich nun herausstellt, sind Community-Medien, Vereine, etc.
Vorreiter in Sachen Open Innovation, denn diese mussten schon immer auf motivierte
Kunden/Mitglieder und deren Ideen-Reichtum, Innovationsfreude und (Eigen)
Initiative bauen. Also all das, was “professionelle” Unternehmen nun gerade lernen.”
Für diese aber “ist die Vorstellung, dass auch die Kunden einen wertvollen Beitrag zur
Leistungserstellung beitragen und manche Aufgaben besser lösen können als die
Hersteller, eine Kulturrevolution.”
“Die Chancen für die Unternehmen liegen auf der Hand: enge Kundenbindung,
Aufbau eines Gemeinschaftsgefühls: ‘Das Unternehmen sind wir.’ “ “Gerade unter
dem Stichwort ‘Social Commerce’ wird es eine Fülle von neuen Verkaufskonzepten
geben, in denen es mehr um Kaufempfehlungen von Fan zu Fan (bzw. von
Freundin zu Freundin) geht als um den klassischen Kauf im Laden. Empfehlungssysteme werden eine Rolle spielen; die Kommunikation wird offener und
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Vorwort
direkter ablaufen und auch der Wunsch, nach individuelleren (= exklusiveren)
Produktangeboten wird steigen.” Wichtigster Treiber aber ist, dass die Anbieter
“Zugang zur Kundeninformation bekommen, die in dieser Qualität zu diesen
[geringen] Kosten” bislang nicht verfügbar waren. Damit sollen die “Kosten der
Produktentwicklung gesenkt und der Spagat zwischen Individualität und Preis
geschlossen” werden.
„Die Gefahr ist groß, dass Unternehmen es übertreiben“
Doch “je aktiver die Kunden werden sollen, desto aktiver muss man sich aus
Unternehmenssicht auch um sie kümmern.” “Kunden werden es begrüßen, eingebunden zu werden. Die große Gefahr ist (heute noch), dass Unternehmen es übertreiben.”
Eine große Herausforderung ist deshalb “die Beherrschung der Komplexität aus
Kundensicht. Kunden trauen sich oft nicht zu, größere Wertschöpfung wie bspw. das
Design zu betreiben.” Ein Beispiel: “Bei 121Time [ein Anbieter individueller Uhren im
Internet] habe ich den Job des Designers übernommen. Was mich sehr nachdenklich
gemacht hat, ist die Tatsache, dass ich es … sehr anstrengend empfand, bis ich das
Design für die Uhr meiner Frau zusammengestellt hatte.” Die “strategische
Grundfrage [ist deshalb], was der Kunde als Partner aktiv mitgestalten soll und vor
allem in welcher Umfang”. “Im ‘Café Brotraum’ in München können Kunden massiv
in die Wertschöpfung von Backwaren eingreifen – müssen dann jedoch auch das kulinarische Risiko von Senf-Schafskäse Pralinen tragen.” “Die Herausforderung für die
Unternehmen liegt so in einer adäquaten Gestaltung von Schnittstellen zwischen
Unternehmen und Kunden, [in der] Reduktion von Komplexität der Produkte und
Prozesse sowie in einer Verkürzung der Durchlaufzeiten vom Angebot bis zum fertigen Produkt.” Denn “die Chance, dem Kunden eine Fülle von (Wahl- und
Beteiligungs-)Möglichkeiten bieten zu können, heißt nicht, dass man seinen Kunden
nicht gleichzeitig auch einfache Lösungen und direkte Wege zum Produkt bieten muss.
Unternehmen müssen lernen, beide Möglichkeiten zu bieten.”
“Falls diese Herausforderungen gepackt werden, kann das Unternehmen auf eine
riesige Ressource an Ideen und Innovationen zugreifen.”
Eine der größten Herausforderungen ist die soziale Komponente.” “Der Kunde
darf sein Mitwirken nicht als mitwirken, sondern als mitgestalten erleben. Der
Kunde ist ernst zu nehmen und seine Inputs sind stets zu beantworten. Ansonsten
fehlt auf Dauer die Glaubwürdigkeit.” “Künftig geht es darum, eine unbekannte
Masse von Menschen sozial kompetent zu führen. Hier wird ein enormes Geschick
im Umgang mit Menschen gefordert sein. Denn jegliche Ausfälligkeit und
Ungeschicklichkeit schlägt in weitaus höherem Maße als heute auf das
Unternehmen zurück.”
Im Herstellerunternehmen aber ist “vor allem ein Kulturwandel notwendig.” “Alle
Mitarbeiter müssen den Nutzen” von interaktiver Wertschöpfung verstehen. “Vor
allem die Produktentwicklung darf die Mitwirkung der Kunden nicht als Konkurrenz sehen, sondern als Ideen-Lieferant. Falls diese Herausforderungen gepackt
werden, kann das Unternehmen auf eine riesige Ressource an Ideen und Innovationen zugreifen.”
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Vorwort
“Deshalb wünsche ich diesem Buch viele Leser”
“Bei mir [als Kunde] überwiegt jedoch die Freude darüber, endlich vom Unternehmen
ernst genommen zu werden und selbst einen Beitrag leisten zu können.” “Die Chancen
sehe ich vor allen Dingen in einer bedarfsorientierten, nachhaltigen Produktionswelt,
die unserer Zeit mehr als gut zu Gesicht stehen würde.” “Deshalb wünsche ich diesem
Buch viele Leser”, denn es ist aufgrund “seiner hohen markt- und gesellschaftspolitischen Bedeutung” ein “wichtiger” Beitrag, “um der interaktiven Wertschöpfung, entsprechend ihres enormen Potentials, auf breiter Ebene zeitnah zu mehr Popularität und
Verbreitung zu verhelfen.”
Basierend auf Beiträgen von Peter Arnold, Wolfgang Bauhaus, Paul Blazek,
Stefanie Breuer, Martin Dietram, Alexander Dorn, Gaby Egelwiße, Elha
Elezovic, Patrick Eichhorn, Silvia Fenz, Robert Freund, Johannes Hache,
Andreas Helms, Steffi Jansen, Timo Jäger, Joachim Kant, Tanja Kempf,
Jochen Krisch, Ulrike Kustermann, Thomas Lippert, Bastian Merfels,
Melanie Müller, Sabine Pabst, Miriam D. Pattberg, Peter Raabe, Christoph
Schmidt, Dorothee Schmitt, Christian Schönherr, Anja Seidler, Johannes
Steuerwald, Christoph Stotko, Alexander Ullrich, Jörg Vogt, Stefan
Walchberg, Christian Waller, Claudia Wiesmann, Stefanie Wolf, Andrea M.
Zehetner und Günther Zonner.
Danksagung
Allen oben aufgeführten Personen sagen wir Dank für ihre Beiträge zum Gemeinschaftswerk. Doch nicht nur das Vorwort, sondern auch weite Teile des Buches wären
ohne unsere Partner in Forschung und Praxis nicht entstanden. Wir danken dabei an
erster Stelle dem Team des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre: Information,
Organisation und Management (IOM) der Technischen Universität München (TUM)
für die vielfältige Unterstützung und die kreativen Inputs aus zahlreichen empirischen
Forschungsprojekten des Lehrstuhls, insbesondere Angelika Bullinger, Melanie
Müller, Dominik Walcher, Hagen Habicht, Klaus Moser, Daniel Rackensperger,
Michael Ney und Jutta Hensel. Unsere Mitautoren Christoph Ihl und Sascha Seifert
haben in den Kapiteln 2 und 3 mit wesentlichen Ideen dieses Buch geprägt und waren
uns stets exzellente Sparingpartner bei der Diskussion unserer Entwürfe.
Wesentliche Teile dieses Buches basieren auf Konzepten und Inhalten, die im Rahmen
des Sonderforschungsbereichs „Marktnahe Produktion individualisierter Produkte“
(vgl. Lindemann/ Reichwald / Zäh 2000) entwickelt wurden. Wir danken allen Kollegen
und Kolleginnen des Forschungsverbundes, vertreten durch den Sprecher des SFB 582,
Herrn Prof. Dr. Udo Lindemann, und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die
Förderung. Ebenso haben wir aus den Forschungsprojekten des Förderprogramms
„Innovative Dienstleistungen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
(BMBF) profitiert, besonders aus den Projekten WINSERV (Reichwald / Mayer /
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Vorwort
Engelmann / Walcher 2006) , MACS und COSMOS (Krcmar / Reichwald / Schlichter /
Baumgarten 2005) sowie aus den Projekten EUROSHOE und CEC der
Förderprogramme der Europäischen Union. Wir danken den Förderinstitutionen für
ihre wertvolle Unterstützung und unseren Projektpartnern aus Wissenschaft und
Praxis für die ausgezeichnete Kooperation.
Das Buch hat nicht zuletzt von unserer Verankerung in mehrere internationale
Forschernetzwerke profitiert. Hier ist neben der Mass-Customization-Community vor
allem die Forschergruppe um Eric von Hippel am Massachusetts Institute of
Technology (MIT), Boston, USA, zu nennen. Viele der grundlegenden Konzepte und
Ideen dieses Buches sind von dieser Kooperation geprägt – ebenfalls ein ausgezeichnetes Beispiel für Open Innovation in der Wissenschaft.
Eine Vielzahl innovativer Manager und Entrepreneure in Europa und in den USA haben für
die empirische Fundierung unserer Gedanken gesorgt. Ohne ihre Offenheit und Auskunftsbereitschaft hätten viele der Fallstudien und Beispiele in diesem Buch nicht entstehen
können. Auf Interviews, bei Firmenbesuchen und in Arbeitskreisen und Veranstaltungen
des Lehrstuhls haben sie mit uns diskutiert und unsere Gedanken auf die Probe gestellt –
und oft durch neue Ideen aus der Praxis nachhaltig erweitert. Gleiches gilt auch für unsere
Studenten in München und Cambridge sowie in MBA-Kursen an anderen Institutionen, die
ebenfalls durch ihre Beiträge die Konzeption dieses Buchs wesentlich mitgeprägt haben.
Der Gabler Verlag war wieder einmal ein kompetenter und flexibler Partner, der sich von
unseren innovativen Ideen mitreißen ließ. Wir stellen eine Kurzfassung dieses Buches
unter einer Creative-Commons-Lizenz auf der Web-Site zu diesem Buch ins Netz, die
sich jeder Interessent kostenlos beschaffen kann. Auch der Verlag betritt mit diesem
Produktionskonzept Neuland, und wir danken Frau Barbara Roscher und Frau Jutta
Hinrichsen für ihre große Unterstützung bei diesem Buchprojekt. Frau Gabriele Singer
vom Verlag danken wir für die sorgfältige Umsetzung der Gestaltung dieses Buches.
Unsere Leser ermuntern wir zur Mitwirkung bei der interaktiven Weiterentwicklung
dieses Buches. Senden Sie uns Ihre Beispiele, Kommentare und Verbesserungsvorschläge und wirken Sie somit an der nächsten Auflage dieses Lehrbuchs interaktiv mit.
Wir freuen uns über jeden Beitrag von Ihnen!
München und Cambridge / Boston
Ralf Reichwald und Frank Piller
([email protected] | [email protected])
Das Buch im Netz:
Im Internet finden Sie einen umfangreichen Begleitdienst zu diesem Buch mit vielen
weiteren Informationen:
www.prof-reichwald.org/iws oder www.open-innovation.com/iws
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Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung und Überblick:
Die aktive Rolle von Kunden in der Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1
2
Organisation der arbeitsteiligen Wertschöpfung: Entwicklungen und
Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11
2.1
2.2
2.3
2.4
Eine Übersicht der Evolution von Wert und Wertschöpfung . . . . . . . . . . . .11
Die tayloristische Industrieproduktion: hierarchische
Organisation der Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14
2.2.1 Tayloristische Prinzipien der wissenschaftlichen
Betriebsführung: Produktivitätsoptimierung unter stabilen
Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14
2.2.2 Gesetze der Produktivität und Kostenwirtschaftlichkeit . . . . . . . .18
2.2.3 Grenzen des Taylorismus: Heterogenisierung der
Nachfrage und Empowerment aktiver Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . .21
Auflösung der Unternehmensgrenzen: Von der internen
Abwicklung zu Netzwerken und Märkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .27
2.3.1 Marktorientierung und Flexibilität als Leitziele in
Unternehmensnetzwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29
2.3.2 Ökonomie der Netzwerkorganisationen und
Move-to-the-Market . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33
2.3.3 Grenzen der grenzenlosen Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39
Interaktive Wertschöpfung – neue Formen der Arbeitsteilung und
des Wissenstransfers zwischen Anbietern und Kunden . . . . . . . . . . . . . . . .41
2.4.1 Prinzipien und Eigenschaften der interaktiven Wertschöpfung . . .42
2.4.2 Kundenintegration und Lösungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .47
2.4.3 Arbeitsteilung und Organisation in der interaktiven
Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54
2.4.3.1 Arbeitsteilung und Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54
2.4.3.2 Logik der Arbeitsteilung nach dem Konzept der
“wissensökonomischen Reife” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .56
2.4.3.3 Logik der Arbeitsteilung nach dem Konzept der
“sticky information” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .57
2.4.3.4 “Commons-based Peer Production” als
Organisationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58
2.4.3.5 Organisation der Informations- und
Wissensproduktion: Offenheit vs. proprietärer
Schutz von Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65
2.4.4 Interaktive Wertschöpfung aus Kundenperspektive:
Free Revealing und Nutzen der Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .72
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Inhaltsverzeichnis
2.4.5
2.4.6
2.4.7
3
Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation . . . . . . . . . . . . .95
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
4
Der interaktive Innovationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97
Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration im
Innovationsprozess:der Weg zu Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .105
3.2.1 Ansätze der Kundenorientierung: “Voice of the Customer” . . . . .106
3.2.2 Innovationsprozesse in interorganisationalen Netzwerken . . . . . .114
3.2.3 Kunden als Quelle von Innovationen:
Vom Manufacturer-Active zum Customer-Active Paradigm . . . . .120
3.2.4 Open Innovation: Ein Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .128
Die Kundenperspektive: Beteiligung an Open Innovation . . . . . . . . . . . . .135
3.3.1 Eigenschaften von Kundeninnovatoren (Lead Usern) . . . . . . . . . .137
3.3.2 Unzufriedenheit mit bestehenden Lösungen und
Erwartung eines besseren Fit zwischenProdukteigenschaften
und Kundenbedürfnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142
3.3.3 Erfolgreiche Absolvierung einer lohnenswerten Aufgabe
und Stolz auf das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .144
3.3.4 Reduktion von Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .146
3.3.5 Soziale Bestätigung und externe Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . .146
3.3.6 Kosten der Beteiligung am Innovationsprozess aus Sicht
der Nutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147
Die Unternehmensperspektive – Wettbewerbsvorteile durch
Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .149
3.4.1 Reduzierung der Time-to-Market . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150
3.4.2 Reduzierung der Cost-to-Market . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .151
3.4.3 Steigerung des Fit-to-Market . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .152
3.4.4 Erhöhung des New-to-Market . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .153
3.4.5. Kosten aus Sicht des Herstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .154
Instrumente von Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .155
3.5.1 Die Lead-User-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .156
3.5.2 Toolkits für Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .163
3.5.3 Innovationswettbewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .172
3.5.4 Communities für Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .176
Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Individualisierung und
Mass Customization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .191
4.1
XII
Interaktive Wertschöpfung aus Unternehmensperspektive:
Effiziente Differenzierung und Zugriff auf knappe Ressourcen . . .75
Interaktionskompetenz und interaktionsförderliche
Organisations- und Kommunikationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . .81
Grenzen der interaktiven Wertschöpfung:
Aufgabenteilung und Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .91
Produktindividualisierung und Mass Customization . . . . . . . . . . . . . . . . .193
4.1.1 Der Begriff Produktindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .193
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Inhaltsverzeichnis
4.1.2
4.2
4.3
4.4
5
Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .257
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
6
Mass Customization als Ausprägung einer
Produktindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .198
4.1.3 Prinzipien und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .199
4.1.4 Einordnung der Produktindividualisierung in das Konzept
der interaktiven Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207
4.1.5 Effizienzkriterien interaktiver Wertschöpfung bei
Produktindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .214
Kosteneffizienz von Individualproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .215
4.2.1 Zusätzliche Kosten durch Produktindividualisierung . . . . . . . . . .216
4.2.2 Neue Kostensenkungspotenziale durch
Produktindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .223
Markteffizienz von Individualproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .230
4.3.1 Einfluss auf die Produktqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .231
4.3.2 Einfluss auf die Prozessqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .232
4.3.3 Preispolitische Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .232
4.3.4 Zusammenfassende Betrachtung der Effizienzwirkung
interaktiver Wertschöpfung durch
Produktindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .234
Phasen und Instrumente der Kundeninteraktion bei
Mass Customization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .237
4.4.1 Übersicht und Phasenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .238
4.4.2 Kommunikationsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .241
4.4.3 Exploring-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244
4.4.4 Konfigurationsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .245
4.4.5 Wartezeit und Lieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .251
4.4.6 Feedback und After-sales-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252
4.4.7 Wiederholungskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253
Von Mass Customization zu Open Innovation bei der
Adidas-Salomon AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .257
Wikipedia als Beispiel einer interaktiven Wertschöpfung in
Nutzer-Communities von Informationsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .270
Mass Customization in der Reisebranche – kundenindividuelles
Reisen mit Dynamic Packaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .279
Linel GmbH: Entwurf eines Mass-Customization-Konzepts für
die Wasser- und Abwasserfiltrationsbranche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .294
Effizienz der interaktiven Wertschöpfung – eine Kalkulation am
Beispiel von Maßkonfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .303
Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .313
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .319
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .355
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Threadless: Interactive Value Creation With and By Consumers . . . . . .2
Henry Ford und das “Modell T” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .15
Wichtige Funktionen und Gesetzmäßigkeiten der klassischen
Produktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19
Literaturempfehlungen zum Wandel der Märkte und zum
Empowerment der Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .27
Das Beispiel Dell: Netzwerke als Antwort auf den marktlichen
und technologischen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28
Organisationsgrenzen: Begriff und Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31
Ansätze zur Erklärung organisationaler Grenzen:
Transaktionskosten und Property-Rights-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .34
User Innovation in Kite-Surfing: Dominierung der
Wertschöpfung durch die Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41
Spreadshirt: Rasantes Wachstum durch Interaktive
Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51
Literaturempfehlungen zu grundlegenden Schriften zur
Kundenintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53
Could The Culture of Participation Threaten The Existence
of The Firm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .64
Skaleneffekte der Informationsproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .67
Literaturempfehlungen zu den Prinzipien der Arbeitsteilung
und Organisation der interaktiven Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . .71
Literaturempfehlungen zu den Wettbewerbsvorteilen durch
Interaktive Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .81
Literaturempfehlungen zur Interaktionskompetenz und zu interaktionsförderlichen Organisations- und Kommunikationsstrukturen . . . .91
Innocentive: Ideenbörse für Tüftler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .96
Quality Function Deployment (QFD) als umfassende Methode
eines kundenorientierten Innovationsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . .111
Procter & Gamble’s Strategy to Harness Outside Talent to
Boost Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .114
Portrait of a User Innovator: How Bette Nesmith Graham
(1922-1980) invented Liquid Paper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .124
Ein Interview mit Eric von Hippel, MIT, über die
Demokratisierung von Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127
What’s Really Up with Web 2.0: Customer Innovation and
Design It Yourself . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .132
Literaturempfehlungen zu Grundidee und Hintergrund von
Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .135
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Motives and Tools of Do-It-Yourself Inventors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .141
Literaturempfehlungen zur Kundenperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . .149
Literaturempfehlungen zur Herstellerperspektive . . . . . . . . . . . . . . . .155
Literaturempfehlungen zur Lead-User-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . .163
Prototyping und Experiment als grundlegende Idee von Toolkits . . .165
Ein Toolkit in der Nahrungsmittelindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .168
Literaturempfehlungen zu Toolkits für Open Innovation . . . . . . . . . .172
Ideenwettbewerb bei Swarovski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .177
Beispiel zur Interaktiven Wertschöpfung in
Innovation-Communities: Die Entstehung von Linux . . . . . . . . . . . . .181
Open Invention Network Formed to Promote Linux and Spur
Innovation Globally Through Access to Key Patents . . . . . . . . . . . . . .182
Beispiele der Übertragung des Gedankens der
Open-Source-Software-Entwicklung auf andere Bereiche . . . . . . . . . .183
Nutzung von Input aus Kunden-Communities bei MUJI . . . . . . . . . .188
Literaturempfehlungen zu Open Innovation Communities . . . . . . . . .189
mi adidas: Das Mass-Customization-Programm von Adidas . . . . . . .192
Eigenschaften von Mass Customization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .204
Literaturempfehlungen zu den Grundlagen der
Produktindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .215
Mass-Customization-Produktionstechnologie Rapid
Manufacturing: Die Brille aus dem Drucker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .218
Loewe Individual-Fernseher als Alternative für eine
Produktion am Standort Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .234
Literaturempfehlungen zur Markt- und Kosteneffizienz von
Mass Customization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .237
Kundenintegration in das Produktdesign am Beispiel des
Internet-Toolkits von Factory 121 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .239
Web Sites Offering Personalized Products Catch Fire
Among Vcs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .243
LEGO Factory: Von Mass Customization zu User Innovation . . . . . . .254
Literaturempfehlungen zur Gestaltung der
Kundeninteraktion bei Mass Customization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .255
Die Konkurrenz: Mass Customization bei Nike . . . . . . . . . . . . . . . . . . .259
Beispiele für Maßkonfektion im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .304
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2–1:
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven
Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13
Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung nach
Taylor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16
“Principles of Common Wisdom” - Rahmenbedingungen und
Prinzipien der tayloristischen Industrieorganisation . . . . . . . . . . . .17
Alternative Wertschöpfungsarrangements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36
Einfluss der neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien (IKT) auf die
Vorteilhaftigkeit von Organisationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . .37
Das Modell der interaktiven Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44
Kundenintegration zur Produktion von Dienstleistungen
und individuellen Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .48
Ebenen der interaktiven Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51
Logik der Arbeitsteilung zwischen Unternehmen
und Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58
Einsparungen von externen Transaktionskosten in der
interaktive Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .61
Gütertypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68
Das Kontinuum zwischen implizitem und explizitem Wissen . . . .70
Interaktive Wertschöpfung und Unternehmenserfolg . . . . . . . . . . .80
Unterscheidung von technisch-naturwissenschaftlichem
Wissen und Anwendungswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .83
Bausteine der Interaktionskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86
Trade-Off zwischen Produktionskosten und
Transaktionskosten in der interaktiven Wertschöpfung . . . . . . . . . .92
Ziele von Prozessinnovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .99
Arten von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101
Phasen eines idealtypischen Innovationsprozesses . . . . . . . . . . . . .102
Faktoren von Kundenorientierung im Innovationsprozess . . . . . .107
Typische konventionelle Methoden der Datengewinnung
zum Zugang zu Bedürfnisinformation
(“voice of the customer”) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .110
Closed versus Open Innovation nach Chesbrough . . . . . . . . . . . . .119
Ausgewählte Studien zum Anteil innovativer
Nutzer an allen Nutzern der Produkte einer Branche . . . . . . . . . .121
Vom MAP zum CAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .123
Gegenüberstellung des Lead-User-Gedankens und des
klassischen “Voice of the Customer”-Konzepts . . . . . . . . . . . . . . .130
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3–10:
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Determinanten der Kundenbeteiligung an Open Innovation . . . .136
Wettbewerbsvorteile durch Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . .150
Phasen der Lead-User-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .157
Die Suchtechniken Pyramiding und Screening . . . . . . . . . . . . . . . .160
Kreativitätstechniken im Innovationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . .162
Ablauf des iterativen Problemlösungsprozesses im
klassischen Innovationsprozess und bei Einbezug der
Nutzer mittels Toolkits für Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . .164
Arten von Toolkits für Open Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .167
Beispiele für Toolkits für User Co-Design in der
Schuhindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .170
Merkmale virtueller Communities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .178
Beispiele für Meinungsplattformen und Marken-Communities
im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .185
Idealpunkte eines Produkts aus Kundensicht (Nr. 1-4) im
Vergleich zu den realen Produkteigenschaften (P*) als
Kaufentscheidungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .194
Möglichkeiten der Produktindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . .196
Merkmale der Individualisierung und Standardisierung
auf Produktebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .197
Prinzipien von Mass Customization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .200
Zeitpunkte der Integration des Kunden in die
Leistungserstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209
Auftragsneutrale und kundenbasierte Vorfertigung . . . . . . . . . . . .212
Übersicht der Treiber der Effizienz interaktiver
Wertschöpfung bei Produktindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . .215
Aufbau von “Learning Relationships” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .228
Qualitativer Vergleich der Wertschöpfungsmodelle in
Bezug auf wesentliche Kostenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .229
Kosten und Nutzen einer Mass-Customization-Strategie
aus Sicht des Anbieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .235
Phasen der Kundeninteraktion bei Mass Customization . . . . . . . .239
Der Konfigurationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .246
Einsatzumgebungen von Toolkits für User Co-Design . . . . . . . . . .247
Aufgabenumfang eines Produktkonfigurationssystems für
Mass Customization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .248
Der ‘mi adidas’-Konfigurationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261
Aufbau der Gestalte-Seite des Ideenwettbewerbs . . . . . . . . . . . . . .264
Verteilung der Ideen auf die unterschiedlichen Phasen . . . . . . . . .267
Verteilung des Kreativscores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .268
Der Ideenwettbewerb als Methode zur Identifikation von
Lead Usern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .269
Ausschnitt aus der Hauptseite der deutschsprachigen
Wikipedia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .271
Diagramm der Wikimedia-Server-Architektur vom
12. April 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .278
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 5–8:
Abbildung 5-9:
Abbildung 5-10:
Abbildung 5–11:
Abbildung 5–12:
Abbildung 5–13:
Abbildung 5–14:
Abbildung 5–15:
Abbildung 5–16:
Abbildung 5–17:
Abbildung 5–18:
Abbildung 5–19:
Abbildung 5–20:
Abbildung 5–21:
Abbildung 5–22:
Abbildung 5–23:
Abbildung 5–24:
Gesamtumsatz und Umsatzentwicklung der deutschen
Reisebranche on- und offline 1999 bis 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .282
Wichtige Angebote großer Online-Reiseagenturen im Internet . . . . .283
Wichtige Angebote großer, "klassischer"
Reiseveranstalter im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .284
Funktionaler Vergleich wichtiger
Dynamic-Packaging-Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .286
Funktionalschema der Reisevermittlung durch OnlineReiseagenturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .287
“Click&Mix“-Angebot auf expedia.de . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .288
Individualisierung des Fluges, der Zimmerausstattung,
des Mietwagens sowie Auswahl einer Reiseversicherung . . . . . . .289
Tourdesigner der Jacana Tours GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .290
Prozess aus Sicht des Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291
Mögliche Module einer Filtrationsanlage und ihre
Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297
Darstellung eines Konfigurators für
Membranfiltrationsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .298
Beispielmodul Wartung & Reparatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .299
Wertschöpfungskette bei Maßkonfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .304
Kostenstruktur Maßkonfektionsware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .305
Vergleich Abschriften bei Massenkonfektion und Mass
Customization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .306
Kostenerhöhung bei individueller Fertigung von
Konfektionsware in Asien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .309
Durchlaufzeiten der kundenindividuellen
Massenfertigung einer Damenhose in Asien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .310
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Page 318
2. Auflage erschienen
Liebe Leser,
im April 2009 ist endlich die
zweite und deutlich überarbeitete
Auflage unseres Buchs erschienen.
Die Kapitelstruktur und
wesentliche Definitionen wurden
ebenso überarbeitet wie die
Fallstudien aktualisiert.
Auszüge der überarbeiteten 2.
Auflage können Sie wiederum auf
der Website zum Buch,
www.open-innovation.de,
downloaden.
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Einleitung und Überblick:
Die aktive Rolle von Kunden in
der Wertschöpfung
Wenn wir in diesem Buch vom Konzept der interaktiven Wertschöpfung sprechen, so
steht für uns als Besonderheit die aktive Rolle des Kunden in der Wertschöpfung im
Mittelpunkt. Der Kunde ist in unserem Konzept nicht mehr nur passiver Empfänger
und Konsument einer von Herstellern autonom geleisteten Wertschöpfung. Vielmehr
treten Kunden als Wertschöpfungspartner von Unternehmen auf, indem sie Produkte
oder Dienstleistungen mitgestalten und teilweise sogar deren Entwicklung und
Herstellung bestimmen oder übernehmen. Aus der von Unternehmen dominierten
Wertschöpfung wird durch die aktive Rolle der Kunden eine interaktive Wertschöpfung.1
Was ist interaktive Wertschöpfung?
Interaktive Wertschöpfung heißt Kooperation und sozialer Austausch. Das Konzept
der interaktiven Wertschöpfung geht von einem stark kooperativen Prozess aus, in
dem der Kunde nur im Extremfall dominiert. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass
Kunden in der Regel nicht allein die finanziellen und materiellen Ressourcen aufbringen können und wollen, um einen komplexen und langwierigen Wertschöpfungsprozess ohne Unterstützung eines Herstellers zu gestalten. In der Regel signalisiert der
Hersteller seine Empfangsbereitschaft für Kundenbeiträge zur Wertschöpfung, indem
er spezielle Infrastruktur und Ressourcen bereitstellt. Die Rolle der Kunden geht dabei
aber weit über den Aufbau eines Regals von Ikea oder eine Selbstbedienung am
Bankautomaten hinaus. Dies sind zwar auch Formen einer Arbeitsteilung zwischen
Anbieter und Abnehmern, jedoch finden sie rein auf einer operativen Ebene innerhalb
eines engen Lösungsrahmens statt. Wir wollen dagegen auf Wertschöpfungsprozesse
fokussieren, die durch einen weiten Lösungsraum gekennzeichnet sind. So können
sich Kunden als Lieferanten von in Markttests und Pilotierungen erworbener
Anwendungserfahrung oder aber als Mitgestalter der Produktentwicklung erweisen,
die Ideen für neue Produkte beisteuern, an der Konzeptentwicklung mitarbeiten oder
Produkte designen und konfigurieren (Dahan / Srinivasan 2000; Franke / Piller 2003;
Brockhoff 2005).
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Hinweis: Unter einem Kunden verstehen wir den Abnehmer und vor allem Nutzer einer
Leistung und unter einem Unternehmen den Anbieter und vor allem den Hersteller einer
Leistung. Ein Kunde bzw. Nutzer kann dabei auch ein Unternehmen sein (im B-to-BGeschäft). Bei der Leistung kann es sich sowohl um materielle Produkte als auch
Dienstleistungen handeln, oft ist das Leistungsobjekt bei interaktiver Wertschöpfung auch ein
Produkt-Service-Bündel.
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Das Beispiel von Threadless
Ein konkretes Beispiel, wie wir interaktive Wertschöpfung verstehen, liefert das Unternehmen Threadless. Das im Jahre 2000 in Chicago gegründete Unternehmen verkauft
mit großem Erfolg ein eigentlich einfaches Produkt: bedruckte T-Shirts. Die beiden
Gründer und ihre knapp 20 Mitarbeiter erwirtschaften aber mit diesem Produkt inzwischen pro Monat Gewinne in Höhe von mehreren Einhunderttausend Dollar und verkaufen mehr als 50.000 T-Shirts pro Monat (Ogawa / Piller 2006). Sie schaffen dies, da
alle wesentlichen wertschöpfenden Aufgaben an die Kunden ausgelagert sind, die diesen mit großer Begeisterung nachkommen (siehe Kasten 1–1 für eine ausführliche
Darstellung). Die Kunden designen die T-Shirts und machen Verbesserungsvorschläge
zu den Entwürfen anderer. Sie screenen und bewerten alle Entwürfe und wählen diejenigen aus, die aus der Konzeption in die Produktion gehen sollen. Sie übernehmen
dabei das Marktrisiko, da sie sich zum Kauf eines Wunsch-T-Shirt (moralisch) verpflichten, bevor dieses in Produktion geht. Die Kunden übernehmen die Werbung, stellen die Models und Photographen für die Katalogphotos und werben neue Kunden.
Die Kunden fühlen sich dabei aber nicht etwa ausgenutzt, sondern zeigen im Gegensatz große Begeisterung für das Unternehmen, das ihnen diese Mitwirkung ermöglicht. Sie beschützen Threadless vor Nachahmern (deren Web-Sites sie hacken) und
übermitteln unzählige Ideen, wie das Unternehmen noch besser und produktiver werden kann. Threadless selbst fokussiert sich auf die Bereitstellung und Weiternetwicklung einer Interaktionsplattform, auf der die Interaktion mit und zwischen ihren
Kunden abläuft. Das Unternehmen definiert zudem die Spielregeln, honoriert die
Kunden-Designer, deren Entwürfe für eine Produktion ausgewählt wurden und steuert den eigentlichen materiellen Leistungserstellungsprozess (Herstellung und
Distribution).
Kasten 1–1
Threadless: Interactive Value Creation With and By Consumers
(Quelle: Auszug aus dem Arbeitspapier “Collective Customer Commitment” von Susumu Ogawa
und Frank Piller, MIT User Innovation Working Paper Series, Cambridge, MA 2005)
Threadless, a young Chicago-based fashion company, follows an innovative business model that
takes some ideas from postponement and customization, but mixes them with new ways of customer interaction to create high variety products without risks, and without heavy investments in market research. In fact, it follows a strategy that turns market research expenditures into quick sales.
Started in 2000 by designers Jake Nickell and Jacob DeHart, Threadless focuses on a hot fashion
item, t-shirts with colorful graphics. This is a typically hit-or-miss product. Its success is defined by
fast changing trends, peer recognition, and finding the right distribution outlets for specific designs.
Despite these challenges, none of the company’s products ever flopped. But Threadless has neither a sophisticated market research or forecasting capabilities nor a complicated flexible manufacturing system. Rather, all products sold by Threadless are inspected and approved by user consensus before any larger investment is made into a new product. Only after a sufficient number of
customers have expressed their willingness to buy a new design, the garment is produced. If this
commitment is missing, a potential design concept is dismissed. But if enough customers pledge
to purchase the product, the design will be finalized and go into production. In this way, market
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research expenditures are turned into early sales. New designs regularly sell out fast, but are
reproduced only if a large enough number of additional customers express interest in a reprint.
Also the designs are submitted entirely by the community, which includes hobbyists, but also professional graphic designers. The company exploits a large pool of talent and ideas to get new
designs (much larger than it could afford if the design process would have been internalized).
Creators of submissions which are selected by other users get a $1000 reward, and their name is
printed on the particular t-shirt’s label. Since Threadless’ launch, over 300 winning designs have
been chosen for print from more than 32,000 submissions. The Threadless community is thriving
with over 150,000 users signed up to submit, evaluate, score, and purchase new designs.
This method eliminates the risk of new product developments. The commitment of the users to
screen, evaluate and score new designs provides a powerful mechanism to reduce flops of new
products. The method breaks with the known practices of new product development. It utilizes the
capabilities of customers and users for the innovation process. The process starts when either a
consumer or the development team of a manufacturer posts an idea for a desired product on a
dedicated web site. Second, reactions and evaluations of other consumers towards the posted
idea are encouraged in form of internet forums and opinion polls. Based on the results of this process, the company investigates the possibility of commercialization of the most popular designs.
Is this evaluation positive, the company decides about a minimum amount of purchasers necessary to produce the item for a given sales price, covering its initial development and manufacturing
costs (and the desired margin). The new product idea is then presented to the customer community, and interested customers are invited to express their commitment to this idea by voting for the
design or even placing an order. Accordingly, if the number of interested purchasers exceeds the
minimum necessary lot size, merchandising is settled and sales are commenced.
Instead of investing in highly flexible manufacturing systems and dealing with individual custom
designs, the company focuses its energy to motivate creative designers to submit new designs and
facilitates the evaluation and voting process in its customer community. Contrarily to postponement, it only starts the full manufacturing cycle after customers have shown their real commitment
to purchase a particular item, eliminating the risk of product flops while allowing still for economies
of scale. Compared to mass customization, Threadless has not to interact with individual customers with regard to their specific order and to run manufacturing lots of one. The costly elicitation
process is substituted by an early involvement of some (expert) customers in development, and
the refinement of their ideas and pre-order taking by a larger group of customers. Motivated by its
success in the fashion market, the founders of the company have recently extended their categories to formal wear like ties or polo shirts (NakedandAngry.com) or music (15Megsof Fame.com).
Eine neue Form der Arbeitsteilung entsteht
Was sich in diesem Beispiel als kreative Spielerei Einzelner anhört, ist kein Einzelfall.
Eine Vielzahl an Beispielen aus verschiedensten Branchen zeigt, dass die aktive Rolle
von Kunden und Anwendern in der Wertschöpfung weder ein rein akademisches noch
ein für die Praxis neues Phänomen ist. In jüngster Zeit ist auch zu beobachten, dass
immer mehr etablierte Unternehmen (z. B. Audi, Adidas, BMW, Huber Group, Eli Lilly
oder Procter&Gamble) mit der Einführung dezidierter Infra- und Organisationsstrukturen für die interaktive Wertschöpfung mit Abnehmern begonnen haben.
Auch andere Neugründungen wie MySQL, Threadless.com oder Zagat haben wie
Threadless ihr Geschäftsmodell ganz auf die Entwicklung ihrer Produkte durch
Kunden ausgerichtet. Nicht zuletzt begünstigt durch neue Möglichkeiten der
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Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und des Internets gewinnt
die interaktive Wertschöpfung auch in vielen Konsumgütermärkten an Bedeutung.
Unternehmen reagieren damit verstärkt auf aktuelle Trends und tragen so bewährte
Konzepte und Modelle für die Organisation der arbeitsteiligen Wertschöpfung als
(vorläufiges) Ergebnis eines Entwicklungsprozesses auf eine neue Stufe. Das
Spannende an diesen Modellen ist dabei eine neue Vorstellung und Organisation der
Arbeitsteilung zwischen Anbietern und Abnehmern. Eine hierarchische Aufgabenverteilung und Kontrolle wird durch Selbstmotivation und Selbstselektion der Akteure
ersetzt. Der internen Koordination durch Regeln und Organisationsformen stehen
neue Koordinationsformen in Netzwerken gegenüber. Standardisierte Massenartikel
oder vorproduzierte Varianten werden durch individuelle Leistungen ersetzt, ohne
dass dadurch die Preise aber wesentlich steigen.
Die Entwicklungsgeschichte der interaktiven Wertschöpfung
Das hier dargestellte Modell der interaktiven Wertschöpfung stellt eine Synthese und
Weiterentwicklung von generalisierbaren Prinzipien dar, die in der Vergangenheit
sowohl in Ansätzen der Organisationsforschung sowie in Ansätzen des Innovations-,
Technologie- und Produktionsmanagements erarbeitet worden sind. Unser Konzept
der interaktiven Wertschöpfung erhebt deshalb nicht den Anspruch, etwas grundsätzlich Neues zu sein, es handelt sich vielmehr um eine Ergänzung und Weiterentwicklung bewährter theoriegeleiteter Ansätze und Konzepte zur instrumentellen und organisatorischen Gestaltung des Innovations- und Produktionsmanagements. Wir beziehen uns auf eine traditionsreiche Reihe großer Autoren und knüpfen an deren gedanklichen Konstrukten an.
Chester Barnard ist einer der Urväter der modernen Organisationstheorie. In seinem
Buch “Organization and Management” (1948) diskutiert er detailliert und lange vor
modernen Strömungen eines “Beziehungsmarketings” die symbiotische Beziehung
zwischen Käufern und Verkäufern. Kunden gelten für Barnard nicht als externe
Akteure, sondern sie sind Teil der Organisation. Er bemerkt, dass sowohl Kunden als
auch die Angestellten eines Herstellerunternehmens gleichermaßen Inputfaktoren
zum Leistungserstellungsprozess beitragen.
Diesen Gedanken greift viele Jahre später Alvin Toffler (1970, 1980) auf. Er prägte den
berühmten Ausdruck des “Prosumers”, der in einer Rolle Konsument und Produzent
ist. Allerdings ist der Tofflersche Prosument ein autonomer Akteur, der ohne
Kooperation mit einem Unternehmen produktive und konsumptive Aufgaben vollzieht.
Eine wesentliche Quelle unserer Ideen in diesem Buch ist die Konzeption einer “interactive strategy” von Richard Normann und Rafael Ramirez (1993, 1998[1994]) sowie
Solveig Wikström (1996a, 1996b). Diese Autoren können als Urheber einer modernen
Debatte interaktiver Wertschöpfung zwischen Unternehmen und Kunden gesehen
werden (siehe auch Mannervik 1997; Parolini 1999; Ramirez 1999; Schön 1994;
Wikström / Normann 1994 für verwandte Schriften). Sie erklären, dass sich als Folge
des Einsatzes neuer Informations- und Fertigungstechnologien sowie geänderter
Lebensstile zwei wesentliche Änderungen ergeben werden:
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„ Die Trennung zwischen (materiellen) Produkten und Dienstleistungen wird hinfällig, da alle Leistungen durch einen Kern oder eine Peripherie von Diensten geprägt
werden, die ihren eigentlichen Wert darstellen. Prägendes Merkmal von
Dienstleistungen ist aber der Einbezug des Kunden als externer Faktor in die
Leistungserstellung.
„ Damit wird auch das von Michael Porter (1985) geprägte Bild der “Wertschöpfungskette” in Frage gestellt: Erfolg im Wettbewerb leitet sich nicht daraus ab,
bestimmte festgelegte Aktivitäten entlang einer sequentiellen Abfolge zu positionieren, sondern ist vielmehr Resultat der Fähigkeit eines Unternehmens, mit allen
an der Wertschöpfung beteiligten Akteuren ein geschlossenes und abgestimmtes
Wertsystem zu schaffen (Normann und Ramirez nennen dieses ‘value constellation’). Wertschöpfung ist in dieser Vorstellung immer ‘co-creation’ zwischen verschiedenen Akteuren einschließlich der Kunden.
Prahalad und Ramaswamy (2000, 2002, 2003, 2004) bauen auf dieser Vorstellung auf
und geben eine moderne Interpretation der Gedanken von Normann und Ramirez vor
dem Hintergrund der Möglichkeiten des Internets. Sie betonen vor allem das kontinuierliche Feedback, das heute Kunden Herstellern geben und das zur kontinuierlichen
Weiterentwicklung und Konkretisierung von Leistungsbündeln beiträgt. Zur wichtigsten Aufgabe von Herstellerunternehmen wird es deshalb, Interaktionsplattformen zu
schaffen, die den Inputprozess für den Kunden zum Erlebnis werden lässt. Auch
Ursula Hansen und Thorsten Hennig (1995) entwickeln die Ideen von Normann und
Ramirez weiter und liefern eine marketingfokussierte Betrachtung dieser Thematik
(siehe auch Hansen 1993; Hansen / Raabe 1991; Hansen / Schoenheit 1985; HennigThurau 1998).
In der deutschen Managementforschung haben vor allem Werner Engelhardt und
Michael Kleinaltenkamp und ihre Schüler eine deutsche Schule der Kundenintegration (auch im Deutschen von ihnen ‘Customer Integration’ genannt) begründet
(siehe z. B. Engelhardt / Freiling 1995; Engelhardt / Kleinaltenkamp / Reckenfelderbäumer 1993; Fließ 2001; Jacob 1995, 2003; Kleinaltenkamp 1996, 1997a, 1997b, 2002;
Kleinaltenkamp / Fließ / Jacob 1996; Kleinaltenkamp / Haase 2000; Trommen 2002;
Weiber / Jacob 2000). Die Autoren argumentieren aus der Perspektive industrieller
Märkte, wo eine Leistungserstellung in vielen Fällen durch individuelle und auf das
Produktionssystem des Abnehmers ausgerichtete Prozesse geprägt ist. Die Erstellung
einer individuellen Leistung bedarf jedoch zunächst einer intensiven Interaktion zwischen Anbieter und Abnehmer zur Konkretisierung dieser Leistung. Ein solches
Leistungssystem ist vor allem durch zwei Eigenschaften geprägt: In einem ersten
Schritt, einer autonomen Vorproduktion, stellt der Hersteller zunächst die Potenziale
und Produktionsplattformen bereit. In einem zweiten Schritt werden unter Mitwirkung des individuellen Abnehmers in einem integrierten Prozess die
Produktekonkretisiert und genutzt. In aktuelleren Arbeiten ist dieses Verständnis von
den Autoren zu einer eigenen Leistungslehre ausgebaut worden. Auch diese Gruppe
von Autoren betont die Irrelevanz einer Trennung von Sach- und Dienstleistungen, da
beide Leistungsarten stets durch materielle und immaterielle Bestandteile geprägt
sind.
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Die These, dass auch in Konsumgütermärkten immer mehr Kunden entweder freiwillig oder unfreiwillig zum aktiven Mitakteur der Leistungserstellung werden (“Von der
Selbstbedienung zur Co-Produkion”) ist der Ausgangspunkt der Untersuchungen von
Oskar Grün und Jean-Claude Brunner (2002, 2003) sowie Günter Voß und Kerstin
Rieder (2005). In ihren Modellen sind es vor allem Bestrebungen zur Effizienz- und
Effektivitätssteigerung, die Unternehmen veranlassen, immer mehr Arbeit an die
Kunden auszulagern. Zwar sind die heutigen Konsumenten selbstbestimmter, informierter, aktiver und besser mit Produktionstechnik ausgestattet, jedoch haben sie häufig keine andere Wahl, als hier mitzuwirken. Während Voß und Rieder dieses
Phänomen aus Sicht der Komsumsoziologie darstellen und kritisch hinterfragen, entwickeln Grün und Brunner ein Organisationsmodell, wie Unternehmen eine weit
gehende Form der Selbstbedienung steuern und gestalten können.
Vor allem aber liegen unserem Modell der interaktiven Wertschöpfung Beobachtungen
der Forschergruppe um Eric von Hippel zugrunde (siehe zum Beispiel von Hippel
1978a, 1986, 1988, 1998; 2005; siehe auch Franke / Schreier 2002; Franke / Shah 2003;
Füller 2005; Harhoff / Henkel / von Hippel 2003; Henkel / von Hippel 2005; Herstatt
1991; Jeppesen 2005; Lüthje 2000; Lakhani / Wolf 2005; Ogawa 1998; Ogawa / Piller
2006; Urban / von Hippel 1988; Thomke 2003; Thomke / von Hippel 2002). Von Hippel
betont, dass Kunden bzw. Nutzer in verschiedensten Produktdomänen zunehmend
selbständig in der Lage sind, Produkte für den Eigenbedarf zu modifizieren oder gar
vollständig (zumindest als Prototypen) zu entwickeln, d. h. ohne die Mitwirkung
eines herstellenden Unternehmens. Diese Kunden fortschrittlichen Kunden werden als
“Lead User” bezeichnet. Das so genannte “customer-active paradigm” (CAP) von von
Hippel geht im Gegensatz zum traditionellen “manufacturing-active paradigm”
(MAP) von einer extremen Form der Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und
Kunden aus, wobei der Aufwand vom Kunden zunächst autonom geleistet wird.
Umso erstaunlicher ist die Beobachtung, dass eine Vielzahl dieser Kunden ihre
Produktentwicklungen oder Produktmodifikationen freiwillig und ohne erkennbare
Gegenleistung der Öffentlichkeit preisgeben oder einem herstellenden Unternehmen
überlassen. In bestimmten Situationen kann sich auch noch nach dieser
Entwicklerleistung eine Zusammenarbeit mit einem Hersteller für den Kunden als vorteilhaft erweisen, so dass Kunden die interaktive Wertschöpfung sogar initiieren
(Harhoff / Henkel / von Hippel 2003). Das Modell der “Commons-based Peer
Production”, das der Yale-Professor Yochai Benkler (2002) zur Beschreibung der
Produktionsprinzipien der Open-Source-Software-Entwicklung (auch eine
Kundeninnovation) gebildet hat, ist eine wichtige Grundlage zur Bildung von
Organisationsregeln, wie sich die daraus folgende Arbeitsteilung zwischen
Herstellerunternehmen und Kunden koordinieren lässt.
Ziel und Aufbau dieses Buchs
Unsere Vorstellung der interaktiven Wertschöpfung, die wir im folgenden Kapitel
noch ausführlich konkretisieren, betont dagegen die aktive Kooperation und
Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Kunden bzw. Nutzern. Wir bleiben aber in
der Gedankenwelt von von Hippels, wenn wir im Gegensatz zu den zuvor genannten
klassischen Autoren einer Kundenintegration vor allem auf Innovation und die
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Entwicklung neuer Leistungen fokussieren. Uns geht es um die Einbeziehung der
Kunden in die Wertschöpfung im Rahmen der Schaffung neuer Lösungsräume oder
zumindest der kreativen Nutzung offener vorhandener Potenziale.
Das vorliegende Buch soll aufzeigen,
„ welche Entwicklungen und Trends zu einer zunehmenden Relevanz und
Verbreitung der interaktiven Wertschöpfung geführt haben,
„ welche Vorteile sich aus der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden
gegenüber der unternehmenszentrierten Wertschöpfung ergeben und
„ welche neuen Konzepte, Methoden und Instrumente geeignet sind, um die mit der
Interaktion verbundenen wechselseitigen Kommunikations-, Abhängigkeits- und
Austauschbeziehungen zu organisieren und zu gestalten.
Im Teil 2 des Buches werden Modelle der arbeitsteiligen Wertschöpfungsorganisation
in ihrer Entwicklung hin zur interaktiven Wertschöpfung dargestellt. Wir wollen zeigen, wie sich aus der klassischen industriellen Vorstellung der Wertschöpfung (die
aber immer noch das Denken vieler Manager und Wissenschaftler prägt) in einem evolutionären Prozess ein neues Wertschöpfungsmodell bildet. Dabei nehmen wir Bezug
auf die zugrunde liegenden Leitziele, Trends und Theorien. Ausgangspunkt der
Darstellung ist die klassische industrielle Massenproduktion auf Basis tayloristischer
Prinzipien der Arbeitsgestaltung und hierarchischer Organisationsstrukturen
(Abschnitt 2.2). Dieses konventionelle Wertschöpfungsmodell orientiert sich streng an
den Zielen der “Produktivität” und der “Kostenwirtschaftlichkeit” in der Produktion.
Dieses Ziel wird primär durch eine maximale Ausnutzung von Skaleneffekten und
eine Zerlegung des Wertschöpfungsprozesses in kleinste Einheiten zu realisieren versucht. Dabei ist man auf stabile Rahmenbedingungen und langfristig prognostizierbare Absatzmärkte angewiesen.
Diese Vorstellung ist aber heute überholt, wie Abschnitt 2.3 zeigt. Heute sind oft die
Abflachung und die Auflösung hierarchischer Unternehmensstrukturen zugunsten
von Netzwerkorganisationen und einer Abwicklung auf Märkten zu beobachten. Diese
Entwicklung trägt den gewandelten Rahmenbedingungen der letzten Jahrzehnte
Rechnung. Neben der Verfügbarkeit immer besserer Informations- und
Produktionstechnologien sorgt der Wertewandel in Arbeitswelt und Gesellschaft für
einen steigenden Wettbewerbsdruck auf Unternehmen. Immer häufiger ist der Wandel
von Verkäufer- zu Käufermärkten zu beobachten, in denen Kundenwünsche
anspruchsvoller und Produktlebenszyklen kürzer werden. Unter diesen Bedingungen
wird die industrielle Wertschöpfung einer auf Skaleneffekten basierenden
Massenproduktion zunehmend durch eine marktgetriebene Entwicklung und
Produktion auf Kundenbestellung abgelöst. Die betriebswirtschaftlichen Ziele
“Qualität”, “Zeit” und vor allem “Flexibilität” erhalten aus wettbewerbsstrategischer
Sicht eine grundsätzliche Neubewertung und treten als gleichwertige Ziele neben
“Produktivität” und “Kostenwirtschaftlichkeit”.
Jedoch ist auch dieses Leitbild einer vernetzten Wirtschaft nur eine Zwischenstufe zur
interaktiven Wertschöpfung, die wir in Abschnitt 2.4 mit ihren grundlegenden
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Prinzipien und Eigenschaften vorstellen. Die Relevanz dieses Modells ist nicht zuletzt
auf die Verbreitung des Internets und die gestiegene Markttransparenz zurückzuführen, wodurch die Notwendigkeit der Wettbewerbsdifferenzierung für Unternehmen
und die Marktmacht der Kunden weiter gestiegen ist. Dies treibt die
Individualisierung der Kundenbedürfnisse weiter voran. Hersteller sind nun gezwungen, zum einen sehr heterogene Kundenbedürfnisse auf Segment- oder sogar auf
Einzelkundenebene zu berücksichtigen. Zum anderen müssen Hersteller im
Wettbewerb kontinuierlich Produkte mit hohem Neuigkeitsgrad entwickeln, die aber
wiederum mit einem hohen Marktakzeptanz- bzw. Floprisiko verbunden sind. In der
Konsequenz treten “Innovativität” und der “Wissenstransfer” mit Marktpartnern als
Leitziele der Unternehmensführung in den Vordergrund.
Klassische Marktforschung reicht in diesem Wettbewerbsumfeld meist nicht aus, um
ausreichend Information über die vielfältigen und neuartigen Kundenwünsche zu
sammeln und mithin das Marktakzeptanzrisiko neuer Produkte zu senken. Klassische
Marktforschung ist häufig auf “durchschnittliche” Kundenpräferenzen oder die
Zufriedenheit mit einem Standardprodukt gerichtet und trägt deshalb der
Heterogenität der Kundenwünsche nicht Rechnung. Mit dem Bild des Kunden als passivem Rezipienten neuer Produkte setzt sie oft erst kurz vor oder gar nach der
Kaufentscheidung an und dehnt die Informationsgenerierung nicht auf frühere Phasen
der Produktentwicklung aus.
Auch neuere Organisationsformen wie Unternehmensnetzwerke implizieren zwar
häufig eine gewisse Öffnung des einzelnen Unternehmens gegenüber externen
Informationsquellen. So sind in zahlreichen Branchen der Investitionsgüterindustrie
vertraglich geregelte Kooperationen zwischen Partnern, die komplexe Produkte
gemeinsam entwickeln, weit verbreitet. Diese stärker institutionalisierten
Netzwerkformen lassen aber das stark verteilte Potenzial individueller Wissensträger,
insbesondere von Anwendern und Endabnehmern der jeweiligen Produkte, als aktive
Teilhaber an der Wertschöpfung meist unberücksichtigt.
Zwei grundlegende Formen der interaktiven Wertschöpfung: Open Innovation und
Mass Customization
Abschnitt 2.4 zeigt, dass die interaktive Wertschöpfung den Transfer von implizitem
Wissen der Kunden zu Unternehmen durch das Prinzip der Kundenintegration realisiert. Das bedeutet, dass Kunden sich in die vormals autonomen Wertschöpfungsaktivitäten des Unternehmens einbringen und diese teilweise selbst ausführen, um so
ihr Wissen zu artikulieren und zu explizieren. Diese Interaktion resultiert in einer
neuen Form der Austausch- und Abhängigkeitsbeziehung zwischen Kunden und
Unternehmen. Mit dem Internet bestehen für Unternehmen neue Möglichkeiten des
kostengünstigen und informelleren Wissensaustauschs mit Individuen und der aktiven Beteiligung vormals anonymer Kunden an der Wertschöpfung. Im Hinblick auf
eine funktionsfähige Gestaltung dieser Beziehung gehen wir dabei auch auf die notwendigen organisatorischen und strategischen Rahmenbedingungen ein, die für beide
Interaktionspartner gleichermaßen Nutzen stiften.
In den weiteren Hauptteilen dieses Buches werden wir dann zwei grundlegende
Formen der interaktiven Wertschöpfung unterscheiden und näher diskutieren, die
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Unternehmen als unterschiedliche strategische Stoßrichtungen verfolgen können. Je
nach Ausmaß und Phase des Wertschöpfungsprozesses, in der die Kundenintegration
stattfindet, sprechen wir von
„ Open Innovation: die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Kunden, die
sich auf Wertschöpfungsaktivitäten im Innovationsprozess bezieht und auf die
Entwicklung neuer Produkte für einen größeren Abnehmerkreis abzielt.
„ Produktindividualisierung und Mass Customization: die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Kunden, die sich auf Wertschöpfungsaktivitäten im operativen Produktionsprozess bezieht und auf die Entwicklung eines individualisierten Produktes für einen Abnehmer abzielt.
Während die praktische Umsetzung von Open Innovation in vielen Unternehmen
erst ganz am Anfang steht und deshalb hier nur eine recht geringe empirische Basis
zur Ableitung von “promising practices” und Strukturen einer erfolgreichen
Umsetzung besteht, ist die Umsetzung von Mass Customization deutlich weiter fortgeschritten. Die Analyse von Mass Customization kann deshalb auch wichtige
Anhaltspunkte für eine Gestaltung der Interaktionsprozesse und Instrumente für
Open Innovation geben.
Die detaillierte Darstellung von Open Innovation erfolgt in Teil 3 des Buches, die der
Produktindividualisierung bzw. Mass Customization in Teil 4. Hier werden die beiden
Formen der interaktiven Wertschöpfung mit ihren vielseitigen Facetten auf instrumenteller und operativer Ebene im Hinblick auf eine Umsetzung in Unternehmen weiter
konkretisiert. In beiden Teilen geht es vor allem auch um eine ausführliche Diskussion
des Nutzens und der Kosten interaktiver Wertschöpfung für den Kunden und für den
Hersteller. Das Verständnis der Treiber und Hürden der interaktiven Wertschöpfung
ist zum einen Ausgangspunkt einer Beurteilung, ob und wann das Modell der interaktiven Wertschöpfung klassischen Wertschöpfungsmodellen überlegen ist. Zum anderen bildet es den Ansatzpunkt für eine “Ökonomie der interaktiven Wertschöpfung”
mit neuen Formen der Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und Kunden als
Wertschöpfungspartnern.
Interaktive Wertschöpfung als neues Prinzip zur Organisation der Arbeitsteilung
Ist das neu? Kunden wurden im Rahmen von Selbstbedienungsaktivitäten immer
schon in die Wertschöpfung eines Herstellers integriert. Jedoch geht die Integration des
Kunden heute viel weiter und ist nicht nur ein weiteres Mittel zur Steigerung der internen operationalen Effizienz des Herstellers, sondern wird vielmehr zentrales Mittel
zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen. Dies verlangt einen radikalen Wechsel der
Sichtweise und ein Überdenken der konventionellen Prinzipien erfolgreicher
Wertschöpfung: Ein Unternehmen wechselt von einem intern fokussierten zu einem
offenen Modus von Wertschöpfung, der alle Aktivitäten umfasst (Bendapudi / Leone
2003: 14; Grün / Brunner 2002: 148). Auch wenn die Entwicklung von einfachen Selbstbedienungsformaten zu weit gehenden Formen der Kundenintegration ein gradueller
und evolutionärer Prozess ist, so bedeutet er doch von Unternehmern ein radikales
Umdenken. Die “neue” Kundenintegration, um die es in diesem Buch gehen soll, ist
gekennzeichnet durch den Einbezug von Kunden und Nutzern in Bereiche und
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Aktivitäten, die zuvor als interne und zentrale Domäne des Herstellers angesehen wurden (Piller 2004; Wikström 1996a).
Dieser Ausdruck soll Kundenintegration als dynamischen Prozess definieren, sowohl
aus Sicht des Kunden als auch des Herstellers. Durch die Integration der Kunden in die
Wertschöpfung resultieren innovative Prozessstrukturen, die die konventionelle
Vorstellung von Arbeitsteilung zwischen Anbietern und Abnehmern aufheben. Dies
verlangt in der Folge aber auch eine Redefinition der Kernkompetenzen des
Unternehmens und neue Formen der Organisation und Koordination. Die Neuigkeit
der interaktiven Wertschöpfung wird damit vor allem durch die subjektive Neuigkeit
für das Unternehmen definiert (Rogers 1995: 11): Auch wenn einzelne Prinzipien der
interaktiven Wertschöpfung aus Sicht der ökonomischen Literatur nicht neu sind, so ist
doch ihre Erkenntnis und ganzheitliche Umsetzung für die meisten Unternehmen
heute noch sehr neu. Für diese Firmen erfährt das Wissen um die optimale Lösung des
Koordinations- und Wirtschaftlichkeitsproblems einen radikalen Wandel.
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Organisation der arbeitsteiligen
Wertschöpfung: Entwicklungen
und Trends auf dem Weg zur
interaktiven Wertschöpfung
Eine Übersicht der Evolution von Wert und
Wertschöpfung
‘Wert’ und ‘Wertschöpfung’ sind einige der am meisten verwendeten Begriffe in der
Managementliteratur (siehe Ramirez 1999 zur Denotation des Wertbegriffs). Das primäre Ziel ökonomischer Aktivität ist, Wert zu schaffen. Wert wird produziert, indem
Menschen mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Wissen und weiteren Ressourcen
handeln (Normann / Ramirez 1998: 49). Wertschöpfung kann als die Nutzung dieses
Wissens in einer arbeitsteiligen Organisation angesehen werden, als die Gesamtheit
der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen und Organisationen zur Lösung des
Wirtschaftlichkeitsproblems einsetzen: das Wissen über den Markt, über die
Organisation von Wertschöpfungsprozessen und über die Führung von Menschen in
einer von Güterknappheit gekennzeichneten Wirtschaft. Einen Indikator für den
“Wert” dieser Aktivitäten bildet der Preis einer Leistung. Dieser Preis drückt die
Differenz zwischen den Aktivitäten der herstellenden Akteure und den Aktivitäten
(bzw. der Zahlungsbereitschaft) der Abnehmer aus. Über den Kauf gewinnt Letzterer
Zugang (oder Eigentum) zu dem Ergebnis der Aktivitäten der Herstellerorganisation.
Ökonomische Transaktionen können also generell als Austausch von Aktivitäten oder
Ressourcen gesehen werden, die einen Preis haben.
Taylor und die wissenschaftliche Betriebsführung
Die heute dominierende Vorstellung, wie Unternehmen Werte schaffen, kann auf Prinzipien zurückgeführt werden, die vor 100 Jahren in der aufkommenden Industriegesellschaft entwickelt wurden. Vor allem Frederick Taylors Ansatz des “Scientific
Management” legte mit seinem Fokus auf die Senkung von Produktionskosten die
Basis für alle folgenden Debatten (Wolf 2003). Rationalprinzip, Güterknappheit und
das Allokationsproblem kennzeichnen die betriebswirtschaftliche Problemstellung von
Organisation, Arbeitsteilung und Koordination der Wertschöpfung in Taylors Modell
(Gutenberg 1951; Kosiol 1959). Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich auf Basis
dieser Prinzipien die betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, die das Fach bis in
die 1980er Jahre maßgeblich geprägt hat (Heinen 1968, 1982). In deren Modell setzen
Entscheidungen über die zielorientierte Durchführung von Wertschöpfungsprozessen
auf den Gegebenheiten der betrieblichen Produktionsfaktoren an: Betriebsmittel,
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Werkstoffe und Arbeit. Da die betrieblichen Produktionsfaktoren knappe Güter sind
und einen Marktpreis haben, zielt die betriebliche Entscheidungsfindung nach dem
Rationalprinzip darauf ab, die knappen Güter in ihre optimale Verwendungsrichtung
zu lenken, dies wird als das betriebliche Allokationsproblem bezeichnet (Heinen 1959,
1983). Wir werden diese Prinzipien in Abschnitt 2.2 dieses Kapitels näher betrachten.
Wertkettendenken und interorganisationale Netzwerke
Porters (1985) Modell einer Wertschöpfungskette präsentierte der Managementlehre
einen integrierten Ansatz, wie sie den Wertschöpfungsprozess von der Entwicklung
über Produktion und Vertrieb bis hin zur Auslieferung von Gütern und Leistungen mit
Hilfe des Produktionsfaktors Information organisieren und steuern können. Anfang
der 1990er Jahre wurde durch Hammer und Champy (1993) mit der Idee des Business
Process Reengineering ein vertiefender und in der Wirtschaft begeistert aufgenommener Ansatz vorgestellt, wie durch Kostenreduktion und eine Fokussierung auf die
interne Effizienz in einem Unternehmen Wert geschaffen werden kann (d. h. die
Differenz zwischen der Zahlungsbereitschaft und den gesamten Herstellungskosten
ausgeweitet wird). Diese interne Sichtweise wurde später um das Bild eines grenzenlosen (oder gar virtuellen) Unternehmens erweitert, in dem ein eng verbundenes Netzwerk professioneller Akteure eine abgestimmte und friktionslose Wertschöpfungskette
schafft, die viele Organisationen umfasst (Picot / Reichwald 1994; Sydow 1992,
Reichwald et. al 2000).
Die Zulieferer (und Zulieferer der Zulieferer) wurden in die Suche nach neuen Wertschöpfungsarrangements einbezogen, wie wir in Abschnitt 2.3 noch vertiefend sehen
werden. Mit dem Aufkommen des Internets und den daraus folgenden Potenzialen
zur Senkung von Transaktionskosten wurde eine neue Dimension der organisatorischen Effizienz eingeläutet (Picot / Reichwald / Wigand 2003), indem nun auch die
Aktivitäten an der Schnittstelle zwischen einem Hersteller(netzwerk) und den
Abnehmern in den Fokus der Effizienzbetrachtung einbezogen werden. Entlang aller
Stufen dieser Evolution steht dennoch stets die Annahme, dass das Streben nach
interner Kosteneffizienz (d. h. die Steigerung der Differenz zwischen dem möglichen
Preis und den Kosten der Erstellung einer Leistung) die Quelle betrieblicher Wertschöpfung ist. Diese Prämisse wird nicht in Frage gestellt (Prahalad / Ramaswamy
2002: 52).
Interaktive Wertschöpfung
Doch Kunden und Nutzer honorieren in der Regel nicht die interne operative Effizienz eines Anbieters. Sie mögen zwar günstige Preise als Resultat dieser Effizienz,
doch hat sich stets gezeigt, dass das Streben nach immer weiterer operativer Effizienz
innerhalb eines Netzwerks keine Quelle nachhaltiger Wettbewerbsvorteile ist (Porter
1996). Operative Effizienz ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für
dauerhaften Wettbewerbsvorteil. Vielmehr zeigt sich heute, dass vor allem die Gestaltung der Schnittstellen und der Aktivitäten an der Peripherie eines Unternehmens zu
Marktpartnern wesentliche Ansatzpunkte für die Schaffung von Wert bildet. Damit
tritt der Akteur in den Mittelpunkt der Betrachtung, der bislang in der Debatte um die
Gestaltung der Wertschöpfung weitgehend ausgeblendet war: der Kunde.
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Evolution von Wert und Wertschöpfung
Wir sehen heute, dass Kunden das Ergebnis betrieblicher Wertschöpfung nicht nur
konsumieren, sondern selbst einen wesentlichen Beitrag bei der Schaffung von Wert
leisten (Ramirez 1999). Dies geschieht dabei nicht nur autonom in der Kundendomäne (ein Bereich, der in der Mikroökonomie schon lange im Zusammenhang mit
Konsumentenproduktion untersucht wurde, siehe z. B. Becker 1965; Haverty 1987;
Lancaster 1966; Ratchford 2001; Stigler / Becker 1977), sondern auch in einem interaktiven und kooperativen Prozess mit Herstellern und anderen Nutzern einer Leistung.
Kunden und Nutzer tragen dazu bei, die Kenntnisse, Fähigkeiten und Ressourcen
eines Herstellers zu erweitern (Gibbert / Leibold / Probst 2002). Die Kunden werden als
strategischer und wichtiger Faktor in die Aktivitäten integriert, die in einem erweiterten Wertschöpfungsnetzwerk Wert schaffen. Die Wahrnehmung dieses Wertes umfasst
dabei weit mehr als die Erhöhung der Differenz zwischen Zahlungsbereitschaft und
interner Effizienz. Haupttreiber dieses Wandels sind die neuen Technologien, insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnologien, die die betrieblichen
und überbetrieblichen Wertschöpfungsprozesse vollständig verändert haben
(Abbildung 2–1).
Abbildung 2–1: Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Herausforderungen für Unternehmen
Internationalisierung des
Wettbewerbs
Steigende
Innovationsdynamik und
Marktsunsicherheit
Wertewandel und Trend
zur Individualisierung und
des Kunden
Entwicklung neuer Informations- & Kommunikationstechnologien als Enabler
Produktivität
Flexibilität
Innovativität
Hierarchische Organisation
Taylorismus
Netzwerkorganisation
Marktorientierung
Interaktive
Wertschöpfung
Kundenintegration
Entwicklung unternehmerischer Wertschöpfungskonzepte und Leitbilder
Von Hierarchie und Markt zur “Commons-based Peer-Production”
Entlang dieser Evolution der Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung ändert sich
aber nicht nur die Sichtweise, welche Akteure am Wertschöpfungsprozess aktiv betei13
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
ligt sind (vom internen Fokus bei Taylor über Netzwerke mit festen Partnern bis zur
Interaktion mit den Kunden bzw. Nutzern), sondern auch die Vorstellung, wie das
Organisationsproblem, d. h. die Koordination und Motivation der einzelnen Akteure,
die die Gesamtaufgabe arbeitsteilig vollziehen, am besten gelöst werden kann. Taylors
Modell setzt vor allem auf die hierarchische Koordination und Motivation durch finanzielle Anreize in einem geschlossenen Wertschöpfungssystem. Die Netzwerkansätze
erweitern diese Vorstellung um eine Kombination marktlicher und hierarchischer
Koordinationsformen und betonen darüber hinaus auch eine Motivation durch nichtmonetäre Anreize. Die interaktive Wertschöpfung ergänzt diese beiden klassischen
Koordinationsformen (Hierarchie und Markt) durch einen dritten Weg: die
Selbstselektion und Selbstorganisation von Aufgaben durch (hoch) spezialisierte
Akteure, deren Motivation vor allem die (eigene) Nutzung der kooperativ geschaffenen Leistungen ist, die jedoch durch eine Vielzahl weiterer sozialer, intrinsischer und
extrinsischer Motive ergänzt werden kann. Dieses Organisationsprinzip einer
“Commons-based Peer-Production” verlangt eigene Kompetenzen und Prinzipien der
Organisation der Wertschöpfung.
Die Entwicklung der sich ändernden Vorstellung der optimalen Organisation der
betrieblichen Wertschöpfung kann so zusammenfassend in drei Leitmodellen aufgezeigt werden, die jeweils Folge verschiedener technischer und gesellschaftlicher Trends
sind. Sie werden im Folgenden in ihren unterschiedlichen Ausrichtungen und
Organisationsformen der Arbeitsteilung sowie in ihren unterschiedlichen Beziehungen
zu Märkten und Marktpartnern vorgestellt:
„ Wertschöpfung in der hierarchischen Industrieorganisation mit tayloristischer
Arbeitsteilung (Abschnitt 2.2);
„ Auflösung der Unternehmensgrenzen und Wertschöpfung in überbetrieblichen
Netzwerkorganisationen aus Basis einer marktlichen Koordination (Abschnitt 2.3),
„ Interaktive Wertschöpfung unter Integration der Kunden in einen kooperativen
Wertschöpfungsprozess (Abschnitt 2.4).
2.2
Die tayloristische Industrieproduktion:
hierarchische Organisation der Arbeitsteilung
2.2.1 Tayloristische Prinzipien der wissenschaftlichen
Betriebsführung: Produktivitätsoptimierung unter
stabilen Bedingungen
Das Handeln vieler Unternehmen ist häufig noch durch traditionelles Erfahrungswissen der industriellen Organisation geprägt. Das Erfahrungswissen der industriellen
Arbeitsorganisation basiert primär auf den Leitsätzen des “Scientific Management”,
also der “wissenschaftlichen Betriebsführung”, die insbesondere auf das Werk von
F.W. Taylor (1913) zurückgehen. Ihre Anwendung führten nicht nur vor knapp 100
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Jahren zum Aufstieg des Unternehmers Ford zu einem der weltgrößten Industriellen
(siehe Kasten 2–1), sondern diese Leitsätze beeinflussen auch heute noch Struktur und
Prozess von Unternehmen, Produktivität und Wertschöpfung der Leistungserstellung,
aber auch die Entwicklung des klassischen betriebswirtschaftlichen Instrumentariums
der Führungs-, Anreiz- und Kontrollsysteme.
Kasten 2–1:
Henry Ford und das “Modell T”
(Quellen: Barnet / Cavanagh 1984; Ford 1923; Lacey 1987)
Frederick Winslow Taylor hatte seinen ersten Artikel zur Verbesserung der Arbeitsabläufe für die
American Society of Mechanical Engineers schon acht Jahre zuvor geschrieben, als Henry Ford
1903 mit der Produktion von Automobilen begann. Zu diesem Zeitpunkt war ein einziger
Montagearbeiter für das gesamte Fahrzeug zuständig und benötigte durchschnittlich 12,5 Stunden
(ca. 750 min.). Obwohl der Mechanisierungsgrad und die Produktivität in der Autoindustrie in den
USA höher waren als bei den europäischen Firmen, reichte dies bald nicht mehr aus, um die steigende Nachfrage zu befriedigen. Dies galt vor allem für das von Henry Ford 1908 eingeführte
“Modell T”. Nach fünf weiteren Jahren des ständigen Probierens und Suchens nach
Verbesserungen fand Ford bis 1913 endlich den Schlüssel zur Steigerung der Produktivität.
Indem er vergleichbare Ansätze des Scientific Management nach Taylor weiterentwickelte und
umsetzte, konnte er die Produktivität massiv erhöhen. Ford standardisierte die Arbeitsprozesse
und, bis dahin undenkbar, die Arbeitswerkzeuge. Bis zu diesem Zeitpunkt brachten die Arbeiter
noch ihre eigenen Werkzeuge mit in die Montage und bestimmten weitgehend selbst die
Arbeitsabläufe in der Fertigung. Von nun an war jeder Arbeiter für nur einen Arbeitsprozess zuständig und nutzte dazu standardisierte Werkzeuge, Vorteile der Spezialisierung und Arbeitsteilung, die
Adam Smith bereits 1776 ausführlich beschrieben hatte. Dadurch fiel der durchschnittliche
Arbeitszyklus eines Arbeiters an einem Fahrzeug, für das er nun nicht mehr gesamthaft verantwortlich war, von 514 Minuten auf 2,3 Minuten! Angesichts der sich zum Beispiel in der
Endmontage wechselseitig behindernden Montagegruppen musste Ford nahezu zwangsläufig zur
Fließbandfertigung übergehen. Mit der Einführung der Fließbandproduktion, dem so genannten
“Fordismus”, reduzierte Ford den durchschnittlichen Zeitbedarf für einen Arbeitszyklus um weitere
44 Sekunden, ein Produktivitätsfortschritt, der aber deutlich geringer ausfiel, als die Möglichkeiten
infolge der Standardisierung und Entkoppelung der Arbeitsschritte. “Anfang 1914 ... legten wir die
Sammelbahn höher. Wir hatten inzwischen das Prinzip der aufrechten Arbeitsstellung eingeführt ...
Das Heraufrücken der Arbeitsebene in Armhöhe und eine weitere Aufteilung der
Arbeitsvorrichtungen ... reduzierte die Arbeitszeit auf eine Stunde 33 Minuten pro Chassis” (Ford
1923: 95).
1914, also im ersten Jahr nach der Einführung der Fließbandfertigung wurde die Fertigung von
Ford-T-Modellen um 152 % auf 308.162 Wagen gesteigert. In den 20er Jahren wurden mehr als
eine Million Wagen im Jahr gefertigt. Als die Produktion des T-Modells im Mai 1927 nach 19 Jahren
eingestellt wurde, hatte Ford 15.007.033 Wagen dieses Typs produziert. Erst der VW-Käfer sollte
1972 diesen Rekord übertreffen.
Wesentliche Merkmale einer tayloristischen Industrieorganisation sind die funktionale
Arbeitsteilung in der Aufbauorganisation und der mit den Methoden der Arbeitsanalyse systematisch entwickelte “One best way” der Ablauforganisation (Abbildung
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
2–2). In der Denkwelt des tayloristischen Ansatzes kann das komplexe Problem der
Koordination der betrieblichen Leistungserstellung für eine gegebene Ausstattung und
Anordnung von Produktionsfaktoren durch folgende Gestaltungsprinzipien “optimal” gelöst werden (Picot / Reichwald / Wigand 2003):
„ Konzentration der Arbeitsmethodik auf eine weitestgehende Arbeitszerlegung;
„ personelle Trennung von dispositiver und ausführender Arbeit;
„ räumliche Ausgliederung aller planenden, steuernden und kontrollierenden
Aufgaben aus dem Bereich der Fertigung.
Auf diese Weise konnte das komplexe Koordinationsproblem zwar “optimal” über die
Ausstattung und Anordnung der Produktionsfaktoren gelöst werden, jedoch wurde
der Mensch lediglich als ein funktionsfähiger Produktionsfaktor betrachtet, der als
Befehlsempfänger und -umsetzer in den Fertigungsprozess integriert wurde. Die
Kommunikationsbeziehungen folgten den hierarchischen Strukturen. Es entstand eine
streng formalisierte, durch feste Regeln vorgeschriebene Kommunikation über die
Hierarchiestufen, der so genannte Dienstweg. Das Kommunikationsverhalten zwischen Vorgesetzten und Untergebenen war vom Rollenverständnis des Vorgesetzten
als Befehlsgeber und des Untergebenen als Befehlsempfänger geprägt.
Abbildung 2–2: Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor (entnommen
aus Picot / Reichwald / Wigand 2003)
Prinzipien wissenschaftlicher Betriebsführung:
Ausgliederung
von:
Planung
Steuerung
Kontrolle
Produktion als
Kombinationsprozess:
Arbeit
Betriebsmittel
Werkstoffe
• Trennung von Handund Kopfarbeit
dispositive Arbeit
Ziel:
Produktivitätsoptimierung
objektbezogene Arbeit
• Leistungsgerechte
Entlohnung -> Stückund Akkordlohn
verrichtungsorientierte
Arbeitszerlegung
• Fließprinzip zur Lösung d.
Koordinationsproblems
geprüft
Drehen
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Fräsen
Bohren
• Methoden der
Arbeitszerlegung und
Ablaufoptimierung
(Arbeitsstudium)
Hohnen
Qualitätskontrolle
• Methoden der Planung,
Steuerung und Kontrolle
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Die tayloristische Industrieproduktion
Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Betriebsführung steht nicht der Mensch, sondern Strategien zur Rationalisierung der Güterproduktion. Industrielle Rationalisierungsstrategien konzentrierten sich vor allem auf die Produktion von Massengütern in
Großunternehmen, die durch eine konsequente vertikale Integration der Wertschöpfungskette und eine zunehmende horizontale Divisionalisierung verschiedener
Produktbereiche entstanden. Die Entwicklung leistungsfähiger Produktions- und
Distributionssysteme sowie Investitionen in Managementfunktionen ermöglichten
eine stetige Ausweitung der Massenproduktion bei hochgradiger Arbeitsteilung.
Dadurch konnten umfangreiche kostenmäßige Größenvorteile ausgenutzt werden;
nämlich Skaleneffekte (“economies of scale”) und Verbundeffekte (“economies of
scope”), die vielfach zur Begründung der Vorteilhaftigkeit einer internen “administrativen” Koordination von Großunternehmen durch hierarchische Strukturen herangezogen werden (Chandler 1977, 1980, 1990; siehe auch Kasten 2–2 unten). Diese
Managementprinzipien führten zu beachtlichen Erfolgen durch die systematische
Gewinnung, Perfektionierung und Anwendung von Methoden zur Optimierung von
Fertigungsprozessen. Große Erfolge wurden in der Vergangenheit aber nur dadurch
erzielt, dass die langfristig stabilen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens adäquat
abgebildet und in klare Prinzipien unternehmerischen Handelns übersetzt wurden
(siehe die in Abbildung 2–3 genannten Prämissen). Solange diese Prämissen den tatsächlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entsprachen,
sicherten die klassischen Prinzipien – Burkart Lutz nennt sie die “Principles of
Common Wisdom” der industriellen Innovationsstrategie – Unternehmen zuverlässig
auf ihrem Erfolgspfad ab. Heute aber haben sich viele dieser Rahmenbedingungen
Abbildung 2–3: “Principles of Common Wisdom” - Rahmenbedingungen und Prinzipien der
tayloristischen Industrieorganisation (entnommen aus Picot / Reichwald /
Wigand 2003)
Rahmenbedingungen:
Prinzipien erfolgreicher
Unternehmensführung:
Absatzmärkte mit
langfristig klar
vorhersehbarer Dynamik
Maximale Durchplanung und Effektivierung aller
betrieblichen Abläufe, vor allem in der
Produktion
Begrenzte Zahl von Wettbewerbern mit bekannten
Stärken und Schwächen
klare arbeitsteilige Abgrenzung von Ressorts,
fachlichen Zuständigkeiten und hierarchischen
Verantwortlichkeiten
Niedrige Kosten
natürlicher Ressourcen
und geringe Umweltlasten
für die Unter-nehmen
Reichliche Verfügbarkeit
von hochmotivierten,
qualifizierten
Arbeitskräften
eindeutige Präferenz für unternehmensinterne
Lösungen
maximale Nutzung des Serieneffekts (economies
of scale)
Marktbehauptung vor allem durch inkrementelle
Produktinnovationen (schrittweise Verbesserung
existierender Produkte)
Primat von arbeitssparenden Investitionen und
Innovationen
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
gewandelt (siehe Abschnitt 2.2.3). Damit sind neue Prinzipien erforderlich. Doch fällt
vielen Managern die Loslösung von den klassischen Prinzipien schwer, denn diese
Grundsätze sind über Jahrzehnte gefestigt und liegen heute gewissermaßen “fest verdrahtet” vor, z. B. in der Aufgabendefinition und Zuständigkeitsabgrenzung von
Managementressorts, in der Definition von Ausbildungsinhalten, Qualifikationen und
Mitarbeiterkompetenzen, in Auswahl und Aufbau betrieblicher Informationssysteme
sowie im Zuschnitt der Außenbeziehungen von Unternehmen. Wir wollen im folgenden Abschnitt die wichtigsten Grundlagen dieser klassischen Prinzipien kurz betrachten (siehe dazu ausführlicher z. B. Picot / Reichwald / Wigand 2003; Wayland / Cole
1997; Wolf 2003).
2.2.2 Gesetze der Produktivität und
Kostenwirtschaftlichkeit
Die Prinzipien der klassischen Industrieorganisation basieren auf den Erkenntnissen
der Produktionswirtschaft, fokussiert auf die Produktion homogener Güter in großen
Stückzahlen. Fragen der Produktivität und der Kostenwirtschaftlichkeit stehen im
Zentrum der Betrachtung. In der Betriebswirtschaftslehre dominiert das Produktionsmodell, das Erich Gutenberg (1951) in seinem Buch “Die Produktion” beschrieben
hat. Dieses Produktionsmodell bildet das betriebswirtschaftliche Geschehen als
Kombinationsprozess der betrieblichen Faktoren Arbeit, Betriebsmittel und Werkstoffe
ab. Die zentrale Aufgabe der Unternehmensleitung (des “dispositiven Faktors”)
besteht darin, durch Organisation und Planung die Produktivität zu optimieren. Der
eher technische Begriff der Produktivität, d. h. das Verhältnis von Ausbringung zum
Faktoreinsatz, entspricht aus betriebswirtschaftlicher Sicht der Bewertung von
Ausbringung und Faktoreinsatz mit Marktpreisen. In der klassischen Theorie der
Unternehmung bilden Produktivität und Kostenwirtschaftlichkeit zentrale Betrachtungsgrößen. Dabei stehen Produktions- und Kostenbeziehungen im Zentrum der
betriebswirtschaftlichen Analyse von Wertschöpfungsprozessen. Wissensbasis bildet
die Produktions- und Kostentheorie (Heinen 1959; Busse von Colbe 1975; Wöhe
1960).
Die betriebswirtschaftliche Produktionstheorie erklärt die funktionalen Zusammenhänge zwischen der Menge der eingesetzten Produktionsfaktoren und der Menge
der damit hergestellten Produkte (Beispiele bilden der Maschinenbau, Werkzeuge oder
Automobile). Zur Lösung des Allokationsproblems in der Wertschöpfung benötigen
Entscheidungsträger Kosteninformationen. In Kostenfunktionen werden die Verbrauchsmengen der betrieblichen Produktionsfaktoren bewertet, das Betrachtungsfeld
der Kostentheorie. Die Kostentheorie erklärt die Zusammenhänge zwischen der
betrieblichen Wertschöpfung (Ausbringungsmengen) und den Produktionskosten. Die
Kostenanalyse ist ein wesentlicher Bestandteil der Kostentheorie. Sie unterscheidet
Gesamtkosten, Stückkosten, Grenzkosten und umfasst das Wissen über Kostenstrukturen und Kostenverläufe bei unterschiedlichen Ausbringungsmengen und
Betriebsgrößenvariationen. Ausgewählte Produktions- und Kostenfunktionen nach
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dem Ertragsgesetz sind in Kasten 2–2 knapp erläutert. Auf Basis dieses Wissens sind
im letzten Jahrhundert die Systeme der industriellen Produktionsplanung und -steuerung sowie die Systeme der betrieblichen Kosten- und Leistungsrechnung entstanden,
deren Prinzipien in der industriellen Praxis bis heute Anwendung finden. Hier sei auf
die umfassende betriebswirtschaftliche Literatur der industriellen Produktionswirtschaft verwiesen (z. B. Corsten 2003; Heinen 1976, 1991; Schweitzer 1994;
Schweitzer / Küpper 1997; Zahn / Schmid 1996; Zäpfel 1982). Die Ausrichtung an
Produktivität und Kostenwirtschaftlichkeit als leitende Zielsetzungen orientiert sich an
der Unternehmensstrategie der Kostenführerschaft und den Produktivitätseffekten
von Betriebsgrößenvariationen, den so genannten “Economies of Scale” und
“Economies of Scope” (siehe Kasten 2–2).
Kasten 2–2:
Wichtige Funktionen und Gesetzmäßigkeiten der klassischen
Produktionstheorie
(1) Produktions- und Kostenfunktionen nach dem Ertragsgesetz
m
B
A
0
r1
Abbildung: Partielle Gesamtertragsfunktion
Die in der ersten Abbildung dargestellte, typische partielle Gesamtertragsfunktion zeigt die
Abhängigkeit der Menge produzierter Güter (m) vom Einsatz eines Produktionsfaktors (r1). Dabei
sei der Einsatz aller weiteren Produktionsfaktoren (r2, …, rn), die zur Herstellung von m benötigt
werden, konstant. Die Ertragsfunktion steigt bei geringem Einsatz von r1 bis zum Punkt A überproportional an. Danach flacht die Funktion ab, bis sie im Punkt B ihr Maximum erreicht. Bei weiterem Einsatz von r1 beginnt die Ertragsfunktion schließlich zu fallen. Bei sehr geringem
Arbeitseinsatz herrscht, verglichen mit den anderen Produktionsfaktoren, relativer Mangel an
Arbeit. Daher erhöht zusätzliche Arbeit die Effizienz der gesamten Produktion, die Funktion steigt
überproportional an, die Grenzerträge steigen ebenfalls. Die höchste Effizienz des Faktoreinsatzes
Arbeit ist am Punkt A, dem Wendepunkt der Ertragskurve, erreicht. Zwischen den Punkten A und
B nimmt die Effizienz des Einsatzes von Arbeit ab, die Grenzerträge fallen. Daher flacht die
Ertragskurve ab, bis sie in Punkt B ihr Maximum erreicht, an diesem Punkt ist der Grenzertrag des
Einsatzes von Arbeit gleich Null. Jeder zusätzliche Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit führt zu
einem sinkenden Gesamtertrag, der Grenzertrag ist dann negativ.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
I
K
Kf
K‘
k
kv
II
III
IV
K
B
C
A
K‘
B‘
Kf
k
kv
Kf
C‘
A‘
0
m*
m
Abbildung: Klassische Kostenfunktionen
Die zweite Abbildung stellt verschiedene Kostenfunktionen in Abhängigkeit von der erzeugten
Güter- bzw. Dienstleistungsmenge m dar. Dabei sind Kf die Fixkosten der Produktion; sie sind im
dargestellten Beispiel konstant. Die Gesamtkostenfunktion (K) ergibt sich als Summe der
Fixkosten und der gesamten variablen Kosten der Produktion einer bestimmten Leistungsmenge
m. Ihre Ableitung (K’) hat ein globales Minimum am Punkt A’. Der Anstieg der Gesamtkosten ist
dort am niedrigsten. Weiterhin zeigt die Grafik die Funktion der variablen Stückkosten (kv). Das
globale Minimum dieser Funktion ist am Punkt C’; bei der entsprechenden Produktionsmenge
sind die variablen Kosten pro Stück am geringsten. Im Punkt C’ schneiden sich außerdem die
Funktionen kv und K’. Im Punkt C befände sich der kostenoptimale Produktionspunkt, wenn keine
Fixkosten anfallen würden. Grafisch findet man diesen Punkt, indem man vom Schnittpunkt der
Funktionen Kf und K aus eine Tangente an die Funktion K legt. Da in unserem Beispiel jedoch konstante positive Fixkosten anfallen, verschiebt sich die kostenoptimale Produktion zum Punkt B;
hier wird die Menge m* produziert. Bei dieser Produktionsmenge hat die Stückkostenfunktion (k)
ihr Minimum und schneidet sich gleichzeitig mit K’ im Punkt B’. Den Punkt B findet man grafisch,
indem man vom Ursprung des Koordinatensystems aus eine Tangente an K legt.
(2) Skalen und Verbundeffekte
Skaleneffekte bzw. “economies of scale” beruhen auf der Annahme, dass eine langfristige
Ausdehnung der Produktionsmenge auch zu einer Ausweitung der Betriebsgröße führen wird. Die
hieraus resultierenden Kostenvorteile beruhen auf (a) Kostendegressionseffekten, die sinkende
Stückkosten in Abhängigkeit von einer (langfristigen) Änderung der Produktionsmenge aufgrund
steigender Kapazitätsauslastung bzw. steigenden Kapazitätsgrößen beschreiben. Ersparnisse
ergeben sich durch die Fertigung größerer Fertigungslose, da der Anteil der losfixen Kosten pro
Outputeinheit abnimmt. Flexible Fertigungstechnologien lassen jedoch die Bedeutung dieses
Punktes immer mehr abnehmen. (b) Spezialisierungsvorteile durch Arbeitsteilung, die sowohl beim
Personal als auch bei Maschinen zu verwirklichen sind. Eine Erhöhung des Spezialisierungsgrads
setzt aber meist eine höhere Produktionsmenge voraus. (c) Weiterhin können sich für größere
Betriebe Kostenvorteile entsprechend der sog. “2/3-Regel der Anlageninvestition” ergeben: Investitions-, Betriebs- und Arbeitskosten steigen meist unterproportional mit steigender Anlagengröße.
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Die tayloristische Industrieproduktion
(d) Mit einer langfristig größeren Produktionsmenge können auch Beschaffungsvorteile verwirklicht werden. So sind die Zinsen für die Beschaffung größerer Kapitalmengen niedriger, auch stehen effizientere Formen des Kapitalmarktes nur für Großunternehmen offen. Ebenso können
Mengenrabatte beim Materialeinkauf genutzt und effizientere Logistiksysteme aufgebaut werden.
(e) In allen Bereichen beruhen auch Kostenvorteile durch Lern- und Erfahrungsvorsprünge auf
einer langfristigen Ausdehnung des Outputs.
Verbundeffekte bzw. “economies of scope” sind diejenigen Kostenvorteile, die sich für eine
Unternehmung aus der Produktion und Distribution von mehr als einem Produkt ergeben. Sie
basieren auf der gemeinsamen, jedoch nicht konkurrierenden Nutzung von Produktionsfaktoren
jeder Art im Rahmen einer Mehrprodukt-Produktion, wenn bei einer Einprodukt-Produktion Anteile
der Produktionsfaktoren ungenutzt bleiben würden. Sie beschreiben so die Vorteilhaftigkeit vertikaler oder horizontaler Diversifikation in einem Mehrproduktunternehmen. Eine derartig verbundene Produktion innerhalb eines Unternehmens ist immer dann vorteilhafter als die Produktion der
gleichen Güter in zwei verschiedenen Unternehmen, wenn mit der gemeinsamen Nutzung von
Ressourcen für unterschiedliche Produktions- und Distributionsprozesse zugleich eine
Subadditivität der Kosten einhergeht. Alternativ werden Verbundeffekte oft auch als Synergien
oder Komplementaritäten bezeichnet. Sie lassen sich generell über eine Nicht-Auslastung von
Produktionsfaktoren und -ressourcen und die damit verbundenen Leerkosten erklären. Einerseits
haben manche Produktionsfaktoren in einem Unternehmen den Charakter quasi-öffentlicher Güter
und sind – nach ihrer einmaligen Anschaffung – mehr oder weniger frei verfügbar. Hierzu zählen
bspw. die unternehmenseigenen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, die für das
Unternehmen versunkene Kosten darstellen. Die Nutzung der F&E-Ergebnisse für zusätzliche
Aktivitäten dagegen birgt oft nur geringe Grenzkosten. Andererseits müssen manche
Produktionsfaktoren aufgrund ihrer Unteilbarkeit oft in größeren Einheiten beschafft wurden, als
sie für die aktuelle Produktion notwendig sind. Solche Inputs sind zum Beispiel EDV-Anlagen, der
Fuhrpark, Fertigungshallen oder auch Humankapital. Aus den nicht genutzten Anteilen dieser
Faktoren resultieren in allen Unternehmensbereichen Kosten (Leerkosten).
Skalenvorteile und Verbundvorteile stehen in engem Zusammenhang. In beiden Fällen geht
es letztlich darum, die Produktionsfaktoren und -ressourcen durch erhöhte Produktionsmengen
besser auszulasten und deren Kapitalkosten zu decken. Jedoch basiert die Kostenreduktion bei
Skaleneffekten auf der wiederholten Produktion identischer Güter, bei Verbundeffekten dagegen
auf der Produktion verschiedener Güter, die aber ganz oder teilweise mit den gleichen
Produktionsfaktoren hergestellt werden können. Die Quellen von Skalen- und Verbundeffekten
ähneln sich folglich: (a) Ein spezialisierter Gebrauch von Maschinen führt bei homogenen
Massengütern ebenso wie bei verbundenen heterogenen Gütern zu Effizienzvorteilen; (b) die
Durchschnittskosten sinken bei Produktion einer weiteren Gütereinheit auf einer Maschine, die mit
der Produktion der ersten Einheit nicht ausgelastet war; (c) es kommt sowohl bei homogenen
Massen- wie auch bei heterogenen Verbundgütern zu einer Reduktion von Risiken durch
Ausweitung der Produktion.
2.2.3 Grenzen des Taylorismus: Heterogenisierung der
Nachfrage und Empowerment aktiver Kunden
Das Wissen um diese Prinzipien wissenschaftlicher Betriebsführung hat einen Typ der
Wertschöpfungsorganisation hervorgebracht, der bis vor kurzem die Industrieproduktion geprägt hat. Die stabilen Verhältnisse auf den Märkten, die Langlebigkeit der
Produkte und die hohe Produktivität gaben diesem Organisationstyp bis in die späten
siebziger Jahre seine Rechtfertigung. Diese Effizienz und der Erfolg der wissenschaft21
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
lichen Betriebsführung sind aber ganz wesentlich von stabilen und langfristig prognostizierbaren Marktbedingungen abhängig, die eine Produktion großer Mengen an
homogenen Massengütern erlauben. Doch gibt es für solche Produkte immer weniger
einen Markt. Wichtigste Ursache, warum die Anwendung der tayloristischen
Prinzipien heute immer weniger effizienzsteigernd, sondern vielmehr oft genau
gegenteilig wirkt, ist der Wandel der Absatzmärkte. Wir wollen in diesem Abschnitt
mit der Heterogenisierung der Nachfrage und der wachsenden Nachfragemacht der
Abnehmer einen zentralen Trend betrachten, der für unser Modell der interaktiven
Wertschöpfung die wesentliche Grundlage bildet.
“It is the customer who determines what a business is”, sagte Peter Drucker (1954: 37)
in einem viel zitierten Ausspruch. Galt diese Aussage für viele Unternehmen bislang
eher abstrakt, so wird sie heute immer mehr zur sprichwörtlichen Wahrheit. Viele
Kunden fordern heute Produkte, die genau ihre individuellen Bedürfnisse erfüllen.
Zwar ist die Einsicht, dass Kundenwünsche nicht homogen, sondern heterogen und
verschieden sind, nichts Neues und wurde mikroökonomisch schon lange modelliert
(Chamberlin 1950, 1962). Schon in den 1970er Jahren sieht der amerikanische Futurist
Daniel Bell in seiner berühmten Konzeption der postindustriellen Gesellschaft die
“fateful question”, “weather the promise will be realized that instrumental technology
will open the way to alternative modes of achieving individuality and variety within a
vastly increased output of goods” (Bell 1980: 545). Doch erst die heutige Marktsättigung und der starke Wettbewerb haben dazu geführt, dass Kunden, unterstützt durch
Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten durch das Internet, auch ihre Forderung nach individuellen Produkten durchsetzen können und Unternehmen zu einer
Reaktion zwingen.
Gründe für eine zunehmende Individualisierung der Nachfrage
Wir können an dieser Stelle nicht ausführlich auf die Gründe eingehen, warum eine
Individualisierung der Märkte (bzw. Heterogenisierung der Nachfrage) weiter fortschreitet, sondern wollen lediglich einen Überblick der wichtigsten Entwicklungslinien
geben. Für eine ausführliche Diskussion der Hintergründe der fortschreitenden Heterogenisierung der Nachfrage verweisen wir auf die Literatur (siehe vor allem Piller
2006a; Zuboff / Maxim 2002; einen schönen Einblick geben auch Beck 1986; Blaho 2001;
Cox / Alm 1999; Heil / Parker / Stephens 1999; Ludwig 2000 und Schnäbele 1997,
Lindemann / Reichwald 1998).
Der Industriegüterbereich ist seit jeher durch eine ausgeprägte Individualisierung als
Folge der Verwendung der nachgefragten Güter in der (individuellen) Wertkette der
Abnehmer gekennzeichnet (Jacob 1995, Kleinaltenkamp / Marra 1995; Stotko 2005). Die
bezogenen Produktionsfaktoren sollen den firmenspezifischen Besonderheiten ihrer
Verwendung in den Wertschöpfungsaktivitäten entsprechen. Da die einzigartige Gestaltung der Wertaktivitäten nicht nur Basis zum Aufbau dauerhafter Wettbewerbsvorteile
ist (Porter 1996), sondern zwangsläufig auch zu stark heterogenem Bedarf der nachfragenden Betriebe führt, hat die Individualisierung hier schon lange eine sehr hohe Bedeutung.
Diese Individualisierung im Industriegüterbereich, die häufig durch eine Einzelfertigung und eine Projektorganisation gekennzeichnet ist, wird heute durch eine zuneh22
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Die tayloristische Industrieproduktion
mende Individualisierung im privaten Verbrauch ergänzt. Dazu tragen unter anderem Änderungen im beruflichen Umfeld vieler Konsumenten bei. Der weitgehende
Wandel der Arbeit in entwickelten Gesellschaften von körperlicher zu einer reinen
“Wissensarbeit” betont die kreative Nutzung des Humankapitals. Die dadurch bedingte qualifiziertere Ausbildung und eine ständige Weiterbildung lehren den Menschen,
die Komplexität von Problemen zu erkennen und alternative Perspektiven zu betrachten. Als Folge einer größeren Entscheidungsautonomie vieler Mitarbeiter im Rahmen
dezentraler Organisationsprinzipien steigt auch die Bedeutung von Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Individualität. Es ist anzunehmen, dass solchermaßen
durch die veränderten betrieblichen Rollen und eine neue “Selbständigkeit” emanzipierte Mitarbeiter ihre berufliche Mitbestimmung und ihr Einkaufsverhalten im beruflichen Bereich (passende Produkte, Denken in Dimensionen langfristiger “Anwendungskosten” etc.) auch auf ihr privates Konsumverhalten übertragen (Piller 2006a).
Dies ist ein wesentlicher Treiber der Heterogenisierung der Nachfrage.
Oft wird der Trend zur Individualisierung auch durch soziodemographische Änderungen erklärt. Mit zunehmendem Wohlstand, der sich u. a. in einem höheren Einkommen, mehr Freizeit und einem höheren Bildungsniveau manifestiert, wächst der
Wunsch nach individuellen Produkten. Diesen Zusammenhang beschrieb nicht nur
Maslow mit seiner Bedürfnispyramide, sondern hier setzt auch die soziologisch
begründete Argumentation der Individualisierung an. Wissenschaftler wie Beck (1986)
oder Scitovsky (1989) halten die Massenproduktion für eintönig und neuen
Ansprüchen nicht mehr angemessen, da “das menschliche Bedürfnis nach Abwechslung und Neuheit genauso groß ist wie der Wunsch zu überleben. Die Massenproduktion hat ihren Reiz verloren, weil immer mehr Menschen die gleichen oder ähnliche Gegenstände besitzen” (Fournier 1994: 59). Gerade kaufkräftige Konsumenten
versuchen, ihre Persönlichkeit durch eine individuelle Produktwahl zu demonstrieren.
Auch führen bevölkerungsdemographische Verschiebungen zu einer steigenden
Zahl an älteren konsumintensiven Bevölkerungsgruppen, die großen Wert auf ein qualitativ hochwertiges und passendes Angebot legen. Hinzu kommen noch die steigende
Zahl an Single-Haushalten und Veränderungen in der Zusammensetzung der
Bevölkerung (nationale Identität, soziale Gruppen), die ebenfalls zu einer Fragmentierung der Nachfrage führen.
Neben einer zunehmenden Pluralisierung individueller und gesellschaftlicher
Wertsysteme ist der Wertewandel auch gekennzeichnet von einer verstärkten
Hinwendung zur Erlebnisorientierung, einer zunehmenden Designorientierung und
einem neuen Qualitäts- und Funktionalitätsbewusstsein, das langlebige und verlässliche Produkte fordert. Schätzungsweise beherrscht bei 20-30 Prozent der Käuferschaft
der Hedonismus die grundlegende Konsumhaltung. Hedonistisches Verhalten betont
auf individueller Ebene Spontaneität und kurzfristige Kaufentscheidungen und führt
auf einer aggregierten Ebene zu einer zunehmenden Heterogenität der Nachfrage
(Litzenroth 1997). Hinzu kommt in allen Konsumentenschichten ein steigendes
Engagement im Freizeitbereich. Im Zusammenhang mit kleineren Haushaltsgrößen
und abnehmenden familiären Bindungen können speziellere Hobbys und Interessen
verwirklicht werden. Dieser soziale Individualismus überträgt sich auf die materiellen
Bedürfnisse. Auch lässt die Markentreue der Konsumenten immer mehr nach, selbst
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wenn diese mit einem Produkt zufrieden sind (“Variety-Seeking-Behavior”). Der
Markenwechsel als solcher stiftet Nutzen – unabhängig von der Zufriedenheit mit dem
alten Produkt oder Geschmacksveränderungen (Kahn 1998).
Hintergründe und Kennzeichen einer zunehmenden Macht der Abnehmer
Diese Entwicklungen auf der Nachfragerseite verdienen insbesondere deshalb besondere Beachtung, da zunehmende globale Konkurrenz und steigender Marktdruck
viele Branchen von Verkäufer- zu Käufermärkten mit stark ausgeprägter abnehmerseitiger Verhandlungsmacht gewandelt haben (Reichwald / Höfer / Weichselbäumer 1996).
Zeichen hierfür ist bei institutionellen (industriellen) Abnehmern die wachsende
Bedeutung eines systematischen Beschaffungsmanagements (Lieferantenscreening
und -analyse, Qualitätspolitik). Hinzu kommt, dass sich nicht wenige Branchen durch
eine erhebliche Nachfragekonzentration auszeichnen. Das damit verbundene
Verhandlungspotenzial wird von den nachfragenden Unternehmen heute konsequent
eingesetzt und führt zu einer Verschärfung des Wettbewerbs. Damit können sich
Anbieter in diesen Märkten nicht mehr auf eine der klassischen Wettbewerbstheorien
Kostenführerschaft oder Differenzierungsstrategie (Porter 1980) verlassen, sondern
müssen trotz hoher Differenzierung und passender Produkte auch günstigste Preise
anbieten. Eine solche Hybrid-Strategie verlangt aber eine andere Ausrichtung der
betrieblichen Wertschöpfungssysteme, die in den klassischen Prinzipien nach Taylor
nicht vorgesehen ist (siehe Corsten / Will 1995; Fleck 1995; Knyphausen-Aufsess /
Ringsletter 1991 und Piller 1998 zu einer ausführlichen Diskussion des Wesens und
der Anforderungen hybrider Wettbewerbsstrategien).
Diese Forderung gilt heute aber gleichermaßen auch für Hersteller von Leistungen für
private Konsumenten. In diesem Bereich ist trotz eines größeren und komplexeren
Produktangebots heute eine zunehmende Aufgeklärtheit der Käufer festzustellen.
MacDonald und Tobin (1998) sprechen analog zum “Empowerment” der Mitarbeiter
eines Unternehmens von einem Empowerment der Abnehmer. Viele Autoren betrachten die aktive Rolle der Kunden im Wertschöpfungsprozess als direkte Folge dieses
Empowerment (Gouthier 2004; Hennig-Thurau 1998; Köhne / Klein 2004; Lewis / Bridger
2001; Baethage / Wilkens 2001; McKenna 2002; Seybold / Marshak / Lewis 2001). Die
Ursachen für eine zunehmende Macht der Kunden sind vielfältig (die meisten Gründe
gelten sowohl für private als auch industrielle Kunden): Dank der Informationstransparenz durch das Internet ist nicht nur eine lokale Preisdiskriminierung immer
schwieriger durchzusetzen, sondern vor allem Kundenbewertungen und -empfehlungen gewinnen stark an Bedeutung. Solche Bewertungen stammen entweder von professionellen Akteuren wie die “Stiftung Warentest” oder Computerzeitschriften, oder aber
heute direkt von Konsumenten, die sich auf Meinungsplattformen und in OnlineKatalogen über ihre Erfahrungen mit einer Leistung austauschen. In diesen Bewertungen
wird meist das Produkt mit dem besten Preis- Leistungsverhältnis betont. Der Preis
büßt so seine Wirkung als Qualitätsindikator immer mehr ein (Fleck 1995: 46). Kunden
kaufen heute von einem Anbieter, der weiß, dass seine Kunden alles über das jeweilige
Gut wissen und welche Alternativen es gibt, dass sie wissen, wer auf der Welt dieses Gut
noch verkauft und welche Reputation der jeweilige Anbieter hat. In dieser Beziehung hat
das Internet schließlich geliefert, was Wissenschaftler wie Malone, Yates und Benjamin
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Die tayloristische Industrieproduktion
(1987) schon lange vorher versprochen haben: Größere Markttransparenz reduziert die
Risiken aus Abnehmersicht und führt zu sinkenden Preisen.
Kunden-Empowerment geht jedoch über den reinen Kaufakt hinaus. Kunden, die befähigt sind, besser zwischen verschiedenen Angeboten zu unterschieden, und die die
Macht verspüren, Teil eines Informationsnetzwerks zu werden, werden angeregt, sich
weiter zu artikulieren und weiter gehend zu handeln. Kunden äußern heute Kritik und
Unzufriedenheit schneller und mit mehr Nachdruck (Hansen / Hennig 1995: 312;
Prahalad / Ramaswamy 2004: 4). Es kommt zu einer neuen Dimension von Kundenaktivismus, der weit über die Aktivitäten einiger Kleingruppen hinausgeht. Ein
Beispiel sind hunderte von Web-Sites, die von Kunden geschaffen wurden und sich
nur mit einer Marke oder einen Produkt beschäftigen (meist entweder Fan- oder HassSeiten). Blogs (web logs) fördern eine öffentliche Debatte weiter und schaffen ein Netz
verbundener Meinungen, Kommentare und weiter führender Links (siehe dazu auch
Abschnitt 3.5.4). Selbst wenn so nur ein kleiner Teil an Kunden selbst aktiv wird, so
erreicht ihr Wort heute viel schneller immer größere Adressatenkreise (siehe ausführlich Voß / Rieder 2005).
Doch Kunden loben oder kritisieren nicht nur schneller und lauter, sondern handeln
heute auch aktiver, um sich selbst eine Lösung zu schaffen, die ein Hersteller nicht oder
nicht bequem genug anbietet. Ihre Motivation ist dabei vor allem, diese Lösung selbst
für ein offenes Bedürfnis zu nutzen – und in der Regel nicht, diese zu verkaufen.
Hierbei werden sie durch eine vielfältige neue Infrastruktur unterstützt, die oft über
das Internet transaktionskostenminimal bereitgestellt wird. Unternehmen wie
Cafepress oder Lulu.com unterstützen Konsumenten bei Publikation, Druck und
Vertrieb von Büchern und anderen Drucksachen. Das Konsumentenmagazin MAKE
(makezine.com) stellt detaillierte Anregungen und Anleitungen zur Verfügung, wie
Kunden von den Herstellern auferlegte Beschränkungen von Produkten umgehen können (wie z. B. den Kopierschutz bei digitalen Videorekordern, die Wiederverwendung
von Einweg-Kameras, das Auswechseln von Batterien von iPods). eMachineshop.com
stellt jedem Konsumenten in den USA über das Internet gar eine komplette
Produktionsapparatur zur Verfügung. Maschinen und Werkzeuge, die sonst nur professionellen Nutzern zur Verfügung standen oder hohe Investitionskosten hatten, können dank einer einfachen kostenlosen CAD-Software, die die Schnittstelle zwischen
Kunden und Maschinen darstellt, von jedem Interessenten genutzt werden. Damit fällt
die Trennung zwischen Konsumenten und Produzenten zunehmend.
Aktiver Kunde vs. Zwangsarbeiter Kunde
Es ist wichtig, diese Form des aktiven Kunden vom “Zwangsarbeiter Kunde” zu unterscheiden, der als Folge von Rationalisierungsbestrebungen von Unternehmen dazu
“gezwungen” wird, bestimmte Aufgaben selbst zu erfüllen. Der zunehmende Grad an
Selbstbedienungsangeboten (vom Bankautomaten über Self-Check-In im Etap-Hotel
bis zum Selbstmanagement der Finanzen im Online-Banking) ist eine typische
Reaktion vieler Unternehmen in der Tradition tayloristischen Denkens: Im
Vordergrund steht das Streben nach weiterer operationaler Effizienz. Auch wenn dies
aus Kundensicht nicht immer so negativ gesehen wird, wie es Voß und Rieder (2005)
in ihrem Buch “Der arbeitende Kunde: Wenn Konsumenten zu unbezahlten
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Mitarbeitern werden” schildern (siehe z. B. für einen gegenteilige Argumentation
Blaho 2001; Fließ 2001; Kim / Mauborgne 2001; Meuter et al. 2000; Schreier 2005), so ist
unbestritten, dass ein immer weiter gehender Grad an “Outsourcing von Arbeit” an die
Nutzer zu negativen Serviceerlebnissen oder Überforderung mancher Kunden führen
kann. Der aktive und “empowerte” Kunde im Verständnis der vorangehenden
Argumentation aber wird nicht aktiv, weil ihn ein Unternehmen dazu zwingt, sondern aus eigenem Antrieb, sei es aufgrund eines offenen Bedürfnisses oder weiterer
Motive, die wir noch ausführlich betrachten werden (siehe Abschnitt 2.4.4). Diese
wichtige Unterscheidung ist eine Hauptthese dieses Buchs und eine wesentliche
Abgrenzung unserer Argumentation zu früheren Arbeiten zur Co-Produktion.
Der aktive Kunde im Sinne dieses Buches wird nicht aktiv, weil ihm ein Unternehmen dazu aus
Gründen der Effizienzsteigerung zwingt, sondern aus eigenem Antrieb, sei es aufgrund eines
offenen ungestillten Bedürfnisses und / oder weiterer Motive wie z. B. Spaß an der Interaktion
und sozialem Austausch, Wettbewerbsdenken, monetären Anreizen.
Individualität fördert Kreativität und Aktivität der Nachfrager
Mit der zunehmenden Individualität der Kundenanforderungen und -bedürfnisse geht
vor allem oftmals auch ein Wunsch nach besonderen Produkten oder Leistungen einher, die durch das derzeitige Angebot der jeweiligen Hersteller auf einem Markt nicht
gedeckt werden. Wie wir noch ausführlich sehen werden, ist es vor allem der Wunsch
zur Lösung eines speziellen Problems oder einer besonderen Anforderung, der
Kunden zu kreativen Mitwirkenden ehemals rein betrieblicher Wertschöpfung werden
lässt. Zahlreiche Studien in Investitionsgüter- und Konsumgütermärkten zeigen heute,
dass fortschrittliche Kunden regelmäßig nicht auf eine Lösung durch einen Hersteller
warten, sondern selbst aktiv werden und passende Produkte für ihre neuartigen
Anforderungen entwickeln bzw. zumindest einem Hersteller den entscheidenden
Impuls für eine solche Entwicklung selbst vermitteln (z. B. Franke / Shah 2003; Franke
/ von Hippel 2003; Lüthje 2003a, 2004; Urban / von Hippel 1988; von Hippel 2005). In
der Konsequenz dieses anspruchsvolleren und heterogeneren Nachfrageverhaltens
ergeben sich neue Herausforderungen der Unternehmen bei der Produktentwicklung
und Produktion. Traditionelle Methoden der Produktentwicklung zielen auf
Standardprodukte, welche die durchschnittlichen Bedürfnisse einer möglichst großen
Anzahl an Kunden treffen sollen. Dazu wird mittels Marktforschung versucht, die
Bedürfnisse der Kunden ex-ante zu erfahren – unter der Prämisse, dass Kunden im
anvisierten Marktsegment die gleichen Präferenzen für bestimmte Produkteigenschaften haben. Das potenziell hohe Umsatzvolumen im vermeintlich homogenen
Zielmarktsegment rechtfertigt so auch hohe Fixkosten der Entwicklung und des
Aufbaus eines abgestimmten Produktionsapparats.
Die klassische Reaktion der Anbieter auf die zunehmende Individualität
Werden durch die Heterogenisierung der Nachfrage die Zielmärkte aber kleiner, reagieren viele Anbieter mit einer immer ausgedehnteren Modell- und Variantenvielfalt
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(Cox / Alm 1999; Piller 1998). Vorhandene Grundprodukte werden um neue Variationen für immer kleinere, in sich aber homogene Marktsegmente erweitert, indem für
jede Nische eine eigene Produktvariation inklusive begleitender Vermarktungsmaßnahmen entworfen wird. Doch die vermeintlich marktbezogene Variantenfertigung
bedeutet in der Regel eine große Produktpalette ähnlicher Erzeugnisse in geringen
Mengen, die vorab auf Lager produziert werden. Dabei sind die genauen Absatzzahlen
aber immer schwerer zu prognostizieren (Lee / Padmanabhan / Whang 1997), da die
Fertigung lediglich auf Marktprognosen und Schätzungen des Vertriebs basiert. Bei
gleich bleibenden oder nur leicht steigenden gesamten Absatzzahlen nimmt zudem
der Aufwand der Marktbearbeitung enorm zu. Diese Vorgehensweise führt so vor
allem zu einer steigenden Komplexität – in der Produktion gleichermaßen wie im
Produktmanagement und Vertrieb. Besonders schwerwiegend erscheint, dass diesen
Problemen mit Ausnahme einer etwas besseren Annäherung an die Präferenzstruktur
der Kunden keine neuen erlösseitigen Potenziale gegenüberstehen. Die vermeintlich
kundennahe Variantenfertigung entpuppt sich oft als teure und unzulängliche
Fehlentscheidung. Der Ausweg vieler Unternehmen ist dabei aber heute nicht etwa,
die grundlegenden Prinzipien zu erweitern, die hinter ihrer Reaktion stehen – also statt
für mit ihnen genau passende individuelle Lösungen zu schaffen, sondern vielmehr
immer noch der Versuch, das bestehende System industrieller Wertschöpfung in seinem Kern unverändert zu lassen, es jedoch durch die Integration externer Akteure
wandlungsfähiger und flexibler zu machen. Von dieser Übertragung der Prinzipien
klassischer industrieller Wertschöpfung auf die Bildung von Netzwerkorganisationen
handelt der folgende Abschnitt.
Kasten 2–3:
Literaturempfehlungen zum Wandel der Märkte und zum Empowerment der
Kunden
„ Grün, Oskar / Brunner, Jean-Claude (2002). Der Kunde als Dienstleister: Von der Selbstbedienung zur Co-Produktion. Wiesbaden: Gabler 2002.
„ Voß, Günter / Rieder, Kerstin (2005). Der arbeitende Kunde: Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden. Frankfurt / New York: Campus 2005.
„ Zuboff, Shoshana / Maxmin, James (2002). The support economy: why corporations are failing
individuals and the next episode of capitalism. London: Viking Penguin 2002.
2.3
Auflösung der Unternehmensgrenzen:
Von der internen Abwicklung zu Netzwerken
und Märkten
Kasten 2–4 schildert als einführendes Beispiel die Geschichte Michael Dells, der durch
eine radikale Weiterentwicklung der klassischen Wertschöpfungsprinzipien ein erfolgreiches Unternehmen schaffen konnte. Das Dell-Modell ist nicht nur eine erfolgreiche
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Antwort auf die Individualisierung der Nachfrage und eine zunehmende Heterogenität der Kundenwünsche, sondern auch ein beeindruckendes Beispiel für die bis
heute vorherrschende Beständigkeit der alten Prinzipien industrieller Wertschöpfung.
Keiner der bereits vor Dell etablierten großen Computerhersteller, die alle dem klassischen intern ausgerichteten tayloristischen Denken entsprungen sind, hat es je
geschafft, dass Dell-Modell im PC-Markt erfolgreich zu kopieren. Dell hatte als Startup-Unternehmen auf der grünen Wiese den großen Vorteil, keinen Ballast konventionellen Denkens tragen zu können und konnte konsequent alle Wertschöpfungsaktivitäten auf sein neues Modell ausrichten. Das Dell-Modell zeigt aber auch, dass die
Prinzipien klassischer Betriebsführung an sich weiterhin Bestand und als Gesetzmäßigkeit Richtigkeit haben (Dell setzt z. B. stark auf Skaleneffekte im Einkauf und
nutzt durch seine modularen Rechnerarchitekturen starke Verbundeffekte). Auch
heute sind Skalen- und Verbundvorteile noch wichtige Prinzipien, die die Entscheidungen vieler Unternehmen zu Recht prägen. Jedoch sind sie nicht mehr zentraler Mittelpunkt wirtschaftlichen Handelns, sondern werden durch neue Prinzipien
ergänzt und dominiert.
Kasten 2–4:
Das Beispiel Dell: Netzwerke als Antwort auf den marktlichen und technologischen Wandel
(Quelle: Holzner, Steven: How Dell does it, New York: McGraw-Hill 2006)
Die Erfolgsgeschichte des Computerherstellers Michael Dell ist ein gutes Beispiel für die
Anwendung neuer Prinzipien zur Organisation der Wertschöpfung in Unternehmensnetzwerken.
Als junger Student der Medizin in Austin Texas lernte Michael Dell, dass die auf dem Markt verfügbaren Personal Computers (PCs) nicht den Anforderungen entsprachen, die sich aus dem
Anwendungsbereich seines Medizin-Labors ergaben. Schnell entdeckte er die Möglichkeit, seinen
PC durch einzelne Bauteile und Zusatzausstattungen so zu ergänzen, dass er seinen
Anforderungen Rechnung tragen konnte. Mit der Zeit erwarb er einen immer besseren Überblick
über verfügbare Einzelteile und konnte so (zunächst seine eigenen) individuelle Anforderungen
immer besser erfüllen. Auf dieser Grundlage baute Michael Dell zunächst für einen beschränkten
Interessentenkreis aus seinem Umfeld PCs auf Bestellung, die er nach den jeweiligen
Anforderungen seiner Kunden unterschiedlich zusammenstellte. Mit der Faszination, die das PCGeschäft und die Anpassung von Computertechnologie an individuelle Nutzerbedürfnisse ausübte, wuchs auch seine Branchenkenntnis. Schnell begriff er, dass die Gesamtkosten der im
Computerhandel verfügbaren Einzelteile für einen PC nur etwa 50 % der Kosten eines im Handel
erhältlichen PC ausmachte. Ein Anbieter, der ohne Lagerrisiko diese Komponenten schnell und flexibel zu bereits bestellten Computern zusammenfügen konnte, hätte große Gewinnmöglichkeiten,
vor allem, wenn er in einem Direktvertriebsmodell ohne Einschaltung des Handels direkt mit den
Abnehmern interagieren würde.
Das Geschäft wuchs so schnell, dass Dell bald darauf sein Medizinstudium beendete, um sich
ganz der individuellen Produktion von PCs zu widmen. Mit dem Aufkommen des Internet an den
amerikanischen Universitäten baute er Schritt für Schritt sein Wertschöpfungsnetzwerk aus.
Zunächst nutzte Michael Dell den Telefonvertrieb (der auch heute noch der wichtigste
Vertriebskanal ist), später auch das Internet als Kommunikations- und Vertriebsweg. Da er nicht
das notwendige Kapital für eine Entwicklungsabteilung, Lagerhaltung oder die Einrichtung großer
Produktionsstätten hatte, beschränkte er sich darauf, die eingegangenen Bestellungen und deren
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Komponenten in seinem Netzwerk von Händlern zu beschaffen und nach individuellem Zuschnitt
in seine PCs einzubauen. So konnte er auf eine eigene Entwicklung von Computerelementen verzichten und damit etwaigen Entwicklungsrisiken entgehen. Sobald Computerkomponenten vom
technischen Fortschritt überholt waren, kaufte er jeweils die neueste technologische Version, um
seinen Kunden nur aktuellste PC-Technologie anzubieten. Die Energie seines eigenen
Unternehmens steckte er viel mehr in Aktivitäten, die die Interaktion mit den Kunden und die interne Abstimmung seines Netzwerks verbessern konnten.
Ein neues Wertschöpfungsmodell in der Computerindustrie war geboren. Die Produktion von PCs,
individuell für den jeweiligen Kundenbedarf nach einem modularen Baukastensystem.
Informationsnetzwerke dienten statt Werkshallen als Logistikplattform für die Koordination des
Wertschöpfungsprozesses vom Bestellvorgang bis zur Auslieferung des PCs an den Kunden. Mit
diesem Wertschöpfungsmodell hat Michael Dell eine beispiellose Erfolgsstory hervorgebracht, die
bis heute anhält. Das Wertschöpfungsmodell der Dell Corporation dreht den Wertschöpfungsprozess aus einer Input-Output-Orientierung in seine Gegenrichtung um. Auslöser aller Wertschöpfungsaktivitäten ist die Kundenbestellung, zu der sich der Kunde entweder alleine im Internet
oder in Zusammenarbeit mit einem Telefonverkäufer sein individuelles Computersystem selbst
konfiguriert. Der Bestellvorgang löst den Wertschöpfungsprozess in seinen weiteren Schritten aus.
Die Komponenten werden aus einem weltweiten Zulieferernetzwerk bezogen. Nach einem ausgeklügelten logistischen System, das von der Firma Dell zentral koordiniert wird, werden die
Einzelteile für jeden Bestellvorgang durch weltweit agierende Logistikunternehmen (z. B. DHL,
Fedex) transportiert und entweder in Dell-Fertigungswerkstätten oder direkt beim Kunden
zusammengebaut und eingerichtet. Dieser Prozess wird vom Bestellzeitpunkt bis zur Auslieferung
mit einer zugesicherten Durchlaufzeit realisiert, die auch in 95 % der Fälle eingehalten wird.
(Anmerkung: In den USA ist Dell seit Anfang 2005 stark in der Gunst der Kunden gefallen und wird
derzeit für seinen schlechten Kundenservice, nicht mehr innovative Produkte und lange
Lieferzeiten gescholten. Mit dem starken Wachstum des Unternehmens scheint das ursprüngliche
Geschäftsmodell verwässert worden zu sein. So ist der Großteil der von Dell heute angebotenen
Produkte reine vorgefertigte Standardware, wo die klassischen Erfolgprinzipien nicht mehr greifen.)
2.3.1 Marktorientierung und Flexibilität als Leitziele in
Unternehmensnetzwerken
Das Beispiel Dell verdeutlicht die Fortentwicklung der klassischen Organisation industrieller Wertschöpfung. Nicht mehr ein physisches Unternehmen, sondern ein Datennetz wird zur zentralen Wertschöpfungsplattform. Die wesentliche Geschäftsidee
Michael Dells für die Wertschöpfungsorganisation legt den Fokus auf den Aufbau von
Koordinationskompetenz überbetrieblicher Wertschöpfungsprozesse in Netzwerken
(anstelle der klassischen der Kompetenz zur optimalen Allokation betrieblicher
Ressourcen im Unternehmen).
Reaktion auf die Forderung hybrider Wettbewerbsstrategien
Wir haben im letzen Abschnitt gesehen, dass die klassischen Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung vor allem deshalb an ihre Grenzen stoßen, weil sich heue
die meisten Märkte von Verkäufer- zu Käufermärkten gewandelt haben. Kunden sind
nicht mehr bereit, organisatorisch bedingte Koordinationsprobleme, wie z. B. nicht
genau passende Produkte, lange Lieferzeiten oder Schnittstellenprobleme bei Pro29
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zessen zu akzeptieren. Das neue Käuferverhalten ist ein wesentlicher Einflussfaktor für
die Entwicklung neuer Güter und Dienstleistungen bei wachsenden Qualitätsansprüchen. Dies gilt für Konsumgüter, Investitionsgüter und für Dienstleistungen
aller Art. In Käufermärkten rücken die betriebswirtschaftlichen Ziele “Qualität”, “Zeit”
(Entwicklungs- und Lieferzeit) oder “Flexibilität” als gleichwertige Ziele neben die
klassischen Ziele “Produktivität” und “Kostenwirtschaftlichkeit”. (Reichwald 1992;
Reichwald / Schmelzer 1990; Reichwald / Koller 1996; Reichwald / Höfer / Weichselbäumer 1996)
Hierzu bieten ihnen neue Technologien eine Vielfalt von Potenzialen. Neue
Fertigungstechnologien (computerintegrierte Produktion und flexible Fertigungssysteme) lösen die Zielkonflikte zwischen Flexibilität (Variantenvielfalt) und Qualität
einerseits und Produktivität und Effizienz andererseits auf. Darüber hinaus sind es
aber vor allem neue Informations- und Kommunikationstechnologien, die eine tief
greifende Veränderung der unternehmerischen Wertschöpfung erlauben. Information
wird zum dominierenden Produktionsfaktor, Güter-, Arbeits- und Informationsmärkte werden zu globalen Märkten. Die Nutzung der neuen Kommunikationsnetze verschafft weltweiten Zugang zu Standorten, die vormals schwer erreichbar waren. Die Intensivierung des Wettbewerbs vollzieht sich so durch den Eintritt
neuer Wettbewerber in ehemals angestammte oder verschlossene Märkte. Beeindruckend ist das Wachstum der ostasiatischen Märkte und das erfolgreiche Agieren
ostasiatischer Wettbewerber, besonders im Bereich industrieller Massengüter und der
Informationsdienstleistungen. Seit der Öffnung der Märkte Osteuropas kommen
Anbieter hinzu, in deren nationalen Volkswirtschaften Industriegüter zu erheblich
geringeren Produktionskosten hergestellt werden und die mit ihren qualitativ immer
besser werdenden Gütern und Dienstleistungen zunehmend Anschluss an den
Weltmarkt finden. Informationsdienstleister bieten ihre Leistungen weltweit über
Datennetze an.
Öffnung der Grenzen des Unternehmens
Märkte und Unternehmen wandeln sich vor dem Hintergrund dieser vernetzten Ökonomie. Dabei wird es schwieriger, Unternehmen als in sich relativ geschlossene, integrierte Gebilde zu identifizieren (vgl. Picot / Reichwald 1994). Die Grenzen der
Unternehmen verschwimmen. Die Schnittstelle zwischen Unternehmen und Märkten,
die klare Unterscheidung zwischen innen und außen schwindet. Stattdessen ergeben
sich immer häufiger Organisationsformen zwischen Unternehmen und Märkten, wie
z. B. Netzwerkorganisationen, Kooperationsgeflechte, virtuelle Organisationsstrukturen oder Telekooperationen. Sie sind Resultate von Reaktionen auf neue Marktund Wettbewerbsbedingungen und der Möglichkeiten neuer Informations- und
Kommunikationstechnologien (siehe Kasten 2–5 für eine Erläuterung und weiter führende Literatur zum Begriff der Grenze von Unternehmen). Als Resultat verändern
sich eher stabile Technologien der Fertigung und eher dauerhafte Organisationsformen
und Führungsstrukturen zugunsten flexiblerer Formen, die sich rasch an neue
Gegebenheiten anpassen lassen. An die Stelle überschaubarer, regionaler Geschäftstätigkeiten tritt eine globale Orientierung. Damit verändern sich auch die institutionellen Rahmenbedingungen, mit denen Unternehmen konfrontiert werden und die bisher
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in der Regel stabile und überschaubare Grundlagen unternehmerischer Tätigkeiten lieferten. Durch enge kommunikative Vernetzungen sowie durch die Internationalisierung der Geschäftstätigkeiten entsteht eine Vielfalt neuer institutioneller Gegebenheiten, mit denen sich Unternehmen vermehrt auseinanderzu setzen haben.
Der technologischen folgt eine organisatorische Weiterentwicklung der Wertschöpfung. Notwendig ist eine Abflachung oder sogar Auflösung hierarchischer
Strukturen. Klassische Abteilungen und Hierarchieebenen verlieren ihre Bedeutung,
streng festgelegte Kommunikationsstrukturen werden durch den direkten Weg einer
nicht im Einzelnen kanalisierten Gruppenkommunikation ersetzt. Die Zusammenführung von dispositiver und objektbezogener Arbeit sowie die Zusammenführung
von Dienstleistung und Sachleistung zu geschlossenen Wertschöpfungsketten hat aber
noch eine weitere Konsequenz, welche die Grenzen der Unternehmung auch in räumlicher Hinsicht in Frage stellt: Je stärker das Prinzip der autonomen Organisationseinheiten die Wertschöpfungskette durchdringt und je besser die autonomen
Unternehmenseinheiten durch Informations- und Kommunikationstechniken koordiniert werden können, desto stärker tritt auch die Standortfrage in den Vordergrund.
Können mit einer Standortverlagerung ökonomische Vorteile erzielt werden, z. B.
durch größere Marktnähe, durch die Nutzung von Kostenvorteilen, durch Erhöhung
der Lebensqualität für die Mitarbeiter oder durch Versorgungsvorteile, dann folgt der
organisatorischen Dezentralisierung auch die räumliche Dezentralisierung, d. h. die
Standortverlagerung von Organisationseinheiten. Diese erstreckt sich auf die
Standorte von ganzen Unternehmen, von modularen Organisationseinheiten, Gruppen
oder einzelnen Arbeitsplätzen. Im Zuge einer Modularisierung der Unternehmensorganisationen und Neustrukturierung der Arbeitsteilung kommt es häufig zu
Kooperationen von Unternehmen und Zulieferern in Produktionsnetzwerken, die
über eine regionale Ausdehnung hinaus auch international angesiedelt sein können
(Frohlich / Westbrook 2001; Mildenberger 2001; Picot / Reichwald / Wigand 2003;
Reichwald et. al 2004).
Kasten 2–5:
Organisationsgrenzen: Begriff und Ebenen
(Quelle: Reichwald, Ralf (2004a). Organisationsgrenzen. In: Georg Schreyögg / Axel von Werder
(Hg.): Handwörterbuch der Unternehmensführung und Organisation. 4. Aufl., Stuttgart: SchäfferPoeschel 2004: 998-1008)
Die Definition der Grenzen einer Organisation ist erst aus betriebswirtschaftlicher Sicht seit dem
Zeitpunkt ein Thema, zu dem die Ziehung der Grenzen als Gestaltungsoption in das Blickfeld der
Organisationsforschung des Managements gerückt ist. Aus neoklassischer Sichtweise sind
Organisationen zur Abwicklung von wirtschaftlichen Leistungen nicht notwendig: Die Koordination
am Markt, gelenkt durch die unsichtbare Hand, führt zu einem unter Effizienzaspekten idealen
Zustand (vgl. Smith 1776). Ohne Organisationen existieren auch keine Organisationsgrenzen.
Aber auch in der klassischen Organisationslehre scheinen die Grenzen einer Organisation als
Gestaltungsoption keine Rolle zu spielen. Im Mittelpunkt steht dort die Frage nach der Gestaltung
des Aufbaus und der internen Abläufe in einer gegebenen Organisation. Dabei wurde die Ziehung
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der Grenzen einer Organisation bereits von Coase (1937) thematisiert, der die neoklassische
Theorie bei der Verteilung von knappen Gütern auf Märkten in Frage stellt und die Organisation
als effizienten Mechanismus der Abwicklung von Transaktionen bei unvollständigen Informationen
untersucht. Die Untersuchung der Existenz von Organisationen führt damit auch zu der Frage, wo
die Grenze der Organisation gezogen wird, insbesondere wenn, wie bei Coase, die Festlegung
des optimalen Aufgabenumfangs in einer Organisation thematisiert wird. Die grundsätzliche Frage
nach den Grenzen einer Organisation hängt von der verfolgten Auffassung über die Bestandteile
einer Organisation und damit auch davon ab, was jenseits der Grenzen einer Organisation gesehen wird.
Sieht man die Organisation als soziales System (Gutenberg 1983), hängt die Organisationsgrenze eng mit der Struktur und Größe eines Unternehmens zusammen. Die Zahl an Mitarbeitern, der
Umsatz, die Marktkapitalisierung, der Wertschöpfungsanteil, der Marktanteil, die Anzahl der
Geschäftsfelder oder die geographische Ausdehnung sind beispielhafte Kennzahlen zur
Beschreibung der Größe einer Organisation, die wiederum durch die Ziehung der Grenzen um
diese Organisation abhängt (vgl. Bieberbach 2001). Versteht man unter einem Unternehmen eine
organisatorische und wirtschaftliche Einheit mit einer hierarchischen Struktur und zentralen
Weisungsrechten (vgl. Picot 1999), dann lassen sich unter den verschiedenen möglichen
Determinanten zwei unabhängige Variablen finden, die zur Bestimmung der Unternehmensgröße
herangezogen werden können: die horizontale und die vertikale Unternehmensgröße (Tirole
1995). Die horizontale Größe bezieht sich auf die Zahl der Märkte, auf denen das Unternehmen
aktiv ist, und die jeweilige Output-Menge auf einem Markt. Damit bestimmt sich die Leistungsbreite
eines Unternehmens. Die vertikale Unternehmensgröße dagegen bezieht sich auf die Tiefe der
Wertschöpfung, d. h. die Leistungstiefe bzw. der Grad der vertikalen Integration. Sie ist analytisch
definiert durch die Zahl der Wertschöpfungsstufen, die innerhalb eines Unternehmens abgewickelt
werden, oder praktisch bestimmbar durch die Wertschöpfung (Gesamtleistung abzüglich
Vorleistungen). Die Festlegung der Leistungsbreite (Bestimmung der horizontalen Organisationsgrenze) und Leistungstiefe (Bestimmung der vertikalen Organisationsgrenze) können als
wichtige Bestimmungsgrößen der Grenzziehung der Organisation gesehen werden.
Eine andere Sichtweise sieht die Organisation als ökonomische Institution zu Lösung des Organisationsproblems vor dem Hintergrund einer arbeitsteiligen Wirtschaft und der Existenz verschiedener Institutionen zur Abwicklung der Arbeitsteilung (Picot 1999). Gegenstand des Organisationsproblems ist die Beseitigung der Mängel als Folge von Koordinations- und Motivationsproblemen bei Arbeitsteilung und Spezialisierung, wie auch bei Tausch und Abstimmung, die
möglichen Produktivitätsgewinne (aus Spezialisierung) entgegenstehen. (vgl. u. a. Picot 1982;
Milgrom / Roberts 1992). Allerdings verbraucht der Organisationsprozess selbst Ressourcen
(Koordinationskosten). Folglich stellt das Organisationsproblem eine Optimierungsaufgabe dar,
bei der diejenige Organisationsform gesucht wird, die den Produktivitätsanstieg durch
Arbeitsteilung und Spezialisierung so auszunutzen vermag, dass unter Berücksichtigung des
Ressourcenverbrauchs bei Tausch und Abstimmung möglichst viele Bedürfnisse befriedigt werden
können (Picot / Reichwald / Wigand 2003). Unterschiedliche Organisationsformen bestimmen sich
dabei durch verschiedene Ansatzpunkte zur Lösung des Koordinations- und Motivationsproblems,
namentliche Hierarchie, interorganisationale Netzwerke (Kooperation) und Markt. Diese Ansätze
sind dabei durch die Dominanz unterschiedlicher Institutionen geprägt. Als Institutionen werden
sozial sanktionierbare Erwartungen bezeichnet, die sich auf die Handlungs- und Verhaltensweisen
eines Akteurs beziehen. Sie informieren jeden Akteur sowohl über seinen eigenen Handlungsspielraum als auch über das wahrscheinliche Verhalten anderer Akteure und fungieren somit als
verhaltensstabilisierende Mechanismen. Die Organisationsgrenze bezieht sich dabei auf die
Definition des Überganges zwischen Hierarchie und Markt sowie zwischen Markt bzw. Hierarchie
und interorganisationalen Netzwerken. Sie muss für alle Transaktionsbeziehungen entlang der
Wertschöpfungskette zur Erstellung der Gesamtleistung festgelegt werden. Die effiziente Grenze
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Auflösung der Unternehmensgrenzen
ist dann bestimmt, wenn beim Übergang von einer Organisationsform zur nächsten keine Koordinationskosten (bei gegebenen Produktionskosten) mehr eingespart werden können. Die Organisationsgrenze definiert damit das Spektrum all der Aufgaben, die innerhalb einer Organisation zu der aus
Gesamtkostensicht geringsten Summe von Koordinations- und Produktionskosten erbracht werden.
In der bisherigen Argumentation wurde die Organisationsgrenze in erster Linie als externe (interorganisationale) Grenze zwischen einem Unternehmen und seiner Umwelt gesehen. Dies entspricht auch der weiten Verwendung dieses Begriffs in der angeführten Literatur. Der externen
Organisationsgrenze kann aber auch eine interne (intraorganisationale) Grenze gegenübergestellt
werden. Diese bezieht sich auf die Verteilung von Aufgaben, Weisungs- und Entscheidungsrechten sowie Macht innerhalb eines Unternehmens und die Ziehung der Grenzen zwischen den
verschiedenen organisatorischen Einheiten (Aufbauorganisation) eines Unternehmens aus formaler und informeller Sicht. Auch hier lässt sich die zu Beginn angeführte Unterscheidung zwischen
horizontalen und vertikalen Grenzen ziehen, indem auch innerhalb einer Organisation das horizontale Aufgabenspektrum festgelegt werden muss, also beispielsweise die Breite der Produktlinie
einer Geschäftseinheit.
2.3.2 Ökonomie der Netzwerkorganisationen und Move-tothe-Market
Die Unternehmensführung befindet sich so in einem Prozess der Neuorientierung und
des Umdenkens. Wahrend in der klassischen Theorie der Unternehmung Produktivität
und Produktionskosten die Kriterien für die Gestaltung der industriellen Wertschöpfung
bilden, sind es nun die Kosten der Information und Kommunikation in bestimmten
Wertschöpfungsarrangements, die Transaktionskosten, die den Pfad erfolgreicher
Unternehmensführung bestimmen. Das Problem der Güterknappheit wird auch hier
durch Arbeitsteilung und Spezialisierung bewältigt. Allerdings tritt in den neuen
Organisationsformen der modularen Organisation bzw. der Unternehmensnetzwerke
das Problem der Koordination und Motivation in den Vordergrund. Es geht primär
darum, die resultierenden Tausch- und Abstimmungsvorgänge möglichst effizient zu
gestalten. Koordinations- und Motivationsprobleme entstehen hier, weil das Wissen um
die effizientesten Wertschöpfungsarrangements selbst ein knappes Gut ist (Picot / Dietl /
Franck 2005). Damit tritt die klassische Erkenntnis Kirzners (1978) in den Vordergrund,
dass erfolgreiches Unternehmertum letztlich auf Informationsvorsprüngen basiert.
Die Ausnutzung dieser Informationsvorsprünge verlangt immer die Wahl einer passenden Organisationsform, um mit der knappen Ressource Information möglichst effizient
umzugehen. Das Management von Information muss sich dabei mit den besonderen
Eigenschaften des Gutes Information auseinander setzen, deren Charakteristika mit
jeder weiteren Vernetzung zwischen Akteuren an Bedeutung gewinnt. Einen
Ansatzpunkt zur Modellierung und Erklärung bieten die Transaktionskostentheorie und
der verbundene Ansatz der Property-Rights-Theorie (siehe Kasten 2–6), zwei der zentralen Bestandteile der so genannten Institutionenökonomik. Diese stellt (abstrakte)
Erklärungsansätze zur Verfügung, wie eine Unternehmung als Bestandteil eines globalen Wertschöpfungsnetzwerks die Grenzen der Arbeitsteilung optimal zieht. Die Institutionenökonomik wird damit zum ergänzenden Erklärungsansatz, da die klassischen
Gesetze Tayloristischen Denkens diese Fragen nicht ausreichend beantworten können.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Kasten 2–6:
Ansätze zur Erklärung organisationaler Grenzen: Transaktionskosten und
Property-Rights-Ansatz
(Quelle: Reichwald, Ralf (2004b). Organisationsgrenzen. In: Georg Schreyögg / Axel von Werder
(Hg.): Handwörterbuch der Unternehmensführung und Organisation, 4. Aufl., Stuttgart: SchäfferPoeschel 2004: 998-1008)
Transaktionskostentheorie: Grundlegende Untersuchungseinheit der Transaktionskostentheorie
ist die einzelne Transaktion, die als Übertragung von Verfügungsrechten (Property-Rights) definiert
wird (vgl. u. a. Coase 1937; Picot / Dietl / Franck 2005; Williamson 1975, 1985). Die dabei anfallenden Kosten werden als Transaktionskosten bezeichnet und umfassen Kosten der Anbahnung
(z. B. Recherche, Reisen, Beratung), Vereinbarung, (z. B. Verhandlungen, Rechtsabteilung),
Abwicklung, (z. B. Prozesssteuerung), Kontrolle (z. B. Qualitäts- und Terminüberwachung) und
Anpassung (z. B. Zusatzkosten aufgrund nachträglicher qualitativer, preislicher oder terminlicher
Änderungen). Die Höhe dieser Transaktionskosten hängt einerseits von den Eigenschaften der zu
erbringenden Leistungen und andererseits von der gewählten Einbindungs- bzw. Organisationsform - und damit Setzung der Organisationsgrenzen - ab. Ziel der Transaktionskostenanalyse ist es, diejenige Organisationsform zu finden, die bei gegebenen Produktionskosten die
Transaktionskosten minimiert. Transaktionskosten sind damit Effizienzmaßstab zur Beurteilung
und Auswahl unterschiedlicher institutioneller Arrangements. Dabei werden der Markt, die organisationsinterne Hierarchie und Netzwerke bzw. Kooperationen als elementare Strukturen der
Leistungserstellung betrachtet. Die Organisationsgrenze kann hier als Trennung zwischen der
Organisation als Träger der Leistungserstellung und dem umgebenden Marktsystem gesehen werden. Aus Sicht der Transaktionskostentheorie konstituieren sich die effizienten Grenzen einer
Organisation an dem Punkt, wo die Kosten der internen Abwicklung von Transaktionen den Kosten
der externen Abwicklung dieser Transaktion entsprechen (Holmström / Roberts 1998), also durch
Umverteilung keine Effizienzgewinne mehr realisiert werden können.
Property-Rights-Theorie: Nach Holmström und Roberts (1998) resultiert die Frage der
Organisationsgrenze aus der so genannten “hold-up” Problematik, also der Gefahr der opportunistischen Ausnutzung bestehender Abhängigkeiten zwischen Vertragsparteien mit asymmetrischer
Informationsverteilung. Wenn eine der Vertragsparteien für eine Transaktion irreversible, transaktionsspezifische Vorleistungen tätigt (sog. “sunk costs”), die außerhalb dieser Transaktion von
geringerem Wert oder wertlos sind, gerät sie nach Vertragsabschluss in Abhängigkeit von der
anderen Partei, weil sie auf deren Leistung angewiesen ist. Zusätzlich ist es aufgrund zu hoher
Transaktionskosten unmöglich, einen vollständigen Vertrag zu schließen, der alle möglichen
Umweltzustände ex-post umfasst. Diese Problemstellung bildet der Property-Rights-Ansatz ab
(vgl. u. a. Grossman / Hart 1986; Hart / Moore 1990; Hart 1995). In seinem Mittelpunkt stehen
Handlungs- und Verfügungsrechte (sog. Property Rights) und deren Wirkung auf das Verhalten
von ökonomischen Akteuren. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass der Wert von
Gütern einerseits und die Handlungen von Menschen andererseits von den Rechten abhängen,
die ihnen zugeordnet sind. Property Rights sind die mit einem Gut verbundenen und
Wirtschaftssubjekten aufgrund von Rechtsordnungen und Verträgen zustehenden Rechte. Die
Übertragung von Property Rights kann auf Märkten durch Verträge und innerhalb von Organisationen durch hierarchische oder marktliche Anweisungen geregelt werden. Durch unvollständige Zuordnung und / oder Verteilung von Property Rights auf mehrere Individuen entstehen sog.
verdünnte Property Rights mit der möglichen Folge externer Effekte. Die Handlungen eines
Akteurs haben dadurch Auswirkungen auf den Nutzen der übrigen Akteure, die ebenfalls im Besitz
der verdünnten Property Rights sind.
Bei unvollständigen Verträgen und hoher Spezifität der betroffenen Güter kann eine Integration
aller Property Rights innerhalb einer Organisationsgrenze diese Problematik verhindern. Folge ist
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eine vertikale Integration, also das Verändern der vertikalen Grenze der Organisation. Die effiziente Organisationsgrenze ist hiernach durch eine effiziente Allokation von Property Rights determiniert. Diese ist erreicht, wenn die Summe aus Transaktionskosten und die durch externe Effekte
hervorgerufenen Wohlfahrtsverluste in ihrem Minimum ist. Die Grenze der Organisation definiert
sich damit als Bündel von Property Rights über mehrere Güter, die sich im Besitz einer Institution
befinden.
Effizienz alternativer Wertschöpfungsarrangements
Aus Sicht der Transaktionskostentheorie stellen Kooperationen in Netzwerken so
genannte hybride Organisationsformen dar, die auf einem Kontinuum zwischen den
beiden Extremformen Markt und Hierarchie angesiedelt sind. Sie vereinigen Elemente
marktlicher als auch hierarchischer Organisation. Dazu zählen beispielsweise langfristig angelegte Unternehmenskooperationen, strategische Allianzen, Joint Ventures,
Franchisingsysteme, Lizenzvergabe an Dritte, dynamische Netzwerke sowie langfristige Abnahme- und Belieferungsverträge. Ziel von Netzwerkorganisationen ist die
Kombination der Vorteile von hierarchischen und marktlichen Organisationsformen:
die Zusammenlegung von komplementären Ressourcen verschiedener Unternehmen
für die gemeinsame Wertschöpfung soll nahezu die Effizienz einer einheitlichen hierarchischen Organisation erreichen. Gleichzeitig soll aber die Flexibilität und
Autonomie der einzelnen Unternehmen aufrechterhalten werden, indem sich die
Unternehmen durch marktliche Arrangements nur lose aneinander binden (Picot /
Reichwald / Wigand 2003). Die scheinbar einfache Wahl zwischen unternehmensinterner und unternehmensexterner Erstellung von Leistungen entpuppt sich damit als
komplexe Optimierungsaufgabe innerhalb eines breiten Kontinuums von Möglichkeiten.
Einen Anhaltspunkt für die Entscheidung, ob eine Leistung intern, rein extern oder
kooperativ abgewickelt werden soll, gibt der Grad der Spezifität und Unsicherheit der
entsprechenden Aktivität, der wesentlich die Höhe der Transaktionskosten bestimmt.
Dabei ist die Spezifität einer Transaktion um so höher, je größer der Wertverlust ist,
der entsteht, wenn die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Ressourcen nicht in der
angestrebten Verwendung eingesetzt, sondern ihrer nächst besten Verwendung zugeführt werden (vgl. Klein / Crawford / Alchian 1978). So sind z. B. bei Beendigung einer
Geschäftsbeziehung unspezifische Ressourcen wie Standardsoftware etc. weiterhin
ohne Einschränkung verwendbar. Spezifische Investitionen wie z. B. Spezialmaschinen
verlangen hingegen eine Umrüstung oder werden vollkommen wertlos (z. B. Kundendaten). Unsicherheit drückt sich in Anzahl und Ausmaß nicht vorhersehbarer Aufgabenänderungen aus. In einer unsicheren Umwelt wird die Vertragserfüllung durch
häufige Änderungen von Terminen, Preisen, Konditionen und Mengen erschwert, was
Vertragsmodifikationen und damit die Inkaufnahme erhöhter Transaktionskosten
erfordert. Hybride Organisationsformen (Netzwerke und Kooperationen) sind vor
allem bei mittlerer Spezifität und Unsicherheit des Leistungsaustauschs geeignet, um
die Transaktionskosten zur Abstimmung und Kontrolle unter den Tauschpartnern zu
minimieren (Abbildung 2–4).
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Abbildung 2–4: Alternative Wertschöpfungsarrangements
Transaktionskosten
Hybride
Koordinationsformen
Markt
S1
S2
Hierarchie
Spezifität/ Unsicherheit
Einfluss der Informationstechnologie auf die Effizienz von Wertschöpfungsarrangements
Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben im Rahmen dieser
Diskussion einen wichtigen Einfluss. Abbildung 2–5 verdeutlicht den Sachverhalt graphisch. Der Wechsel von S1 zu S1’ entspricht dem modellhaften Zuwachs des Feldes,
an dem nun auch der Bezug von Leistungen mit einer höheren Spezifität (oder
Unsicherheit) auf Märkten die vorteilhafteste Alternative darstellt. Gleichzeit steigt
aber auch der Bereich, in dem eine Abwicklung über Netzwerke vorteilhaft ist (S2’ statt
S2). Damit verkleinert der Einsatz der neuen Informationstechnologien den Bereich,
der für eine reine interne (hierarchische) Abwicklung der Wertschöpfungsaktivitäten
spricht, wesentlich.
Zunehmende Bedeutung von Netzwerkarrangements
Im Bereich von Zuliefererbeziehungen und Business-to-Business-Transaktionen
können wir heute feststellen, dass eine Abwicklung der Wertschöpfung in Netzwerken
die dominierende Form geworden ist. Das zuvor beschriebene Beispiel von Dell ist ein
gutes Beispiel dafür, ein anderes sind die oft zitierten Zulieferernetzwerke in der
Automobilindustrie. Viele Unternehmen versuchen heute aus Gründen der effizienten
Differenzierung, sich auf ihre Kernkompetenzen zu beschränken, d. h. die Bereiche, in
denen sie besondere Kompetenzen zur Erfüllung der Kundenwünsche haben
(Prahalad / Hamel 1990). Dies heißt aber auch, dass sie alle Aktivitäten, die nicht diesen Kernfunktionen angehören, an externe Lieferanten abgeben, die zu ihrer
Erbringung eine Vielzahl an Spezialisierungseffekten haben (auf Basis der Economies
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of Scale und Scope). Das Ergebnis sind sowohl vertikale Partnerschaften entlang der
Supply Chain (Zuliefererintegration in die Fertigung) als auch horizontale
Partnerschaften im Vertrieb (z. B. Vertriebskooperationen). Diese Felder sind breit in
der Literatur beschrieben worden und sollen hier nicht weiter ausgeführt werden
(siehe dazu z. B. Frohlich / Westbrook 2001; Ghoshal / Bartlett 1995; Hayes /
Wheelwright 1984; Picot / Reichwald 1994; Picot / Reichwald / Wigand 2003; Zahn /
Foschiani 2002).
Abbildung 2–5: Einfluss der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)
auf die Vorteilhaftigkeit von Organisationsstrukturen (entnommen aus Picot /
Reichwald / Wigand 2003)
Transaktionskosten
Hybride
Koordinationsformen
Markt
Hierarchie
Mit IKT-Einfluss
Ohne IKT-Einfluss
S1 S1´
S2
S2´
Spezifität/ Unsicherheit
Der Netzwerkgedanke spielt aber nicht nur in der Produktion, sondern auch bei der
Neuproduktentwicklung und Innovation eine wichtige Rolle. Der Innovationsprozess wird dann als interaktive Beziehung zwischen einem fokalen Unternehmen
(OEM) und verschiedensten Organisationen der Unternehmensumwelt gesehen
(Laursen / Salter 2004). Demzufolge basiert die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens zu einem großen Anteil darauf, entlang aller Phasen des Wertschöpfungsprozesses einen Wissenstransfer mit externen Akteuren einzugehen (Hirsch-Kreinsen
2004). Vor allem der Bereich einer Integration der Zulieferer in die Produktentwicklung ist heute gut erforscht (siehe z. B. LaBahn / Krapfel 1999; Roy / Sivakumar /
Wilkinson 2004; Ragatz / Handfield / Scannell 1997; Spina / Verganti / Zotteri 2002;
Wagner 2003; Wagner 2003; Wynstra / van Weele / Weggemann 2001; Bullinger /
Warnecke / Westkämper 2002). Wir werden diesen Aspekt auch noch einmal in
Abschnitt 3.2.2 aufgreifen. In allen Bereichen von Netzwerkorganisationen und über37
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betrieblicher Zusammenarbeit stellen die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien die wesentlichen Potenziale, ortsübergreifend und mit hoher Informationsreichhaltigkeit, aber dennoch effizient zu interagieren.
Move-to-the-Market-Hypothese
Jedoch haben gleichzeitig mit der Zunahme der Bedeutung von Netzwerkarrangements, die einer kooperativen Form der Leistungserbringung entsprechen, auch die
Möglichkeiten einer (rein preisgetriebenen) Abwicklung von Transaktionen auf
Märkten an Bedeutung gewonnen. Malone, Yates und Benjamin (1987) beschreiben mit
ihrer “Move-to-the-Market”-Hypothese den erweiterten Spielraum, in dem eine
Koordination durch Märkte auch für den Leistungsaustausch von spezifischen
Produkten und Dienstleistungen die transaktionskostenminimale Alternative ist. Denn
im Vergleich zu hybriden und hierarchischen Koordinationsformen sind Märkte klassischerweise mit höheren Transaktionskosten belastet, so dass hier eine Reduktion
durch den IT-Einsatz viel stärker wirkt. Dadurch gewinnen die Vorteile einer
Abwicklung von Aktivitäten auf Märkten im Vergleich zu hybriden oder hierarchischen (internen) Koordinationsformen an Bedeutung (wesentlicher Vorteil von
Märkten sind niedrigere Produktionskosten durch Spezialisierungs- und Skaleneffekte
durch Nachfrageaggregation). Ferner wird die wahrgenommene Produktkomplexität
und -spezifität durch verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten der Produktbeschreibungen reduziert bzw. die Kommunikationskosten einer “Einheit”
Komplexität und Spezifität gesenkt. Durch die fallenden Transaktionskosten der Informationssuche, Vereinbarung und Produktbewertung können Informationsasymmetrien und Unsicherheiten über das Verhalten des Anbieters besser abgebaut
werden. Kosten für die Suche von Preis- und Produktinformationen werden weitgehend reduziert, so dass die Markttransparenz und damit die Marktmacht der Kunden
steigen. Die Notwendigkeit für Kunden, sich zum Zweck der Unsicherheitsreduktion
längerfristig an einen Anbieter zu binden, wird weniger wichtig, wenn sich die Suche
nach dem günstigsten und besten Anbieter verstärkt lohnt.
Die voranschreitende Konvergenz im Bereich neuer Medien und ihr Einsatz im
Internet als Vertriebskanal beschleunigt diese Entwicklung. Denn damit lassen sich
nun auch komplizierte Produkteigenschaften durch hohe Bildauflösungen,
Videosequenzen, 3D-Animationen oder Virtual Reality kommunizieren. Nachfrager
können dadurch nicht nur standardisierte, sondern auch komplexere Güter evaluieren,
ohne große Unsicherheiten in Kauf nehmen zu müssen. Andererseits versetzen geringe Kosten bei Informationssuche und Produktbeurteilung die Nachfrager auch in eine
stärkere Verhandlungsposition, was prinzipiell den Preiswettbewerb unter den
Anbietern verschärft. Zwar belegen bestehende Preisunterschiede zwischen
Internetanbietern, dass die Bedingungen vollständiger Information hier ebenfalls nicht
vollständig erreicht werden. Marktineffizienzen bestehen fort, weil Anbieter selbst für
scheinbar homogene Güter unterschiedliche Preise erheben können. Zum Teil spiegelt
sich darin die Tatsache wider, dass sich der zu gleichen Kosten erreichbare
Informationsstand für die Konsumenten zwar erhöht, er aber nach wie vor nicht
kostenlos und perfekt ist. Anbieter können so weiterhin Informationsvorteile gegenüber heterogen informierten Nachfragern für eine Preisdiskriminierung nutzen, ohne
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dass eine Leistungsdifferenzierung offensichtlich ist. Insgesamt jedoch ist unbestritten,
dass im “Frictionless Commerce” die Kunden gegenüber den Anbietern durch verbilligte Informationssuche, höhere Markttransparenz sowie steigenden Preiswettbewerb
profitieren. Zumindest im Internethandel wurden bereits für den Handel mit
Standardgütern niedrigere Preise als im realen Handel empirisch nachgewiesen
(Brynjolfsson / Smith 2000). Die Frage einer langfristigen Kundenbeziehung stellt sich
für die derart begünstigten Kunden eher nicht, wenn deren Kosten für einen
Lieferantenwechsel immer weiter sinken. Manche Branchen (z. B. Mobilfunk,
Kreditkartenunternehmen, Autovermietungen) verlieren als Folge einer steigenden
Preissensibilität auf der einen und einer höheren Produktkenntnis der Abnehmer auf
der anderen Seite heute innerhalb von drei Jahren mehr als die Hälfte ihrer Kunden.
2.3.3 Grenzen der grenzenlosen Organisation
Zusammenfassend zeigen sich so zwei wesentliche Entwicklungen: (1) Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien erlauben auf der einen Seite eine intensive Zusammenarbeit in Netzwerken, ohne dass dabei hohe Interaktions- und Transaktionskosten die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit wieder aufheben. Typisches
Zeichen dieser Netzwerkpartnerschaften ist häufig ein hoher Grad an Vertrauen zwischen
den Partnern und eine dauerhafte Zusammenarbeit. (2) Zur gleichen Zeit jedoch sinken
auf der anderen Seite auch die Kosten der Informationssuche. Dies reduziert aus
Nachfragersicht die Informationsasymmetrie, Unsicherheit und Komplexität von
Produktbewertungen. Das Bedürfnis der Kunden nach Loyalität zu und Bindung an einen
einzigen Anbieter in langfristigen Kundenbeziehungen wird so aus Kundensicht zugunsten der Suche nach dem günstigsten Anbieter auf dem Markt geringer. Für Anbieter
ergibt sich aus der erhöhten Markttransparenz ein härterer Preiswettbewerb.
Das Beispiel von Dell zeigt einen Ausweg aus dieser Situation: Neben der hoch flexiblen Netzwerkorganisation des Unternehmens in Bezug auf die operativen Aktivitäten
erlaubt der Fokus auf eine Individualisierung der Produkte Dell auch, den Preiskampf
im Internet zu umgehen. Der modulare Aufbau der Produkte ermöglicht dem
Unternehmen zunächst in der Werbung, sehr günstige Einstandspreise anzugeben. Ein
Kunde, der sich jedoch einmal im Konfigurator oder im Telefon-Verkaufssystem befindet, wird ständig dazu angehalten, Upgrades bzw. höher wertige Komponenten zu
bestellen bzw. seine Bestellung um Peripheriegeräte zu erweitern (eine Intensivierung
der Interaktion ist ein klassisches Mittel zur Erhöhung der Zahlungsbereitschaft; siehe
Franke / Piller 2004). Damit steigt der Wert einer Bestellung erheblich – und damit die
Marge des Unternehmens. Dennoch gilt Dell aus Kundensicht als günstiger Anbieter,
da die individuelle Bündelung bzw. Zusammenstellung die Preistransparenz sehr
erschwert. Hintergund dieser Potenziale ist die Besonderheit der individuellen
Interaktion mit jedem einzelnen Abnehmer, die Dell im Vergleich zu einem klassischen Anbieter standardisierter Güter mit seinen Kunden hat.
Die meisten Unternehmen jedoch haben bislang Netzwerkarrangements nur auf der
Beschaffungsseite genutzt. Ihre Kunden dagegen galten und gelten meist als passiver
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Wertempfänger, nicht jedoch als Partner in einem Wertschöpfungsnetzwerk (Grün /
Brunner 2002; Piller 2004; Prahalad / Ramaswamy 2004). Zwar betont die Literatur fast
schon mantra-artig die Bedeutung der Marktorientierung, d. h. dass Unternehmen
die “Stimme der Kunden” als wesentliches Mittel zur Reduktion von marktlichen
Unsicherheiten berücksichtigen müssen (de Brentani 2001; Jaworski / Kohli 1993).
Marktorientierung wird aber in vielen Fällen durch klassische Marktforschung realisiert, um frühzeitig eine breite Marktakzeptanz der Produkte sicherzustellen. Dieses
Vorgehen birgt einerseits das Risiko, dass Unternehmen durch eine Orientierung an
“durchschnittlichen” Kundenbedürfnissen und der Entwicklung eines entsprechenden
Standardproduktes der Heterogenität der Kundenwünsche nicht Rechnung tragen
können. Andererseits vergeben Unternehmen so das Potenzial, Kunden als aktiven
Partner an allen Phasen der Wertschöpfung zu beteiligen – und so die klassischen
Vorteile einer Netzwerkorganisation und Kooperation auch in Bezug auf die
Kundenbeziehungen zu nutzen. Die Kernidee einer solchen Kundenintegration in die
Wertschöpfung ist, dass durch den Einbezug von Abnehmern bzw. Nutzern in ehemals
vom Herstellerunternehmen dominierte Aktivitäten ein Wissenstransfer zwischen den
Akteuren stattfindet, der bei einer klassischen Abwicklung der Leistungserstellung
nicht möglich ist (Reichwald / Piller 2002, 2003; Thomke / von Hippel 2002). Der Zugriff
auf dieses Wissen ermöglicht nun im Herstellerunternehmen eine völlig neue Art der
Organisation der Wertschöpfung, die über die bislang bekannten Formen einer
Netzwerkintegration hinausgeht. Hieraus ergeben sich sowohl Ansatzpunkte für eine
weit reichende Produktdifferenzierung, die gleichermaßen Ausweg aus dem
Preiswettbewerb als auch Antwort auf die zunehmende Individualisierung der
Nachfrage (siehe Abschnitt 2.2.3) ist, als auch Möglichkeit für eine neue Organisation
des Innovationsprozesses.
Genau an dieser Stelle setzt die Idee der interaktiven Wertschöpfung an, die wir im
folgenden Abschnitt näher ausführen wollen. Diese kann auch eine weitere Grenze der
bisherigen Vorstellung einer Organisation betrieblicher Wertschöpfung in Netzwerken
überwinden: Zwar ist die Nutzung des Potenzials unternehmensexterner Wissensquellen und Kapazitäten in Wissenschaft und Wirtschaftspraxis eine allgemein akzeptierte Option zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Üblicherweise finden solche
Kooperationen jedoch innerhalb klarer vertraglicher Vereinbarungen zwischen den
Partnern statt (z. B. in Form von Lieferpartnerschaften oder Entwicklungskooperationen zwischen Unternehmen). Diese stärker institutionalisierten Netzwerkformen
lassen aber das stark verteilte Potenzial individueller Wissensträger, insbesondere von
Anwendern und Endabnehmern der jeweiligen Produkte, als aktive Teilhaber an der
Wertschöpfung meist unberücksichtigt (Huff et al. 2006). Mit dem Internet bestehen
jedoch für Unternehmen neue Möglichkeiten des kostengünstigen und informelleren
Wissensaustauschs mit Individuen und der aktiven Beteiligung vormals anonymer
Kunden an der Wertschöpfung. Durch den Verzicht auf vertragliche Regelungen
zugunsten informellerer Mechanismen, wie bspw. eine Selbstorganisation, können
Transaktionskosten eingespart werden. Dadurch kann der Gedanke der Wertschöpfungspartnerschaft um neue Formen der absatzseitigen Zusammenarbeit und
Arbeitsteilung mit Kunden erweitert werden. Dies ist die dritte Stufe der Evolution der
Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung.
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Neue Formen der Arbeitsteilung
2.4
Interaktive Wertschöpfung – neue Formen der
Arbeitsteilung und des Wissenstransfers
zwischen Anbietern und Kunden
Bei der interaktiven Wertschöpfung handelt es sich um eine bewusste, arbeitsteilige
Zusammenarbeit zwischen Anbieterunternehmen und Kunden im Sinne eines sozialen
Austauschprozesses. Die Besonderheit dabei ist die aktive und freiwillige Rolle des
Kunden in der Wertschöpfung. Der Kunde ist weder rein passiver Empfänger einer
vom Anbieter autonom geleisteten Wertschöpfung noch wird er zwangsweise in die
Wertschöpfung integriert, wie dies die typische Folge von Rationalisierungsbestrebungen ist, die eine Bedienung durch Self-Service-Angebote ersetzen. Aus der vom
Anbieter (Hersteller) dominierten Wertschöpfung wird durch die aktive Rolle der
Kunden eine interaktive Wertschöpfung. Das im Folgenden dargestellte Konzept stellt
einen Bezugsrahmen dar, der verschiedene Theorie-Bausteine und Prinzipien zusammenfügt, die aus der Organisationsforschung sowie dem Innovations-, Technologie- und Produktionsmanagement abgeleitet werden. Interaktive Wertschöpfung ist
nicht universell anwendbar und soll keine bewährten Konzepte ersetzen. Es handelt
sich vielmehr um eine Ergänzung etablierter Instrumente des Innovations- und
Produktionsmanagements. Bezugspunkt der interaktiven Wertschöpfung können alle
Unternehmensaktivitäten sein (Piller 2004). Wir werden uns in diesem Buch auf das
Innovations- und das Produktionsmanagement konzentrieren, dabei aber auch
Anwendungen aus dem Marketing oder After-Sales-Service vorstellen.
Kasten 2–7:
User Innovation in Kite-Surfing: Wenn die Abnehmer die Wertschöpfung
dominieren
(Quelle: Eric von Hippel: Democratizing Innovation, Cambridge, MA: The MIT Press 2005)
Kite-Surfing ist eine der derzeit aufstrebenden Trendsportarten. Der Sport wurde von Surfern initiiert, die – getrieben von dem Wunsch nach immer höheren und weiteren Sprüngen – mit der
Kombination eines Surfboards und eines Segels vom Drachenfliegen experimentierten. Aus diesen anfänglichen Versuchen entwickelte sich in den letzten Jahren eine beachtliche
Nischenindustrie, die inzwischen viele Anhänger hat. Die Kite-Surfing-Industrie ist ein Beispiel
dafür, wie Kunden als Produktentwickler die Regeln industrieller Wertschöpfung ändern können.
Im Kite-Surfing-Bereich tragen sie nicht nur entscheidend zur Entwicklung des Equipments bei,
sondern übernehmen inzwischen auch viele andere Aufgaben, die früher in der Verantwortung professioneller Hersteller gesehen wurden, allen voran die Koordination des Produktionsprozesses.
Diese Hersteller, oft gegründet von Sportlern, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben, bilden
heute eine ca. 100-Millionen-USD-Industrie, die vor allem die Kites (Drachensegel) entwickelt, produziert und vertreibt. Um ein neues Produkt im Kite-Surfing erfolgreich umzusetzen, werden einen
Vielzahl an Fähigkeiten benötigt: Kenntnisse über Materialien und deren Eigenschaften für die
Segel, Kenntnisse über Aerodynamik und Physik für die Formen der Segel, Kenntnisse über
Mechanik für die Seilsysteme etc. Die Hersteller sind bei der Entwicklung neuer Designs in der
Regel auf die Kenntnisse beschränkt, die sie in ihren eigenen Wänden haben, meist kleine
Entwicklungsabteilungen aus 3 bis 5 Mitarbeitern. Das Ergebnis sind eher kontinuierliche
Weiterentwicklungen und Verbesserungen bestehender Designs als radikal neue Entwicklungen.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Die Kunden dagegen haben ein viel größeres Potenzial zur Verfügung und keine Werksgrenzen zu
beachten. Initiiert und koordiniert von einigen begeisterten Kite-Surfern existieren heute eine Reihe
von Internet-Communities, in denen die Mitglieder neue Designs für Drachensegel veröffentlichen
und kommentieren. Mit Hilfe einer Open-Source-Design-Software (eine Art CAD-System) können
die Nutzer auf, zum Beispiel, zeroprestige.org neue Designs für die Kites entwerfen und zum
Download bereitstellen. Anderen Nutzern dienen diese Designs als Ausgangslage für eine
Weiterentwicklung, oder sie bekommen vielleicht die Idee für eine radikale neue Entwicklung. Unter
den vielen hunderten teilnehmenden Nutzern sind vielleicht einige, die in ihrem Berufsleben mit
neuen Materialien arbeiten, andere studieren vielleicht Physik oder sind gar als Strömungstechniker
bei einem Autohersteller tätig. Oft kann diese Gruppe von Kundenentwicklern auf einen viel größeren Pool an Talenten und Fähigkeiten zurückgreifen, als dies einem Hersteller möglich ist. Das
Ergebnis ist eine Vielzahl an neuen Entwicklungen, Tests, Modifikationen und schließlich neuer
Designs für Drachensegel, die allen Mitgliedern der Community zur Verfügung stehen.
Kite-Surfing ist ein besonders spannender Fall, da hier die Kunden als Anwender noch einen
Schritt weiter gehen: Denn was nützt der innovativste neue Entwurf für einen neuen Kite, wenn
dieser nur als Datenfile existiert? Findige Kunden haben herausgefunden, dass an jedem größeren See ein Segelmacher existiert, der CAD-Files verarbeiten kann. Die Kunden können so ein
Design ihrer Wahl runterladen, diesen File zum Segelmacher bringen und dort professionell in ein
Produkt umsetzen lassen. Da dieser Prozess keinerlei Innovationsrisiko und Entwicklungskosten
für den Hersteller beinhaltet, sind die derart hergestellten Drachen oft um mehr als die Hälfte billiger als die Produkte der professionellen Kite-Hersteller, und das bei oft überlegender Leistung. Die
Koordinationsleistung des Produzierens wird dabei ebenfalls von den Anwendern übernommen.
Setzt sich diese Entwicklung fort, ist leicht vorzustellen, dass die Kunden Teile dieser Industrie
“übernehmen” werden. Ihre Motivation ist dabei nicht Profitmaximierung oder die Marktführerschaft, sondern das Streben nach dem bestmöglichen Produkt zur Eigennutzung. Die Anwender,
die sich an diesem Prozess beteiligen, haben verstanden, dass dieses Ziel am besten nicht durch
einen geschlossenen, sondern durch einen offenen Innovationsprozess erreicht werden kann. Ihr
eigenes Engagement ruft Reaktionen und Beiträge anderer hervor und schafft damit einen höheren Mehrwert für alle.
2.4.1 Prinzipien und Eigenschaften der interaktiven
Wertschöpfung
Das Spektrum der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Kunden kann als
Kontinuum aufgefasst werden. Die Extrempunkte dieses Kontinuums bilden der
gänzlich hersteller- bzw. der gänzlich kundendominierte Wertschöpfungsprozess.
Diese Extrempunkte kommen im so genannten “customer-active paradigm” (CAP) in
seiner Gegenüberstellung zum traditionellen “manufacturing-active paradigm”
(MAP) zum Ausdruck (von Hippel 1986). Im CAP dominieren Kunden den
Wertschöpfungsprozess derart, dass sie alle Wertschöpfungsaufgaben vollständig und
autonom leisten. Das MAP entspricht dem klassischen Fall der unternehmensbezogenen, autonomen Wertschöpfung (siehe zu diesem Paradigmenwechsel ausführlich
Abschnitt 3.2.3).
Betrachten wir einige Beispiele entlang dieses Kontinuums:
„ Der in Kasten 2–7 dargestellte Fall von Kundenentwicklungen bei Kite-Surfing ist
ein herausragendes Beispiel für einen Wertschöpfungsprozess, der aus eigener
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Neue Formen der Arbeitsteilung
Motivation und mit eigenen Mitteln von den Kunden bzw. Nutzern aus der Hand
der klassischen Hersteller genommen und in eine neue Organisationsform der
Wertschöpfung überführt wurde. Der Wertschöpfungsprozess wird hier von den
Kunden dominiert. Ein ähnliches Beispiel ist auch das Online-Lexikon Wikipedia,
das ebenfalls ohne einen Anbieter bzw. Hersteller im klassischen Sinne ein hochkomplexes Produkt erstellt, vertreibt und pflegt (siehe Fallstudie in Abschnitt 5.2).
„ Der zu Beginn dieses Kapitels in Kasten 2–1 dargestellte Wertschöpfungsprozess
von Ford mag zwar heute überholt und Geschichte sein. Jedoch entsprechen die
dort dargestellten Prinzipien genau dem Bild des MAP, der allein durch das
Herstellerunternehmen dominiert wird.
„ Das Beispiel Dell (Kasten 2–4) dagegen ist eine Mischform zwischen beiden
Extremen, auch wenn hier die Herstellerdominanz noch recht ausgeprägt ist (Dell
hat sich zudem mit zunehmender Unternehmensgröße immer mehr vom originären Netzwerkmodell weg entwickelt). Jedoch können die Kunden anders als im
klassischen tayloristischen Modell in die Wertschöpfungskette eingreifen und
zumindest Konfigurationsmöglichkeiten selbst nutzen.
„ Eine wirklich kooperative Organisationsform finden wir dagegen in unserem
ersten Beispiel Threadless (Kasten 1–1). Threadless stellt eine Wertschöpfungsplattform zur Verfügung, auf der die Kunden dann weit reichende Freiheiten und
Gestaltungsmöglichkeiten haben. Auch wenn der Anbieter auf den ersten Blick als
der Profiteur des Modells scheint (schließlich partizipiert allein Threadless an den
Umsätzen durch den Verkauf von T-Shirts, die durch die Nutzer gestaltet und ausgewählt wurden), so zeigen Interviews mit den teilnehmenden Kunden jedoch,
dass diese ihre Mitarbeit nicht als kostenlose “Arbeit” für das Unternehmen interpretieren, sondern vielmehr durch vielschichtige Anreize belohnt werden (Ogawa /
Piller 2005, 2006). Diese Anreize reichen von einem Honorar von 1000 $ für die
Gewinner des Designwettbewerbs bis zu Anerkennung, Aufmerksamkeit
(Selbstmarketing) oder Freude am sozialen Austausch in der Community.
Begriffsbestimmung
Unser Konzept der interaktiven Wertschöpfung geht von einem kooperativen Prozess
aus. Zwischen den Extremen einer gänzlich hersteller- bzw. kundendominierten
Wertschöpfung ergeben sich zahlreiche Varianten einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Kunde in den unterschiedlichen Phasen des
Wertschöpfungsprozesses. Bezugspunkt der Zusammenarbeit können dabei sowohl
operative Aktivitäten innerhalb eines gegebenen Lösungsraums als auch Tätigkeiten
im Bereich der Produkt- und Prozessentwicklung (Innovation) sein. Sowohl
Unternehmen als auch Kunden können dabei die interaktive Wertschöpfung initiieren. Im ersten Fall signalisiert das Unternehmen durch Bereitstellung von Ressourcen
und Infrastruktur seine Empfangsbereitschaft für Kundenbeiträge zur Wertschöpfung,
die sich dann von Beginn an als eine kooperative Zusammenarbeit gestaltet. Im zweiten Fall leisten Kunden Wertschöpfungsaktivitäten zunächst autonom, willigen in
der Folge aber in eine Zusammenarbeit mit und Verwertung durch ein Unternehmen
ein.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Interaktive Wertschöpfung beschreibt einen Prozess der kooperativen (und freiwilligen)
Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Kunde (Nutzer) zwischen den Extremen einer gänzlich hersteller- bzw. gänzlich kundendominierten Wertschöpfung. Die Zusammenarbeit kann
sich sowohl auf operative Aktivitäten als auch auf eine Produkt- und Prozessentwicklung beziehen. Der interaktive Wertschöpfungsprozess wird dabei entweder durch das Unternehmen oder
durch den Kunden initiiert.
Prinzipien interaktiver Wertschöpfung
Bevor wir im Verlauf der folgenden Abschnitte unter Bezugnahme auf diverse
Theorien und Konzepte detailliert die einzelnen Prinzipien und Eigenschaften der
interaktiven Wertschöpfung genauer untersuchen, soll einleitend eine erste Übersicht
und Kurzdefinition einzelner Prinzipien für ein Grundverständnis sorgen. Abbildung
26 zeigt dabei den Bezugsrahmen der Argumentation.
Abbildung 2–6: Das Modell der interaktiven Wertschöpfung
Anbieterunternehmen als Gestalter
der Wertschöpfung
Kunden / Nutzer als
Wertschöpfungspartner
Konzeptentwicklung
Prototyp
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Fertigung
Montage
Vertrieb
After Sales
Wertschöpfungsphasen
Begrenztheit des Lösungsraums
Produkt/Markttest
Markteinführung
Interaktionsfeld
Grad der Kundenintegration
Ideengenerierung
Open Innovation
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Produktindividualisierung
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Gestaltungsraum
Prinzipien interaktiver Wertschöpfung:
1)
Freiwilliger Interaktionsprozess zwischen Anbieterunternehmen
und Kunden mit Ziel gemeinsamer Problemlösung und sozialer
Austausch
2)
Gemeinsamer Problemlösungsprozess ist durch gegenseitigen
Transfer von lokalem Wissen charakterisiert
3)
Wissenstransfer vom Kunden zum Anbieter durch
Kundenintegration in die Wertschöpfung
4)
Nach der Wertschöpfungsphase, in der die Kundenintegration
erfolgt, werden zwei Formen der interaktiven Wertschöpfung
unterschieden: Open Innovation und Produktindividualisierung
5)
Diese Formen der interaktiven Wertschöpfung beschreiben
auch die Grenzen des Lösungsraums; Lösungsraum erweitern
(Open Innovation) vs. Konkretisieren
(Produktindividualisierung)
6)
Interaktive Wertschöpfung bildet eine neue Form der
Arbeitsteilung auf Basis von Granularität (MikroSpezialisierung), Selbstselektion und -koordination
7)
Bedingung eines angemessenen Kundennutzens durch
Bedürfnisbefriedigung, extrinsische Entlohnung und
intrinsische Anreize
8)
Nutzen für Unternehmen sind neue Potentiale zur effizienten
Differenzierung im Wettbewerbs durch individualisierte
und/oder innovative Produkte
9)
Interaktive Wertschöpfung verlangt Kompetenzen sowohl auf
Seiten der Kunden als auch der Anbieter
10) Grenzen der interaktiven Wertschöpfung: Trade-off zw.
Aufgabenteilung und internen Transaktionskosten
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Neue Formen der Arbeitsteilung
(1) Grundlage der interaktiven Wertschöpfung ist ein freiwilliger Interaktionsprozess
zwischen Unternehmen und Kunden, der sowohl gemeinsamer Problemlösungsprozess als auch sozialer Austauschprozess ist. Interaktion heißt dabei (Backhaus
1990), dass zwei oder mehr Akteure (in unserem Fall ein/mehrere Anbieterunternehmen und ein/mehrere Kunden bzw. Nutzer) miteinander in Kontakt treten. Die
Handlungen der Interaktionspartner sind dabei interdependent und sinngemäß aufeinander ausgerichtet. Es kommt zu einer Abfolge verbaler und/oder nicht-verbaler
Aktionen und Reaktionen zwischen den Akteuren. Der Austausch zwischen den
Akteuren kommt aber nur dann erfolgreich und dauerhaft zustande, wenn die
Interaktion für alle Beteiligten Nutzen stiftet und nicht zu hohe Kosten verursacht.
(2) Inhalt der Interaktion ist ein gemeinsamer Problemlösungsprozess im Kontext der
betrieblichen Wertschöpfungsaufgaben, in welchem die Akteure materielle und immaterielle Ressourcen zur Lösung der Problemstellung austauschen. Dabei dominiert vor
allem der gegenseitige Zugriff auf lokales Wissen der Partner.
(3) Der Transfer von lokalem Wissen aus der Domäne der Kunden basiert auf dem
Prinzip der Kundenintegration. Die Kunden nehmen an Aktivitäten teil, die zuvor
allein in der Domäne des Anbieters gesehen wurden.
(4) Gemäß den Wertschöpfungsphasen, in die Kunden integriert werden (Ort und
Grad der Kundenintegration), können zwei grundlegende Formen der interaktiven
Wertschöpfung unterschieden werden:
„ Open Innovation bezeichnet jene Aktivitäten zwischen Herstellerunternehmen
und Kunden, die sich auf den Innovationsprozess beziehen und so auf die
Entwicklung neuer Produkte für einen größeren Abnehmerkreis abzielen.
„ Produktindividualisierung (Mass Customization) ist hingegen die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Kunden, die sich auf Wertschöpfungsaktivitäten im operativen Produktionsprozess bezieht und auf die Entwicklung
eines individualisierten Produktes für einen Abnehmer abzielt.
(5) Diese Formen beschreiben auch die Grenzen des Lösungsraums. Der Lösungsraum
ist die Gesamtheit aller Problemlösungen, die ein Unternehmen auf Basis vorhandener
Produktarchitekturen und darauf abgestimmter Fertigungs- und Vertriebsprozesse
gegenwärtig anbieten kann. Bei der Produktindividualisierung stehen die Kunden
einem begrenzten bzw. geschlossenen Lösungsraum gegenüber, den sie im Hinblick
auf ein individuelles Produkt konkretisieren. Open Innovation dagegen bezieht sich
auf einen offenen Lösungsraum, den die Kunden erweitern bzw. modifizieren.
(6) Kundenintegration und die kooperative Arbeit an gemeinsamen Aktivitäten ist eine
neue Form der Arbeitsteilung zwischen Anbietern und Kunden, die auch eigener
Organisations- und Koordinationsmechanismen bedarf. Ein wesentliches Organisationsprinzip ist die Bildung von Teilaufgaben, die sich an den Transferkosten bzw.
der Lokalität (Impliziertheit) des benötigten Wissens orientiert. Resultat soll eine möglichst “modulare” bzw. “granulare” Aufgabenstruktur sein, die es einer großen und
heterogenen Kundengruppe ermöglicht, auf Basis jeweiliger Neigungen und
Fähigkeiten selbst eine geeignete Teilaufgabe zu wählen. Hierarchische Aufgaben45
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
zuteilungen (wie auch bei der klassischen Selbstbedienung) werden durch eine
Selbstselektion ersetzt.
(7) Eine erfolgreiche interaktive Wertschöpfung muss einen angemessenen Kundennutzen in Aussicht stellen. Kunden transferieren häufig Eigentums- und Verfügungsrechte an ihrem Wissen ohne unmittelbare monetäre Gegenleistung zu einem
Hersteller, da sie sich dadurch einen extrinsischen Nutzen der Produktverwendung
versprechen, der sich durch Weitergabe ihres Wissens ggf. erhöht. Allerdings ist teilweise auch eine monetäre Entlohnung der Kunden vorteilhaft. Hinzu tritt oftmals ein
intrinsischer Nutzen, der sich am Interaktionserlebnis des Kunden festmacht.
(8) Den Nutzen für das Unternehmen bilden die Potenziale für eine effiziente
Differenzierungspolitik durch individualisierte und/oder innovative Leistungsangebote als Wettbewerbsstrategie (siehe Abschnitt 2.2.3 und 2.3.3) Interaktive
Wertschöpfung bietet einen Zugang zu Marktinformationen, den eine klassische
Marktforschung nicht realisieren kann. Die Folge sind höhere Marktakzeptanz, ein
geringeres Floprisiko neuer Produkte (“fit-to-market”) und weitere Möglichkeiten zur
Differenzierung und Kundenbindung.
(9) Sowohl der Anbieter als auch der Kunde benötigen neue Kompetenzen zur
Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben. Auf Seiten der Kunden muss die Bereitschaft und
Fähigkeit vorhanden sein, Beiträge zu dem kooperativen Wertschöpfungsprozess zu
leisten (“Lead User”-Eigenschaften). Vor allem aber müssen Unternehmen, die die
Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung nutzen wollen, Interaktionskompetenzen
aufbauen, die die technische und vor allem organisatorische Plattform der arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung darstellen. Sie konkretisieren sich in interaktionsförderlichen
Organisations-, Kommunikations- und Anreizstrukturen.
(10) Eine interaktive Wertschöpfung hat auch Grenzen, da ein Trade-off zwischen
einer zunehmenden Granularität der Aufgabenteilung einerseits und den daraus resultierenden internen Koordinationskosten andererseits besteht. Je besser sich eine
Wertschöpfungsaufgabe für eine sehr feingliedrige Aufteilung eignet, desto leichter
kann ein größerer Aufgabenumfang an Kunden zu vergleichsweise geringen
Produktions- und externen Transaktionskosten externalisiert werden. Allerdings
bedarf es der innerbetrieblichen Koordination und Integration der einzelnen
Wertschöpfungsbeiträge, was bei einer feingliedrigen Aufgabenteilung hohe interne
Kosten verursacht.
Abgrenzung zu anderen Konzepten der Kundenintegration und Co-Produktion
An dieser Stelle scheint eine kurze Abgrenzung dieser Prinzipien mit der bestehenden
Literatur zu Kundenintegration und Co-Creation angebracht, die wir bereits zu Beginn
der Einleitung in Kapitel 1 angeführt haben. Die Abgrenzung zu klassischen Formen
von Prosumerismus und Selbstbedienung (“erzwungene” Kundenintegration) ist
durch die Freiwilligkeit der Integration und die Betonung sozialer (reziproker)
Austauschprozesse in unserem Konzept schnell deutlich (hier liegt auch eine wesentliche Antwort auf die Kritik von Voß und Krieger (2005) am “arbeitenden Kunden”).
Wir teilen die Sichtweise Kleinaltenkamps Schule der Kundenintegration (z. B.
Kleinaltenkamp 1997a), dass eine interaktive Wertschöpfung mit den bestehenden
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Vorstellungen der Produktions- und Kostentheorie bricht, da sie “(…) speziell im
Gegensatz zum Gutenbergschen Paradigma explizit die Tatsache berücksichtigt, dass
Nachfrager via externer Faktoren auf die Leistungserstellungsprozesse von Anbietern
einwirken und dass einzelbetriebliche Wertschöpfungsprozesse nicht an den Unternehmensgrenzen enden” (Kleinaltenkamp 1997a: 108). Unser Fokus ist allerdings
nicht die Entwicklung einer “Leistungslehre (…), welche die logisch nichthaltbare
Trennung von Sach- und Dienstleistungen aufgibt” (ebd.), sondern die Untersuchung
von Organisations- und Koordinationsprinzipien kooperativer Formen der
Wertschöpfung. Daraus folgt auch eine stärkere Betrachtung der Sichtweise der
Kunden.
Grün und Brunner (2003) definieren ihr Modell der Co-Produktion als eine
Weiterentwicklung der traditionellen Selbstbedienung zu einem integrierten
Management-Konzept. Ihre Vorstellung von Co-Produktion geht aber von einem
Hersteller aus, der explizit Aktivitäten auf seine Kunden verlagert. Jedoch betonen
auch Grün und Brunner die zentrale Rolle der Kooperation, “d. h. Produzent und
Prosumer müssen trotz möglicher divergierender Interessen zusammenarbeiten, um
das Produkt zu erstellen” (Grün / Brunner 2003: 87). Sie beziehen sich dabei aber weitgehend auf operative (Produktions-) Prozesse und behandeln den Bereich der
Innovation nur sehr knapp (siehe ähnlich Prahald und Ramaswamys (2000, 2004)
Konzept der Value Co-Creation).
Dies ist die Domäne der Forschungsarbeiten von von Hippel und seiner Co-Autoren.
Diese Arbeiten gehen jedoch originär von einem autonomen Nutzer aus, der ohne
Interaktion mit einem Unternehmen neue Lösungen zur Eigennutzung entwickelt (so
die Vorstellung des klassischen “Lead Users” nach von Hippel 1986; Urban / von
Hippel 1988). Das Konzept so genannter “Toolkits for User Innovation” nach Thomke
und von Hippel (2002) ist dagegen deckungsgleich mit unserem Verständnis (siehe
Abschnitt 3.5.2), da es auf einem expliziten Kooperations- und Interaktionsprozess
zwischen Hersteller und Kunde beruht. Dies ist auch der Hauptgedanke von Normann
und Ramirez (1993, 1998) sowie Wikström (1996a), auf deren Ideen von Interaktivität
und gemeinsamen Wertschöpfungsaktivitäten, wir uns beziehen. Die rasante
Weiterentwicklung im Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien hat jedoch eine Vielzahl an Organisations- und Koordinationsformen
ermöglicht, die zum Entstehungspunkt der Arbeiten von Norman, Ramirez und
Wikström noch nicht effizient möglich waren.
2.4.2 Kundenintegration und Lösungsraum
Für eine nähere Beschreibung der interaktiven Wertschöpfung ist es zunächst hilfreich,
das Prinzip der Kundenintegration näher zu beleuchten. Dieses knüpft an den
Gedanken der “Customer Integration” nach Werner Engelhardt und Michael
Kleinaltenkamp an und erweitert die klassische Produktions- und Kostentheorie (z. B.
Engelhardt / Freiling 1995; Kleinaltenkamp 1996, 1997a, 1997b, 2002). In einem engeren
Begriffsverständnis dient der Begriff Kundenintegration zur Beschreibung der
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Aktivitäten, die zur Erstellung einer Leistung mit Dienstleistungscharakter notwenig
sind. Danach unterscheidet sich der Leistungs- und Faktorkombinationsprozess von
Sach- und Dienstleistungen nach dem Ausmaß der Kundenintegration (Engelhardt /
Kleinaltenkamp / Reckenfelderbäumer 1993; siehe auch ähnlich Bitner et al. 1997;
Bowen 1986; Langeard et al. 1981).
Kundenintegration als Konzept der Dienstleistungsproduktion
Grundlage ist die Vorstellung einer zweistufigen Struktur des Wertschöpfungsprozesses, wie sie in Abbildung 2–7 dargestellt ist. Auf der ersten Wertschöpfungsebene der Vorkombination muss der Hersteller interne Produktionsfaktoren kombinieren und baut so autonom ein Leistungspotenzial auf (Kleinaltenkamp / Haase 2000).
Eine zweite Stufe, die dieses Potenzial nutzt und die eigentliche aus Kundensicht
wahrgenommene Leistung erstellt, kann aber nicht ohne Integration des so genannten
externen Faktors stattfinden. Externe Faktoren sind nach Kleinaltenkamp (1997a) der
Kunde als Person sowie vor allem Bedürfnisinformationen des Kunden. Ergänzende
externe Faktoren können (physische) Ressourcen des Kunden sein, die für die
Aufbereitung der Bedürfnisinformation notwendig sind, z. B. Material oder Software
oder ein Computer und Internetzugang. Ein externer Faktor wird temporär dem
Leistungsersteller zur Verfügung gestellt und von diesem zusammen mit internen
Produktionsfaktoren im Produktionsprozess kombiniert (Engelhardt / Kleinaltenkamp
/ Reckenfelderbäumer 1993: 301).
Abbildung 2–7: Kundenintegration zur Produktion von Dienstleistungen und individuellen
Produkten (in Anlehnung an Hildebrand 1997: 33)
Interne
Faktoren
Bereitstellungsleistung
(Vorkombination)
Autonome Disposition
des Unternehmens
Leistungspotenzial
Interne
Faktoren
Leistungserstellungsprozess
(Endkombination)
Leistungsergebnis
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Externe Faktoren
(Integration des
Kunden)
Integrative Disposition
des Unternehmens
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Dieses Prinzip der Kundenintegration gilt nicht nur für reine Dienstleistungen, sondern ist insbesondere auch im Kontext des Lösungsgeschäfts in der Investitionsgüterindustrie die Regel (Engelhardt / Freiling 1995; Fließ 2001; Jacob 2003; Kleinaltenkamp / Marra 1995). Hier werden meist kundenindividuelle Problemlösungen nachgefragt, die neben Sachgütern immer auch Dienstleistungsanteile haben, bzw. Produkte,
die in Dienstleistungen eingebettet sind. Der Versuch einer strikten Trennung von
Produkt und Dienstleistung ist somit nicht sinnvoll (Normann / Ramirez 1993). Wann
immer die am Markt verfügbaren, standardisierten Leistungen nicht ausreichen, werden Kunden in die Wertschöpfung integriert, um eine kundenspezifische Leistung zu
generieren (in diesem Sinne ist jede Dienstleistung eine individuelle Leistung).
Lösungsraum zur Bestimmung von Art und Grad der Kundenintegration
Im Rahmen unserer Konzeption der interaktiven Wertschöpfung greifen wir diese
Sichtweise auf. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei aber der Integration von
Informationen und Kundenwissen, das Aktivitäten entstammt, die klassischerweise
in der Domäne des Anbieterunternehmens gesehen wurden. Wie wir noch ausführlich
in Abschnitt 2.4.3.1 ausführen können, kann diese Information sich nicht nur auf
Bedürfnisse des Kunden beziehen, sondern auch Information über Möglichkeiten zur
Lösung dieses Bedürfnisses enthalten.
Kundenintegration bezeichnet die Kombination von Informationen und Wissen aus der
Domäne des Kunden mit internen Faktoren des Anbieterunternehmens als Voraussetzung der
Leistungserstellung.
Zur Unterscheidung verschiedener Arten der Kundenintegration hilft das Konzept des
Lösungsraums (“Solution space”). Nach von Hippel (2001: 250) ist ein “[solution
space] the pre-existing capability and degrees of freedom built into a given manufacturer’s production system”. Dies entspricht in der produktionstheoretischen Auffassung von Kleinaltenkamp et al. dem Leistungspotenzial als Bereitstellung von
Potenzialfaktoren. Die flexible Kombinierbarkeit der Potenzialfaktoren bieten Freiheitsgrade in der Wertschöpfung, die dem Unternehmen das Angebot eines gewissen Leistungsspektrums ermöglicht. Allerdings sind dieser Kombinierbarkeit gewisse Grenzen
gesetzt, die aus dem Stand der vorhandenen Technologien und der Leistungsfähigkeit
der Potenzialfaktoren (z. B. Maschinenpark, Software-Infrastruktur, Produktarchitekturen, Personalkapazitäten, Distributionssystem) folgen.
Der Lösungsraum ist die Gesamtheit aller Problemlösungen, die ein Unternehmen auf Basis
stabiler Produktarchitekturen und darauf abgestimmter Fertigungstechnologien und -prozesse
gegenwärtig herstellen und anbieten kann.
Ziel der tayloristischen Wertschöpfungsprinzipien (Abschnitt 2.2) ist die weitestgehende Stabilität eines einmal definierten Lösungsraums. Stabilität führt damit auch
zwangsläufig zu einer Begrenztheit des Lösungsraums und damit des entsprechenden
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Leistungsspektrums, das ein Unternehmen gegenwärtig kosteneffizient und mit wirtschaftlich angemessenem Aufwand herstellen und anbieten kann. Im Massenproduktionssystem von Ford und vielen anderen Unternehmen war dieses Leistungsspektrum
eng begrenzt und lange Zeit unverändert. Kundenintegration findet in einem solchen
Fall nicht statt. Im Beispiel von Dell wurde der Lösungsraum erweitert (Kasten 2–4).
Er ist zum einen durch die Umsetzung der Prinzipien der Netzwerkökonomie deutlich
flexibler und wandlungsfähiger. Zum anderen ist er aber auch offener und weniger
begrenzt und ermöglichte einen Einbezug der Kunden in die Konkretisierung (Konfiguration) ihrer Wunschleistungen.
Ein Anbieter kann den Lösungsraum durch Innovationstätigkeiten erweitern bzw.
modifizieren. Eine Produktentwicklung schafft neue Produktarchitekturen und damit
neue technische Möglichkeiten zur Befriedigung neuer Kundenbedürfnisse. Eine
Prozessinnovation ermöglicht z. B. die effizientere oder qualitativ hochwertigere Befriedigung der Kundenbedürfnisse. Eine Kundenintegration kann auch auf dieser
Ebene der Erweiterung bzw. Modifikation des Lösungsraumes ansetzen. Ein Kunde
bzw. Nutzer kann einem Anbieter im Rahmen des Interaktionsprozesses Informationen über neue Bedürfnisse, aber auch Lösungsansätze zur Befriedigung dieser
Bedürfnisse übermitteln. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Anbieter seinen
Lösungsraum entsprechend offen gestaltet hat. Betrachten Sie noch einmal Abbildung
2–6. Dort zeigt sich, dass die Begrenztheit des Lösungsraums und der (mögliche) Grad
der Kundenintegration genau gegenläufig sind.
Zur Differenzierung verschiedener Formen der interaktiven Wertschöpfung kann
genau dieses Kontinuum beitragen. Die Begrenztheit des Lösungsraums bildet in diesem Sinne das Abgrenzungskriterium der zwei wesentlichen Objektbereiche der interaktiven Wertschöpfung, die wir in diesem Buch primär betrachten wollen (siehe auch
Abbildung 2–8):
„ Bei der Produktindividualisierung (Mass Customization) stehen die Kunden
einem begrenzten bzw. geschlossenem Lösungsraum gegenüber. Die Zusammenarbeit zwischen Anbieter und Kunde bezieht sich auf Wertschöpfungsaktivitäten
im operativen Produktionsprozess und auf die Konkretisierung eines individualisierten Produktes für einen Abnehmer.
„ Open Innovation dagegen bezieht sich auf einen offenen Lösungsraum, den die Kunden erweitern bzw. modifizieren. Damit geht es um Aktivitäten zwischen Herstellerunternehmen und Kunden, die sich auf den Innovationsprozess beziehen und
so auf die Entwicklung neuer Produkte für einen größeren Abnehmerkreis abzielen.
In beiden Fällen gibt es wiederum Abstufungen der Intensität der Kundenintegration,
je nachdem auf welcher Stufe des Innovationsprozesses die Kunden gemeinsam mit
den Herstellern aktiv werden bzw. auf welcher Stufe der operativen Prozesse eine
Produktindividualisierung ansetzt (siehe die Untergliederung in Abbildung 2–6).
Diese verschiedenen Optionen werden ausführlich in Teil 3 und 4 diskutiert. Der
Lösungsraum bildet in der interaktiven Wertschöpfung darüber hinaus auch die
Grundlage für die Kommunikation der Problemlösungsfähigkeit eines Anbieters für
ein konkretes Kundenbedürfnis:
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Abbildung 2–8: Ebenen der interaktiven Wertschöpfung
Interne (Infrastruktur-)
Ressourcen;
Lösungsinformation
Interaktiver
Leistungsentwicklungsprozess
Externe Ressourcen:
Bedürfnisinformation
und Lösungsinformation
Innovatives
Produkt
Innovationsmanagement
Erweiterung
Interaktive Wertschöpfung im
Sinne von Open Innovation
Lösungsraum
Produktionsmanagement und
Vertriebsmanagement
Interne
Produktionsfaktoren;
Lösungsinformation
Konkretisierung
Interaktiver
Leistungserstellungsprozess
Individualisiertes
Produkt
Externe Ressourcen:
Bedürfnisinformation
Interaktive Wertschöpfung im Sinne
von Produktindividualisierung
Ein offener Lösungsraum bedeutet für den Kunden, dass diese als gleichberechtigte
Partner im interaktiven Wertschöpfungsprozess in die Lage versetzt sind, völlig neuartige Lösungen im Sinne echter Innovationen Zustande zu bringen.
Ein begrenzter Lösungsraum erlaubt dem Kunden lediglich eine Konkretisierung im Sinne
einer Produktindividualisierung (z. B. durch ein Produktkonfigurationssystem) – oder aber
im Falle starker Begrenztheit und hoher Stabilität lediglich die Auswahl aus Standardprodukten (im letztern Falle wollen wir nicht mehr von Kundenintegration sprechen).
Ein Beispiel zur Gestaltung und Nutzung des Lösungsraums
Abschließend kann ein weiteres Beispiel der “T-Shirt Economy” das Prinzip der Kundenintegration und des Lösungsraums gut erläutern. Kasten 2–8 schildert die spannende
Geschichte des Leipziger Unternehmens Spreadshirt, dessen Geschäftsprinzip vollkommen auf Kundenintegration beruht. Kundenintegration findet hier zunächst im Rahmen der
Produktindividualisierung statt, indem Kunden eigene individuelle Designs gestalten können, die dann vom Anbieter produziert werden. Das in der Fallstudie beschriebenen Prinzip
des Micro-Merchandising erweitert allerdings die Kundenintegration auch in Tätigkeiten
von Marketing und Vertrieb. Auch hier übernehmen die Kunden typische Aufgaben, die
traditionell in der Domäne eines Anbieters gesehen wurden, wie Markterschließung,
Sortimentspolitik, Werbung und Kundenpflege. Distribution und Fakturierung werden
dagegen von Spreadshirt übernommen. Der Lösungsraum ist allerdings begrenzt. So können die Kunden nur jene Grundprodukte anbieten, die auch im Sortiment von Spreadshirt
enthalten sind. Auch müssen technische Vorgaben bei der Motiverstellung eingehalten werden, die mit dem Produktionssystem von Spreadshirt übereinstimmen. Der Lösungsraum
und Grad der Kundenintegration ist aber deutlich weiter als im Fall von Dell, der ebenfalls
auf einer Kundenintegration im Rahmen der Produktindividualisierung beruht.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Kasten 2–8:
Spreadshirt: Rasantes Wachstum durch Interaktive Wertschöpfung
(Quellen: Verschiedene Postings von Jochen Krisch in seinem sehr lesenswerten Blog ‘Exciting ECommerce’ [www.excitingcommerce.com] zwischen Oktober 2005 und Januar 2006;
Pressemappe des Unternehmens)
Spreadshirt verkauft individuelle T-Shirts und andere Bekleidungsprodukte. Diese können von
jedem einzelnen Kunden selbst gestaltet werden, entweder mit einem eigenen Graphikprogramm
auf dem heimischen PC oder aber durch ein einfaches Mal-Programm im Internet. Anders als bei
Threadless (siehe Kasten 1–1) wird allerdings auf Wunsch jeder Kundenentwurf gefertigt. Das
Unternehmen hat dazu ein hochflexibles Produktionssystem aufgebaut, das per Digitaldruck eine
effiziente Einzelfertigung möglich macht. Eine weitere Besonderheit ist, dass jeder Kunde nicht nur
ein eigenes T-Shirt gestalten und produzieren lassen kann, sondern dieses auch via Spreadshirts
Online-Shoppingsystem an andere Kunden weiterverkaufen kann. Mit wenigen Mausklicks kann
sich jeder Kunde einen eigenen Online-Shop eröffnen und selbst zum Anbieter werden.
Spreadshirt produziert und vertreibt die Waren und kassiert eine Provision (“Micro-Merchandising”
hat das Unternehmen dieses Vertriebssystem getauft). Durch die flexible Einzelfertigung ist dieses
System sowohl für Kunden-Anbieter als auch für Spreadshirt ohne Absatzrisiko.
Durch seine vielen kleinen Minishops in seiner Bedeutung weithin unterschätzt, expandiert Spreadshirt
gerade weltweit. Spreadshirt ist heute der europäische Marktführer unter den T-Shirt-Händlern im
Internet (T-Shirts sind eines der erfolgreichsten E-Commerce-Produkte überhaupt). Seit einem Jahr
baut Spreadshirt sein internationales Geschäft stark aus und ist inzwischen auch in den USA vertreten.
Erste Achtungserfolge konnten die Leipziger dort schon erzielen. So betreibt seit September die populäre US-Bloggingseite BoingBoing einen Merchandise-Shop bei Spreadshirt. Im Unterschied zu anderen Händlern und Herstellern bekommen Spreadshirt-Produkte ihren Feinschliff jeweils erst vor Ort.
Jedes Shirt wird “on demand” im Zielland produziert und erst von dort aus verschickt. So können deutsche Nutzer nach ausgefallenen Motiven in britischen, spanischen oder polnischen Spreadshirt-Shops
stöbern und sich die Shirts, Taschen und Sticker dann aus Leipzig zuschicken lassen.
Da das Unternehmen seine Produkte quasi auf Zuruf vor Ort produziert, fallen bei Spreadshirt keine internationalen Versandkosten an. Bestellungen deutscher BoingBoing-Fans werden zum Beispiel von
Deutschland aus verschickt. Auch darin sieht Spreadshirt einen Vorteil seiner globalen Expansionsstrategie mit lokaler Präsenz. Vom Direktvertriebsmodell von Spreadshirt profitieren die Kunden ebenso
wie die lokalen Designer. Letztere partizipieren direkt an den Verkaufserlösen. Wie stark, das bestimmen
sie über den frei wählbaren Verkaufspreis selbst. Über 100.000 Partnershops betreibt Spreadshirt inzwischen auf seiner Plattform und übernimmt von der Produktion über den Versand bis hin zur Zahlungsabwicklung alles für seine Handelspartner. Die Partner bekommen eine selbst festgelegte Provision auf
alle Artikel, die sie verkaufen. Spreadshirt gewinnt eigenen Angaben zufolge jede Woche 1.000 neue
Shoppartner hinzu. Jeden Monat kann die Plattform 10.000 neu designte Produkte anbieten. Auch wenn
sich mittlerweile 220 Mitarbeiter um die Abwicklung kümmern, ist diese Produktvielfalt nur möglich, da die
Kunden aktiv an der Wertschöpfung beteiligt sind. Gefragt ist vor allem die Kreativität beim Design der
Motive und das Verkaufstalent der Kunden, um die selbst kreierten “Designerstücke” auch optimal zu vermarkten. Doch Spreadshirt zieht seine Kunden inzwischen auch weiter in die Wertschöpfung ein. So
sucht das Unternehmen im Januar 2006 in einem offenen Design- und Auswahlprozess ein neues
Firmenlogo. Die Logo-Aktion ist eine von mehreren Initiativen, mit denen Spreadshirt die DesignCommunity stärker aktivieren und an sich binden will. Erst kürzlich hat Spreadshirt zusammen mit dem
London Design Festival die besten Shirt-Designer gesucht und ausgezeichnet.
Auszug aus einem Interview mit Spreadshirt-Gründer Lukasz Gadowski
Frage: In der New-Economy-Phase hatten die meisten Unternehmer [oft] zu viel Fantasie, mit den
bekannten schädlichen Folgen für ihre Firmen.
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Neue Formen der Arbeitsteilung
Die Erwartungen, die insbesondere E-Commerce vor Jahren ausgelöst hat, waren sicherlich
übertrieben. Doch ich bin mir nach meinen Erlebnissen der letzten Jahre sicher, dass es noch
etwas Schlimmeres als zu viel Fantasie gibt: nämlich zu wenig Fantasie. Das trifft ja besonders
die Unternehmen mit neuen Ideen – zu denen ich natürlich auch Spreadshirt zähle – gerade in
ihrer kritischsten Phase, in der sie sich nach Unterstützung umsehen. Was Matthias (Anm.:
Matthias Spieß, Mitgründer von Spreadshirt) und ich uns an unqualifizierter Kritik anhören mussten und welche Zeitverschwendung es war, Investoren von unserem Geschäftsmodell überzeugen zu wollen. Die haben ja gar nicht richtig zugehört. Schon mit dem Wort “E-Commerce”
war es meistens vorbei. Ich habe nie begriffen, wieso diese Leute nicht wenigstens versucht
haben, einmal unvoreingenommen und aus einer Art antizyklischen Perspektive an die Sache
zu gehen.
Die Investoren konnten Sie nicht überzeugen. Wie haben Sie aber genau dies bei Ihren Kunden
geschafft?
Durch hohen Kundennutzen. Bei uns hat man sein Wunschshirt schon nach 2-3 Tagen in den
Händen, und das bei hoher Druckqualität und ohne jegliche Mindestabnahme! Verglichen mit dem
herkömmlichen Prozedere von Siebdruck mit Vorlaufzeiten von 2-3 Wochen sowie Mindestabnahmen von 30 oder gar 50 Stück ist das schon ein gewaltiger Quantensprung! Weiter
ermöglicht das Spreadshirt-Angebot allen Homepage-Besitzern vom Privatmann bis zum
Großunternehmen, über ihre Website eigene Merchandising-Artikel zu vertreiben und so ohne
Aufwand und Kosten zusätzliche Gewinne zu machen. Ich glaube, dass dieses “Rundum-SorglosPaket” ein entscheidender Erfolgsfaktor für uns ist. Letztendlich trifft der Kunde alle kreativen
Entscheidungen, wird aber gleichzeitig nicht mit der Produktion, dem Versand, dem Kundenservice
usw. belastet.
Kasten 2–9:
Literaturempfehlungen zu grundlegenden Schriften zur Kundenintegration
„ Bowen, David (1986). Managing customers as human resources in service organizations.
Human Resource Management, 25 (1986) 3 (Fall): 371-383.
„ Engelhardt, Werner / Freiling, Jörg (1995). Die integrative Gestaltung von Leistungspotentialen. Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf), 47 (1995) 10: 899-918.
„ Fließ, Sabine (2001). Die Steuerung von Kundenintegrationsprozessen: Effizienz in Dienstleistungsunternehmen. Wiesbaden: Gabler 2001.
„ Jacob, Frank (2003). Kundenintegrations-Kompetenz: Konzeptionalisierung, Operationalisierung und Erfolgswirkung. Marketing-Zeitschrift für Forschung und Praxis, 25 (2003) 2: 8398.
„ Kleinaltenkamp, Michael (1996). Customer Integration – Kundenintegration als Leitbild für das
Business-to-Business-Marketing. in: Michael Kleinaltenkamp / Sabine Fließ / Frank Jacob
(Hg.): Customer Integration: Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration, Wiesbaden:
Gabler 1996: 13-24.
„ Reichwald, Ralf / Piller, Frank T. (2002). Der Kunde als Wertschöpfungspartner. In: Horst Albach et al. (Hg.): Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz, Wiesbaden: Gabler 2002:
27-52.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
2.4.3 Arbeitsteilung und Organisation in der interaktiven
Wertschöpfung
2.4.3.1 Arbeitsteilung und Nutzen
Üblicherweise sind die Rollen und Funktionen, die Anbieter und Kunden in der Wertschöpfung einnehmen, klar verteilt. Diese Unterscheidung basiert auf den verschiedenen Vorteilen, die sich jeweils für die beiden Parteien aus der Wertschöpfung ergeben.
Hersteller (bzw. Anbieter) profitieren typischerweise als Produktentwickler und
Produzenten vom Verkauf ihrer Leistung an viele Kunden. Kunden profitieren als
Abnehmer dementsprechend von der Nutzung der Leistungen für den Eigenbedarf
im Sinne der Bedürfnisbefriedigung. Dabei ist unerheblich, ob der Kunde ein Konsument oder aber auch ein Unternehmen ist, das z. B. eine Maschine kauft und diese
dann zur Erstellung weiterer Produkte nutzt. Die herkömmliche Annahme ist, dass der
Verkauf an viele Abnehmer gegenüber der Nutzung für den Eigenbedarf die überlegene Art und Weise ist, um die Kosten der Produktentwicklung und -herstellung zu
decken und einen Profit zu erwirtschaften. Deshalb übernehmen in der Regel Herstellerunternehmen diese Wertschöpfungsaktivitäten.
Diese Annahme muss allerdings unter bestimmten Bedingungen in Frage gestellt werden. Wenn für Kunden der relative Nutzenvorteil höher ist als für das Unternehmen,
dann lohnt sich der Entwicklungs- und Herstellungsaufwand unter Umständen eher
für Kunden als für Unternehmen. Je größer dieser relative Vorteil für Kunden ist, desto
wahrscheinlicher ist es, dass die Produktentwicklung und -herstellung von Kunden
ausgeht oder sogar ganz von ihnen übernommen wird (von Hippel 1986; 1988). So hat
die Forschergruppe um Eric von Hippel vom MIT beobachtet, dass Kunden in verschiedenen Produktdomänen in erstaunlich hohem Ausmaße Produkte für den
Eigenbedarf modifizieren oder (als Prototypen) sogar vollständig ohne die Mitwirkung
eines herstellenden Unternehmens entwickeln (siehe zur Dokumentation dieser
Arbeiten von Hippel 2005; siehe auch Abschnitt 3.2.3, wo wir diesen Aspekt vertiefend
darstellen). Wir haben dies bereits am Beispiel Kite-Surfing (Kasten 2–7) gesehen:
Hier gingen maßgebliche Innovationen von den Kunden aus, da diese schneller als die
Hersteller neue Bedürfnisse erkannt hatten und auch ein größeres Set an Kompetenzen
besaßen, um daraus resultierenden Probleme zu lösen.
Kunden können gegenüber Unternehmen insbesondere unter zwei Bedingungen einen
größeren Nutzen aus der Entwicklung und Herstellung von Produkten ziehen:
(1) Je heterogener die Kundenbedürfnisse in einem Markt verteilt sind, desto schwerer
ist es für einen Hersteller, die Marktnachfrage durch ein Standardprodukt zu befriedigen.
Ein Markt zeichnet sich durch eine starke Heterogenität aus, wenn es viele
Marktsegmente gibt, die sich jeweils durch spezifische Präferenzen für bestimmte
Produkteigenschaften auszeichnen. Dadurch wird prinzipiell für jedes Marktsegment
eine spezielle Produktvariante erforderlich, um den nachgefragten Eigenschaften im
jeweiligen Marktsegment gerecht zu werden. Im Extremfall entstehen “Segments-of-one”
(Peppers / Rogers 1997), d. h. die Präferenzen jedes Nachfragers werden so einzigartig,
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dass prinzipiell jeder einzelne Nachfrager zur Bedürfnisbefriedigung eine speziell angefertigte Produktvariante erhalten müsste. Dieser Zustand scheint heute in vielen Märkten
immer mehr Norm als Ausnahme zu werden (siehe zur Begründung Abschnitt 2.2.3; für
einen empirischen Nachweis auf Basis der Cluster-Analyse siehe Franke / Reisinger 2003).
Eine zunehmende Heterogenisierung der Bedürfnisse, verbunden mit einer
Verkürzung der Lebenszeiten einzelner Produktspezifikationen, resultiert folglich in
einer Nachfrage nach immer mehr Produktvarianten. Dies führt dazu, dass die
Realisierung von Skaleneffekten (siehe Abschnitt 2.2.2) für den Hersteller immer
schwieriger wird. Kleinere Absatzmengen einer Produktvariante erschweren die
Amortisation von Investitionen in Produktionsanlagen und treiben die Stückkosten in
die Höhe. Unter solchen Bedingungen können Entwicklungs- und Herstellungskosten
die Vorteile für ein Unternehmen aus dem Verkauf des Produktes leicht aufheben, wo
hingegen sich für Kunden der Entwicklungs- und Herstellungsaufwand für die eigene
Nutzung immer noch lohnen kann. Unternehmen können die Produktentwicklung
und -herstellung dann entweder den Kunden überlassen oder aber neue Kostensenkungspotenziale und Spielraum für Preissteigerungen im Rahmen einer Produktindividualisierungsstrategie erschließen.
(2) Der Bedarf lokalen Wissens für die Produktentwicklung und -herstellung stellt
eine weitere Herausforderung für Hersteller im Wertschöpfungsprozess dar. Der
Bedarf ergibt sich aus der notwendigen Aufgabe des Unternehmens, marktseitige und
technologische Unsicherheiten am “fuzzy front end” (Wheelwright / Clark 1992) zu
reduzieren. Dazu müssen Anbieter Informationen aus der Domäne der Kunden (und
aus anderen externen Quellen) in die interne Wertschöpfung transferieren. Grundsätzlich sind zwei Arten von Information zu unterscheiden, die für den Wertschöpfungsprozess benötigt werden (Thomke 2003):
„ Bedürfnisinformation (“need information”) über die Kunden- und Marktbedürfnisse, d. h. Informationen über die Präferenzen, Wünsche, Zufriedenheitsfaktoren und Kaufmotive der aktuellen und potenziellen Kunden bzw. Nutzer
einer Leistung. Der Zugang zu Bedürfnisinformation beruht auf einem intensiven
Verständnis der Nutzung- und Anwendungsumgebung der Abnehmer.
„ Lösungsinformation (“solution information”) beschreibt die technologischen
Möglichkeiten und notwendigen Potenziale, um Kundenbedürfnisse möglichst
effizient und effektiv in eine konkrete Leistung zu überführen. Lösungsinformation
bildet folglich für Hersteller die Entscheidungsgrundlage, um zu erkennen, welche
Kundenbedürfnisse im Rahmen des unternehmerischen Wertschöpfungsprozesses
überhaupt wirtschaftlich zu erfüllen sind.
Klassischerweise wird Bedürfnisinformation der Kundendomäne und Lösungsinformation der Herstellerdomäne zugeordnet. Für eine erfolgreiche Wertschöpfung
müssen beide Informationsarten an einem Ort (beim Anbieter) zusammengeführt werden. Ein Herstellerunternehmen versucht deshalb durch den Einsatz verschiedenster
Marktforschungsinstrumente Bedürfnisinformation am Markt abzugreifen, um dann
unter Anwendung intern vorhandener Lösungsinformation (bzw. unter Erwerb neuer
Lösungsinformation, z. B. neue Technologien oder Mitarbeiter) ein passendes Produkt
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zu kreieren. Im so genannten “manufacturing-active paradigm” ist Wertschöpfung
dann alleinige Aufgabe von Unternehmen; Kunden nehmen nur eine passive Rolle ein:
“speaking only when spoken to” (von Hippel 1978a).
Allerdings gerät dieses Paradigma ins Wanken, wenn die Bedürfnisinformation in der
Domäne der Kunden eher den Charakter von implizitem Wissen hat. Dann kann der
notwendige Transfer in einer brauchbaren Form so aufwändig und kostspielig sein,
dass sich die Wertschöpfung ggf. nicht mehr für Unternehmen, sondern eher für
Kunden als Wissensträger lohnt. In diesem Fall wollen wir von “lokalem Wissen” bzw.
“sticky information” sprechen. Wichtig ist dabei zu betonen, dass auch in der
Nutzerdomäne Lösungsinformation vorhanden sein kann. Gerade bei funktional
neuen Innovationen (und nicht nur Verbesserungsinnovationen) beruht eine innovative Problemlösung häufig auf Verfahrungswissen, das mit dem vorhandenen Wissen
eines Herstellers bricht. Manche besonders fortschrittliche Nutzer sind eine wertvolle
Quelle für dieses Lösungswissen (siehe auch Abschnitt 3.2.1).
2.4.3.2 Logik der Arbeitsteilung nach dem Konzept der
“wissensökonomischen Reife”
Ein Konzept zur Bestimmung der Arbeitsteilung zwischen Anbietern und Nachfragern
ist das Konzept der wissensökonomischen Reife (siehe dazu grundlegend Dietl 1993).
Es zielt darauf ab, Teilaufgaben so zu bilden, dass zwischen ihnen nur eine geringe
Interdependenz besteht. Eine hohe Interdependenz zwischen Teilaufgaben liegt z. B.
vor, wenn bestimmter Teile des menschlichen Wissens nur schlecht artikulierbar sind
und deshalb nur mit sehr hohen Transaktionskosten übertragbar sind. Dies können z.
B. durch Erfahrung erworbene körperliche Fähigkeiten oder in unserem Kontext die
latenten Wünsche von Kunden nach neuartigen Produkten und Möglichkeiten zur
Bedürfnisbefriedigung sein. Der Transfer dieses impliziten, lokalen Wissens stellt ein
ökonomisches Problem dar, weil mit einem ressourcenaufwändigen Transferverfahren
prohibitiv hohe Transaktionskosten entstehen (Picot / Dietl / Franck 2005).
Das Konzept der wissensökonomischen Reife legt nahe, die Bildung von Teilaufgaben,
die an Kunden übertragen werden sollen, so zu organisieren, dass der ressourcenaufwändige Wissenstransfer möglichst gering ist, das heißt, dass möglichst niedrige
Transaktionskosten verursacht werden. Darüber hinaus kann der Transfer lokalen
Wissens auch umgangen werden, indem Hersteller und Anbieter (Informations-)
Produkte und Artefakte austauschen, die das lokale Kundenwissen bereits verkörpern, z. B. Blueprints von Produktkonzepten. Ein Beispiel sind die CAD-Files im KiteSurfing-Beispiel (Kasten 2–7) oder die T-Shirt-Designs bei Spreadshirt (Kasten 2–8).
Anstelle der Übertragung der Information “ich will einen Kite, der bei starken
Windverhältnissen eine hohe Stabilität bietet, und dazu sollte das Seil XY straffer sein”
übertragen die Kunden hier einen CAD-File, der bereits abbildet, wie dazu Seil XY anders befestigt werden muss. Gleichermaßen bei Spreadshirt: Anstelle des Bedürfnisses
“Ich will ein T-Shirt mit einem Pandabären, der cool und nicht drollig schaut”, übermitteln die Kunden hier eine Zeichnung, um diesen subjektiven Gesichtsausdruck zu
erhalten.
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Für die Weiterverarbeitung durch das Unternehmen ist der Wissenstransfer dann
nicht mehr nötig. Derartige Produkte und Artefakte, die weiterverwertet werden
können, ohne dass ein Rückgriff auf das Kundenwissen erforderlich ist, besitzen wissensökonomische Reife. Das bedeutet, dass die Teile des unternehmerischen
Wertschöpfungsprozesses, die einen hohen Grad an wissensökonomischer Reife besitzen, geeignete Ansatzpunkte für die Zerlegung der gesamten Wertschöpfungsaufgabe sind. So gebildete Teilaufgaben können an Kunden übertragen werden. Es entfällt der aufwändige Wissenstransfer durch den einfachen Austausch der Ergebnisse.
2.4.3.3 Logik der Arbeitsteilung nach dem Konzept der “sticky
information”
Ein sehr ähnliches Konzept hat von Hippel (1994) unabhängig von Dietl speziell für
den Wissenstransfer zwischen Herstellern und Kunden im Innovationsprozess entwickelt. Er nennt Bedürfnisinformationen “sticky information” (“klebrige” Informationen). “Stickiness” definiert er als “the incremental expenditure required to transfer a unit [of information] from one place to another, in a form that can be accessed by
the recipient. When this expenditure is low, information stickiness is low; when it is
high, stickiness is high” (von Hippel 1994: 430). Die Gründe für hohe “stickiness” können in den Merkmalen der Information selbst liegen: z. B. implizites Wissen, Spezifität
von Informationen, Grad und Art der Kodierung (Nelson 1982; Pavitt 1987; Polanyi
1958; Rosenberg 1982). Alternativ können die Gründe für stickiness in den Merkmalen
des Informationssuchenden bzw. -liefernden liegen, z. B. in der mangelnden Aufnahmefähigkeit des Informationssuchenden (Vorwissen, Qualifikation) oder in der
Kapazität der Informationsaufnahme (z. B. fehlende Instrumente oder Fehlen von
komplementären Informationen) (Cohen / Levinthal 1990).
Bedürfnisinformation kann in der Kundendomäne so “sticky” sein, dass die Kosten für
den notwendigen Informationstransfer vom Kunden zum Hersteller den Nutzen für
das Unternehmen übersteigen. Bei hoher “stickiness” lokaler Bedürfnisinformation
sind zahlreiche, zeitaufwändige Iterationen und “Trial-and-Error”-Zyklen zwischen
Unternehmen und Kunden für den Transfer notwendig. Bei Heterogenität der
Kundenbedürfnisse kommt hinzu, dass sich durch einmalige Aufwendungen kaum
Skaleneffekte im Informationstransfer für andere Kunden erzielen lassen. Im Prinzip
entstehen dann Transferkosten für jeden einzelnen Kunden.
Im Extremfall ist “stickiness” so hoch, dass Kunden in einer besseren Kostenposition sind
als Unternehmen in Bezug auf die Produktentwicklung und -herstellung. Wenn besonders
fortschrittliche Kunden neben Bedürfnisinformation auch ausreichend Lösungsinformation besitzen, können sie Produkte vollständig und eigenständig entwickeln und
herstellen (diese Kunden werden als “Lead User” bezeichnet, siehe Abschnitt 3.3.1). Im
hier diskutierten Konzept der interaktiven Wertschöpfung gehen wir vom Regelfall aus:
der Vorteil von Kunden bezieht sich auf einige Wertschöpfungsaufgaben des
Unternehmens, zu deren Ausführung lokale Bedürfnisinformation von hoher “stickiness”
benötigt wird. Zur Lösung dieses Problems schlägt von Hippel (1990) genau wie auch Dietl
(1993) Arbeitsteilung vor (“task partitioning”): Der Wertschöpfungsprozess wird in
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Teilaufgaben zerlegt, für die entweder primär Bedürfnisinformationen von Kunden oder
aber primär Lösungsinformationen von Unternehmen notwendig sind. Aufgaben, die
weitgehend Lösungsinformation benötigen, verbleiben im Unternehmen. Aufgaben, die
weitgehend Bedürfnisinformation (“sticky information”) benötigen, werden auf den
Kunden übertragen. Der Transfer von “sticky information” findet dann jeweils innerhalb
des Arbeitsgebiets des Unternehmens bzw. der Kunden statt (von Hippel / Katz 2002).
Die Konzepte der “wissensökonomischen Reife” und der “sticky information” bilden
so Erklärungsansätze, die zu ähnlichen Ergebnissen für neue Formen der Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und Kunden gelangen:
„ Aufgaben, die an Kunden übertragen werden, sollten überwiegend implizites
Wissen der Kunden zum Einsatz bringen (“sticky information”-Ansatz).
„ Sie sollten in sich abgeschlossen sein, d. h. einen hohen Grad wissensökonomischer Reife besitzen.
Der ursprünglich vom Unternehmen dominierte Wertschöpfungsprozess wird so in
unternehmens- und kundendominierte Teilaufgaben zerlegt, je nach dem, welche
Partei das jeweils relevante lokale Wissen besitzt. Abbildung 2–9 fasst die Logik der
Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und Kunden zusammen.
Abbildung 2–9: Logik der Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und Kunden
Impliztes Wissen & „Stickiness“:
Prohibitiv hohe Transaktionskosten
des direkten Wissenstransfers
Unternehmensdomäne
Kundendomäne
Teilaufgabe 1
Informationsartefakte
Teilaufgabe 2
Lokale
Lösungsinformation
Teilaufgabe n
…
Lokale
Lösungsinformation
Lokale
Bedürfnisinformation
Lokale
Lösungsinformation
2.4.3.4 “Commons-based Peer Production” als Organisationsprinzip
Die Notwendigkeit des Transfers von Bedürfnis- und Lösungsinformation und die
durch die “stickiness” dieser Informationen begründeten Probleme bzw. Kosten dieses
Transfers haben gezeigt, warum grundsätzlich eine Arbeitsteilung zwischen
Herstellerunternehmen und Kunden sinnvoll sein kann. Im Folgenden wollen wir
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Möglichkeiten einer geeigneten Organisationsform für die Arbeitsteilung zwischen
Anbieter und Kunden betrachten. Grundlage dieser Betrachtung ist das Modell der
“Commons-Based Peer Production” von Benkler (2002).
Open-Source-Software-Produktion als Modell einer neuen Organisation der Wertschöpfung
In den klassischen Modellen wird Wertschöpfung durch Individuen entweder als Angestellte in einem Unternehmen (gesteuert durch die Anweisungen von Vorgesetzten)
oder als Akteure auf Märkten (gesteuert durch Preise) vollzogen oder in kooperativen
Zwischenformen dieser Modelle (Coase 1937; Williamson 1985). Benkler jedoch beobachtet eine verteilte Wissensproduktion im Internet, die mit diesen klassischen Koordinationsmechanismen der Arbeitsteilung nicht vereinbar scheint. Im Internet sind heute in
einer Vielzahl von Projekten Nutzer mit der gemeinsamen Produktion und Weiterentwicklung von Wissen und Informationsprodukten beschäftigt. Die Entwicklung von
Open-Source-Software ist wohl populärste Bewegung dieser Art (siehe Abschnitt 3.5.4).
Hierbei werden eine große Anzahl von Nutzern in einer Vielzahl von Aktivitäten tätig,
angefangen von der Definition eines Problems über dessen Ausschreibung in einer
Community, der Bereitstellung einer Lösung dieses Problems – oft in Zusammenarbeit
zwischen verschiedenen Nutzern –, dem Testen und De-Bugging dieser Lösung und
schließlich ihrer Verbreitung und Dokumentation. Das zentrale Organisationsprinzip von
Open Source Software ist, dass die Ergebnisse der gemeinsamen Entwicklungsarbeit frei
und ohne die traditionellen Restriktionen zum Kopieren und Nutzen proprietärer Software verfügbar sind. Niemand besitzt die Software in einem traditionellen Verständnis
oder kontrolliert ihre Verwendung. Das Ergebnis ist eine lebhafte, engagierte und hochproduktive Form der Zusammenarbeit, wobei die Beteiligten nicht in Hierarchien organisiert sind und ihre Projektbeteiligung auch nicht an Preissignalen ausrichten.
Benkler (2002) strukturiert drei beispielhafte Typen von Aktivitäten bzw. Ansatzpunkten:
„ Generation of Content, z. B. die Identifikation von Marskratern auf einer NASAWebsite;
„ Accreditation/Determination of Relevance, z. B. Buchkritiken bei Amazon oder
Prüfung von Internet-Links für eine öffentliche Suchmaschine sowie
„ Value-added Distrubution, z. B. Korrekturen und Fehlerbeseitigung in öffentlichen
Enzyklopädien wie Wikipedia (siehe Abschnitt 5.2) oder das Gutenberg-Projekt.
Diesen Phänomenen ist gemein, dass sich die Wertschöpfung in der “Informationssphäre” abspielt und im Wesentlichen ohne klassische Eigentumsrechte, Verträge oder
hierarchische Organisationsstrukturen auskommt. Benkler (2002) argumentiert, dass
hier ein völlig neues Wertschöpfungsmodell entsteht, welches unter geeigneten
Bedingungen einen systematischen Vorteil gegenüber den klassischen hierarchischen,
hybriden oder marktlichen Formen hat, die sich primär auf eine formale Koordination
durch den Preis- oder Weisungsmechanismus stützen. Der Begriff “commons-based
peer-production” soll dieses Modell von den klassischen Modellen der Kooperation
durch Hierarchien und Märkte (Preise) abgrenzen, die auf einer klaren PropertyRights-Verteilung und Verträgen beruhen. Zentrales Charakteristikum der Peer59
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Production ist, dass Gruppen von Individuen erfolgreich in (oft sehr großen) Projekten
zusammenarbeiten und dabei durch eine Vielzahl unterschiedlicher Anreize und
sozialer Signale motiviert werden, jedoch eher nicht durch Marktpreise oder
Anweisungen eines Vorgesetzen. Ein wesentlicher Mechanismus dieses Modells ist so
auch die Selbstselektion der an der Wertschöpfung Beteiligten, die effizienter bei der
Identifikation von beteiligten Wissensträgern und deren Zuordnung zu entsprechenden Wertschöpfungsaufgaben sein kann (siehe z. B. Schoder / Fischbach 2002; Schoder
/ Fischbach / Schmitt 2005 zu den technsichen Aspekten einer Peer-to-Peer-Produktion
im Sinne der Wirtschaftsinformatik, ein verwandtes, aber inhaltlich anderes Konzept).
Vorteile der Commons-Based Peer Production gegenüber klassischen Organisationsformen
Benkler bezieht sein Modell vor allem auf die Produktion von Information oder
“Kulturgütern” (Musik, Schriften etc.), da hier die notwendigen Produktionsmittel
(Kapitalanlagen wie Computer und Kommunikationsmittel) weit verbreitet und nicht
an einer Stelle konzentriert sind (wie z. B. in einem Stahlwerk). Zur Produktion dieser
Güter ist das Peer-Production-Modell aus zwei Gründen besser als die klassische
Aufgabenerfüllung in Hierarchien oder Märkten.
(1) Das Modell ist besser in der Identifikation und Allokation der genau passenden
Humankapazitäten (besondere Fähigkeiten einzelner Individuen) zu einzelnen Aufgaben des Informationsproduktionsprozesses. Er begründet dies mit den so genannten
“Informationsopportunitätskosten” (“information opportunity cost”). Es hat geringere Verluste (Opportunitätskosten) als die klassischen Modelle, um aus der Gesamtmenge möglicher Aufgabenträger genau den am besten passenden Akteur zu identifizieren und zur Aufgabenerfüllung zu motivieren. Das Peer-Production-Modell “loses
less information about who the best person for a given job might be than do either of
the other two organizational modes” (Benkler 2002: 1). Ein Manager, der eine Aufgabe
einem seiner vielen Mitarbeiter zuordnet, nutzt dabei oft nicht alle möglichen Informationen, ob dieser Mitarbeiter und nicht vielleicht ein anderer der beste Aufgabenträger
anhand seiner persönlichen Fähigkeiten und Motivation ist (da diese Information insbesondere bei Nicht-Routine-Aufgaben sehr “sticky” ist). Wird aber eine Aufgabe nicht
zugeordnet, sondern “ausgeschrieben”, kann ein Akteur diese selbst bewerten und
sein eigenes Wissen über seinen Kenntnisstand und seine Motivation nutzen um zu
entscheiden, ob er diese Aufgabe lösen kann oder nicht:
“The idea is that different modes of organizing human activity entail different losses of
information relative to an ideal state of perfect information. […] The different strategies
differ from each other in their ‘lossiness’ […] This difference among modes of organizing in terms of the pattern of lossiness is that mode’s information opportunity cost”
(Benkler 2002: 27).
(2) Weiterhin unterliegt die Effizienz der Aufgabenzuweisung durch Selbstselektion
substantiellen Skaleneffekten durch Spezialisierungseffekte. Stehen große Gruppen
von potenziellen Mitwirkenden einer großen Zahl an Teilaufgaben und Informationsressourcen gegenüber, dann ist es recht wahrscheinlich, dass sich für eine
bestimmte Aufgabe ein Akteur findet, der zu ihrer Lösung besonders geeignet (spezi60
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alisiert) und/oder motiviert ist und diese Fähigkeiten auch in mehrere Projekte einbringen kann. Wenn dabei auf die Definition von Eigentums- und Verfügungsrechten
durch Verträge als Grundlage einer Zusammenarbeit zwischen den Akteuren verzichtet wird (siehe hierzu Abschnitt 2.4.3.5), können durch das Peer-Production-Modell die
externen Transaktionskosten der Interaktion beträchtlich gesenkt werden. Die Akteure
können selbst entscheiden, welches Problem sie lösen und auf welche (freien)
Informationsressourcen sie dabei zurückgreifen, und mit wem sie dabei zusammenarbeiten wollen. Das bedeutet, je mehr potenziell einzubindende Akteure im Hinblick
auf eine große Anzahl von Teilaufgaben im Kontext vorhanden sind, je höher ist die
Effizienz dieser Organisationsform im Vergleich zu den konventionellen Organisationsformen (Benkler 2002: 30). Abbildung 2–10 zeigt diese Argumentation in
Erweiterung des Modells der Netzwerkökonomie (siehe Abschnitt 2.3).
Abbildung 2–10: Einsparungen von externen Transaktionskosten in der interaktive
Wertschöpfung
Transaktionskosten
Interaktive
Wertschöpfung durch
„Peer Production“ Hybrid
Markt
Hierarchie
Einsparungen von externen
Transaktionskosten durch den
Verzicht auf vertragliche Regelungen
zugunsten informeller Koordination
S1
S2
Spezifität / Unsicherheit
Anwendungsbereich der interaktiven
Wertschöpfung
Übertragung des Modells auf unsere Konzeption der interaktiven Wertschöpfung
Genau wie die klassischen Formen Hierarchie und Markt als Extremformen auf einem
Kontinuum konventioneller Organisationsformen gesehen werden können, genauso
kann auch die “Commons-based Peer Production” nach Benkler als Extremform einer
rein teilnehmerkoordinierten Form der arbeitsteiligen Problemlösung gesehen werden.
Unsere Konzeption der interaktiven Wertschöpfung greift stark auf die Ideen Benklers
zurück, stellt diese jedoch in Gleichklang mit anderen Organisationsformen, die der
klassischen Netzwerkorganisation entsprechen. Unsere Motivation war nicht die Ablö61
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sung der Unternehmung durch eine neue Form der Organisation, sondern die Erweiterung der Möglichkeiten, Problemlösung im Unternehmen zu betreiben.
Auch wollen wir unsere Argumentation nicht wie Benkler auf eine Informationsproduktion beschränken, sondern auch auf Bereiche ausdehnen, wo wichtige Produktionsmittel zentral an einer Stelle vereint sind und nicht allen Akteuren zur Verfügung
stehen. Das heißt, die Ausführung einzelner Teilaufgaben durch die Kunden findet oftmals nicht losgelöst vom Herstellerunternehmen statt, sondern ist bedingt durch die
Bereitstellung von Ressourcen durch das Unternehmen. Obwohl das Modell der “Peer
Production” grundsätzlich das Anwendungsspektrum der interaktiven Wertschöpfung erweitert, übernehmen Kunden in den seltensten Fällen die gesamte
Wertschöpfung. Von Hippel (2002) spricht in diesen Fällen von so genannten “User
Innovation Networks”, die dem Motto “No Manufacturer required!” folgend die
gesamte Wertschöpfung selbständig und verteilt über zahlreiche User leisten. Dies gilt
für komplexe Informationsprodukte wie z. B. Software, kann aber bei Existenz
bestimmter Infrastrukturen auch für materielle Güter gelten (Beispiel Kite-Surfing,
siehe Kasten 2–7).
In der Regel jedoch wird ein fokales Herstellerunternehmen wie Threadless, Spreadshirt oder Dell bestimmte Bereiche der Wertschöpfung weiterhin intern organisieren
und klassisch hierarchisch oder über den Marktmechanismus koordinieren. Bestimmte
Bereiche entlang der Wertschöpfungskette können aber kooperativ mit den Kunden
und innerhalb dieser Bereiche nach den Prinzipien der Commons-based Peer Production gestaltet werden. Nach Benkler müssen zwei Problembereiche gelöst werden, damit “Peer Production” generell und als Organisationsform für die interaktive
Wertschöpfung funktioniert:
„ Das Motivationsproblem besagt, dass ausreichende Anreize für die Beteiligten
bestehen müssen. Dies bedeutet aber auch, dass die Resultate der gemeinschaftlichen Arbeit für alle Beteiligten nutzbringend verwertbar sein müssen.
„ Das Koordinationsproblem verlangt, dass die einzelnen Teilbeiträge im Unternehmen intern zu einem verwertbaren Gesamtbeitrag integriert werden müssen.
Ob diese Problembereiche im Kontext der interaktiven Wertschöpfung gelöst werden
können, hängt von folgenden Bedingungen ab, die ein Anbieterunternehmen im Sinne
von “Stellschrauben” zu beeinflussen versuchen kann:
„ Ausreichend große Zahl an Akteuren: Es muss eine ausreichend große Zahl an
Kunden oder Nutzern oder sonstigen Mitwirkenden zur Beteiligung am Problemlösungsprozess gewonnen werden können.
„ Modularität der Teilaufgaben: Die Wertschöpfungsaufgabe kann in Teilaufgaben
zerlegt werden, die eine unabhängige Bearbeitung erlauben, so dass sich die
Wertschöpfung gestaltet als “incremental and asynchronous, pooling the efforts of
different people, with different capacities, who are available at different times”
(Benkler 2002: 379).
„ Granularität der Teilaufgabe: Die Teilaufgaben sind im Wesentlichen fein gegliedert und klein im Umfang. Sie haben einen heterogenen Inhalt und Umfang, so
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Neue Formen der Arbeitsteilung
dass eine heterogene Kunden- oder Nutzergruppe eine ihren Vorlieben und Fähigkeiten entsprechende Auswahl treffen kann.
Niedrige interne Transaktionskoten für die Integration der Teilaufgabe: Die Integration der Teilaufgaben beinhalten sowohl die Qualitätskontrolle und Auswahl der einzelnen Beiträge als auch die Kombination der Teilergebnisse zu einem verwertbaren
Gesamtergebnis. Diese grundsätzlich neuen Aktivitäten für das Unternehmen verursachen eigene Kosten, die wir mit internen Transaktionskosten der interaktiven
Wertschöpfung bezeichnen wollen.
Erst durch die neuen IuK-Technologien können die mit der Peer-Production verbundenen Kosten ausreichend reduziert werden. Die Möglichkeit, umfangreiche Wertschöpfungsaufgaben digital abzubilden, erleichtert ihre Modularisierung (Bessen / Maskin
2000). Dabei wird durch das Internet die notwendige Transparenz erreicht, die für eine
Zuordnung der Kunden zu den Teilaufgaben durch Selbstselektion entsprechend ihrer
Motivation und Fähigkeiten notwendig ist (Benkler 2002). Die Kundeninteraktion kann
zudem in der sozialen Sphäre, d. h. der in Vernetzung von Kunden untereinander in
virtuellen Communities, erfolgen.
Voraussetzungen für den Erfolg einer interaktiven Wertschöpfung nach dem
“Commons-based Peer Production”-Modell
Je mehr ein Unternehmen “Modularität” und “Granularität” der Teilaufgaben gewährleistet, die an den Kunden übertragen werden sollen, desto besser wird das Problem
der notwendigen Anreize für die Kunden gelöst. Detaillierte Überlegungen zum notwendigen Kundennutzen werden in Abschnitt 2.4.4 angestellt. Dazu gehört auch die
Überwindung der Vorstellung, an den Ergebnissen der Wertschöpfung strikte
Property-Rights anzumelden. Denn gerade die freie Verfügbarkeit von Wissen und der
breite Zugriff auf vorhandene Wissensressourcen sind ein wesentlicher Wirkungsmechanismus und Anreiz der Peer-Production. Wir werden diesen Aspekt im kommenden Abschnitt 2.4.3.5 noch näher betrachten – liegt doch in der Ökonomie der
Informations- und Wissensproduktion ein weiteres wesentliches Grundprinzip der
Organisation der interaktiven Wertschöpfung.
Eine weitere Erfolgsvoraussetzung der interaktiven Wertschöpfung ist, wie effizient
ein Unternehmen die Aufgabe der Re-Integration der Teilaufgaben löst (siehe hierzu
Abschnitt 2.4.7). Mittel dazu ist der Aufbau entsprechender “Interaktionskompetenz”,
die wir in Abschnitt 2.4.6 vertiefend betrachten werden. Doch auch dem Aufbau dieser
Kompetenzen sind inhaltliche und finanzielle Grenzen gesetzt. Deshalb wird das
Modell der Commons-based Peer-Production nicht für alle Wertschöpfungsaufgaben
eines Unternehmens eine Rolle spielen. Wenn jedoch die genannten Bedingungen
erfüllt sind, dann kann dieses Modell einen hoch effizienten und leistungsfähigen
Organisationsmechanismus zur Verfügung stellen, der die konventionellen Organisationsmechanismen Markt und Hierarchie ersetzt. Diese Frage stellt sich auch der
amerikanische Journalist Eric Schonfeld in seinem in Kasten 2–10 auszugsweise abgedruckten Beitrag, der die Argumentation dieses Abschnitts mit weiteren Beispielen
abrundet.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Kasten 2–10:
Could The Culture of Participation Threaten The Existence of The Firm?
(Quelle: Auszug aus dem Posting “The Economics of Peer Production” von Erick Schonfeld im
Blog B2day vom 30. September 2005 [tinyurl.com/k9z89])
(…) Peer production is part and parcel of what I call the culture of participation – that is, the explosion of user-generated goods (mostly digital), including open-source software, the Wikipedia online encyclopedia, blogs, podcasts, and photo-sharing sites like Flickr. Just as companies and markets coordinate economic activity (through management control and contracts, respectively), the
Web allows individual producers and consumers to swarm together with like-minded individuals to
create complex products. It also allows them to easily find an audience to test, use, and provide
feedback on the content and products they create. Either way, peer production in some cases threatens to decimate the information advantage of companies and markets. (…) In peer production it
gets communicated directly between producers and is stored on the Web. Since peer production
is not primarily driven by the profit motive, it threatens to destroy profits in those areas where it can
effectively compete. If consumers are using peer-produced goods and content, many times it’s at
the expense of company-produced goods. So even if the peer producers are not making any
money, they are potentially taking away sales and market share from companies. Witness what
Linux has done to Sun Microsystems.
(…) Peer production takes specialization down to the next level – that of the individual, rather than
the business unit. Umair Haque, a management consultant and author of the blog Bubble
Generation, explains: “You can only specialize in a firm to whatever degree it costs to coordinate
you. Now what is happening with peer production is that it is a self-coordinating thing.” Take
Wikipedia as an example. There are more than 1.8 million articles on Wikipedia. Since it is a group
blog (also known as a wiki), anyone can write a new entry or edit an existing one. If you are an
expert in, say, quantum mechanics, you can contribute the two sentences of knowledge that you
know best to the entry. This allows people to specialize in a way that is not economical in the real
world. After all, Encyclopaedia Britannica cannot farm out a single article to 100 people, but 100
people can contribute to a single article on Wikipedia. (…) But does a peer-produced good like
Wikipedia really threaten a firm-produced good like the Encyclopaedia Britannica? In other words,
is it a better product? Haque says that’s the wrong question. “It’s not that it is a better product,” he
maintains. “It’s that it is just a little bit worse – but it doesn’t cost as much.” Wikipedia is more errorprone than the Encyclopaedia Britannica, but it is also easier to correct. For a surprising number
of subjects, that makes it good enough for most people – and it’s free. Peer production seems to
work best with information-based goods, especially those that can be assembled in a modular
fashion (like software or an encyclopedia). (…) For this reason we are already seeing the rise of
peer-produced publishing (blogs) and radio (podcasts). Video is not far off. And as the cost of fabrication comes down, light manufacturing and one-off physical goods are beginning to lend themselves to peer production as well. How hard would it be for engineers or product designers to find
each other on the Web, collaborate to design a product using shared computer-aided design software, and then have it manufactured at a custom fab like eMachineShop.com?
(…) Since there are virtually no transaction costs in peer production (anyone can contribute or consume), it is suddenly viable for millions of potential contributors to review and select the resources,
projects, and collaborators they want to work with. Haque maintains that these knowledge pools
are the key information-sharing resources for peer-production communities. They act as a collective memory for such communities and make them more productive by storing the most efficient
way to transform economic inputs (like those two sentences on quantum mechanics) into finished
goods (the collectively written article on quantum mechanics). (…) With Flickr, every time someone tags a photo with keywords (like “Italy,” “pool,” or “bubbles”), Flickr’s knowledge pool increases.
The economic inputs are the photo and the tag. The output is Flickr’s growing database of sear-
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chable photos, which becomes more valuable as more photos are uploaded to it with related tags
so that others can more easily find them. Unlike at companies, where decisions about things like
software coding and product design are kept private, in peer production all such knowledge is
made explicitly public. This creates a feedback loop that can help the community learn to build,
design, or code more efficiently and, thus, create better output.
(…) But why do people participate in peer production in the first place? Why do they donate so
much time and effort to write their blogs, upload their photos to Flickr, or tag their webpages on
del.icio.us? It’s certainly not for the money (as nearly any blogger can attest to). Some say it’s for
the sheer enjoyment of contributing to something you’re really interested in. Others point to the ego
boost that comes with burnishing your reputation online. I find all of these explanations unsatisfactory. (After all, nobody knows you on Wikipedia. There are no bylines.) Rather, the strongest explanation is also the simplest: It is in people’s self-interest to contribute. People participate in peer production because a) it’s cheaper than buying the product outright, or b) the product would not be
available otherwise. At its best, the final good is the result of a collective intelligence and could
never be produced any other way. The peer producers are their own consumers. They get a better product by tapping into the knowledge pool. And they get a product that exactly fits their needs
because they help design it (often with minimal effort). How do you compete with that?
2.4.3.5 Organisation der Informations- und Wissensproduktion:
Offenheit vs. proprietärer Schutz von Information
Wir wollen in diesem Abschnitt noch einen zentralen Aspekt der interaktiven Wertschöpfung im Sinne der Peer-Production vertiefen: die Besonderheiten einer Informations- und Wissensproduktion und der Offenlegung der resultierenden Information. Denn das wesentliche Gut, das in gemeinsamen Aktivitäten zwischen den
Akteuren Hersteller und Kunde ausgetauscht und neu geschaffen wird, ist Information
und Wissen.
Wir haben bereits in Abschnitt 2.3 gesehen, dass Märkte als Organisationsform durch
neue Informations- und Kommunikationstechnologien effizienter werden – im Sinne
einer Annäherung an das neoklassische Ideal perfekter Märkte ohne Informationsasymmetrien. Jedoch stoßen bei der Organisation der interaktiven Informations- und
Wissensproduktion auch Märkte und klassische hybride Netzwerkansätze an ihre
Grenzen, da sie auf einer formalen (vertraglichen) Definition und Übertragung von
Handlungs- und Verfügungsrechten zur Durchsetzung von Eigentum beruhen (siehe
Kasten 2–6 zur Property-Rights-Theorie). Dies würde aber bei der geforderten hohen
Granularität und Teilung der Aufgaben zu viel zu hohen Transaktionskosten führen.
Klassische Schutzrechte geistigen Eigentums sind deshalb bei der interaktiven Wertschöpfung, aber auch bei einer Informations- und Wissensproduktion im Allgemeinen,
nur bedingt möglich und sinnvoll.
Klassische Begründung für die Bedeutung von Schutzrechten für Informationsgüter
Nehmen wir Patente, ein bekanntes und viel diskutiertes Mittel zur Durchsetzung
von Intellectual Property Rights (IPR). Patente wurden lange Zeit in ihrer Funktion
in Produktmärkten diskutiert, in denen sie Eigentümern erlauben, das Produkt los65
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gelöst vom zugrunde liegenden intellektuellen Eigentum zu verkaufen. Nach Arrow
(1962) sind Patente und ähnliche IPR aber auch notwendig, um Märkte für
Information und Wissen selbst zu ermöglichen. Er macht dies mit seinem so genannten Informationsparadoxon deutlich. Ohne Patente würde die Verhandlung zwischen Eigentümern und potenziellen Interessenten über die Bedingungen des
Informationstausches schwierig werden. Wenn der Eigentümer seine Information
preisgibt, hat ein Interessent sie bereits umsonst erhalten und braucht sie nicht mehr
zu kaufen. Gibt der Eigentümer seine Information nicht preis, ist der Interessent
aber zu einer Beurteilung der Information nicht fähig und deshalb nicht zur
Zahlung des geforderten Preises bereit. Patente erlauben es den Eigentümern,
Information gegenüber potenziellen Interessenten zu offenbaren, das Verwertungsrecht aber zurückzubehalten. Trotzdem können sich beide Verhandlungspartner auf Basis des offen gelegten Patentes in der Zwischenzeit über die
Konditionen eines Informations- und Wissenstransfers einig werden, der auf eine
konkrete Anwendung beim interessierten Unternehmen abzielt. Damit schafft die
Möglichkeit der Patentierbarkeit überhaupt erst den Anreiz, neue wertvolle
Informationen (Innovationen) zu produzieren.
Gründe für eine Problematik von Schutzrechten bei Informationsgütern
Mandeville (1996) baut auf diesen Gedanken auf, kommt allerdings zu einem etwas
differenzierteren Schluss. Patente zum Schutz von intellektuellem Eigentum setzen
zwar Anreize für Investition in Forschung- und Entwicklung. Jedoch verhindern auch
eine Reihe anderer Faktoren, dass technologische Information leicht zu kopieren und
von einer Domäne in eine andere zu transferieren ist. Deshalb ist der Marktmechanismen (auf Basis des Preismechanismus sowie klare Schutz- und Eigentumsrechte)
nicht unbedingt immer das beste Mittel für einen Informationsaustausch. Er führt drei
Faktoren an:
(1) Mangelnde Knappheit bzw. Rivalität von Informationsgütern: Nicht zuletzt
durch die Digitalisierung und das Internet entstehen neue Möglichkeiten, Informationsprodukte in unbegrenztem Ausmaß zu (re-)produzieren und zu verteilen. Sind
Informationen erst einmal in digitalisierter Form verfügbar, können sie zu minimalen
Kosten im Überfluss produziert, kopiert, transformiert und versendet werden. Dies
kann die Knappheit an Information drastisch reduzieren. Diesen Effekt beschreiben die
Skaleneffekte der Informationsproduktion, die in Kasten 2–11 näher erklärt sind.
Diese Skaleneffekte legen aus Kostengesichtspunkten tendenziell eine hohe Ausbringungsmenge und Verbreitung nahe, sobald eine Information erstmals produziert
ist (Zerdick et al. 2001). Hinzu kommt eine fehlende Rivalität im Konsum, die es beliebig vielen Menschen erlaubt, eine (Kopie der) Information zu kennen, ohne dass die
Informationen aufgebraucht oder andere durch eine Knappheit im Konsum eingeschränkt würden (Picot / Reichwald 1991). Diese Umstände können die Knappheit
einer Information derart verringern, dass ein Marktpreis unzweckmäßig erscheint
bzw. dass nach ökonomischer Argumentation kein Marktpreis erhoben werden sollte.
Die neoklassische Faustregel für einen effizienten Marktmechanismus, bei dem der
Preis den Grenzkosten entspricht, impliziert sogar ein Verschenken digitaler
Informationsgüter.
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Kasten 2–11:
Skaleneffekte der Informationsproduktion
Dem Ertragsgesetz folgend wird für Sachgüter üblicherweise ein U-förmiger Grenzkostenverlauf
angenommen, d. h. die Kosten für eine zusätzlich produzierte Einheit sinken zunächst, steigen
jedoch ab einer bestimmten Ausbringungsmenge wieder an (siehe Kasten 2–2). Die
Durchschnittskosten verlaufen dementsprechend auch U-förmig und schneiden die Grenzkosten
in ihrem Minimum. Hier liegt die für den Produzenten optimale Ausbringungsmenge, deren Überschreitung mit wieder steigenden Grenzkosten verbunden ist. Durch eine Steigerung der
Ausbringungsmenge können Unternehmen also zunächst ihre Stückkosten senken bzw.
Skaleneffekte erzielen. Aufgrund des Kostenverlaufs und anderer Faktoren, wie einem ansteigenden Koordinationsaufwand mit steigender Unternehmensgröße, sind sie jedoch limitiert.
Durchschnittskosten (DK)
Grenzkosten (GK)
First
Copy
Cost
DK digital
GK physisch
DK physisch
GK digital
Ausbringungsmenge
Abbildung: Skaleneffekte bei der Produktion digitaler Informationsgüter
Im Gegensatz dazu gibt es bei der digitalen Produktion von Information keine limitierenden
Faktoren. Für die erste Kopie einer Information fällt ein einmaliger Aufwand an Fixkosten an (“FirstCopy-Costs”), der aber in der digitalen Produktion sehr gut skalierbar ist. Die Grenzkosten der folgenden digitalen Reproduktion und Verbreitung sind vergleichsweise gering, idealisiert gleich Null.
Die Skaleneffekte durch Fixkostendegression sind also viel stärker, weil das Verhältnis von fixen
Kosten zu Grenzkosten größer ist. Ein Unterschreiten von Grenzkosten nahe Null ist fast nicht
möglich, so dass die optimale Ausbringungsmenge sehr hoch, im Grenzfall sogar unendlich ist.
(2) Mangelnde Ausschließbarkeit: Eine weitere Besonderheit bei Informationsgütern
ist, dass der Urheber einer Information andere Akteure, die weder einen Beitrag zur
Produktion geleistet noch eine Gegenleistung oder einen Kaufpreis erbracht haben,
nicht (bzw. nur zu prohibitiv hohen Transaktionskosten) von Zugang und Nutzung der
Information abhalten kann. Genau hier setzt Arrows (1962) Begründung für die
Notwendigkeit von Patenten aufgrund des Informationsparadoxons an. Ausschließbarkeit ist gerade bei digitaler Informationsproduktion problematisch. Dies verdeutlicht bspw. der Umstand, dass der Käufer eines Informationsgutes immer nur eine digitale Kopie erhält, das „Original“ jedoch im Besitz des Verkäufers bleibt. Der Käufer
wiederum kann Kopien der Kopie an viele andere (nicht berechtigte) Konsumenten
weitergeben.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Allgemein bestimmt sich der Wert eines Gutes für einen Akteur nicht nur aufgrund
seiner Eigenschaften, sondern auch durch seine Knappheit und die ausübbaren
Handlungs- und Verfügungsrechte. Können die Handlungs- und Verfügungsrechte
nicht vollständig einem Akteur zugeordnet werden oder werden sie gleichzeitig von
mehreren Akteuren getragen (Situation so genannter “verdünnter” Property Rights)
verursachen die Handlungen eines Akteurs Externalitäten, d. h. positive oder negative Nutzenveränderungen, die unkompensiert bleiben, weil eine Internalisierung durch
Verträge oder Marktpreise an zu hohen Transaktionskosten scheitert (Coase 1960).
Entweder verursacht ein Akteur durch sein Handeln soziale Kosten, die höher sind als
seine eigenen zu tragenden Kosten (negative Externalitäten), oder er schafft einen
sozialen Nutzen, der höher ist als sein eigener Nutzen (positive Externalitäten).
Klassische Koordinationsmechanismen des Leistungsaustauschs beruhen deshalb auf
der Ausschließbarkeit nicht berechtigter Akteure. Das Ausschlussprinzip des PropertyRights-Ansatz fordert klar zugeordnete Handlungs- und Verfügungsrechte (PropertyRights) an einem auf einem Markt transferierten Gut unter Inkaufnahme von
Transaktionskosten bspw. durch Verträge. Innerhalb von Unternehmen kann die Übertragung von Verfügungsrechten auch durch andere Institutionen wie z. B. Weisung
oder organisatorische Regelungen erfolgen (Picot / Dietl / Franck 2005).
Abbildung 2–11: Gütertypologie (in Anlehnung an Hess / Ostrom 2003)
schwierig
Reine öffentliche Güter
(Sonnenaufgang,
naturwissenschaftl.
Wissen)
Allmendegüter
(Hochseefischgründe,
Büchereien)
Ausschließbarkeit
einfach
Maut-/Clubgüter
(Kabelfernsehen,
Autobahn, Golfclub)
Private Güter
(Brot, PC,
Wohnung)
niedrig
hoch
Rivalität
Bei Informationsgütern aber fehlt, wie zuvor argumentiert, diese Ausschließbarkeit.
Zusammen mit der mangelnden Rivalität wird Information deshalb häufig als öffentliches Gut charakterisiert (z. B. Arrow 1962; Ludwig 1998). Öffentliche Güter sind
Güter, von deren Nutzung niemand (zu vertretbaren Kosten) ausgeschlossen werden
kann (Abbildung 2–11). Produzenten von Information müssen positive Externalitäten
in Kauf nehmen, weil auch Akteure Zugang erhalten können, die nicht zur Produktion
beigetragen oder eine Gegenleistung entrichtet haben. Die verbleibenden Anreize kön68
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nen dadurch so gering werden, dass die Information gar nicht erst produziert wird.
Hardin (1968) spricht in diesem Zusammenhang von der „Tragödie der Allmende“,
die im Fall der Nicht-Rivalität in der Nutzung von Information, primär in der Gefahr
der Unterversorgung als der Übernutzung liegt. Einen Ausweg aus der „Tragödie der
Allmende“ bei der Erstellung öffentlicher Güter scheinen nur die Einführung zentraler Steuerungs- und Sanktionierungsinstanzen oder die Etablierung von Eigentumsrechten zu bieten.
(3) Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen: Eine weitere elementare
Eigenschaft von Wissen, welche die Eignung für einen marktlichen Tausch beeinflusst,
ist der Grad der Kodifizierung von Wissen (Mandeville 1996). Dies lässt sich durch die
Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen veranschaulichen, wie
in Abbildung 2–12 dargestellt (Polanyi 1958). Grundlage des Wissens sind
Informationen, bestehend aus Daten, Zeichen und Signalen. Einige der relevanten
Informationen liegen in stark kodifizierter Form vor, z. B. weil sie explizierter
Bestandteil von Maschinen, Blaupausen, Fachartikeln oder Patenten sind. Kodifiziertes
Wissen in dokumentierter und vielfach auch publizierter Form ist explizites Wissen.
Es kann beliebig vervielfacht, versandt und gespeichert werden. Aber oftmals liegt
relevantes Wissen in deutlich weniger kodifizierter Form vor, z. B. ausgereifte Ideen,
unartikuliertes Wissen über Arbeitsvorgänge oder Erfahrungswissen. Dieses implizites Wissen („tacit knowledge“) hat eine persönliche Qualität, durch die es nur schwer
formalisierbar und vermittelbar ist. Es ist verborgenes, nicht artikulierbares Wissen.
Zudem ist es stark mit Handlungen, Verpflichtungen und Mitwirkungen des spezifischen Kontextes verknüpft – und ist damit oft “sticky” im Sinne des Konzepts von von
Hippel (1994) (siehe Abschnitt 2.4.3.3; Hinweis: von Hippel differenziert nicht zwischen ‘Information’ und ‘Wissen’, meint aber eher Wissen in unserer Definition).
Nach Mandeville (1996) nimmt der Grad der Kodifizierung von Wissen im Wertschöpfungsprozess zu: Wissen im Prototypen einer Maschine ist kodifizierter als in der
Entwicklungszeichnung, das Wissen in der in Serie produzierten Maschine ist wiederum kodifizierter als im Prototypen. Der Grad der Kodifizierung beeinflusst den
Aufwand und die Art des Transfers von Information und Wissen. Für den Transfer
von implizitem Wissen bedarf es bspw. größtenteils einer persönlichen Kommunikation oder „Learning by doing“. Folglich nehmen auch die Kosten für den
Wissenstransfer bei niedrigem Kodifizierungsgrad zu. Marktliche Austauschprozesse
scheitern tendenziell bei stark unkodifiziertem Wissen, so dass es anderer Organisationsformen bedarf, die eher auf eine intensive Interaktion und Zusammenarbeit
hinauslaufen.
Übertragung auf die Offenlegung von Information bei interaktiver Wertschöpfung
Als Zwischenfazit lässt sich deshalb festhalten, dass eine Reihe von generellen
Gründen, die aus den Besonderheiten des Guts Information bzw. Wissen abgeleitet
sind, gegen die Eignung starrer und klar zugeordneter Schutzrechte und der Nutzung
des Marktmechanismus zu ihrer Übertragung sprechen. Wir argumentieren, dass diese
Argumente sogar noch verstärkt im Rahmen einer interaktiven Wertschöpfung gelten,
da, aus einer Informations- und Wissensperspektive, Wertschöpfung als kumulativer
und kollektiver Prozess darstellt wird. Interaktive Wertschöpfung ist kumulativ, da sie
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auf bisher verfügbarem Wissen aufbaut, und kollektiv, da sie die Interaktion mit einer
Vielzahl von Akteuren zum Transfer dieses Wissens notwendig macht. Diese
Interaktion für den Wissenstransfer lässt sich nur zu einem sehr geringen Teil auf der
Basis von Preismechanismus und Eigentum organisieren.
Abbildung 2–12: Das Kontinuum zwischen implizitem und explizitem Wissen (in
Anlehnung an Frost 2005: 157)
Wissen kann durch
Interaktion artikuliert
und kodifiziert werden
Wissen kann durch
Interaktion bewusst
gemacht werden
kodifiziertes
Wissen
Bewusst, aber wegen
fehlender oder gestörter
Interaktion nicht artikuliert
oder kodifiziert
reines „tacit knowledge“:
unbewusst und
nicht-artikulierbar
unbewusst und
nicht artikuliert
bewusst und
artikuliert
Implizites
Wissen
Explizites
Wissen
nicht-artikulierbar
artikulierbar
Jedoch kann die vorherige Argumentation auch ein wesentliches Problem begründen,
das gegen die Funktionsfähigkeit der Commons-based Peer Production sprechen
würde: Auch im Falle der Informationsproduktion durch Kunden im Internet muss der
Frage nach der Überwindung einer “Tragödie der Allmende” und nach ausreichenden Anreizen nachgegangen werden. Gerade im Internet können auch diejenigen
Kunden und Unternehmen von frei zugänglichen Informationen profitieren, die nicht
zur Produktion im Sinne eines interaktiven Problemlösungs- und Austauschprozesses
beigetragen haben (“Trittbrettfahrer”). Engagieren sich deshalb zu wenige Akteure bei
der Produktion, so kann die Produktion ganz ausbleiben.
Die Praxis zeigt allerdings, dass dieses “soziale Dilemma” (Osterloh / Kuster / Rota
2002) trotzdem gelöst werden kann. Open Source Software (siehe Abschnitt 3.5.4)
stellt ein öffentliches Informationsgut dar, dessen Programmiercode frei zugänglich
und dessen Nutzung kostenlos ist. Für Open Source Software besteht wegen der NichtRivalität im Konsum zwar keine Gefahr der Übernutzung, in der Regel aber die Gefahr
der Unterversorgung, d. h. der Programmierung des Codes. Es könnte nämlich ein
Anreizproblem bestehen, weil nicht der gesamte Nutzen der Software an die
Programmierer fällt. Denn die Software kann auch von denjenigen genutzt werden, die
nicht zur Programmierung beigetragen haben und einen Marktpreis ja nicht zahlen
müssen. Die Programmierer sind also Produzenten, und die Nicht-Programmierer die
Empfänger positiver Externalitäten. NASA Clickworkers (Freiwillige klassifizieren
Krater auf dem Mars) oder die Wikipedia- Enzyklopädie, die sich aus den Beiträgen
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von tausenden Freiwilligen zusammensetzt, sind weitere Beispiele für solche öffentlichen Informationsgüter, die sich aus den aktiven Beiträgen vieler Akteure zusammensetzen (siehe auch die Beispiele in Kasten 2–10).
Diese Projekte haben gemeinsam, dass es sich um eine freiwillige und kollektive Informationsproduktion und -verbreitung mit dem Resultat eines öffentlichen Guts unter
weitgehendem Verzicht der Beitragenden auf private Eigentums- und Verfügungsrechte handelt. Dennoch existieren sie in der Praxis – auch wenn sie klassische Theorien
in Frage stellen. Die Teilnehmer lassen sich nicht durch Externalitäten von ihrer
Mitwirkung abschrecken. Dies ist ein starker Indikator für das Vorhandensein anderer
Anreize für ihren Problemlösungsbeitrag, den die klassische Diskussion um Schutzund Verfügungsrechte nicht abdeckt. Unter der ökonomischen Annahme eines zielgerichteten Verhaltens der Akteure scheinen deshalb Bedingungen zu herrschen, in
denen der Nutzen aus der Beteiligung an dieser Art der Wertschöpfung die Kosten der
Akteure übersteigt. Was genau dieser Nutzen ist, wird Abschnitt 2.4.4 näher diskutieren.
Einmalige fixe Produktionskosten der interaktiven Wertschöpfung
Greifen wir noch einen anderen Aspekt der oben angesprochenen Besonderheiten der
Informationsproduktion auf: die einmalig fixen Produktionskosten im Vergleich zu
den Verbreitungskosten sind sehr hoch (“First-Copy-Costs”). Diese einmaligen
Produktionskosten existieren auch bei einer interaktiven Wertschöpfung. Beispiele sind
Interaktionsplattformen, auf denen sich die Beitragenden austauschen (Denken Sie an
die Entwicklungsplattform, die im Kite-Surfing-Beispiel notwendig war. Oder die WebSite von Threadless.com, ohne die das Design und die Bewertung der T-Shirts durch die
Kunden nicht einfach möglich wären). Im Rahmen einer interaktiven Wertschöpfung
zwischen einem Hersteller und seinen Kunden ist es oft Aufgabe des Herstellers, diese
Produktionskosten zu übernehmen und allen Beteiligten zur Verfügung zu stellen (oder
aber besonders motivierte Nutzer übernehmen diese Investitionskosten). Diese
Investition signalisiert allen potenziellen Beitragenden auch das Commitment des
Herstellers (oder Betreibers) in diese Form der Wertschöpfung – und stellt zugleich eine
wesentliche Voraussetzung dar, damit die Kosten für die Beitragenden möglichst gering
sind. Diese Anfangsinvestitionen sind Bestandteil eines größeren Sets an bestimmten
Kompetenzen und Kapazitäten (“Interaktionskompetenz”), die ein Anbieterunternehmen besitzen muss, um erfolgreich an der interaktiven Wertschöpfung teilzunehmen.
Kasten 2–12:
Literaturempfehlungen zu den Prinzipien der Arbeitsteilung und
Organisation der interaktiven Wertschöpfung
„ Benkler, Yochai (2002). Coase’s Penguin, or: Linux and the nature of the firm. The Yale Law
Journal, 112 (2002): 369-446 (Online-Publikation unter www.benkler.org/CoasesPenguin.html)
„ Ramirez, Rafael (1999). Value co-production: intellectual origins and Implications for practice
and research. Strategic Management Journal, 20 (1999) 1: 49-65.
„ Wikström, Solveig (1996a). Value creation by company-consumer interaction. Journal of
Marketing Management, 12 (1996): 359-374.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
2.4.4 Interaktive Wertschöpfung aus Kundenperspektive:
Free Revealing und Nutzen der Interaktion
Interaktive Wertschöpfung als sozialer Austauschprozess (Abschnitt 2.4.1) ist nur dann
erfolgreich, wenn alle Beteiligten einen angemessenen Nutzen daraus ziehen
(Reichwald / Bullinger 2000). Eine interessante Frage stellt sich deshalb insbesondere
nach dem Nutzen der Kunden, die ihr Wissen beispielsweise in Form von fertigen
Prototypen oftmals ohne erkennbare monetäre Gegenleistung preisgeben oder “verschenken”. Dieses Phänomen wird von Harhoff / Henkel / von Hippel (2003) als “free
revealing” bezeichnet und ist wie folgt definiert: “[…] granting of access to all interested agents without imposition of any direct payment.”
“Free revealing” bezeichnet die Beobachtung, dass viele Kunden bzw. Nutzer ihr Wissen
unter bewusstem Verzicht auf Gegenleistung sowie Eigentums- und Verfügungsrechte an
andere Akteure, insbesondere den Hersteller, weitergeben.
“Free Revealing” – Kunden erwarten keine Gegenleistung
Geben Kunden ihr Wissen unter bewusstem Verzicht auf Gegenleistung sowie
Eigentums- und Verfügungsrechte weiter, so tragen sie zu einem quasi-öffentlichen
Gut bei. Deshalb dürften eigentlich keine gemeinschaftlich hervorgebrachten
Wertschöpfungsergebnisse entstehen, für die Kunden ihre Ansprüche ohne erkennbare Gegenleistung abtreten und das Unternehmen der direkte Nutznießer ist. Harhoff,
Henkel und von Hippel (2003) nennen aber folgende Gründe dafür, warum Kunden
ihr Wissen ohne direkte Gegenleistung an ein Herstellerunternehmen weitergeben.
Diese Gründe geben schon einen ersten Einblick in die vielfältigen Anreize (erwarteter
Nutzen), die die Kunden im Rahmen der interaktiven Wertschöpfung zur Teilnahme
motivieren:
„ Produktnutzung und Verbesserungen: Kunden können durch die freiwillige Weitergabe profitieren, wenn sie die betreffende Leistung durch die Zusammenarbeit
mit einem Unternehmen überhaupt erst oder aber billiger beziehen können als bei
der Eigenerstellung. Auch die potenziellen Verbesserungen durch weitere Kunden
können für eine Offenlegung ausschlaggebend sein.
„ Netzeffekte und Standards: Durch die Weitergabe können Kunden die Verbreitung einer Leistung unter den Abnehmern fördern. Aufgrund von (indirekten)
Netzeffekten kann das den Wert der Leistung für den Urheber erhöhen, bspw.
durch die Herausbildung eines zertifizierten Standards oder eines Markts für komplementäre Leistungen.
„ Niedrige Rivalität: Kunden sind eher geneigt zur Weitergabe, wenn sie nicht in
unmittelbarer Konkurrenzbeziehung zu den anderen Abnehmern stehen, bspw.
aufgrund geographischer Distanz. Das reduziert die Gefahr, dass die Wettbewerber
ebenso oder sogar stärker Nutznießer werden können.
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„ Reputation: Durch die Weitergabe können Kunden ferner eher indirekten Nutzen
erfahren, z. B. positive Signale auf dem Arbeitsmarkt, eine verbesserte Beziehung
zum jeweiligen Herstellerunternehmen, einen vorteilhaften Ruf unter Kunden
sowie abgeleitet den Stolz auf die eigene Leistung.
“Collective Invention” und “Peer Production” als Erklärung für den Verzicht auf
Gegenleistung
Das Modell der “Collective Invention” (Allen 1983) nimmt den Gedanken auf, dass
eine freie Weitergabe von Wissen über Produkte insbesondere dann erfolgt, wenn
Verbesserungen des Produktes durch andere zu erwarten sind. Die Erwartung dieser
Verbesserungen stellt den wesentlichen Anreiz für die Nutzer zur Mitwirkung am
gemeinsamen Wertschöpfungsprozess dar. Einige Nutzer werden das Produkt zwar
lediglich adoptieren und nachbauen, sobald es frei verfügbar. Andere Nutzer aber werden es verbessern und stehen damit ebenfalls vor der Entscheidung über eine freie
Weitergabe. Das Modell der “Collective Invention” geht so von einer Sequenz von
Nutzern aus, die das Produkt inkrementell verbessern, weitergeben und so neue
Verbesserungen anstoßen. Jeder kooperative Beteiligte leistet somit einen Beitrag zu
einem gemeinsamen Wissenspool, der als öffentliches Gut unter einer marktlichen
Institutionalisierung nicht entstehen würde (Abschnitt 2.4.3.5). Beispiele für
“Collective Invention” reichen vom Wissenschaftsprozess generell, über die
Stahlindustrie während der frühen Industrialisierung (Allen 1983) bis hin zu unserem
Kite-Surfing-Beispiel in Kasten 2–7 oder der Open-Source-Software-Entwicklung, bei
der Entwickler durch die Copyleft-Lizenz sogar zur Weitergabe ihrer Modifikationen
verpflichtet sind (von Hippel / von Krogh 2002; siehe auch Abschnitt 3.5.4). Durch die
Institution “Collective Invention” sind Wissenstransfers möglich, die unter
Marktbedingungen oder unter formalen geregelten und stärker institutionalisierten
Kooperationsbedingungen nicht stattfinden würden. Im Kontext der interaktiven
Wertschöpfung kann ein Unternehmen folglich eine Interaktion mit Kunden auf Basis
der Nutzenerwartungen durch Verbesserungen stimulieren. Dafür sollte es den
“Collective Invention”-Prozess eventuell durch eine geeignete Plattform unterstützen,
jedoch in keinem Fall die Kette freier Weitergaben durch eigenes proprietäres
Verhalten (Erwerb und Verfolgung gewerblicher Schutzrechte) durchbrechen.
Einen weiteren Anhaltspunkt zur Ableitung des Kundennutzens gibt das in Abschnitt
2.4.3 dargestellte Modell der “Commons-based Peer Production”. Dort wird die
Problematik tendenziell dadurch gelöst, dass Wertschöpfungsaufgaben soweit wie
möglich “modularisiert” und “granularisiert” sind. In dem Maße, wie es Unternehmen
gelingt, die betreffenden Wertschöpfungsaufgaben in verschiedene (kleinste) Teilaufgaben zu zerlegen, können sich heterogene Kunden Teilaufgaben entsprechend ihrer
Disposition und (intrinsischen) Nutzenerwartung auswählen. Die Problematik des
Kundennutzens wird so tendenziell marginalisiert. Wir werden aber in Abschnitt 2.4.7
zeigen, dass diese “Stellschraube” mit zusätzlichen Kosten erkauft werden muss.
Dass die interaktive Wertschöpfung generell ohne explizite Gegenleistung für die
Kunden erfolgen kann, ist eine optimistische Auffassung, die nicht alle Autoren teilen
(Brockhoff 2005). Viele Erklärungen gehen davon aus, dass Kunden bereits im Vorfeld
ein Produkt entwickelt haben und deshalb gar nicht mehr vor der Entscheidung ste73
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hen, Aufwand in einen Beitrag zur gemeinsamen Wertschöpfung mit einem Unternehmen zu leisten. Ferner wird häufig davon ausgegangen, dass die Geheimhaltung
ohnehin nur für kurze Zeit möglich ist und eine Lizenzierung der Entwicklung keine
bedeutenden Ertragsmöglichkeiten aus Sicht der Kunden birgt (von Hippel 2005). Hier
bestätigen Ausnahmen die Regel, denn es kommt durchaus vor, dass innovative
Kunden zu erfolgreichen Herstellern ihrer eigenen Entwicklung werden (meist aber
erst dann, wenn sich ein etablierter Hersteller nicht für ihre Innovation interessiert hat;
siehe hierzu Lettl / Herstatt / Gemünden 2004). Wissenschaftliche Beiträge zeigen zu
diesem Thema ein uneinheitliches Bild:
„ Franke und Piller (2004) zeigen in einer empirischen Untersuchung sogar das
Gegenteil: In der Erwartung, dass Kunden ein Produkt erhalten, das ihre
Vorstellung besser als ein Standardprodukt erfüllt, sind sie bereit, mehr zu zahlen,
obwohl sie im Vorfeld zur Entstehung des Produktes beigetragen haben.
„ Dellaert und Syam (2001) zeigen in einem spieltheoretischen Modell, dass Kunden
eigentlich vorab für den Beitrag zur Wertschöpfung und ihre Interaktionskosten
bezahlt werden müssten, weil Unternehmen nach Fertigstellung des Produktes
keine Anreize mehr zu Preisnachlässen haben (Hold-up-Problem). Im Gegensatz
zu dem empirischen Ergebnis von Franke und Piller sind Unternehmen auch im
Monopolfall nicht in der Lage, einen höheren Preis zu verlangen, weil Kunden zur
Wertschöpfung beigetragen haben.
„ Brockhoff (2005) zeigt in einem einfachen spieltheoretischen Modell, dass
Transferzahlungen in beide Richtungen denkbar sind. Die Partei, die einen größeren Nutzen aus der interaktiven Wertschöpfung zieht, muss einen Teil dieses
Mehrnutzens an die andere Partei abgeben. Die Höhe des aufzuteilenden
Gesamtnutzens aus der interaktiven Wertschöpfung ergibt sich in diesem Modell
aus (1) dem Nutzenzuwachs für den einzelnen Kunden aus dem neuen Produkt, (2)
den (Entwicklungs- und Produktions-)Kosten für die Anpassung des Lösungsraums des Unternehmens sowie (3) den entgangenen bzw. zusätzlichen Gewinnen,
die das Unternehmen auf Basis des angepassten Lösungsraums mit anderen
Kunden erzielen kann. Eine Transferzahlung des Kunden an das Unternehmen ist
denkbar, wenn der Nutzenzuwachs des Kunden größer ist als die Gewinnpotenzialveränderung, verringert um die Anpassungskosten des Unternehmens.
Darauf lässt sich der Kunde aber nur ein, wenn der Nutzenzuwachs aus dem neuen
Produkt größer ist als die verlangte Transferzahlung (z. B. der Produktaufpreis,
den auch Franke und Piller 2004 nachweisen). Eine Transferzahlung des
Unternehmens an den Kunden ist erforderlich, wenn die Anpassung des Lösungsraums das Gewinnpotenzial des Unternehmens über die Maßen des Nutzenzuwachses für den einzelnen Kunden erhöht.
Extrinsicher vs. Intrinsischer Nutzen
Zukünftige Forschung muss zeigen, ob diese zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse
auf eine unterschiedliche Berücksichtigung des intrinsischen Nutzens im Gegensatz
zum extrinsischen Nutzen zurückzuführen sind. Extrinsischer Nutzen wird aus dem
Ergebnis einer Tätigkeit abgeleitet. Die Tätigkeit wird nicht um ihrer selbst willen aus74
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geführt, sondern im Hinblick auf eine adäquate Belohnung (Osterloh / Kuster / Rota
2004). In der interaktiven Wertschöpfung ist das entweder die Aussicht auf ein besseres Produkt (d. h. bessere Erfüllung eines bislang offenen Problems bzw. unbefriedigenden Bedürfnisses) oder aber eine monetäre Gegenleistung in Form von
Transferzahlungen oder Rabatten. Ein Menschenbild, welches das alleinige Streben
nach extrinsischem Nutzen unterstellt, greift jedoch zu kurz.
Eine zweite Nutzenkategorie, die von Bedeutung für die interaktive Wertschöpfung
aus Kundensicht ist, ist der intrinsische Nutzen. Dieser bezieht sich auf die Ausführung einer Tätigkeit selbst. Eine Aktivität wird um ihrer selbst willen geschätzt und
auch ohne unmittelbare Gegenleistung ausgeführt. Intrinsischer Nutzen hat zwei
Dimensionen (Lindenberg 2001; Osterloh / Kuster / Rota 2004), die sich auf den Kontext
der interaktiven Wertschöpfung übertragen lassen:
„ Freude an einer Tätigkeit (Deci et al. 1999): Das Interaktionserlebnis als solches ist
positiv und nutzenstiftend, wenn es das Gefühl von Spaß, Kompetenz, Exploration
und Kreativität vermittelt.
„ Erfüllung von Normen um ihrer selbst willen (Frey 1997): Das Interaktionserlebnis ist nutzenstiftend, wenn die Interaktion mit dem Unternehmen oder anderen
Kunden die Erfüllung von sozialen Normen bedingt. Beispiele für eine solche
Norm sind z. B. (generalisierte) Reziprozität, Gemeinnützigkeit (Frey / Meyer
2002) oder Fairness (Fehr / Schmidt 1999). Fehr und Schmidt (2002) zeigen beispielsweise, dass die Berücksichtigung des Nutzens aus sozialer Normerfüllung ein
an materiellen Leistungsbeziehungen gemessenes Gefangenendilemma in ein
Koordinationsspiel transformieren kann, in dem dann auch kooperatives Verhalten
optimal sein kann.
Wir werden die Nutzenperspektive aus Kundensicht in den folgenden Teilen des Buchs
noch deutlich weiter vertiefen, wenn wir die einzelnen Formen der interaktiven Wertschöpfung, Open Innovation und Produktindividualisierung, näher betrachten (siehe
Abschnitte 3.3 und 4.3). Wir können aber schon an dieser Stelle festhalten, dass in
Ergänzung zum extrinsischen Nutzen, der in der klassischen Argumentation stets im
Vordergrund steht (Entlohnung durch Lohn), auch das Interaktionserlebnis als intrinsischer Nutzen von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der interaktiven
Wertschöpfung sein kann. Dies gilt selbst für den Fall, dass Kunden eigentlich den Kauf
eines individualisierten Produktes anstreben (Dellaert / Stremersch 2005; Ihl et al. 2006).
2.4.5 Interaktive Wertschöpfung aus Unternehmensperspektive:
Effiziente Differenzierung und Zugriff auf knappe
Ressourcen
Im Folgenden wollen wir auf den Nutzen der interaktiven Wertschöpfung für
Unternehmen eingehen. In Abschnitt 2.4.3 haben wir bereits die Nutzenpotenziale der
interaktiven Wertschöpfung als Organisationsform aufgezeigt: Wertschöpfungsaufgaben des Unternehmens werden durch die Übertragung auf Kunden und den Wegfall
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eines kostenintensiven Wissenstransfers effizienter ausgeführt. Da tendenziell auf vertragliche Regelungen verzichtet wird, fallen dabei auch vergleichsweise geringe Transaktionskosten zur Abstimmung an. Diese Effizienzbetrachtung soll um eine Effektivitätsbetrachtung auf Basis der strategischen Vorteilhaftigkeit der interaktiven Wertschöpfung aus Unternehmenssicht erweitert werden. Deshalb stellen wir uns die klassische Frage des strategischen Managements (Rumelt / Schendel / Teece 1991): Kann
die interaktive Wertschöpfung Erfolgsunterschiede zwischen und insbesondere Wettbewerbsvorteile von Unternehmen im Vergleich zu ihren Mitbewerbern erklären? Für
die Erklärung und Gestaltung von Wettbewerbsvorteilen haben sich zwei dominante
Ansätze herausgebildet, vor deren Hintergrund im Folgenden die strategische Vorteilhaftigkeit der interaktiven Wertschöpfung herausgearbeitet werden soll: der marktorientierte und der ressourcenorientierte Ansatz des strategischen Managements.
Eine marktorientierte Strategieperspektive auf die interaktive Wertschöpfung
Der marktorientierte Ansatz (Porter 1980, 1985, 1996) nimmt eine Outside-in-Perspektive ein und betrachtet die Branchenstruktur und Determinanten der Branchenattraktivität, operationalisiert durch das Gewinn- bzw. Renditepotenzial. Der Ansatz folgt
dem so genannten SCP-Modell (“structure-conduct-performance”) und versucht, aus
der Branchenstruktur (structure) und dem strategischen Verhalten (conduct) den
Erfolg eines Unternehmens in einer Branche zu erklären. Wesentliche Determinanten
der Brachenattraktivität sind die Anzahl der Wettbewerber und die Verhandlungsmacht der Abnehmer.
In Abschnitt 2.2.3 und 2.3.3 haben wir argumentiert, dass das Gewinnpotenzial für
viele Unternehmen wegen der zunehmenden Markttransparenz durch IuK-Technologie, der Individualisierung der Nachfrage sowie das Empowerment der Kunden tendenziell eher sinkt. Deshalb müssen viele Unternehmen ihr strategisches Verhalten
ändern. Dazu gehört für viele westliche Unternehmen vor allem die Abwendung von
einer strategischen Positionierung als Kostenführer zugunsten einer stärkeren
Differenzierung. Hierzu kann die interaktive Wertschöpfung einen wichtigen Beitrag
leisten.
Wie in Abschnitt 2.4.3 dargelegt, zielt eine interaktive Wertschöpfung auf einen besseren Zugang zu Bedürfnisinformationen der Kunden ab, der in diesem Ausmaß durch
eine bloße Marktorientierung und Marktforschung nicht realisiert worden wäre. Diese
Marktinformation erlaubt als Grundlage einer jeden Differenzierungsstrategie einen
besseren “fit-to-market”, d. h. höhere Marktakzeptanz, geringeres Floprisiko und bessere Abstimmung der entwickelten Produkte auf die Bedürfnisse der Kunden. Diese
Marktinformation kann nun entsprechend der (volkswirtschaftlichen) Unterscheidung
in eine vertikale und eine horizontale Produktdifferenzierung auf zwei Ebenen genutzt
werden (Cabral 2000; Dellaert / Syam 2001; Meffert / Bruhn 2003):
„ Bei vertikaler Produktdifferenzierung wird davon ausgegangen, dass alle Kunden
eines Marktsegmentes den gleichen Geschmack und gleiche Präferenzen haben.
Kunden kaufen ein Produkt ausschließlich aufgrund von objektiv besseren Produkteigenschaften und Qualitätsunterschieden. Bei identischen Preisen bevorzugen alle Kunden dasselbe Produkt, das eine höhere Qualität gegenüber anderen
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Produkten aufweist. Kunden helfen durch ihren Beitrag zur Wertschöpfung einem
Anbieter bei einer vertikalen Produktdifferenzierung, wenn ihr Informationstransfer dem Unternehmen ermöglicht, seinen Lösungsraum um ein Produkt zu
erweitern, das aus Sicht aller Kunden eine Verbesserung bzw. einen Nutzenzuwachs darstellt (Dellaert / Syam 2001). Dies entspricht dem Fall der Open
Innovation (siehe zu diesem Nutzenaspekt ausführlich Abschnitt 3.2.1).
„ Im Gegensatz dazu spricht man von horizontaler Produktdifferenzierung, wenn
die Kunden trotz desselben Preises unterschiedliche Präferenzen für Produkte
haben. Unter den Kunden herrscht keine allgemeine Meinung darüber, welches
Produkt dem anderen überlegen ist. Kunden ziehen je nach ihren persönlichen
Präferenzen Produkte mit bestimmten Merkmalen (Farbe, Größe usw.) anderen
Produkten vor. Die Nutzung der Bedürfnisinformation eines einzelnen Kunden
trägt genau zu dieser horizontalen Differenzierung bei, wenn im Falle der
Produktindividualisierung ein Anbieter ein auf die Präferenzen und Vorlieben
eines einzelnen Kunden genau abgestimmtes Produkt herstellen kann. Der für diesen einzelnen Kunden entstehende Nutzenzuwachs, entsprechend einer höheren
wahrgenommenen Produktqualität, äußert sich dann oft durch eine höhere
Zahlungsbereitschaft (siehe hierzu ausführlich Abschnitt 4.3.1).
Aus Unternehmenssicht kann der Wert des Beitrags von Kunden zur Wertschöpfung
folglich große Unterschiede haben. Ein Wertschöpfungsbeitrag, der Unternehmen zu
einer Erweiterung des Lösungsraums verhilft und für alle Kunden einen
Nutzenzuwachs birgt, ist oft von deutlich höherem Wert als der Beitrag, der zu einer
Konkretisierung oder Anpassung des Lösungsraums führt, um die Bedürfnisse eines
einzelnen Kunden zu befriedigen. Doch auch hier handelt es sich um zwei Extreme
eines Kontinuums entlang dem Innovations- bzw. Neuigkeitsgrades der interaktiv entwickelten Leistung (Brockhoff 2003; Hausschildt / Schlaak 2001). Die interaktive
Wertschöpfung zielt darauf ab, auch für tendenziell hohe Innovationsgrade eine breite
Marktakzeptanz frühzeitig sicherzustellen.
Eine ressourcenorientierte Strategieperspektive auf die interaktive Wertschöpfung
Der ressourcenorientierte Ansatz sieht in einer Inside-Out-Perspektive strategisch
wertvolle Ressourcen (Fähigkeiten, Kompetenzen oder Routinen) eines Unternehmens
als Ausgangspunkt zur Erklärung von Wettbewerbsvorteilen (Barney 1991; Amit /
Schoemaker 1993). Der strategische Wert von Ressourcen bestimmt sich vor allem aus
ihrem Charakter sowie ihrer Einzigartigkeit bzw. Seltenheit. Zur nachhaltigen
Sicherung des Ressourcenwerts gewinnen deshalb jene Aspekte für das Unternehmen
an Bedeutung, die es gestatten, den Unterschied in der Ressourcenausstattung zu den
Wettbewerbern aufrecht zu erhalten (“Kernkompetenzen”). Begünstigt wird dies
durch den Umstand, dass Ressourcenaufbau und -nutzung meist intransparente und
komplexe Lern- und Wirkungsprozesse im Unternehmen zugrunde liegen, die häufig
zu einem gewissen Grad vor Imitation schützen (Dierickx / Cool 1989). Strategisch
wichtige Ressourcen lassen sich auch meist nicht auf Märkten beschaffen (Barney
1986). In der Vergangenheit wurden Unternehmen häufig als eigenständige
Wertschöpfungseinheiten betrachtet, über deren Ressourcen unternehmensintern verfügt wurde. Interne, unternehmensspezifische Verfahren bildeten die maßgebliche
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Grundlage zur Entwicklung von Kernkompetenzen. Mit der Ablösung der tayloristischen durch die Netzwerk-Perspektive hat sich dieses Ressourcenverständnis jedoch
gewandelt. Unternehmen erlangen Kernkompetenzen demnach nicht nur durch den
Aufbau, den Verbund und die Pflege eigener Ressourcen, sondern zunehmend durch
den Zugang zu Ressourcen und Kompetenzen ihrer Wertschöpfungspartner. Hierzu
zählen klassischerweise die Zulieferer, Entwicklungs- und Vertriebspartner oder Investoren (Bamberger / Wrona 1996).
Im Konzept der interaktiven Wertschöpfung werden insbesondere die Kunden bzw.
Information der Kunden als strategische externe Ressource gesehen (Gouthier /
Schmid 2001; Grün / Brunner 2003; Prahalad / Ramaswamy 2000; Shankar / Bayus
2003), eine Sichtweise, die im Dienstleistungsmanagement schon länger verbreitet ist
(z. B. Bateson 1985; Fitzsimmons 1985; Day 1994; Langeard et al. 1981; Meyer /
Blümelhuber / Pfeiffer 2000; Plinke 1998). Schafft es ein Unternehmen, Zugang zu dieser Ressource zu bekommen, kann es einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der
Konkurrenz bekommen. Die “strategische Ressource Kunde” umfasst dabei nicht nur
den Zugang zu deren “sticky information” (bzw. Artefakten, die diese repräsentieren), sondern auch die Beziehung, das Vertrauen und den sozialen Austausch, der im
Zuge der Interaktion mit den Kunden aufgebaut wurde. Gerade letzterer Aspekt
macht auch bei Offenlegung der Informationen als quasi-öffentliches Gut eine strategische Verwendung dieser Information möglich, selbst wenn auch die
Konkurrenten Zugriff auf die Information selbst bekommen können. Dazu kommt
auch, dass die Verwendung der Information oft auf einen konkreten Lösungsraum
eines Unternehmens bezogen ist, der ebenfalls eine schlecht imitierbare Ressource
darstellt, da er Ergebnis eines komplexen interaktiven Lern- und Wirkungsprozesses
ist.
Abhängigkeit von der Ressource Kundenwissen
Anbieter, die ihre Kunden als Ressource begreifen, müssen im Hinblick auf eine erfolgreiche Wertschöpfung allerdings komplementäre Kompetenzen zur Interaktion mit
ihren Kunden aufbauen. Dies kann mit der verwandten Theorie der Ressourcenabhängigkeit (Resource Dependence Theory nach Pfeffer / Salancik 1978) beschrieben
werden. Sie hat für das Verständnis von Interaktionsbeziehungen zwischen
Unternehmen und Kunden große Bedeutung. Nach der Resource Dependence Theory
hängt die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens davon ab, ob es sich benötigte
und knappe Ressourcen aus der externen Unternehmensumwelt verschaffen kann.
Ressourcen können finanzielle Mittel, Personal, Produkte, Macht oder Information und
Wissen sein. Die Abhängigkeit eines Unternehmens von externen Ressourcen resultiert aus verschiedenen Umständen wie
„ der Wichtigkeit der Ressource für den Fortbestand des Unternehmens und seiner
operativen Tätigkeit,
„ der Stärke des Einflusses, den die externe Interessensgruppe auf die Ressource
bzw. seine Allokation und Verwendung ausübt, oder
„ der Existenz alternativer Beschaffungsmöglichkeiten.
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In ihrer Abhängigkeit wird den Unternehmen aber nicht eine passive Haltung, sondern
eine aktive Gestalterrolle unterstellt. Unternehmen müssen nach Strategien suchen, um
die Abhängigkeit zu planen und zu steuern. Dazu schlägt die Resource Dependence
Theory vor, die Austauschbeziehungen des Unternehmens durch mehr oder weniger
formale Beziehungen zu externen Partnern wie Kunden, Lieferanten oder Distributoren zu strukturieren. Der Aufbau dieser Beziehungen als Maßnahme zur Reduktion der Abhängigkeit läuft auf eine bewusste Intensivierung der Koordination und
Interaktion zwischen den Geschäftspartnern hinaus (Gruner / Homburg 2000; Zahra /
George 2002). Maßnahmen zur Intensivierung der Koordination, die den Zugang zu
der kritischen Ressource sicherstellen sollen, werden auch “Bridging-Strategien”
genannt (Pfeffer / Salancik 1978: 144). Ziel ist es, die Unternehmensgrenzen durchlässiger zu machen und eine informationelle Brücke zu externen Organisationen zu
bauen, um den Ressourcenaustausch zu erleichtern. Häufig wählen Unternehmen
Bridging-Strategien, um ihre eigene Innovationstätigkeit zu verbessern. Insbesondere
Wissen, das innerhalb der eigenen Organisationsgrenzen nicht verfügbar ist, zeigt sich
oft als innovationskritische Ressource, so dass Bridging-Strategien auf einen regelmäßigen und wiederholten Wissensaustausch mit den externen Partnern abzielen. Genau
dies ist das strategische Ziel der interaktiven Wertschöpfung im Sinne der Resource
Dependence Theory. Um allerdings den erfolgreichen Zugriff auf die kritische
Ressource Kundenwissen im Rahmen der interaktiven Wertschöpfung durchführen zu
können, braucht ein Anbieterunternehmen selbst bestimmte interne Fähigkeiten und
Kompetenzen, die als Investitionen zur Verwirklichung der “Briding Strategie” aufgefasst werden können. Diese internen Fähigkeiten eines Anbieters, um selbst an der interaktiven Wertschöpfung erfolgreich teilzunehmen, nennen wir Kundeninteraktionskompetenz. Diesen wichtigen Aspekt behandeln wir im folgenden Abschnitt 2.4.6.
Kundeninteraktion als Erfolgsfaktor
Dass es sich für einen Anbieter lohnt, diese Kundeninteraktionskompetenz aufzubauen
und in entsprechende Maßnahmen zu investieren, zeigen erste empirische Studien, die
einen Nachweis für den (strategischen) Erfolgsbeitrag von Kundeninteraktion liefern. So
zeigen z. B. Gruner und Homburg (2000), dass die Interaktion mit Kunden insbesondere
in frühen und späten Phasen Erfolg versprechend ist (Abbildung 2–13, links). Die
Erfolgswirkung ist dabei auf die marktbezogene Absicherung von Produktkonzepten, den
Test von Prototypen und die Unterstützung bei der Markteinführung zurückzuführen.
Ernst (2001) zeigt ergänzend, dass die Erfolgswirkung insbesondere dann besonders
ausgeprägt ist, wenn die interaktive Wertschöpfung einer hohen Marktunsicherheit,
Spezifität und Abhängigkeit von Kundenwissen in der Wertschöpfung entgegengewirkt. Darüber hinaus zeigt er aber auch, dass der Zusammenhang zwischen Profitabilität und dem Umfang des Beitrages, den Kunden zur Wertschöpfung leisten, nicht
linear ist (Abbildung 2–13, rechts). Es existiert ein optimaler Grad der interaktiven
Wertschöpfung. Wird das Optimum überschritten, nimmt die Profitabilität ab. Das
deutet darauf hin, dass interaktive Wertschöpfungsprozesse eines umsichtigen
Managements bedürfen, um eventuell auch negativen Auswirkungen der interaktiven
Wertschöpfung entgegenzuwirken, wie z. B. eine Ablehnung durch die Mitarbeiter
(“Not Invented Here”-Syndrom, siehe Howells 1990; Staudt / Bock / Mühlmeyer 1990).
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Abbildung 2–13: Interaktive Wertschöpfung und Unternehmenserfolg (modifiziert nach
Ernst 2004)
Erfolg
Gruner/ Homburg 2000
Früh
Mittel
Spät
Wertschöpfungsphase
Erfolg
Ernst 2001
Ausmaß der interaktiven
Wertschöpfung
Einfluss neuer Informations- und Kommunikationstechnologien
Die Graphen in Abbildung 2–13 zeigen auch, dass die Erfolgswirkung der interaktiven
Wertschöpfung durch den Einsatz neuer IuK-Technologien als “enabling technology”
angehoben werden kann (skizziert in den beiden Abbildungen durch die gestrichelte
Linie). So ermöglichen neuartige internetbasierte Instrumente nun auch die
Kundenintegration in mittleren Wertschöpfungsphasen wie Konzepttest und Design
(Bartl 2005). Mit so genannten Toolkits oder Konfiguratoren (siehe Abschnitte 3.5.2 und
4.4.4) können Produkte gemeinsam mit Kunden virtuell entworfen, modelliert und
simuliert werden. Dies bewirkt eine Verschiebung der U-förmigen Kurve im Bild von
Gruner und Homburg nach oben.
Durch die neuen IuK-Technologien wird die interaktive Wertschöpfung auch insgesamt kontinuierlicher, regelmäßiger und flexibler in Bezug auf Umfang und
Ausmaß von Kundenbeiträgen zur Wertschöpfung, verdeutlicht durch einen längeren Anstieg der Kurve im Bild von Ernst (Abbildung 2–13 rechts). Die Möglichkeit,
umfangreiche Wertschöpfungsaufgaben digital abzubilden, zu modularisieren und
in granulare Teilaufgaben zu zerlegen, verbessert die Anwendbarkeit der “Peer
Production”. Das heißt, die Übertragung komplexer Aufgaben auf eine Vielzahl an
Kunden kann unter weitestgehender Vermeidung von Störungen im Ablauf und
der Koordination erfolgen (Bessen / Maskin 2000; Bessen 2002). Dabei wird durch
das Internet die Transparenz erreicht, die für eine Zuordnung der Kunden zu
den Teilaufgaben durch Selbstselektion entsprechend ihrer Motivation und Fähigkeiten notwendig ist (Benkler 2002). Die Kundeninteraktion kann zudem in der
sozialen Sphäre, d. h. in Vernetzung von Kunden untereinander in Communities,
erfolgen.
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Neue Formen der Arbeitsteilung
Kasten 2–13:
Literaturempfehlungen zu den Wettbewerbsvorteilen durch Interaktive
Wertschöpfung
„ Gouthier, Matthias / Schmid, Stefan (2001). Kunden und Kundenbeziehungen als Ressourcen
von Dienstleistungsunternehmen. Die Betriebswirtschaft (DBW), 61 (2001) 2: 223-239.
„ Grün, Oskar / Brunner, Jean-Claude (2003). Wenn der Kunde mit anpackt: Wertschöpfung
durch Co-Produktion. Zeitschrift Führung Organisation ZFO, 72 (2003) 2: 87-93.
„ Normann, Richard / Ramirez, Rafael (1993). From value chain to value constellation. Harvard
Business Review, 71 (1993) 4 (July / August): 65-77.
„ Prahalad, Coimbatore (CK) / Ramaswamy, Venkatram (2000). Co-opting customer competence. Harvard Business Review, 79 (2000) 1 (January / February): 79-87.
2.4.6 Interaktionskompetenz und interaktionsförderliche
Organisations- und Kommunikationsstrukturen
Der letzte Abschnitt hat gezeigt, dass es sich aus vielerlei Gründen für ein
Anbieterunternehmen lohnt, die interaktive Wertschöpfung als Organisationsprinzip
für eine arbeitsteilige Leistungserstellung mit den Kunden zu verwirklichen. Jedoch
bedeutet interaktive Wertschöpfung nicht einfach das “Outsourcen” von Aufgaben an
den Kunden, sondern verlangt vielmehr auch eine aktive Beteiligung durch den
Anbieter, der hierfür bestimmte Ressourcen und Fähigkeiten besitzen muss. Dieser
Aspekt wurde bereits im letzen Abschnitt in Zusammenhang mit “Bridging Strategies”
im Rahmen des Resource Based View angesprochen. Ebenfalls haben wir bereits in
Abschnitt 2.4.3.4 gesehen, dass der grundlegende Organisationsmechanismus
Granularität und Selbstselektion nur dann funktionieren kann, wenn der Hersteller
anschließend mit relativ geringen Transaktionskosten eine Integration der
Teilaufgaben vornehmen kann. Dies beinhaltet sowohl die Qualitätskontrolle und
Auswahl der einzelnen Beiträge als auch die Kombination der Teilergebnisse zu einem
verwertbaren Gesamtergebnis. Auch hierzu bedarf es neuer Kompetenzen und
Fähigkeiten, die wir in ihrer Gesamtheit als Interaktionskompetenz eines Hersteller
bezeichnen.
Notwendige Fähigkeiten teilnehmender Kunden (Lead User)
Natürlich müssen auch auf der Kundenseite entsprechende Fähigkeiten vorhanden
sein, damit sich Kunden gewinnbringend in die kooperative Wertschöpfung mit dem
Hersteller einbringen und einen wirklichen Beitrag zur Problemlösung leisten können.
Nicht alle Kunden eines Unternehmens eignen sich gleichermaßen für eine Integration
in einen gemeinsamen Innovationsprozess mit einem Anbieter. Vielmehr konzentriert
sich diese Eignung auf eine ausgewählte Gruppe von Nutzern bzw. Kunden. Nach von
Hippel (1986) sind es „fortschrittliche Kunden” (Lead User) mit bestimmten
Charakteristika, die innovative Leistungen initiieren und demzufolge konsequent in
den Innovationsprozess integriert werden sollten. Diese fortschrittlichen Kunden
haben sowohl Bedürfnis- als auch Lösungsinformation, d. h. sind in der Lage, ein
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neues Bedürfnis zu erkennen und in eine Problemlösung zu überführen. Da Lead User
per Definition der Gesamtheit der Kunden in einem Markt voraus sind, ist ihre Zahl
begrenzt (auch wenn es die Idee der in Kapitel 3 vorgestellten Methoden ist, diese Zahl
zu erhöhen). Deshalb ist nicht nur ihre Innovationsfähigkeit, sondern auch ihre
Innovationsbereitschaft von hoher Bedeutung, damit sich Lead User am
Innovationsvorhaben einer Unternehmung beteiligen. Wir werden beide Aspekte ausführlich in Abschnitt 3.2.3 und vor allem Abschnitt 3.3.1 diskutieren. Wenden wir uns
aber im Folgenden der Interaktionskompetenz des Herstellerunternehmens zu.
Knappheit von Wissen und industrieller Wandel
Zum Verständnis der Interaktionskompetenz (des Herstellers) ist ein kurzer Rückblick
auf die drei Phasen industrieller Entwicklung von der tayloristischen Industrieproduktion bis zur interaktiven Wertschöpfung hilfreich. Die Entwicklung von einer
Stufe zur nächsten kann mit einem Wandel der Bedeutung von Wissen erklärt werden.
In allen drei Stufen basiert erfolgreiches Unternehmertum auf der Transformation von
Wissen (Foray / Lundvall 1996), jedoch mit jeweils unterschiedlichem Fokus. In der
industriellen Produktion ist dies die Transformation von Wissen in Maschinen und
Werkzeuge sowie, nach Taylor, in arbeitsorganisatorische Abläufe zur Produktivitätsoptimierung. In der zweiten Phase der Netzwerkökonomie steht die Transformation von Wissen in vernetzten Organisationsstrukturen zum Aufbau von
Wettbewerbsvorteilen durch Flexibilität und Marktnähe im Vordergrund. Die aktuelle
ökonomische Entwicklung ist durch die Transformation von Wissen in Wissensprodukte geprägt (Drucker 1998). In vielen Branchen entsteht innovative Wertschöpfung
nicht mehr primär durch Materialbearbeitung, sondern durch intelligente Lösungen
für die Gestaltung des Wertschöpfungsprozess. Franz Lehner (2005) betont diesen
Zusammenhang, indem er feststellt dass “Wachstum nicht mehr durch höheres
Produktionsvolumen entsteht, sondern durch mehr Wissen in den Produkten, mehr
Wissen in den Vertriebswegen (z. B. intelligente Verteilungslösungen im Web), mehr
Wissen in den Nutzungsstrukturen (Mobilität, Navigation). Der Wert eines PCs, eines
mobilen Kommunikationsgerätes, einer Werkzeugmaschine oder eines Haushaltsgerätes wird nicht durch die Materialien oder deren Bearbeitung bestimmt, sondern
durch das im Produkt enthaltene Lösungswissen, d. h. durch die investierten
Entwicklungsleistungen.
Wandelt sich dadurch jedoch auch die Produktion materieller Güter immer mehr zur
Wissensproduktion, dann werden die in Abschnitt 2.4.3.5 genannten Besonderheiten
der Ökonomie von Informations- und Wissensproduktion auch für weitere Güter
relevant. Sind Wissensgüter wie Software, Musik, Tools, Dokumente, Bilder, Filme erst
einmal in digitaler Form vorhanden, können sie zu minimalen Kosten im Überfluss
produziert, kopiert, transformiert und versendet werden (Zerdick et al. 2001).
Wissensgüter als digitale Ware sind nicht mehr knapp. Damit scheinen die ökonomischen Gesetze der traditionellen Güterproduktion hier nicht mehr zu gelten. Denn in
der klassischen Marktlehre bestimmt der Knappheitsgrad der Ressourcen den Preis
und deren Verwendungsrichtung bei der Lösung des Allokationsproblems. Nach dieser ökonomischen Logik dürften Unternehmen ihre knappen Produktionsfaktoren
nicht einsetzen, um Güter zu produzieren, die nicht knapp, sondern im Überfluss vor82
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handen sind. Trotzdem werden heute Wissensgüter von Unternehmen in immer
schnelleren Zyklen und größer werdenden Stückzahlen weiter produziert. Eine plausible Antwort auf dieses scheinbare Paradox geben Lundvall und Johnson (1994) in
ihrem Aufsatz „The Learning Economy“: Sie befassen sich mit der Knappheitshypothese in der Wissensökonomie und kommen zu dem Ergebnis “Knowledge is
abundant, but the ability to use it is scare.” Wissen ist im Überfluss vorhanden, aber
die Fähigkeit, es wirtschaftlich sinnvoll zu nutzen, ist knapp. In der Folge unterscheiden sie zwei Kategorien von Wissen: das technisch-naturwissenschaftliche Wissen,
das in der Regel kodifiziert ist und somit explizites Wissen und im Überfluss vorhanden ist und das Anwendungswissen, das in der Regel nicht kodifiziert ist und häufig
ein knappes Gut ist (Abbildung 2–14).
Abbildung 2–14: Unterscheidung von technisch-naturwissenschaftlichem Wissen und
Anwendungswissen
Wissen als Ressource
Technisches Wissen:
Anwendungswissen:
Basiert auf wissenschaftlich fundiertem
Theorie- und Faktenwissen
Basiert auf Erfahrungs- und
Umsetzungswissen
• im Überfluss vorhanden
• knappe Ressource
• überwiegend explizites Wissen
• überwiegend implizites Wissen
• digitalisierbar
• kaum digitalisierbar
• Transfer bei geringen Transaktionskosten
• Transfer bei hohen Transaktionskosten
• Zugriff orts- und zeitunabhängig
• Zugriff stark orts- und zeitabhängig
• Eingeschränkte Eigentums- und
Schutzrechte
• kaum eingeschränkte Eigentums- und
Schutzrechte
• veraltet schnell
• veraltet langsam
• leicht kopierbar
• schwer kopierbar
• schafft kurzfristige Wettbewerbsvorteile
• schafft nachhaltige Wettbewerbsvorteile
Damit hat das Schumpetersche (1934) Gesetz des Unternehmertums, Wissensvorsprünge in Innovationen umzusetzen, weiterhin Bestand. Im Wettbewerb um die
Innovationsfähigkeit sind heute nicht die Unternehmen überlegen, die (nur) über ein
hohes Maß an technisch-naturwissenschaftlichem Wissen verfügen, das oft im Überfluss vorhanden ist. Für den Unternehmenserfolg ist vielmehr die knappe Ressource
“Anwendungswissen” im Sinne von Lundvall und Johnson (1994) entscheidend. Dies
gilt auch bei der interaktiven Wertschöpfung, die ja, wie wir in Abschnitt 2.4.3.4 gese83
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hen haben, in erster Linie eine Wissensproduktion ist, deren direktes Ergebnis auch
häufig ohne direkte Schutzrechte allen Akteuren zur Verfügung steht.
Das Wissen jedoch, wie interaktive Wertschöpfung organisiert und ökonomisch gestaltet werden kann, um Wettbewerbsvorsprünge zu erwerben, ist knapp. Die erfolgreiche
Umsetzung der Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung hängt von diesem
Anwendungswissen ab, das wir als Interaktionskompetenz bezeichnen. Kundeninteraktionskompetenz weist einen konkreten Zielbezug auf, der in der Integration von
Kundenwissen in den Wertschöpfungsprozess des Unternehmens liegt. Sie ist dann
hoch, wenn auf der Umsetzungsebene des Anbieters die Bedingungen für eine erfolgreiche Wissensintegration und Ideenumsetzung bis zum Markterfolg gegeben sind.
Interaktionskompetenz bezeichnet die Gesamtheit der Kompetenzen und Fähigkeiten eines
Anbieters, um die Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung erfolgreich umzusetzen (vgl. Abb.
2-6). Sie konkretisiert sich in den Organisationsstrukturen (interaktionsfördernde
Ablaufstrukturen), in Anreizstrukturen (z. B. monetäre Anreize) als auch in den Systemen und
Werkzeugen der Information und Kommunikation (z. B. Toolkits, Interaktionsplattformen).
Der Erfolg des Unternehmens wird weniger von der Leistungsfähigkeit der vorhandenen
Produktionsfaktoren bestimmt, als vielmehr von der Verfügbarkeit der knappen Ressource
„Anwendungswissen“. Nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielt ein Unternehmen durch den
Aufbau von Interaktionskompetenz (vgl. Abb. 2-15).
Bausteine der Interaktionskompetenz im Unternehmen
Kundeninteraktionskompetenz zeichnet sich dadurch aus, dass ein Unternehmen ein
Maßnahmenbündel für die Kundeninteraktion im Sinne von Bridging-Strategien
(siehe Abschnitt 2.4.5) so implementiert und aufeinander abgestimmt wird, dass die
erfolgskritische Ressource Kundenwissen kontinuierlich zugänglich ist und erfolgreich
im Wertschöpfungsprozess genutzt wird. Der Begriff der Kompetenz folgt dabei
einem holistischen-organisationalen Verständnis “als die Fähigkeit eines Unternehmens zur Ereichung spezifischer Ziele. ... Kompetenz erfasst somit nicht nur die
Qualifikation, etwas zu tun, sondern auch die Anwendung dieser Qualifikation in
Form der Erfüllung von Aufgaben” (Ritter 1998: 53 und 56). Interaktionskompetenz
wird damit zu einer Kernkompetenz der Organisation im Sinne des Resource-Based
View (siehe Abschnitt 2.4.5). Hierbei ist nicht nur das Vorhandensein der Ressourcen
von Bedeutung, sondern auch die Art und Weise, wie verschiedene Ressourcen miteinander verbunden werden können (Prahalad / Hamel 1990). Zum Aufbau von Kernkompetenzen tragen klassische Produktionsfaktoren wie maschinelle oder
Kapitalressourcen weniger bei als “organisationale Ressourcen” im Sinne von etablierten Verfahren, Routinen und Methoden.
Im Ansatz der Theorie der Ressourcenabhängigkeit gilt die “Absorptionsfähigkeit”
eines Unternehmens (“absorptive capacity” nach Cohen / Levinthal 1990) als Maß, wie
gut eine Bridging Strategy den Zugang zu externen Ressourcen ermöglicht. Die
Absorptionsfähigkeit bezeichnet so die Fähigkeit oder Kompetenz eines Unternehmens zur Nutzung und zum Lernen von externen Quellen für die eigene Wissens84
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Neue Formen der Arbeitsteilung
generierung mit dem Ziel der Innovation. Zahra und George (2002) unterscheiden vier
unterschiedliche, aber komplementäre Teilkompetenzen, die die Absorptionsfähigkeit eines Unternehmens ausmachen:
„ Die Akquisition bezieht sich auf die Fähigkeit, extern vorhandenes Wissen zu
identifizieren und aufzunehmen. Die beinhaltet aber auch die Gestaltung von
Anreizsystemen, damit Akteure überhaupt zur Produktion und Offenlegung von
Wissen bereit sind.
„ Die Verarbeitung bezieht sich auf unternehmensinterne Abläufe zur Analyse,
Prüfung, Selektion und Interpretation des erworbenen Wissens.
„ Die Transformation beschreibt die Unternehmensfähigkeit, organisatorische
Routinen zu entwickeln und abzustimmen, die eine gezielte Kombination des neu
erworbenen Wissens mit bereits vorhandenem Wissen anstrebt. Diese Integration
extern erworbenen Wissens in interne Prozesse geht über die Kompetenz normaler
Wertschöpfungsprozesse im Unternehmen hinaus. Hier ist in unserem Zusammenhang vor allem die Reintegration der Teilleistungen im Konzept der “Peer-Production” gemeint.
„ Die Exploitation bezieht sich letztendlich auf die Prozesse der Nutzung des
Wissens und dessen kommerzielle Verwertung durch Innovationen und Produktindividualisierung.
Kundeninteraktionskompetenz kann als Konkretisierung der Absorptionsfähigkeit
in Bezug auf die Integration von Kundenwissen in einen unternehmerischen Wertschöpfungsprozess gesehen werden. Sie sollte derart in der Führungs-, Organisationsund Infrastruktur des Unternehmens verankert sein, dass die Kundeninteraktionskompetenz zu einer sch wer imitierbaren organisationalen Fähigkeit bzw. Routine
werden kann. Auf Basis dieses Begriffsverständnisses bieten sich erste Anhaltspunkte
für konkrete Teilkompetenzen einer Kundeninteraktionskompetenz an, die wir im
Folgenden kurz ansprechen wollen. Wir unterscheiden dabei interaktionsförderliche
Kommunikations-, Anreiz- und Ablaufstrukturen (Abbildung 2–15).
Interaktionsförderliche Kommunikationsstrukturen
Die kommunikationstechnische Unterstützung der interaktiven Wertschöpfung hat
das Ziel, die traditionell einseitig ausgerichtete Kommunikation in einen kontinuierlichen zweiseitigen Dialog mit den Kunden umzuwandeln. Dazu gibt es drei Leitlinien:
„ Unmittelbare Kommunikation beschreibt die Forderung der direkten gegenseitigen Erreichbarkeit und Interaktionsmöglichkeit. Kommunikation darf nicht einseitig sein, sondern muss im Sinne eines interaktiven Problemlösungsprozesses gegenseitigen Austausch ermöglichen. Durch neue Formen eines virtuellen Kundendialogs kann dies häufig zeitnah und zu relativ geringen Kosten realisiert werden.
„ Bedingtheit von Kommunikation bedeutet, dass Kunden gezielt auf eine Ansprache durch den Anbieter und andere Kunden reagieren können. Ihre Beiträge sind
also bedingt durch vorherige Beiträge bzw. können auf diesen in ergänzender
Weise aufbauen. Zusätzlich sind die Kundenbeiträge bedingt durch Motivation,
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Interesse, Fähigkeiten und Wissen des jeweiligen Kunden. Kunden können also Art
und Umfang ihres Beitrags sehr einfach gemäß ihrer momentanen Disposition und
Laune auswählen, anpassen und skalieren (Pribilla / Reichwald / Goecke 1996).
„ Vielseitigkeit der Kommunikation bedeutet eine größere Reichweite und Vernetzung
als beim individuellen Kundendialog. Durch den Aufbau virtueller Gemeinschaften
bzw. Communities erhalten Anbieter z. B. Einblick in die soziale Denkwelt der Kunden
(Kozinets 1999; Sawhney / Prandelli 2000). Der in virtuellen Kundengemeinschaften
mitgeteilte, gemeinsam erzeugte und zusammengetragene Erfahrungsschatz lässt
Unternehmen weiter in die soziale Dimension des Kundenwissens vordringen.
Abbildung 2–15: Bausteine der Interaktionskompetenz
Interaktionskompetenz
Generierung von Anwendungswissen als knappe Ressource
Leitfragen der Interaktionskompetenz
1) Über welche Anreizsysteme wird der
Interaktionsprozess gesteuert?
2) Wie erfolgt der wechselseitige Transfer von
lokalem Wissen („sticky information“)?
3) Wie wird der Prozess der Kundenintegration in
den Wertschöpfungsphasen gestaltet?
4) Welche Werkzeuge der Interaktion stehen für
die Phasen der Innovation und Produktion zur
Verfügung?
5) Nach welchen Kriterien gestaltet sich der
Lösungsraum für Open Innovation/
Produktindividualisierung?
6) Welche Kommunikationskanäle und –formen
fördern die Interaktion?
7) Welche Entlohnungsformen sind im Hinblick
auf den Kundennutzen notwendig?
8) Wie werden arbeitsteilige Prozesse über
Führungskonzepte und -instrumente
koordiniert?
9) Über welche Kompetenzen muss der Kunde
verfügen (Lead-User-Merkmale)?
10)Wie kann die Ökonomie der interaktiven
Wertschöpfung für das Unternehmen gesichert
werden (Kosten der Interaktion)?
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Interaktionsfördernde Strukturen
• Interaktionsförderliche
Kommunikationsstrukturen
• Unmittelbarkeit
• Bedingtheit
• Vielseitigkeit
• Interaktionsförderliche Ablaufstrukturen
• Automatisierte Abwicklung der
Intergrationsaufgabe
• Peer-Production
• Reintegration hierarchischer
Koordinationsformen
• Interaktionsförderliche Anreizstrukturen
• Gate-Keeper-Konzept
• Dezentrale Unternehmensstrukturen
• Entscheidungsdelegation und
Ergebnisverantwortung
• Instrumente zum Wissensaustausch
• Vertrauenskultur
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Neue Formen der Arbeitsteilung
Wie diese Prinzipien im Einzelnen gestaltet werden sollen, wird im Rahmen der
Darstellung konkreter Interaktionsprozesse und -instrumente bei Open Innovation
und Produktindividualisierung näher dargestellt (siehe vor allem Abschnitte 3.5, 4.1.3
und 4.4).
Interaktionsförderliche Ablaufstrukturen
Wenn Innovationen zunehmend über Netzwerke unterschiedlicher Organisationstypen generiert werden, ist der Prozess der Ablauforganisation für die Leistungserstellung über die interne Herstellerorganisation hinaus zu erweitern. Im Mittelpunkt
steht die Frage nach dem „wie“ der Integration unterschiedlicher Akteure und ihrer
Beiträge vor dem Hintergrund diverser Interessen in einem vernetzten Innovationsund Produktionsprozess. Wir werden diese Aspekte auch im Zusammenhang mit der
Diskussion der konkreten Instrumente in Kapitel 3 und 4 wieder aufgreifen. An dieser
Stelle sollen aber bereits einige allgemeine Prinzipien der Ablauforganisation bei der
interaktiven Wertschöpfung angesprochen werden. Es sei jedoch betont, dass die
Erforschung dieser Ablaufprozesse erst ganz am Anfang steht (Benkler 2002). Bislang
hat sich die Wissenschaft in erster Linie damit beschäftigt zu zeigen, dass interaktive
Wertschöpfung existiert und was die wesentlichen Elemente dieses Systems sind.
Arbeiten jedoch, die empirische Belege für “promising practices” zur Organisation der
interaktiven Wertschöpfung aus Unternehmenssicht geben, sind jedoch so gut wie
noch nicht existent (für eine aktuelle Ausnahme siehe Foss / Laursen / Pedersen 2005).
Benkler (2002) selbst unterscheidet eine Reihe von Mechanismen, die das
Integrationsproblem der Teilbeträge verteilter Akteure bei einer Commons-based Peer
Production lösen können:
„ eine automatisierte Abwicklung der Integrationsaufgabe über dedizierte Informationsplattformen,
„ die Peer Production der Integration selbst, d. h. auch die externen Teilnehmer
übernehmen die Integration der Beiträge einzelner in die Wertschöpfungskette,
„ Integration durch Reintegration hierarchischer Koordinationsformen, d. h. eine
interne Abwicklung durch das Herstellerunternehmen.
(1) Vor allem, wenn die Beiträge einzelner Beitragenden relativ gering sind, können
moderne Informationsplattformen einen Teil der notwendigen Integration automatisiert abwickeln. Ein Beispiel ist die Entwicklungsplattform im Kite-Surfing-Beispiel
(Kasten 2–7). Diese mit einem CAD-System vergleichbare Software sorgt bei bestimmten Entwicklungsbeiträgen für eine automatische Integration in die Gesamtentwicklung. Ebenso ist im Fall von Spreadshirt eine automatische Integration der
Kreationen einzelner Kunden (bzw. Betreiber eines “virtuellen T-Shirt-Mini-Shops”) in
das Produktionssystem von Spreadshirt sichergestellt (Kasten 2–8). Lediglich die
Prüfung, ob ein Motiv nicht gegen die guten Sitten bzw. Markenrechte eines Dritten
verstößt, wird noch manuell durch Mitarbeiter von Spreadshirt vorgenommen.
Gleiches gilt für Produktkonfigurationssysteme, wie sie bei Dell zum Einsatz kommen
(Kasten 2–4). Auch hier können die individuellen Spezifikationen einzelner Kunden
durch die Anwendung dieses “Toolkits” automatisch in das Produktionssystem von
Dell übernommen werden. Im Falle wirklich innovativer Beiträge und Ideen von
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Nutzern und Kunden, die den Lösungsraum stark erweitern, scheint jedoch eine automatische Integration der Beiträge nicht möglich.
(2) Eine Möglichkeit aus Herstellersicht ist es in diesem Fall, die Integrationsfunktion
auszulagern und durch die Teilnehmer selbst vollziehen zu lassen (Peer Production
der Integration). Ein gutes Beispiel hierfür ist Threadless. Hier übernehmen die Nutzer
bzw. Kunden den Auswahlprozess weitgehend selbst und entscheiden als Kollektiv,
welche neuen Entwicklungen Teil des Angebots von Threadless werden (Kasten 1–1).
Ein weiteres Beispiel ist Wikipedia, wo die Teilnehmer selbst sowohl neue Beiträge in
das Gesamtsystem integrieren als auch Ergänzungen und Verbesserungen bestehender
Beiträge vornehmen. In diesem Fall ist auch die wichtige Aufgabe der Qualitätssicherung, eine Teilfunktion der Integrationsaufgabe, auf die Gesamtheit der
Beitragenden ausgelagert. Basis der Qualitätssicherung ist dabei das Normen-System
dieser Organisation (siehe dazu Fallstudie in Abschnitt 5.2)
(3) In den meisten Fällen bedeutet jedoch die Integrationsaufgabe eine Reintegration
hierarchischer Koordinationsformen, d. h. die Anwendung eines klassischen
Koordinationsmechanismus im Herstellerunternehmen. Dies gilt vor allem, wenn es
sich bei interaktiver Wertschöpfung um einen durch den Hersteller initiierten Prozess
handelt, bei denen die Kunden in einen Teilbereich der unternehmerischen
Wertschöpfung integriert sind. In diesem Fall sind es die Mitarbeiter des Herstellers,
die in einer klassischen Ablauforganisation die Beiträge der Kunden integrieren und
zum Bestandteil der Gesamtleistung machen.
Ein Beispiel dazu ist Stata Corp., ein Hersteller statistischer Software (von Hippel
2005). Kunden von Stata sind häufig Wissenschaftler oder Entwickler, die die Software
für eine Vielzahl statistischer Tests anwenden. Die Software erlaubt dabei die einfache
Programmierung neuer Tests, falls die vorhandenen Anwendungen in dem Programm
eine bestimmte Aufgabe nicht ausreichend (elegant) lösen können. Stata hat deshalb
seine Software in zwei Teile gespalten: in einen proprietären Teil, der die Grundfunktionen bereitstellt und durch das Unternehmen selbst weiterentwickelt wird (und
durch eine klassische Software-Lizenz kostenpflichtig vertrieben wird), und in einen
offenen Teil, zu dem die Gemeinschaft aller Nutzer wesentliche Beiträge in Form neuer
statistischer Algorithmen und Tests leistet. Stata unterstützt diese Expertennutzer, in
denen es ihnen einen Entwicklungsumgebung und ein Online-Forum zur Verfügung
stellt, wo die Nutzer ihre eigenen Test austauschen, anderen Nutzern Fragen stellen
und Entwicklungen anderer weiterentwickeln können. Da allerdings nicht alle Nutzer
derart versiert sind oder ausreichende Programmierkenntnisse haben, hat Stata ein
Prozedere entwickelt, mit dem das Unternehmen regelmäßig die “besten” bzw. populärsten Weiterentwicklungen aus der Nutzer-Community auswählt und zum
Bestandteil der nächsten kommerziellen Release-Version macht. Diese Entscheidung
wird allein im Hause Stata getroffen, dessen Software-Entwickler auch die ausgewählten Anwendungen der Nutzer verbessern und reibungslos mit der Standardsoftware
integrieren. Diese zusätzliche Wertschöpfung durch das Unternehmen ist auch Anreiz
für die Nutzer, ihre Eigenentwicklungen in der Regel ohne monetäre Gegenleistung
Stata zur Verfügung zu stellen (denn das Motiv für die Eigenentwicklung war ja sowieso die Nutzung der eigenen Anwendung für die eigene wissenschaftliche Arbeit).
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Neue Formen der Arbeitsteilung
Interaktionsförderliche Anreizstrukturen
Daran schließt sich unmittelbar die Forderung nach interaktionsförderlichen Anreizstrukturen an. Geeignete innerbetriebliche Anreize müssen die Weitergabe von
Kundenwissen im Unternehmen und die Aufnahme von externem Wissen belohnen. Es
ist bekannt, dass nicht in allen Unternehmen eine derartige Offenheit für den Input der
Nutzer herrscht wie bei Stata oder Threadless. Für viele Hersteller ist die Vorstellung, dass
Nutzer einen (besseren) Beitrag zur Weiterentwicklung der eigenen Produkte leisten können, sehr neu. Oft sind es einige fortschrittlich denkende Abteilungen im Unternehmen,
die eine Initiative zur Integration von Kundeninformation starten und Beiträge durch die
Nutzer anregen. Diese müssen dann aber im Unternehmen durch andere Abteilungen
weiterverarbeitet und genutzt werden (siehe dazu die Fallstudie in Abschnitt 5.1). Unter
dem Begriff “Not Invented Here (NIH) Syndrom wird aber im Innovationsmanagement
ein Problem diskutiert, das genau diesen Transfer betrifft. Katz und Allen (1982: 7) definieren das NIH-Syndrom als “(...) the tendency of a project group of stable composition to
believe that it possesses a monopoly of knowledge in its field, which leads it to reject new
ideas from outsiders to the detriment of its performance.” Klassischerweise wurde das
NIH-Phänomen unternehmensintern zwischen verschiedenen Bereichen nachgewiesen
(d. h. z. B. Widerstände der Entwicklungsingenieure, Input aus der Marketingabteilung
zu berücksichtigen). Es ist anzunehmen, dass Widerstände gegen externes Wissen oft
noch größer sein können als in Bezug auf Input eigener Kollegen. Dies bedeutet im Falle
einer interaktiven Wertschöpfung zwischen Kunden und einem Herstellerunternehmen,
dass Wissen aus externen Quellen auf Widerstand bei wenigstens einem Teil der internen
Nutzer dieses Wissens stoßen kann (Huff / Möslein 2004).
Ein klassisches Konzept zur Überwindung des NIH-Syndroms ist die Betonung von
“Gatekeepern” (Allen 1977), die ein Entwicklungsteam mit externen Wissensquellen
verbinden, aber zugleich auch nicht zielführende Informationen ausfiltern. Gatekeeper
haben sowohl Mechanismen als auch Anreize, ihr Wissen über externes Wissen mit
den relevanten Teilen der restlichen Organisation zu teilen (siehe Allen 1977 sowie
Gemünden 1981 und Moenaert / Souder 1990 zur Gestaltung der Gatekeeper-Rolle).
Unternehmen sollten in diesem Sinne Gatekeeper einrichten, deren spezielle Rolle die
Aufnahme und Weitergabe von Kundeninformation in den internen Entwicklungsprozess des Unternehmens ist. Ein Beispiel dafür ist das Unternehmen Microsoft
(Prahalad / Ramaswamy 2000). Microsoft hat eine Gruppe von ca. 1500 zentralen
Nutzern mit Lead-User-Charakter (Web-Master, Programmierer oder Software-Distributeure), die als so genannte “Microsoft Buddies” wichtigen Input für die langfristige
Entwicklung der Microsoft-Software geben (siehe auch http://msdn.microsoft.com/isv/isvbuddy). Die Mitglieder dieser Gruppe werden als erste Beta-Tester in neue Releases
einbezogen, geben intensives Feedback zu bestehenden Produkten und übermitteln
Ideen für neue Funktionalitäten. Im Austausch bekommen sie freie Software und
Einladungen zu speziellen Events. Um das NIH-Problem zwischen den Ideen den
“Buddies” und dem Unternehmen zu verhindern, hat Microsoft “Liaison Officers”
nominiert, die als Gatekeeper zwischen Microsofts internen Entwicklungsteams und
den Nutzern agieren. Diese Manager sind bereits seit langem in der Organisation,
haben ein großes internes Netzwerk, aber auch eine gewisse hierarchische Macht, um
die Integration des Nutzerinputs so gut wie möglich voran treiben zu können.
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Eine andere Maßnahme zum Aufbau von Integrationskompetenz auf der Ebene der
Anreizstrukturen ist die Schaffung einer offenen Unternehmensstruktur. Hierzu
wird in der Literatur zum internen Wissensmanagement, das genau vor der gleichen
Herausforderung der Verteilung und Nutzung lokalen Wissens zwischen verschiedenen Domänen steht, der Vorteil dezentraler Unternehmensstrukturen und einer
Delegation von Entscheidungen auf die operative Ebene betont (Foss / Laursen /
Pedersen 2005). Die Idee ist es, Entscheidungskompetenz auf die Ebene zu verlagern,
auf der auch das relevante notwendige Wissen für die Entscheidungsfindung und -exekution liegt. Denn auch im Unternehmen ist ein Informationstransfer häufig durch
“sticky” Information geprägt, dass eine einfache Weitergabe von einer Stelle zur anderen verhindert. Das konkrete Ausmaß dieser Reintegration dispositiver und administrativer Aufgaben hängt dabei von der Betrachtungsebene und der Aufgabenstellung
ab. Grundsätzlich wird jedoch das Subsidiaritätsprinzip als Richtlinie für die
Dezentralisierung von Funktionen befolgt (Picot / Reichwald / Wigand 2003):
Entscheidungskompetenz und Ergebnisverantwortung sollen in der Hierarchie so niedrig wie möglich (also möglichst nahe am eigentlichen Wertschöpfungsprozess) angesiedelt sein. So bedeutet z. B. die prozessnahe Entscheidungskompetenz eine deutlich
höhere Flexibilität der Unternehmung durch viele dezentrale und kundennahe
Regelkreise und den Wegfall langer und fehleranfälliger Entscheidungswege.
Gleichzeitig soll die Motivation der Mitarbeiter durch ganzheitliche Aufgabenerfüllung erhöht und der Anreiz zu marktgerechtem Handeln verstärkt werden.
Ein hoher Delegationsgrad von Aufgaben kann deshalb zunächst die Nutzung lokalen
Wissens verbessern, vor allem, wenn die Entscheidungsdelegation von entsprechenden Anreizen begleitet wird, die eine Abstimmung mit den Gesamtzielen der
Organisation fördern. Die Erfolge japanischer Unternehmen zu einer kontinuierlichen
Verbesserung und Prozessinnovation werden weitgehend der Fähigkeit dieser
Unternehmen zugeschrieben, Entscheidungskompetenz auf die Ebene zu verlagern,
wo auch das lokale Wissen zur Problemlösung vorhanden ist. Die hieraus resultierenden Innovationen sind jedoch in der Regel Verbesserungsinnovationen.
Wird jedoch lokales Wissen nicht nur lokal angewendet, sondern mit lokalem Wissen
aus anderen Quellen zusammengebracht, kann Innovation auf einer höheren Ebene
resultieren. Die Weitergabe und das Teilen von Wissen unterstützen die Bildung
nicht-trivialer Prozessverbesserungen oder neuer Kombinationen im Sinne
Schumpeters (1934) “schöpferischer Zerstörung”, die auch in (radikal) neuen Leistungen resultieren können (Kogut / Zander 1992; Tsai / Ghoshal 1998). Instrumente
zur Unterstützung des Wissensaustauschs wie Job Rotation, interfunktionale
Gruppen oder ein ausgeprägtes formales Wissensmanagement können in diesem
Sinne die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens erhöhen. In Einklang mit Foss,
Laursen und Pedersen (2005) schließen wir deshalb, dass eine Entscheidungsdelegation auf lokale Ebene und die Förderung offener, auf Wissensteilung und transfer ausgelegte Strukturen auf intraorganisationaler Ebene auch die
Absorptionsfähigkeit von Anbieterunternehmen in Bezug auf externes Kundenwissen
erhöhen kann. Eine offene und dezentrale Ablauforganisation eines Unternehmens
scheint in diesem Sinne eine wichtige Voraussetzung für die Bildung von Interaktionskompetenz.
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Eine enge Kooperation unter Einschluss der Weitergabe des Wissens kann bei einzelnen Personen zur Befürchtungen führen, sich entbehrlich zu machen und damit im
Extremfall den eigenen Arbeitsplatz zu gefährden. Auf der Unternehmensebene führt
Innovationskooperation häufig zu der Befürchtung, die Konkurrenzfähigkeit einzubüßen. Entsprechend ist es erforderlich, auf diesen Feldern durch transparente Maßnahmen Vertrauen zu generieren und durch ein gezieltes “Vertrauensmanagement”
die Basis für eine erfolgreiche Kooperation zu schaffen. Wie jedoch entsprechende
Prozesse aussehen können, die zu erfolgreichen Innovationsnetzwerken führen, was in
unterschiedlichen Bereichen fördernde und hemmende Faktoren sind − das hängt von
den betrieblichen und überbetrieblichen Anreizsystemen ab.
Anreize für den Leser zur Weiterentwicklung des Themas „Interaktionskompetenz“
Für viele Unternehmen ist das Denken in Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung
noch sehr neu. Wie bereits erwähnt, stehen die empirische Forschung und die Ableitung von erfolgreichen Praktiken im Unternehmen zum Aufbau von Interaktionskompetenz erst am Anfang der Untersuchung. Deshalb sollen die Ausführungen in
diesem Abschnitt vor allem als Anregungen gesehen werden, welche Aspekte zum
Aufbau von Interaktionsfähigkeit als Anwendungswissen für interaktive Wertschöpfung beachtet werden müssen. Wie diese jedoch genau zu gestalten sind, wird
die unternehmerische Praxis noch zeigen – nicht zuletzt, da wir genau hier in der
Zukunft die Quelle nachhaltiger Wettbewerbsvorteile vermuten. Wir laden unsere
Leser und Erfahrungsträger ein, an der Weiterentwicklung dieses wichtigen Feldes,
nämlich der Generierung der knappen Ressource Anwenderwissen aus Theorie und
Unternehmenspraxis mizuwirken (siehe hierzu auch das Vorwort).
Kasten 2-14:
Literaturempfehlungen zur Interaktionskompetenz und zu interaktionsförderlichen Organisations- und Kommunikationsstrukturen
„ Reichwald, Ralf / Möslein, Kathrin (1999). Management und Technologie. In : Lutz von Rosenstiel et al. (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern: Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement. 4. Aufl., Stuttgart: Schäffer-Poeschl 1999
„ Reichwald, Ralf / Möslein, Kathrin / Siebert, Jörg (2005). Leadership Excellence: Learning
from an exploratory study on leadership systems in large multinationals. Journal of European
Industrial Training, 3 (2005):184-198.
„ Reichwald, Ralf / Siebert, Jörg / Möslein, Kathrin (2004).
Leadership Excellence: Führungssysteme auf dem Prüfstand. Personalführung (2004): 50-56
2.4.7 Grenzen der interaktiven Wertschöpfung:
Aufgabenteilung und Transaktionskosten
Wir haben in den vorangehenden Abschnitten gesehen, dass eine interaktive Wertschöpfung unter bestimmten Voraussetzungen eine effiziente und effektive Form zur
Organisation arbeitsteiliger Prozesse sein und durch die Integration von Wissen der
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Entwicklungen und Trends auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Abbildung 2–16: Trade-Off zwischen Produktionskosten und Transaktionskosten in der
interaktiven Wertschöpfung
Gesamtkosten
der interaktiven
Wertschöpfung
Interne Transaktionskosten
(innerbetriebliche Koordination
und Integration der Teilaufgaben)
Gesamtkosten
Produktionskosten /
externe Transaktionskosten
(Externalisierung der Teilaufgaben)
Ökonomisch
optimaler Grad
Grad der Aufgabenteilung
(Modularisierung, Granularität)
Kunden neue Wettbewerbsvorteile für den Hersteller schaffen kann. Die Bedingung
dafür ist, dass Unternehmen in der Lage sind, ihre Wertschöpfungsaufgaben in
“modulare” und “granulare” Teilaufgaben zu zerlegen, diese so am Markt zu präsentieren, dass aus einer großen Menge an Kunden und Nutzern diejenigen per Selbstselektion eine Aufgabe suchen, für die sie am besten qualifiziert und/oder motiviert
sind, den Input der Kunden effizient ins Herstellerunternehmen zu transferieren und
schließlich die Integration der einzelnen Kundenbeiträge zu geringen internen
Transaktionskosten zu vollziehen (Aufbau von Interaktionskompetenz). Allerdings
zeigt sich an dieser Stelle bereits ein Trade-off, der die Grenzen der interaktiven
Abbildung beschreibt.
Wie Abbildung 2–16 modellhaft zeigt, steigt der Aufgabenumfang, der an die Kunden
externalisiert werden kann, in dem Maße, in dem sich die Wertschöpfungsaufgaben
eines Unternehmens für eine sehr feingliedrige Aufteilung eignen. Dadurch sinken die
verbleibenden Produktionskosten des Unternehmens. Die externen Transaktionskosten für die Abstimmung mit den Kunden sinkt gemäß den Prinzipien der “Peer
Production” mit zunehmender Modularität und Granularität der Teilaufgaben, weil
für sehr kleine Beiträge, die sich die Kunden selbst auswählen, tendenziell keine
zusätzlichen Anreize notwendig sind. Allerdings bedarf es dann der innerbetrieblichen
Koordination und Integration einer größeren Anzahl von Einzelbeiträgen. Diese
Integrationsaufgabe verursacht dann tendenziell höhere interne Transaktionskosten.
Aus dieser Argumentation folgen drei Grenzen der interaktiven Wertschöpfung.
(1) Kosten für die Integration der Teilergebnisse: Wenn ein Unternehmen die internen Transaktionskosten für die Integration der Teilaufgaben senken kann, so ver92
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Neue Formen der Arbeitsteilung
schiebt sich der ökonomische optimale Grad der Arbeitsteilung und Externalisierung
von Wertschöpfungsaufgaben nach rechts. Das Unternehmen wäre also in der Lage,
das Ausmaß der interaktiven Wertschöpfung in ökonomisch sinnvoller Weise auszudehnen. Hieraus folgt aber aus der Notwendigkeit des effizienten Transfers der
Kundenbeiträge ins Unternehmen sowie aus dem Bedarf nach interner Integration ein
Bedarf nach geeigneten technischen Hilfsmitteln (Aufbau der Interaktionskompetenz), der neue Kosten verursacht (z. B. Kosten für Aufbau und Pflege von Interaktionsplattformen zur synchronen Kollaboration im Internet, Aufbau von Toolkits
etc.). Aus dem gleichen Grund sind komplementäre organisationale Mechanismen in
der Kundendomäne erforderlich, die geeignete Möglichkeiten und Anreize für die
Kunden bieten, einen Teil der Integrationsaufgabe selbst zu übernehmen (z. B.
Ideenwettbewerbe, Maßnahmen zur Peer-Recognition).
(2) Anforderungen an die Eignung betrieblicher Wertschöpfungsaufgaben für die
interaktive Wertschöpfung: Voraussetzung der interaktiven Wertschöpfung ist weiterhin eine weit reichende Zerlegbarkeit der betrieblichen Wertschöpfungsaufgaben. Ist
diese Zerlegbarkeit (Granularität) nicht gegeben, bleiben die Teilaufgaben, die wegen
ihres Bedarfs an externem Kundenwissen potenziell ausgelagert werden sollten, so
umfangreich und anspruchsvoll, dass sie kaum ohne eine vertragliche Vereinbarung
von Gegenleistungen abgewickelt werden. Damit steigen aber wieder die externen
Transaktionskosten – oder es entstehen Opportunitätskosten durch die entgangenen
Nutzengewinnen als Folge der interaktiven Wertschöpfung.
Inwieweit sich die Wertschöpfungsaufgaben eines Unternehmens für eine einfache
Modularisierung und Re-Integration eignen, macht sich an den Aufgabenmerkmalen
fest (Picot / Reichwald / Wigand 2003). So eigenen sich prinzipiell Aufgaben von hoher
Strukturiertheit, die exakte, einander eindeutig zuzuordnende Lösungsschritte und
Input-Output-Relationen beinhalten. Dabei ist die Komplexität im Sinne der Anzahl
notwendiger Lösungsschritte und deren Ursache-Wirkungs-Beziehungen weniger ein
Problem, so lange sie grundsätzlich ex ante bekannt sind. An seine Grenzen stößt das
reine Konzept der Peer-Production bei wissensintensiven Aufgaben der Produktentwicklung und -designs von hohem technischen Neuigkeitsgrad, die heute in
Unternehmen oftmals in Teams ausgeführt werden. Solche Aufgaben sind nicht in relativ kleine Teilaufgaben von wissensökonomischer Reife zu zerlegen. Doch auch hier
zeichnet sich ab, dass eine interaktive Wertschöpfung möglich ist, insofern geeignete,
dem Aufgabenumfang entsprechende Anreize gesetzt werden (ein gutes Beispiel dafür
ist das in Kapitel 3 in Kasten 31 beschriebene Beispiel Innocentive).
(3) Wichtigkeit materieller Inputfaktoren: Eine dritte Grenze der interaktiven Wertschöpfung lässt sich in der Wichtigkeit materieller Inputfaktoren für die Wertschöpfung
in vielen Unternehmen ausmachen. Benkler (2002) sieht als wesentlichen Grund für die
Verbreitung der interaktiven Wertschöpfung nach dem Prinzip der “Peer Production”
die drastische Reduktion der Informations- und Kommunikationskosten. Wenn die
Kosten der notwendigen materiellen Ressourcen (Internetzugang, Computer etc.) relativ
kostengünstig und weit verteilt sind und der notwendige Inputfaktor Information tendenziell ein nicht knappes, öffentliches Gut darstellt, dann ist das Wissen bzw. Talent
oder Humankapital der beteiligten Akteure der einzig knappe und wichtigste Input93
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faktor. Unter diesen Bedingungen ist interaktive Wertschöpfung ein geeignetes Modell.
Wie das Kite-Surfing-Beispiel zeigt, ist es auch nicht auf die Produktion reiner Informationsgüter beschränkt. Jedoch ist die Wertschöpfung und der dazu notwendige
Wissenstransfer für viele materielle Güter auch unwiderruflich verbunden mit dem
Austausch materieller Inputfaktoren, deren Produktion aufgrund von Skaleneffekten am
besten von einem Unternehmen anstatt von Kunden ausgeführt wird.
Schlussfolgerung
Wir haben in diesem Kapitel einen weiten Weg von der tayloristischen Organisation
arbeitsteiliger betrieblicher Wertschöpfung über die Netzwerkorganisation bis zum
neuen Konzept einer interaktiven Wertschöpfung auf Basis der “Commons-based Peer
Production” beschritten. Das letztgenannte Konzept ist eine neue Alternative zur
Abwicklung der Leistungserstellung in der Hierarchie oder im Markt bzw. einer hybriden Zwischenform. Unter bestimmten Bedingungen und innerhalb gewisser Grenzen
stellt dieses Modell eine für viele Unternehmen völlig neue Alternative zur
Organisation der Wertschöpfung dar. Es wird aber die klassischen Formen nicht ablösen und in vielen Wertschöpfungssystemen auch nicht in Reinform, sondern im Mix
mit anderen Organisationsformen zum Einsatz kommen. Auch wird es in einer “verwässerten” Form auftreten, d. h. es sind nicht alle Prinzipien der interaktiven
Wertschöpfung genau umgesetzt.
Ziel der folgenden Kapitel ist es deshalb, aus einer mehr anwendungsorientierten Sicht
das Konzept der interaktiven Wertschöpfung zu konkretisieren und seine Umsetzung
in der betrieblichen Praxis aufzuzeigen. Wir sehen dabei aber heute, dass – wie im
Beispiel Kite-Surfing – in vielen Fällen die Initiative zur interaktiven Wertschöpfung
nicht von den Anbietern, sondern von den Kunden ausgeht. Deshalb sind die im
Folgenden dargestellten Möglichkeiten vielleicht gar nicht immer eine Option, sondern
teilweise auch eine notwendige Reaktion. Denn Kunden und Nutzern geht es in erster
Linie um einen höheren Grad an Bedürfnisbefriedigung und die Lösung offener
Probleme. Ob sie dieses selbst oder in Zusammenarbeit mit einem Hersteller tun, ist
vielen von ihnen häufig zweitrangig.
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Interaktive Wertschöpfung in der
Innovation: Open Innovation
Die erfolgreiche Generierung von Innovation ist eine stetige Aufgabe aller Unternehmen. Ursache ist dafür zum einen der technische Wandel, der sich in den letzten
Jahren in immer kürzeren Produktlebenszyklen vollzieht. So schrumpfte beispielsweise der Produktlebenszyklus in der Automobilindustrie über das letzte Jahrzehnt
von durchschnittlich zehn Jahren auf sechs Jahre und nimmt weiter ab (Brockhoff
1999). Unterhaltungselektronik wird in der Regel schon nach sechs bis zwölf Monaten
von Nachfolgeprodukten in den Verkaufsregalen abgelöst. Dieses Phänomen wird
durch die zunehmende Individualisierung der Nachfrage verstärkt, wie wir in
Abschnitt 2.2.3 gesehen haben. Hinzu kommt der globale Wettbewerb. Er zwingt
Industrienationen wie Deutschland, Standortnachteile gegenüber Niedrigkostenländern durch Wissensvorsprung zu kompensieren (Bullinger 2002; Grupp / Legler /
Licht 2004). Hohe Innovationsfähigkeit gilt deshalb als Schlüssel für Wachstum und
Unternehmenserfolg.
Inhalt dieses Kapitels ist eine neue Sichtweise der Innovationsfähigkeit. Das klassische Innovationsmanagement hat sich damit beschäftigt, wie ein Unternehmen in
einem zielgerichteten Prozess eine neue Idee in ein innovatives Produkt oder eine
neuartige Leistung überführt und diese erfolgreich am Markt platziert. Diese Fragen
sind bereits breit erforscht und beschrieben worden (siehe z. B. Cooper 1993;
Gerybadze 2004; Hauschildt 2004; Ulrich / Eppinger 2000; Utterback 1994). Im
Mittelpunkt dieses Kapitels stehen die Suche und das Aufspüren der Quellen von
Innovation und neue Wege, wie der Problemlösungsprozess als Grundlage jeder
innovativen Tätigkeit gestaltet werden kann. Denn wir wissen aus zahlreichen
empirischen Befunden, dass viele Innovationen ihren Ursprung nicht der
Entwicklungsleistung von Herstellern verdanken, sondern der Kreativität von
Nutzern und Kunden. Wir werden dieses Phänomen „Nutzer und Kunde als
Quelle und Co-Produzent von Innovationen“ im Folgenden näher betrachten. Im
Sinne einer neuen Form der Arbeitsteilung durch interaktive Wertschöpfung werden wir untersuchen, wie Hersteller und Kunden kooperativ Innovationen hervorbringen können. Dieses Vorgehen wollen wir mit dem Begriff “Open Innovation”
belegen. Open Innovation bezeichnet die Abkehr von einem klassischen
Innovationsprozess, der sich weitgehend innerhalb der Unternehmen abspielte.
Open Innovation beschreibt den Innovationsprozess als einen vielschichtigen offenen Such- und Lösungsprozess, der zwischen mehreren Akteuren über die
Unternehmensgrenzen hinweg abläuft. Diese Öffnung des Innovationsprozesses für
externen Input und die Auslagerung von Aufgaben an die Akutere, die besondere
Kompetenzen oder lokales Wissen zu ihrer Lösung haben, schafft viele neue
Potentiale.
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
Open Innovation bezeichnet eine interaktive Wertschöpfung im Innovationsprozess, indem
ein Herstellerunternehmen mit ausgewählten Kunden bzw. Nutzern gemeinschaftlich
Innovationen generiert. Dies erfolgt durch gezielte, jedoch relativ informale und vor allem partizipative Koordination des Interaktionsprozesses zwischen Herstellern und einer Vielzahl an
Kunden und Nutzern. Dabei kommt es zu einer systematischen Integration von
Kundenaktivitäten und Kundenwissen in die Ideengenerierung, die Entwicklung erster konzeptioneller technischer Lösungen, Design und Fertigung erster Prototypen und die Diffusion der
Innovation.
Kasten 3–1 gibt hierzu ein einführendes Beispiel: Das Unternehmen Innocentive ist ein
herausragendes Beispiel, wie die Effizienz und Effektivität des Innovationsprozesses
durch die Integration externer Akteure erhöht werden kann. Statt der hierarchischen
Zuteilung von Aufgaben an einzelne Akteure werden hier die Probleme offene ins
Netz gestellt, und mögliche Problemlöser selektieren selbst, welche Aufgaben sie vollziehen wollen (Hinweis: Innocentive ist kein Beispiel für eine Innovation, wo die
Kunden bzw. Nutzer in den Innovationsprozess einbezogen werden. Es ist aber ein
gutes Beispiel für einen verteilten Problemlösungsprozess als ein wesentliches
Prinzip der interaktiven Wertschöpfung.)
Es sei an dieser Stelle aber bereits betont, dass Open Innovation das in modernen
Industrieunternehmen praktizierte Innovationsmanagement ergänzen, aber nicht
ersetzen kann. Die Interaktion mit dem Kunden erschließt neue Quellen des Wissens
über Bedürfnisse und Lösungen. Sie erhöht somit die Innovationsfähigkeit eines
Herstellers und kann Unsicherheiten und Marktrisiken für viele Unternehmen reduzieren. Neben Branchen, in denen der Interaktionsprozess mit Kunden die wettbewerbsentscheidende Innovationsstrategie bilden wird, wird es aber weiterhin
Branchen geben, in denen der Innovationsprozess weitgehend auf die unternehmensinternen Vorgänge reduziert bleibt.
Kasten 3–1:
Innocentive: Ideenbörse für Tüftler
(Quelle: Auszug aus dem Artikel “Ideenbörse für Tüftler” von Hilmar Schmundt in Der Spiegel, Nr.
5 2005 vom 19. Dezember 2005: 142)
Eigentlich saß Ambros Hügin an jenem Abend nur in seiner Genfer Wohnung und surfte ein wenig
im Netz. Er genoss sein neues Leben als Hausmann. Den Job an der Uni-Klinik hatte der 50-jährige Forscher gekündigt. Unversehens befand er sich nach ein paar Mausklicks in einem Labor
inmitten Tausender Erfinder. Auch einen Forschungsauftrag hatte er plötzlich: die Entwicklung
einer neuen Methode zum Testen von entzündungshemmenden Mitteln. Er grübelte, las, experimentierte herum. Dann hatte er das Problem gelöst. Prompt landete auf seinem Konto ein Honorar
von 10.000 Dollar. Von wem das Geld stammt, weiß er bis heute nicht. Für den freiberuflichen
Erfinder Hügin war es ein Traum, für die US-Firma Innocentive (www.innocentive.com) knallhartes
Kalkül. Der Name ist ein Kunstwort, in dem “Innovation” mit Anreiz (“incentive”) verschmolzen ist.
Das Geschäftsprinzip der Ideenbörse ist einfach: Eine Firma sucht nach einer Lösung für ein
Problem, das ihre Entwicklungsabteilung allein nicht lösen kann. Sie stellt also ihre Frage mit ein
paar Sätzen, Formeln oder Grafiken auf der Website von Innocentive [innocentive.com] dar und
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Der interaktive Innovationsprozess
lobt ein Preisgeld aus, zwischen 10.000 und 100.000 Dollar. Insgesamt 80 000 Tüftler interessieren sich für das Herumknobeln an den hier gestellten Aufgaben; wer die beste Lösung hat,
bekommt die Belohnung, die anderen gehen leer aus. Der Auftraggeber bleibt dabei anonym, um
Firmengeheimnisse zu schützen. Im Gegenzug verlangt die Börse vom Fragesteller eine Gebühr.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 expandiert die Tüftlerbörse kräftig. Ursprünglich war sie eine
Ausgründung des Pharma-Riesen Eli Lilly. Zu den Kunden zählen sogar konkurrierende Konzerne
wie BASF, Novartis, Nestlé oder der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble, der in den vergangenen drei Jahren den Anteil von externen Produktideen von 20 auf 35 Prozent steigern konnte.
(...)
“Oft sind die Leute, die ein Produkt benutzen, die besten Fachleute, einfach durch ihren täglichen
Umgang”, ergänzt Professor Cornelius Herstatt von der Technischen Universität HamburgHarburg. Der Medizintechnik-Hersteller Ethicon zum Beispiel sammle in seiner Deutschland-Filiale
bei Hamburg systematisch per Internet die Erfahrungen von Chirurgen, um ihre Verbesserungswünsche zu berücksichtigen. Rasch findet die Offene Innovation neue Anhänger, vom
Autobauer BMW über die japanische Einzelhandelskette Muji bis hin zur Modelleisenbahnfirma
Roco. (...)
Als eine Art Ebay der Ideen folgt die Offene Innovation den Gesetzen der Globalisierung: Auffällig
viele Russen und Inder nehmen bei Innocentive teil. Für sie entspricht das Preisgeld teils einem
ganzen Jahresgehalt. (...) Auch die starre Vertragspolitik sorgt bisweilen für Unmut: “Alle Rechte
am geistigen Eigentum an eine anonyme Firma abzutreten, wie es oft geschieht, ist schon sehr
gewöhnungsbedürftig”, sagt etwa der Privatforscher Hügin aus Genf. Dennoch jobbt er weiter im
globalen Ideenlabor. Kürzlich hat er wieder 20.000 Dollar bekommen, weil er geholfen hat,
Joghurtkulturen haltbarer zu machen. Aber seine besten Ideen behält er künftig für sich:
Demnächst will er ein eigenes Patent anmelden.
3.1
Der interaktive Innovationsprozess
Wir wollen im Folgenden zunächst einige wichtige Begriffe und Strukturierungsansätze im Zusammenhang mit Innovationen vorstellen, die wir in der weiteren Argumentation benötigen, um die Eigenheiten einer Innovation als Ergebnis einer interaktiven Wertschöpfung zu beschreiben.
Begriff und Dimensionen der Innovation
Die Erkenntnis, dass Innovation für den wirtschaftlichen Erfolg eine zentrale Rolle
spielt, ist nicht neu. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts propagierte der Ökonom
Josef Schumpeter (1934) in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung Innovation
als Treiber für Wachstum und wirtschaftlichen Erfolg. Schumpeter (1934: 100) sieht das
Wesen einer Innovation in der “Durchsetzung neuer [Faktor-]Kombinationen”, die
nicht stetig erfolgt, sondern diskontinuierlich auftritt. Zum Begriff der Innovation existiert bis heute eine semantische Vielfalt. Die folgenden Zitate geben einen Einblick in
die Vielfalt von Definitionen in Wissenschaft und Praxis:
„ “Liegt eine Erfindung vor und verspricht sie wirtschaftlichen Erfolg, so werden
Investitionen für die Fertigungsvorbereitung und die Markterschließung erforderlich, Produktion und Marketing müssen in Gang gesetzt werden. Kann damit die
Einführung auf dem Markt erreicht werden oder ein neues Verfahren eingesetzt
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werden, so spricht man von einer Produktinnovation oder einer Prozessinnovation.” (Brockhoff 1992: 62).
„ “Daraus wird deutlich, dass mit Innovation eigentlich das Ergebnis zweier
Prozesse beschrieben wird. Auf der einen Seite steht der potenzielle Wandel der
Verfügbarkeit bzw. des Angebots von Problemlösungen durch neue Ideen,
Erfindungen und Entdeckungen, auf der anderen Seite die Nachfrage nach
Problemlösungen, die ebenfalls veränderlich ist. Werden beide Seiten zur Deckung
gebracht, also eine Anwendung bzw. Verwendung erreicht bzw. durchgesetzt,
wobei auf mindestens einer Seite etwas Neues auftritt, so spricht man von
Innovation.” (Pfeiffer / Staudt 1975).
„ “Als Innovation sollen alle Änderungsprozesse bezeichnet werden, die die Organisation zum ersten Mal durchführt.” (Kieser 1969: 742).
Hausschildt (2004: 7) entwickelt eine aus vier Dimensionen bestehende Systematisierung zur Bestimmung des Innovationsbegriffs: Die Frage, was neu ist, beschreibt die
(1) inhaltliche Dimension der Innovation; diese Neuartigkeit muss allerdings als solche wahrgenommen werden. Die Frage für wen dies neu ist, stellt folglich die (2) subjektive Dimension dar. Durch die Frage, wie viele Stufen des Prozesses von der ersten
Idee bis zur routinemäßigen Verwendung der Innovationsbegriff einschließt, wird der
Fokus auf die (3) prozessuale Dimension gelenkt. Die abschließende Frage, ob die
Innovation aus betriebswirtschaftlicher Sicht einen Erfolg darstellt, zielt auf die (4) normative Dimension ab.
Erfindung = Innovation?
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Innovation häufig mit einer technischen
Erfindung gleichgesetzt. Doch ist jede Innovation auch eine Erfindung? Einen ersten
Anhaltspunkt geben dazu die Richtlinien des deutschen Patentamts, die die
Eigenschaften einer Erfindung genau beschrieben:
“Gemäß § 4 Abs. 1 PatG [Patentgesetz] gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen
Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus
dem Stand der Technik ergibt. […] Als Indiz für das Vorliegen einer erfinderischen
Tätigkeit sind z. B. eine sprunghafte Weiterentwicklung, die Überwindung technischer
Vorurteile, vergebliche Bemühungen von Fachleuten, Befriedigung eines lange bestehenden Bedürfnisses, ein einfacher und billiger Weg zur Herstellung von Massenartikeln, Verbilligung von Fertigungsmethoden und dergleichen anzusehen.”
Obwohl das deutsche Patentamt auf mögliche ökonomische Effekte einer Erfindung
hinweist, impliziert eine Erfindung (auch: Invention) nicht notwendigerweise eine
wirtschaftlich erfolgreiche Verwertbarkeit. Anders verhält es sich bei Innovationen.
Von einer Innovation soll nur dann gesprochen werden, wenn sich die Neuartigkeit
einer Erfindung im innerbetrieblichen Einsatz bewährt oder im Markt verwerten
lässt. Umgekehrt genügt aber auch nicht jede Innovation den strengen Richtlinien des
Patentamtes an eine Erfindung. Dies gilt zum Beispiel für eine Vielzahl an
Innovationen der Informations- und Kommunikationswirtschaft, die sich (in Europa)
in der Regel nicht patentieren lassen. Zu solchen “postindustriellen Innovationen”
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gehören z. B. Online-Vertriebskanäle, Franchising, Finanzierungs- und Investitionskonzepte oder Neuerungen im Einzelhandel (Hauschildt 2004). Auch hat die Definition Kiesers (1969) den subjektiven Neuhaltsgehalt einer Innovation für ein Unternehmen angesprochen: Was für ein Unternehmen neu und somit eine Innovation ist,
ist für andere bereits etablierte Praxis.
Produkt- und Prozessinnovationen
„ Die Unterscheidung in Produkt- und Prozessinnovationen spricht die Zielaspekte
“innerbetrieblicher Einsatz” oder “marktliche Verwertbarkeit” an:
„ Eine Produktinnovation ist eine Neuerung im Sachleistungs- bzw. Angebotsprogramm einer Unternehmung (marktliche Verwertbarkeit). “Die Produktinnovation
offeriert eine Leistung, die dem Benutzer erlaubt, neue Zwecke zu erfüllen oder
vorhandene Zwecke in einer völlig neuartigen Weise zu erfüllen.” (Hauschildt
2004). Bei einer Produktinnovation kann es sich somit um ein völlig neues Produkt
handeln, aber auch um die Weiterentwicklung eines bestehenden Produktes oder
um die Einführung einer neuen Verpackung.
Eine Prozessinnovation hingegen ist eine neuartige Faktorkombination (innerbetrieblicher Einsatz), “durch die die Produktion eines bestimmten Gutes kostengünstiger,
qualitativ hochwertiger, sicherer oder schneller erfolgen kann. Ziel dieser Innovation
ist die Steigerung der Effizienz” (Hauschildt 2004). Prozessinnovationen können z. B.
ein neues Produktionsverfahren, der Einsatz neuer Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe aber
auch ein neues Vertriebssystem sein. Eine Umfrage der Unternehmensberatung
Accenture unter 107 der 300 umsatzstärksten deutschen Unternehmen ermittelte die in
Abbildung 3–1 genannten Ziele von Prozessinnovationen (Fink 2005):
Abbildung 3–1: Ziele von Prozessinnovationen (entnommen aus Fink 2005)
82%
Senkung der unternehmensinternen Kosten
Beschleunigung der Reaktionsfähigkeit
78%
Verringerung der Fehlerquote
72%
Flexibilisierung der Prozesse
62%
Kostensenkung in der Zusammenarbeit mit
Zulieferern
56%
Kostensenkung in der Zusammenarbeit mit
Kunden
52%
51%
Etablierung eines innovativen Images
Umsatzsteigerung
48%
Kostensenkung in der Zusammenarbeit mit
Vertriebspartnern
48%
Individualisierung des Angebots
44%
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In der Realität ist eine strikte Trennung von Innovationen in Produkt- und Prozessinnovationen jedoch schwer beobachtbar. Vielmehr bestehen zwischen den zwei
Innovationsarten hohe Interpendenzen. Beispielsweise kann eine Produktinnovation
die Umstellung bestehender Produktionsprozesse bedingen.
Innovation als Erweiterung des Lösungsraums
Wir haben in Abschnitt 2.4.2 als wesentliches Prinzip der interaktiven Wertschöpfung
das Konzept der Kundenintegration eingeführt. Kundenintegration kann dabei innerhalb eines gegebenen Lösungsraums stattfinden und die durch einen Anbieter vorgegebenen Potenziale (lediglich) ausnutzen. Kundenintegration kann aber auch diesen
Lösungsraum erweitern bzw. modifizieren. Genau diese Erweiterung entspricht dem
Innovationsbegriff: Eine Innovation soll als Erweiterung des Lösungsraumes eines
Nutzers oder Herstellers verstanden werden. Eine Produktentwicklung schafft neue
Produktarchitekturen und damit neue technische Möglichkeiten zur Befriedigung
neuer Kundenbedürfnisse. Eine Prozessinnovation ermöglicht z. B. die effizientere
oder qualitativ hochwertigere Befriedigung der Kundenbedürfnisse.
Innovationsgrad
Bisher unberücksichtigt blieb die Frage nach dem Neuheitsaspekt einer Innovation
(Innovationsgrad): Wie viel Neuigkeit verlangt eine Innovation? Aus Sicht des
Herstellerunternehmens gelten sämtliche Produkte oder Verfahren als innovativ, die
innerhalb der Unternehmung erstmalig eingeführt werden. Aus Kundenperspektive
hingegen ist Innovation “das, was für innovativ gehalten wird” (Hauschildt 2004). Der
Nachfrager einer Leistung entscheidet (subjektiv) darüber, ob eine Innovation vorliegt
oder nicht. Da Kunden Prozessinnovationen in der Regel nicht beobachten und wahrnehmen können, eignet sich die Kundenperspektive in der Regel nur zur Beurteilung
von Produktinnovationen (Garcia / Calantone 2002; Gerpott 1999; Hauschildt 2004).
Mittlerweile haben sich statt einfachen Dichotomien (“innovativ / nicht innovativ”)
multidimensionale Ansätze zur Beschreibung des Innovationsgrads durchgesetzt
(Green / Gavin / Aiman-Smith 1995). Diese analysieren den Einfluss einer Innovation
auf Veränderungen im Unternehmen bzw. in einem Markt. Der Innovationsgrad ist
ceteris paribus umso höher, je stärker diese Änderungsprozesse sind. Dabei können
Innovationen Einfluss auf folgende Bereiche haben (Hauschildt 2004; Schlaak 1999):
„ Produkttechnologie: Neuartigkeit, Substitutionscharakter, notweniges Wissen und
Erfahrung;
„ Absatzmarkt: neuartige Kundenbedürfnisse, neue Kunden, neue Vertriebskanäle;
„ Produktionsprozess: Anforderungen an Maschinen und Montage;
„ Beschaffung: Notwendigkeit neuer Materialien;
„ Kapitalbedarf: Hohe Kosten für F+E und Marketing;
„ Formale Organisation: Notwenigkeit von Spin-Offs oder neue Abteilungen;
„ Informale Organisation: Veränderungen im Bereich Unternehmenskultur, Strategie, Management.
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Kombiniert man beispielsweise die Dimensionen “Absatzmarkt” und “Produkttechnologie”, kann die in Abbildung 3–2 gezeigte Unterscheidung Anhaltspunkte für
verschiedene Innovationsgrade liefern. Bei einer inkrementellen Innovation nutzt
ein Unternehmen eine etablierte Technologie, um einen vorhandenen Markt mit
einem bereits existierenden, aber aus Sicht des Nachfragers überlegenen Produkt zu
bearbeiten. Die Überlegenheit vollzieht sich z. B. entlang der Kriterien Preis,
Qualität, Attribute oder Performance. Marktinnovationen hingegen penetrieren
durch Nutzung einer etablierten Technologie einen neuen Markt (z. B.
Espressomaschinen für den privaten Haushalt). Nutzt ein Unternehmen eine neue
Technologie um einen bestehenden Markt zu bedienen, liegt eine technische
Innovation vor. Die Ablösung des Walkman durch einen portablen CD-Player war
eine solche Innovation. Schließlich können neue Märkte durch neue Technologien
erschlossen werden. In diesem Fall spricht man von einer radikalen Innovation (z. B.
Mobilfunk).
Abbildung 3–2: Arten von Innovationen
neu
Marktinnovation
radikale Innovation
inkrementale Innovation
technische Innovation
alt
neu
Markt
alt
Technologie
Der interaktive Innovationsprozess
Empirische Untersuchungen haben vielfach gezeigt, dass sich der Innovationsprozess
nicht linear vollzieht, sondern vielmehr in rekursiven Schleifen verläuft und mitunter
durch zahlreiche Brüche gekennzeichnet ist (Braun-Thürmann 2005; Hauschildt 2004).
Der Weg von einer Invention (Erfindung) zu einer im Markt erfolgreich platzierten
Innovation erfolgt in verschiedenen Phasen. Die Gesamtheit dieser Phasen wird als
Innovationsprozess bezeichnet. Innovationsprozesse werden dabei häufig in einen
idealtypischen Ablauf gegliedert. Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Ablauf ist
das lineare Phasenmodell mit den fünf Phasen: Ideengenerierung, Konzeptentwicklung, Prototyp, Produkt-/Markttest und Markteinführung (Cooper / Kleinschmidt
1991; Staud / Auffermann 1999; Wheelwright / Clark 1992).
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Eine Innovation ist eine neuartige Zweck-Mittel-Kombination und das Ergebnis eines Problemlösungsprozesses. Diese hat sich unter dem Zielaspekt der Effizienzsteigerung innerbetrieblich (Prozessinnovation) oder/und unter dem Zielaspekt der Effektivität im Markt
(Produktinnovation) zu bewähren. Der Innovationsgrad ist umso höher, je stärker die
Umsetzung einer Innovation innerbetriebliche und marktliche Veränderungsprozesse bedingt.
Idealtypisch durchläuft eine Innovation bis zu ihrer Markteinführung die Phasen
Ideengenerierung, Konzeptentwicklung, Prototyp, Markttest und Markteinführung.
Abbildung 3–3: Phasen eines idealtypischen Innovationsprozesses
Kunden / Nutzer als
Wertschöpfungspartner
Ideengenerierung
Interaktionsfeld
Konzeptentwicklung
Grad der
Kundeintegration
Anbieterunternehmen als Gestalter
der Wertschöpfung
Prototyp
Markteinführung
Begrenztheit des
Lösungsraums
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Wertschöpfungsphasen
Gestaltungsraum
Produkt/Markttest
Wie Abbildung 3–3 zeigt, können diese Phasen Ansatzpunkte für eine interaktive
Wertschöpfung im Innovationsbereich sein (“Open Innovation”, wir werden diesen
Begriff später noch genauer charakterisieren). Bildhaft vollzieht sich dieser
Interaktionsprozess nach dem Phasenmodell von der Ideengenerierung über die
Konzeptentwicklung bis hin zur Prototypen-Entwicklung und mündet schließlich aus
der Sicht des Kunden in der Phase der Problemlösung. Der Open-Innovation-Ansatz
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ist insoweit ein ergänzender Ansatz zum herkömmlichen Innovationsmanagement, als
dass Produkt- und Markttest sowie Markteinführung aus der Sicht des Herstellers
nicht überflüssig werden, aber wegen der Kundeninteraktion in den vorherigen
Phasen nach einem anderen Muster und mit einem erheblich geringeren Marktrisiko
ablaufen. Die folgende kurze Beschreibung der Phasen gibt erste Anhaltspunkte für die
Rolle von Kunden und Nutzern im Rahmen eines interaktiven Wertschöpfungsprozesses, die in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels noch vertiefend diskutiert
werden.
(1)
Ideengenerierung (“Ideation”)
Den Ausgangspunkt einer Innovation bildet die Phase der Ideengenerierung (oft auch
“Ideation” genannt). Diese Phase wird auch als “Fuzzy Front End” des Innovationsprozesses bezeichnet (Cooper 1988; Khurana / Rosenthal 1997). Ein Unternehmen verfolgt in dieser frühen Phase das Ziel, seinen Ideenpool für Innovationen zu bilden bzw.
zu vergrößern. Dabei kann es sich zum einen um Ideen für völlig neuartige Produkte
oder Dienstleistungen handeln, welche das Unternehmen zuvor noch nicht am Markt
angeboten hat. Zum anderen können Ideen darauf abzielen, bestehende Produkte oder
Dienstleistungen des Unternehmens zu verbessern und für den Nachfrager attraktiver
zu gestalten. Grundlage der Ideengenerierung sind Informationen über die (angenommenen offenen) Bedürfnisse der (potenziellen) Nachfrager und Nutzer einer
Innovation (Bedürfnisinnovation). Bei einer Innovationsidee handelt es sich selten
um ein ausgereiftes Konzept. Vielmehr verkörpert die Idee ein entwicklungsfähiges
Potenzial. Nach einer Sammlung und Systematisierung eingehender Ideen werden
diese anschließend bewertet. Im Vordergrund stehen dabei weniger ökonomische
Aspekte als vielmehr die Kompatibilität der Idee mit dem angestrebten Leistungsprogramm und der (Technologie-) Strategie des Unternehmens, möglichen gesetzlichen Restriktionen sowie die Einzigartigkeit der Idee im Vergleich zum Wettbewerb.
Die Bewertung der Ideen wird in der Regel unternehmensintern vorgenommen und
basiert häufig auf der Erfahrung und der Expertise des Senior Managements. In der
traditionellen Vorstellung des Innovationsmanagements erfolgt die Ideengenerierung
aus internen Quellen. Als Ideengeber spielt die unternehmenseigene Forschungs- und
Entwicklungsabteilung eine zentrale Rolle. Auch angrenzende Unternehmensbereiche,
z. B. das Marketing oder der Vertrieb, als auch Mitarbeiter des Produktions- und
Beschaffungsbereichs gelten als wichtige Ideenquellen. Der Open-Innovation-Ansatz
erschließt dagegen zusätzlich externe Quellen für den Innovationsprozess. Open
Innovation fokussiert besonders auf diese Phase des Innovationsprozesses: die Rolle
von Kunden und Nutzern als Urheber oder Mitwirkende bei der Generierung innovativer Ideen und deren Bewertung.
(2)
Konzeptentwicklung
Positiv bewertete Ideen treten in die zweite Phase der Konzeptionalisierung ein. Die
Innovationsidee – von Natur aus eine noch recht vage verbale Beschreibung der angestrebten Innovation – wird nun verfeinert und weiterentwickelt. In dieser Phase finden
die zentralen Tätigkeiten der Forschung und Entwicklung (F&E) statt. Dies beinhaltet
zunächst eine Visualisierung der Idee durch Skizzen, Mock-ups oder Animationen.
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Des Weiteren erfolgt die Ausarbeitung eines definierten Zeitplans, eines Investitionsplans sowie Abschätzungen hinsichtlich der technischen Realisierbarkeit und des
Marktpotenzials der Innovationsidee. Die abschließende Konzeptbewertung erfolgt
klassischerweise durch Experten, das Senior Management und vor allem durch
Analysen der Marktforschung (Wheelwright / Clark 1992). Die Idee von Innocentive
(Kasten 3–1), externe Akteure in die Problemlösung einzubeziehen, setzt genau in dieser Phase an. Doch auch so genannte Lead User, besonders fortschrittliche Kunden,
überführen häufig eine Idee, wie ein neues Bedürfnis befriedigt werden könnte, in ein
konkretes Konzept.
(3)
Prototyp-Erstellung
In der dritten Phase wird das Innovationskonzept in einen Prototyp überführt. Ein
Prototyp bezeichnet ein voll funktionsfähiges Versuchsmodell eines geplanten Produktes oder Bauteils. Neue Technologien wie Stereolithografie oder selektives Lasersintern erlauben es heute, CAD-Dateien ohne manuelle Umwege direkt in voll funktionsfähige Prototypen umzusetzen (Rapid Prototyping). Dabei werden die Werkstücke schichtweise aus formlosem oder formneutralem Material unter Nutzung physikalischer und/oder chemischer Effekte aufgebaut (Gebhardt 2000). Es wird nun
geprüft, ob der Prototyp den Anforderungen des Konzepts Stand hält. Dies beinhaltet
Tests hinsichtlich der Performance und der Akzeptanz des Prototyps unter
Laborbedingungen. Zudem wird die Einhaltung der Entwicklungs- und Produktionskosten überprüft.
Kunden und Nutzer spielen auch in der Phase der Prototypen-Erstellung eine wichtige Rolle. Lead User überführen ihr innovatives Konzept oft auch in einen funktionsfähigen Prototypen, mit dem sie ihr Bedürfnis zu befriedigen versuchen. In diesem Fall
gehen die Phasen 1 bis 3, Ideengenerierung, Konzeptentwicklung und Prototypenerstellung, aus Sicht des Kunden ineinander über und münden in eine integrierte
Problemlösungsphase. Ein anderer Ansatz von Open Innovation ist, Kunden durch
den Einsatz bestimmter Hilfsmittel, die das Herstellerunternehmen bereitstellt, dazu
zu befähigen, einen (virtuellen) Prototyp zu erstellen. Dies ist die Idee von “Toolkits for
Open Innovation”, die wir noch genauer beschreiben werden.
(4)
Produkt- und Markttest
Bei einer konventionellen Herstellerinnovation wird der Prototyp in dieser Phase in
das Produktionssystem überführt und in der Regel zunächst in kleinen Stückzahlen für
einen Testmarkt produziert. In einem solchen Testmarkt wird nun die Akzeptanz und
Performance der Innovation unter realen Marktbedingungen evaluiert. Die Ergebnisse
lassen Rückschlüsse auf notwenige Modifikationen des Produktes sowie auf die
Gestaltung des Marketing-Mix zu. Im Rahmen des Open-Innovation-Ansatzes können
Unternehmen bspw. Funktionstests und aufwendige Fehlersuchen auf die Kunden
übertragen. Doch sind bei einer Nutzer-dominierten Innovation Produkt- und
Markttests zum Test der Akzeptanz häufig gar nicht mehr notwendig, wenn die
Innovation ursächlich auf den Ideen der Kunden beruhte. Der Open-InnovationAnsatz ist insoweit ein ergänzender Ansatz zum herkömmlichen Innovationsmanagement, als dass Produkt- und Markttest sowie Markteinführung aus der Sicht des
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Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration im Innovationsprozess
Herstellers nicht überflüssig werden, aber wegen der Kundeninteraktion in den vorherigen Phasen nach einem anderen Muster und mit einem erheblich geringeren
Marktrisiko ablaufen.
(5)
Markteinführung
Im Rahmen der Markteinführung kommt dem Marketing eine zentrale Rolle zu. Innovationsmarketing bezeichnet sämtliche Aktivitäten im Rahmen der Kommunikation
und Vermarktung der Innovation. Dies umfasst beispielsweise die Preissetzung, die
Auswahl und Kombination geeigneter Distributionskanäle, das Marken- und
Kommunikationsmanagement oder die Schulung von Verkaufspersonal. Open
Innovation stellt an die Stelle einer groß angelegten Markteinführung für einen anonymen Markt eine dezidierte Vermarktung mit Pilotkunden, um durch die gesammelten
Erfahrungen das Marktpotenzial schrittweise aufzubauen. Ebenso können die Kunden
eine wichtige Rolle zur Diffusion übernehmen, indem sie in die Vermarktung und
Distribution der Produkte mit einbezogen werden (gute Beispiele sind wieder die TShirt-Händler Threadless und Spreadshirt (Kasten 1–1 und Kasten 2–8): Hier wirken
die Kunden auch entscheidend zur Vermarktung der Produkte bei, indem sie Freunde
als Käufer werben, als Models für den Online-Katalog mitwirken und durch positive
Mundpropaganda die Marke an sich bekannt machen.
3.2
Von der Kundenorientierung zur
Kundenintegration im Innovationsprozess:
der Weg zu Open Innovation
Der folgende Abschnitt beleuchtet die in der Literatur diskutierten Ansätze, die sich
mit der Einbeziehung von Kunden in bestimmte Phasen des Innovationsprozesses
befassen. Allerdings erfüllen diese Ansätze nicht vollständig die in Kapitel 2 beschriebenen Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung (Kapitel 2.4.1). Jedoch ist ihr
Verständnis wichtig, um die Schritte auf dem Weg zu Open Innovation zu verstehen
und diesen Ansatz von anderen Ideen der Integration von Kundeninformation in den
Innovationsprozess abgrenzen zu können:
„ Die Marketing-Forschung hat breite methodische Absätze entwickelt, um die
Kundenorientierung im Innovationsprozess sicherzustellen. Diese so genannten
„voice of the customer“-Ansätze belassen den Kunden allerdings noch in einer
passiven Rolle (Abschnitt 3.2.1).
„ Weitreichender sind dagegen schon Innovationsansätze in Netzwerkorganisationen. Diese Ansätze öffnen Innovationsprozesse über die Unternehmensgrenzen
hinaus und betrachten verteilte Problemlösungsprozesse (“distributed innovation”) mit Technologielieferanten, Zulieferern, Wettbewerbern und ansatzweise
auch Kunden bzw. Nutzern. Die Integration der Beiträge folgt allerdings den klassischen Organisationsprinzipien Hierarchie oder Markt. Hier ist auch der von
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Chesbrough (2003) propagierte Ansatz einzuordnen, der bereits den Begriff “Open
Innovation” verwendet (Abschnitt 3.2.2).
„ Am weitestgehenden ist der Ansatz Eric von Hippels, der mit seinem “Lead User”Ansatz und “Customer-Active-Paradigm” einen Paradigmenwechsel einleitete
und Kunden bzw. Nutzer als die wesentliche Quelle von Innovationen sieht
(Abschnitt 3.2.3). Der Ansatz von Hippels kommt unserer Vorstellung von
Innovationsprozessen als interaktive Wertschöpfungspartnerschaft mit Kunden
nahe, betont aber nicht die kooperative und gemeinsame Problemlösung zwischen
Herstellern und Kunden.
Open Innovation in unserem Sinne beschreibt den Innovationsprozess als einen vielschichtigen offenen Such- und Lösungsprozess, der zwischen Akteuren im Unternehmen und über die Unternehmensgrenzen hinaus mit externen Akteuren abläuft.
Dieser Interaktionsprozess folgt weiterhin dem Phasenmodell von der Ideengenerierung über die Konzeptentwicklung bis hin zur Prototypen-Entwicklung und mündet aus Sicht der Kunden in der Phase der Problemlösung. Produkt- und Markttest
sowie Markteinführung werden aus Sicht des Herstellers jedoch nicht überflüssig. Sie
laufen aber wegen der Kundeninteraktion in den vorherigen Phasen nach einem anderen Muster und mit einem erheblich geringeren Marktrisiko ab. Der Open-InnovationAnsatz ist so ein ergänzender Ansatz zum herkömmlichen Innovationsmanagement
(Abschnitt 3.2.4).
3.2.1 Ansätze der Kundenorientierung: “Voice of the
Customer”
Empirische Studien belegen, dass in Abhängigkeit von der jeweiligen Branche bis zu 90
Prozent der potentiellen Innovationen am Markt keinen Erfolg haben (Cooper 1999;
Crawford 1987). Die Erfolgsfaktorenforschung hat deshalb eine lange Tradition in der
Literatur zum Innovationsmanagement. Ihr Ziel is die Identifikation von Determinanten, die den Erfolg oder Misserfolg einer Innovation erklären. Dabei wird nach
Faktoren gesucht, die unternehmensintern oder im Umfeld von Unternehmen liegen
und den Innovationsprozess initiieren, begünstigen oder beschleunigen (Ernst 2002).
Faktoren erfolgreicher Innovation
In der traditionellen Form des Innovationsmanagements geht man davon aus, dass vor
allem unternehmensinterne Faktoren den Innovationserfolg positiv beeinflussen, wie
z. B. die Unternehmenskultur, die Unternehmensstrategie, die Organisation des Unternehmens, das Führungssystem und die formale Ausgestaltung des Innovationsprozesses. Als externe Faktoren gelten insbesondere der Standort (z. B. die Nähe zu
Universitäten oder Wissenschaftszentren), die rechtlichen Rahmenbedingungen (Recht
des geistigen Eigentums), die wirtschaftliche Entwicklung, die Infrastruktur für
Verkehr und Kommunikation, politische und gesellschaftliche Umweltfaktoren und
die Einflussgrößen des Marktes (Cooper 1988; Cooper 1999; Cooper / Kleinschmidt
1987; Ernst 2002).
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Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration im Innovationsprozess
Jedoch reichen diese Faktoren noch nicht aus, den Erfolg einer Innovation – und die
hohen Flopraten von Innovationen – zu erklären. Denn selbst wenn ein Unternehmen
all diese Faktoren beherrscht, können die resultierenden Innovationen noch an den
Bedürfnissen der Nachfrager vorbeigehen. Immer wieder werden technisch ausgefeilte und aus unternehmensinterner Sicht hoch attraktive Produkte auf den Markt gebracht, die aber dennoch die Erwartungen der Unternehmen an das Produkt nicht erfüllen. Diese Produkte erfüllen entweder die Bedürfnisse der Kunden nicht besser (oder
zu einem günstigeren Preis) als die bereits am Markt etablierten Produkte, oder aber
sie schaffen keinen neuen Markt für ein Produkt, das bislang noch nicht existierte.
Kundenorientierung als Erfolgsfaktor
Deshalb herrscht heute in der Literatur Übereinstimmung über die Bedeutung der
Kundenorientierung im Innovationsprozess. Unternehmen müssen die “Stimme der
Kunden” als wesentliches Mittel zur Reduktion von marktlichen Unsicherheiten
berücksichtigen (siehe z. B. Ernst 2002; Gemünden 1981; Gruner / Homburg 2000;
Herrmann et al. 2000; Jenner 2004; Kahn 2001; Katila / Ahuja 2002; Krieger 2005; Lüthje
2000; Montoya-Weiss / Calantone 1994). Wir werden diesen Faktor im Folgenden näher
betrachten. Dabei werden wir sowohl die klassische Sichtweise als auch eine neue,
erweiterte Sichtweise einnehmen.
Kundenorientierung ist ein weiter Begriff, der den Wert einer Leistung für den Kunden in den Vordergrund stellt und alle Bereiche eines Unternehmens auf die Schaffung
dieses Wertes ausrichtet (Homburg 2000). Eigenschaften eines kundenorientierten
Unternehmens sind (i) eine Unternehmensvision, die den Kunden an erste Stelle stellt;
(ii) die Fähigkeit des Unternehmens, besser als die Wettbewerber Informationen über
die Kunden zu sammeln, zu verarbeiten und zu nutzen; (iii) die Koordination funktionsübergreifender Prozesse zur Schaffung von Wert für die Kunden (Day 1994;
Jendrosch 2001; Lüthje 2003b). Bezogen auf den Innovationsprozess lassen sich diese
Eigenschaften wie in Abbildung 3–4 dargestellt konkretisieren.
Abbildung 3–4: Faktoren von Kundenorientierung im Innovationsprozess
Erfolgsfaktoren einer Kundenorientierung im Innovationsprozess
„ Sammlung von Marktinformationen
„ Kundenbezug in allen Innovationsphasen
„ Einsatz von Test-Märkten
„ Intensive Marktforschung
„ Verstehen von Kundenwünschen
„ Verstehen des Konsumentenverhaltens
„ Kenntnis der Preissensitivität
„ Kundenorientierter Market-Launch
„ Testmarkt für Prototypen
„ Frühe go-/no-go Entscheidungen
Bedürfnis- und Lösungsinformation
Erfolgreiche Innovationen entstehen demnach dann, wenn Informationen über Bedürfnisse potentzieller Kunden (Bedürfnisinformationen) optimal mit Informationen hin107
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sichtlich der Lösung und Umsetzung dieser Bedürfnisse in ein entsprechendes Leistungsangebot (Lösungsinformationen) verknüpft werden. Wir haben diese Begriffe
schon in Abschnitt 2.4.3 eingeführt und wollen die Argumentation hier nun vertiefen.
Danach beinhalten Bedürfnisinformationen Wünsche, Präferenzen und Anforderungen der Kunden an eine Leistung sowie an deren Leistungsfähigkeit, Qualität,
Design oder Preis (von Hippel 1994; Gruner / Homburg 2000). Bedürfnisinformation
der Kunden kann sich zum einen auf Produkte und Dienstleistungen beziehen, die bisher noch nicht auf dem Markt angeboten werden. In diesem Falle verspüren Kunden
ein Bedürfnis, welches bisher noch durch kein existierendes Marktangebot befriedigt
wird. Bedürfnisinformation kann sich aber auch auf Erfahrungen des Kunden mit dem
bisherigen Leistungsangebot eines Unternehmens erstrecken. Unzufriedene Kunden
können demnach über Informationen verfügen, welche (fehlenden) Attribute eines
Leistungsangebots diese Unzufriedenheit (ungestilltes Bedürfnis) hervorrufen
(Brockhoff 2003). Doch nicht nur unzufriedene Kunden, sondern auch zufriedene
Kunden können für einen Hersteller wichtige Informationen haben, beispielsweise
darüber, welchen neuen Anforderungen das Leistungsangebot eines Anbieters in
Zukunft genügen sollte.
Im Gegensatz zu Bedürfnisinformationen umfassen Lösungsinformationen Informationen zur Transformation von Bedürfnissen in ein konkretes Leistungsangebot
(Specht 1992). Dabei kann es sich um den Einsatz von Wissen, Technologien,
Fertigungstechniken oder Humankapital handeln. Lösungsinformationen sorgen also
dafür, dass Bedürfnisinformationen (potenzieller) Kunden in ein konkretes, marktfähiges Leistungsangebot übersetzt werden (von Hippel 1978a).
Wesentliche Inputfaktoren für den Innovationsprozess sind Bedürfnis- und Lösungsinformation. Bedürfnisinformationen beinhalten Wünsche, Präferenzen und Anforderungen aktueller oder potentieller Kunden an ein neues Produkt oder eine neue Leistung sowie an deren
Leistungsfähigkeit, Qualität, Design oder Preis. Lösungsinformation dagegen umfasst Wissen
zur Transformation dieser Bedürfnisse in ein konkretes Leistungsangebot. Dabei kann es sich
um den Einsatz von Wissen, Technologien, Fertigungstechniken oder Humankapital handeln.
“Voice of the customer”
Der traditionelle Innovationsprozess unterstellt eine stetige, vordefinierte Verteilung
von Lösungs- und Bedürfnisinformationen. Demnach verfügen Kunden über Bedürfnisinformationen und das innovierende Unternehmen über Lösungsinformationen. Für das Unternehmen besteht die zentrale Herausforderung darin, über
Marktforschungstechniken Bedürfnisinformation vom Markt in die firmeneigene
Forschungs- und Entwicklungsabteilung zu transferieren (dieser Vorgang wird oft
auch als Aufnehmen der “voice of the customer” bezeichnet; siehe Griffin / Hauser
1993). Dort wird die Bedürfnisinformation des Kunden dann unter Nutzung der
Lösungsinformation von Forschern und Entwicklern in ein entsprechendes Leistungsangebot übersetzt (von Hippel 1978a; 1998). Weitere Marktforschungsaktivitäten
und der Test von Prototypen sollen dabei sicherstellen, dass die Ergebnisse der eigenen
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Produktentwickler auch den tatsächlichen Bedürfnissen des Zielmarktes entsprechen.
Damit kommt es oft zu einer iterativen Annäherung zwischen dem Feedback der
Marktforschung und weiteren Verbesserungen und Anpassungen der Entwickler des
Herstellers.
Allgemeine Methoden zur Generierung kundenorientierter Informationen im
Innovationsprozess
Im traditionellen Innovationsprozess stellt die Marktforschung eines Unternehmens
das dominierende Bindeglied zwischen Kunde und Unternehmen dar, um einen
Transfer von Bedürfnisinformationen potenzieller Nachfrage zu realisieren. Marktforschung bezeichnet dabei einen systematischen Prozess der Gewinnung und Analyse
von Daten für Marketing- Entscheidungen (Berekhoven / Eckert / Ellenrieder 2004;
Herrmann / Homburg 2000; Hruschka 1996). Der Einsatz spezifischer Marktforschungsmethoden orientiert sich dabei an den Anforderungen an die Datengrundlage
und dem Ziel der formulierten Fragestellung. Während die entdeckende Marktforschung darauf abzielt, ein bisher noch wenig bekanntes Phänomen erstmals zu
beleuchten, dient die testende Marktforschung der Vergleichbarkeit der Antworten
einer Vielzahl von Befragten. Im Vordergrund der testenden Marktforschung steht die
Repräsentativität der Daten. Dies ist genau dann der Fall, wenn Bedürfnisse einer ausgewählten Stichprobe auf die Grundgesamtheit übertragbar sind, d. h. die Bedürfnisse
einer Stichprobe repräsentieren die Bedürfnisse einer definierten Grundgesamtheit.
Die entdeckende Marktforschung hingegen verfolgt weniger das Ziel der Repräsentativität als die Exploration eines unbekannten Phänomens.
Ein weit verbreitetes Instrument zur Erhebung von Primärdaten ist eine Befragung.
Hierbei können sowohl qualitative als auch quantitative Methoden zum Einsatz kommen. Die am weitest verbreiteten qualitativen Methoden stellen das Tiefeninterview
und die Gruppendiskussion dar. Ein Tiefeninterview ist ein recht freies Interview in
Form eines persönlichen Gesprächs. Der Interviewer lenkt den Gesprächsablauf auf
Basis eines Interviewleitfadens. Durch Einsatz spezieller Fragetechniken lässt die
Befragung Aussagen über Einstellungen und Motive des Befragten zu. Strebt das
Tiefeninterview ein tieferes Verständnis individueller Verhaltensweisen und
Meinungen an, zielt die Gruppendiskussion darauf ab, die Meinung und Ideen mehrer Personen zu erheben und gruppendynamische Effekte zu nutzen. Gruppendiskussionen finden meist in Fokusgruppen statt (Lüthje 2003b). Dabei handelt es sich
um eine Gruppe von sechs bis zehn Mitgliedern, die unter Leitung eines qualifizierten
Moderators einen Themenkatalog in der Gruppe diskutieren. Bei der Auswahl der
Mitglieder empfiehlt es sich sowohl extrem heterogene als auch homogene Gruppen
zu vermeiden. Im Ergebnis führt eine Gruppendiskussion im Idealfall dazu, dass sich
die Gruppenmitglieder wechselseitig zu detaillierten und spontanen Äußerungen
anregen.
Die qualitative Befragung ist eine entdeckende Marktforschung, d. h. man versucht
ein noch wenig bekanntes Phänomen erstmalig zu verstehen. Quantitative Befragungen hingegen zielen darauf ab, Antworten einer Vielzahl von Befragten unmittelbar zu vergleichen. Dies wird dadurch ermöglicht, dass die Antworten bei dieser
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Befragungsform standardisiert sind. Die Befragung erfolgt entweder mündlich, telefonisch, schriftlich oder online. Die quantitative Befragung ist eine testende
Marktforschung. Die Ergebnisse einer Stichprobe müssen auf die Grundgesamtheit
übertragbar sein. Im Gegensatz zur Befragung werden bei der Beobachtung wahrnehmbare Sachverhalte, Verhaltensweisen und Eigenschaften ausgewählter Personen
planmäßig erfasst. Der Einsatz der Methode setzt voraus, dass sich die Antworten einer
spezifischen Fragestellung tatsächlich beobachten lassen. Dies gilt z. B. im Rahmen der
Werbewirkungsmessung oder der Beobachtung von Konsumentenverhalten.
In der Marktforschungspraxis hat besonders eine Mischform aus Befragung und
Beobachtung – das Experiment – eine zentrale Bedeutung. Experimente dienen der Erkennung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen durch den Einsatz von Manipulationsgrößen. Unterschieden werden Labor- und Feldexperimente. Laborexperimente
finden unter künstlichen Bedingungen (vereinfachte Nachbildung der Realität) statt,
während Feldexperimente in einer natürlichen Umgebung durchgeführt werden.
Laborexperimente besitzen in der Regel eine höhere interne Validität als Feldexperimente. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die unabhängige Variable sowie die
Störgrößen unter Laborbedingungen besser kontrolliert werden können als im freien
Feld. Feldexperimente weisen hingegen aufgrund der realeren Bedingungen eine
höhere externe Validität als Laborexperimente auf. Abbildung 3–5 fasst die unterschiedlichen Methoden zur Datengewinnung abschließend zusammen.
Abbildung 3–5: Typische konventionelle Methoden der Datengewinnung zum Zugang zu
Bedürfnisinformation (“voice of the customer”)
Datengrundlage
Primärdaten
Sekundärdaten
Beobachtung
Befragung
qualitativ
Interne Daten
Externe Daten
quantitativ
Mischform: Experiment
Feldexperiment
Laborexperiment
Quality Function Deployment als integrierte Methode der Kundenorientierung
Während die zuvor genannten Methoden auch, aber nicht nur im Innovationsprozess
zum Einsatz kommen, ist Quality Function Deployment (QFD), ein umfassendes
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Planungssystem für einen kundenorientierten Innovationsprozess. Ziel der QFD ist
die Ausrichtung sämtlicher Ressourcen eines Unternehmens auf die Bedürfnisse und
Wünsche potenzieller Kunden. Es kommt bei Anwendung der Methode zu einer strikten Trennung von Kundenbedürfnissen und den technischen Anforderungen an ein
Produkt (Akao 1992; Daetz / Barnard / Norman 1995; Griffin / Hauser 1993; Lai-Kow /
Ming-Lu 2002; ReVelle / Moran / Cox 1998). Der Ansatz unterstellt, dass ein Unternehmen bereits eine konkrete Innovationsidee (oder gar ein existierendes Produkt, das
zur Weiterentwicklung ansteht) besitzt und potenzielle Kunden in der Lage sind, ihre
Bedürfnisse und Anforderungen an dieses Produkt zu artikulieren. Kasten 3–2 gibt
einen Einblick in das Vorgehen. QFD wird heute in vielen Unternehmen, aber auch oft
in der Literatur zum Innovationsmanagement, als prototypische Methode gesehen,
um eine hohe Kundenorientierung als übergeordneten Erfolgsfaktor im Innovationsmanagement zu verwirklichen (Wildemann 1999).
Kasten 3–2:
Quality Function Deployment (QFD) als umfassende Methode eines kundenorientierten Innovationsprozesse
Quality Function Deployment (QFD) ist ein umfassendes Planungssystem für einen kundenorientierten Innovationsprozess. Ziel des Verfahrens ist die Konzeption, Erstellung und der Verkauf von
Produkten und Dienstleistungen, die der Kunde wirklich wünscht. Die Methode des QFD als
Grundkonzept zur Qualitätsplanung geht zurück auf den Japaner Yoji Akao im Jahre 1966. Die
erste praktische Anwendung ist 1972 auf der Kobe-Schiffswerft der Mitsubishi Heavy Industries
datiert. Der Name des Quality Function Deployment entstammt dem Japanischen. Ausgehend vom
Original-Begriff Hin Shitsu (Merkmale, Attribute, Features) Ki No (Funktion) Ten Kai (Darstellung,
Aufstellung, Entwicklung) ist eine Übersetzung als “Merkmal-Funktions-Darstellung” treffend.
Durch einen Übersetzungsfehler ins Englische entstand der heute gebräuchliche Begriff QFD
(Übersetzung von Hin Shitsu in ‘quality’ (Qualität) statt in ‘qualities’ (Merkmale) [Quelle:
Wikipedia.org].
Der erste Schritt der QFD-Methodik ist in der Regel die Durchführung einer Conjoint-Analyse, um
die Bedürfnisse und Anforderungen der Kunden zu erheben. Diese quantitative Methode der
Marktforschung beruht meist auf einer Befragung und unterstellt, dass sich der Gesamtnutzen
eines Produktes aus Sicht des Nachfragers additiv aus den Nutzen der Komponenten (Teilnutzenwerte) zusammensetzt. Die Datenbasis bilden so die Gesamtnutzenurteile (Präferenzurteile) befragter Personen. Die Teilnutzenwerte beziehen sich in der Conjoint-Analyse auf einzelne Ausprägungen von Produkteigenschaften (z. B. Preis, Marke, Produktattribute, technische
Funktionen). Diese Eigenschaften sollten unabhängig sein und zueinander in kompensatorischer
Beziehung stehen. Es gilt zu beachten, dass nur solche Merkmalsausprägungen Eingang in die
Untersuchung finden, welche das Unternehmen tatsächlich operativ steuern kann. Die ConjointAnalyse konfrontiert potenzielle Kunden nun mit einem solchen Set an Merkmalsausprägungen.
Bei der Profilmethode besteht ein Stimulus aus der Kombination je einer Ausprägung aller
Eigenschaften. Bei der trade-off-Methode werden stets zwei Eigenschaften gegeneinander abgewogen. Die Conjoint-Analyse ermittelt im Anschluss den Beitrag unterschiedlicher Merkmalsausprägungen zum Gesamtnutzen des Produktes (Backhaus et al. 2005; Teichert 2001).
In einem zweiten Schritt erfolgt die Übersetzung der durch die Conjoint-Analyse ermittelten Kundenanforderungen in die “Sprache des Ingenieurs”. Dabei werden die ermittelten Produktanforderungen und Eigenschaften zunächst in Konstruktionsmerkmale transformiert und anschließend in Teilmerkmale übertragen. Dieses Vorgehen unterstellt, dass nicht das physische Produkt,
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sondern ein Eigenschaftsbündel das Nachfrageinteresse beeinflusst. Charakteristisches Merkmal
für diesen “Übersetzungsprozess” ist daher die Beschränkung auf die Erfassung physikalisch-chemisch-technischer Produkteigenschaften im Rahmen der Identifikation von Kundenwünschen. Aus
Abnehmerperspektive bemisst sich die Qualität des Produktes nach der Qualität einzelner
Produktmerkmale (siehe auch Abschnitt 4.3.1). Die Qualitätsurteile können sowohl auf ergonomischen (physikalisch-chemisch-technischen) als auch auf hedonistischen, d. h. immateriellen,
nicht-funktionalen Eigenschaften wie sozialen und psychischen Nutzenkomponenten beruhen
(Akao 1992).
Das House of Quality stellt den Kern des Quality Function Deployment dar und kann als Übersetzungsmatrix zwischen Kunden- und Designanforderungen interpretiert werden. Den
Ausgangspunkt des House of Quality bildet die Erfassung und strukturierte Aufnahme gewichteter
Kundenanforderungen. Diese Kundenanforderungen werden anhand der Prioritäten der Kunden
bei Anschaffung und Nutzung des Produktes gewichtet. In der Matrix werden die Beziehungen im
Block 6.1 entsprechend aufgetragen, so dass frühzeitig Zielkonflikte sichtbar werden (Gustafsson
/ Huber 2000). Die aufgelisteten Anforderungen haben den im Lastenheft hinterlegten
Anforderungen zu entsprechen. Im Block 2 werden die Kundenanforderungen mit Produkten der
Wettbewerber verglichen. Ein Stärken-Schwächen-Profil legt den Zielkorridor für die angestrebte
Produktqualität. Diese horizontale Achse (Marketing-Block) wird nun in die “Sprache des
Ingenieurs” übersetzt. Es erfolgt die Ermittlung technischer Konstruktionsmerkmale, Interpendenzen und Zielkonflikte. Die in Block 3 aufgeführten technischen Merkmale des Produktes
werden in der Beziehungsmatrix im Block 4 hinsichtlich ihrer Beziehungsstärke zu den gewichteten Kundenanforderungen aufgetragen um bisher unberücksichtigte Kundenanforderungen zu entdecken.
1. Zusammenstellung
QFD-Team
2. Produktauswahl
9. Zielkonflikte
3. Kundenbestimmung
5.2 Optimierungsrichtung
4.2 Gewichtung
4.1 Kundenforderung
5.1 techn.
Merkmale
6.1 Beziehungen
0 = keine
positiv
1 = schwach
2 = mittel
3 = stark
negativ: mit
Betragsstrichen
5.4 Schwierigkeit
4.3 Servicegewichtung
10. Verkaufsschwerpunkte
eigenes und
Konkurrenzprodukte
7.1
Marktbewertung
5.3 Messbare
Zielwerte
8. Wettbewerbsvergleich
eigenes und
Konkurrenzprodukte
7.2 Analyse der
Marktbewertung
6.2 Techn.
Bedeutung
11. Kritische
Merkmale
Abbildung: Das House of Quality (entnommen aus Akao 1992: 21)
Unter Beachtung wirtschaftlicher Zielkorridore und der technischen Machbarkeit erfolgt so die
Ableitung von Zielvorgaben für einzelne Konstruktionsmerkmale. Diese werden einer erneuten
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Überprüfung bzgl. ihres Erfüllungsgrades der Kundenanforderungen unterzogen. Dies umfasst
fallweise auch einen Vergleich mit Konkurrenzprodukten zur Verifizierung der Zielerreichung zur
Schließung von Leistungslücken. Das Ergebnis der finalen Abstimmung der Konstruktionsvorgaben in Block 5 ist im Regelfall das Pflichtenheft. Im Ergebnis liefert der Einsatz von QFD
Erkenntnisse über die kundenorientierte Gestaltung eines Produkts.
Das “manufacturing-active paradigm”
Von Hippel (1978a, 1978b) bezeichnet dieses Bild vom Innovationsprozess als “manufacturing-active paradigm”. Innovation ist hier Aufgabe des fokalen Anbieterunternehmens, das aus eigener Kraft Informationen über Bedürfnisse “repräsentativer”
Nutzer bzw. Kunden sammelt und diese dann intern in eine innovative Lösung
umsetzt (Eliashberg / Lilien / Rao 1997; Griffin 1997; Haman 1996; Lonsdale / Noel /
Stasch 1996; Rangaswamy / Lilien 1997). In dieser Vorstellung haben die Kunden nur
eine passive Rolle, “speaking only when spoken to” (von Hippel 1978b: 243) im
Marktforschungsprozess. Innovation als geschlossener, unternehmensinterner Prozess
manifestiert sich auch heute noch in Schilderungen der glorreichen Leistungen großer,
von der Öffentlichkeit eng abgeschirmter unternehmensinterner Forschungslaboratorien wie Xerox PARC, Lucent Bell Labs oder dem Garching-Lab von General
Electric.
Kritik an der klassischen Vorstellung von Kundenorientierung im Innovationsprozess
Die zuvor angeführten Methoden einer Kundenorientierung im Innovationsprozess
haben sicherlich zur Verbesserung der Erfolgsrate von Innovationen beigetragen.
Jedoch hat ihre Anwendung auch Risiken. Ausgehend von einer Produktidee nähert
sich das Unternehmen in einem iterativen Prozess zwischen der Bewertung von Ideen,
der Identifikation essentieller Produktattribute für die Konzeptdefinition, der
Gewichtung von Kundenpräferenzen in der Entwurfsphase sowie der Beurteilung von
Prototypen in der Testphase dem finalen Produkt an. Ein Innovationsprozess, der viele
Iterationen durchläuft, nimmt viel Zeit und hohe Kosten in Anspruch, ohne dass am
Ende notwendigerweise ein neues marktfähiges Produkt steht.
Denn auch wenn sich das Innovationsmanagement aus einer Außensicht an den
Präferenzen und Zufriedenheitsurteilen eines “durchschnittlichen” Kundensegments
orientiert, wird die Heterogenität der Kundenwünsche durch ein Standardproduktdesign nicht berücksichtigt, d. h. die entwickelte Lösung trifft gegebenenfalls die
Bedürfnisse bestimmter Marktsegmente nicht (Franke / Piller 2004). Zudem setzt eine
klassische Marktforschung an den Kundenerwartungen und Zufriedenheitsurteilen zu
Beginn des Kaufprozesses oder gar erst nach einer Nutzungsphase an. Die
Informationsgenerierung für die frühen Phasen des Innovationsprozesses fehlt allzu
oft. Im Fall wirklich innovativer Bedürfnisse, Ideen und Konzepte scheitern die
Methoden der herkömmlichen Marktforschung auch bei ausgeklügelten “voice of the
customer”-Methoden regelmäßig (Christensen 2000).
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3.2.2 Innovationsprozesse in interorganisationalen
Netzwerken
Bevor wir im kommenden Abschnitt eine neue Sichtweise des Innovationsprozesses
betrachten, die Kunden nicht nur als Informationsquelle für Marktforschungsanstrengungen, sondern als aktive Partner oder gar Initiatoren eines Innovationsprozesses
sieht, wollen wir in einem ersten Schritt eine weitere Vorstellung des klassischen
Unternehmensprozesses auf die Probe stellen: Lösungen für innovative Aufgaben und
Probleme entstammen zum Großteil unternehmensinternen Abteilungen. So galt eine
starke interne Forschung- und Entwicklungsabteilung über Jahrzehnte als Garant für
den Unternehmenserfolg – und gilt heute in Zeiten von Outsourcing und der
Verschlankung der Unternehmen oft als wesentliche verbleibende Kerntätigkeit. Ideen
der internen Forschung und Entwicklung sichern langfristiges Wachstum und stellten
eine nicht zu vernachlässigende Markteintrittsbarriere für potenzielle Konkurrenten
dar. Doch diese Innenorientierung des Innovationsprozesses wird schon lange durch
eine erweitere Sichtweise ergänzt. Die Auflösung der Unternehmensgrenzen, die wir
in Abschnitt 2.3 bereits diskutiert haben, macht auch vor der Entwicklung neuer
Produkte und Prozesse nicht halt. Kasten 3–3 zeigt hierzu als einführendes Beispiel,
wie ein großer Konsumgüterhersteller, Procter & Gamble (P&G), systematisch externe
Partner in seine Innovationsprozesse einbezieht.
Kasten 3–3:
Procter & Gamble’s Strategy to Harness Outside Talent to Boost Innovation
(Quelle: Auszug aus dem Artikel “Innovation inside out” von Gary H. Anthes in Computerworld,
September 13, 2004 [www.computerworld.com/printthis/2004/0,4814,95854,00.html])
(…) Aided by the internet and advanced search techniques, a handful of companies is leading a
revolution in the way new products are designed and developed. By looking beyond their own R&D
labs — to suppliers, universities, freelance inventors and even competitors — they are accelerating
the pace of innovation while sidestepping the costs and risks of in-house research. “The R&D model
that most companies are following is broken,” says Larry Huston, vice president for research and
development at Procter & Gamble (P&G) in Cincinnati. “There’s a drive to increase innovation budgets beyond the [revenue] growth of the firm. That’s not a sustainable business model.” (…)
But P&G, which spent $1.7 billion on R&D last year, has found a new model, called open-market
innovation. Indeed, the consumer products maker has embraced the idea so enthusiastically that
it no longer refers to its product-innovation process as R&D; it’s now C&D, for “connect and develop.” Larry Huston, vice president for research and development at Procter & Gamble, makes the
case for out-of-the-box innovation:
„
P&G has 7,500 researchers in 150 branches of science. Outside of P&G, there are 1.5 million
equally qualified scientists around the world. “So, for every person we have, there are 200 on
the outside,” Huston says.
„
R&D staff at U.S. companies cost their employers well over $100,000 a year on average.
“Somebody in India with a master’s degree in a science probably starts at about $3,000 a
year,” Huston says.
„
P&G is a $51 billion company growing at 6 % to 7 % a year. It wants half of all its product innovations to come from external sources. “You can do the math,” he says. “If 50 % is coming from
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outside, this is over a $1 billion challenge to bring sales in from the outside through connect
and develop.”
P&G makes the connections among its employees and external sources with a variety of tools and
techniques, including an intranet, Web sites, commercial and homegrown search engines as well
as several “innovation networks” — intermediary companies that match innovation seekers and
suppliers. In just two years, the company has boosted the percentage of product innovations that
come from outside sources from less than 20 % to 35 %. P&G’s CEO wants to raise that to 50 %.
“This is a classic application of the Internet, going back to its origins,” says Darren Carroll, CEO of
InnoCentive Inc., one of the innovation matchmakers. “For those of us on Arpanet in the beginning,
it was all about scientists and engineers sharing problems and solutions.” The following are some
of the resources P&G uses to connect and develop:
„
InnovationNet. InnovationNet is an intranet Web portal for 18,000 P&G innovators in R&D,
engineering, market research, purchasing and patents. Nabil Sakkab, a senior vice president
for R&D, calls it a “global lunchroom” for the exchange of ideas.
„
InnoCentive. Founded by Eli Lilly and Co. but operating independently, Andover, Mass.-based
InnoCentive claims to be the “largest virtual laboratory in the world.” It posts scientific problems
from its 30 “seeker” members to a proprietary network of 70,000 registered “solvers” around
the world. Each posting includes a promised cash award for the solution. “The success rate so
far has been around 50 %,” Sakkab says. “Not bad for problems we failed to crack in-house.”
„
NineSigma Inc. This Cleveland-based firm helps its 50 or so clients prepare technical briefs
describing projects or problems they are trying to solve and then sends the briefs — without
identifying the originating companies — to thousands of researchers around the world. The
idea is not to get back specific solutions, as InnoCentive does, but to identify people most likely to be able to provide solutions on a contract basis.
„
YourEncore Inc. An Indianapolis-based network of about 400 retired scientists and engineers,
YourEncore was created 10 months ago by P&G and Lilly but now operates independently. It
matches its members with clients for specific, short-term job assignments and pays them their
salaries at retirement plus 20 %.
(…) Cutting-edge search technologies are essential to the connect-and-develop approach.
NineSigma creates a unique database of potential respondents for every client request. “The databases are generated through a variety of searching techniques, some of which are proprietary,”
says Shauna Brummet, vice president for operations at NineSigma. “It goes significantly beyond
Google, and the techniques are evolving.” For each problem, NineSigma sends out 6,000 bid
requests on average and receives 10 to 100 responses. Getting high-quality responses is a key to
success, says Richard Swarz, chairman of NineSigma, and that requires sophisticated search
algorithms to build just the right mailing list, as well as carefully crafted requests for proposals. (…)
P&G is seeking to identify what it calls “superconnected giants” in the networks. “They are connected through patent literature, they are publishing a lot, they speak at conferences, maybe they are
at the center of a hub as department head at a major research hospital,” Huston says. The average researcher knows 2,000 people; the superconnected ones that P&G covets know 10,000 people, he says.
While companies like P&G are beginning to tap into open-market innovation, the various methods
of doing so are not yet well integrated, says Navi Radjou, an analyst at Forrester Research Inc.
“The laboratory management systems and discovery tools that scientists use must provide seamless integration with things like InnoCentive,” he says. “I think you’ll see that happen in the next
two or three years.” But Lilly isn’t waiting for software vendors to step up to the challenge. It recently launched a project to automate the internal processes surrounding the use of InnoCentive and
is also developing interfaces to InnoCentive’s own workflow. “We are doing the IT design for an
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internal portal to these [third-party] systems so that it becomes part of the scientist’s natural workflow,” Bingham says. For example, a Lilly scientist today seeking help with a problem would first
have to know InnoCentive exists and then find someone at Lilly to explain how it works, fill out
approval forms and disclosure forms, contact the relevant person at InnoCentive and so on, says
Bingham. With new workflow automation and interfaces to InnoCentive, that scientist will be able
to accomplish the same things with a few mouse clicks. And once the problem definition has been
posted by InnoCentive, the Lilly scientist will be able to track its progress online.
Carroll says open-market innovation will dramatically expand in scope over the next five years.
“You will see it expand into statistical analysis of business problems, graphics design, advertising
and other services industries where this model may apply even more strongly,” he says. Asked
about the future of open-market innovation at P&G, Huston says, “The current business model that
people are following is not sustainable, and more and more companies will move this way. It’s
going to become even more important as we face a scientific talent shortage in the U.S. “This is
the future,” he says. “People just don’t realize it yet.”
Innovationsnetzwerke: Verteilte Problemlösungsprozesse
Das Beispiel von Procter & Gamble (Kasten 3–3) ist ein weit reichendes, aber in einigen
Unternehmen heute nicht mehr außergewöhnliches Beispiel für eine Öffnung des
Innovationsprozesses für externen Input. Wie wir in Abschnitt 2.3 gesehen haben, hat
in der Organisationstheorie der heutige Fokus auf Netzwerke mit Lieferanten, mit
dem Handel und teilweise sogar mit Konkurrenten bis hin zur Vision des virtuellen
Unternehmens die Sicht einer rein internen, geschlossenen Wertschöpfung schon lange
revidiert (Picot / Reichwald 1994; Picot / Reichwald / Wigand 2003). Ebenso kann der
Innovationsprozess als interaktive Beziehung zwischen einem fokalen Herstellerunternehmen (klassisch: der “Innovator”) und seinen Zulieferern, Kunden und anderen
Institutionen gesehen werden (Laursen / Salter 2004). Das frühe Bild des “einsamen”
innovativen Unternehmers nach Schumpeter (1942) weicht so einer deutlich vielschichtigeren Sichtweise des Innovationsprozesses als Netzwerk verschiedenster Akteure
(Brown / Eisenhardt 1995; Freeman / Soete 1997; Laursen / Salter 2004; Piller 2003, 2004;
Rosenberg 1982; Szulanski 2003; von Hippel 1988). Der Erfolg einer Innovation basiert
folglich zu einem großen Anteil auf der Fähigkeit des Unternehmens, entlang aller
Phasen des Innovationsprozesses Netzwerke mit externen Akteuren einzugehen
(Hirsch-Kreinsen 2004).
Der Innovationsprozess entspricht in seinem Kern einem Problemlösungsprozess.
Problemlösung hat zwei wesentliche Eigenschaften: “Trial-and-Error” und die
Rekombination vorhandenen Wissens in einem neuen Kontext (Allen 1966; Baron
1988; von Hippel / Tyre 1995; von Hippel 2005). Ein Unternehmen, das diese Schritte
nur rein intern vollzieht, ist zum einen auf die Wissensbasis angewiesen, die innerhalb
der Unternehmensgrenzen vorhanden ist. Zum anderen muss es alle Versuchs- und
Evaluierungsschritte ebenfalls selbst vollziehen. Werden dagegen externe Akteure in
den Problemlösungsprozess einbezogen, kann dieser oft schneller, kostengünstiger
und/oder auf einem höheren Niveau vollzogen werden. Oft wurden bestimmt Probleme bereits in einer anderen Domäne gelöst, die Lösung ist aber im Anwendungsbereich des suchenden Unternehmens nicht bekannt. Die Tendenz von Akteuren,
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zunächst (und oft nur) in einem lokalen (geographisch und disziplinären bzw. funktionalen) Umfeld nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, ist in der Managementliteratur seit langem beschrieben. Konzepte wie das Phänomen der beschränkten
Rationalität (March / Simon 1958), das Agieren in Routinen (Nelson / Winter 1982) oder
die so genannte Kompetenzfalle (Levitt / March 1988) sind Folge der Verwendung rein
lokal verfügbarer Information. Wir haben diesen Sachverhalt bereits in Abschnitt
2.4.3.3 bei der Betrachtung von “sticky” Information gesehen.
Ein Innovationsnetzwerk revidiert die Vorstellung einer rein internen Wertschöpfung und setzt
auf eine interaktive Beziehung zwischen einem fokalen Herstellerunternehmen (klassisch: der
“Innovator”) und seinen Zulieferern, Kunden und anderen Institutionen. Der Erfolg einer
Innovation basiert hier zu einem großen Anteil auf der Fähigkeit des fokalen Unternehmens,
entlang aller Phasen des Innovationsprozesses verteilte (distribuierte) Problemlösungsprozesse mit externen Akteuren einzugehen. Ziel dieser verteilten Problemlösungsprozesse ist
die Rekombination vorhandenen (lokalen) Wissens aus verschiedenen Domänen zu neuem
Wissen.
Ein klassischer und bereits recht breit beschriebener Fall des Einbezugs externer
Akteure in den Innovationsprozess sind Entwicklungskooperationen eines industriellen Herstellers mit seinen Lieferanten (siehe z. B. Hirsch-Kreinsen 2004; Ragatz /
Handfield / Scannell 1997; Spina / Verganti / Zotteri 2002; Wagner 2003; Wildemann
2004; Wynstra / van Weele / Weggemann 2001). Das Fallbeispiel von Procter &
Gamble in Kasten 3–3 verdeutlicht diese Sichtweise eindrucksvoll und zeigt, dass
selbst eines der größten Unternehmen der Welt, das zudem für seine Marktforschungskompetenz, aber auch starke eigene Forschung & Entwicklung bekannt ist,
die Vernetzung mit weiteren externen Partnern und den Zugang zu externem Wissen
als zentralen Bestandteil seiner Innovationsstrategie sieht. Procter & Gamble ist aber
noch weiter gegangen und hat nicht nur seine direkte Lieferanten, sondern beliebige
andere Akteure in den Innovationsprozess miteinbezogen. Die in Kasten 3–1 und
Kasten 3–3 genannte Firma Innocentive ist ein herausragendes Beispiel für eine neue
Art von Intermediär, die unternehmerische F&E-Abteilungen den Zugang zu einer
großen Wissensbasis eröffnet (die Website des Unternehmens gibt einen sehr guten
Einblick in dieses Wertschöpfungsmodell).
Chesbroughs Konzept von Open Innovation
Ein aktueller Kritiker der Innenperspektive des Innovationsprozesses ist Henry
Chesbrough (2003a). Das Innovationsmodell einer ausschließlichen Innenorientierung
in der Phase der Ideengenerierung und Konzeptentwicklung bezeichnet er als
geschlossenes Innovationsmodell (“closed innovation model”). Chesbrough argumentiert, dass eine reine Kommerzialisierung interner Ideen nicht mehr ausreicht, um
langfristig die Stellung des Innovationsführers zu erhalten. Dies liegt im Speziellen an
einer zunehmenden Mobilität innovationsrelevanten Wissens, einem mangelnden
Schutz geistigen Eigentums sowie vereinfachter Möglichkeiten der Gründung innovativer Jungunternehmen durch Bereitstellung von Wagniskapital. Chesbrough unter117
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streicht seine Argumentation durch exemplarische Fallstudien (Chesbrough 2003b). So
beleuchtet er beispielsweise den Wettbewerb zwischen Lucent Technologies und Cisco
in den neunziger Jahren. Lucent Technologies ging aus der Aufspaltung des amerikanischen Telekommunikationsunternehmens AT&T und einer Umfirmierung der Bell
Laboratories hervor. Sowohl das Kerngeschäft von Lucent Technologies als auch Cisco
Systems konzentriert sich auf Technologien für Mobilfunknetze, optische Netze,
Sprach- und Datennetze der nächsten Generation sowie Software für den Netzbetrieb.
Über viele Jahre galten die Bell Laboratories von Lucent Technology als eine der weltweit renommiertesten Forschungs- und Entwicklungsinstitute der Industriegüterforschung. So geht beispielsweise die Entwicklung des Telefons, der erste Laser oder
der erste DNA-Motor auf die Forscher der Bell Laboratories zurück. Im Vergleich zu
Lucent Technologies verfügt Cisco Systems über ein weit geringeres internes Innovationspotenzial. Dennoch konnte sich Cisco System im direkten Wettbewerb zu
Lucent Technologies behaupten. Während Lucent Technologies mit seiner internen
Forschung- und Entwicklung nach fundamentalen Erfindungen strebt, nutzt Cisco
Entwicklungsexpertise außerhalb des Unternehmens, z. B. durch Investments in Startups, die ironischerweise häufig von ehemaligen Lucent-Entwicklern gegründet wurden. Mit dieser Strategie gelingt es Cisco mit Lucent Technologies Schritt zu halten –
ohne große Investitionen in interne Forschung- und Entwicklung.
In Ciscos Modell der offenen Innovation kommerzialisieren Unternehmen sowohl
intern generierte Ideen als auch Innovationen, die außerhalb des eigenen Unternehmens entstehen. Dieses Modell bezeichnet Chesbrough (2003a) als “Open Innovation”. Beispiele hierfür sind Lizenzierungen, Entwicklungskooperationen, Wagniskapitalbeteiligungen oder Spin-Offs (siehe auch Abbildung 3–6). (Hinweis: Wir verwenden im Folgenden den Begriff ‘Open Innovation’ in einer fokussierten Sichtweise
in Hinblick auf Innovationsprozesse, die ein Unternehmen zusammen mit seinen
Kunden bzw. Nutzern vollzieht). Diese Strategie kann, wie bereits angesprochen, aus
mehreren Gründen erfolgreich sein:
„ Der eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung fehlt häufig der “Blick über
den Tellerrand”, z. B. hinsichtlich relevanter Entwicklungen in anderen
Industrien. Dieser Effekt wird durch das “not-invented-here”-Syndrom noch verstärkt. Das Syndrom bezeichnet die Ablehnung von Innovationen, die nicht der
unternehmensinternen Forschung- und Entwicklung entsprungen sind, sondern
z. B. unabhängigen Forschungseinrichtungen oder Zulieferern (siehe Abschnitt
2.4.6).
„ Oftmals werden (intern und extern generierte) Innovationsideen eines Unternehmens
in der Phase der Ideenbewertung mit der Begründung verworfen, die Idee decke sich
nicht mit den Kernkompetenzen und technischen Fähigkeiten des Unternehmens.
Später haben Start-ups die Idee aufgegriffen, erfolgreich kommerzialisiert und ihr
Erfahrungskurvenvorsprung ist nur noch schwer einzuholen. In diesem Fall wäre es
für das Unternehmen vorteilhaft gewesen, im Rahmen von Open Innovation nach
Partnern Ausschau zu halten, welche über die nötigen komplementären
Kompetenzen verfügen. Die Innenorientierung verhindert, dass ex-post erfolgreiche
Innovationsideen falsch eingeschätzt werden.
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„ Die zunehmende Wissensmobilität erschwert den absoluten Schutz geistigen
Eigentums. Gleichzeitig verzeichnet der Markt für Venture Capital kontinuierliche
Wachstumsraten. Für Unternehmen entsteht so die strategische Option, durch
Kapitalbeteiligungen an externen Forschungseinrichtungen und Start-ups relativ
flexibel und kurzfristig an deren Innovationspotenzial und innovativen Organisationsstrukturen zu partizipieren.
Abbildung 3–6: Closed versus Open Innovation nach Chesbrough (in Anlehnung an
Chesbrough 2003a)
Closed Innovation Modell
Un
ter
ne
hm
Open Innovation Modell
Un
ter
en
sg
ren
z
e
Ideen
Markt
en
sg
ren
z
neuer
Markt
e
Ideen
Markt
nze
gre
ens
hm
e
n
ter
Un
nze
gre
ens
hm
e
n
ter
Un
Unternehmen entwickeln und kommerzialisieren ausschließlich
Ideen, die unternehmensinternen Bereichen, insbesondere der
Forschung und Entwicklung, entstammen.
ne
hm
Unternehmen kommerzialisieren neben unternehmensintern
entwickelten Innovationen auch fremde Innovationen und gehen
Innovationskooperationen mit Start-ups und unabhängigen
Forschungseinrichtungen ein.
Vorteile und Grenze von Innovationsnetzwerken
Der Hebeleffekt von Kooperationen im Innovationsprozess beruht auf der
Erweiterung der Spannbreite der Ideen- und Lösungsfindung. Ziel ist nicht nur, durch
den Einbezug externer Akteure den Zugang zu Bedürfnisinformation zu verbessern,
sondern auch einen erweiterten Zugang zu Lösungsinformation zu erhalten. “Closed”Innovationsprozesse sind auf den kreativen Input und das Wissen einer relativ kleinen
Gruppe von Ingenieuren, Produktmanagern und anderen Mitgliedern des
Produktentwicklungsteams beschränkt. Wird nun diese Gruppe um externe Akteure
erweitert, können Ideen, Kreativität, Wissen und Lösungsinformation einer deutlich
größeren Gruppe von Individuen und Organisation in den Innovationsprozess einfließen − und damit Inputfaktoren erschlossen werden, die zuvor nicht für den
Innovationsprozess zur Verfügung standen (siehe noch mal die Beispiele in Kasten 3–1
und Kasten 3–3). Alle bislang angesprochenen Kooperationen und Netzwerke im
Innovationsprozess beruhen dabei auf klassischen hybriden Koordinationsformen (z.
B. Entwicklungskooperation mit Lieferanten) bzw. dem Einkauf der Leistung am
Markt (z. B. Innocentive). In diesen Fällen beherrscht ein fokales Unternehmen den
Innovationsprozess und initiiert Beiträge externer Akteure, die dafür in der Regel
einen monetären Ausgleich bekommen.
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
Diese Art von interorganisationalen Netzwerken bleibt aber weiterhin in der
Vorstellung des “manufacturing-active paradigms”: Der Hersteller ermittelt durch
den Einsatz klassischer Marktforschungsinstrumente potenzielle Kundenbedürfnisse,
transferiert diese Bedürfnisinformationen der Kunden durch eigene Anstrengungen
oder formale Kooperationen mit Partner in Lösungsideen und testet deren Akzeptanz
und Potenzial iterativ in den nachfolgenden Innovationsphasen bis zur finalen
Markteinführung der Leistung. Der Abnehmer wird als repräsentative statistische
Durchschnittsgröße interpretiert. Ihm fällt die Aufgabe zu, Innovationsideen des
Herstellers mit eigenen Bedürfnissen abzugleichen und seine individuelle
Nutzenfunktion zu artikulieren. Bedürfnisse des Kunden werden als latent
(Bedürfnisinformationen) angesehen. Sie enthalten keine Anhaltspunkte, wie dieses
latente Bedürfnis in eine Lösung überführt werden kann (Lösungsinformation). Über
Lösungskompetenz verfügt ausschließlich der Hersteller bzw. sein formales Netzwerk
an Partnern. Die Organisationsaufgabe (Koordination und Motivation) schließlich
wird in diesem Innovationsnetwerk klassisch durch hierarchische oder marktliche
Koordinationsmechanismen gelöst.
3.2.3 Kunden als Quelle von Innovationen: Vom
Manufacturer-Active zum Customer-Active Paradigm
Eine Vielzahl an empirischen Belegen weist jedoch darauf hin, dass die Vorstellung des
manufacturer-active paradigms unvollständig ist und der Gedanke von
Innovationsnetzwerken um einen weiteren zentralen Akteur erweitert werden muss:
die Kunden bzw. Nutzer einer Leistung. Denn neben Lieferanten, Wettbewerbern und
externen Forschungseinrichtungen können auch die aktiven oder potenziellen Nutzer
wichtige Quellen externen Wissens für den Innovationsprozess sein. Der Beitrag von
Nutzern für den Innovationsprozess wurde vor allem durch den Innovationsforscher
Eric von Hippel im Rahmen des so genannten “customer-active paradigm” postuliert
(von Hippel 1978a, 1978b, siehe von Hippel 2005 für eine Zusammenfassung der
Forschungsarbeiten in diesem Gebiet).
Anteile von Innovationen aus der Kundendomäne
Von Hippel analysierte für eine Vielzahl von Innovationsprojekten (in der
Industriegüterbranche), durch welche Partei (Hersteller, Kunde, Lieferant) die konkrete Entwicklung angestoßen und in den ersten Schritten durchgeführt wurde. Dabei
kommt er zu dem Ergebnis, dass viele Innovationsaktivitäten nicht ausschließlich
durch den Hersteller dominiert werden. Vielmehr entfällt ein signifikanter Anteil des
Innovationspotenzials auf deren Kunden. Je nach Branche können zwischen knapp 20
und 80 Prozent aller Neuproduktentwicklungen auf eine Idee (und oft auch ersten
Prototyp) der Nutzer zurückverfolgt werden. Von Hippel (1998) und Shah (2000) nennen folgende Beispiele:
„ Traktorschaufeln: 6% der Innovationen wurden von den Nutzern entwickelt.
„ Plastikadditive: 8%
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„ Kabelverarbeitungsgeräte: 11%
„ Industriegasverarbeitung: 42%
„ Sportgeräte (z. B. Surfboards): 58%
„ Wissenschaftliche Messgeräte: 77%
„ Pultrusionsprozess: 90%
Abbildung 3–7: Ausgewählte Studien zum Anteil innovativer Nutzer an allen Nutzern der
Produkte einer Branche (verändert entnommen aus von Hippel 2005)
Beispiel
Stichprobe
Anteil an
innovativen
Nutzer
Quelle
Industrieprodukte
CAD Software für
integr. Schaltkreise
136 Angehörige von Nutzerfirmen
24.3%
Urban / von
Hippel 1988
Industrieinstallationen
Angestellte in 74 Firmen, die
Rohrinstallationen durchführen
36%
Herstatt / von
Hippel 1992
Bibl. Info-Systeme
Bibliothekare in 102 australischen
Bibliotheken, die OPAC Systeme nutzen
26%
Morrison et
al. 2000
Medizintechnik
261 Chirurgen in dt. Universitätskliniken
22%
Lüthje 2003a
Sicherheitsfeatures für
Apache Web-Server
Software
131 technische versierte Nutzer
(Webmasters)
19.1%
Franke / von
Hippel 2003
Outdoor Produkte
153 Empfänger eines Mail-OrderKatalogs für Trecking-Produkte
9.8%
Lüthje 2004
"Extrem"
Sportequipment
197 Mitglieder aus 4 Sportclubs in
neuen Sportarten
37.8%
Franke /
Shah 2003
Mountain Biking
291 Mountain Biker in einer Region
19.2%
Lüthje et al.
2005
Konsumgüter
Dabei sind es in der Regel zudem nicht nur wenige “Serieninnovatoren”, die den Großteil der genannten Kundeninnovationen initiiert haben, sondern die Innovationstätigkeit verteilt sich auf viele verschiedene Nutzer innerhalb einer Branche. Die Tabelle
in Abbildung 3–7 fasst hierzu die Ergebnisse weiterer Studien zusammen, die alle
Nutzer eines Produktes gefragt haben, ob sie schon einmal eine innovative Idee umge121
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setzt oder ein bestehendes Produkt weiterentwickelt (für den Eigengebrauch) haben.
Wie die Tabelle zeigt, sind erstaunlich viele Nutzer innovativ tätig. Selbst im klassischen Konsumgüterbereich, in dem z. B. von Lüthje (2004) die Empfänger eines
Versandkatalogs von Outdoor-Bekleidung befragt wurden, sind fast zehn Prozent aller
Kunden innovativ tätig! Der Beitrag der Kunden bzw. Nutzer bewegt sich dabei innerhalb eines Kontinuums von einer Bedarfserkennung über die Entwicklung erster konzeptioneller technischer Lösungen zur Befriedigung dieses Bedarfs bis hin zum Design
und der Fertigung von Prototypen. Dem Hersteller kommt nun lediglich die Aufgabe
zu, den Kundeninput zu entdecken und zu prüfen und in ein Massenmarkt-kompatibles Produkt zu überführen (von Hippel 1994).
Kundeninnovation als Folge ungestillter Bedürfnisse
Betrachtet man die Ergebnisse der in Abbildung 3–7 zusammengefassten empirischen
Studien, zeichnet sich ein anderer Weg zu erfolgreicher Innovation ab, als es dem klassischen Vorgehen einer kundenorientierten Produktentwicklung auf Basis von
Marktforschung und “voice-of-the-customer”-Methoden entspricht: Anstatt die
Kunden zu befragen, was denn ihre offenen Wünschen und Bedürfnissen seien und
diese Information dann in neue Produkte und Leistungen umzusetzen, ist eine andere
Methode, bei den Kunden und potenziellen Nutzern direkt nach neuen Lösungen zu
suchen. Kunden scheinen nach diesen Studien nicht nur als Subjekte von Befragungen
beizutragen, sondern eine weitaus aktivere Rolle zu haben: Wenn sie ein neues
Bedürfnis haben, dass durch das aktuelle Angebot am Markt nicht oder nur unzureichend befriedigt werden kann, werden sie selbst aktiv und entwickeln eine eigene
Lösung. Hierdurch ergibt sich eine wichtige Unterscheidung (von Hippel 2005):
„ Kunden- bzw. Nutzerinnovatoren profitieren von einer Entwicklung, indem sie
diese selbst nutzen, sei es im Rahmen des privaten Konsums oder zur Erstellung
anderer Produkte oder Leistungen. Die Motivation zur Innovation ist in der Regel
ein ungestilltes eigenes Bedürfnis des Nutzerinnovators in Bezug auf die Nutzung
des zugrunde liegenden Produkts, das durch die Eigenentwicklung befriedigt werden soll.
„ Herstellerinnovatoren profitieren im Gegensatz dazu vom Verkauf der Innovation
am Markt, sei es in Form neuer Produkte oder Lizenzen zur Nutzung der Technologie. Die Motivation zur Innovation ist die Wahrnehmung eines offenen (bzw.
neuen) Bedürfnisses am Zielmarkt der Leistung.
Von Hippel (2005) plädiert deshalb für die Verwendung des Begriffs Nutzer anstatt
von Kunden, da Nutzer und Käufer eines Produktes häufig zwei verschiedene Akteure
sind. Wir werden jedoch im Folgenden beide Begriffe weiterhin synonym betrachten.
Das customer-active paradigm (CAP) sieht demnach den Kunden bzw. Nutzer als
Quelle und Initiator des Innovationsprozesses. Nutzer schaffen bzw. entdecken demnach ein neues Bedürfnis, sie entwickeln eine Idee, wie dieses Bedürfnis befriedigt werden könnte und übersetzen diese Idee dann in vielen Fällen in einen funktionsfähigen
Prototypen, den sie oft in weiteren Stufen noch verfeinern und verbessern. Wenn der
Prototyp ihr Bedürfnis befriedigt, ist für die meisten Kunden der Innovationsprozess
beendet. In anderen Fällen treten sie jedoch oft an einen Hersteller heran und übertra122
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gen ihm die Lösung mit der Hoffnung, dass der Hersteller sie in ein funktional besseres Produkt überführt, da er Zugang zu besseren Fertigungsverfahren oder Materialien
hat. In anderen Fällen “entdeckt” ein Hersteller die Verbesserung, Weiterentwicklung
oder gar Neuentwicklung seiner Produkte bei seinen Kunden und überführt sie aus
eigener Initiative in ein marktfähiges Produkt, das dann einem größeren Markt angeboten wird. In allen Fällen jedoch sind es die Kunden bzw. Nutzer, die als die eigentlichen “Innovatoren” bezeichnet werden können (Abbildung 3–8).
Abbildung 3–8: Vom MAP zum CAP (in Anlehnung an von Hippel 1978a: 242)
Manufacturer-Active-Paradigm
Hersteller
Kunden
Grundgesamtheit
Stichprobe
• Analyse latenter
Kundenbedürfnisse
durch Kundenbefragungen
Bedürfniserhebung
• Ideengenerierung
und Test in
durch den Hersteller
repräsentativer
• Test der Akzeptanz
Stichprobe
der Ideen durch
weitere
Marktforschung
Customer-Active-Paradigm
Hersteller
Kunden
Kunde 1
Kunde 2
Kunde 3
Kunde 4
Kunde 5
…
Innovation
eines Kunden
Evaluierung der Idee
des Kunden
ggfs.
Kommerzialisierung
für alle Kunden
Kunde n
Das customer-active paradigm (CAP) sieht den Kunden bzw. Nutzer als Quelle und Initiator des
Innovationsprozesses. Im Gegensatz zur konventionellen Vorstellung des Innovationsprozess
(manufacturer-active paradigm), in dem ein Hersteller via Marktforschung (oder Bauchgefühl)
ein Bedürfnis der (potenziellen) Kunden zu erkennen versucht und dieses dann in eine Lösung
überführt, geht das CAP davon aus, dass die Nutzer selbst ein vorhandenes Bedürfnis durch
eigene Aktivitäten lösen. Das heißt, sie entwickeln eine Idee, wie dieses Bedürfnis befriedigt
werden könnte und übersetzen sie dann meist auch in einem funktionsfähigen Prototyp.
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Unterschiede zwischen Kunden- und Herstellerinnovationen
In späteren Forschungsarbeiten hat von Hippel die Beiträge der Kunden genauer
erforscht. Wir haben bereits zuvor das Problem der Nutzung lokaler Information für
einen Problemlösungsprozess betrachtet. Genau dieses Phänomen tritt auch bei
Kundeninnovation auf. Kunden haben in der Regel oft implizite, aber sehr genaue
Kenntnis ihrer Bedürfnisse, sind allerdings in Bezug auf ihre Lösungsmöglichkeiten
auf Wissen in ihrer Domäne beschränkt. Deshalb sind Nutzerinnovationen oft technisch nicht so ausgereift wie Innovationen von Herstellern, die in der Regel deutlich
besseres Verfahren- und Produktionswissen haben (ein gutes Beispiel liefert die in
Kasten 3–4 beschriebene Erfindung von “Tipp-Ex” durch eine Sekretärin aus Dallas).
Dies erklärt auch die empirische Beobachtung, dass Innovationen aus der
Herstellerdomäne oft Verbesserungsinnovationen sind, während Kundeninnovationen funktional neue Anwendungen sind (Riggs / von Hippel 1994; von Hippel
2005). Dieser beschränkte Fokus auf lokal vorhandenes Bedürfnis- und Lösungsinformation führt nun zu zwei wesentlichen Situationen:
„ Innovative Kunden entwickeln eine neue Lösung für ein neues Problem, das die
Hersteller bislang noch nicht betrachtet haben. Sie verwenden dabei aber nur konventionelle Verfahren, die nicht dem “State-of-the-Art” entsprechen und dann vom
Hersteller in eine bessere Lösung überführt werden. In diesem Fall treten oft die
Kunden an einen Hersteller heran mit der Bitte, eine neue Lösung professionell
herzustellen. Da sie in erster Linie die Innovation nutzen wollen, kommt es zum
Phänomen des “Free Revealings” (siehe Abschnitt 2.4.4)
„ In einem zweiten Fall aber haben die Kunden neben der Bedürfnisinformation auch
Zugang zu innovativer Lösungsinformation. Im Falle industrieller Kunden verwenden sie beispielsweise in ihren eigenen Produktionsprozessen bereits einen neuen
Werkstoff oder eine neue Bearbeitungsmethode, die sie dann auch für die Lösung
ihres eigenen Bedürfnisses heranziehen. Damit erweitern sie oft auch den
Lösungsraum des originären Herstellers (siehe Abschnitt 2.4.2). Ein Beispiel für
diesen Fall wäre ein Materialwissenschaftler, der gleichzeitig begeisterter
Marathonläufer ist. Er hat Probleme mit den Dämpfungseigenschaften seiner
Schuhe. Da er aber in seinem Beruf mit einem innovativen Gummi experimentiert,
kommt er auf die Idee, diesen Gummi in eine selbstgebaute Innensohle seines
Schuhs einzubauen.
Kasten 3–4:
Portrait of a User Innovator: How Bette Nesmith Graham (1922-1980)
invented Liquid Paper (white-out liquid like Tipp-Ex)
(Quelle: Auszug aus einem Beitrag von Merry Bellis auf About.com [inventors.about.com])
Bette Nesmith Graham never intended to be an inventor; she wanted to be an artist. However,
shortly after World War II ended, she found herself divorced with a small child to support. She learned shorthand and typing and found employment as an executive secretary. An efficient employee
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Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration im Innovationsprozess
who took pride in her work, Graham sought a better way to correct typing errors. She remembered that artists painted over their mistakes on canvas, so why couldn’t typists paint over their mistakes? Bette Nesmith Graham put some tempera water based paint, colored to match the stationery
she used, in a bottle and took her watercolor brush to the office. She used this to correct her typing
mistakes… her boss never noticed. Soon another secretary saw the new invention and asked for
some of the correcting fluid. Graham found a green bottle at home, wrote “Mistake Out” on a label,
and gave it to her friend. Soon all the secretaries in the building were asking for some, too.
In 1956, Bette Nesmith Graham started the Mistake Out Company (later renamed Liquid Paper)
from her North Dallas home. She turned her kitchen into a laboratory, mixing up an improved product with her electric mixer. Graham’s son, Michael Nesmith, and his friends filled bottles for her
customers. Nevertheless, she made little money despite working nights and weekends to fill
orders. One day an opportunity came in disguise. Graham made a mistake at work that she couldn’t correct, and her boss fired her. She now had time to devote to selling Liquid Paper, and business boomed.
By 1967, it had grown into a million dollar business. In 1968, she moved into her own plant and
corporate headquarters, automated operations, and had 19 employees. That year Bette Nesmith
Graham sold one million bottles. In 1975, Liquid Paper moved into a 35,000-sq. ft., international
headquarters building in Dallas. The plant had equipment that could produce 500 bottles a minute. In 1976, the Liquid Paper Corporation turned out 25 million bottles. Its net earnings were $1.5
million. (…) Graham died in 1980, six months after selling her corporation for $47.5 million.
Fortschrittliche und weniger fortschrittliche Nutzer: Lead User
Andere Forschungsarbeiten zeigen jedoch, dass nicht alle Kunden bzw. Anwender
fähig und bereit sind, eigenständig Innovationen hervorzubringen (Shah 2000; von
Hippel 1998). Die Gegenüberstellung von Studien in Abbildung 3–7 über die Anteile
innovativer Kunden zeigt, dass je nach Branche zwischen zehn und fast vierzig
Prozent aller Nutzer in der Weiterentwicklung, Modifikation oder Verbesserung
eines vorhandenen Produktes engagiert sind oder sogar völlig neue Produkte entwerfen (Lüthje / Herstatt / von Hippel 2005). Doch dies bedeutet auch, dass in vielen
Branchen der Großteil der Kunden noch der klassischen Arbeitsteilung zwischen
Kunden und Herstellern folgt: Kunden konsumieren, Hersteller innovieren und produzieren. Jedoch gibt es in fast allen Branchen. wenn auch mit stark unterschiedlichen
Anteilen, bestimmte Kundengruppen, die als besonders fortschrittliche Kunden
bezeichnet werden können. Diese in der englischsprachigen, aber auch deutschen
Literatur als “Lead User” bezeichneten Nutzer haben zwei wesentliche Eigenschaften
(von Hippel 1986, 1994; siehe auch Braunstein / Hoyer / Huber 2000; Herstatt / von
Hippel 1992; Herstatt / Lüthje / Lettl 2002; Kleinaltenkamp / Dahlke 2001; Lilien et al.
2002; Lüthje 2003c; Lüthje / Herstatt 2004; Urban / von Hippel 1988; von Hippel /
Thomke / Sonnack 1999):
Zu einem Zeitpunkt t verfügen Lead User bezüglich ihrer Anforderungen an ein
Produkt über ein Bedürfnis, welches sich durch kein existierendes Marktangebot
befriedigen lässt. Ihr singuläres Bedürfnis wird zum Zeitpunkt t+1 für einen mehr oder
weniger großen Kundenkreis ebenfalls relevant.
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
Ihr unbefriedigtes Bedürfnis äußert sich in einer Unzufriedenheit mit dem bisherigen
Marktangebot. Um dieser zu begegnen, haben Lead User sowohl die Fähigkeit als auch
die Motivation, eigenständig innovative Lösungen zu entwickeln.
Ein Beispiel wäre ein Meister in einer Fabrik, der als erster einen neuen Werkstoff einsetzt und dabei merkt, dass eine bestehende Maschine bestimmte Ansprüche bei der
Bearbeitung dieses Materials nicht erfüllt. Die Vertriebsabteilung der Fabrik hat den
Meister zum Umgang mit dem Material aufgefordert, um neue Sicherheitsbestimmungen in einem Exportmarkt erfüllen zu können. Der Meister schafft es aber
nicht, mit der bestehenden Maschine den Werkstoff angemessen zu verarbeiten. Durch
den Druck der Vertriebsabteilung könnte er aber zum Beispiel mit verschiedenen
Einstellungen oder Modifikationen der Maschine experimentieren, um den neuen
Werkstoff besser verarbeiten zu können. Diese Aktivitäten finden entweder autonom
in der Domäne des Nutzers statt und bleiben dem Hersteller (in unserem Fall dem
Maschinenbauer der Bearbeitungsmaschine) unbekannt, können aber auch in
Kooperation mit dem Hersteller stattfinden. Das Beispiel zeigt auch, dass ein Lead
User nicht eine einzelne Person sein muss, sondern durchaus ein Kollektiv verschiedener Akteure in der Nutzerdomäne sein kann (in unserem Fall liegt die ursprüngliche
Bedürfnisinformation in der Vertriebsabteilung; die Problemlösungskompetenz aber
beim Meister). Die Argumentation in Abschnitt 3.5.4 über Communities als Quelle
von Innovationen setzt genau hier an.
Lead User verfügen so über Bedürfnisinformationen hinsichtlich einer Leistung.
Während diese Bedürfnisinformationen bei durchschnittlichen Kunden latent sind,
sind Lead User in der Lage zu definieren, welche Faktoren diese Unzufriedenheit hervorrufen (der Lead User leistet so einen Transfer, welchen Unternehmen traditionell
intern durch das “House of Quality” in der QFD-Methodik zu realisieren versuchen,
siehe Abschnitt 3.2.1). Neben diesen expliziten Bedürfnisinformationen halten Lead
User jedoch zusätzlich auch Lösungsinformationen. Im engeren Sinne handelt es sich
bei Lead Usern somit um (potenzielle) Kunden einer Unternehmung, die als
Eigenentwickler selbständig im Markt auftreten, um ihre individuellen Bedürfnisse zu
befriedigen. Speziell die eigene Unzufriedenheit mit dem bisherigen Marktangebot
sorgt dabei für die notwendige Motivation unter Lead Usern. Diese Motivation ist vor
allen dann von zentraler Bedeutung, wenn Lead User ihre innovativen Produkte von
Grund auf eigenständig planen, konzipieren und entwickeln, da ein solcher Prozess
aus Sicht eines Lead Users durchaus mit hohem Aufwand verbunden ist. Wir werden
in Abschnitt 3.3.1 diese Eigenschaften innovativer Kunden noch genauer betrachten.
Lead User haben früher als die Mehrheit eines Zielmarktes ein persönliches Bedürfnis für eine
bestimmte Problemlösung (ein Produkt, ein Bearbeitungsprozess, ein bestimmtes Material
etc.), und erwarten sich einen hohen persönlichen Nutzen von diesen Neuentwicklungen. Lead
User antizipieren demnach frühzeitig innovative Leistungseigenschaften, die für andere
Kunden erst sehr viel später relevant werden. Lead User haben darüber hinaus aber auch die
Fähigkeiten, eine voll funktionsfähige Lösung für ihre Bedürfnisse zu entwickeln. Sie besitzen
also nicht nur Bedürfnis-, sondern auch gleichermaßen Lösungsinformationen.
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Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration im Innovationsprozess
Demokratisierung von Innovationen
Wir wollen aber im folgenden Abschnitt die bisherige Argumentation zunächst noch
um einen wichtigen Schritt erweitern: Der klassische “Lead-User”-Ansatz geht von
einer mehr oder weniger strikten Trennung der Aktivitäten von Hersteller und Nutzer
aus: Kunden, die selbst innovativ tätig werden, tun dies aus eigenem Antrieb, aber
auch auf eigene Kosten und mit eigenen Mitteln, ohne Kooperation mit dem Hersteller
des Produkts. Jedoch werden einige Hersteller auch von sich aus aktiv. Sie haben das
innovative Potenzial ihrer Kunden erkannt und versuchen dieses, proaktiv zu nutzen.
Diese Hersteller warten nicht, bis innovative Kunden mit einer Lösung auf sie zukommen oder sie zufällig eine solche in der Kundendomäne entdecken, sondern werden
vielmehr selbst aktiv und versuchen, gemeinsam mit ihren Kunden und Nutzern, neue
innovative Produkte zu schaffen.
Die Grundidee ist die Erweiterung der Akteure in einem Innovationsnetzwerk um die
wichtige Gruppe der Kunden, die in der klassischen Argumentation keine Rolle spielen. Die Vorstellung eines “offenen Innovationsprozesses” (z. B. bei Chesbrough 2003a)
propagiert zwar den Einbezug vieler externer Partner als Quelle für innovative
Lösungen, ließ aber die Kunden und Nutzer meist außen vor. Doch erst wenn Herstellerunternehmen gerade auch aktiv ihre Kunden und Nutzer in die Produktentwicklung mit einbeziehen (und nicht nur externe “Experten”), kann das wahre
Potenzial eines verteilten, offenen Innovationsprozess genutzt werden. Von Hippel
spricht in diesem Zusammenhang von einer Demokratisierung der Innovation (von
Hippel 2005), wie das Interview in Kasten 3–5 erläutert.
Kasten 3–5:
Ein Interview mit Eric von Hippel, MIT, über die Demokratisierung von
Innovation
Professor Eric von Hippel leitet die Technological Innovation and Entrepreneurship Group an der
MIT Sloan School of Management. In einem Interview kommentiert er über einige der zentralen
Gedanken seines Buches “Democratizing Innovation” (MIT Press, 2005). Das Buch ist im
Internet unter einer Creative Common Lizenz auch als freies Pdf-Download bei MITPress.com
erhältlich.
Q: Professor von Hippel, what do you mean when you say innovation is becoming democratized?
A: I mean that product and service users – both individuals and firms - are increasingly able to
innovate for themselves. Open source software has brought this phenomenon to general academic attention. However, I and my colleagues find that innovation is actually being democratized
quite broadly: this is the case for physical products as well as information products like software.
I think that this trend is a “good thing.” It seems to me that user-centered innovation processes
offer great advantages over the manufacturer-centric innovation development systems that have
been the mainstay of commerce for hundreds of years. Users that innovate can develop exactly what they want, rather than relying on manufacturers to act as their (often very imperfect)
agents. Moreover, individual users do not have to develop everything they need on their own:
they can benefit from innovations developed by others and freely shared within user communities.
Q: Why is user innovation growing?
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
A: Users develop products for themselves when they cannot find what they want on the market.
Available data indicates that user need is highly heterogeneous – many users have “custom”
needs. Advances in computing and communication technologies are enabling users with custom
needs to design and build what they want for themselves at steadily lower prices. This leads to
increasing levels of innovation by users. Indeed, levels of user innovation appear to be remarkably high. Empirical research conducted by Luthje, Franke and Shah and others finds that from 10 %
to nearly 40 % of sampled users engage in developing or modifying products in various fields.
Q: Why does innovation by users matter?
A: Innovation by users matters for two major reasons. First, users that innovate – both individual
consumers and user firms - have been found to be “lead users.” That is, relative to other users in
their populations they are ahead of the majority with respect to an important marketplace trend and
expect to gain relatively high benefits from a solution to their leading-edge needs. The correlations
found between innovation by users and these lead user characteristics are highly significant, and
the effect sizes found are also very large. This means that the innovations users develop for themselves will be of interest to many users. Second, it has been found that users that innovate often
freely reveal what they have developed. This means that other users – and manufacturers – are
able to imitate what lead users have developed. The net result is that manufacturers often do produce innovations pioneered by lead users. Indeed, these innovations are a major feedstock for the
new products that manufacturers produce and sell to the general marketplace.
Q: So, do manufacturers like user innovation?
A: Not all of them! The ongoing shift of product development activities from manufacturers to users
is painful and difficult for many manufacturers. Open and distributed innovation is “attacking” a
major structure of the traditional division of labor. Many firms and industries must make fundamental changes to long-held business models in order to adapt.
Q: These fundamental changes seem to imply also changes for governments and legislation.
A: Yes. Together with Joachim Henkel I have explored the social welfare implications of user innovation. We found that, compared to a world in which only manufacturers innovate, social welfare
is very probably increased by the presence of freely-revealed innovation by users. This finding
implies that policymaking should support user innovation, or at least should insure that legislation
and regulations do not favor manufacturers at the expense of user-innovators. Governmental policy and legislation have long contained the assumption that manufacturers are the developers of
new products and services. As a result, innovation-related government incentives have sometimes
been directed preferentially to them. Social welfare considerations suggest that this must change.
Especially, the workings of the intellectual property system are of special concern. But, despite the
difficulties, it seems to me that the goal of a democratized user-centric innovation system appears
well worth striving for!
3.2.4 Open Innovation: Ein Zwischenfazit
Fassen wir die bisherige Argumentation zusammen: In der Sichtweise des klassischen
Innovationsprozess (manufacturer-active paradigm) beschränkt sich die Rolle des
Kunden auf die eines passiven Nachfragers. Unternehmen ermitteln durch
Marktforschungsmethoden durchschnittliche Kundenbedürfnisse. Kunden werden
nur nach Aufforderung durch den Hersteller aktiv. Das customer-active paradigm
erweitert diese Sichtweise: Demnach verfügen ausgewählte, besonders fortschrittliche
Nutzer eines Produkts (“Lead User”) neben Bedürfnisinformationen auch über
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Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration im Innovationsprozess
Lösungsinformationen. Sie schaffen aus eigenem Antrieb und mit eigenen Mitteln
innovative Produkte und Leistungen.
Abgrenzung Open Innovation und “Voice of the Customer”
Die Existenz einer solchen Kundengruppe fordert eine Ergänzung der klassischen
Methoden testender Innovationsmarktforschung bzw. “Voice of the Customer”Methoden im Sinne des manufacturing-active paradigm (MAP):
„ Marktforschung im traditionellen Innovationsprozess behandelt den Kunden als
repräsentative, statistische Durchschnittsgröße. Kunden mit besonders neuen
Bedürfnissen verlieren somit an Bedeutung oder werden durch das Unternehmen
nicht erkannt (da sie ja gerade nicht die Bedürfnisse der aktuellen Mehrheit der
Kunden haben, sondern neue Bedürfnisse, die die Mehrheit ggfs. erst in einer der
folgenden Perioden entwickelt).
„ Die Nutzung von Kundenwissen erstreckt sich bei klassischer Marktforschung
nicht auf den gesamten Innovationsprozess. Bedürfnisinformation der Kunden wird
meist nur in der Phase der Ideengenerierung sowie Markteinführung verwendet.
„ Viele Probleme der Marktforschung im Innovationsprozess resultieren zudem aus
der Tatsache, dass neue Bedürfnisse oft “sticky” und in der lokalen Domäne der
Kunden sind, d. h. nicht einfach oder nur zu hohen Kosten durch einen Hersteller
zu erkennen und in die eigene Domäne zu überführen sind.
Die Erkenntnis der Lead-User-Forschung hat diese Sichtweise ergänzt (Abbildung
3–9). Innovative Kunden im Sinne von Lead Usern werden dann aus eigenem Antrieb
innovativ tätig, wenn die Mehrheit der Kunden (also genau die “Zielgruppe” von
Herstellern!) dieses Bedürfnis noch nicht haben. Deshalb greifen auch Methoden zu
kurz, die diese klassischen Zielkunden nach ihren offenen Bedürfnissen befragen.
Vielmehr müssen Unternehmen versuchen, Lead User zu identifizieren und ihre
Innovationen in die Unternehmensdomäne zu übertragen. Ein Unternehmen, das
Lead-User-Entwicklungen erkennt, muss nicht mehr unbedingt das ursächliche
Bedürfnis (Problem) der Kunden erkennen, sondern bekommt unmittelbar Zugang zu
einem Artefakt, das bereist eine Lösung zur Bedürfnisbefriedigung erhält. Damit
wird der schwierige Zugang zu “sticky” Information durch den Zugang zu einer
Lösung ersetzt.
Dieses Vorgehen ist deutlich auch von neuen “Voice of the Customer”-Verfahren wie
QFD oder die als “Listening in” bzw. “Virtual Customer” bezeichneten Methoden
abzugrenzen (Dahan / Hauser 2002; Herrmann et al. 2000; Toubia / Hauser / Simester
2004; Urban / Hauser 2003). Diese Verfahren stellen zwar sehr leistungsfähige und
deutlich erweiterte Methoden zur Verfügung, wie Unternehmen die Bedürfniserhebung und den Akzeptanztest verbessern können. Sie verbleiben jedoch im MAP
und entsprechen nicht unserer Auffassung von interaktiver Wertschöpfung.
Vom klassischen Lead-User-Ansatz zu Open Innovation
In der Wissenschaft ist Nutzerinnovation als autonomes Phänomen seit langem erforscht (z. B. Anderson / Crocca 1993; Ciborra 1991; Cooper 1993; Enos 1962; Freeman
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1968; Herstatt / von Hippel 1992; Rice / Rogers 1980; Rosenberg 1976; von Hippel 1986).
Diese Studien haben die Existenz fortschrittlicher Nutzer und Kunden ebenso belegt
wie ihre wichtige Rolle als Urheber und Initiator vieler innovativer Produkte und
Leistungen, die heute von Herstellern im Markt angeboten werden. Diese Forschung –
und die konventionelle Vorstellung des Lead Users als ein vom Herstellerunternehmen
unabhängiger Innovator – erweitert die konventionelle Vorstellung des Innovationsprozesses um die Sichtweise eines offenen Problemlösungsvorganges, der den Input
vieler Akteure beinhaltet.
Abbildung 3–9: Gegenüberstellung des Lead-User-Gedankens und des klassischen “Voice of
the Customer”-Konzepts (in Anlehnung an von Hippel 2005)
Nur Lead User
Prototypen erhältlich
Kommerzielle Versionen
des Produktes erhältlich
Zahl der
Kunden mit
diesem
Bedürfnis
Lead
User
Kunden im
Zielmarkt
Zeit
Methoden der Lead User Innovation
"Voice of the Customer"-Methoden
Generelle Idee
• Identifizierung aller Lösungen (Prototypen),
die Lead User zur Eigennutzung entwickelt
haben.
• Kommerzialisierung der Entwicklungen, die
am meisten Erfolg im Gesamtmarkt
versprechen.
Generelle Idee
• Marktforschung, um Bedürfnisse der Kunden
im Zielmarkt zu finden.
• Interne Entwicklung passender Produkte und
Leistungen.
Spezielle Instrumente
• Methoden zur Identifikation von Lead Usern
• User Toolkits um Kundenentwicklungen zu
unterstützen und Transfer zu vereinfachen
• Arbeit mit Kunden-Communities
Spezielle Instrumente
• Umfrage, Fokusgruppen, Beobachtung von
Kunden, Tiefeninterviews
• Multiattribut Analyse der Bedürfnisinformation (z.B. Conjoint Analyse)
• Ethnographische Studien der Kunden
• Quality Function Deployment
Jedoch sehen sowohl diese originären als auch die recht umfangreichen neueren
Forschungsarbeiten zu innovativen Nutzern (aktuell zusammengefasst in von Hippel
2005) die Rolle des Herstellerunternehmens als relativ passiv: Unternehmen warten,
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Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration im Innovationsprozess
bis ein Lead User mit einer innovativen Lösung an sie herantritt, oder aber sie suchen
nach Lead-User-Lösungen unter ihren Kunden. Die Entwicklung der Lead-UserInnovation wird aber sowohl durch den Kunden bzw. Nutzer initiiert als auch autonom durchgeführt – mit Produktionsfaktoren, die sich allein in der Domäne des Nutzers befinden. Unsere Vorstellung von interaktiver Wertschöpfung im Innovationsbereich geht einen Schritt weiter: In Ergänzung zum “klassischen” Lead-User-Ansatz
gehen wir davon aus, dass Kundeninnovation ein Vorgang ist, der durch ein
Herstellerunternehmen aktivierbar und (zumindest teilweise) steuerbar ist (Piller
2004; siehe auch Gassmann / Enkel 2004; Jeppesen / Molin 2003; Piller 2003; Prahalad /
Ramaswamy 2004).
Denn Hersteller können nicht nur nach Kundenentwicklungen im Sinne von funktionsfähigen Prototypen der Lead User suchen, sondern auch versuchen, mittels
bestimmter Hilfsmittel Lead-User-Innovationen zu unterstützen oder gar anzuregen
(z. B. mittels “Toolkits for User Innovation”, siehe Abschnitt 3.5). Ziel ist die Erweiterung bzw. Neudefinition des Lösungsraumes des Herstellerunternehmens. Die
Anwendung dieser Methoden wandelt so den klassischen Lead-User-Ansatz, der von
autonom handelnden Kunden ausgeht, in eine Strategie der interaktiven Wertschöpfung (Kooperation zwischen Hersteller und Kunden). Damit kann die Zahl der
potentiellen Kunden, die sich für eine Integration in den Innovationsprozess eignen,
ggfs. deutlich erhöht werden, da die Hürde zur Partizipation an Problemlösungsaktivitäten gesenkt wird. Wir verwenden im Folgenden den Begriff Open Innovation
als Konkretisierung der Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung im Innovationsprozess. Dies erfolgt im Rahmen eines losen, relativ informellen Netzwerks partizipativer Koordination zwischen einem Herstellerunternehmen und einer Vielzahl (potenzieller) Nutzer bzw. Kunden, mit den Ziel, gemeinsam neue Produkte oder Leistungen
zu entwickeln.
Open Innovation im Verständnis dieses Buchs
Open Innovation bezeichnet so die systematische Integration von Kundenaktivitäten
und Kundenwissen in einzelne oder (im Extremfall) alle Phasen des Innovationsprozess. Auf diese Weise entsteht zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden eine
Wertschöpfungspartnerschaft, die durch eine integrierte System- und Problemlösungskompetenz charakterisiert ist. Kunden werden selbst aktiv und konkretisieren ihr
implizites Wissen über neue Produktideen und Konzepte, unter Verwendung
bestimmter Hilfswerkzeuge des Unternehmens (Piller 2004). Produktionstheoretisch
betrachtet bedeutet Open Innovation einen Transfer von Produktionsfaktoren
(Ressourcen) vom Kunden zum Unternehmen. Bei den eingebrachten Ressourcen handelt es sich um Informationen und Anforderungen an ein Produkt sowie um
Fähigkeiten der Konkretisierung und Realisierung von Problemlösungen.
Bildhaft vollzieht sich dieser Interaktionsprozess nach dem Phasenmodell von der
Ideengenerierung über die Konzeptentwicklung bis hin zur Prototypen-Entwicklung
und mündet schließlich aus der Sicht des Kunden in der Phase der Problemlösung. Der
Open-Innovation-Ansatz ist insoweit ein ergänzender Ansatz zum herkömmlichen
Innovationsmanagement. Produkt- und Markttest sowie Markteinführung werden
aus Sicht des Herstellers nicht überflüssig, laufen jedoch wegen der Kundeninteraktion
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
in den vorherigen Phasen nach einem anderen Muster und mit einem erheblich geringeren Marktrisiko ab. Dabei tritt neben die klassischen Organisationsprinzipien
Hierarchie und Markt vor allem auch das neue Organisationsprinzip einer
“Commons-based Peer-Production” (Selbstselektion, Mikrospezialisierung und
Selbstintegration) als Instrument zur Koordination der arbeitsteiligen Wertschöpfung.
Open Innovation bezeichnet eine interaktive Wertschöpfung im Innovationsprozess, indem
ein Herstellerunternehmen mit ausgewählten Kunden bzw. Nutzern gemeinschaftlich
Innovationen generiert. Dies erfolgt durch gezielte, jedoch relativ informale und vor allem partizipative Koordination des Interaktionsprozesses zwischen Hersteller und einer Vielzahl an
Kunden und Nutzern. Dabei kommt es zu einer systematischen Integration von Kundenaktivitäten und Kundenwissen innerhalb eines Kontinuums von einer Ideengenerierung über die
Entwicklung erster konzeptioneller technischer Lösungen bis hin zum Design und der Fertigung
erster Prototypen. Zur Koordination der arbeitsteiligen Wertschöpfung tritt dabei neben die klassischen Organisationsprinzipien Hierarchie und Markt vor allem auch das neue Organisationsprinzip einer “Commons-based Peer-Production” (Selbstselektion, Mikrospezialisierung
und Selbstintegration).
Der Begriff Open Innovation ist in diesem Zusammenhang auch eine Anspielung auf
den Begriff Open Source Software, deren Entwicklungsprinzipen ebenso auf diesem
Netzwerk von Nutzern beruhen. Hier besteht auch eine enge Verbindung zum
Schlagwort “Web 2.0”, das neue Wertschöpfungsprinzipien von Informationsgütern
im Internet bezeichnet, wie Patricia Seybold in Kasten 3–6 erklärt.
Kasten 3–6:
What’s Really Up with Web 2.0: Customer Innovation and Design It Yourself
(Quelle: Auszug aus einem Posting vom 17. Nov. 2005 im Blog Outside Innovation [outsideinnovation.blogs.com] von Patricia Seybold)
Chris Nuttall’s comment and analysis in the Financial Times on November 17, 2005 titled, “Way of
the Web: Start-ups Map the Route as Big Rivals Get Microsoft in Their Sights” does a great job of
summarizing the challenge that’s facing Microsoft and other established industry leaders by Web
2.0. Chris describes the challenge this way: “A new wave of internet development is drawing on
established software tools to offer a more dynamic online experience at low cost.” He describes
the new wave of startups enabled and empowered by Web 2.0 technologies and principles (…)
Chris Nuttall cites Bill Gates’ October 30th memo to Microsoft employees in which Bill said “This
next generation of the internet is being shaped by its grassroots adoption and popularisation
model.” He cited the Ray Ozzie memo from October 28th in which Ray described the “tremendous
software-and-services activity (that) is occurring within start-ups and at the grassroots level.” Chris
cites a raft of now-famous companies as examples of this Web 2.0 phenomenon-companies like
Flickr, Rollyo, Jotspot Live, Wikipedia, Writely.com, and Flock as examples of Web 2.0 companies.
He refers to the enabling influence of Google’s AdSense in fueling an advertising-supported business model that enables these startups to get off the ground in an earn-as-you-go fashion. He talks
about the fact that we’re back to the two guys in a garage model of business startups. Instead of
raising millions of dollars and spending a year or two on product development, this new wave of
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Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration im Innovationsprozess
entrepreneurs invests tens of thousands of dollars, roll out quickly-built software tools (many of
them developed on top of open source piece parts), and rely on grass roots innovation and iterative development to add functionality and gain traction. He offers a great little Web 2.0 Glossary
with terms like “mash-ups”-”Services created by mashing together two or more Web applications,”
and cites all the Google Map-based applications as a great example of the genre-and Ajax (asynchronous Java Script and XML), RSS, and tagging.
Here’s what I see. Watching the buzz over the Web 2.0 phenomenon reminds me of the Web /
Internet / ecommerce / ebusiness buzz in 1998. Then, as now, there was a huge amount of hype.
Then, as now, people were combining a group of intersecting trends into a single exciting bucket.
Many companies had their first or second generation Web sites. Consumer ecommerce was the
big new thing. Disintermediation was all the rage. “Get big fast” was the prescription for early Webbased businesses. Everyone was confused about the differences between ecommerce and ebusiness. Upstart Netscape was all the rage. Microsoft was just waking up to the threat and possibilities of the Internet. That was when I published Customers.com. The timing was perfect. That book
became a lightning rod. It cut through the hype and offered one simple prescription: Use the Web
to “make it easy for your customers to do business with you.”
Now, with a sense of deja vu, I’m looking at this current next generation of rich Internet client tools,
granular plug-in-and-use services, end-user tagging, blogging, Wikis, social networking, and massively multiplayer gaming, and what do I see? I see customers co-designing their own products
and services. I see customers contributing and building upon each others’ content, designs, solutions, and knowledge. I see customers rolling up their sleeves and redesigning our business processes and business models. In this new “Design It Yourself” world, end customers have become
the innovators. They’re the designers of applications, the contributors of content, the customizers
of products and services, the promoters of ideas, the inventors of new business models, the builders of entire ecosystems and the change agents for industries. What’s the real business driver in
Web 2.0? Use Web tools to unleash customer innovation to let your customers co-design your
business.
By the way, this DIY phenomenon isn’t a Web-only phenomenon. It’s much broader than that.
Customers all over the world are customizing their own cars (Scion), toys (Build-a-Bear), apparel
(Lands’ End), backpacks (Timbuk2, L.L. Bean). Customers are selecting and selling products
(Karmaloop). They’re co designing their own products (GE Labs, 3M, St. Gobain, National
Semiconductor). Our clients’ customers are co-designing business processes to support their ideal
scenarios (Symantec, Toro, Amazon, Sprint, Expedia). Customers are challenging business
models (music, publishing, entertainment) and reshaping industries (customized drugs, do-it-yourself group travel, etc.). The pattern that I see is an amazing combination of “having it my way” and
sharing my designs and innovations with others. Customers build on each others’ inventions and
ideas. Customers start by solving their problems, and then share those solutions with others. They
create something that works for them-a playlist, a Podcast, a photo album, an itinerary, a restaurant review-and offer it back to the community to build upon. As they do, they feel good about
making life better for everyone. Customer innovation is at the heart of the Web 2.0 phenomenon.
Neue Erfolgsfaktoren im Innovationsprozess
Das neue Verständnis von Open Innovation verlangt auch eine Erweiterung der klassischen Erfolgsfaktoren von Innovation (siehe Beginn von Abschnitt 3.2.1). Dieser Ansatz
eines grenzüberschreitenden Innovationsprozesses verlangt vom Unternehmen wie
auch vom externen Partner (Kunde, Nutzer, Wettbewerber) Interaktionskompetenz.
Aufbauend auf die Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung (siehe Abschnitt 2.4.1)
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
beherrschen die folgenden Faktoren einen erfolgreichen Innovationsprozess im Sinne
der interaktiven Wertschöpfung:
„ Erschließung des Kundenwissens als Ressource,
„ gemeinsame Generierung von Bedürfnisinformationen und Lösungsinformationen,
„ Reduzierung des Innovationsrisikos durch frühzeitige Integration des Kunden,
„ Auswahl geeigneter Kunden (sog. Lead -User-Konzept),
„ die Gestaltung des Innovationsprozesses über die Unternehmensgrenzen hinaus
sowie
„ die Bereitstellung von Kommunikationsplattformen und Werkzeugen, die die
Kundenintegration in den Innovationsprozess ermöglichen und für alle Akteure
attraktiv werden lassen.
Wir werden diese Aspekte in den restlichen Abschnitten dieses Kapitels noch weiter
betrachten. An dieser Stelle sei jedoch schon angemerkt, dass im Gegensatz zur klassischen Erfolgsfaktorenforschung eine empirische Überprüfung dieser Erfolgsfaktoren
interaktiver Wertschöpfung erst am Anfang steht.
Grenzen der Umsetzung interaktiver Wertschöpfung
Allerdings wird nicht jede Art von Open Innovation alle Prinzipien der interaktiven
Wertschöpfung, die wir in Abschnitt 2.4 diskutiert haben, vollständig verwirklichen.
Dort wurde insbesondere mit dem Modell der “Commons-based Peer Production” der
Idealtyp einer neuen Art der Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung beschrieben.
Bei den in der betrieblichen Realität heute bereits vorhandenen Beispielen von Open
Innovation vollzieht sich dagegen die Integration von Kundenbeiträgen oft noch im
Rahmen hierarchischer Arrangements – insbesondere, wenn es sich um materielle
Güter handelt, bei denen höhere Ansprüche an die Produktionsausstattung zur
Erstellung der Produkte gestellt werden (siehe für ein aktuelles Beispiel aus der
Industrie Lang 2005). Auch werden die resultierenden Entwicklungen oft unter den
proprietären Schutz des fokalen Herstellerunternehmens gestellt (mittels klassischer
Schutzrechte). Ziel unserer Ausführungen ist es deshalb, in den folgenden Abschnitten
ein realistisches Bild einer interaktiven Wertschöpfung im Innovationsbereich zu
zeichnen, dass mit der heutigen Wirklichkeit übereinstimmt. (Kasten 3–6 hat dagegen
gezeigt, dass bei Informationsgütern die Idee der Commons-based Peer Production
heute schon viel eher umzusetzen ist).
Weiterhin ist wichtig zu betonen, dass Open Innovation vorhandene Praktiken im
Innovationsmanagement ergänzt, sie aber nicht ersetzt. Die Interaktion mit den Kunden im Innovationsprozess erleichtert den Zugang zu Bedürfnis- und Lösungsinformation und kann so Unsicherheiten im Innovationsprozess reduzieren. Es wird aber
weiterhin Bereiche geben, in denen die interne Organisation und der interne Vollzug
von Innovationsaktivitäten einen Vorteil gegenüber offenen Innovationsprozessen
haben. Auch gibt viele Beispiel, bei denen Unternehmen sehr erfolgreich ohne größere
Marktforschungsaktivitäten und nur aus eigener Kraft hoch erfolgreiche Produkte ent134
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Die Kundenperspektive: Beteiligung an Open Innovation
wickelten und am Markt platzieren konnten, die entweder auf einer besonders hohen
technischen Kompetenz, einer hohen Qualität (auch in Hinblick auf die Bedienbarkeit)
und/oder anderen Kriterien der ergonomischen Leistungsfähigkeit oder aber auf hedonistischen Kriterien wie dem Markennamen oder einem ansprechenden ästhetischen
Design beruhen. Open Innovation ersetzt diese Praktiken nicht, sondern will einen
weiteren Weg aufzeigen, wie Unternehmen den Erfolg von neuen Produkten erhöhen
und das Innovationsrisiko senken können.
Wir werden in den folgenden Abschnitten konkrete Instrumente und Ansätze
betrachten, mit denen ein Herstellerunternehmen einen aktiven Open-InnovationProzess mit seinen Kunden und Nutzern anstoßen und unterstützen kann. Unsere
Sichtweise ist dabei die des Herstellerunternehmens. Als Hintergrund dieser
Argumentation müssen wir aber zunächst die Erwartungshaltung des Herstellers an
Open Innovation, vor allem aber der Kunden an eine Mitwirkung am
Innovationsprozess näher betrachten.
Kasten 3–7:
Literaturempfehlungen zu Grundidee und Hintergrund von Open Innovation
„
Chesbrough, Henry (2003).The era of open innovation. MIT Sloan Management Review, 44
(2003) 4 (Summer): 35-41.
„
Ernst, Holger (2004). Virtual customer integration: Maximizing the impact of customer integration on new product performance. In: Soenke Albers (ed.): Cross-Functional Innovation
Management, Wiesbaden: Gabler 2004: 191-208.
„
Gruner, Kjell / Homburg, Christian (2000). Does customer interaction enhance new product
success? Journal of Business Research, 49 (2000) 1: 1-14.
„
Ogawa, Susumu / Piller, Frank T. (2006). Reducing the risk of new product development. MIT
Sloan Management Review, 48 (2006) 1 (Winter): 65-72.
„
von Hippel, Eric (1978a). Successful industrial products from customer ideas: presentation of
a new customer-active paradigm with evidence and implications. Journal of Marketing, 42
(1978) 1 (January): 39-49.
„
von Hippel, Eric (2005). Democratizing innovation. Cambridge, MA: MIT Press 2005.
3.3
Die Kundenperspektive: Beteiligung an Open
Innovation
Nicht alle Kunden eines Unternehmens eignen sich gleichermaßen für eine Beteiligung
an Open Innovation. Vielmehr konzentriert sich diese Eignung auf eine ausgewählte
Gruppe, Nutzer bzw. Kunden mit Lead-User-Eigenschaften. Dieser Abschnitt diskutiert die beiden folgenden Schlüsselfragen der Integrationskompetenz aus
Kundensicht:
„ Innovationsfähigkeit: Über welche Eigenschaften, Fähigkeiten und welches
Können verfügen Lead User?
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
„ Innovationsbereitschaft: Welche Faktoren sind ausschlaggebend, damit sich Lead
User an Innovationsvorhaben einer Unternehmung beteiligen (Motivation bzw.
erwartete Nutzen aus Kundensicht)?
Die grundsätzliche Beteiligung eines Kunden sowie Art, Umfang und Häufigkeit an
einem interaktiven Open-Innovation-Prozess wird durch die Erwartung des Gesamtnutzens dieser Aktivität für den Kunden bestimmt. Die Erwartungswerttheorie
beschreibt den Gesamtnutzen durch den erwarteten Nutzen von Handlungen.
Einzelne Nutzenvorstellungen gelten hier als Triebkräfte bzw. Motive des Handelns,
die in ihrer Struktur und Stärke des Zusammenwirkens zu Motivation führen (Picot /
Dietl / Franck 2005; von Rosenstiel 1980). Demnach entschließt sich ein Kunde zur
Beteiligung an Open Innovation, falls der erwartete Nutzen seine Teilnahmekosten
übersteigt. Denn Lead User haben nicht nur Nutzen, sondern auch zusätzliche Kosten
und Aufwand durch eine Beteiligung am Innovationsprozess. Die Einschätzung und
Beurteilung der Nutzen und Kosten ist wiederum von individuellen Eigenschaften des
jeweiligen fortschrittlichen Nutzers abhängig (Abbildung 3–10). Wir werden die einzelnen Bestandteile bzw. Treiber des Gesamtnutzens im Folgenden näher betrachten.
Abbildung 3–10: Determinanten der Kundenbeteiligung an Open Innovation
Eigenschaften
Spezifika der
Produktkategorie
Nutzenerwartungen
Unzufriedenheit
:
Konsumexpertentum
Meinungsführerschaft
Involvement
kognitive Komplexität
Teamkompetenz
Unzufriedenheit mit bestehenden Angebot
Spezifika der
Innovationsaufgabe
Kostenerwartungen
Erfolgreiche Absolvierung einer
lohnenswerten Aufgabe
Zeit & Aufwand
(Interaktionskosten)
wahrgenommenes Risiko
(psychologische
Kosten)
Stolz auf das Ergebnis
Reduktion von Unsicherheit
Soziale Bestätigung, externe
Anerkennung
Gesamtnutzen
:
Beteiligung an
Open Innovation
Art, Ausdauer und Intensität
der Beteiligung an
Open Innovation
Diese Diskussion ist auch deshalb sehr wichtig, da sie das auf dem ersten Blick sehr
irrationale Verhaltens eines “free revealings” von Nutzerinnovatoren erklären kann.
Wie wir bereits in Abschnitt 2.4.4 gezeigt haben, lässt sich empirisch nachweisen, dass
viele Kunden scheinbar ohne Gegenleistung ihre Entwicklungen an einen Hersteller
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Die Kundenperspektive: Beteiligung an Open Innovation
(und/oder andere Nutzer) offenbaren – selbst wenn der Hersteller die Innovation in
folgenden Perioden produziert und damit einen Profit erzielt. Jedoch scheinen viele
Kunden durch eine Vielzahl weiterer Anreise motiviert zu werden, die aus ihrer Sicht
die Offenlegung ihrer Entwicklungen rational macht.
3.3.1 Eigenschaften von Kundeninnovatoren (Lead Usern)
Bevor wir aber die Anreise innovativer Kunden näher betrachten, wollen wir diese
näher kennen lernen: Welche Eigenschaften besitzen innovative Kunden? Wie wir
bereits gesehen haben, besitzen Lead User Anforderungen an ein Produkt oder eine
Dienstleistung, die bisher noch durch kein existierendes Marktangebot erfüllt werden,
jedoch zu einem späteren Zeitpunkt die Bedürfnisse eines relativ großen Marktsegments repräsentieren. Demnach antizipieren Lead User frühzeitig innovative
Leistungseigenschaften, die für andere Kunden erst sehr viel später relevant werden.
Lead User verfügen somit über Bedürfnisinformationen. Ihr unbefriedigter Bedarf
sorgt für eine Unzufriedenheit mit dem bisherigen Marktangebot. Aus dieser
Unzufriedenheit heraus entwickeln Lead User eigenständig Lösungen, um ihrer
Unzufriedenheit zu begegnen. Neben Bedürfnisinformationen halten Lead User demnach auch Lösungskompetenz. Im engeren Sinne handelt es sich bei Lead Usern somit
um (potenzielle) Kunden einer Unternehmung, die als Eigenentwickler selbständig im
Markt auftreten, um ihre individuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Speziell die eigene
Unzufriedenheit mit dem bisherigen Marktangebot sorgt dabei für die notwenige
Motivation unter Lead Usern (Lüthje 2000; Morrison / Roberts / Midgley 2004). Diese
Motivation ist vor allem dann von zentraler Bedeutung, wenn Lead User ihre innovativen Produkte von Grund auf eigenständig planen, konzipieren und entwickeln, da
ein solcher Prozess aus Sicht eines Lead Users mit teilweise hohem Aufwand verbunden ist. Hinsichtlich unseres Ziels, Merkmale, Fähigkeiten und Eigenschaften innovativer Kunden zu determinieren, können wir an dieser Stelle folgendes Zwischenfazit
ziehen (von Hippel 2005):
„ Lead User verfügen über Bedürfnisinformationen, die zu einem späteren Zeitpunkt für
ein relativ großes Marktsegment relevant werden. Da ihre Bedürfnisse bisher nicht
befriedigt werden, sind Lead User mit dem bestehenden Marktangebot unzufrieden.
„ Diese Unzufriedenheit motiviert Lead User, eigenständig aktiv zu werden und
Lösungen zur Beseitigung ihrer Unzufriedenheit zu entwickeln. Lead User verfügen demnach über Lösungsinformationen und nutzen diese zur Befriedigung ihres
Bedarfs.
Wir werden im Folgenden aufbauend auf diesen beiden grundsätzlichen Eigenschaften fortschrittlicher Nutzer verschiedene Faktoren betrachten, die diese Eigenschaften weiter konkretisieren.
Unzufriedenheit und Konsumkompetenz
Unzufriedenheit entsteht, wenn ein Kunde bei der Nutzung eines Produktes oder
einer Dienstleistung eine Diskrepanz zwischen seinen Leistungserwartungen und der
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Leistungswahrnehmung feststellt. Leitet ein Kunde aus seiner aktuellen Unzufriedenheit mit dem Leistungsangebot eines Unternehmens Bedürfnisinformationen ab, sind
diese Informationen nur dann von innovationsrelevanter Bedeutung, wenn der Kunde
sein Bedürfnis auch tatsächlich nicht durch das aktuelle Leistungsangebot decken
kann. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Vielmehr entsteht bei einem Kunden häufig
dann eine Unzufriedenheit mit einer Leistung, wenn dieser nicht in der Lage ist, den
Nutzen der Leistung vollständig zu erschließen. Der Kunde entwickelt dann keine
innovationsrelevanten Bedürfnisinformationen, da lediglich seine Unwissenheit bzw.
sein Unvermögen in Bezug auf die Verwendung und den Umgang mit einem Produkt
oder einer Dienstleistung diese Unzufriedenheit hervorruft (Brockhoff 2003).
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Konsument eines Produktes innovationsrelevante
Bedürfnisinformationen generiert, ist ceteris paribus umso wahrscheinlicher, je besser
es diesem Kunden gelingt, den Produktnutzen vollständig zu erschließen. In der
Marketingwissenschaft wird diese Fähigkeit Konsumkompetenz genannt (HennigThurau 1998). Konsumkompetenz bezeichnet die Summe des Wissens sowie der physischen und sozialen Fertigkeiten von Nutzern, die ihren Umgang mit einem Produkt
in sämtlichen Teilbereichen der Nachkaufphase betreffen. Hierzu zählen insbesondere
die Nutzungsvorbereitung, die Nutzung sowie die Nutzungsbegleitung. Die
Nutzungsvorbereitung beginnt mit dem Abschluss des Kaufvertrages und endet mit
der erstmaligen Nutzung des Produktes. Sie umfasst demnach den Transport, den Aufbzw. Zusammenbau des Produktes, die Installation sowie die Ingangsetzung. Bei der
eigentlichen Nutzung des Produktes wird dann zwischen Nutzungsintensität und
Nutzungsvariabilität unterschieden. Die Nutzungsintensität beschreibt die Häufigkeit
der Inanspruchnahme eines Produktes durch die Kunden, während die Nutzungsvariabilität den Einsatz des Produktes für verschiedene Zwecke sowie die verschiedenen Nutzungsanwendungen kennzeichnet. Die Nutzungsbegleitung hingegen ist
geprägt durch Aktivitäten, die zeitlich parallel zur eigentlichen Nutzung anfallen und
diese unterstützen oder ergänzen (z. B. Wartungen, Pflege, Reinigung oder Updates).
In der Summe sorgt eine ausgeprägte Konsumkompetenz bei Konsumenten dafür,
dass sich diese den Nutzen eines Produktes nach dem Kauf vollständig erschließen
(Hennig-Thurau 1998).
Meinungsführerschaft, Early Adopter und Involvement
Empirische Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Lead User im Markt weiterhin
häufig als Meinungsführer agieren (Morrison / Roberts / Midgley 2004; Morrison /
Roberts / von Hippel 2000; Sawhney / Prandelli 2000). Meinungsführer sind
Konsumenten, die innerhalb einer spezifischen Produktkategorie im Rahmen der persönlichen Kommunikation einen starken Einfluss auf andere Verbraucher ausüben.
Dieser Einfluss erstreckt sich auf die Kaufentscheidung, aber auch auf Konsummotive,
-einstellungen sowie auf konsumrelevante Verhaltensweisen. Dabei steigert das
Interesse eines Individuums an einer Produktkategorie dessen Bereitschaft zur persönlichen Einflussnahme auf die Kaufentscheidung anderer Marktteilnehmer (Childers
1986). Halten wir uns erneut vor Augen, dass Bedürfnisinformationen auf eine
Unzufriedenheit der Lead User zurückzuführen sind, so können diese Kunden auch
die Eigenschaft besitzen, die man als Early-Adopter-Verhalten bezeichnet (Rogers
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1995; Ram / Jung 1994). Dies ist die Bereitschaft, bei Neueinführung eines Produktes im
Vergleich zum sozialen Umfeld als “Pionier” aufzutreten. Der Pionierkäufer übernimmt diese Rolle in der Hoffnung, durch einen frühen Kauf einer Innovation seine
Unzufriedenheit mit dem bisherigen Marktangebot zu beseitigen.
Dieses Interesse eines Individuums an einer Produktkategorie wird häufig mit dem
Begriff Involvement gleichgesetzt. Involvement kann als die auf den Informationserwerb und die Informationsverarbeitung gerichtete Aktiviertheit zu objektgerichteten
Informationsprozessen definiert werden (Kroeber-Riel / Weinberg 1999; Zaichowsky
1985). Differenziert wird zwischen High- und Low-Involvement-Produkten. Bei HighInvolvement-Produkten handelt es sich häufig um teure Produkte oder Produkte, die
sich der Konsument für eine lange Zeit anschafft. Das High-Involvement erklärt sich
aus dem drohenden Risiko eines Fehlkaufs und des damit verbundenen finanziellen
Verlusts. Der Preis eines Produktes ist jedoch nicht alleinig ausschlaggebend. HighInvolvement-Produkte können auch solche Produkte darstellen, mit denen sich Kunden in speziellem Maße identifizieren bzw. Produkte, denen sie sich regelmäßig bedienen, um sich gegenüber ihrer sozialen Umwelt abzugrenzen. Für die Charakteristika
innovativer Kunden heißt dies, dass diese eher dann zu finden sind, wenn ein Produkt
auch ein High-Involvement-Produkt ist.
Kognitive Komplexität
Damit sich Kunden für eine Integration in Open Innovation eignen, stellt die kundenseitige Generierung innovationsrelevanter Bedürfnisinformationen ein notweniges,
jedoch keinesfalls hinreichendes Kriterium dar. Vielmehr sollten Kunden neben
Bedürfnisinformationen auch über Lösungsinformationen und -kompetenz verfügen
und diese entsprechend nutzen und einbringen. Für ein Herstellerunternehmen stellt
sich so die Frage, welche Merkmale und Eigenschaften der Kunden für die Entwicklung ausgeprägter Lösungsmechanismen verantwortlich sind. Wir argumentieren im
Folgenden, dass Lead User über innovationsfördernde Persönlichkeitsmerkmale
verfügen. Diese Persönlichkeitsmerkmale sorgen zum einen dafür, dass Kunden in
der Lage sind, Bedürfnisinformationen zu generieren. Zum anderen jedoch befähigen diese Persönlichkeitsmerkmale einen Nutzer erst, Lösungsinformationen zu entwickeln und so ein Bedürfnis in ein konkretes Lösungsdesign zu überführen.
Besondere Beachtung erfährt dabei die kognitive Komplexität eines Kunden. Bei statischer Betrachtung werden unter das Konstrukt der kognitiven Komplexität die
Intelligenz und die Kreativität subsumiert. Bei der Operationalisierung der kognitiven Komplexität kann dabei auf einen in der Persönlichkeitstheorie (Digman 1997;
John 1990) beschriebenen Faktor zurückgegriffen werden, der als relativ breites Maß
die intellektuellen, kreativen und künstlerischen Neigungen, Vorlieben, und
Fähigkeiten einer Person umfasst (McAdams 1992). Der Faktor bildet damit sowohl
die Fähigkeit zum konvergenten als auch zum divergenten Denken eines Menschen
ab (Buss 1996).
Teamkompetenz
In einer Wertschöpfungspartnerschaft zwischen einem Unternehmen und seinen
(potenziellen) Kunden bildet die Teamkompetenz von Nutzern ein weiteres wichtiges
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Persönlichkeitsmerkmal (Belbin 1993). Unter einem Team werden zwei oder mehr
Personen verstanden, die über eine gewisse Zeit eine partnerschaftliche Beziehung eingehen, so dass jede Person die anderen Personen beeinflusst und von ihnen beeinflusst
wird, und so ein gemeinsames Ziel und eine Gruppenstruktur mit Rollen und Normen
entsteht. Der Erfolg eines solchen Arbeitsteams hängt dann entscheiden von der
Teamkompetenz der einzelnen Mitglieder ab. Dabei beinhaltet die Teamkompetenz
unter anderem die Konflikt- und Kooperationsfähigkeit, das Interesse an Neuem,
Flexibilität, Selbständigkeit sowie Lernbereitschaft und Gewissenhaftigkeit (Hertel /
Geister / Konradt 2005).
Nutzen von Open Innovation aus Sicht von Lead Usern
Im letzten Abschnitt haben wir mögliche Eigenschaften von Lead Usern diskutiert,
welche diese für eine Integration in den Innovationsprozess einer Unternehmung qualifizieren (Innovationsfähigkeit). Das zweite wichtige Merkmal dieser Nutzer ist
jedoch ihre Motivation oder Innovationsbereitschaft. Nur wenn Lead User ausreichend motiviert sind, sich in den Innovationsprozess zu integrieren, kann eine
Unternehmung das innovative Potenzial dieser Kunden vollständig nutzen.
Motivation von Lead Usern erklärt Art, Umfang und Häufigkeit ihrer Beiträge zu
Innovationsaktivitäten eines Herstellers. Motivation begründet menschliches
Verhalten in seiner Art, Ausdauer und Intensität. Nach von Rosenstiel (1980) entsteht
Motivation, wenn in konkreten Situationen durch wahrgenommene Anreize verschiedene Motive aktiviert werden, die in ihrer Struktur und Stärke des Zusammenwirkens
zu einem bestimmten Verhalten führen. Motivation entsteht als Wechselwirkung von
inneren Bedürfnissen (Motiven) und von äußeren, situativen Faktoren (Anreizen). Ein
Motiv ist ein isolierter Beweggrund menschlichen Verhaltens und wird als Erwartung
erlebt, dass ein bestimmtes Verhalten zur Befriedigung eines Bedürfnisses, Wunsches,
Dranges etc. führt (das Vorhandensein eines oder mehrerer Motive allein genügt
jedoch oft nicht, um die Beteiligung von Kunden an Innovationsaktivitäten zu erklären, es müssen noch weitere Eigenschaften hinzutreten, die sie befähigen, diese
Aktivitäten auch auszuführen).
Kasten 3–8 nennt anhand des Beispiels zweier Amateur-Erfinder die Motive von
Nutzern, die selbst zu Problemlösern werden. Der Artikel gibt auch noch einmal einen
guten Einblick in die neue unterstützende Infrastruktur, die heute Kundenentwicklern
zur Verfügung steht. Aus übergeordneter Sicht können wir folgende Klassen von
Motiven bzw. Nutzenerwartungen fortschrittlicher Nutzer unterscheiden (siehe Ihl et
al. 2006; Reichwald / Seifert / Ihl 2004; Piller 2006a), die in den nächsten Abschnitten
näher betrachtet werden:
„ Unzufriedenheit mit bestehenden Lösungen und Erwartung eines besseren Fits
zwischen Produkteigenschaften und Kundenbedürfnissen,
„ Erfolgreiche Absolvierung einer lohnenswerten Aufgabe und Stolz auf das
Ergebnis,
„ Reduktion von Unsicherheit,
„ Soziale Bestätigung und externe Anerkennung.
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Kasten 3–8:
Motives and Tools of Do-It-Yourself Inventors
(Quelle: Auszug aus dem Beitrag “The amazing rise of the do-it-yourself economy” von Daniel
Roth in der Zeitschrift Fortune (Europe), Nr. 9 / 2005 vom 30. Mai 2005: 24-35)
(...) Pat Misterovich is just producing the next great MP3 music player. Only instead of the simple,
elegant lines of the iPod, Misterovich’s device will look just like a Pez dispenser. Oh, and instead
of working from a corporate campus in Cupertino, Calif., with nearly 12,000 employees,
Misterovich is a stay-at-home dad, creating his Pez MP3 player from the basement of his
Springfield, Mo., home.
Misterovich is the former head of IT at the University of Detroit Mercy. He has few of the engineering skills necessary to build a device like this, no marketing experience, and absolutely no corporate infrastructure. And yet he’s got two factories—one in China, one in the U.S.-vying to build the
player. He has a small Austin company started by an ex-Apple engineer designing the innards. And
on his blog, pezmp3.com, he uses prospective buyers - some 1,500 people have already expressed interest—as an R&D-center-meets-focus-group. What’s better, he asks, AAA batteries or LiIon? In come dozens of replies (“Go for the AAA with a USB NiMh recharger if possible,” suggests
one reader). What’s a good slogan? Some 50 ideas roll in (one of the best: “Candy for your ears”).
By the end of this month the first prototype should be in Misterovich’s hands. “I don’t know that this
product could have come to life years ago,” he says. “I seriously doubt it. And if it did, it wouldn’t
have come through a guy in his basement.”
It used to be that a tinkerer like Misterovich could, at best, hope to sell his idea to a big company.
More likely, he’d entertain friends with his Pez-sized visions. But a number of factors are coming
together to empower amateurs in a way never before possible, blurring the lines between those
who make and those who take. Unlike the dot-com fortune hunters of the late 1990s, these do-ityourselfers aren’t deluding themselves with oversized visions of what they might achieve. Instead,
they’re simply finding a way – in this mass-produced, Wal-Mart world – to take power back, prove
that they can make the products that they want to consume, have fun doing so, and, just maybe,
make a few dollars. “What’s happened is a tremendous change in awareness,” says Eric von
Hippel, a professor at the MIT Sloan School of Management and author of the recent
Democratizing Innovation. “Conventional wisdom is so strong [in business] about find-a-need-andfill-it: ‘We’re the manufacturers; we design products; we ask users what they need; we do it.’ That
has begun to crack.”
(...) “Before, only the rich had access to tools and so only the rich were professionals, and the rest
were amateurs,” says Noah Glass, the co-founder of Odeo, which offers a free service for making,
hosting, and distributing podcasts. “But now, as the creation tools have become easier to use and
more freely distributed through open source, through the Internet, through awareness, more people have more access to more tools, so the whole amateur-professional dichotomy is dissolving.”
Citizen engineers are taking this even further, trying their hand not just in the digital world but in
the physical world too. Much as eBay transformed distribution, they’re redefining design and manufacture. The infrastructure is there: Yahoo Groups make it easier for people to trade ideas and
learn quickly; free or cheap computer-aided-design (CAD) programs allow users to cobble together blueprints; and inexpensive manufacturing in China allows the idea to go from file to factory.
There are even websites like Alibaba.com that will help these small-timers find Chinese factories
eager for their work, meaning that the amateur nation has its own Match.com.
This may seem like a lot of effort to, say, create a funny-looking MP3 player. But that’s not this
group’s ethos. “DIYers do things for irrational reasons,” says Saul Griffith. “If it’s your passion and
your love, you don’t count how many hours you spend doing it. That’s why so many of these things
end up being great.”
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Griffith should know. A dedicated kite-surfer – the sport involves riding a small board through water
while attached to a parachute-like “kite” – he was unhappy with the goods on the market. In 2001
he started Zeroprestige.com, a website where he posted his kite designs. Soon other amateurs
submitted their own concepts, and sail manufacturers with excess capacity offered to make kites
from the plans. The amateur designers kept coming back to make exactly what they wanted to buy.
And though no one got rich, a few small businesses popped up to sell the finished products. Since
then, kites have become commodities, but Griffith hasn’t let go of the spirit. His four-person engineering company, Squid Labs, is launching a site this summer tentatively called iFabricate, “a
Wikipedia for atoms,” he says, referring to the user-created online encyclopedia. Do-it-yourselfers
of all stripes will be able to go to the site to trade ideas and work together, get easy access to programs for manipulating materials, and eventually use it to pool their resources for buying raw materials from suppliers.
(...) To be fair, all this amateur energy isn’t exactly a new force. When exciting technologies emerge, Americans have always pounced and created something original. In his 1936 New Yorker article “Farewell, My Lovely,” E.B. White eulogized the Model T and the creativity it inspired in its
owners: “When you bought a Ford, you figured you had a start -a vibrant, spirited framework to
which could be screwed an almost limitless assortment of decorative and functional hardware....
Gadget bred gadget. Owners not only bought ready-made gadgets, they invented gadgets to meet
special needs.” The difference today is simply the technology, says University of Virginia technology historian Bernie Carlson.
And so Misterovich keeps at his goal of building the kind of MP3 player that he wants to carry
around. One with a collectible head and AAA batteries and a user-created slogan. And even if he
pulls it off, it’s doubtful that he’ll get rich. That’s fine with him. The purpose in the amateur economy isn’t always the same as in the big-company economy. “My main goal is not to lose my house,”
he says. “You put it on the line and you want to be rewarded. But when it comes down to it, I just
don’t want to go broke. It’s an amateur attitude -you’re doing it for the love.”
3.3.2 Unzufriedenheit mit bestehenden Lösungen
und Erwartung eines besseren Fit zwischen
Produkteigenschaften und Kundenbedürfnissen
Kunden erhalten einen Nutzen durch ihre Mitwirkung bei den Innovationsaktivitäten
eines Herstellers, wenn die hieraus resultierenden innovativen Produkte latente
Bedürfnisse besser und präziser erfüllen können als die vorherigen Produkte dieses
Herstellers oder die vorhandenen Produkte der Konkurrenz. Dieser Zuwachs entspricht dem Wert einer besser passenden Leistung im Vergleich zur nächst Besten bereits existierenden Lösung und ist eine typische extrinsische Motivation. Extrinsische
Motive sind Motive der Tätigkeit, die durch Folgen der Tätigkeit und ihrer
Begleitumstände befriedigt werden. Ein wesentliches extrinsisches Motiv liegt in der
Erwartung der Kunden, eine Produkt- oder Dienstleistungsinnovation selbst nutzen zu
können (Morrison / Roberts / von Hippel 2000).
Erfüllung eines bislang unbefriedigten Bedürfnisses
Die Literatur zur Präferenzbildung von Nachfragern diskutiert bereits seit
Jahrzehnten, dass die Zahlungsbereitschaft und Produktzufriedenheit von Kunden
vom Fit der Produkteigenschaften mit den Präferenzen der Nutzer abhängt
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(Chamberlin 1950, 1962; Lancaster 1966). Diesen Zusammenhang zeigen auch viele der
empirischen Arbeiten zu den Anreizen für Nutzer, selbst innovativ tätig zu werden:
Als eines der Hauptargumente wird immer wieder die Erfüllung eines bislang unbefriedigten Bedürfnisses genannt. Dies ist z. B. für die Beteiligung von Nutzern an der
Entwicklung von Open-Source-Softwareprodukten sehr gut dokumentiert (Lakhani /
Wolf 2005). Viele Open-Source-Projekte werden von Nutzern initiiert, die ein Bedürfnis
an eine bestimmte Software haben, das in einer bestimmten Qualität (z. B. in Hinblick
auf Sicherheitseigenschaften) oder für einen bestimmten Anwendungsbereich nicht
erfüllt wird (Franke / von Hippel 2003; Hars / Ou 2002; Lakhani / Wolf 2005). Gleiches
gilt für Nutzerinnovationen im Industriegüterbereich, wo das dominierende Motiv ein
neues Anwendungsbedürfnis eines Nutzers ist, welches die bestehenden Hersteller
noch nicht erfüllen (Morrison / Roberts / von Hippel 2000; Ogawa 1998). Doch auch im
Konsumgüterbereich kann Nutzer-Innovation oftmals auf ein Bedürfnis zurückgeführt
werden, das der Markt noch nicht erfüllt (Franke / Shah 2003; Lüthje 2004; Lüthje /
Herstatt / von Hippel 2005; Piller 2004).
“Low-cost user innovation niches”
Wir haben bereits oben in Abschnitt 2.4.3.3 und 3.2.1 argumentiert, dass das “sticky
Information”-Phänomen oft verhindert, dass ein Hersteller selbst die (neuen)
Bedürfnisse erkennt und in ein passendes Produkt überführt. Die Folge sind
Informationsasymmetrien zwischen Nutzern und Herstellern. Hat ein Hersteller die
Vermutung, dass sich die Informationsasymmetrie auf ein großes Marktsegment
bezieht, wird er in der Regel auch größere Anstrengungen und Kosten in Kauf nehmen, um Zugang zu den fehlenden Informationen zu erlangen. Bezieht sich die
Informationsasymmetrie allerdings auf Gebiete, die durch relative kleine Nutzerzahlen geprägt sind, scheut der Hersteller oft, Zugriff auf die „sticky” Information zu
bekommen und versucht, diese Nischen auch weiterhin mit einem existierenden
Standardprodukt zu bedienen, anstatt für sie ein genau passendes Produkt zu entwikkeln. In solch einer Situation existieren so genannte “effiziente Nischen für
Kundeninnovation” (“low-cost user innovation niches”, von Hippel 2005: 75). Diese
Nischen sind oft recht klein und adressieren eine spezifische Lösung, die nur von einer
kleinen Nutzerzahl besonders honoriert wird. Die Lösung beruht in diesem Fall auf
hochspezifischer Bedürfnis- und Lösungsinformation, geprägt durch die Erfahrungen,
Einsatzbedingungen und Umgebungsbedingungen der Nutzer in dieser Nische. In
solch einer Situation hat ein potentieller Nutzer große Anreize, selbst innovativ tätig zu
werden.
Ein gutes Beispiel für eine solche Nische ist die zunehmende Verbreitung mobiler
Geräte der Unterhaltungselektronik und Telekommunikation, die meist eine
Vernetzung und Synchronisation mit stationären Geräten verlangen (z. B. zur
Abstimmung eines bestimmten Mobiltelefons mit einer bestimmten Zeitplanungssoftware). Aufgrund der Vielzahl an möglichen Schnittstellen, dem schnellen technischen Fortschritt und der teilweise relativ kleinen Zahl an Nutzern, die dieses Problem
haben, widmen sich die etablierten Anbieter in der Regel diesem Bedürfnis nicht dezidiert. Bestimmte Nutzer allerdings, die neben dem Bedürfnis auch die notwendigen
Kenntnisse haben, dieses Problem zu lösen, werden deshalb selbst aktiv. Dabei nutzen
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sie oft das Resultat nicht nur selbst, sondern stellen es entweder über eine Web-Site des
Herstellers anderen Nutzern zur Verfügung, oder aber vertreiben die Lösung oft direkt
im Internet.
Kann ein Nutzer derart Eigenschaften eines Produktes genau an seine spezifischen
Wünsche anpassen, sollte der wahrgenommene Nutzen steigen. Dieser Effekt ist umso
größer, je heterogener sich die Wünsche der Kunden in Bezug auf die Produkteigenschaften verteilen, d. h. je schwieriger es für einen Hersteller ist, durch wenige
Standardvarianten eines Produktes alle gewünschten Eigenschaftsbündel des angestrebten Marktsegments abzubilden. Dieser Zustand scheint heute in vielen Märkten
immer mehr Norm als Ausnahme zu werden (siehe Abschnitt 2.2.3). Eine zunehmende Heterogenisierung der Bedürfnisse, einhergehend mit einer Verkürzung der
Lebenszeiten einzelner Produktspezifikationen, ist einer der wesentlichen Faktoren,
warum klassische Verfahren der Marktforschung im Rahmen der Neuproduktentwicklung immer schwieriger genaue Aussagen treffen können, ob ein Produktkonzept tatsächlich die Bedürfnisse der Nachfrager trifft. Damit steigt die Bedeutung
der Kundenintegration in den Innovationsprozess. Der in Abschnitt 3.5.2 noch
beschriebene Einsatz von Toolkits for User Innovation and Co-Design ist eine der
zentralen Maßnahmen von Herstellern, auf diese Erkenntnis zu reagieren. Toolkits dienen in ihrem Kern genau zur Erfassung der “sticky” Bedürfnis-, aber auch zu
Lösungsinformation einzelner Nutzer und der Überführung dieser Information in ein
neues Produkt durch den Hersteller.
Ebenso setzt die in Kapitel 4 beschriebene Mass-Customization-Strategie genau an
dieser Stelle an: Bei Mass Customization reagiert ein Hersteller ebenfalls auf eine große
Heterogenität der Bedürfnisse seiner Kunden, in dem er die Produktentwicklung nicht
auf Ebene eines Endproduktes abschließt, sondern den möglichen Fit zwischen
Produkteigenschaften und Bedürfnissen jedes individuellen Kunden dadurch erhöht,
dass jeder Kunde (innerhalb eines gegebenen Lösungsraumes) eine Konkretisierung
des Produktes vornehmen kann, das anschließend auf Bestellung gefertigt wird.
3.3.3 Erfolgreiche Absolvierung einer lohnenswerten
Aufgabe und Stolz auf das Ergebnis
Die bisherige Argumentation bezog sich weitgehend auf die so genannte ergonomische
Produktqualität, d. h. den funktionalen Nutzen eines Produkts. Doch Kundenintegration kann – für die integrierten aktiven Kunden bzw. Nutzer – auch die
Wahrnehmung der hedonistischen Qualität eines Produkts beeinflussen. Beispiele
sind der Neuheitswert, Status oder die Originalität einer Leistung. Kundenintegration
in den Innovationsprozess kann vor allem in Konsumgütermärkten den Nutzen für
den Kunden steigern, wenn Nutzerinnovatoren einem selbst entwickelten Produkt
einen höheren emotionalen Wert zuschreiben oder aber soziale Anerkennung ihrer
Umwelt erhoffen (Brockhoff 2003; Schreier 2004; Tepper / Bearden / Hunter 2001).
Gleichermaßen kann auch der eigentliche Prozess der innovativen Lösungsfindung
von den Nutzern als positiv wahrgenommen werden und so die Gesamtzufriedenheit
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steigern. Die Konsumentenforschung hat seit langem gezeigt, dass Kundenzufriedenheit nicht nur durch die Wahrnehmung des Kernprodukts und seiner
Funktionalitäten beeinflusst wird, sondern auch durch Aktivitäten bei Auswahl, Kauf
und Inbetriebnahme eines Gutes (Bitner 1992; Campbell 1997; Oliver 1993; Tanner
1996). Dieser Bereich adressiert so genannte intrinsische Motive, die durch die
Tätigkeit selbst befriedigt werden. Kunden beurteilen eine Innovationsaufgabe positiv,
wenn sie das Gefühl von Spaß, Exploration und Kreativität vermittelt (Baumgartner /
Steenkamp 1996).
Prozesszufriedenheit: Das Flow-Konstrukt
Der vielleicht wichtigste Faktor ist, dass der Prozess des Innovierens selbst als erfolgreich wahrgenommen wird. Diese Kompetenzfrage umfasst das Flow-Konstrukt, das
heute von vielen Forschern genutzt wird, um die Zufriedenheit mit einem Prozess zu
erklären (Csikszentmihalyi 1990; siehe auch Bowers / Martin / Luker 1990; Franke /
Piller 2003; Novak / Hoffmann / Yung 2000). Flow tritt ein, wenn die Nutzer einen
Prozess als optimal wahrnehmen, da ihre Fähigkeiten mit dessen Anforderungen übereinstimmen. Dann erreichen sie einen “Flow”-Zustand, in dem sie sich von ihrer
Umwelt lösen und von der Aufgabe fesseln lassen. Nutzer, die z. B. während der
Interaktion mit einer Online-Shoping-Seite ein Flow-Erlebnis erfahren, tätigen eher
einen Kaufabschluss (Novak / Hoffmann / Yung 2000). Auch steigert ein Flow-Erlebnis
das Selbstvertrauen und gibt ein Gefühl von Selbstzufriedenheit (Bowers / Martin /
Luker 1990; Michel 2000). Offe und Heinze (1990) zeigen, dass das Streben nach einer
positiven Prozesswahrnehmung ein wesentlicher Treiber von Konsumenten ist, handwerklichen Tätigkeiten selbst nachzugehen (do-it-yourself). Hobbyisten geben neben
dem Wert der selbst erstellten Lösung zur Bedürfnisbefriedigung immer auch die
“Erlebnisqualität des Arbeitsvollzugs” als wesentliche Motivation für die Eigenarbeit
an. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Forschung über die Motivation von OpenSource-Programmieren (Franck / Jungwirth 2003; Lakhani / Wolf 2005). Die
Mitwirkung an einer Open-Source-Entwicklungsaufgabe kann als kreativer
Problemlösungsvorgang angesehen werden, der anregend und befriedigend auf die
Beteiligten wirkt. Anwender beurteilen eine Innovationsaufgabe positiv, wenn sie das
Gefühl von Spaß, Exploration und Kreativität vermittelt. Damit sie die Beteiligung an
Innovationsaktivitäten aber wertschätzen, ist es wichtig, dass sie einerseits der
Aufgabe gewachsen sind und andererseits die Aufgabe auch als Herausforderung
betrachten. Erhalten sie unmittelbare Rückkopplung über ihre Leistung, entsteht bei
den innovativen Nutzern ein Gefühl der Selbstbestimmung, Kontrolle und Kompetenz
(siehe zu entsprechenden Studien z. B. Ihl et al. 2006; Kamali / Loker 2002; Oon /
Khalid 2003; Dellaert / Stremersch 2005; Franke / Piller 2004; Randall / Terwiesch /
Ulrich 2005; Schreier 2004).
“Pride-of-authorship”-Effekt
In Bezug auf das Ergebnis könnte ferner ein “pride-of-authorship”-Effekt beobachtbar
sein, d. h. die Zufriedenheit mit dem Ergebnis als Resultat eines eigenen Problemlösungsprozesses (Schreier 2004). Dieser Effekt ist im Bezug auf das Verhalten interner
Produktentwickler beschrieben worden (Lea / Webley 1997) und ist auch im Do-ityourself-Bereich ein wesentliches Motiv (Michel 2000; Offe / Heinze 1990). Diese posi145
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tive Wahrnehmung könnte wiederum den wahrgenommenen Nutzen der Interaktion
mit einem Hersteller steigen lassen. Auch dieser Effekt hängt stark von den
Eigenschaften der Kunden ab. Sie müssen adäquate Fähigkeiten besitzen, die kreative
Aufgabe zu bewältigen. Fehlen diese Eigenschaften, kann die Zufriedenheit aufgrund
einer mangelhaften Prozesswahrnehmung sogar negativ beeinflusst werden.
3.3.4 Reduktion von Unsicherheit
Open Innovation kann weiterhin Unsicherheit bei den Kunden vermindern und ein
Gefühl von Kontrolle vermitteln. Kontrolle und Sicherheit sind ein Leitmotiv in westlichen Gesellschaften und bestehen aus dem Streben nach Transparenz und Übersicht
sowie Einflussmöglichkeit und Feedback (Fließ 2001; Gouthier 2003; Michel 2000).
Kundenintegration in den Innovationsprozess kann die Unsicherheit aus Nutzersicht
in mehrfacher Hinsicht vermindern und so zur Steigerung der Zufriedenheit mit einem
Anbieter beitragen. So erlangen die Nutzer einen weitaus besseren Einblick in die
Funktionsweise und Komponenten einer Lösung und gelangen deshalb zu einer realistischeren Einschätzung des Leistungspotenzials und der Grenzen eines Produktes
(Anpassung der Erwartungskomponente). Dies gilt sowohl für autonom durch die
Kunden initiierte Lösungsprozesse, die oft erst zu Anerkennung für die Komplexität
einer Lösung durch den Hersteller führen, als auch für herstellerinitiierte Prozesse, bei
denen z. B. ein Innovation-Toolkit als Instrument dient, Kunden an die Bestandteile
und Zusammenhänge einer Leistung heranzuführen. Ebenso erlaubt das im Rahmen
des Innovationsprozess bei den Nutzern gebildete Produktwissen, Erfüllungsprozesse
des Herstellers besser zu überwachen und zu beobachten (Nambisan 2002). Im
Resultat sollte die wahrgenommene Sicherheit der Nutzer in Bezug auf Produkt und
Anbieterverhalten zunehmen.
3.3.5 Soziale Bestätigung und externe Anerkennung
Schließlich kann Open Innovation auch Nutzen durch soziale Bestätigung hervorrufen.
Soziale Faktoren spielen eine Rolle, wenn menschliches Handeln durch andere beeinflusst ist bzw. auf andere Personen Einfluss nimmt (Reichwald / Seifert / Ihl 2004).
Gerade in einem Umfeld, in dem das Engagement eines Kunden in Innovationsaktivitäten für andere Marktteilnehmer sichtbar ist, treten eine Reihe sozial-psychologischer Motive hinzu. Dies zeigen nicht zuletzt Erfahrungen der Open-SourceSoftware-Entwicklung, bei der eine unüberschaubare Zahl von Entwicklern ihre
Aktivitäten gegenseitig “beobachtet” und bewertet (Franck / Jungwirth 2003; Hars / Ou
2002; Lakhani / Wolf 2005). Eine internetbasierte Kundenintegration bietet auch in vielen anderen Produktbereichen die Möglichkeit, eine große Anzahl von Kunden mit
verhältnismäßig geringem Aufwand zu vereinen. Das soziale “Moment” solcher
Communities kann unter Umständen die Innovationsbereitschaft der Kunden steigern,
indem Kunden sich gegenseitig bei Innovationsaufgaben unterstützen oder diese
gemeinsam ausführen (Piller et al. 2005). Kunden erwarten durch ihr Engagement in
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Interaktion mit anderen Kunden unter Umständen Anerkennung oder entsprechende
Gegenleistungen für geleistete Hilfestellung (Butler et al. 2002). Die Erwartung von
Anerkennung und Reziprozität wird in ökonomischen Betrachtungen oft als extrinsisches Motiv betrachtet (Harhoff / Henkel / von Hippel 2003). In einer sozialen Betrachtung findet dieser Austausch zwischen Kunden auch aufgrund des symbolischen
Wertes ihres Verhaltens und sozialer Normerfüllung wie Altruismus statt (Belk / Coon
1993; Ekeh 1974; Ozinga 1999). Die Interaktion zwischen Kunden entsteht aus
Vertrauen und der moralischen Verpflichtung heraus, einander zu helfen, unter
Umständen auch ohne unmittelbar eine Gegenleistung zu erwarten (Haas / Deseran
1981). Ihre Wertschätzung kann auch im Knüpfen sozialer Kontakte mit Gleichgesinnten liegen oder in der Möglichkeit, auf ihre Umwelt Einfluss zu nehmen
(Bandura 1995; Kollock / Smith 1999). Idealerweise passen die Ziele und Werte der
Gemeinschaft in das eigene Wertesystem der Nutzer und sind mit den Zielen des
Herstellers vereinbar. Erfahren innovative Kunden durch ihre Mitwirkung am
Innovationsprozess eine positive soziale Rückkopplung, kann ihre Zufriedenheit mit
dem Gesamtprozess steigen. Insgesamt aber zeigen aktuelle Studien, dass soziale
Motive zwar ein wichtiger Antriebsfaktor für Kunden sind, sich an einem
Innovationsprozess zu beteiligen, als alleiniges Motiv jedoch nicht ausreichen, ihre
Beteiligung und eine Steigerung der Zufriedenheit zu erklären. Soziale Faktoren können im Zusammenhang mit unserer Argumentation vor allem als moderierender
Faktor gesehen werden, der andere Zufriedenheitstreiber verstärkt.
Soziale Motive können auch als extrinische Motivation gesehen werden. Dies gilt vor
allem, wenn die Motivation nicht nur reine Anerkennung und Bestätigung durch andere Nutzer ist, sondern vielmehr die Hoffnung, dass die Anerkennung der eigenen
Innovationstätigkeit auch monetäre Gegenleistungen bringt. Hierzu zählen beispielsweise monetäre Anreize, Rabatte, Bonusprogramme, Gratisprodukte oder freiwillige
Zahlungen des Herstellerunternehmens (Brockhoff 2003). Ferner können Kunden längerfristig auf Karriereperspektiven in dem jeweiligen Unternehmen abzielen, indem
sie durch ihre Teilnahme an Innovationsaktivitäten Zusatzkompetenzen erwerben
oder sie die Unternehmen durch außerordentliches Engagement auf sich aufmerksam
machen (Hirschleifer 1971; Lerner / Tirole 2002; Raymond 1999; von Hippel 2005).
3.3.6 Kosten der Beteiligung am Innovationsprozess aus
Sicht der Nutzer
Neben den Nutzenerwartungen als Motive beziehen Kunden aber auch erwartete
Kostenaspekte in ihre Entscheidung ein, an Innovationsprozessen mitzuwirken. In
einer ökonomischen Betrachtung entstehen in Innovationskooperationen zwischen
Kunden und Anbietern Transaktionskosten für beide Parteien. Neben der
Koordination der Kooperation können bspw. für den Kunden prohibitive Kosten entstehen, um die exklusive Nutzung der Innovation sicherzustellen. Dies kann z. B. in
Investitionsgütermärkten von Interesse sein, wenn es darum geht, Konkurrenten von
einer Innovation auszuschließen (Harhoff / Henkel / von Hippel 2003). Im Folgenden
sollen Transaktionskosten des Interaktionsprozesses aus Kundensicht behandelt wer147
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
den. Dabei wird der Begriff Kosten unter verhaltensrelevanten Aspekten verwendet.
Aus Kundensicht werden der Zeiteinsatz und der Aufwand für die Beteiligung am
Innovationsprozess als (nicht monetäre) Kosten wahrgenommen.
Interaktionskosten
Das Anliegen von Kunden, Zeit und Aufwand zu minimieren, ist seit langem bekannt
(Anderson 1972). Sie honorieren einen Zeitgewinn durch erhöhte Zahlungsbereitschaft
oder entscheiden sich in bestimmten Situationen gegen eine Kaufhandlung, wenn der
zu investierende kognitive Aufwand zu groß erscheint (Simon 1976). Besonders wenn
Kunden mehr auf das Resultat einer Aktivität abzielen als auf die Aktivität selber,
legen sie Wert auf eine effiziente Durchführbarkeit ohne zusätzliche Barrieren (Babin /
Darden / Griffin 1994). Beiträge über Bequemlichkeit und das Management zeitlicher
Ressourcen implizieren, dass Kunden den Zeiteinsatz und Aufwand generell als
(nicht-monetäre) Kosten wahrnehmen. Beiträge zum Innovationsprozess sind umso
attraktiver, je geringer der Zeiteinsatz und der -aufwand für den Kunden als wahrgenommene Kosten ausfallen. Dementsprechend müssen Unternehmen nicht nur
Kaufprozesse, sondern auch einen interaktiven Innovationsprozess bequem und einfach gestalten (Berry / Seiders / Grewal 2002) oder den Komplexitätsgrad der Aufgabe
an den jeweiligen Kunden anpassen. Sind die Interaktionskosten aus Kundensicht zu
hoch, entscheiden sich Kunden gegen eine Beteiligung am Innovationsvorhaben (Hui /
Bateson 1991).
Psychologische Kosten
Neben Interaktionskosten können Kunden psychologische Kosten entstehen. Während
Interaktionskosten (Zeit und Aufwand) Gegenstand rationaler Überlegungen sind, entstehen psychologische Kosten vor dem Hintergrund emotionaler Abwägung von
Unsicherheiten (Baker et al. 2002). Die Unsicherheit, ob das eigene Engagement im
Innovationsprozess auch zum Ergebnis führt und damit zum erwarteten Nutzen des
Kunden bildet ein Beispiel für die Verursachung psychologischer Kosten.
Psychologische Kosten haben ihren Ursprung im wahrgenommenen Risiko, das als
Verlusterwartung des Kunden definiert werden kann (Stone / Grønhaug 1993). Kaplan,
Szybillo und Jacoby (1974) nennen unterschiedliche Komponenten von Unsicherheiten
bzw. Risiken, die auf die Innovationsentscheidung übertragen werden können: die
Befürchtung nicht gezahlter Aufwandsentschädigungen durch das Unternehmen
(finanzielles Risiko), keinen Innovationsbeitrag leisten zu können (Leistungsrisiko), bei
Produkttests verletzt zu werden (physisches Risiko), sich zu blamieren (soziales
Risiko), Zeit zu verschwenden (Zeitrisiko) sowie schließlich das Risiko psychologischer Unannehmlichkeiten wie Stress. Die kognitiven Kosten, die aus dem wahrgenommenen Risiko des Scheiterns resultieren, beeinflussen ebenso wie die Interaktionskosten die Entscheidung des Kunden über die Teilnahme am Innovationsprozess.
Zusammenfassung
Nicht alle Kunden eines Unternehmens eignen sich gleichermaßen für eine aktive
Beteiligung an Open Innovation. Vielmehr konzentriert sich diese Eignung auf ein ausgewähltes Kundensegment. Diese Kunden werden als Lead User bezeichnet. Lead
User sind mit dem bestehenden Marktangebot – trotz Early-Adopter-Verhaltens –
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Die Unternehmensperspektive – Wettbewerbsvorteile durch Open Innovation
unzufrieden und leiten auf Basis ihrer Konsumkompetenz innovationsrelevante
Bedürfnisinformationen ab. Des Weiteren agieren Lead User im Markt als Meinungsführer und der Produktbereich ist für sie von zentraler Bedeutung. Ihre kognitive
Komplexität erlaubt es Lead Usern zudem, Lösungsinformationen für ihre Bedürfnisse
zu entwickeln. Die Art, Ausdauer und Intensität der Beteiligung eines Lead Users an
Open Innovation wird durch dessen wahrgenommenen Gesamtnutzen bestimmt. In
ihre Innovationsentscheidung beziehen Lead User sowohl Nutzenerwartungen (im
Sinne verschiedener extrinsischer, intrinsischer und sozialer Motive) als auch
Kostenerwartungen (Interaktionskosten, psychologische Kosten) ein. Jedoch erlauben heute IuK-unterstützte Methoden der interaktiven Wertschöpfung, den Kreis der
aktiv in eine Phase des Innovationsprozesses eingebundenen Kunden stark zu erweitern. Methoden wie Innovationswettbewerbe oder Toolkits for User Innovation senken dabei aber nicht nur die Interaktionskosten aus Herstellersicht, sondern vor
allem auch aus Sicht der Kunden und senken damit die “Einstiegskosten” der
Interaktion.
Kasten 3–9:
Literaturempfehlungen zur Kundenperspektive
„
Brockhoff, Klaus (2003). Customers’ perspectives of involvement in new product development.
International Journal of Technology Management (IJTM), 26 (2003) 5 / 6: 464-481.
„
Franck, Egon / Jungwirth, Carola (2003). Die Governance von Open-Source-Projekten.
Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 73 (2003) Ergänzungsheft 5: 1-21.
„
Harhoff, Dietmar / Henkel, Joachim / von Hippel, Eric (2003). Profiting from voluntary information spillovers: how users benefit by freely revealing their innovations. Research Policy, 32
(2003) 10: 1753-1769.
„
Jacob, Frank (2003). Kundenintegrations-Kompetenz: Konzeptionalisierung, Operationalisierung und Erfolgswirkung. Marketing-Zeitschrift für Forschung und Praxis, 25 (2003) 2: 8398.
„
Lüthje, Christian (2004). Characteristics of innovating users in a consumer goods field: An
empirical study of sport-related product consumers. Technovation, 24 (2004) 9: 683-695.
„
von Hippel, Eric (1998). Economics of product development by users: the impact of “sticky”
local information. Management Science, 44 (1998) 5: 629-644.
3.4
Die Unternehmensperspektive –
Wettbewerbsvorteile durch Open Innovation
Ein Herstellerunternehmen kann durch Open Innovation eine Vielzahl an Erfolgskennziffern des Innovationsprozesses verbessern (siehe Abbildung 3–11). Eine generische Gliederung unterscheidet in dieser Hinsicht unter (Piller 2004):
„ Time-to-Market: Verkürzung des Zeitraums von Beginn der Entwicklung eines
Produktes bis zu dessen Markteinführung.
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„ Cost-to-Market: Reduktion der im Rahmen eines Innovationsprozesses von Beginn
der Planung eines Produktes bis zu dessen Markteinführung tatsächlich angefallenen und dem Produkt zurechenbaren Kosten.
„ Fit-to-Market: Steigerung der Marktakzeptanz eines neuen Produktes im Sinne
einer positiven Kaufeinstellung der Nachfrager (und damit Schaffung einer höheren Zahlungsbereitschaft).
„ New-to-Market: Steigerung des durch die Nachfrager wahrgenommenen
Neuigkeitsgrads einer Innovation und damit der Attraktivität des entsprechenden
Produkts.
Abbildung 3–11: Wettbewerbsvorteile durch Open Innovation
Fit-to-Market
New-to-Market
Wettbewerbsvorteile
durch
Open Innovation
Time-to-Market
Cost-to-Market
3.4.1 Reduzierung der Time-to-Market
Time-to-Market beschreibt den Zeitraum von Beginn der Entwicklung eines Produktes
bis zu dessen Markteinführung. Eine zeitbasierte Wettbewerbsstrategie “umfasst die
bewusste Gestaltung der zeitlichen Dimension von Wertschöpfungsprozessen und
intendiert den Aufbau von Fähigkeiten, die der Unternehmung erlauben, Neuprodukte im Vergleich zur Konkurrenz schneller zu entwickeln […] oder ganz allgemein
einen sich auftuenden Marktbedarf möglichst schnell durch ein entsprechendes
Marktangebot zu befriedigen” (Bitzer 1991). Die Reduzierung von Time-to-Market
gewinnt durch sich stetig verkürzende Produktlebenszyklen an entscheidender
Bedeutung. Unternehmen, die ihre Produkte vor der Konkurrenz im Markt einführen
können, haben die Möglichkeit, rasch einen hohen Marktanteil und somit Markteintrittsbarrieren aufzubauen. Sie nutzen Erfahrungskurven- und Skaleneffekte sowie die
erhöhte Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden in den frühen Phasen des Produktlebenszyklus. Des Weiteren fördert ein früher Markteintritt das Image eines Innovationsführers.
Die Reduktion von Entwicklungszeiten durch Open Innovation basiert auf den
Prinzipien und Vorteilen der Arbeitsteilung (Picot / Reichwald / Wigand 2003). Dabei
werden insbesondere diejenigen Innovationsaktivitäten von Kunden getragen, die
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Die Unternehmensperspektive – Wettbewerbsvorteile durch Open Innovation
implizites (lokales) Kundenwissen benötigen. Auf diese Weise können zeitraubende
Iterationen zwischen einem Hersteller und dessen potenziellen Kunden vermieden
werden. Im traditionellen Innovationsprozess durchläuft eine Innovationsidee bis zu
ihrer Marktreife zahlreiche Feedback-Schleifen zwischen einem Hersteller und dessen
potenziellen Kunden. Durch eine Iteration zwischen Variation und Kombination zulässiger Lösungsmöglichkeiten auf der einen und der Beurteilung dieser Möglichkeiten
(oft auf Basis von Prototypen) durch den Markt und/oder interne Stellen im
Unternehmen (Produktmanagement, Vertrieb, Marketing) auf der anderen Seite nähert
sich ein Hersteller den tatsächlichen (erwarteten) Bedürfnissen seiner (künftigen)
Kunden an (Tyre / von Hippel 1997).
Ein solches iteratives Vorgehen ist mit erheblichem zeitlichen Aufwand verbunden –
und das ohne dabei die Garantie zu geben, tatsächlich in einer erfolgreichen
Markteinführung zu enden. Open Innovation setzt dagegen an der Idee an, die Suche
nach einem geeigneten Lösungsdesign auf die Kunden zu übertragen. Dabei wird ein
iterativer Trial-and-Error-Prozess in der Domäne der Kunden angestoßen, bis diese
sich selbst ihrer individuellen optimalen Problemlösung angenähert haben. Eine zeitraubende Kunden-Hersteller-Iteration wird dagegen vermieden. Besonders die
Nutzung von Innovation-Communities und der Einsatz von Toolkits for User Innovation basieren auf diesem Prinzip. Dabei können die unterschiedlichsten Innovationsaufgaben an Anwender ausgelagert werden. Diese reichen von der Generierung
neuer Innovationsideen über erste Lösungskonzepte bis hin zur Entwicklung voll
funktionsfähiger Prototypen. Im Ergebnis führt diese Arbeitsteilung und Spezialisierung zu einer Zeitersparnis im Innovationsprozess des Herstellers.
3.4.2 Reduzierung der Cost-to-Market
Cost-to-Market bezeichnet die im Rahmen eines Innovationsprozesses von Beginn der
Planung eines Produktes bis zu dessen Markteinführung tatsächlich angefallenen und
dem Produkt zurechenbaren Kosten. Insbesondere im Rahmen zunehmend globaler
Märkte kommt dem Kostenfaktor der Produktentwicklung eine kritische Bedeutung
zu. Ceteris paribus steigert eine Senkung der Kosten für Forschung und Entwicklung
eines Produktes dessen Rentabilität und sichert das langfristige Wachstum einer
Unternehmung (Hauschildt 2004). Bei der Reduzierung von Forschungs- und
Entwicklungskosten leistet Open Innovation einen entscheidenden Beitrag, da die
Auslagerung definierter Innovationsaktivitäten eines Unternehmens an ausgewählte
Kunden nicht nur zu einer Zeit-, sondern auch einer Kostenersparnis führt. Dies ist
besonders dann der Fall, wenn Kunden Innovationsaktivitäten tragen, die über eine
reine Ideengenerierung hinausgehen und Investitionen in entsprechende Ressourcen
erfordern (z. B. Eigenentwicklung eines ersten Prototyps).
In der Phase der Markteinführung kommt ausgewählten Kunden eines Unternehmens noch eine weitere Bedeutung zur Senkung der Cost-to-Market zu, wenn diese
im Markt als Meinungsführer auftreten. Meinungsführer üben innerhalb ihres sozialen
Netzwerkes einen starken Einfluss auf andere aus und sind in der Lage, als
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
Multiplikator im Markt zu agieren und so die Bekanntmachung des Produktes ohne
finanzielle Motive zu forcieren (Flynn / Goldsmith / Eastman 1996; King / Summers
1970).
3.4.3 Steigerung des Fit-to-Market
Fit-to-Market beschreibt die Marktakzeptanz eines neuen Produktes im Sinne einer
positiven Kaufeinstellung der Nachfrager. Eine hohe Marktakzeptanz impliziert, dass
eine Innovation geeignet ist, existierende Marktbedürfnisse zu befriedigen. In diesem
Fall decken sich die Anforderungen eines Nachfragers an die Leistungsmerkmale eines
Produktes (z. B. Technologie, Qualität, Performance, Preis) mit dem Leistungsangebot
eines Herstellers (Diamantopoulos / Schlegelmilch / DuPreez 1995). Ein hoher Fit-toMarket bedeutet in der Regel auch, dass die Zahlungsbereitschaft der Kunden für ein
Produkt steigt (Franke / Piller 2004). Damit ist Fit-to-Market Bestandteil einer Differenzierungsstrategie im Rahmen des marktorientierten Ansatzes (siehe Abschnitt 2.4.5).
Ein hoher Fit-to-Market setzt voraus, dass Informationen über Bedürfnisse potenzieller Kunden (Bedürfnisinformationen) optimal mit Informationen hinsichtlich der
Lösung und Umsetzung dieser Bedürfnisse in ein entsprechendes Leistungsangebot
(Lösungsinformationen) verknüpft werden. Aus Sicht eines Herstellers verbessern sich
die Chancen eines hohen Fit-to-Market, wenn die Qualität an Bedürfnisinformationen
und/oder die Qualität an Lösungsinformationen zunimmt. Beides kann durch Open
Innovation realisiert werden.
Bedürfnisse eines einzelnen Nachfragers sind für ein Unternehmen besonders dann
von entscheidungsrelevanter Bedeutung, wenn sie für ein attraktives Marktsegment
der Zukunft repräsentativen Charakter haben. In diesem Fall verfügt der Nachfrager
über ein Bedürfnis, welches für ein relativ großes Marktsegment ebenfalls an Relevanz
gewinnt. Solche innovativen Bedürfnisse lassen sich durch traditionelle Methoden der
Marktforschung jedoch nur unzureichend erheben. Marktforschung im traditionellen
Innovationsprozess behandelt den Kunden als repräsentative, statistische Durchschnittsgröße. Durch den Einsatz reaktiver Marktforschungsinstrumente wird versucht, latente Kundenbedürfnisse zu erfassen und zu testen. Bedürfnisse des “Normalkunden” haben jedoch keinen Problemlösungscharakter im Sinne einer gezielten
Interaktion zwischen Kunde und Unternehmen.
Open Innovation hingegen fokussiert die aktive Integration von Lead Usern in den
Innovationsprozess. Wie wir bereits gesehen haben, verfügen Lead User über
Bedürfnisse, die zeitlich nachgelagert für ein relativ großes Marktsegment an
Bedeutung gewinnen. Informationen über Bedürfnisse von Lead Usern verbessern so
die Qualität an Bedürfnisinformationen im Innovationsprozess eines Unternehmens.
Deshalb kann der Hersteller die resultierende Innovation oft erfolgreich im
Gesamtmarkt platzieren. So berichten Lilien et al. (2002), dass die Lead-User-Methodik
bei der Firma 3M Produkte hervorgebracht hat, die sowohl radikaler auf neue
Kundenbedürfnisse eingehen als auch finanziell deutlich erfolgreicher sind als Produkte, die das Resultat eines klassischen Entwicklungsprozesses aus Marktforschung
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Die Unternehmensperspektive – Wettbewerbsvorteile durch Open Innovation
und interner Entwicklung sind (siehe ähnlich Gruner / Homburg 2000; Kleinaltenkamp
/ Dahlke 2001; Herstatt / von Hippel 1992; Lüthje / Herstatt / von Hippel 2005; Lüthje /
Herstatt 2004; von Hippel / Thomke / Sonnack 1999). Die deutlich höheren Umsätze der
Lead-User-Produkte im Verhältnis zu vergleichbaren, aber konventionell entwickelten
Produkten lassen sich durch ihre höhere Marktattraktivität erklären, die auch mit einer
höheren Kundenzufriedenheit durch einen besseren Fit zwischen Produkteigenschaften und Nutzerbedürfnis einhergehen sollte.
Open Innovation trägt des Weiteren zu einer Verbesserung der Qualität an Lösungsinformationen im Innovationsprozess bei. Lösungsinformationen umfassen Informationen zur Transformation von Bedürfnisinformationen in ein konkretes Leistungsangebot. Im klassischen Innovationsprozess nutzen Unternehmen die Lösungsinformationen ihrer Experten aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Wie in
Abschnitt 3.2.1 aufgezeigt wurde, verfügen Lead User ebenfalls über Lösungskompetenz. Open Innovation macht sich dieses Phänomen zu Nutze. Der Kundenbeitrag zur Gesamtinnovation bewegt sich innerhalb eines Kontinuums und erstreckt
sich von einer Bedarfserkennung über die Entwicklung erster konzeptioneller technischer Lösungen zur Befriedigung dieses Bedarfs bis hin zum Design und der Fertigung
erster Quasi-Prototypen. Es kommt so zu einer Erweiterung der Spannbreite an Ideenund Lösungsfindungsinformationen (Katila / Ahuja 2002).
3.4.4 Erhöhung des New-to-Market
New-to-Market beschreibt den durch die Nachfrager wahrgenommenen Neuigkeitsgrad einer Innovation. Der traditionelle Innovationsprozess bringt regelmäßig inkrementelle Innovationen hervor. Solche Innovationen basieren auf vorhandenem
Wissen, orientieren sich an bestehenden Problemlösungen und zeichnen sich aus Sicht
des Nachfragers durch einen geringen Neuigkeitsgrad aus. Häufig handelt es sich um
Weiterentwicklungen eines bestehenden Produktes oder um Modellpflegen (Christensen 1997; Christensen / Overdorf 2000). Die Ursache für dieses Verhalten haben wir
bereits beschrieben: Da Hersteller in der Regel eher Lösungsinformation in ihrer
Domäne haben, setzen sie vor allem dieses Verfahrens- und Produktionswissen für den
Innovationsprozess ein (Ogawa 1998,; Riggs / von Hippel 1994; Szulanski 2000).
Nutzerinnovationen dagegen sind in der Regel eher funktional neue Innovationen, da
sie eben an einem unbefriedigten Bedürfnis der Nutzer ansetzen. Die Nutzung von
Bedürfnis- und Lösungsinformationen ausgewählter Kunden im Rahmen der Open
Innovation unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung von Innovationen, die über
inkrementelle Verbesserungen hinausgehen (Riggs / von Hippel 1994). Kunden sind
jedoch nicht nur in der Lage, bestehende Produkte eines Unternehmens durch neue
Funktionalitäten zu verbessern. Vielmehr ist eine Reihe von Märkten speziell im
Bereich der Sportindustrie erst durch Open Innovation entstanden. Kite-Surfing wurde
beispielsweise von Surfern initiiert, die – getrieben von dem Wunsch nach immer höheren und weiteren Sprüngen – mit der Kombination eines Surfboards und eines Segels
vom Drachenfliegen experimentierten (siehe oben Kasten 2–7). Auch die Wurzeln des
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
Snowboards, Skateboards und Surfboards gehen auf die Bedürfnisse und Lösungen
von Nutzern zurück und nicht auf Innovationslabors von Unternehmen (von Hippel
2005). Diese Beispiele lassen die Vermutung zu, dass Lead User insbesondere auch
radikale Innovationen hervorbringen.
3.4.5. Kosten aus Sicht des Herstellers
Neben den in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Vorteilen von Open
Innovation sehen sich Hersteller regelmäßig mit einer Reihe von Kosten konfrontiert,
die bei der Implementierung und operativen Umsetzung der Innovationsstrategie entstehen. Einer prozessorientierten Perspektive folgend können wir an dieser Stelle
unterscheiden zwischen Kosten der Durchsetzung, Umsetzung und Kontrolle von
Open Innovation.
Kosten der Durchsetzung von Open Innovation sind Kosten innerbetrieblicher
Organisation. Es handelt sich um finanzielle und zeitliche Aufwendungen, um Open
Innovation als Innovationsstrategie innerhalb der Organisation zu verankern. Da
Open Innovation eine substanzielle Abweichung von herkömmlichen
Innovationsprozessen, im Sinne des manufacturer-active paradigms, darstellt, entstehen im Wesentlichen Kosten der innerbetrieblichen Kommunikation der
Prinzipien von Open Innovation. Diese Kosten sind tendenziell umso höher, je ausgeprägter ein Hersteller die Ablauforganisation bisher auf einen geschlossenen
Innovationsprozess hin ausrichtete. Zu den Kosten der Durchsetzung von Open
Innovation zählen somit Kosten der Information sowie Kommunikationskosten zur
Überwindung innerbetrieblicher Widerstände, insbesondere des not-invented-hereSyndroms.
Kosten der Umsetzung von Open Innovation sind Kosten der Integration von
Kunden in den Innovationsprozess. Einem Hersteller entstehen zunächst Kosten zum
Aufbau geeigneter Infrastruktur, um Kundenwissen zu absorbieren. Hierbei kann es
sich beispielsweise um Kosten für den Aufbau, die Pflege und Wartung virtueller
Plattformen handeln, über welche der Hersteller mit seinen Kunden in Kontakt tritt.
Einen weiteren Kostenblock bilden Kosten der Identifikation innovativer Kunden.
Dieser umfasst Kosten zur Entwicklung eines validen und reliablen Identifikationsinstruments innovativer Kunden (z. B. durch Screening-Fragebögen oder virtuelle
Börsen), Kosten der Kommunikation mit dem Kunden sowie Kosten zur Schaffung
geeigneter Kunden-Anreizstrukturen. Schließlich entstehen einem Hersteller Kosten
bei der operativen Integration von Kunden, beispielsweise bei der Durchführung von
Innovationsworkshops im Rahmen der Lead User Methode.
Kosten der Kontrolle von Open Innovation sind Kosten der Evaluation des
Kundeninputs. So ist die Bewertung von Kundenbeiträgen regelmäßig mit hohem zeitlichem Aufwand verbunden (siehe hierzu die manuelle Auswertung von
Kundenbeiträgen in virtuellen Communities, Abschnitt 3.5.4). Kosten der Evaluation
entstehen weiterhin, um missbräuchliches Verhalten bestimmter Kunden zu verhin154
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Instrumente von Open Innovation
dern bzw. frühzeitig zu erkennen. So ist es denkbar, dass Wettbewerber eines
Herstellers sich als Kunden ausgeben, mit dem Ziel, den Hersteller zu nicht marktgerechten Aufwendungen – z. B. durch technologisch unrealisierbare Vorschläge (“perpetuum mobile-Erfindungen“) – zu veranlassen (Brockhoff 2005). Weiterhin besteht
die Gefahr, dass Individuen die Hersteller-Kunden-Aktion durch gehäufte unqualifizierte Beiträge (i.S.v. Spam) bewusst zu stören versuchen. Kosten der Kontrolle umfassen demnach die Summe an Kosten, welche beim Aufbau geeigneter Prüfroutinen des
Kundeninputs im Rahmen von Open Innovation entstehen.
Konkrete Instrumente, mit denen Unternehmen die Vorteile und Kosten von Open
Innovation erfassen, bewerten und steuern können, existieren noch nicht. Klassische
Systeme der Kosten- und Leistungsrechnung greifen an dieser Stelle aber zu kurz. Für
die erfolgreiche Verbreitung der Gedanken von Open Innovation in der Wirtschaftspraxis sind aber Maßzahlen und Systeme zu ihrer Erfassung wichtige
Voraussetzung. An dieser Stelle ergeben sich viele Aufgaben und Möglichkeiten für
zukünftige Forschung und Beratung. Einen ersten Anhaltspunkt könnte die
Diskussion um die Entwicklung zu Maßzahlen des Kundenwerts und des Erfolgs von
Initiativen des Customer Relationship Management (CRM) sein.
Kasten 3–10:
Literaturempfehlungen zur Herstellerperspektive
„
Bartl, Michael (2005). Virtuelle Kundenintegration in die Neuproduktentwicklung. Dissertation
an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU), Koblenz, September
2005.
„
Henkel, Joachim / von Hippel, Eric (2005). Welfare implications of user innovation. Journal of
Technology Transfer, 30 (2005) 1-2 (January): 73-88.
„
Herstatt, Cornelius / Lüthje, Christian / Lettl, Christopher (2002). Wie fortschrittliche Kunden zu
Innovationen stimulieren. Harvard Business Manager, 24 (2002) 1: 60-68.
„
Krieger, Katrin (2005). Customer Relationship Management und Innovationserfolg: Eine theoretisch-konzeptionelle Fundierung und empirische Analyse. Wiesbaden: Gabler 2005.
„
Lüthje, Christian (2000). Kundenorientierung im Innovationsprozess. Eine Untersuchung der
Kunden-Hersteller-Interaktion in Konsumgütermärkten. Wiesbaden: Gabler 2000.
3.5
Instrumente von Open Innovation
Die vorangehenden Abschnitte dieses Kapitels haben argumentiert, dass es sich lohnt,
konventionelle Innovationsprozesse zu öffnen und durch den Gedanken von Open
Innovation zu ergänzen. Dazu wollen wir in diesem Abschnitt eine Reihe von
Instrumenten vorstellen, die Open Innovation konkret umsetzen. Wir argumentieren
dabei aus der Perspektive eines Herstellers, der aktiv einen Open-Innovation-Prozess
anstoßen und gestalten will. Rein empirisch vollziehen sich bislang die meisten Fälle
von Nutzerinnovation außerhalb der Domäne eines Herstellers, indem ein Lead User
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
aus eigenem Antrieb eine innovative Lösung schafft, um ein offenes Bedürfnis zu stillen. Die vier Instrumente von Open Innovation, die wir im Folgenden vorstellen, haben
teilweise zum Ziel, diese autonomen Lead-User-Innovationen zu entdecken und für
das Unternehmen nutzbar zu machen. Sie zielen aber vor allem darauf ab, innovative
Kunden im Sinne unserer Vision der interaktiven Wertschöpfung aktiv und zielgerichtet in den Innovationsprozess mit einzubeziehen und gemeinsam mit ihnen eine neue
Problemlösung zu schaffen.
„ Die Lead-User-Methode besteht auf der Identifikation innovativer Nutzer und
deren Einbindung in Innovationsworkshops.
„ Toolkits für Open Innovation sind ein internetgestütztes Instrument, das Nutzer
unterstützen soll, selbst ihre Bedürfnisse in neue Produktkonzeptionen zu übertragen.
„ Innovationswettbewerbe zielen auf die Generierung von Input für die frühen
Phasen des Innovationsprozesses und fördern innovative Ideen durch einen
Wettbewerb zwischen verschiedenen Nutzern.
„ Communities für Open Innovation tragen der Tatsache Rechnung, dass
Innovation meist das Ergebnis eines kollaborativen Zusammenarbeitens mehrerer
Akteure ist und zielen auf die Bewertung, aber auch Generierung neuer Ideen in
einer virtuellen Gemeinschaft.
3.5.1 Die Lead-User-Methode
Die Lead-User-Methode ist eine qualitative, prozessorientierte Vorgehensweise und
zielt auf die aktive Einbindung ausgewählter Kunden, um mit diesen Ideen und Konzepte für neue Produkt- oder Prozessinnovationen zu generieren. Den Kern der
Methode bilden so genannte Lead-User-Workshops, die das kreative Kundenpotenzial
durch Nutzung gruppendynamischer Effekte zu Tage fördern. Idealtypisch lässt sich
die Methode, wie in Abbildung 3–12 gezeigt, in vier Phasen strukturieren (Herstatt /
von Hippel 1992; Lüthje / Herstatt 2004; Urban / von Hippel 1988; von Hippel 1986), die
wir im Folgenden näher betrachten wollen.
Die ersten beiden Schritte sind dabei eher allgemeiner Natur und typische grundlegende Aktivitäten vieler Projekte im Innovationsmanagement. Zentrale Phase ist die
Identifikation von Lead Usern, wozu es verschiedene Methoden gibt. Die letzte
Phase, die gemeinsame Konzeptentwicklung zwischen Hersteller und identifizierten
Lead Usern, geht dagegen bereits von der Vorstellung eines interaktiven Wertschöpfungsprozesses aus, in der gemeinsam zwischen Anbieter und Nachfrager eine
innovative Problemlösung entwickelt wird. In der klassischen Literatur zum Lead
User (Urban/von Hippel 1988; von Hippel 1986) findet dieser Schritt nicht statt. Hier
wird davon ausgegangen, dass der Lead User bereits in der eigenen Domäne einen
innovativen Prototyp entwickelt hat, den der Hersteller autonom in seinen Bereich
überträgt.
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Instrumente von Open Innovation
Abbildung 3–12: Phasen der Lead-User-Methode
Schritt 1
Schritt 2
Schritt 3
Lead-UserProjektinitiierung
Trendanalyse
Lead User
Identifikation
Schritt 4
Konzeptdesign
• Teambildung
• Desk Research
• Pyramiding
• Lead User Workshop
• Definition Zielmarkt
• Experteninterviews
• Screening
• Zieldefinition des
Projekts
• Delfi-Studie
• Analoge Märkte
• Evaluierung und
Dokumentation der
Ergebnisse
• Szenarioanalyse
• Selbstselektion
Phase 1: Projektinitiierung
Ein Unternehmen definiert in dieser Phase ein internes Team, welches die Durchführung der Methode verantwortet. Wie für viele Aufgaben des Innovationsmanagement gefordert, sollte sich dieses Team interfunktional aus erfahrenen Mitarbeitern
der Bereiche Forschung- und Entwicklung, Fertigung sowie Marketing zusammensetzen. Bei der Auswahl der Teammitglieder ist insbesondere deren zeitliche Restriktion
zu beachten. Fallstudien berichten von einem Arbeitsaufwand von ca. 20 Wochenstunden pro Teammitglied – bei einer Projektlaufzeit von vier bis sechs Monaten
(Herstatt / von Hippel 1992; von Hippel / Thomke / Sonnack 1999). Zunächst evaluieren die Teammitglieder durch Interviews mit den jeweiligen Entscheidungsträgern,
welcher Produktbereich des Unternehmens sich in besonderem Maße für einen
Einsatz der Lead User Methode eignet: Besteht innerhalb eines Produktbereiches ein
hoher Innovationsdruck? Ist der Produktbereich von der Methode überzeugt und
bereit, zeitlichen und finanziellen Aufwand zu investieren? Sind dem Produktbereich
bereits innovative Kunden bekannt oder existiert ein guter Zugang zur Kundenbasis?
Im Ergebnis erfolgt so die Auswahl eines Produktbereichs, in welchem die Methode
zum Einsatz kommt.
Phase 2: Trendanalyse
Das Innovationsvorhaben aus Phase 1 wird nun einer Trendanalyse unterzogen, die
dann in der nächsten Phase den Ausgangspunkt für die Identifikation potenzieller
Lead User darstellt. Ein Trend bezeichnet eine erfassbare gesellschaftliche, wirtschaftliche oder technische Grundtendenz. Zur Identifikation solcher Trends stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Typischerweise erfolgt eine erste Trenddefinition durch
Nutzung von Branchen- und Technologiereports, Veröffentlichungen externer
Forschungseinrichtungen sowie Methoden der Interpolation und der historischen
Analogie. Zudem können unternehmensinterne Experten im Bereich der Forschungund Entwicklung oder des Vertriebs erste Anhaltpunkte für sich abzeichnende Trends
liefern. Weiterhin existieren für die Prognose von Trends eine Reihe von speziellen
qualitativen Techniken wie die Delphi-Methode oder die Szenario-Analyse (de Lurgio
1998; Hanke / Reisch 2004):
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„ Die Delphi-Methode basiert auf einer strukturierten Gruppenkommunikation, um
valide Zukunftsinformationen zu ermitteln. Ihr (sehr aufwändiges) Vorgehen
basiert auf einer von der RAND-Corporation im Jahr 1964 entwickelten
Befragungsmethode. Eine Fachkommission erarbeitet zunächst Thesen bezüglich
der Existenz und der Entwicklung eines Trends im Zeitablauf. Diese Thesen werden dann in einen standardisierten Fragebogen übersetzt und einer Expertengruppe zur Beantwortung vorgelegt. In der Regel erfolgt kein Austausch unter den
Experten, d. h. jeder Experte gibt sein individuelles Urteil auf Basis seiner
Erfahrung ab. Nach Auswertung der Expertenmeinungen in Form eines
Mittelwertes über die Urteile aller Beteiligten wird dieses Ergebnis im Rahmen
einer anonymisierten Rückmeldung nochmals den Experten vorgelegt und um ein
erneutes Urteil gebeten. Auf diese Weise kommt es zur gezielten Auslösung kognitiver Prozesse und schließlich zu einer Verbesserung der Qualität der
Ausgangsinformationen (Grupp 1995; Häder / Häder 1994; Köhler 1978).
„ Den Ausgangspunkt der Szenario-Analyse bildet ein Trendszenario im Zeitablauf,
d. h. eine prognostizierte Trendentwicklung unter der Prämisse stabiler externer
Faktoren. Im Regelfall muss jedoch davon ausgegangen werden, dass sich
Umweltbedingungen und somit auch der prognostizierte Trend im Zeitablauf
ändern. Dies berücksichtigt die Szenarioanalyse durch die Identifikation negativer
und positiver Extremszenarios. Zunächst gilt es, die Gesamtheit an Faktoren zu
ermitteln, welche Einfluss auf den untersuchten Trend haben. In einer Einflussanalyse wird nun mit einer Vernetzungstabelle (“Einflussmatrix”) untersucht,
wie sich die einzelnen Faktoren wechselseitig beeinflussen. In einem nächsten
Schritt erfolgt die Ermittlung möglicher Ausprägungen dieser Faktoren, z. B.
durch den Einsatz eines morphologischen Kastens. Die mathematische Kombination dieser Faktorausprägungen spiegelt dann unterschiedliche Szenarien wider.
Diese werden im Anschluss auf logische Konsistenz der Faktorausprägungen
geprüft und aufgrund ihrer Ähnlichkeit oder Bedeutung komprimiert. Im Ergebnis
entstehen so Trendszenarios in einem Intervall, welches durch ein positives und
negatives Extremszenario begrenzt wird (Brauers / Weber 1986; Gausemeier / Fink /
Schlake 1996; Mißler-Behr 1993).
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich bei der Vorhersage eines Trends stets um
eine Prognose handelt. Zwischen der Prognose und dem tatsächlich eintretenden
Ereignis bestehen stets Abweichungen. Um den Prognosefehler jedoch zumindest zu
minimieren, erfordert die Trendprognose besondere Sorgfalt, Aufmerksamkeit und
Methodenwissen. Phase 1 und 2 bilden den Anfangspunkt vieler Maßnahmen des
Innovationsmanagements. Sie sind aber vor allem im Zusammenhang mit der LeadUser-Methode sehr wichtig – und deshalb durch das gleiche Team auszuführen, das
auch für die folgenden Schritte verantwortlich ist – damit die Beiträge und Ideen der
Lead User in einem der Situation des Unternehmens angemessenen Kontext interpretiert werden können.
Phase 3: Identifikation von Lead Usern
Bisher wurde das Innovationsvorhaben des Unternehmens (angestrebte Innovation
innerhalb eines definierten Produktbereiches) konkretisiert und einer Trendanalyse
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Instrumente von Open Innovation
unterzogen. Es gilt nun, innovative Nutzer zu identifizieren, welche die festgelegten
Trends anführen, um diese in der nächsten Phase im Rahmen eines Workshops in den
Innovationsprozess zu integrieren.
Wie wir jedoch in Abschnitt 3.3.1 bereits diskutiert haben, sind nicht alle potenziellen
Kunden bzw. Nutzer einer Leistung in der Lage, innovatives Verhalten zu entwickeln
und eigenständige Innovationsideen und -konzepte hervorzubringen. Die zentrale
Herausforderung ist somit, die Charakteristika innovativer Kunden an der
Grundgesamtheit aller potenziellen Kunden zu spiegeln, um auf diese Weise innovative von weniger innovativen Kunden zu trennen. Ein solches Vorgehen setzt jedoch voraus, dass das Unternehmen die zukünftige Grundgesamtheit potenzieller Kunden des
Innovationsvorhabens kennt. Tendenziell ist dies ceteris paribus umso unwahrscheinlicher, je höher der Neuheitsgrad einer Innovation (und vice versa).
Speziell bei radikalen Innovationen und Marktinnovationen ist die Definition der
Grundgesamtheit oft schwierig. Ferner konnte in empirischen Studien gezeigt werden,
dass innovative Kunden nicht nur im eigentlichen Zielmarkt des Innovationsvorhabens existieren, sondern auch in so genannten analogen Märkten (Pötz / Franke
2005; von Hippel / Thomke / Sonnack 1999). Ein analoger Markt ähnelt hinsichtlich der
Bedürfnisse der Nachfrager und/oder der eingesetzten Technologie dem Zielmarkt,
gehört aber oft einer völlig anderen Branche an. Gerade Lead User aus einem solchen
Markt können für einen interaktiven Wertschöpfungsprozess in der Innovation entscheidend beitragen, da sie eine Kombination des Wissens aus verschiedenen
Domänen erlauben und somit oft den Problemlösungsraum erweitern (ein Beispiel
wäre die Nutzung von Experten in der Auswertung von Satellitenbildern als Lead User
zur Definition einer innovativen Lösung zur automatischen Auswertung von
Röntgenbildern). Jedoch ist die Identifikation analoger Märkte oft nicht einfach, und es
existieren keine Lehrbuchmethoden in diesem Bereich.
Methodisch stehen einem Unternehmen eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung,
innovative Kunden zu identifizieren. Die am häufigsten diskutierten Verfahren sind
die Suchtechniken “Screening” und “Pyramiding” (von Hippel / Franke / Prügl 2005).
Der Einsatz beider Verfahren setzt voraus, dass die in Abschnitt 3.3.1 diskutierten
Eigenschaften innovativer Kunden in ein dem Innovationsvorhaben angepassten Set
an Fragen überführt werden. Das Antwortverhalten eines Befragten lässt dann
Rückschlüsse zu, ob dieser sich für die Partizipation an einem Lead User Workshop
eignet. Während die Suchtechnik des Screening eine Parallelsuche darstellt, handelt es
sich bei Pyramiding um eine sequentielle Suche (Abbildung 3–13).
Welche Suchmethode ist geeigneter, um innovative Kunden zu identifizieren? Auf
diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Jedoch lassen sich die folgenden
Vermutungen anstellen.
„ Die Suchtechnik “Pyramiding” ist besonders dann geeignet, wenn die zukünftige
Grundgesamtheit potenzieller innovativer Kunden schwer abgrenzbar ist (technische und radikale Innovationen), innerhalb des Suchfeldes ein starkes soziales
Netzwerk unter den Befragten besteht und der Fragenkatalog zur Identifikation
aus wenigen, einfach zu beantwortenden Fragen besteht.
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
Abbildung 3–13: Die Suchtechniken Pyramiding und Screening (in Anlehnung an von
Hippel / Franke / Prügl 2005)
Screening
Beim Screening werden Charakteristika
innovativer Kunden in einen Fragebogen
übersetzt, der einer repräsentativen
Stichprobe bzw. der Grundgesamtheit
parallel zur Beantwortung vorgelegt wird.
Die Selbstauskunft der Probanten über ihre
subjektive Eignung für eine Partizipation an
der jeweiligen Innovationsaufgabe dient
dann als Entscheidungsgrundlage für die
Auswahl innovativer Kunden.
Pyramiding
Pyramiding beruht auf der Existenz sozialer
Netzwerke, d.h. einem Beziehungsgeflecht,
welches Menschen mit anderen Menschen
verbindet. Den Ausgangspunkt bildet die
Befragung eines beliebigen Mitglieds dieses
Netzwerks in Bezug auf die Empfehlung einer
Person, welche hinsichtlich der Charakteristika
innovativer Kunden aus Sicht des Befragten
qualifizierter ist. Auf diese Weise entsteht ein
„Schneeballeffekt“ und man tastet sich
sequentiell an die innovativsten Kunden heran.
„ Die Eignung von “Screening” ist dann gegeben, wenn sich die Grundgesamtheit
potenzieller Kunden gut abgrenzen lässt (Inkremental- und Marktinnovationen),
kein oder nur ein sehr schwach ausgeprägtes Netzwerk unter den Befragten vermutet wird und der Fragenkatalog zur Identifikation umfangreich und komplex
ausfällt (siehe für ein aktuelles Beispiel aus der Industrie Lang 2005).
Neben den Suchtechniken des “Pyramiding” und des “Screening” werden in der
Literatur noch eine Reihe weiterer Techniken diskutiert. Diese zielen darauf ab, dass
sich innovative Kunden selbst identifizieren (Self-Selection):
„ Eine Möglichkeit der Selbstselektion ist, dem eigentlichen Innovationsvorhaben
einen Ideenwettbewerb vorzuschalten (siehe dazu Abschnitt 3.5.3). Die Qualität der
Innovationsidee eines Teilnehmers des Wettbewerbs dient hier als Prädiktor für dessen innovatives Potenzial (Walcher 2006). Ebenso können Nutzer eines Toolkits für
Open Innovation, die dort besonders innovative Lösungen geschaffen haben, zu
einem Lead-User-Workshop eingeladen werden (zu Toolkits siehe Abschnitt 3.5.2).
„ Andere Arbeiten diskutieren die Eignung virtueller Börsen als Methode der
Selbstselektion (Spann et al. 2004). Auf virtuellen Börsen werden, den Prinzipien
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echter Aktienmärkte folgend, zukünftige Marktzustände gehandelt (z. B. der Absatz
bestimmter Produkte innerhalb eines definieren Zeitraums). Die Erwartungen der
Teilnehmer bezüglich zukünftiger Marktzustände spiegeln sich dann im Wert der
virtuellen Aktien wider. Entsprechend der Hayek-Hypothese werden durch eine
virtuelle Börse asymmetrisch verteilte Informationen der Marktteilnehmer am effizientesten aggregiert. Erfolgreiche “virtuelle Börsianer” verfügen gegenüber erfolglosen demnach über einen Informationsvorsprung (Wissen und Erfahrung in Bezug
auf den virtuellen Markt). Eben dieser ist ein Merkmal innovativer Kunden.
An dieser Stelle sollte deutlich werden, dass es keinen “Königsweg” zur Identifikation
innovativer Kunden gibt. Jede Methode verfügt sowohl über Vor- als auch Nachteile.
Sinnvoll erscheint insbesondere, unterschiedliche Methoden miteinander zu kombinieren. So könnte beispielsweise nach erfolgreichem “Pyramiding” ein “Screening” weiteren Aufschluss über eine Eignung ausgewählter Kunden geben oder eine virtuelle
Börse als Anknüpfungspunkt für ein “Screening” oder “Pyramiding” dienen. Im
Ergebnis erfolgt durch den individuellen Einsatz unterschiedlicher Suchmethoden in
dieser Phase eine Auswahl innovativer Kunden.
Wie bereits zu Beginn dieses Abschnitts angeführt, gehen die in diesem Kapitel
beschriebenen Methoden und Instrumente von der Vorstellung eines herstellerinitiierten Open-Innovation-Prozesess aus. Dies heißt für die Lead-User-Methodik die aktive Suche nach Kunden und Nutzern mit potenziellen Lead-User-Eigenschaften, die
dann im folgenden Schritt aktiviert und zu “innovativem Verhalten” motiviert werden
können. In vielen Fällen aber werden Lead User ohne Anregung oder Identifikation
durch einen Hersteller aktiv. Eine Selbstselektion kann deshalb auch über die
Ermittlung bereits gezeigten innovativen Verhaltens erfolgen. Viele Lead-UserInnovationen werden vom Hersteller zufällig entdeckt (und zunächst oft als unbedeutend eingestuft) oder von einem Lead User aus eigener Motivation an den Hersteller
herangetragen. Damit erhält das Unternehmen auch ohne einen formalen Prozess
Zugang zu Lead-User-Information. Allerdings eröffnen Nutzer, die bereits in der
Vergangenheit eigenständig Innovationen im Zielmarkt hervorgebracht haben, oft
auch große Potenziale für zukünftige unternehmensdefinierte Innovationsprojekte. Die
Pflege der einmal erfolgreich identifizierten Lead User wird so zu einer wichtigen
Aufgabe (“Innovator Relationship Management”).
Phase 4: Konzeptdesign in Lead-User-Workshops
Die identifizierten innovativen Kunden werden nun durch den Hersteller zu einem
Innovationsworkshop eingeladen, in welchem für das definierte Innovationsvorhaben
gemeinsam Innovationsideen und -konzepte entwickelt werden. Alle vorangehenden
Schritte sind im Grunde nur Mittel zum Zweck, einen solchen Workshop erfolgreich
durchführen zu können. Die Qualität der hier generierten Ergebnisse bestimmt den
Erfolg des Lead-User-Projektes. Auch wenn es keine genaue Anleitung für den erfolgreichen Ablauf eines Lead-User-Workshops gibt, so besteht dieser in der Regel aus
einigen Elementen, die wir im Folgenden ansprechen wollen.
Ein Innovationsworkshop setzt sich in der Regel aus ca. zehn Kunden, dem Lead-UserTeam und einem erfahrenen Moderator, welcher den Workshop lenkt, zusammen. Die
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zeitliche Dauer beträgt zwischen einem halben und zwei Tagen (anhängig von der
Komplexität des Problems). Die Rolle des (in der Regel externen) Moderators ist die Vermittlung zwischen den Beiträgen der Kunden und der Unternehmensteilnehmer. Auch
leistet ein Moderator wichtige methodische Unterstützung bei der Anregung und Strukturierung der Beiträge der Teilnehmer. Ein Workshop ist neben dem fachlichen auch stets
durch den sozialen Austausch zwischen den Teilnehmern geprägt. Ein Moderator sollte
hier eventuelle Spannungen abbauen und die in der Regel gewollte Heterogenität der
Teilnehmer nutzen, um einen zielführenden Problemlösungsprozess anzustoßen.
Der Workshop beginnt in der Regel mit einem Briefing durch das Unternehmen, eine
Vorstellung des grundsätzlichen Produktbereiches und einer Definition des Problems.
Anschließend werden die Teilnehmer durch den gezielten Einsatz ausgewählter
Kreativitätstechniken angeregt, in mehreren Runden eigene Ideen zur Lösung des
Problems zu generieren (Abbildung 3–14 nennt einige dieser Techniken; siehe hierzu
im einzelnen Geschka / Lantelme 2005). Kreativitätstechniken sind Methoden, die den
Ideenfluss einer Gruppe beschleunigen, gedankliche Blockaden umgehen, die
Suchrichtung erweitern und die Problemformulierung präzisieren (Hornung 1996).
Unterschieden werden intuitive und diskursive Techniken. Intuitive Methoden zielen
darauf ab, Gedankenassoziationen zu fördern, während diskursive Methoden eine
systematische, logisch-prozessorientierte Lösungssuche anstreben.
Abbildung 3–14: Kreativitätstechniken im Innovationsprozess (siehe zu diesen Verfahren
Geschka / Lantelme 2005)
Intuitive Methoden
diskursive Methoden
Techniken der freien Assoziation
Konfrontationstechniken
„ Brainstorming
„ Exkursionssynektik
„ Ringtauschtechnik
„ Reizwortanalyse
„ Kartenumlauftechnik
„ Visuelle Konfrontation
„ Mind Mapping
„ Bildkarten-Brainwriting
Techniken der strukturierten Assoziation
„ TRIZ-Lösungsprinzipien
„ Walt Disney Methode
Imaginationstechniken
„ 6-Hüte-Methode
„ Take a Picture of the Problem
Kombinationstechniken
„ Morphologisches Tableau
„ Try to become the Problem
„ Geleitete Fantasiereise
„ Morphologische Matrix
„ Attribute Listing
Die so generierten Ideen und Problemlösungsvorschläge werden, wenn möglich, noch
während des Workshops durch Experten aus der Firma gespiegelt und – sollte eine
Simulation mit Rapid-Prototyping-Verfahren möglich sein – auch umgesetzt, um auch
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die Teilnehmer in die Evaluierung einzubinden. Die Ergebnisse des Workshops werden im Anschluss durch das Unternehmen dokumentiert und bewertet. Als Bewertungskriterien eignen sich beispielsweise das Marktpotenzial, der Innovationsgrad
sowie der Fit einer Idee mit dem Leistungsprogramm und den Ressourcen des Unternehmens. Positiv bewertete Ideen werden dann in weiteren Innovationsworkshops
weiterentwickelt oder in den internen Innovationsprozess eingespeist.
Kasten 3–11:
Literaturempfehlungen zur Lead-User-Methode
„
Churchill, Joan / von Hippel, Eric (2002): Video-Tutorial zur Anwendung der Lead-UserMethode, online verfügbar unter web.mit.edu/evhippel/www/tutorials.htm.
„
Lilien, Gary / Morrison, Pamela / Searls, Kathleen / Sonnack, Mary / von Hippel, Eric (2002).
Performance assessment of the lead user idea-generation process for new product development. Management Science, 48 (2002) 8: 1042-1059.
„
Lüthje, Christian / Herstatt, Cornelius (2004). The lead user method: Theoretical-empirical
foundation and practical implementation. R&D Management, 34 (2004) 5: 549-564.
„
Urban, Glen / von Hippel, Eric (1988). Lead user analysis for the development of new industrial products, Management Science, 34 (1988) 5: 569-582.
3.5.2 Toolkits für Open Innovation
Lead-User-Workshops sind oft ein sehr erfolgreiches, aber auch recht aufwändiges und
teures Verfahren von Open Innovation. Ihr Erfolg hängt sowohl von der richtigen Auswahl und Rekrutierung geeigneter Teilnehmer als auch von der Gestaltung und
Moderation des Workshops selbst ab. Auch wenn in der Literatur sehr eindrucksvolle
Belege für den Erfolg dieser Methodik existieren (Gruner / Homburg 2000; Herstatt /
von Hippel 1992; Lilien et al. 2002; Lüthje / Herstatt / von Hippel 2005; von Hippel /
Thomke / Sonnack 1999), so scheuen viele Unternehmen den Aufwand, regelmäßig
klassische Lead-User-Projekte durchzuführen.
Grundgedanken von Toolkits für Open Innovation
Ein neuer Ansatz, der oft kostengünstiger und deshalb auch als kontinuierliche Maßnahme implementiert werden kann, ist der Einsatz von Toolkits für Open Innovation
(auch: Toolkits for User Innovation and Co-Design; von Hippel 2001; von Hippel /
Katz 2002). Diese meist internetbasierten Instrumente erlauben den Einbezug einer
großen Zahl an Kunden in verschiedene Phasen des Innovationsprozesses. Es gibt verschiedene Arten von Toolkits, die jedoch alle dem gleichen grundlegenden
Gedankengang folgen (siehe auch Abbildung 3–15):
„ Wie bereits gesehen (Abschnitt 3.2.1), nähert sich klassischerweise ein Hersteller
im Entwicklungsprozess durch Variation, Kombination und Evaluation von
Lösungsmöglichkeiten für ein Innovationsproblem unter iterativer Spiegelung dieser potenziellen Lösungen an den Bedürfnissen der (potenziellen) Nutzer der end163
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gültigen Lösung an. Dieser Trial-and-Error-Prozess ist sehr aufwändig, da eine stetige Iteration und Kommunikation zwischen der Nutzer- und Herstellerdomäne
nötig ist. Dieser Austausch ist aber aufgrund der “Stickiness” (Ortsgebundenheit)
von Bedürfnis- und Lösungsinformation oft durch hohe Transaktionskosten
geprägt und zeitaufwändig (von Hippel 1998).
„ Toolkits für Open Innovation basieren dagegen auf der Idee, diesen Trial-andError-Prozess an die Nutzer zu übergeben (Franke / Piller 2004; Franke / Schreier
2002; von Hippel 2001; von Hippel / Katz 2002; Thomke / von Hippel 2002). Ein
Toolkit beschreibt eine Entwicklungsumgebung, welche Kunden befähigt, ihre
Bedürfnisse iterativ in eine konkrete Lösung zu überführen, häufig ohne dabei mit
dem Hersteller in persönlichen Kontakt zu treten. Dazu stellt der Hersteller eine
Interaktionsplattform bereit, auf der die Nutzer selbst – unter Nutzung eines vorhandenen und im Toolkit abgebildeten Lösungsraumes – ihre Bedürfnisse konkretisieren und in eine fertige Lösung überführen können.
Abbildung 3–15: Ablauf des iterativen Problemlösungsprozesses im klassischen
Innovationsprozess und bei Einbezug der Nutzer mittels Toolkits für Open
Innovation (in Anlehnung an Thomke / von Hippel 2002)
Traditionelle
Produktentwicklung
Vorhergehende
Entwicklungen
Kunde als Produkt entwickler /Innovator
Hersteller
Vorhergehende
Entwicklungen
Schnittstelle
Design
Bau (Prototypen)
Design
Wieder holungen
Bau (Prototypen)
Schnittstelle
Test (Feedback)
Test (Feedback)
Kunde
„ Dabei ermöglichen Toolkits ihren Nutzern durch ein Feedback und Simulation
einer möglichen Lösung, diese selbst hinsichtlich der Ausprägungen relevanter
Attribute (z. B. Design, Performance, Preis) zu beurteilen. Auf diese Weise wird ein
Lernprozess bei den Nutzern angestoßen, der auch als experimentelles Vorgehen
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gesehen werden kann (Thomke 2003). Die Nutzer werden so lange mit dem
Lösungsraum des Toolkits experimentieren, bis sie sich einer optimalen
Problemlösung angenähert haben. Das hierzu gehörige Bündel aus Bedürfnis- und
Lösungsinformationen übertragen sie im Anschluss (meist automatisiert) an den
Hersteller. Kasten 3–12 gibt hierfür ein gutes Beispiel. Auch wenn die in diesem
Artikel beschriebenen Toolkits von d.tools als Instrumente beschrieben werden,
die professionellen Produktdesignern zugute kommen sollen, so spricht die einfache Handhabung dieser Tools natürlich auch dafür, sie als unterstützende
Infrastruktur Nutzern und Kunden in die Hand zu geben.
„ Dem Hersteller kommt so nicht mehr die Aufgabe zu, Bedürfnisse der Nutzer exakt
zu verstehen und selbst in eine mögliche Lösung zu übersetzen und diese dann zu
evaluieren. Vielmehr muss der Hersteller “nur” die vom Nutzer selbst geschaffene
Lösung produzieren und distribuieren. Da der Nutzer die Lösung aber durch
Nutzung einer Interaktionsplattform des Herstellers erstellt hat, ist die Fertigungsfähigkeit oft recht einfach.
Kasten 3–12:
Prototyping und Experiment als grundlegende Idee von Toolkits
(Quelle: Auszug aus dem Artikel “Qualität durch Basteln” von Martin Virtel in der Financial Times
Deutschland vom 24. Februar 2006 [www.ftd.de/rd/51032.html])
Wie lange braucht ein Laie, um einen MP3- Player zu entwerfen und zu bauen? 95 Minuten - mit
den richtigen Werkzeugen. Als da wären: Teppichmesser, Styroporplatten, Klebeband, Schalter,
Kabel, Display, Chips und eine Software, die dem Haufen Technik Leben einhauchen kann. Das
Ergebnis ist ein kantiges Ding, das an ein Stück aus dem Werkunterricht der sechsten Klasse
erinnert. Aber man kann es in die Hand nehmen, es reagiert auf jeden Knopfdruck. Der GeräteBaukasten, d.tools genannt, ist ein ernsthafter Versuch, der Elektronik- und Computerbranche
einen Weg aus der Krise zu weisen [hci.stanford.edu / research / dtools / ]. Die Hersteller von MP3Playern, Handys und Kameras haben den technischen Fortschritt nicht mehr richtig im Griff: Die
Geräte werden mit immer neuen Zusatzfunktionen auf den Markt geworfen, gleichzeitig sind sie
immer komplizierter zu bedienen. “Wir werden bald in einer Welt leben, in der jeder fünf oder sechs
elektronische Geräte mit sich herumschleppt”, sagt Scott Klemmer, Dozent für die Gestaltung von
Mensch-Maschine-Schnittstellen an der Universität in Stanford, Kalifornien, “aber die menschlichen Fähigkeiten bleiben ja konstant.”
Jede Idee lässt sich schnell in einen Prototypen umsetzen, um sie mit zukünftigen Nutzern zu
testen. “Das Bauen von Prototypen muss zur Gewohnheit werden, so, wie ein Musiker jeden Tag
sein Instrument spielt”, sagt Klemmer. “Unser Ziel ist, dass der ganze Zyklus nicht mehr als eine
Stunde dauert.” Auch heute lassen Produktdesigner Modelle von ihren Ideen anfertigen - meist
Gehäuse-Prototypen ohne Funktion. Der Erkenntniswert der leeren Hüllen ist begrenzt, um die
Funktion zu testen, müssen die Designer ihren Entwurf “über die Mauer werfen”, so lautet der
Fachausdruck. Auf der anderen Seite der Mauer sitzen die Mechatroniker und Programmierer, die
für die nötige Hard- und Software im neuen Gehäuse sorgen. Erst danach kann getestet werden eine umständliche Prozedur, die nicht dazu animiert, eine schlechte Design-Idee noch mal zu
überdenken. “Wir lassen die Mauer verschwinden”, sagt Klemmer. Zusammenstecken und Zusammenklicken kann jeder - Schalter, Display, Drehregler und so weiter erkennen, wann und wie sie
zusammengestöpselt werden, und melden es an den angeschlossenen Laptop weiter. Programmieren lässt sich das Gebilde ohne besondere Vorkenntnisse, einfach durch das Umher-
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schieben und Verbinden von Symbolen auf dem Computerbildschirm. Der Rest der Herstellung
hängt derzeit noch vom handwerklichen Geschick mit Teppichschneider und Klebeband ab. Um die
unansehnlichen Styroporplatten eines Tages zu ersetzen, experimentiert Klemmers Team mit verschiedenen Maschinen, die computergesteuert Plexiglas so zurechtstutzen, dass sich daraus
Gehäuse zusammenkleben lassen. Ein handelsüblicher Laptop, durch einen Kabelstrang mit dem
Modell verbunden, sorgt dafür, dass tatsächlich Musik ertönt, wenn der “Play”-Knopf gedrückt wird.
Denn die Prototypen, so bläut Klemmer seinen Studenten ein, sind nicht dazu da, um schick auszusehen und nett in der Hand zu liegen, sondern um sich Feedback von den Nutzern zu holen.
Anforderungen an Toolkits für Open Innovation
Um dieses Ablaufprinzip von Toolkits für Open Innovation sowohl auf Kunden- als
auch auf Herstellerseite effizient zu gestalten, werden fünf Basisanforderungen an
Toolkits gestellt (von Hippel 2001; von Hippel / Katz 2002):
1
Vollständiges Trial-and-Error: Nutzer eines Toolkits sind mit ihrer selbst entwikkelten Bedürfnislösung tendenziell dann zufriedener, wenn sie den Problemlösungszyklus vollständig durchlaufen können. Dies erfordert, dass ein Nutzer auf
seine mit dem Toolkit entwickelte Lösung ein simuliertes Feedback erhält, welches
ihm ermöglicht, die aktuelle Lösung zu bewerten, iterativ zu verbessern und seinen
individuellen Anforderungen anzunähern. Auf diese Weise kommt es auch zur
Auslösung kognitiver und affektiver Lernprozesse (learning-by-doing), die die
Qualität der Lösungsfindung verbessern.
2
Zulässiger Lösungsraum (Solution Space): Der Lösungsraum eines Toolkits
bezeichnet die Gesamtheit an Variationen und Kombinationen zulässiger Lösungsmöglichkeiten und wird vom Hersteller definiert. Grundsätzlich sollte der
Lösungsraum nur solche Variationen und Kombinationen an Attributen zulassen,
die aus Sicht des Herstellers unter Berücksichtigung insbesondere produktionstechnischer Restriktionen realisierbar sind. Diese Einschränkung ist je nach Art
eines Toolkits jedoch mehr oder weniger strikt (siehe unten).
3
Benutzerfreundlichkeit: Die Benutzerfreundlichkeit beschreibt die durch einen
Nutzer wahrgenommene Qualität der Interaktion mit einem Toolkit. Sie wird im
Wesentlichen durch die vom Nutzer wahrgenommenen Kosten (Zeit, intellektueller Aufwand) sowie den wahrgenommenen Nutzen (Zufriedenheit mit der entwickelten Leistung, Spaß bei der Entwicklung) während der Interaktion mit dem
Toolkit beeinflusst. Bei heterogener Ausprägung dieser Faktoren innerhalb einer
Nutzergruppe empfiehlt es sich für den Hersteller, unterschiedliche Ausführungen
an Toolkits bereitzustellen.
4
Module und Komponenten: Module und Komponenten sind Einzelteile eines
Toolkits (z. B. Programmiersprachen, Visualisierungen, Hilfe-Menüs, Zeichenprogramme, Textfelder, Bibliotheken), welche dessen Funktionsweise herstellen
und einem Nutzer zur Lösung seines Problems zur Verfügung stehen. Module und
Komponenten bilden den Lösungsraum des Toolkits ab und bestimmen dessen
Benutzerfreundlichkeit.
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Übersetzung der Kundenlösung: Hat der Nutzer eines Toolkits die für seine
Bedürfnisse optimale Problemlösung entwickelt, überträgt er diese an den
Hersteller. Ein solcher Transfer bedingt eine fehlerfreie Übersetzung der Kundenlösung in die “Sprache” des Herstellers.
Arten von Toolkits für Open Innovation
Es gibt verschiedene Arten von Toolkits, die sich anhand der Ausprägung und Gestaltung von der zuvor vorgestellten Basisanforderungen unterscheiden. Es sei an dieser
Stelle aber bereits betont, dass der Einsatz von Toolkits für Open Innovation im
Vergleich zur Lead-User-Methodik erst am Anfang der betrieblichen Praxis steht und
deshalb nur wenige empirisch fundierte Erfahrungen über die Gestaltung von Toolkits
vorliegen.
In Anlehnung an Franke und Schreier (2002) können zwei Arten von Toolkits unterschieden werden, die sich vor allem durch die Größe bzw. Offenheit des Lösungsraums
differenzieren: Toolkits for User Innovation sowie Toolkits for User Co-Design
(Abbildung 3–16). Sie kommen in unterschiedlichen Phasen des Wertschöpfungsprozesses zum Einsatz (siehe auch Dockenfuß 2003; Frank / Piller 2003, 2004). In Erweiterung dieser Abgrenzung können wir noch eine weitere Art von Toolkit unterscheiden, die ganz zu Beginn des Innovationsprozesses zum Einsatz kommt: Toolkits zum
Ideentransfer (externes Vorschlagswesen).
Abbildung 3–16: Arten von Toolkits für Open Innovation
Toolkits für User
Innovation
Ziel
Generierung von
Innovationsideen
Toolkits zum
Ideentransfer
Generierung innovativer
Leistungseigenschaften
Leistungsindividualisierung durch Produktkonfiguration (Verkaufstool)
Transfer vorhandener
Innovationsideen aus der
Nutzerdomäne (externes
Vorschlagswesen)
„ "Chemiekasten"
„ "Lego-Baukasten"
„ "Black Board"
„ Sehr großer
Lösungsraum
„ Vordefinierter Lösungsraum durch technische
Restriktionen des
Herstellers
„ Unbegrenzter
Lösungsraum
„ Geringe Nutzungskosten durch Standardmodule
„ Kein Trial-and-Error
(bzw. nur Feedback
durch andere Nutzer)
„ Hohe Nutzungskosten
Prinzip
Toolkits für User
Co-Design
„ Vollständiges Trialand-Error
„ Geringe Nutzungskosten
„ Trial-and-Error nur teilweise möglich
Nutzer
Nutzer mit Lead-UserEigenschaften
alle Kunden
Nutzer mit Lead-UserEigenschaften
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Toolkits for User Innovation ähneln im Prinzip einem Chemiekasten. Ihr
Lösungsraum ist in der Regel unbegrenzt. Nutzer des Toolkits fügen nicht nur vom
Hersteller vorgegebene Standardmodule und Komponenten zu einem für sie optimalen Produkt zusammen, sondern experimentieren in einem aufwändigen trial-anderror-Prozess an bisher unbekannten Lösungen für ihre Bedürfnisse. Bei den notwendigen Lösungsinformationen, welche der Hersteller in seinem Toolkit bereitstellt, handelt es sich beispielsweise um Programmiersprachen oder Zeichenprogramme. Diese
verlangen von ihren Nutzern ein hohes Maß an Kreativität und technischem
Verständnis und sind deshalb nur für ausgewählte Nutzergruppen (Lead User) geeignet.
Diese Toolkits ermöglichen es ihren Nutzern, sich aktiv an einem Innovationsprozess
des Herstellers zu beteiligen. Dabei können Nutzer mit Hilfe des Toolkits entweder
Ideen für neue Innovationen entwickeln oder innovative Leistungseigenschaften generieren. Der Unterschied zu einer rein autonomen Entwicklungstätigkeit der Nutzer
(d. h. ohne ein Toolkit des Herstellers) liegt in zwei wesentlichen Faktoren: (i) Der Hersteller stellt sein vorhandenes Lösungswissen den Kunden in Form des Toolkits zur
Verfügung. Dies kann beispielsweise durch eine Bibliothek an Funktionen, eine
Rückgriffsmöglichkeit auf vorhandene Entwicklungen (CAD-Files) oder genaue
Informationen über das Fertigungssystem geschehen. Die Nutzer können damit auf
einem oft weit höheren Niveau innovativ tätig werden. (ii) Des Weiteren bedingt der
Einsatz von Toolkits for User Innovation, dass ihre Nutzer in sämtlichen Phasen ein
detailliertes (simuliertes) Feedback auf ihre Entwicklungen erhalten. Ein Beispiel für
ein solches Toolkit ist das von Thomke und von Hippel (2002) beschriebene Toolkit von
BAA Flavors, einem Hersteller von Nahrungsmittel-Aromen (siehe Kasten 3–13).
Kasten 3–13:
Ein Toolkit in der Nahrungsmittelindustrie
(Quelle: Thomke / von Hippel (2002) dokumentieren folgenden Fall der Produktentwicklung bei
einem Hersteller von Aromen für die Nahrungsmittelindustrie, der die Einsatzpotenziale eines ToolKits gut zeigt.)
Produkte von BBA (jetzt International Flavors and Fragrances) sind spezielle Aromen, um den
Geschmack von nahezu allen verarbeiteten Nahrungsmitteln zu verstärken und zu verbessern. Die
Entwicklung dieser hinzugefügten Aromastoffe erfordert einen hohen Grad an Expertise und kundenspezifischer Anpassung und gleicht in der Praxis mehr derKunst als der Wissenschaft. Ein traditionelles Produktentwicklungsprojekt bei BBA läuft folgendermaßen ab: Ein Kunde fordert einen
fleischartigen Geschmack für ein Soja-Produkt, und die Probe soll innerhalb einer Woche geliefert
werden. Die Aromaexperten von BBA machen sich an die Arbeit und verschicken die Probe innerhalb von sechs Tagen. Drei frustrierende Wochen folgen, bis der Kunde antwortet “Eigentlich
schon gut, aber wir brauchen es weniger rauchig und eher kraftvoll.” Der Kunde weiß genau, was
er damit meint, aber für die Aromaexperten von BBA ist diese Aussage oft schwer interpretierbar.
Je nach Produkt wechselt der Prozess zwischen BBA und Kunde noch einige Male – mit Aufwand,
Wartezeit und Kosten für beide Seiten. Denn BBA trägt einen Großteil der Entwicklungskosten, hat
aber erst dann Einnahmen, nachdem sowohl der Kunde als auch dessen Kunden (die
Konsumenten) vollständig zufrieden sind (ein Entwicklungsprozess kostet dabei zwischen wenigen 1000 USD für die Abänderung eines existierenden Geschmacks bis zu mehr als 300.000 USD
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für eine neue Geschmackfamilie). Im Durchschnitt akzeptiert der Abnehmer letztendlich nur 15
Prozent aller neuen Geschmacksstoffe für einen vollständigen Markttest, und nur 5 Prozent bis 10
Prozent werden schließlich im Markt eingeführt.
Um auf dieses Problem zu reagieren, hat BBA Innovationsaktivitäten auf die Kunden verlagert.
Dazu wurde ein Tool-Kit entwickelt, das zum einen aus einer großen Datenbank mit
Geschmacksprofilen besteht. Ein Kunde kann diese Information am Bildschirm auswählen, verändern und bekommt sofort ein Feedback, wie die neue Aroma-Kombination sich auf den Preis des
fertigen Produktes auswirken wird (da unterschiedliche Aromen unterschiedlich teuer sind). jedoch
ist es schwer, Aromen nur am Bildschirm zu beurteilen – hier liegt ja genau das Problem des
Informationsaustausches zwischen Nutzer und Hersteller begründet.
Um dieses Problem zu lösen, hat BAA einen neuartigen “Baukasten” entwickelt, den die
Chefköche für ihre “Produktentwicklung” nutzen können: eine Kollektion kleiner Tüten mit den
Aromastoffen. Jede Zutat im Baukasten ist die dabei die BAA-Fabrikversion einer klassischen
Zutat, die traditionellerweise von Chefköchen während der Produktentwicklung benutzt wird. So
würde ein Baukasten für mexikanische Saucen z. B. ein Chili-Püree enthalten, das in den
Maschinen von BAA verarbeitet werden kann. Für eine mexikanische Sauce besteht der
Baukasten aus 20 bis 30 Komponenten in kleinen Plastikbeuteln mit Anweisungen zur korrekten
Verwendung. Obwohl die Komponente von ihren frischen Versionen abweichen, werden diese
Unterschiede per “learning-by-doing” durch den Koch entdeckt, der auf den gewünschten
Geschmack und die Beschaffenheit per trial-and-error hinarbeiten kann. Wenn ein Rezept, basierend auf diesen Komponenten fertig ist, kann es sofort und präzise in den Fabriken von Nestle
reproduziert werden – denn nun benutzt der Nutzer/Entwickler dieselbe Sprache wie die Fabrik. Im
Fall BAA konnte so die Entwicklungszeit von 26 auf 3 Wochen reduziert werden, indem wiederholte Neuentwicklung und Verbesserungen zwischen Nestle und seinen Kunden eliminiert wurden.
Toolkits for User Co-Design dienen weniger der Neuentwicklung von Produkten und
Leistungen als vielmehr ihrer Individualisierung und Anpassung an spezifische
Kundenwünsche. Ihr Prinzip ist mit dem eines Lego-Baukastens zu vergleichen.
Toolkits for User Co-Design bieten ihren Nutzern eine mehr oder weniger große
Auswahl an Einzelbausteinen (Modulen, Komponenten, Parametern), welche diese zu
einem ihren individuellen Anforderungen entsprechenden Gesamtprodukt
zusammenstellen (Konfiguration, siehe auch Abschnitt 4.4.4). Der Lösungsraum des
Toolkits ist somit begrenzt und erlaubt nur solche Kombinationen an “Bausteinen”, die
im wirtschaftlichen und technischen Machbarkeitsbereich des Herstellers liegen. In der
Regel erhalten die Nutzer eine Visualisierung ihrer konfigurierten Leistung und können diese iterativ entsprechend ihrer Anforderungen verbessern. Im Anschluss übermitteln die Nutzer ihr konfiguriertes Design an den Hersteller, welcher die Produktion
übernimmt. Bekannte Beispiele dieser Toolkits sind die Konfiguratoren von Dell oder
der Automobilindustrie.
Während aus Sicht des Herstellers durch den Einsatz von Toolkits for Co-Design keine
Innovationen, sondern lediglich individuell konfigurierte Produkte entstehen, können
diese von den Nutzern durchaus als (inkrementelle) Innovation wahrgenommen werden. Wir werden diesen Bereich noch ausführlich in Zusammenhang mit der
Produktindividualisierung (Mass Customization) in Kapitel 4 behandeln und dabei
auch auf eine Gestaltung dieser Werkzeuge eingehen (Dockenfuß 2003). Da der Stand
der Entwicklung und Implementierung von Toolkits for User Co-Design deutlich wei169
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
Abbildung 3–17: Beispiele für Toolkits für User Co-Design in der Schuhindustrie (entnommen aus Piller 2005a)
Brand, name of the
customization program, and year of
introduction
Customization options,
price range, and
distribution channel
Scope of the program
mi adidas
(adidas.com)
since 2000
Retail based
Six shoes (two running shoes, one socCustom fit & design
cer, tennis, indoor, and basketball shoe
Price range: 140-160 USD respectively).
Three areas of customization: fit (length
and width of each foot), performance (outsole and mid sole options and seasonal
upper materials), and aesthetic design.
Converse (converse.
com / converseone)
since 2004
Internet based
Aesthetic design
Price range: 60 USD
Three shoes (Chuck Taylors high and low,
Jack Purcells). Custom colour and embroidered lettering.
Nike iD
(nikeid.com)
since 1998
Internet based
Aesthetic design
Price range: 50-80 USD
Fifty-one shoes (thirty-one for men, seventeen for women and three for kids), six
bags, five watches and three golf balls.
Custom colour and lettering.
Puma Mongolian
BBQ (puma.com /
mongolianbbq)
since 2005
Retail based
Aesthetic design
Price range: 100 USD
Individual style by combining different
parts of the shoe on kiosks installed at
selected Puma locations. Very tactile with
a DIY flavour.
Reebok
(rbkcustom.com)
since 2005
Internet based
Aesthetic design
Price range: 60-80 USD
Two shoes.
Custom colour and patterns
Vans
(shop.vans.com)
since 2005
Internet based
Aesthetic design
Price range: 50-60 USD
Two shoes.
Custom colour and patterns
Timberland
(timberland.com /
customboots)
since 2004
Internet based
Six shoes (two for men, three for women,
Aesthetic design
two for kids).Many colour options.
Price range: 170-180 USD
FootJoy GolfShoes
(myjoys.com)
since 2003
Internet based
Popular golf shoe.
Custom fit (limited) and
Custom colour and individual length and
aesthetic design
widths for both right and left shoes.
Price range: 140-165 USD
JG Customs
(booktown.com /
jgcustoms)
since 2003
Internet & retail based
DIY approach (small user company modiAesthetic design
fying standard Nike shoes with own creaPrice range: 300-400 USD tions). Real personalization, hand painted,
small batch sizes
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Instrumente von Open Innovation
ter ist als die Implementierung von Toolkits for User Innovation, bieten Erstere wichtige Anhaltspunkte zur Gestaltung letzterer (wir betrachten die Gestaltung von Toolkits
im Rahmen der Produktindividualisierung in Abschnitt 4.4). Einen guten Überblick
des Stands der Entwicklung von Toolkits for User Co-Design bietet die Sportschuhindustrie. Hier gibt es inzwischen keinen großen Hersteller mehr, der kein Toolkit anbietet. Die meisten dieser Toolkits sind internetbasiert, andere aber auch spezielle
Anordnungen in einem Ladengeschäft (Abbildung 3–17).
Jedoch ist die Abgrenzung zwischen Toolkits for User Innovation und User CoDesign nicht immer einfach. Wie bereits erwähnt, ist aus Sicht der Nutzer oft die
Interaktion mit einem Konfigurationstoolkit ein kreativer Problemlösungsprozess, der
einem Entwicklungsprozess sehr ähnlich ist (Franke 2003). Ein gutes Beispiel ist der
Einsatz von Toolkits in der Halbleiterindustrie, wo industrielle Kunden heute unter
Rückgriff auf Plattformen der Halbleiterfabrikanten weitgehend selbst spezifische integrierte Schaltkreise entwerfen (von Hippel / Katz 2002). Diese Toolkits (z. B. von ISL)
erlauben die nutzerindividuelle Entwicklung neuer Funktionen, können aber nicht das
grundsätzliche Design eines Halbleiters ändern (um diesen beispielsweise energie-effizienter zu machen. Aufgrund des sehr großen Lösungsraums kann dieser Vorgang
durchaus als Innovationsprozess bezeichnet werden, auch wenn die weitgehende
Digitalisierung der Entwicklung und Fertigung Produktionsprozesse der individuellen Chips erlaubt, die sehr stabil sind und eher einer Mass-Customization-Situation
entsprechen.
Eine weitere Art von Toolkits setzt ganz zu Beginn des Innovationsprozesses in der
Phase der Ideengenerierung ein: Toolkits zum Ideentransfer (externes Vorschlagswesen). Diese Toolkits unterstützen weniger einen eigenen Problemlösungsprozess
beim Kunden, sondern zielen vielmehr auf die einfache Übertragung vorhandener
Ideen und Lösungen aus der Nutzerdomäne. Sie bieten innovativen Nutzern einen
“offenen Kanal” zum Unternehmen. Viele Hersteller haben heute unternehmensintern
ein kontinuierliches Verbesserungswesen etabliert, das meist auf Basis einer IntranetPlattform erlaubt, Ideen und Verbesserungsvorschläge zu übermitteln. Ziel von
Toolkits zum Ideentransfer ist es entsprechend dieser Intranet-Plattformen, eine
strukturierte Eingabe von Verbesserungsvorschlägen und neuen Verfahren zu unterstützen. Hierbei geht es sowohl um das breite Abgreifen genereller Bedürfnisinformation als auch um die Möglichkeit für innovative Nutzer, Verfahrens- oder Materialverbesserungen preiszugeben. Procter & Gamble ist beispielsweise bekannt für den
Einsatz dieser Art von Toolkits (siehe noch mal Kasten 3–3). Auf der Homepage des
Unternehmens gibt es einen prominenten Link zu der entsprechenden IdeenPlattform. Auch die Plattform von Innocentive (siehe Kasten 3–1) kann in diese Kategorie eingeordnet werden. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist das große Feld der OpenSource-Software-Entwicklung. Die verteilte Entwicklung von Open-Source-Software
wird erst durch den Einsatz dezidierter Entwicklungsplattformen möglich, die die
Beiträge der verschiedenen Nutzer bündeln und integrieren (siehe Abschnitt 3.5.4).
Eine Erweiterung dieser Toolkits ist die Idee, den Wissenstransfer durch einen Wettbewerb zu verstärken. In einem solchen Innovationswettbewerb ruft ein Unternehmen
seine Kunden und Nutzer entweder ganz allgemein zur Preisgabe innovativer Ideen
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und Verbesserungsvorschläge auf oder aber fragt ganz konkret nach einer Lösung für
eine bestimmte Innovationsaufgabe. Wir werden die Gestaltung solcher Innovationswettbewerbe im nächsten Abschnitt näher betrachten.
Kasten 3–14:
Literaturempfehlungen zu Toolkits für Open Innovation
„
Dockenfuß, Rolf (2003). Praxisanwendungen von Toolkits und Konfiguratoren zur
Erschließung taziten Userwissens. In: Cornelius Herstatt und Birgit Verworn (Hg.):
Management der frühen Innovationsphasen, Wiesbaden: Gabler 2003: 215-232.
„
Franke, Nikolaus / Schreier, Martin (2002). Entrepreneurial opportunities with toolkits for user
innovation and design. International Journal on Media Management, 4 (2002) 4: 225-234.
„
Sawhney, Mohanbir / Verona, Gianmario / Prandelli, Emanuela (2005). Collaborating to create: The internet as a platform for customer engagement in product innovation. Journal of
Interactive Marketing, 19 (2005) 4 (August): 4-17.
„
Thomke, Stefan / von Hippel, Eric (2002). Customers as innovators: a new way to create value.
Harvard Business Review, 80 (2002) 4 (April): 74-81.
„
von Hippel, Eric / Katz, Ralph (2002). Shifting innovation to users via toolkits. Management
Science, 48 (2002) 7 (July): 821-833.
3.5.3 Innovationswettbewerbe
Wettbewerb kann grundsätzlich als der Wettstreit verschiedener Parteien definiert
werden und findet sich in den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens - angefangen
vom evolutionstheoretischen Wettbewerb der Arten ums Dasein bis hin zu
Wettbewerben in Sport, Musik (z. B. “Jugend musiziert”), Wissenschaft (z. B. “Jugend
forscht”), Kreativ- (z. B. Architektur-, Design-, Mal-, Literaturwettbewerbe etc.) oder
auch Schönheitsbereich (z. B. Miss Germany Wahl). Gerade im karriereorientierten
Unternehmensalltag ist der Wettbewerbsgedanke für die besonderen Leistungen der
meisten Mitarbeiter verantwortlich. Auf volkswirtschaftlicher Ebene ist Wettbewerb
das zentrale Paradigma der freien Marktwirtschaft.
Wettbewerb als Naturprinzip
Als Begründer der klassischen Wettbewerbstheorie gilt Adam Smith. Bereits 1776 entwickelt er in seinem Werk “The Wealth of Nations” das Modell einer auf freiem
Wettbewerb basierenden Gesellschaft, in der Eigennutz durch das Wirken einer
“unsichtbaren Hand” zu Gemeinnutz und Exzellenz führt. Innerhalb der neoklassischen Wettbewerbstheorie nehmen Schumpeter und von Hayek zentrale Positionen
ein. Schumpeter (1934) sieht im Wettbewerb den Motor für technischen Fortschritt
und somit für die gesamte wirtschaftliche Entwicklung, wobei er das Bild vom
Unternehmer als kreativen Zerstörer prägt, der sich im wettbewerbsorientierten
Umfeld durch steten Wandel und Innovation behauptet. Auch von Hayek sieht den
Wettbewerb als Methode zur Entdeckung von neuem Wissen. Aufbauend auf seine
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Forschungen im makroökonomischen Bereich kommt Hayek zur Erkenntnis, dass
Wettbewerb ein alle Bereiche des Lebens durchziehendes Grundprinzip darstellt und
den Menschen zu Höchstleistungen und besonderer Kreativität antreibt. Wettbewerb
ist somit die Grundlage zur Schaffung von Neuem:
“So verhalten wir uns nicht nur in der Ökonomie, sondern auch im Sport, bei Prüfungen, beim
Vergeben von Regierungsaufträgen oder in der wissenschaftlichen Forschung. Wenn wir den
Sieger vorab kennen würden, wäre es sinnlos, einen Wettbewerb zu veranstalten. Wettbewerb
ist deswegen nur deshalb und insoweit wichtig, als seine Ergebnisse unvoraussagbar und im
Ganzen verschieden von jenen sind, die irgendjemand bewusst hätte anstreben können. […].
Nur der Wettbewerb schafft mit seinen Gewinnmöglichkeiten und Verlustrisiken jenes
Anreizsystem, das Höchstleistungen hervorbringt. Ohne Wettbewerb in Wirtschaft und Kultur
wäre eine Gesellschaft statisch. Jeder Fortschritt beruht darauf, dass in einer wettbewerblichen Auseinandersetzung verschiedene Lösungsvorschläge erprobt werden. […]. Der
Wettbewerb ist daher der Motor der gesellschaftlichen Evolution. […]. Die Menschen werden
umso selbständiger und kreativer sein, je mehr Wettbewerb gegeben ist” (von Hayek / Kerber
1996: 250).
Ideenwettbewerbe als Instrument von Open Innovation
Ein Ideenwettbewerb ist die Aufforderung eines privaten oder öffentlichen Veranstalters an die Allgemeinheit oder eine spezielle Zielgruppe, themenbezogene
Beiträge innerhalb eines bestimmten Zeitraums einzureichen, die von einem
Beurteilungsgremium an Hand von Beurteilungsdimensionen bewertet und leistungsorientiert prämiert werden. Das Ziel eines Ideenwettbewerbs als Ansatz von
Open Innovation ist, Kunden bzw. Nutzer in die frühen Phasen des Innovationsprozesses (Ideengenerierung) zu integrieren. Der Wettbewerbscharakter soll die
Kreativität und Qualität der Beiträge der Teilnehmer anregen und diesen auch einen
zusätzlichen Incentive zur Teilnahme vermitteln. Das Einsatzspektrum eines
Ideenwettbewerbs ist sehr breit (Ernst 2004) und reicht von einem kontinuierlichen
Einsatz als offene Plattform zu konzentrierten Aktionen zur Lösung spezifischer
Problemstellungen. Trotz der hohen Beliebtheit von Ideenwettbewerben in der Praxis
finden sich auf wissenschaftlicher Seite bislang nur wenige systematische
Untersuchungen (siehe hierzu Walcher 2006).
Ein Ideenwettbewerb ist die Aufforderung eines privaten oder öffentlichen Veranstalters an die
Allgemeinheit oder eine spezielle Zielgruppe, themenbezogene Beiträge innerhalb eines
bestimmten Zeitraums einzureichen, die von einem Beurteilungsgremium an Hand von
Beurteilungsdimensionen bewertet und leistungsorientiert prämiert werden.
Im Folgenden sollen die einzelnen Bestandteile eines Ideenwettbewerbs als Mittel zu
Open Innovation näher beschrieben werden:
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Veranstalter
Innovationen sind für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens notwendig, weshalb
Ideenwettbewerbe nicht nur von privatwirtschaftlichen Unternehmen oder
Privatpersonen ausgeschrieben werden, sondern ebenfalls von gemeinnützigen
Organisationen oder öffentlichen Einrichtungen. So finden sich Ideenwettbewerbe
sowohl bei wirtschaftlich orientierten Institutionen wie LEGO oder dem FC-Bayern
München, die dazu auffordern, Ideen für neue Bausätze bzw. Vorschläge für den
Namen eines neuen Maskottchens einzusenden, als auch im öffentlichen Bereich. Die
deutsche Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schreibt beispielsweise einen
Wettbewerb aus, Motive für eine HIV-Präventionskampagne einzureichen. Die
Technische Universität München (TUM) veranstaltet einen dauerhaften Ideenwettbewerb “Academicus”, der kreative Beiträge zur Verbesserung der Lehre und
Studiensituation erwartet.
Themenbezogenheit und Zielgruppe
Grundsätzlich werden Ideenwettbewerbe themenbezogen ausgeschrieben. Aus der
Spezifität der Thematik, die in den unterschiedlichen Anwendungsbereichen erheblich
variieren kann, ergibt sich die Zielgruppe des Ideenwettbewerbs, da oftmals besondere Eigenschaften oder Kompetenzen Voraussetzung zur Teilnahme sind. So richtet sich
der Aufruf der Bundeszentrale für Aufklärung an die gesamte Öffentlichkeit, während
der Ideenwettbewerb der Technischen Universität München an alle Studierende,
Mitarbeiter, Wissenschaftler, Professoren und Alumni der TUM adressiert ist. Gerade
im Wissenschaftsbereich, wie beispielsweise bei Ausschreibungen zu Wettbewerben
und Forschungsprojekten innerhalb der Molekularbiologie, aber auch im Kreativbereich, wie bei Architekturwettbewerben, setzt die Teilnahme am Wettbewerb umfassende Kenntnisse und langjährige Beschäftigung mit der Thematik voraus, was die
Gruppe der in Frage kommenden Teilnehmer oftmals stark einschränkt.
Beurteilungsgremium und Beurteilungsdimensionen
So beliebt Ideenwettbewerbe in der Praxis sind, so unsystematisch und oftmals willkürlich erweist sich die Besetzung des Beurteilungsgremiums sowie die Verwendung
geeigneter Beurteilungsdimensionen. Tatsächlich existieren im Bereich der Kreativitätsforschung zahlreiche Methoden zur verlässlichen (reliablen) Bewertung von
Kreativleistungen, bei der dezidierte Aussagen zur Größe und Besetzung der Jury
sowie zu den Beurteilungsdimensionen gemacht werden. Eine praktikable Methode
stellt die auf den subjektiven Urteilen von Experten basierende “Consesual Assesment
Technique (CAT)” dar, die von der Psychologin Amabile entwickelt und innerhalb der
letzten drei Jahrzehnte stetig erprobt und fortentwickelt wurde (Amabile 1996). Die
Güte der Beurteilung wird durch den Grad der Beurteilerübereinstimmung bestimmt.
Aufbauend auf den Erfahrungen aus einer Vielzahl von Studien, innerhalb derer
Kreativleistungen im künstlerischen und sprachlichen Bereich wie auch im betrieblichen Innovationskontext bewertet wurden, gibt die Forscherin die Empfehlung, dass
es sich bei den Jurymitgliedern um echte Experten handeln soll, die sich durch eine
hohe Vertrautheit mit dem Untersuchungsgebiet auszeichnen. Bei Tests mit unerfahrenen Juroren oder beim gegenseitigen Beurteilen der Kreativleistungen durch die
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Ausführenden selbst wurden die Gütekriterien regelmäßig nicht erfüllt. Je nach
Aufgabenstellung sollen mindestens drei und maximal zehn Personen der Expertenjury angehören.
Hinsichtlich der Beurteilungsdimensionen stellt Amabile fest, dass eine Bewertung
der Leistung nur anhand der Dimension Kreativität zu kurz greift. Vielmehr sollten
zumindest die Dimensionen Neuigkeitsgrad, Angemessenheit und Umsetzung bewertet werden, um verschiedene Facetten des komplexen Konstrukts Kreativität zu
beleuchten. Darüber hinaus stehe es dem Versuchsleiter frei, weitere der
Kreativaufgabe entsprechende Bewertungsdimensionen zu ergänzen.
Zeitraum
Konstitutives Merkmal von Ideenwettbewerben ist der abgeschlossene Zeitraum,
innerhalb dessen die Kreativleistungen vollbracht werden müssen. Dieser Erbringungszeitraum variiert je nach Aufgabenstellung. So kann sich – vor allem im
künstlerischen Bereich – der Ausarbeitungszeitraum auf wenige Minuten oder gar
Sekunden reduzieren, wie beispielsweise bei Wettbewerben zum Testen der spontanen
Kreativität (Zeichnen, Malen, Dichten, Musizieren, Rappen etc.), bei denen unmittelbar
nach der Aufgabenstellung die Erbringung erfolgt. Im betrieblichen Innovationsbereich, wie auch bei Wissenschafts- und Architekturwettbewerben sind dagegen
Bearbeitungszeiträume von mehreren Wochen bzw. Monaten gebräuchlich.
Prämierung
Grundsätzlich besteht die Incentivierung zur Teilnahme an einem Ideenwettbewerb in
einer leistungsorientierten Prämierung. Vergleichbar mit Sportkämpfen werden in
aller Regel die besten drei Einsendungen prämiert. Die Ermittlung der besten Idee
kann mit Hilfe eines Bewertungssystems (Scoringmodell) erfolgen, wobei für jede
gewählte Beurteilungsdimension eine bestimmte Anzahl an Punkten vergeben wird
und sich der Gewinner aus der Gesamtpunktzahl ergibt. Die Prämien können sowohl
aus Sachpreisen wie auch aus Geldbeträgen bestehen, in manchen Fällen, wie im Fall
der von der Bundeszentrale für Aufklärung ausgeschriebenen HIV-Kampagne, werden
lediglich die Namen der Gewinner veröffentlicht. Beim jährlich durchgeführten
Ideenwettbewerb des Skiherstellers Salomon winken dem Einsender des kreativsten
Gestaltungsvorschlags für ein Snowboard tausend Euro als Geldpreis sowie ein professionelles Snowboard als Sachpreis (artworkcontest.com).
Dieser Geldpreis erscheint jedoch als sehr gering, betrachtet man, welche Prämien
bei InnoCentive, einem auf Ideenwettbewerbe spezialisierten Unternehmen, angeboten werden. Die Grundidee von InnoCentive besteht aus dem Anbieten einer
internetbasierten Plattform, auf der Unternehmen Innovationsprobleme an die
Öffentlichkeit bzw. an spezialisierte Wissenschaftler ausschreiben, die innerhalb
eines bestimmten Zeitraums bearbeitet werden sollen. InnoCentive übernimmt als
Mittler alle Koordinierungs- und Verwaltungsaufgaben. Die Lösungen werden vom
auftraggebenden Unternehmen bewertet und prämiert, wobei Geldpreise bis zu
$100.000 ausbezahlt werden. Darüber hinaus werden ebenfalls die Namen der
Gewinner veröffentlicht, was einem zusätzlichen Reputationsgewinn entspricht
(innocentive.com).
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Identifikation von innovativen Kunden
Neben dem Sammeln von kreativen Beiträgen stellt der Ideenwettbewerb darüber hinaus auch eine Methode zur Identifikation besonders innovativer Kunden (Lead User)
dar. Grundsätzlich findet bei Ideenwettbewerben ein doppelter Selektionsprozess
statt. So unterscheiden sich Kunden, die am Wettbewerb teilnehmen, allein durch ihre
Entscheidung zur Teilnahme von Kunden, die nicht am Wettbewerb teilnehmen
(Selbstselektion). Des Weiteren erfolgt eine leistungsbezogene Selektion durch die
Expertenbeurteilungen der Kreativbeiträge (Leistungsselektion). Stellt die
Teilnahmeselektion eine Form der Selbstselektion dar, so handelt es sich bei der
Leistungsselektion um eine Fremdselektion (ein doppelter Selektionsprozess findet
sich auch bei der Methode “Virtual Stock Markets”, die bereits oben in Zusammenhang
mit der Identifikation von Lead Usern angesprochen wurde).
Walcher (2006) weist in seiner Untersuchung eines Ideenwettbewerbs im Sportbereich
nach, dass sich Teilnehmer von Nicht-Teilnehmern sowie besonders innovative von
weniger innovativen Kunden an Hand von verschiedenen Motiven und Eigenschaften
signifikant unterscheiden (siehe auch Fallstudie von Adidas in Kapitel 5.1). Auch
konnte gezeigt werden, dass ca. zehn Prozent der eingesendeten Beiträge von der Jury
als vollkommen neue (radikale) Ideen bewertet wurden. Zwar weisen die Einsender
dieser hochinnovativen Beiträge nicht vollständig die klassischen Lead-User-Kriterien
auf, doch kommt diesen Kunden gerade auf Grund der Tatsache, dass sie sich beim
Ideenwettbewerb als besonders kreativ erwiesen haben, ebenfalls eine führende Rolle
zu, weshalb sie vom Unternehmen als wichtige Quelle für Innovationsideen besonders
ernst genommen werden müssen. Weitergehende Maßnahmen zur Erschließung des
kundenseitigen Innovationspotenzials bestehen beispielsweise in der Durchführung
von Innovationsworkshops oder dem Aufbau einer ausschließlich für diese Kunden
geöffneten internetbasierten Entwicklercommunity.
Anders als bei den Methoden zur Identifikation von Lead Usern, bei denen geeignete
Personen durch verschiedene Maßnahmen im Vorfeld der kreativen Leistungserbringung (z. B. Lead-User-Workshops) aufwändig und oft kostenintensiv durch Fremdselektion ermittelt werden müssen, findet bei Ideenwettbewerben durch die freiwillige Selbstselektion eine erste Eingrenzung des Suchfeldes statt, gefolgt von der weitergehenden Auswahl durch die Expertenjury auf Basis der erbrachten kreativen Leistung. Gerade durch den Einsatz von internetbasierten Lösungen können diese Prozesse
kostenoptimal gestaltet werden. Auch besteht der Vorteil, dass die ausgewählten Kunden bereits den Beweis ihrer Kreativität abgelegt haben, während die Auswahl geeigneter Lead User oft auf rein theoretischen Überlegungen basiert. Kasten 3–15 bietet
abschließend ein Beispiel für einen Ideenwettbewerb bei der Firma Swarovski.
3.5.4 Communities für Open Innovation
Die bislang vorgestellten Instrumente von Open Innovation setzten an der Integration
einzelner Nutzer in die Produktentwicklung an, die dann in Interaktion mit dem
Unternehmen innovative Produkte und Leistungen hervorbringen sollten. Jedoch zeigt
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Instrumente von Open Innovation
Kasten 3–15:
Ideenwettbewerb bei Swarovski
(Quelle: Füller, Johann / Mühlbacher, Hans / Rieder, Birgit (2003). An die Arbeit, lieber Kunde:
Kunden als Entwickler. Harvard Business Manager, 25 (2003) 5: 36-45)
1999 brachte das auf Kristallbearbeitung spezialisierte österreichische Unternehmen Swarovski
einen Körperschmuck aus kleinen Kristallsteinen, so genannte Crystal Tattoos, auf den Markt.
Nach dem ersten Erfolg lag es im Interesse des Unternehmens herauszufinden, welche Muster
den Geschmack der Kunden am besten treffen und wie neue Trends aussehen könnten. Es wurde
entschieden, die potenziellen Käufer an der Entwicklung neuer Tattoos zu beteiligen. Als
Konsequenz veranstaltete Swarovski Anfang 2002 einen internetbasierten Ideenwettbewerb, bei
dem Kunden mit Hilfe einer Interaktionsplattform Ideen für kreative neue Muster und Formen einbringen konnten. Auf der Montagefläche der Plattform konnten beliebig viele Perlen, die am
Bildrand in unterschiedlichen Farben und Größen angeboten wurden, durch eine einfache Dragand-Drop-Funktion angeordnet werden.
Der Ideenwettbewerb war über einen Zeitraum von vier Wochen zugänglich, wobei insgesamt über
300 Personen teilnahmen und über 260 verwertbare Motive entwickelt wurden. Eine interne Jury,
bestehend aus Designern und Mitarbeitern der Marketingabteilung, prämierte die besten drei
Kreationen mit Geldpreisen von wenigen hundert Euro. Die Auswertung aller Motive half, neue
Trends, wie beispielsweise den Wunsch nach Tiermotiven, zu identifizieren. Vor dem eigentlichen
Entwerfen waren die Kunden darüber hinaus gebeten worden, einen Online-Fragebogen mit
Fragen zu Alter, Geschlecht, Vorlieben etc. auszufüllen. Indem die Motivideen mit den
Fragebogendaten verglichen wurden, konnte festgestellt werden, welcher Kundentyp welche Art
von Ornament bevorzugt.
So wurden nicht nur die besten Entwürfe des Ideenwettbewerbs nach geringfügiger Überarbeitung
in Serie produziert und erfolgreich verkauft, sondern die Marketingmanager des Unternehmens
waren auch in der Lage, speziell auf das jeweilige Kundensegment abgestimmte Produkte und
zielgruppenspezifische Kommunikationskampagnen zu entwickeln. Ebenfalls wurden die
Gewinner des Ideenwettbewerbs zu einem Innovationsworkshop eingeladen, innerhalb dessen
weitere Ideen mit den “Kundenexperten” entwickelt aber vor allem bestehende Ideen ausführlich
bewertet und diskutiert wurden.
sich in der Praxis des Innovationsmanagements, dass viele Innovation nicht das
Ergebnis der kreativen Schaffenskraft eines einzelnen Inventors sind, sondern vielmehr auf der Zusammenarbeit vieler Beteiligter beruhen. Eine Zusammenarbeit
basiert nicht nur auf den Vorteilen einer Arbeitsteilung zur Steigerung der Effizienz bei
komplexen Innovationsprojekten, sondern ist vor allem motiviert durch einen selbst
verstärkenden Effekt des Zusammenwirkens verschiedener Akteure mit unterschiedlichem Wissen, Stärken und Erfahrungen (Gascó-Hernández / Torres-Coronas 2004;
Franke / Shah 2003; Gerybadze 2003; Nemiro 2001; Sawhney / Prandelli 2000; von
Hippel / Tyre 1995). Wir haben diesen Effekt bereits in Abschnitt 3.2.2 aus der
Netzwerkperspektive des Innovationsprozesses diskutiert. Ebenso beruht die
Konzeption von Lead-User-Workshops auf dem Gedanken, heterogene Akteure in
einem lokalen Problemlösungsprozess zusammenzubringen – genau hier setzen ja
auch die Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung in ihrer Reinform einer
“Commons-based Peer Production” an.
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Definition virtuelle Gemeinschaften
Im Internet wird seit langem das Phänomen virtueller Gemeinschaften (“virtual communities”) diskutiert (siehe z. B. Hagel / Armstrong 1997; Herstatt / Sander 2004). Eine
Gemeinschaft wird allgemein durch ihre Mitglieder und die Beziehungen zwischen
diesen bestimmt, wobei in der Regel auf einen gemeinsamen Bezugspunkt fokussiert
wird. Ein solcher Bezugspunkt kann z. B. regionale Nähe (Nachbarschaft), ein Beruf,
eine gemeinsames Hobby oder auch die Faszination für ein Objekt oder eine Person
sein (Hillery 1955; McAlexander / Schouten / Koenig 2002). Durch das Aufkommen des
Internets und die damit einfacher mögliche ortsunabhängige Interaktion zwischen
Akteuren hat die alte Idee von Gemeinschaften in Form virtueller Gemeinschaften
starke Aufmerksamkeit erfahren. Eine virtuelle Gemeinschaft besteht aus einer Gruppe
von Personen, die über elektronische Medien kommuniziert und/oder interagiert. Auf
diese Weise entsteht ein “nicht radikal strukturiertes, ego-zentriertes Netzwerk im
virtuellen Raum, in dem die Nutzer multidirektional und themenspezifisch interagieren und so die Basis einer glaubwürdigen Kommunikation schaffen” (Weiber / Meyer
2002; siehe für eine Diskussion der Definition auch Armstong / Hagel 1996; Mathwick
2002; Schubert / Ginsburg 2000).
Abbildung 3–18: Merkmale virtueller Communities
Merkmale virtueller Gemeinschaften
Kommunikationsstruktur
• Communication Rings
• Content Trees
Mitgliederverhalten
• Personelle Interaktivität
• Schärfe der Fokussierung
• Kohäsion der Mitflieder
Mitgliederzusammensetzung
• verbraucherorientiert
• unternehmensorientiert
Mitgliedernutzen
• funktional
• hedonistisch
Merkmale von virtuellen Communities
Virtuelle Gemeinschaften lassen sich über die in Abbildung 3–18 genannten und im
Folgenden beschriebenen Merkmale charakterisieren (Hanson 2000; Hagel /
Armstrong 1997; Rheingold 1994; Weiber / Meyer 2002):
„ Kommunikationsstruktur: Für die Kommunikation stehen einer virtuellen
Gemeinschaft unterschiedliche technische Optionen zur Verfügung, die sich in zwei
Kommunikationsstrukturen unterscheiden: Communication Rings und Content
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Trees. Bei Communication Rings werden Informationen und Botschaften direkt
zwischen den Individuen versendet, d. h. jedes Gruppenmitglied bekommt die
identischen Nachrichten und Botschaften zugesandt. Die Kommunikation erfolgt
über Email, Net Pagers oder Groupware. Bei Content Trees handelt es sich um eine
indirekte Form der Kommunikation. So existiert ein zentraler Ort (z. B. eine Website) an dem Informationen und Botschaften über Usenets, Bulletin Boards, Chat
Rooms oder Virtual Worlds dargestellt und gespeichert werden. Die Möglichkeit,
ausgetauschte Informationen zu archivieren und somit das in einer virtuellen Gemeinschaft produzierte Wissen zu bewahren, ist der größte Vorteil von Bulletin
Boards, da sie asynchrone Kommunikationsmittel darstellen. Chats hingegen ermöglichen synchrone, also zeitgleiche, Interaktion, indem die Mitglieder Textnachrichten gleichzeitig auf einer gemeinsamen Plattform veröffentlichen (Hanson 2000).
„ Mitgliederverhalten: Das Verhalten der Mitglieder der virtuellen Gemeinschaft
manifestiert sich entlang der personellen Interaktivität, Schärfe der Fokussierung
sowie einer Kohäsion der Mitglieder. Das Kontinuum der personellen Interaktivität
wird zwischen den Polen “Interaktion an einem virtuellen Ort” und “Interaktion zu
einem Thema” aufgespannt. Während bei der Interaktion an einem virtuellen Ort
die soziale Kommunikation unter den Mitgliedern das Hauptziel ist (Kommunikation um der Kommunikation willen), wird bei der Interaktion zu einem Thema
primär themenspezifisch, unter weitestgehender Vernachlässigung persönlicher
Interaktionen, kommuniziert (Kommunikation um der Information willen). Die
Fokussierung einer virtuellen Gemeinschaft beschreibt die Intensität, mit der sich
die Gemeinschaft einem Thema widmet. Generalisierte Gemeinschaften decken
ein breites Spektrum des Themenbereiches ab, spezialisierte hingegen nur einen
Teilbereich der dafür in entsprechender Tiefe diskutiert wird. Die Kohäsion der
Mitglieder schließlich bewegt sich zwischen losen, nur schwach verbundenen und
stark kohäsiven Gemeinschaften mit familiärem Charakter.
„ Mitgliederzusammensetzung: Bei der Zusammensetzung der virtuellen Gemeinschaft unterscheiden wir verbraucher- und unternehmensorientierte Gemeinschaften. Bei verbraucherorientierten Gemeinschaften stehen hauptsächlich private Interessen und Motive im Vordergrund. Die Mitglieder der Gruppe haben ein
gemeinsames Hobby oder identische Interessen und treten als Privatpersonen auf.
Die Gemeinschaft bildet sich dann aufgrund geografischer, demografischer vor
allem jedoch themenspezifischer Gemeinsamkeiten der einzelnen Mitglieder.
Unternehmensbezogene Gemeinschaften hingegen entstehen aufgrund beruflicher Interessen einzelner Mitarbeiter oder der Organisation als Einheit
(Communities of Practice).
„ Nutzen: Hinsichtlich des Nutzens der einzelnen Teilnehmer kann wieder zwischen
funktionalen und hedonistischen Komponenten unterschieden werden. Während
sich der funktionale Nutzen hauptsächlich um den Erwerb und den Austausch
von Informationen und Wissen konstituiert, wird der hedonistische Nutzen durch
die soziale Interaktion mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft geprägt. Im
Vordergrund stehen dann die Interaktion mit den anderen Teilnehmern oder der
Aufbau und die Pflege von Freundschaften.
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Das Beispiel von Communities zur Entwicklung von Open Source Software
Besondere Aufmerksamkeit genießen virtuelle Innovationsgemeinschaften bei der
Entwicklung von Open Source Software. Open Source ist ein Sammelbegriff für
Softwarelizenzen, die den Softwarebenutzern nicht nur das Recht einräumen, den
Quellcode zu lesen, sondern diesen auch zu verändern und die Änderungen Dritten
zugänglich zu machen. Außerdem dürfen keinerlei Lizenzgebühren oder andere
Beiträge für die Software erhoben werden. Damit wird der Quellcode zu einem öffentlichen Gut (siehe zu Open Source z. B. Franck / Jungwirth 2003; Henkel 2003; Koller /
Großmann 2004; Knyphausen-Aufsess / Achtenhagen / Müller 2003; Lakhani / von
Hippel 2000; Lerner / Tirole 2002; Weber 2004). Open Source Software ist ein Beispiel
für Nutzerinnovation in größter Konsequenz: Nutzer haben hier die Idee zum Produkt,
dieses konzipiert und umgesetzt (programmiert), für seine Verbreitung und
Bewerbung gesorgt und das Produkt kontinuierlich weiterentwickelt, verbessert und
mit Zusatzapplikationen versehen. Alle diese Aktivitäten finden dabei in einer
Entwicklungsumgebung statt, die ebenfalls von Nutzern selbst entwickelt wird.
Kommerzielle Unternehmen haben erst in einer zweiten Stufe Geschäftsmodelle entwickelt, um den Open-Source-Quellcode auch weniger erfahrenen Anwendern
zugänglich zu machen. Bekannte Open-Source-Produkte sind beispielsweise das
Betriebssystem Linux oder der Web-Server Appache.
Bei der Erstellung eines Open-Source-Programmes arbeitet oft eine räumlich verteilte
Gruppe freiwilliger Software-User über das Internet zusammen, ohne dass explizite
Weisungsbefugnisse existieren. Hier finden sich die Prinzipien der “Commons-based
Peer-Production” (Abschnitt 2.4.3.4) genau umgesetzt: Die Gesamtaufgabe ist in viele
kleine Beiträge unterteilt, deren Lösung unterschiedliche Kompetenzen, Motivation
und Zeit beansprucht. Die Teilnehmer identifizieren selbst die Aufgaben, an denen sie
arbeiten wollen und stellen eine Lösung bereit, die anschließend von anderen
Teilnehmern geprüft und ggfs. verbessert und weiter entwickelt werden. Auf diese
Weise entsteht eine virtuelle Innovationsgemeinschaft. Auch die Definition der
Probleme selbst ist Aufgabe der Gemeinschaft. Die Akteure der Open Source
Gemeinschaft treiben zumeist in kleineren Beiträgen die Entwicklung des Projektes
voran, d. h. User der Software beteiligen sich an deren kontinuierlicher Innovation
(Benkler 2002; Osterloh / Rota / von Wartburg 2002; Weber 2004). Dem “Maintainer”
der Software fällt dann lediglich die Aufgabe zu, den Input zu prüfen.
Das Open-Source-Modell weicht erheblich von dem Modell des klassischen
Innovationsprozesses ab. Sämtliche Phasen des Innovationsprozesses von der
Ideengenerierung über die Entwicklung eines Prototyps bis zur Distribution der
Software werden von Nutzern der Software übernommen. Es existiert im Gegensatz zu
proprietärer Software kein Unternehmen, welches sämtliche Innovationen durch interne Forschung und Entwicklung generiert, rechtlich schützt und anschließend vermarktet (Brügge et al. 2004). Vielmehr zeigt das Beispiel Open Source Software, dass Nutzer
einer Software – und nicht nur “professionelle” Unternehmen – gemeinsam in der Lage
sind, diese weiterzuentwickeln und neue innovative Software zu generieren (Lakhani /
von Hippel 2000). Kasten 3–16 beschreibt in der Sprache der Entwickler den
Unterschied zwischen Open Source und konventioneller Software.
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Instrumente von Open Innovation
Kasten 3–16:
Beispiel zur Interaktiven Wertschöpfung in Innovation-Communities: Die
Entstehung von Linux
(Quelle: Auszug aus Eric Raymonds (1999) berühmtem Artikel, in dem er die Arbeitsweise der virtuellen Innovationsgemeinschaft beim Open-Source-Betriebssystem Linux mit einem Basar vergleicht, während die Organisation der Produktion proprietärer Software der Erstellung einer
Kathedrale gleicht. Deutsche Übersetzung von R. Gantar [www.gnuwin.epfl.ch])
“Linux ist subversiv. Wer hätte auch vor nur fünf Jahren (1991) gedacht, dass sich ein
Betriebssystem der Spitzenklasse wie durch Zauberei materialisieren könnte, geschaffen von tausenden über den ganzen Planeten verstreuten Nebenerwerbs-Hackern, die durch die eng verwobenen Stränge des Internets verbunden sind? Ich sicher nicht. Zu dem Zeitpunkt, als Linux 1993
auf meinem Radarschirm auftauchte, hatte ich bereits zehn Jahre in der Unix- und Open-SourceEntwicklung verbracht. Mitte der Achtziger war ich einer der ersten Beitragenden zu GNU. Ich hatte
bereits umfangreiche Open Source-Software im Internet veröffentlicht, die ich selbst entwickelt
oder mitentwickelt hatte (nethack, Emacs VC und GUD modes, xlife und andere) und die heute
noch viel verwendet wird. Ich dachte, ich wüsste, wie es gemacht wird. Dann stellte Linux alles in
Frage, was ich zu wissen glaubte. Ich hatte das Unix-Evangelium der kleinen Tools, des rapid prototyping und der inkrementellen Verbesserung seit der ersten Stunde verbreitet. Ich glaubte aber
auch, dass es eine bestimmte kritische Komplexitätsstufe gebe, ab der ein zentralisierterer Ansatz
mit sehr genauer Vorausplanung erforderlich wird. Ich glaubte, dass die wichtigste Software
(Betriebssysteme und wirklich umfangreiche Tools wie Emacs) so gebaut werden müssten wie
Kathedralen, sorgsam gemeißelt von einzelnen Druiden oder kleinen Teams von Hohepriestern,
die in totaler Abgeschiedenheit wirkten und keine unfertigen Beta-Freigaben veröffentlichen dürften.
Linus Torvalds’ Entwicklungsstil auf der anderen Seite - mit seinen frühen und häufigen Freigaben,
seinem Delegieren von allem, was nur irgendwie möglich ist, und der an Promiskuität grenzenden
Offenheit - war eine echte Überraschung. Es handelte sich nicht gerade um eine stille und ehrfurchtsvolle Tätigkeit, wie der Bau einer Kathedrale eine ist — stattdessen schien die LinuxGemeinde ein großer, wild durcheinander plappernder Basar von verschiedenen Zielsetzungen
und Ansätzen zu sein (alles sehr treffend durch die Linux-Archivsites repräsentiert, die Beiträge
von jedem nehmen), der ein kohärentes und stabiles System wohl nur durch eine Reihe von
Wundern hervorbringen konnte. Die Tatsache, dass der Basar zu funktionieren schien, und zwar
sehr gut zu funktionieren schien, war ein ausgesprochener Schock. Während ich lernte, mich in
dieser neuen Umgebung zurechtzufinden, arbeitete ich nicht nur angestrengt an eigenen
Projekten, sondern versuchte auch zu verstehen, warum die Linux-Welt sich nicht nur nicht einfach in völliger Konfusion auflöste, sondern an Durchschlagskraft immer weiter zulegte und eine
Produktivität ausbildete, die für die Erbauer einer Software-Kathedrale kaum vorstellbar gewesen
ist.
Mitte 1996 dachte ich, dass mir ein genaueres Verständnis dämmerte. Durch Zufall bekam ich eine
ausgezeichnete Gelegenheit, meine Theorie zu testen, und zwar in Form eines Open SourceProjekts, das ich bewusst im Basar-Stil abwickeln konnte. Das tat ich dann auch — und es wurde
ein bedeutender Erfolg. Dies ist die Geschichte dieses Projekts. Ich verwende es, um einige
Aphorismen über effektive Open Source-Entwicklung vorzustellen. Nicht alle davon erfuhr ich als
erstes in der Linux-Welt, ich werde aber auf Beispiele aus der Linux-Welt zurückgreifen, um
bestimmte Punkte zu illustrieren. Wenn ich damit richtig liege, werden sie helfen zu verstehen,
warum gerade die Linux-Gemeinde zu so einem steten Quell guter Software geworden ist — und
vielleicht auch, wie Sie selbst produktiver werden können.”
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Dieses Modell funktioniert aber nur, wenn auch die Rechte an den Ergebnissen des
Entwicklungsprozesses frei für alle Teilnehmer verfügbar sind (“commons-based”), d.
h. nicht durch gewerbliche Schutzrechte blockiert sind. Heute hat sich gezeigt, dass
auch große konventionelle Unternehmen, die klassischerweise stark auf die Wahrung
ihrer Schutzrechte aus waren, das Open-Source-Entwicklungsmodell in ihr
Wertschöpfungsmodell integrieren und davon profitieren können. Vor diesem
Hintergrund ist die Bildung des so genannten ‘Open Invention Networks’ durch diese
Unternehmen zu sehen, das einen Pool an kritischen Patenten hält und diese allen
internen und externen Nutzern ohne Einschränkung zur Verfügung stellt. Damit sollen vor allem Unternehmen behindert werden, die durch den Erwerb eines kritischen
Schutzrechts den offenen Entwicklungsprozess behindern könnten (und in der Regel
auf hohe Lizenzzahlungen von großen konventionellen Nutzern von Open-SourceSoftware aus sind). Kasten 3–16 beschreibt diese Initiative, die durchaus auch als weitere Form der Nutzerintegration gesehen werden: Hier sind es die Nutzer selbst, die
bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen mitwirken und die Voraussetzungen
schaffen, dass Nutzerinnovation funktioniert.
Kasten 3–17:
Open Invention Network Formed to Promote Linux and Spur Innovation
Globally Through Access to Key Patents
(Quelle: Presseerklärung des Open Invention Networks anlässlich der Gründung des Unternehmens [openinventionnetwork.com])
New York (November 10, 2005) - Open Invention Network (OIN), a company that has and will
acquire patents and offer them royalty-free to promote Linux and spur innovation globally, was
launched today with financial support from IBM, Novell, Philips, Red Hat, and Sony. The company,
believed to be the first of its kind, is creating a new model where patents are openly shared in a
collaborative environment and used to facilitate the advancement of applications for, and components of, the Linux operating system.
“Open collaboration is critical for driving innovation, which fuels global economic growth. Impediments to collaboration on the Linux operating system seriously jeopardize innovation. A new model
of intellectual property management for Linux must be established to maintain advances in software
innovation – regardless of the size or type of business or organization,” said Jerry Rosenthal, chief
executive officer at Open Invention Network. The company will foster an open, collaborative environment that stimulates advances in Linux – helping ensure the continuation of global innovation that
has benefited software vendors, customers, emerging markets and investors, among others.
Patents owned by Open Invention Network will be available on a royalty-free basis to any company,
institution or individual that agrees not to assert its patents against the Linux operating system or certain Linux-related applications. Open Invention Network believes that creating a new system to manage and ensure access to key patents for the Linux operating system will have a significant economic
impact. According to International Data Corporation, the worldwide Linux business is expected to
grow 25.9 percent annually, doubling from $20 billion in 2005 to more than $40 billion in 2008.
“Open Invention Network is not focused on income or profit generation with our patents, but on
using them to promote a positive, fertile ecosystem for the Linux operating system and to drive
innovation and choice into the marketplace,” said Mr. Rosenthal. “We intend to spur innovation in
IT and across industries by helping software developers focus on what they do best - developing
great Linux-related software with greater assurance about intellectual property issues.” Among
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Open Invention Network’s initial patent holdings is a set of business-to-business electronic commerce patents that were purchased from Commerce One by JGR, a subsidiary of Novell.
Investor Statements
IBM: “The formation of Open Invention Network signals a growing movement where companies
today are looking beyond their own organizational boundaries,” said Jim Stallings, vice president
of intellectual property and open standards at IBM. “They are strategically sharing their intellectual property and building broader industry partnerships in order to accelerate innovation and drive
new economic growth.”
Novell: “We are proud to be a founding member of the Open Invention Network,” said Jack
Messman, CEO of Novell. “While Novell has been a major contributor to the open source community and has shown its commitment to promoting and fostering the adoption of open source and
open standards, this initiative raises our leadership to the highest level. With this new initiative,
users of open source software will have access to a broad set of technologies that will help foster
an even more robust community of developers, customers, business partners and investors. This
is a breakthrough idea whose time has come.”
Philips: “Philips is actively involved in the creation and funding of Open Invention Network because we believe that OIN will make the Linux platform more attractive for users. This will stimulate
developers to focus their resources on creating high-value, innovative software on this open platform,” said Ruud Peters, chief executive officer of Philips Intellectual Property & Standards. “We
believe that this initiative will widely boost the use of the Linux platform and its applications.”
Red Hat: “By providing this unique collaborative framework, Open Invention Network will set open
source developers free to do what they do best-innovate,” said Mark Webbink, senior vice president at Red Hat. “At the same time, Open Invention Network extends to distributors and users of
open source software freedom from concern about software patents.”
Sony: “Linux is clearly an important technology for Sony and the global community in general,” said
Yoshihide Nakamura, SVP, Corporate Executive of Sony Corporation. “We believe Linux and open
standards will provide companies with more options for the development of innovative products.
We have and will continue to support initiatives like Open Invention Network that promote a positive environment for these developments.”
Inzwischen überträgt sich der Gedanke von Open Source aus der Softwareentwicklung
auch auf andere Bereiche (siehe auch Koller / Großmann 2004). Kasten 3–18 nennt abschließend einige Beispiele. Auch wenn diese Initiativen teilweise eher unprofessionell oder gar
ideologisch-verbrämt erscheinen, so beschreiben sie doch mehr als nur einen weiteren
Trend. Denn wer hätte bei den Anfängen der Linux-Bewegung gedacht, dass eine solche
Initiative die Softwareindustrie verändert hat wie kaum eine andere Prozessinnovation?
Virtuelle Gemeinschaften als Mittel zu Open Innovation
Open-Source-Softwareentwicklung und die im Kasten zuvor genannten Beispiele sind
alles von Nutzern selbst initiierte Projekte. Wir wollen im Folgenden jedoch betrachten, wie herstellerinitiierte Communities für Open Innovation aussehen und funktionieren können (siehe hierzu auch die Beiträge in Herstatt / Sanders 2004). Diese virtuellen Innovationsgemeinschaften können in sämtlichen Phasen des Innovationsprozesses eingesetzt werden. Grundsätzlich lassen sich dabei zwei unterschiedliche Vorgehensweisen unterscheiden:
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Kasten 3–18:
Beispiele der Übertragung des Gedankens der Open-Source-SoftwareEntwicklung auf andere Bereiche
Free-CPU-Projekte (www.f-cpu.org, www.free-ip.com): Diese Projekte wollen zeigen, dass selbst
Mikroprozessoren in einer Innovations-Community entwickelt werden können. “Anyone may join
the team and contribute - or even contribute without officially “joining” in any way. Even those with
limited or no knowledge of CPU development can have something to contribute. The name of the
game is Freedom, so our designs are being developed openly and will be openly distributable
under a GNU GPL-like license, so anyone will be able to (if they have the funding at least) take
our designs and manufacture and sell their own FCPU or derivative chips, but any changes will
have to be made freely available again”. “Free-IP is a block of logic that can be used in making
ASIC’s and FPGA’s. Examples are UART’s, CPU’s, Ethernet Controllers, PCI Interfaces, etc. In
the past, quality cores of this nature could cost anywhere from US$5,000 to more than
US$350,000.”
Open Enzyklopädien (z. B. www.wikipedia.com, www.nupedia.com, www.opencontent.org):
Mittlerweile gibt es zahlreiche Projekte, die den Open-Source-Gedanken auf eine frei zugängliche
Enzyklopädie übertragen. Basierend auf möglichst vielen freiwilligen Beiträgen soll eine qualitativ
hochwertige, verlässliche und vielfältige Enzyklopädie in mehreren Sprachen entstehen. In den
meisten Fällen werden die eingesandten Artikel überprüft, um einen gewissen Qualitätsstandard
zu gewährleisten. Damit soll den vorhandenen, oft sehr teuren professionellen Enzyklopädien ein
Gegenpol entgegengesetzt werden, der auf dem Wissen der Nutzer und unzähliger Fachleute
beruht (siehe auch die Fallstudie zu Wikipedia in Abschnitt 5.2).
OSCar Project (www.theoscarproject.org): Der Name OSCar steht für ein ambitioniertes Projekt,
in dem die Entwicklung eines Autos nach Open-Source-Prinzipien ablaufen soll. Statt der bei
Automobilherstellern üblichen strengen Geheimhaltung sind hier die Ideen, Designs und
Entwicklungspläne öffentliches Gut. Seit Juni 2000 debattieren motivierte Freiwillige, kreative
Tüftler und Bastler, Laien sowie engagierte Spezialisten in verschiedenen Foren unter anderem
über Vorschläge für Design, Antrieb, Technik, Elektronik und Sicherheit des OSCar. Soll das WebAuto nun Flügeltüren bekommen? Windschutzscheiben aus Kunststoff? Kameras statt
Außenspiegel? Der Fantasie der Hobby-Ingenieure sind keine Grenzen gesetzt. Das heißt, fast
keine, denn ein paar Kriterien, die das Web-Auto erfüllen muss, standen von Anfang an fest: Das
OSCar sollte auf jeden Fall ein leichter Kleinwagen werden, nicht teurer als 8 000 Euro und 140
Stundenkilometer schnell sein.
„ Auswertung existierender Gemeinschaften: Zum einen besteht die Möglichkeit,
existierende virtuelle Gemeinschaften zu beobachten und Postings der einzelnen
Mitglieder auf Ideen für den Innovationsprozess auszuwerten.
„ Etablierung virtueller Innovationsgemeinschaften: Zum anderen können Unternehmen selbst eine virtuelle Gemeinschaft etablieren, die explizit darauf fokussiert,
Innovationen hervorzubringen. Die Idee ist hier, Innovationsaufgaben an diese virtuelle Gemeinschaft zu richten, deren Mitglieder dann gemeinsam an Lösungen für
diese Aufgabe arbeiten.
Beobachtung virtueller Gemeinschaften
Bei der Beobachtung virtueller Gemeinschaften werden die Beiträge einzelner Mitglieder der Gemeinschaft auf innovationsrelevante Inhalte untersucht (Henkel / Sander
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2003; Sawhney / Prandelli 2000). Besonders geeignet sind hierfür verbraucher- und
unternehmensorientierte virtuelle Produktgemeinschaften, bei denen sich die Themen
um Produkte oder Marken konstituieren (siehe Abbildung 3–19 für Beispiele). Dabei
kann es sich um Produkte oder Produktgruppen eines einzelnen Herstellers handeln,
aber auch um das Produktangebot einer Branche. Manche dieser Communities sind
herstellerorganisiert, andere von Intermediären, andere von den Nutzern selbst
(Pfeiffer 2002).
Abbildung 3–19: Beispiele für Meinungsplattformen und Marken-Communities im Internet
(in Anlehnung an Pfeiffer 2002: 21)
Geschäftsmodell
Objekt
Organisator
Inhalt
dooyoo.de
kommerziell
verschiedene
Kategorien (mehr
als 100 000
Marken)
Intermediär
positive & negative
Produktbeurteilungen
vocatus.de
kommerziell
verschiedene
Kategorien
Intermediär
positive & negative
Produktbeurteilungen
Lugnet.com
nicht
kommerziell
eine Marke
(LEGO)
Nutzergruppe
Fan Site, Kommentare
und Handel
Java developer
community
kommerziell
ein Produkt
(SUN Java)
Hersteller
Hilfestellungen, Feedback zu Produkten
Camp Jeep
Rally
kommerziell
eine Marke
(JEEP)
Hersteller
positive Erfahrungen,
Produkt-Information
mcspotlight.org
nicht
kommerziell
eine Marke
(MC DONALD'S)
Nutzergruppe
negative Erfahrungen
john's swoosh
page (acaria.com
/ jsp / )
nicht
kommerziell
eine Marke
(NIKE)
Nutzergruppe
positive Erfahrungen
und ProduktInformation
starbucked.com
nicht
kommerziell
eine Marke
(STARBUCKS)
Nutzergruppe
negative Ausgangssituation, positive and
negative Beiträge
anderer Nutzer
newsgroup.
misc.consumers
nicht
kommerziell
verschiedene
Kategorien
Nutzergruppe
positive und negative
Erfahrungen
newsgroup
alt.destroy.
microsoft
nicht
kommerziell
eine Marke
(MICROSOFT)
Nutzergruppe
negative Erfahrungen
Community
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Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation
Innerhalb einer solchen Gemeinschaft tauschen die Teilnehmer ihre Erfahrungen mit
dem Produkt aus, kommunizieren ihre Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit dem
Produkt oder leisten sich untereinander Hilfestellungen, wenn es darum geht, den
Nutzen des Produktes vollständig zu erschließen oder Reparaturen durchzuführen.
Häufige Diskussionen drehen sich zudem um die Frage, wo ein bestimmtes Produkt zur
Zeit am günstigsten erworben werden kann. Unternehmen können sich eine solche virtuelle Produktgemeinschaft zu Nutze machen, indem sie die Beiträge der Teilnehmer
nach innovationsrelevanten Informationen durchsuchen. Für ein solches Vorgehen bieten sich insbesondere virtuelle Gemeinschaften an, die auf Content Trees und Bulletin
Boards basieren. Bulletin Boards erlauben es, verschiedene Themenstränge zu separieren
und die Konversation der Teilnehmer im Nachhinein exakt nachzuvollziehen. Zudem
speichern sie Kommunikationsstränge zentral und langfristig (Henkel / Sander 2003).
Die Beiträge in einzelnen Communities sind oft sehr umfangreich und enthalten eine
Fülle interessanter Informationen für einen Hersteller. Dabei handelt es sich zum einen
um Beschwerden und Unzufriedenheitsäußerungen zu bestimmten Produktfeatures,
zum anderen aber auch um Lob und ein besonderes Hervorheben einzelner Features.
Bereits diese Informationen sind wichtige Anhaltspunkte für die Neuproduktentwicklung. Manche Beträge beinhalten aber nicht nur wahrgenommene Fehlfunktionen
eines Produkts, sondern auch genaue Vorschläge zur deren Behebung, Lösungsvorschläge zur Steigerung der Performance, Ideen für weitere Produktattribute oder technologische Verbesserungsmöglichkeiten. Vorschläge können jedoch auch auf grundlegend neue Innovationsideen abzielen – von einer Idee bis hin zu ersten Prototypen aus
der Eigenentwicklung eines Gemeinschaftsmitglieds.
Das Problem ist aber oft die Identifikation dieser innovativen Beträge. Die Suche
nach innovativen Beiträgen einzelner Mitglieder der Gemeinschaft kann für ein
Unternehmen mit hohem zeitlichem Aufwand verbunden sein. Henkel und Sander
(2003) belegen dies mit einer empirischen Untersuchung: Die Produktgemeinschaft
smart-club.de für das gleichnamige Automobil verzeichnete beispielsweise innerhalb
von 15 Monaten nach ihrer Gründung 43.000 Beiträge. In einer Untersuchung wurden
6640 Beiträge dieser Gemeinschaft manuell ausgewertet und einer der folgenden vier
Kategorien zugeordnet (Henkel / Sander 2003):
„ Prototyp vorhanden (Kategorie 1): Beiträge, in denen ein Prototyp beschrieben
wird oder erkennbar ist, dass der Teilnehmer einen solchen bereits realisiert hat
„ Lösungsvorschlag (Kategorie 2): Beiträge, welche einen theoretischen Lösungsvorschlag für ein Problem präsentieren
„ Problem erkannt (Kategorie 3): Beiträge die ein objektiv neues, bisher nicht bekanntes Problem beschreiben
„ nicht innovativ (Kategorie 4): alle übrigen Beiträge, zum Beispiel zum Thema
Chiptuning, HiFi-Komponenten, …
Im Ergebnis enthielten nur 1,13 Prozent aller untersuchten Beiträge innovationsrelevante Informationen (Kategorie 1-3), während 98,87 Prozent der Beiträge vom Typ
“nicht innovativ” (Kategorie 4) waren. Somit besteht die zentrale Herausforderung
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darin, innovative Beiträge aus der Masse der Postings effizient zu filtern. Dies wäre
dann möglich, wenn sich innovative und nicht innovative Beiträge in bestimmten
Merkmalen signifikant unterscheiden.
Potenziell kommen hierzu drei Unterscheidungsmerkmale in Frage, ohne weitere
Primärerhebungen innerhalb der Gemeinschaft durchzuführen (z. B. ScreeningFragebögen oder Pyramiding): die Form-, Subjekt- und Inhaltsebene der Beiträge. Die
Formebene umfasst die beiden Eigenschaften “Länge der Beiträge” sowie “Ebene der
Beiträge innerhalb der Baumstruktur des Kommunikationsstranges”. Die
Subjektebene wird durch die Eigenschaften “Anzahl der Beiträge pro Verfasser, Länge
der Zugehörigkeit der Verfasser zur Gemeinschaft” sowie “Existenz innovativer
Cluster”, d. h. Gruppen von Mitgliedern der Gemeinschaft, die innovative Beiträge
untereinander austauschen, aufgespannt. Die Inhaltsebene beschreibt schließlich die
sprachliche Konstruktion der Beiträge durch Verwendung innovationsassoziativer
Ausdrücke (z. B. Idee, unzufrieden, Lösung, Verbesserung, Prototyp, eigene
Konstruktion).
Eine Analyse der smart-club.de Beiträge auf Subjekt- und Objektebene kommt zu folgendem Ergebnis. Innovative Beiträge der Kategorie “Prototyp erkannt” waren im
Mittel signifikant länger als Beiträge anderer Kategorien. Des Weiteren hat die Ebene
des Kommunikationsstranges signifikanten Einfluss auf Beiträge der Kategorie
“Problem erkannt”. Diese Beiträge finden sich vor allem auf der ersten Ebene des
Kommunikationsstranges. Die Subjektebene hingegen liefert keine signifikanten
Anhaltspunkte, um innovative von nicht innovativen Beiträgen zu unterscheiden.
Keine Erkenntnisse liegen bisher für die Inhaltsebene vor, obwohl vermutet werden
kann, dass diese signifikanten Erklärungswert besitzt.
Bei Existenz unterscheidungsrelevanter Eigenschaften zur Identifikation innovativer
Beiträge verspricht der Einsatz softwaregestützter automatisierter Inhaltsauswertungen eine Effizienzsteigerung gegenüber einer manuellen Auswertung. Eine solche Filtersoftware lässt sich auf das Erkennen von Beiträgen mit definierten
Merkmalsausprägungen trainieren und wurde auch in der Smart-Gemeinschaft auf
Eignung getestet. Die Untersuchung kommt zu dem ermutigenden Ergebnis, dass
grundsätzlich eine softwaregestützte Identifikation möglich erscheint, auch wenn verfügbare Produkte bisher noch Verbesserungsbedarf haben (Henkel / Sander 2003).
Etablierung virtueller Innovationsgemeinschaften
Bei den zuvor betrachteten virtuellen Produktgemeinschaften entstehen innovationsrelevante Beiträge als “Nebenprodukt”. Die Gemeinschaft ist nicht originär darauf ausgerichtet, Innovationen zu generieren. Anders verhält es sich bei virtuellen
Innovationsgemeinschaften. In diesen verfolgen die Mitglieder das Ziel, gemeinsam
innovative Problemlösungen zu erarbeiten. Diese sind häufig auch vom Hersteller
initiiert und werden von diesem betreut (Bartl / Ernst / Füller 2004; Füller et al. 2004).
Wichtigste Aufgabe ist in diesem Zusammenhang die Etablierung einer geeigneten
virtuellen Gemeinschaft. Denn im Gegensatz zur reinen Beobachtung von ProduktCommunities zielt der Hersteller hier auf eine intensive Interaktion zwischen und mit
den Mitgliedern der Gemeinschaft. Betreibt ein Unternehmen bereits eine aktive vir187
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tuelle Gemeinschaft (z. B. eine Produktgemeinschaft, Kundenclub), bietet diese meist
eine geeignete Ausgangsbasis für eine Innovationsgemeinschaft. Ist dies nicht der Fall,
entstehen hohe Kosten für den Aufbau, die Pflege und den Betrieb der Community, vor
allem jedoch für die Akquise von Gemeinschaftsmitgliedern. Auch sind viele
Initiativen von Herstellern fehlgeschlagen, selbst virtuelle Gemeinschaften um ihr
Produkt zu etablieren. Überaus erfolgreich war dagegen Muji, ein japanischer
Hersteller und Händler von Haushaltswaren (Kasten 3–19).
Kasten 3–19:
Nutzung von Input aus Kunden-Communities bei MUJI
(Quelle: Auszug aus: Susumu Ogawa und Frank Piller: Collective Customer Commitment, MIT
Sloan School of Management Working Paper, October 2005 [online: userinnovation.mit.edu])
Muji is a Japanese specialty retail chain with 2004 sales topping 117,100 million Yen. Muji is a household name in Japan for all kind of consumer commodities, and highly acclaimed in Europe for its
industrial design and product esthetics. Its major product categories are apparel (38 % of total
sales), household goods & stationary (52%), and food (10%). While the company is famous for its
powerful internal design practice, it has a very strong method to incorporate customer input into
the new product development process.
In its Japanese home market, the company receives more than 8000 suggestions for product
improvements or new product ideas each month. Suggestions are sent as postcards attached to
catalogues, as e-mails or via feedback forms on the company’s website. On the internet, Muji has
an online customer community, Muji.net, with approximately 410,000 members. On the sales floor,
sales associates are encouraged to collect notes on customer behavior and short quotes from
sales dialogues. More than 1000 of these memos are processed each month. The company even
organizes a vacation club, Muji Camp, where customers can experience a summer vacation with
Muji products. The camp provides Muji with the opportunity to observe customers during the camp
and to develop relationships with the vacationers that go beyond the summer.
This dazzling array of customer input is motivated by the customers’ high involvement with the
brand. In return, Muji acknowledges the customer input by marking products triggered by suggestions of customers clearly in its catalog. Notwithstanding this openness to external input, product
planning and product development remains a closed, internal managed process. Customer input
is collected, categorized and evaluated in a structured process, resulting in an internal short-list of
top ideas which are discussed in a “business improvement meeting” by a management board,
including the company president. This board has also the sole decision how to proceed with a submitted idea.
Ein alternatives Vorgehen besteht in der Option, eine fremde Gemeinschaft zu nutzen
und Innovationsaufgaben an diese zu richten. Voraussetzung ist dazu, dass diese nicht
nur existiert und aus einer Gruppe von Teilnehmern besteht, die die notwendigen
Eigenschaften in Hinblick auf die Innovationsaufgabe hat, sondern dass der Betreiber
dieser Community auch zur Mitwirkung gewonnen werden kann. Auf diese vorhandene virtuelle Innovationsgemeinschaft kann ein Hersteller nun verschiedene
Instrumente, die wir bereits zuvor beschrieben haben, anwenden. So bietet eine
Innovationsgemeinschaft eine gute Gelegenheit für einen Innovationswettbewerb, der
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Instrumente von Open Innovation
aber gegebenenfalls offen gestaltet wird, so dass die Nutzer auf die Beiträge anderer
aufbauen können (ein Beispiel ist der User Contest von MathWorks, siehe mathworks.com/contest). Ebenfalls können Toolkits for User Innovation durch mehrere
Nutzer bedient werden, die gemeinschaftlich eine Lösung schaffen (Piller et al. 2005).
Der Automobilhersteller Peugeot nutzte beispielsweise eine virtuelle Innovationsgemeinschaft, um von dieser neue Autodesigns entwickeln zu lassen. Grundlage
waren exisiterende Online-Communities von Autofans. Mehr als 2800 Designer aus 90
Nationen beteiligten sich an dieser Aufgabe. Volvo hingegen präsentierte einer
Innovationsgemeinschaft visualisierte Prototypen neuer Fahrzeuge und bat die
Mitglieder der Gemeinschaft um Feedback (Bartl / Ernst / Füller 2004; Füller et al.
2004). Zu Beginn dieses Buchs haben wir bereits anhand des Unternehmens
Threadless gesehen, wie ein Unternehmen sein gesamtes Geschäftsmodell auf eine virtuelle Innovationsgemeinschaft ausgerichtet hat, die sowohl neue Produkte entwickelt,
diese bewertet, vertreibt und kauft.
Kasten 3–20:
Literaturempfehlungen zu Open Innovation Communities
„
Franke, Nikolaus / Shah, Sonali (2003). How communities support innovative activities: an
exploration of assistance and sharing among end-users. Research Policy, 32 (2003) 1: 157178.
„
Füller, Johann (2005). Community Based Innovations – Virtual Integration of Online Consumer
Groups into New Product Development. Dissertation an der Fakultät für Betriebswirtschaft der
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Oktober 2005.
„
McAlexander, James H. / Schouten, John / Koenig, Harold (2002). Building brand community.
Journal of Marketing, 66 (2002) 1 (January): 38-54.
„
Sawhney, Mohanbir / Prandelli, Emanuela (2000). Communities of creation: Managing distributed innovation in turbulent markets. California Management Review, 42 (2000) 4: 24-54.
„
Shah, Sonali (2005). Open beyond software. In: Danese Cooper / Chris DiBona / Mark Stone
(eds.): Open Sources 2, Sebastopol, CA: O’Reilly 2005: 339-360.
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Interaktive Wertschöpfung in der
Produktion: Individualisierung
und Mass Customization
Open Innovation und eine Integration der Kunden in den Innovationsprozess ist – aus
Firmensicht – eine meist sehr neue Vorgehensweise. In einem anderen Fall der
Leistungserstellung dagegen ist die Kundenintegration eine gängige Praxis: bei der
Individualisierung von Produkten und Leistungen. Im Gegensatz zur Produktion
massenhafter, standardisierter Güter kann eine individuelle Leistung nur dann erstellt
werden, wenn der Hersteller mit dem Kunden vor der Leistungserstellung interagiert,
um die Wünsche und Spezifikationen für das individuelle Produkt zu erfragen. Damit
kommt es auch hier zu einer Integration der Kunden in einen gemeinsamen Wertschöpfungsprozess mit den Anbietern. Wir wollen im Rahmen unserer Diskussion der
interaktiven Wertschöpfung als neue Form der Organisation arbeitsteiliger Leistungserstellungsprozesse zwischen Kunden und Herstellern die Produktindividualisierung
aus zwei Gründen genauer betrachten:
„ In der Praxis ist in manchen Industrien heute eine recht weite Verbreitung einer
Produktindividualisierung festzustellen. Damit ergibt sich hier ein gutes Feld für
eine empirische Analyse, um zur untersuchen, wie Wertschöpfungsprozesse und
unterstützende Strukturen bei einer interaktiven Wertschöpfung im Allgemeinen
zielführend gestaltet werden können. Interaktionsprozesse bei Produktindividualisierung können wichtige Anhaltspunkte für eine Gestaltung eines interaktiven Innovationsprozesses geben. Dies gilt insbesondere auf der Ebene der
Instrumente: Produktkonfiguratoren zur Individualisierung sind ein wesentliches
Vorbild von Toolkits für Open Innovation.
„ Jedoch ist auch die Individualisierung an sich eine spannende Strategie für viele
Unternehmen. Lange Zeit schien aufgrund der hohen zusätzlichen Kosten der
Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager eine Individualisierung nur bei
(margenträchtigen) Industriegütern sinnvoll. Im Bereich von Konsumgütern blieb
die Individualisierung ein Nischenphänomen. Jedoch erlauben in jüngster Zeit
moderne Informations- und Kommunikationstechnologien eine drastische
Senkung der Interaktionskosten. Der Begriff Mass Customization greift diesen
Gedanken auf und beschreibt die Erstellung individueller Güter und Leistungen,
ohne dabei die mit einer Massenproduktion verbundenen Kostenvorteile aufzugeben. Damit wird eine Produktindividualisierung für deutlich mehr Marktsegmente
als Option zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen interessant. Wir haben bereits
im Grundlagenkapitel mit Dell (Kasten 2–4) und Spreadshirt (Kasten 2–8) typische
Beispiele für Mass Customization kennen gelernt. Ein weiteres prominentes
Beispiel ist das ‘mi adidas’-Programm von Adidas-Salomon (Kasten 4–1).
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Eine Produktindividualisierung konkretisiert damit die interaktive Wertschöpfung im
Produktionsbereich und ist ein wesentliches Mittel zur Durchsetzung einer nachhaltigen Differenzierungsstrategie (siehe Abschnitt 2.4.5). Wir werden in diesem Kapitel
zunächst allgemein die Prinzipien und Eigenschaften der Produktindividualisierung
diskutieren. Schwerpunkt ist dabei der Mass-Customization-Ansatz, d. h. die
Individualisierung von Gütern und Leistungen für eine relativ große Zahl an
Abnehmern unter ähnlichen Effizienzbedingungen eines vergleichbaren Massenproduktionssystems. Die Betrachtung dieser Effizienzbedingungen steht im
Mittelpunkt der dann folgenden Analyse. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels betrachtet konkrete Instrumente der Interaktion zwischen Kunden und Herstellern bei Mass
Customization.
Kasten 4–1:
mi adidas: Das Mass-Customization-Programm von Adidas
Die internationale Sportschuhindustrie ist ein Paradebeispiel für innovatives Variantenmanagement. Die fünf größten Marken – Nike, Adidas, Reebok, Asics und Puma – produzieren
nicht mehr selbst, sondern verlassen sich auf ein “Outsourcing” der Produktion, oft bei den gleichen Lieferanten. Die Kernkompetenzen dieser Firmen sind die Erkennung von Markttrends sowie
das Design und die Entwicklung neuer Produkte. Umfassende Marktforschung, verlässliche
Vorhersagen und ein gutes Supply Chain Management werden so zusammen mit einer starken
Markenführung als Grundlage für den Erfolg in der Branche gesehen. Allerdings stehen auch
Marktführer wie Adidas und Nike Problemen gegenüber: Ihr Markenname wird von neuen, modischen Kleidungsmarken herausgefordert. Die Konsumenten verlangen hochqualitative Schuhe für
weniger Geld, und die Kundenloyalität sinkt rapide.
Diese und andere Trends veranlassten Adidas, im Jahr 2001 die individualisierbare Produktlinie
“mi adidas” einzuführen. Damit sollte auch ein anderes Problem angegangen werden. Aufgrund
der wachsenden Individualisierung der Nachfrage und einer zunehmenden Segmentierung des
Gesamtmarktes in Mikronischen war die Zahl an Produktvarianten explodiert. Diese Entwicklung
macht die Absatzplanung schwieriger als je zuvor. Folge sind hohe Lagerbestände, ein zunehmendes Moderisiko, eine sehr hohe Komplexität in der Zuliefer-Kette und immer größere Discounts,
um fehlgeplante Produkte loszuwerden. Dazu kommt verlorener Umsatz bei Produkten, die vom
Markt besser angenommen wurden als erwartet, aber nicht in ausreichenden Mengen oder in richtigen Größen verfügbar waren.
Das Mass-Customization-Programm von Adidas dient als Antwort auf diese Herausforderungen. In
speziellen Einzelhandelsgeschäften und bei ausgesuchten Veranstaltungen können die Kunden
individualisierte Schuhe erwerben. Sie können dabei ihre Schuhe in Bezug auf Passform, Funktion
und Design selbst anpassen. Solch ein Service war bisher Fußballstars wie David Beckham oder
Top-Läufern wie Haile Gebrselassie vorbehalten. Die Schuhe werden zu einem Preis, der etwa
30% über dem des Standardschuhs liegt, verkauft. Mit Hilfe eines Fußscanners werden die Füße
des Kunden gescannt und die genaue Länge, Breite und Druckverteilung jedes Fußes bestimmt.
Dann bespricht der Kunde zusammen mit geschulten Experten die Ergebnisse des Scans. Diese
Information wird zusammen mit persönlichen Passform-Vorlieben in einen Computer eingegeben,
um einen Schuh zu bestimmen, der am besten passt.
Adidas arbeitet entsprechend eines “match-to-order”-Systems in der Vorproduktion. Um die
Komplexität zu senken und die Lieferzeiten zu reduzieren, wird nicht für jeden Kunden ein eigener
Leisten entwickelt, sondern der Fuß eines Kunden einem vorhandenen Leisten zugeordnet. Das
angebotene Größen- und Weitenspektrum ist dabei weitaus höher als im konventionellen
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Produktindividualisierung und Mass Customization
Programm – und nur bei einer reinen Produktion auf Bestellung ohne große Bestandskosten möglich. Vorrätig in jedem Laden ist aber ein Beispielschuh in einer Grundfarbe und Funktionalität für
die Anprobe. Hat der Kunde seine individualisierte Funktion und Passform ausgewählt, kann er so
den Schuh testen, bevor er zur letzen Designphase übergeht. Der Kunde wählt dabei die
Farbelemente und sucht Materialien aus. Schließlich kann er sich noch ein Monogramm einsticken lassen. All diese Schritte werden mit Hilfe eines Konfigurators abgewickelt. Ein PC-basierter
Verkaufskiosk führt den Kunden und den Verkäufer durch den gesamten Konfigurationsprozess.
Alle Schuhe werden “on-demand” in Asien hergestellt, wobei die kundenbezogene Lieferzeit etwa
drei Wochen beträgt. Sind die Kundendaten einmal gespeichert sind, können Folgekäufe über
Internet, Call Center oder im Einzelhandel getätigt werden.
Hinweis: Eine ausführliche Darstellung dieses Falls findet sich in Abschnitt 5.1.
4.1
Produktindividualisierung und Mass
Customization
4.1.1 Der Begriff Produktindividualisierung
In der Regel richten sich die Präferenzen eines Nachfragers nicht auf ein Produkt als
solches, sondern auf (Kombinationen von) Eigenschaften, die in dem nachgefragten
Gut verkörpert sind. Diese Präferenzstruktur kann in einem Idealpunkt-Modell abgebildet werden, das davon ausgeht, dass jeder Käufer in seiner Vorstellung eine
Kombination von Produkteigenschaften (bzw. Ausprägungen dieser) bildet, die sein
“optimales Produkt” kennzeichnet. Diese Kombination bezeichnet den so genannten
Idealpunkt, von dessen Distanz zu der tatsächlichen Eigenschaftskombination die
Präferenz eines Käufers für ein bestimmtes Produkt abhängt (Homburg / Weber 1996):
Je geringer die Distanz, desto höher wird ein Produkt bewertet bzw. desto eher wird es
gekauft (und wieder gekauft, denn in der Praxis erkennt ein Konsument oft erst während des Gebrauchs eines Produkts dessen “Lage vom Idealpunkt”).
Beim Kauf einer Spezialmaschine wären dies beispielsweise die Anschaffungskosten,
Wartungsfreundlichkeit, Kompatibilität zum bisherigen Maschinenpark, Möglichkeit
einer Einbindung in einen elektronischen Leitstand sowie das Renommee des
Herstellers. Dieses Eigenschaftsbündel charakterisiert die Vorstellung jedes Käufers
über die Produkteigenschaften, die sein “optimales Produkt” kennzeichnen. Die
Abweichung der realen Eigenschaften eines Angebots zum Wunschprodukt bestimmt
die Präferenz für dieses Angebot, d. h. je näher ein Produkt der Wunschvorstellung
eines potentiellen Abnehmers liegt, desto größer ist seine Kaufwahrscheinlichkeit
(Piller 1998). Veranschaulichen wir dies an einem einfachen Beispiel (siehe Abbildung
4–1): Die Käuferin einer Hose entscheidet sich für eine neue Hose anhand der Kriterien
“Übereinstimmung mit persönlichem Modegeschmack” und “Passform”. Punkt 1
beschreibt den Idealpunkt einer durchschnittlichen Käuferin, deren Hose genau passend, in einer mittleren Preislage und nicht zu modisch, aber auch nicht zu bieder sein
soll. Eine andere Käuferin bevorzugt hingegen exklusive (teure) Hosen, die aber dennoch nicht ausgefallen sein sollten (Nr. 2). Die Käufer 3 und 4 verkörpern den
Gegensatz zwischen der trendbewussten jungen Käuferin (Nr. 4), die in erster Linie
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eine preiswerte, aber dennoch hochmodische und figurbetonte Hose möchte, und einer
anderen Käuferin, die ein unauffälliges, zeitloses und vor allem bequemes Kleidungsstück bevorzugt (Nr. 3). Eine Hose mit den Eigenschaftsausprägungen P* würde vielleicht noch von Kundin 1 in Betracht gezogen, da sie lediglich bei der Passform Eingeständnisse machen müsste. Für alle anderen Kundinnen aber ist die Distanz zwischen
den Ausprägungen dieses Produkts und den gewünschten Idealpunkten zu groß.
Abbildung 4–1: Idealpunkte eines Produkts aus Kundensicht (Nr. 1-4) im Vergleich zu den
realen Produkteigenschaften (P*) als Kaufentscheidungskriterium (entnommen aus Piller 1998 in Anlehung an Homburg / Weber 1996)
weit
3
2
1
P*
Paßform
4
teuer
Preis
eng
billig
Mode
bieder
modisch
Bei einer Massenfertigung wird während des Entwicklungsprozesses versucht, mittels
Marktforschung die Präferenzen aller potenzieller Kunden des angestrebten
Marktsegments zu antizipieren und zu einem gemeinsamen Mittelwert zu vereinen,
der möglichst nahe an der Wunschvorstellung möglichst vieler Nachfrager liegt (dies
ist genau der Kern der Conjoint-Analyse, einem der heute gängigsten Marktforschungsinstrumente). Oft werden dabei im Sinne einer Variantenfertigung mehrere
Produktvarianten gebildet, die Clustern von “Idealpunkten” (d. h. Teilsegmenten von
Kunden) im gesamten Eigenschaftsraum entsprechen. Allerdings haben die Abnehmer
auf den meisten Märkten keine vollständige Markttransparenz über alle verfügbaren
Produkte bzw. Varianten, woraus für sie eine latente Unsicherheit hinsichtlich der
Angebotsbreite und –qualität folgt. Ein Käufer ist nie sicher, ob das von ihm gekaufte
Produkt tatsächlich jenes unter allen angebotenen ist, das seinen persönlichen
Präferenzen am besten entspricht. Das Konstrukt der kognitiven Dissonanz in der
Nachkaufphase beschreibt in diesem Zusammenhang den (negativen) Zustand, dass
ein Käufer nach erfolgtem Kauf ein anderes, näher an seinem Idealpunkt liegendes
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Produkt entdeckt und mit dem getätigten Kauf unzufrieden wird – womit sich die
Chance eines Wiederkaufs des ersten Guts reduziert.
Ein Hersteller kann diese Unsicherheit nutzen, indem er im Zuge einer individuellen
Leistungserstellung die Wünsche der Nachfrager exakt erfüllt (den jeweiligen
“Idealpunkt” produziert) und so gewissermaßen “persönliche” Präferenzen für seine
Produkte schafft. Die Individualisierung seiner Produkte und Leistungen hebt ihn von
seinen Konkurrenten ab, da er aus Abnehmersicht die Unsicherheit über die
“Passgenauigkeit” der gekauften Güter verringert (Du / Tseng 1999; Homburg /
Giering / Hentschel 1999). Bei solch einer Produktindividualisierung werden die
Produkteigenschaften, welche die Präferenz des Abnehmers bestimmen, so angepasst,
dass sie dem Idealpunkt (Präferenzstruktur) des Abnehmers entsprechen (Basis dieses
Präferenzmodells ist die Konsumtheorie nach Lancaster 1979). Der erste Schritt ist folglich nach der Akquise des Kunden die Erhebung seiner konkreten Bedürfnisse und
deren Überführung in konkrete Produkteigenschaften, an die sich die Leistungserstellung anschließt (Hildebrand 1997; Jacob 1995). Dieser Vorgang ist durch eine
enge Interaktion zwischen Anbieter und Abnehmer geprägt, die wir in diesem
Kapitel noch ausführlich betrachten werden.
Unter Produktindividualisierung wird somit eine Form der Leistungserstellung verstanden, die darauf abzielt, die Eigenschaften der angebotenen Produkte und
Leistungen auf die Präferenzstruktur jedes einzelnen Abnehmers auszurichten, um so
einen Differenzierungsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu erlangen (Meffert 1998).
Eine kundenindividuelle Produktion hebt die Anonymität des einzelnen Nachfragers
auf und passt die Leistung an die Anforderungen an, die der jeweilige Abnehmer an
sie stellt. Ergebnis ist die optimale Zusammenstellung von Produkteigenschaften aus
Sicht eines Käufers. Grundsätzlich gilt, dass der Nutzenzuwachs einer individuellen
Produktion aus Abnehmersicht je höher ist, desto heterogener die Präferenzen der verschiedenen Kunden in einem Markt in Bezug auf ein Grundidee sind, d. h. je weiter
die Idealpunkte der einzelnen Kunden auseinander liegen. Das Beispiel von ‘mi adidas’ macht dies für den Konsumgüterbereich deutlich. Hier werden die Passform des
Schuhs, die Funktionalität (Dämpfungssystem) und das äußere Design an die
Wünsche des Kunden angepasst. Ziel der Individualisierung im Industriegüterbereich ist es, das Angebot den individuellen Besonderheiten seiner Verwendung in
der Wertkette des Nachfragers anzupassen.
Unter Produktindividualisierung wird eine Form der Leistungserstellung verstanden, die darauf abzielt, die Eigenschaften der angebotenen Produkte und Leistungen auf die Präferenzstruktur jedes einzelnen Abnehmers auszurichten, um so einen Differenzierungsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu erlangen.
Auch wenn der Individualisierungsbegriff primär auf die Leistungserstellung materieller Güter bezogen wird, kann eine Individualisierung auch an Dienstleistungen
ansetzen (Abbildung 4–2). Ebenso kann sie auch die Gestaltung der Geschäfts195
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beziehung zwischen Hersteller und Abnehmer einschließen (z. B. in Form einer personalisierten Kommunikation, siehe Hildebrand 1997).
Eine Individualisierung materieller Produkte entspricht in der Regel einer Einzelfertigung (auch: Fertigung “on demand” oder “make-to-order”). Während ein
Angebot vorgefertigter Varianten dem Nachfrager lediglich die Auswahl der Variante
ermöglicht, die seinen Bedürfnissen am nächsten kommt, wird bei einer
Einzelfertigung die Produktion erst gestartet, wenn der Kundenauftrag und ein
Produktentwurf vorliegt, der den Anforderungen des Kunden gerecht wird (allerdings kann aus Kundensicht eine Individualisierung auch mit der Zuordnung der
Kundenwünsche zu einer existierenden Auswahl an vorgefertigten Produkten erfolgen; dieser Fall ist aber aufgrund von Lagerhaltungskosten und dem Variantenrisiko
in der Regel nicht wirtschaftlich). Darüber hinaus bieten aber auch die das materielle
Kernprodukt begleitenden Dienstleistungen einen Ansatzpunkt zur Individualisierung. In diesem Fall wird ein materielles Produkt durch Dienstleistungen
ergänzt, die genau auf den einzelnen Abnehmer ausgerichtet sind. Hierbei ist zu
unterscheiden, ob es sich um eine Individualisierung von Primär- oder Sekundärdienstleistungen handelt oder aber die Kommunikation zwischen Anbieter und
Abnehmer personalisiert wird (“one-to-one-Marketing”). Die ausführliche Fallstudie
in Abschnitt 5.3 gibt ein gutes Beispiel einer Individualisierung von
Dienstleistungen.
Abbildung 4–2: Möglichkeiten der Produktindividualisierung (in Anlehnung an Homburg /
Weber 1996)
Möglichkeiten einer einzelkundenbezogenen Leistungserstellung
Individualisierung des tangiblen (materiellen) Leistungsangebots, jeweils bezogen
auf die Funktion, die Qualität oder das
Design des Produkts
„ Produktanpassungen
Individualisierung des intangiblen
(immateriellen) Leistungsangebots in
Form der Ergänzung des Produkts um
Dienstleistungen
„ Ergänzung um Primärdienstleistungen
(Vermarktung unabhängig vom Produkt)
„ Sonderanfertigungen (kundenbezogene
Variantenfertigung)
„ Einzelanfertigungen
„ Ergänzung um Sekundärdienstleistungen
(Vermarktung im Verbund mit dem
Produkt)
„ Personalisierung der Kommunikation
Den Gegenpol zur Individualisierung der Leistungserstellung bildet die Standardisierung, deren Nutzen in erster Linie in der Realisierung einer günstigen Kostenposition
und damit in der Unterstützung der Kostenführerschaft gesehen wird. Die speziellen
Eigenschaften der Individualisierung lassen sich am einfachsten im Vergleich zur
Standardisierung darstellen (siehe Abbildung 4–3). Jedoch sind Individualisierung und
Standardisierung nicht als Gegensätze aufzufassen, sondern bilden die Endpunkte
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eines Kontinuums, zwischen denen eine Vielzahl von Handlungsalternativen liegt
(Hildebrand 1997; Lampel / Mintzberg 1996; Mayer 1993).
Das Beispiel von Adidas in Kasten 4–1 verdeutlich diesen Sachverhalt: Das
Unternehmen hat heute drei verschiedene Strategietypen der Marktbearbeitung. Das
so genannte “Inline”-Programm bedient den Großteil der Nachfrager, die im Handel
aus vorgefertigten Produktprogrammen einen passenden Standardschuh aussuchen.
Dabei handelt es sich aber auch schon nicht mehr um eine klassische Massenfertigung,
sondern um eine hoch variable Variantenproduktion mit vielen tausend verschiedenen
Produktarten, die gleichzeitig auf dem Markt angeboten werden. Dennoch werden alle
Inline-Produkte “auf Verdacht” vorgefertigt. Auf der anderen Seite des Kontinuums
fertigt Adidas in teurer Handarbeit für wenige Premiumkunden seit Bestehen des
Unternehmens individuelle Produkte in Einzelfertigung. Diese Schuhe sind ganz
genau auf die Laufeigenschaften ausgewählter Spitzensportler angepasst. Für einen
Marathonprofi ist der Schuh das wichtigste Arbeitsmittel, entsprechend hoch sind
auch die Investitionen in einen genau passenden Schuh. Die Fallstudie hat aber auch
gezeigt, dass Adidas heute eine dritte Alternative anbietet: ein Produktprogramm, das
sich an die Massenkunden richtet, aber Elemente des Individualprogramms enthält,
jedoch nicht dessen Preise. Diesen dritten Strategietyp nennen wir Mass Customization. Ihn wollen wir im Folgenden näher betrachten.
Abbildung 4–3: Merkmale der Individualisierung und Standardisierung auf Produktebene
(entnommen aus Mayer 1993)
Merkmale der Individualisierung und Standardisierung auf Produktebene im Vergleich
Merkmal
Individualisierung
Standardisierung
Ausrichtung der
Leistungsgestaltung
extrem an den Anforderungen
des einzelnen Nachfragers
konjektural an Durchschnittsansprüchen einer größeren
Zahl von Nachfragern
Zahl der Nachfrager je
Leistung
einer bzw. sehr wenige
viele
Kontakt zum Nachfrager
eng: Kundenintegration in den
Leistungserstellungsprozess
nicht oder kaum vorhanden
(anonyme Abnehmerschaft)
Erstellung der Leistung
nach der Bestellung
vor der Bestellung, auf Vorrat
Quelle der Informationen
über die Nachfrageranforderungen
direkt vom Nachfrager
über Marktforschung, Handel
Gleichartigkeit der Leistungen einer Produktlinie
maßgeschneiderte Leistung,
(meist) Losgröße 1
homogenes Massenprodukt /
kollektive Dienstleistung
Leistungsvielfalt
sehr groß
nur eine Leistung
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4.1.2 Mass Customization als Ausprägung einer
Produktindividualisierung
Mass Customization wird in der Literatur als Antwort auf die zunehmende
Individualisierung der Nachfrage gesehen, die wir in Abschnitt 2.2.3 diskutiert haben
(Blaho 2001; Piller 1998, 2006a; Pine 1993; Reichwald / Piller 2002; Schnäbele 1997). Der
Ausdruck Mass Customization ist ein Oxymoron, das die an sich gegensätzlichen
Begriffe “Mass Production” und “Customization” verbindet (als deutsche Übersetzung
hat sich “kundenindividuelle Massenproduktion” durchgesetzt). Der Begriff wurde
von Davis (1987) geprägt, der ausgehend von einem Beispiel aus der Bekleidungsindustrie das Phänomen zum ersten Mal beschrieben hat: “Mass Customization of
markets means that the same large number of customers can be reached as in mass
markets of the industrial economy, and simultaneously they can be treated individually as in the customized markets of pre-industrial economies” (Davis 1987: 169). Er
bezieht sich dabei auf Gedanken von Toffler (1970), der aufbauend auf der These der
zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft den Zerfall von Massenmärkten
(“Entmassung”) und die Orientierung der Produkterstellung an den Wünschen und
Bedürfnissen des einzelnen Individuums vorhersagte. Seit Pine (1993) mit seiner
Buchveröffentlichung den Grundstein für die breite Diskussion um Mass
Customization gelegt hat, sind unzählige Veröffentlichungen zu diesem Thema
erschienen (siehe Piller 2006a für eine Übersicht). Dominiert in den meisten Beiträgen
die Euphorie, werden verstärkt auch kritische Stimmen laut (Agrawal / Kumaresh /
Mercer 2001; Piller / Ihl 2002; Zipkin 2001).
Auf eine kurze Formel gebracht, bedeutet Mass Customization “producing goods and
services to meet individual customer’s needs with near mass production efficiency”
(Tseng / Jiao 2001). Angesichts der breiten Verwendung des Begriffs für alle möglichen
Formen kundenbezogener Leistungserstellung (oder auch einer klassischen
Variantenfertigung) wollen wir aber eine etwas ausführlichere Beschreibung verwenden, die die Definition von Tseng und Jiao sowie auch unsere eigenen früheren
Definitionen konkretisiert (siehe Piller 1998, 2006a; Reichwald / Piller 2003).
Mass Customization (kundenindividuelle Massenproduktion) bezeichnet die
Produktion von Gütern und Leistungen für einen (relativ) großen Absatzmarkt, welche
die unterschiedlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Nachfragers dieser Produkte treffen.
Die Produkte und Leistungen werden dabei in einem Co-Design-Prozess gemeinsam
mit den Kunden in einem Interaktionsprozess definiert. Die Produkte werden dabei zu
Preisen angeboten, die der Zahlungsbereitschaft von Käufern vergleichbarer massenhafter Standardprodukte entsprechen, d. h. die Individualisierung impliziert keinen
Wechsel des Marktsegments in exklusive Nischen, wie dies bei einer klassischen
Einzelfertigung der Fall ist. Eine solche Position kann langfristig nur erreicht werden,
wenn aus einer Gesamtkostenbetrachtung die Leistungserstellung entlang der gesamten Wertschöpfungskette trotz Individualisierung zu einer Effizienz möglich ist, die
der von Produktion und Vertrieb (massenhafter) Standardprodukte nahe kommt.
Wesentliches Element zur Erreichung dieser Position ist die Etablierung eines stabilen
Lösungsraumes, der dann abnehmerbezogen konkretisiert wird (Piller 2006a).
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Produktindividualisierung und Mass Customization
Mass Customization bezeichnet die Produktion von Gütern und Leistungen, welche die unterschiedlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Nachfragers dieser Produkte treffen, mit der Effizienz
einer vergleichbaren Massen- bzw. Serienproduktion. Grundlage des Wertschöpfungsprozesses ist dabei ein Co-Design-Prozess zur Definition der individuellen Leistung in Interaktion
zwischen Anbieter und Nutzer.
Wir werden im nächsten Kapitel die wesentlichen Eigenschaften dieser Definition, die
den Prinzipien von Mass Customization entsprechen, näher betrachten. Das wesentliche Abgrenzungsmerkmal von Mass Customization gegenüber anderen Formen der
Produktindividualisierung ist die Forderung nach einem stabilen Lösungsraum, der
die Grundlage der geforderten Kosteneffizienz ist.
4.1.3 Prinzipien und Eigenschaften
Auf Basis der vorstehenden Definition von Mass Customization lassen sich vier Ebenen oder Prinzipien einer Produktindividualisierung nach dem Mass-CustomizationPrinzip nennen (Abbildung 4–4):
„ Der Genus von Mass Customization ist Kundenintegration im Sinne von CoDesign.
„ Das Ergebnis von Mass Customization und das wesentliche Abgrenzungskriterium
zu anderen Formen der Kundenintegration ist die Individualproduktion, d. h. die
Erlangung einer Differenzierungsposition im Markt durch die Anpassung bestimmter Eigenschaften einer Absatzleistung an die Bedürfnisse eines einzelnen Kunden.
„ Die Abgrenzung von Mass Customization zu anderen Formen der Individualproduktion ist eine Preis- und Kostenposition, die die Güter für größere
Abnehmerschichten erschwinglich macht.
„ Der Schlüssel zu dieser Kostenposition ist ein stabiler Lösungsraum, der stabile
Prozessbedingungen als Grundlage der kundenindividuellen Produktion schafft.
Wir werden diese Punkte im Folgenden kurz übersichtsartig konkretisieren und in den
folgenden Abschnitten dieses Kapitels ausführlicher erklären.
Kundenintegration (Co-Design)
Das zentrale Element der Definition von Mass Customization ist der Einbezug des
Kunden in die Wertschöpfung im Rahmen eines Co-Design-Vorganges. Hierbei wird
der vorhandene Lösungsraum kundenspezifisch konkretisiert (siehe Abschnitt 2.4.2).
Aus einer Auswahl an Optionen wählen die Kunden die Eigenschaften (für bestimmte
Komponenten der Leistung), die ihren Vorstellungen am ehesten entsprechen. Im
Unterschied zu Do-it-yourself-Aktivitäten, bei denen die Kunden autonom tätig sind,
findet diese Konkretisierung in Interaktion mit dem Hersteller statt (“co-creation”,
Ramirez 1999). In Abgrenzung zur Kundenintegration in den Innovationsprozess geht
es bei Mass Customization aber in erster Linie um einen Co-Design-Prozess, d. h. es
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werden nicht die grundlegenden Eigenschaften eines Produktes für jeden Kunden neu
entwickelt, sondern aus vorgedachten Optionen ausgewählt (siehe auch die
Abgrenzung in Abschnitt 3.5.2). Der Begriff Co-Design bezeichnet in der Literatur
diese Interaktion zwischen Kunde und Hersteller im Rahmen der Konkretisierung
einer Leistung (Ulrich / Anderson-Connell / Wu 2003; Franke / Piller 2003, 2004; Franke
/ Schreier 2002; Khalid / Helander 2003; Piller / Stotko 2003; Reichwald / Seifert / Ihl
2004; Toffler 1980; Tseng / Kjellberg / Lu 2003; Ulrich; Udwadia / Kumar 1991; von
Hippel 1998; Wikström 1996a).
Abbildung 4–4: Prinzipien von Mass Customization
Differenzierungsvorteil
(Produktindividualisierung)
Stabiler
Lösungsraum
(stabile Prozesse und
Produktarchitekturen)
Kostenposition
(Massenproduktionseffizienz)
Kundenintegration
(Kunden Co-Design)
Damit weist Mass Customization große Verwandtschaft mit dem klassischen
Kundenintegrationsprozess im Dienstleistungsmanagement auf (Blaho 2001;
Schnäbele 1997). Auch hier ist in der Regel eine Erstellung der Leistung nur dann möglich, wenn der Kunde zuvor Informationen in den Leistungserstellungsprozess eingebracht hat, wobei auf Potenzialfaktoren des Anbieters zurückgegriffen wird. Bei Mass
Customization ist der zentrale Potenzialfaktor eine Interaktionsplattform, die oft auch
als Konfigurationssystem bezeichnet wird. Da dieser Begriff aber meist in einem technischen Sinn verwendet wird, ziehen wir den Begriff Interaktions- oder Co-DesignSystem vor, da wir die technische Systemkomponente nur als unterstützenden Faktor
der Kunden-Mitarbeiter-Interaktion sehen.
Co-Design differenziert Mass Customization von anderen kundenzentrierten
Wertschöpfungsstrategien wie “Agile Manufacturing” oder Postponement (siehe zu
dieser Abgrenzung ausführlich Piller 2006a). Co-Design etabliert eine Beziehung zwi200
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schen Hersteller und Kunde, welche viele Möglichkeiten für die Gestaltung der
Nachkaufphase im Rahmen eines Customer Relationship Management bietet. Hat ein
Kunde einmal erfolgreich ein individuelles Gut erhalten und ist mit dieser Leistung
zufrieden, bilden die Informationen, die er im Rahmen des Co-Design-Vorganges an
den Hersteller übermittelt hat, eine starke Barriere gegen einen Wechsel des Anbieters
(Pine / Peppers / Rogers 1995; Wayland / Cole 1997). Denn ein neuer Anbieter müsste
diese Informationen ja erst wieder sammeln. Bei einem Wiederholungskauf der individuellen Leistung beim ersten Anbieter dagegen kann der Interaktionsvorgang sehr
schnell ablaufen oder vollkommen automatisiert ablaufen, indem die Konfiguration
des Erstkaufs auf den Folgekauf übertragen wird (dennoch findet ein Co-DesignVorgang statt). Wir werden diese Dimension in Abschnitt 4.4.7 im Zusammenhang mit
der Beschreibung von Interaktionssystemen für Mass Customization noch vertiefen.
Differenzierungsvorteil (Produktindividualisierung)
Der Differenzierungsvorteil entsteht durch Anpassung bestimmter Produkteigenschaften an die Präferenzen einzelner Kunden. Aus der Perspektive des strategischen Managements ist Mass Customization eine Differenzierungsstrategie (horizontale Produktdifferenzierung, siehe Abschnitt 2.4.5). In Bezug auf die “theory of monopolistic competition” nach Chamberlin (1950, 1962) entspricht der Wert einer Individualisierung
aus Kundensicht dem Nutzenzuwachs, den das resultierende Gut durch eine höhere
Übereinstimmung mit der nächstbesten (standardisierten) Alternative bietet. Je größer
deshalb de Heterogenität der Abnehmerbedürfnisse in einem Markt, desto größer ist
der Zuwachs an Nutzen durch Individualisierung (da in einem homogenen Markt der
Hersteller auch (fast) alle Kundenbedürfnisse durch Standardprodukte befriedigen
kann). Allerdings ist Individualisierung kein Selbstzweck. Genau die Individualisierungsfunktionen zu finden, bei denen die meisten relevanten Kunden ein Bedürfnis
zur Anpassung haben, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Allgemein lassen sich drei Kategorien unterscheiden:
(1) Erste Individualisierungsmöglichkeit sind die individuellen Maße der Kunden
bzw. Verwender. Hierunter fällt der große Bereich körpernaher Produkte wie Kleidung
oder Schuhe, aber auch Autositze, Bürostühle oder Höhen von Apparaturen. Weiterhin
können auch die Einbaumaße eines Möbelstücks auf die Abmessungen einer Wohnung
abgestimmt werden. Passform kann als das Urmotiv von Mass Customization gesehen
werden.
(2) Aus Verwendungssicht bietet eine Individualisierung der Funktionalität viele
Möglichkeiten. Ansatzpunkt sind die Eigenschaften eines Produkts in Hinblick auf
bestimmte Verwendungszwecke. Beispiele sind die Laufeigenschaften eines
Sportschuhs, die Bespannung eines Tennisschlägers oder der Funktionsumfang eines
PC. Da eine funktionale Individualisierung auf der Ebene materieller Produkte teilweise recht schwierig und aufwändig ist, bieten sich an dieser Stelle viele Optionen,
durch ergänzende individuelle Dienstleistungen gewünschte Funktionen bereitzustellen.
(3) Schließlich kann sich die Individualisierung auf die gustative bzw. visuelle
Wahrnehmung der Kunden (ästhetisches Design) beziehen. Oft wird Indivi201
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dualisierung auf diesen Bereich beschränkt. Wir halten aber für viele Branchen ein
Mass-Customization-Konzept, das rein am ästhetischen Design ansetzt, für langfristig
nicht tragfähig und zu leicht austauschbar, da nicht in einem Maße Nutzen für die
Abnehmer geschaffen wird, um die Grundlage einer dauerhaften Kundenbeziehung
zu legen.
Ansatzpunkte einer Produktindividualisierung: Eine Produktindividualisierung kann aus
generischer Sicht an drei Dimensionen ansetzen: (1) Passform bzw. Masse der Verwender (z.
B. körpernahe Produkte wie Kleidung oder Schuhe, Bürostühle oder Höhe von Apparaturen).
(2) Funktionalität, d. h. Eigenschaften des Produkts in Hinblick auf bestimmte Verwendungszwecke (z. B. Dämpfung eines Sportschuhs, Funktionsumfang eines PC). (3) Visuelle
Wahrnehmung (ästhetisches Design) (z. B. Auswahl von Farben oder Mustern).
Kostenposition (Massenproduktionseffizienz)
Oft wird Mass Customization als Individualisierung zu Preisen einer Massenproduktion – und ohne die Zuschläge einer klassischen Einzelfertigung definiert (Davis
1987; Hart 1995; Pine 1993; Victor / Boynton 1998; Westbrook / Williamson 1993). Jedoch
zeigt die Analyse von Mass-Customization-Anbietern, dass Kunden regelmäßig bereit
sind, hohe Aufpreise für ein individuelles Gut zu zahlen (Franke / Piller 2004; Levin et
al. 2002; Piller / Hönigschmid / Müller 2002). Dieser Premiumpreis entspricht dem
wahrgenommenen Nutzenzuwachs durch die Individualisierung im Vergleich zu
einem Massengut. Mass Customization sollte deshalb nicht auf “vergleichbare
Massenproduktionspreise”. beschränkt werden. Eine wichtige Abgrenzung zu einer
klassischen Einzelfertig ist aber dennoch wichtig: Mass-Customization-Angebote zielen
auf das gleiche Marktsegment, das zuvor die massenhaften Güter gekauft hat.
Traditionell ist eine Einzelfertigung oft mit derart hohen Aufpreisen versehen, dass
damit ein Wechsel in ein völlig anderes Marktsegment erfolgte. Die Aufschläge bei Mass
Customization mögen zwar recht hoch sein, aber sie müssen noch “erschwinglich” sein.
Mag diese Definition auch aus konzeptioneller Sicht etwas weich sein, so hat sie sich
doch aus Sicht der Praxis zur Abgrenzung von Mass Customization gut bewährt. Aus
Sicht des Herstellers sind diese “erschwinglichen” Preise nur dann möglich, wenn die
Erstellung der Güter zu Kosten möglich ist, der diese moderaten Aufschläge erlaubt.
Wir werden in Abschnitt 4.2.1 noch genauer erklären, wie sich die zusätzlichen Kosten
von Mass Customization zusammensetzen und welche Mechanismen es gibt, diese auszugleichen. Das Mass-Customization-Konzept hat dazu zwei wesentliche Ansatzpunkte: Zum einen erlaubt das Wissen, das durch die Integration der Kunden in die
Wertschöpfung erlangt wird, effizienteres Handeln durch die Vermeidung von
Verschwendung und die Erhöhung der Abhängigkeit der Abnehmer (Piller / Möslein /
Stotko 2004; Su / Chang / Ferguson 2005; siehe auch Kotha 1995; Piller 2006a;
Rangaswamy / Pal 2003; Squire et al. 2004; von Hippel 1998). Die darauf beruhenden
Kostensenkungspotenziale bezeichnen wir als “Economies of Integration” (siehe
Abschnitt 4.2.2). Zum anderen aber sorgt ein stabiler Lösungsraum, d. h. stabile Produkt- und Prozessarchitekturen, dafür, dass die zusätzlichen Kosten der Produktindividualisierung deutlich geringer ausfallen als bei einer klassischen Einzelfertigung.
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Produktindividualisierung und Mass Customization
Fixer Lösungsraum (solution space)
Stabile Produkt- und Prozessarchitekturen sind ein wesentliches Charakteristikum von
Mass Customization. Die Individualisierungsmöglichkeiten sind begrenzt und im
Lösungsraum des Anbieters abgebildet. Diese Fähigkeiten und Kapazitäten werden
im Rahmen einer autonomen Vorproduktion vom Anbieter festgelegt (dies entspricht
des Verständnisses der Kundenintegration nach Kleinaltenkamp, siehe Abschnitt
2.4.2). Ein erfolgreiches Mass-Customization-System ist durch stabile, aber dennoch
flexible Prozesse definiert, die einen dynamischen Fluss an individuellen Produkten
erlauben. Jospeh Pine beschreibt diesen Gedanken in einem Gastbeitrag im Anschluss
an diesen Abschnitt in Kasten 4–2. Diese stabilen Prozessbedingungen sind auch ein
wesentliches Differenzierungsmerkmal von Mass Customization zur klassischen (oft
handwerklichen) Einzelfertigung: Ein traditioneller Einzelfertiger erfindet nicht nur
für jeden einzelnen Kunden neue Produkte, sondern auch die dazugehörigen Prozesse.
Mass Customization setzt dagegen auf stabilen Prozessen auf, um eine hohe Varietät
an Produkten effizient bereitstellen zu können. Mass Customization wird so gerade
nicht durch die wesentlichen Kennzeichen einer Einzelfertigung (auftragsbezogene
Kalkulation, hohes Flexibilitätsbedürfnis in allen Fertigungsstufen, individuelle Planung jedes Produktionsprozesses und spezifische Erstellung der Fertigungsunterlagen) charakterisiert.
Individualisierung im Rahmen der Mass Customization geht deshalb nicht so weit,
dass ein Kunde von Grund auf ein für das Unternehmen völlig neues Produkt ganz
nach seinen Wünschen kreiert, wie es beispielsweise im Spezialmaschinenbau oder bei
der Anfertigung von Sonderwerkzeugen üblich ist. Dies ist klassische Einzelfertigung,
die Mass Customization nicht ersetzen kann. Diese zeichnet sich durch eine auftragsbezogene Kalkulation, einen geringen Vorfertigungsgrad, ein hohes Flexibilitätsbedürfnis in allen Fertigungsstufen und die individuelle Erstellung der Fertigungsunterlagen (Stücklisten, Arbeits- und Terminpläne, Konstruktionspläne etc.) aus
(Gutenberg 1979; Reichwald / Dietl 1991; Zahn / Schmid 1996). Ein Mass-Customization-Konzept baut stets auf einer vorhandenen Produktspezifikation auf. Ziel ist es,
an wenigen Komponenten, die aus Kundensicht aber den wesentlichen individuellen
Produktnutzen ausmachen, eine Gestaltungs- bzw. Auswahlmöglichkeit zur Verfügung zu stellen. Die Produkte und Leistungen unterscheiden sich so nicht in ihrem
grundsätzlichen Aufbau. Man kann deshalb auch von einer Standardisierung der
Individualisierung sprechen. Die dazugehörigen Stücklisten sollten dynamisch und
automatisch erstellt werden können, ebenso die Arbeits- und Montageanweisungen.
Mass Customization ist dann erfolgreich, wenn fertigungsseitig in möglichst vielen
Bereichen die individuelle Fertigung zugunsten einer massenhaften zurücktritt.
Hierzu tragen insbesondere modulare Produktarchitekturen bei (Tseng / Du 1998;
Tseng / Jiao 2001). Die richtige Festlegung des Lösungsraumes für Mass Customization
ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor dieses Konzepts. Die Diskussion verschiedener
Formen von Mass Customization greift diesen Aspekt im folgenden Abschnitt noch
mal auf.
Betrachten wir abschließend noch einmal das Beispiel von ‘mi adidas’ (Kasten 4–1,
siehe auch die Fallstudie in Abschnitt 5.1): Der stabile Lösungsraum wird bei ‘mi adi203
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
das’ vor allem durch den Rückgriff auf die vorhandene Leistenbibliothek bestimmt. Ein
klassischer Schuhmacher würde für jeden Kunden einen eigenen Leisten modellieren
– ein sehr teurer und abstimmungsintensiver Prozess. Adidas dagegen ordnet einfach
die Maße eines Kunden dem best-passenden Leisten zu. Da die ‘mi adidas’-Schuhe
aber auf Bestellung gefertigt werden und so kein Lagerhaltungsrisiko besteht, können
deutlich mehr Leisten herangezogen werden als beim Größenspektrum einer
Massenproduktion. Das Problem der Individualfertigung wird so zu einem reinen
Informationsproblem: Adidas muss nur sicherstellen, dass in der Produktion jeder
Mass-Customization-Schuh auch auf Basis des richtigen Leisten gefertigt wird und am
Ende der richtigen individuellen Bestellung zugeordnet wird. Ansonsten unterscheidet
sich die Produktion aber nicht von einem Massenprodukt.
Kasten 4–2:
Eigenschaften von Mass Customization
(Quelle: Auszug aus dem Beitrag “Mass Customization – Die Wettbewerbsstrategie der Zukunft”
von B. Joseph Pine, der als Begründer der Mass Customization gilt, in: Frank Piller:
Kundenindividuelle Massenproduktion, München / Wien: Hanser 1998: 1-32)
Mass Customization ist in erster Linie ein Managementsystem – ein Geschäftsmodell eines
Unternehmens und dessen Umgang mit den Kunden, Produkten und Prozessen. Wir wollen das
Wesen der Mass Customization anhand eines Modells verdeutlichen, das in der folgenden
Abbildung dargestellt ist. Um dieses Modell zu verstehen, betrachten wir zunächst seine zwei
Dimensionen:
„
Die Änderungsrate der Produkte entspricht der Häufigkeit, mit der ein Produkt oder eine
Leistung im Zeitablauf oder für einen bestimmten Kunden modifiziert wird. Ist sie niedrig, sind
die Produkte also stabil, liegen standardisierte Produkte mit nur wenigen, schleichenden und
vorhersehbaren Änderungen vor; dynamische Produkte dagegen besitzen eine hohe Änderungsrate, sie verändern sich ständig, oft unvorhersehbar und revolutionär – bis hin zu dem
Extrem, dass jedes einzelne hergestellte Produkt von den anderen verschieden ist.
„
Ähnliches gilt für die Änderungsrate der Prozesse, welche die Häufigkeit beschreibt, mit der
die Geschäftsprozesse zur Fertigung eines Produkts oder Erstellung einer Dienstleistung
modifiziert werden. Entsprechend können Prozesse stabil oder dynamisch sein.
Die sich so ergebende Matrix beschreibt vier generische Geschäftsmodelle, die das Handeln von
Unternehmen in Abhängigkeit ihrer Änderungsrate der Produkte und Prozesse bestimmen (bewusst
oder unbewusst). Unternehmen, die auf der Basis einer ausgeprägten Differenzierung mittels innovativer und individueller Produkte miteinander konkurrieren, folgen dem Inventionsmodell. Sie erfinden und entwickeln ununterbrochen neue Produkte und (Fertigungs-)Prozesse für deren Herstellung (sehr hohe Änderungsraten). Jahrhundertelang folgten Unternehmen diesem Modell:
Spezialisierte, handwerkliche Einzelfertiger (Manufakturen) werden auch dann einen Auftrag annehmen, wenn ein Kunde etwas will, was das Unternehmen zunächst nicht herstellen kann (sei es ein
neues Produkt oder eine spezifische Anpassung eines bestehenden Produkts), und dann herausfinden, ob und wie das individuelle Produkt herstellbar ist. Denken Sie zum Beispiel an einen
Spezialmaschinenhersteller, der nur nach Kundenauftrag individuelle Lösungen entwickelt. Selbst
wenn solch ein Unternehmen dieselbe Sache zwei- oder mehrmals erstellen würde, wäre das
Ergebnis jedes Mal etwas anders, da die Produktionsprozesse niemals stabilisiert (standardisiert)
wurden. Es ist die ureigene Natur des Inventionsmodells, dass seine Anwender – wahre Erfinder
und Innovatoren – kontinuierlich Produkte und Prozesse verändern und oft deshalb nur basteln, tüfteln und experimentieren, um zu sehen, was für ein neuer Output dabei wohl herauskommen wird.
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Produktindividualisierung und Mass Customization
Erneuerung
hoch
(dynamisch)
Änderungsrate
der Produkte
Invention
Mass
Customization
(klassische
Einzelfertigung)
Entwicklung
(Stabilisierung)
niedrig
(stabil)
Modularisierung
Massenproduktion
Continuous
Improvement
Verbindung
niedrig (stabil))
hoch (dynamisch)
Änderungsrate der Prozesse
Abbildung: Die Evolution der Wettbewerbsstrategie
Mit dem Aufkommen der Industriellen Revolution und insbesondere der Entwicklung des Fließbands durch Henry Ford kam die Zeit der Massenproduktion – dem genauen Gegenteil des
Inventionsmodells. Hier ist alles stabil: Die Unternehmen suchen die beste Methode, ein gegebenes Produkt zu erstellen, und schöpfen dann so schnell wie möglich die Pozentiale der Lernkurve
aus. Produkt wie Prozesse ändern sich nur sehr langsam, um sicherzustellen, dass die anfänglichen Investitionsaufwendungen auch gedeckt werden. Ab und zu (typischerweise alle vier bis fünf
Jahre oder später) müssen die Massenproduzenten auf eine Organisation des Inventionsmodells
zurückgreifen (normalerweise die eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung), um eine neue
Produktidee einzuführen und im Massenfertigungssystem umzusetzen. Im Grunde ihrer Herzen
wollen Massenproduzenten alles stabilisieren und standardisieren – für alles einen besten Weg
festschreiben – und dann diesen Weg immer wieder unverändert beschreiten. Wenn sie die Wahl
hätten, würden die Produktionsmanager der Massenfertiger nach einmaligem Fertigungsanlauf ein
Standardgut so lange produzieren, bis die “Cash Cows” gemolken sind.
Massenproduzenten sind von einer innovativen Institution sehr abhängig, um neue Produkte einzuführen. Doch auch Organisationen auf Basis des Inventionsmodells sind von den Massenproduzenten abhängig, um für ihre hochdifferenzierten Produktinnovationen einen großen Markt
zu schaffen. Diese Synergie zwischen dem Modell der Massenproduktion und dem Inventionsmodell funktionierte lange Zeit sehr gut. So gut, dass als grundlegendes “Wettbewerbsgesetz” festgehalten wurde, Unternehmen hätten sich zwischen niedrigen Kosten oder einer hohen Differenzierung zu entscheiden – kein Unternehmen könne jemals beides erreichen, da beide Alternativen
auf einem völlig anderen, untereinander inkompatiblen Geschäftsmodell aufbauen würden.
Jedoch schafften es (nicht nur, doch hauptsächlich) japanische Unternehmen, sowohl geringere
Kosten als auch eine höhere Qualität als der typische Massenproduzent zu erreichen, indem sie
ständig ihre Prozesse weiterentwickelten. Diese dynamische, kontinuierliche Verbesserung führte
zu einem neuen Wettbewerbsmodell, das den vorhergehenden signifikant überlegen war. Es
unterschied sich so stark von den beiden bestehenden Modellen, dass westliche Unternehmen
lange Zeit brauchten, um es zu begreifen. Heute folgen die meisten Unternehmen (zumindest im
Ansatz) diesem Modell der kontinuierlichen Verbesserung (Continuous Improvement), indem sie
neue Instrumente wie zum Beispiel eine statistische Prozesskontrolle, funktionsübergreifende
Teams und Kennzahlen zur Erhebung der Kundenzufriedenheit im Rahmen eines Total Quality
Managements anwenden. Der Lebenszyklus der Prozesse einer theoretisch idealen Unter-
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
nehmung, die diesem Geschäftsmodell folgt, hat eine Dauer von genau einer Ausführung: Jede
Ausführung eines Prozesses ist unterschiedlich – und besser – als die letzte. Die hergestellten
Produkte bleiben aber relativ stabil. Insbesondere die japanischen Produzenten hatten zunächst
eine viel geringere Variantenvielfalt als ihre westlichen Konkurrenten, als sie deren Heimatmärkte
“angriffen”. Dies änderte sich aber mit der Zeit in dem Maße, in dem funktionsübergreifende Teams
– die Basisstruktur der Continuous-Improvement-Unternehmen – ihre Aufmerksamkeit auf die
Rüst- und Wechselzeiten konzentrierten und so die Fähigkeiten der Unternehmen für eine variantenreiche Produktion stetig verbesserten.
Während überall Unternehmen große Qualitätsfortschritte durch die Anwendung des Continuous
Improvement zu erlangen scheinen, überschreiten heute schon viele Unternehmen die Grenze reiner Varietät und bewegen sich zum Wettbewerbsmodell der Mass Customization. Hier ermöglichen stabile, aber zugleich sehr flexible Prozesse einen dynamischen Fluss unterschiedlicher
Produkte. Diese Unternehmen der Mass Customization erreichen sowohl eine kundenindividuelle
Erstellung von Gütern und Leistungen als auch ein niedriges Kostenniveau. In diesem
Geschäftsmodell ist die primäre Aufgabe, die spezifischen Wünsche und Bedürfnisse jedes einzelnen Kunden zu identifizieren und zu erfüllen. Idealerweise dauert der Produktlebenszyklus “ein
Stück”: jedes Produkt ist verschieden von den anderen und genau auf einen Kunden zugeschnitten.
Wirtschaftliche Organisationen können zwischen den verschiedenen hier vorgestellten
Geschäftsmodellen wechseln, und ihre Produkte und Prozesse sind eventuell über die verschiedenen Ansätze verstreut, aber es gibt nur einen bestimmten Pfad, um Mass Customization zu
erreichen. Dieser Weg beginnt bei der Invention und geht über Massenproduktion und Continuous
Improvement zur Mass Customization (aufgrund der Form dieses Wegs in unserem Modell soll er
als Achterfigur (“Figure-8 path”) bezeichnet werden).
Der erste Schritt – von der Invention zur Massenproduktion – ist die wohlbekannte Aktivität der
Entwicklung stabiler Produkte und Prozesse. Hier müssen neue Produkte und Prozesse entworfen und dann stabilisiert werden, damit sie für eine massenhafte, kostengünstige Produktion
anwendbar, sprich wiederholbar sind.
Die hieraus resultierende Massenproduktion ist klassischerweise eine streng hierarchische und
bürokratische Organisation, mit sehr geringen Informationsflüssen zwischen den Instanzen. Um
die Prozesse des Unternehmens kontinuierlich zu verbessern, müssen die getrennten Funktionen
durch abteilungsübergreifende Teams, Informationsaustausch und eine horizontale Prozessfokussierung miteinander verbunden werden – der zweite Schritt auf dem Weg zur Mass
Customization. Doch nicht nur zwischen den einzelnen funktionalen “Inseln” eines Unternehmens
ist eine Verbindung und einheitliche Datenbasis zu schaffen, sondern es ist ebenso notwendig, die
Lieferanten zu integrieren (“Integration der Wertkette”), damit diese die gleichen Informationen
über die Absatzmärkte besitzen wie der Abnehmer und so aus eigenem Antrieb Komponenten
bereitstellen können, um die Bedürfnisse des Markts zu befriedigen. Das Ergebnis ist ein Set von
eng verbundenen Hochleistungsprozessen, die sich selbständig kontinuierlich verbessern können
und einen hohen Grad an Kundenzufriedenheit garantieren – der zentrale Erfolgsfaktor des
Continuous Improvement.
Der dritte Schritt in Richtung Mass Customization verlangt, dass Produkte und Leistungen modularisiert werden, um individuelle Kombinationen effizient für jeden Kunden bereitzustellen. Eine
modulare Architektur des Leistungsprogramms erlaubt so, individuelle Produkte auszuliefern, die
genau dem Kundenwunsch entsprechen, seien es Jeans in einer bestimmten Länge, ein spezifischer Vitaminmix oder ein genau passendes pneumatisches Ventilsystem. Diese Architektur
bestimmt einerseits, wie weit das gesamte Spektrum sämtlicher möglicher Variationen ist, durch
die das Produkt die Bedürfnisse aller Kunden befriedigen kann, und andererseits, welche spezifischen Ausprägungen das Produkt für einen konkreten Kunden annehmen kann. Diese beiden
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Produktindividualisierung und Mass Customization
Dimensionen werden durch die Zahl und Gestaltung der unterschiedlichen Module und deren
Schnittstellen und Verbindungsmöglichkeiten festgelegt. Die Kombination der Module zum fertigen
Produkt vollzieht sich dabei durch definierte (stabile) Fertigungsprozesse, die ebenfalls in einer Art
Modulsystem miteinander kombiniert werden können.
Um jedoch die Potenziale der Modularisierung zur erlangen, ist ein drittes Element notwendig: Ein
Designwerkzeug, das die Kundenbedürfnisse mit den Fähigkeiten eines Unternehmens in
Einklang bringt. Ohne ein solches Werkzeug (auch Produktkonfigurator genannt) werden die
Kunden (bzw. ihre Vertreter in Form des Handels und Vertriebs) mit so vielen Grundformen und
Verbindungsmöglichkeiten konfrontiert, dass sie aufgrund einer viel zu hohen Komplexität die für
sie genau passende Lösung nicht finden. Designwerkzeuge lassen den Kunden mit sinnvollen
Kombinationen “spielen”. Konfiguratoren müssen dafür sorgen, dass die Komplexität der
Modularisierung genutzt wird, Produkte und Leistungen für einzelne Kunden maßzuschneidern,
aber diese schnell, einfach und ohne Mühe genau die Kombination finden, die für sie den höchsten Wert schafft.
Doch auch das großartigste Designwerkzeug garantiert noch keine leistungsfähige Mass Customization. Um die vollen Potenziale der Mass Customization zu verwirklichen, müssen sich industrielle Organisationen selbst erneuern. Dies ist der vierte und letzte Schritt in Richtung Mass
Customization in der Achterfigur, welche die Pfeile in der Abbildung zeichnen. Immer dann, wenn
ein Unternehmen bemerkt, dass es mit seinen derzeitigen Individualisierungsmöglichkeiten
bestimmte Kundenbedürfnisse nicht mehr erfüllen bzw. neue Marktchancen nicht nutzen kann, ist
eine Erneuerung notwendig. Das Unternehmen geht quasi einen Schritt “zurück” (zur Invention),
um neue, zusätzliche Module oder Prozesse zu implementieren bzw. durch eine neue Schnittstelle
mit internen oder externen Stellen (z. B. Lieferanten) die benötigte Fähigkeit zu beschaffen. Es
kann sogar sein, dass ein Unternehmen seine komplette Produkt- und Prozessarchitektur austauschen und neu entwickeln muss, um einen dauerhaften Vorteil im Wettbewerb aufzubauen – sonst
tut es die Konkurrenz.
Auch wenn ein Unternehmen auf dem Weg zur Mass Customization niemals mehr in die Massenproduktion zurückkehren will, so ist es dennoch wichtig, den gesamten dargestellten Prozess der
Achterfigur bei jeder Neuerung zu durchlaufen. Jedes Modul und jeder Prozess muss entwickelt,
stabilisiert, mit dem Rest der Organisation verbunden und zu höchster Qualität gebracht werden,
um schließlich in die modulare Architektur des Unternehmens integriert zu werden. So lebt eine
Organisation Mass Customization und fertigt nicht nur irgendwie kundenindividuelle Produkte. Da
sich Produkte und Prozesse dynamisch an neue Wettbewerbsbedingungen anpassen müssen,
hört der Zyklus der Achterfigur aus Entwicklung, Verbindung, Modularisierung und Erneuerung nie
auf. Für die Abnehmer wird so im Zeitablauf eine ständige Verbesserung der Fähigkeiten des Mass
Customizers spürbar.
4.1.4 Einordnung der Produktindividualisierung in das
Konzept der interaktiven Wertschöpfung
Die vorangehende Argumentation hat schon viele Hinweise gegeben, warum eine
Produktindividualisierung (Mass Customization) neben Open Innovation eine weitere
Konkretisierung der Idee der interaktiven Wertschöpfung ist. Im Gegensatz zur klassischen Massenproduktion ist jeder einzelne Nutzer in den Wertschöpfungsvorgang
integriert. Ohne die Mitwirkung des Kunden kann kein individuelles Endprodukt
erstellt werden. Damit kommt es zu einer Neudefinition der klassischen Grenzen der
Arbeitsteilung zwischen Anbietern und Nachfragern. Individualisierung im Ver207
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
ständnis dieses Kapitels ist herstellerinitiiert. Ein Anbieter entwickelt eine modulare
Produktarchitektur bzw. ein vergleichbares modifizierbares Leistungsangebot sowie
ein Interaktionssystem, mit dessen Hilfe die Nutzer der Produkte vor Kaufabschluss
ihre eigene Konkretisierung dieses Angebots vornehmen können (Kleinaltenkamp
1996, 2002). Ähnlich wie bei der Nutzung eines Toolkits for User Innovation (siehe
Kapitel 3.5.2) ist auch hier die Idee, die Konkretisierung der (“sticky”, lokalen) Bedürfnisinformation in der Domäne des Nutzers zu belassen: Anstatt ex-ante zu erforschen,
welche potenziellen Eigenschaften ein Produkt für einen bestimmten Abnehmerkreis
haben soll, können die Kunden selbst diese Konkretisierung vornehmen und interaktiv eine fertige Produktspezifikation zum Hersteller transferieren.
Konzept der interaktiven Produktrealisierung (Co-Design-Prozess)
In Abgrenzung zu Open Innovation gibt es aber zwei wichtige Aspekte zu beachten:
„ Mitwirkung der Nutzer (Interaktion): Bei Open Innovation sind es vor allem
Nutzer mit besonderen Eigenschaften, die in den Innovationsprozess einbezogen
werden bzw. diesen sogar anstoßen. Diese fortschrittlichen Nutzer (Lead User)
kreieren in der Regel Lösungen, die anschließend oft für einen größeren
Abnehmerkreis gegebenenfalls sogar “massenhaft” hergestellt werden. Bei einer
Produktindividualisierung findet dagegen ein interaktiver Wertschöpfungsprozess
mit allen Kunden statt. Dieser ist deshalb auch in der Regel besser strukturiert und
repräsentiert einen Problemlösungsprozess, der im Wesentlichen aus einer Auswahl von Optionen aus einer vorgegebenen Menge bzw. der Konkretisierung vorgegebener Parameter besteht. Bei Open Innovation ist dieser Problemlösungsprozess in der Regel deutlich freier und umfasst innovative Tätigkeiten (aus
Nutzersicht sind beide Prozesse aber häufig nicht zu unterscheiden).
„ Lösungsraum: Mass Customization geht von einem festen Lösungsraum aus. Im
Gegensatz zu Open Innovation, wo durch die Interaktion mit den Nutzern ein
neuer Lösungsraum geschaffen wird, wird bei einer Produktindividualisierung ein
vorhandener Lösungsraum genutzt bzw. konkretisiert. Natürlich ist auch eine
Kombination beider Modelle möglich: Besonders fortschrittliche Nutzer können in
die Gestaltung der angebotenen Optionen oder auch in die Entwicklung des
Interaktionswerkzeuges (Konfigurator) einbezogen werden. Das so entstehende
System wird dann von allen Kunden des Mass-Customization-Angebots genutzt.
Die langfristige Anpassung und Weiterentwicklung des Lösungsraumes kann dann
wiederum mit dem Input einzelner innovativer Nutzer geschehen (ein Beispiel
dazu liefert die Fallstudie zu Adidas in Abschnitt 5.1).
„ Auf Basis dieser Diskussion lassen sich auch verschiedene Formen von Mass
Customization abgrenzen. Abgrenzungskriterium ist dabei der Zeitpunkt der
Integration der Abnehmer in die Wertschöpfung – und damit das Ausmaß, in
dem eine Konkretisierung des Lösungsraumes möglich ist. Abbildung 4–5 zeigt
die sich derart ergebenden Konzepte (siehe auch Agrawal / Kumaresh / Mercer
2001; Duray et al. 2000; Gilmore / Pine 1997; Lampel / Mintzberg 1996; Mintzberg
1988; Piller 1998, 2006a; Schnäbele 1997; Waller / Dabholkar / Gentry 2000; Zäpfel
1996).
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Produktindividualisierung und Mass Customization
Abbildung 4–5: Zeitpunkte der Integration des Kunden in die Leistungserstellung
Anbieterunternehmen als Gestalter
der Wertschöpfung
Kunden / Nutzer als
Wertschöpfungspartner
Prototyp
Produkt/Markttest
Produktindividualisierung
Markteinführung
Interaktionsfeld
Grad der Kundenintegration
Konzeptentwicklung
Fertigung
Montage
Vertrieb
After Sales
Wertschöpfungsphasen
Ansatzpunkte
zur Produktindividualisierung
Development-to-order
(Engineer-to-order)
Begrenztheit des Lösungsraums
Open Innovation
Ideengenerierung
make-to-order
Assemble-to-order
Match-to-order,
locate-to-order
Gestaltungsraum
Match-to-order, locate-to-order
Bei einem match-to-order- bzw. locate-to-order-System findet die Kundenintegration
erst in den der Produktion nachgelagerten Wertschöpfungsaktivitäten des Vertriebs
statt. Durch ein entsprechendes Interaktionstool wird versucht, die Wünsche jedes
Kunden zu ermitteln. Anschließend erfolgt eine Zuordnung zu einem vorhandenen
Spektrum an Standardleistungen. Online-Autohändler erlauben z. B. durch ein Netzwerk an stationären Händlern die Suche nach einem Wagen laut Wunschspezifikation
eines Kunden (locate-to-order). In der Bekleidungsindustrie möchten Unternehmen wie
“Intellifit” oder “MyVirtualModel” an verschiedenen Standorten moderne 3DGanzkörper-Scanner betreiben. Die Scan-Daten jedes Kunden werden genutzt, um im
Handel die Zuordnung zu den Konfektionsgrößen verschiedener Hersteller zu erreichen. Damit soll vor allem beim Distanzkauf das Passformrisiko reduziert werden. Der
Anbieter Lands’End geht einen Schritt weiter, indem er den 3D-Scan für eine Stilanalyse
verwendet und auf Basis dieser Daten seinen Kunden ein individuelles Outfit anbietet
(bundle-to-order). Diese Formen der Mass Customization basieren nicht auf fertigungsbezogenen Aktivitäten, sondern auf Tätigkeiten im Vertrieb und Kundenservice. Diese
Aktivitäten zählen daher zum Spektrum von “Soft Customization”.
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Assemble-to-order, made-to-order
Bei einem assemble-to-order- und made-to-order-System wird die Information über
den Idealpunkt des Kunden genutzt, um ein individuelles Produkt herzustellen. Damit
ist ein Eingriff in die Wertschöpfungsaktivitäten der Fertigung verbunden. Hier setzt
z. B. die Maßkonfektion von Bekleidung an, bei welcher der 3D-Scan dazu dient, ein
parametrisierbares Schnittmuster den Maßen des Kunden anzupassen. Danach erfolgen ein auftragsspezifischer Zuschnitt und das Vernähen der Stoffe zu einem individuellen Kleidungsstück. In der Literatur wird unter made-to-order (auch: bulid-toorder) auch die auftragsbezogene Fertigung von Standardwaren subsumiert. So fertigt
z. B. der Motorradhersteller Harley Davidson alle Motorräder rein nach Kundenbestellung, jedoch kann der Kunde nur zwischen den verschiedenen Modellen aus
dem Katalog wählen. Alle Individualisierungsoptionen (z. B. Tuning, Designelemente,
etc.) werden nachträglich im Handel realisiert. Auch in diesem Fall findet eine kundenspezifische Fertigung statt, es kommt allerdings nicht zu einer Integration des Kunden
in die Wertschöpfung im Sinne einer Einflussnahme auf die Produktspezifikation.
Development-to-order
Bei einem development-to-order (auch: engineering-to-order) ist die höchste Form
der Wertschöpfungsintegration erreicht. Hier wird der Kunde auch in die Produktentwicklung integriert. Es geht nicht mehr nur um eine Anpassung eines Produktes innerhalb bestimmter Parameter, sondern es erfolgt eine Neukonstruktion, auf
deren Basis dann eine individuelle Leistungserstellung erfolgt. Dies entspricht aus
Kundensicht dem Fall einer klassischen auftragsbezogenen Einzelfertigung, kann aber
heute durch Nutzung der Prinzipien der Mass Customization mit der Effizienz erfolgen, die der einer Massenproduktion entspricht.
Der optimale Punkt der Kundenintegration
Die Festlegung des optimalen Punkts der Kundeninteraktion und damit der Stelle, an
der das auftragsneutrale System der Potenzialbereitstellung mit dem kundenauftragsbezogenen System der Konfiguration und Potenzialnutzung zusammentrifft, ist eine der
wichtigsten Aufgaben bei der Einrichtung eines Mass-Customization-Systems (Anderson
1997). Während der erste Teil für die kostengünstige Vorfertigung einzelner Leistungsbestandteile sorgt, ist das kundenorientierte Segment für ihr Zusammenführen in ein individuelles Endprodukt verantwortlich. Hierbei sind analog der in Abbildung 4–5 genannten Formen der Kundenintegration verschiedene Zeitpunke bzw. Orte zu unterscheiden,
an denen auftragsbezogene und auftragsneutrale Wertschöpfungsaktivitäten aufeinander
treffen. Die Trennung zwischen dem auftragsneutralen und auftragsbezogenen Teil beruht dabei zunächst nicht auf physischen Vorgaben bzw. einer Teilung der Fertigungsapparatur in zwei Bereiche, sondern ist vielmehr Spiegelbild einer gedanklich-planerischen
Splittung der gesamten Wertschöpfungsaufgabe. Die Entscheidung, wo die Trennung beginnt, hat eine enge Verwandtschaft mit der Bestimmung des optimalen Vorfertigungsgrads.
Der optimale Vorfertigungsgrad
Die Entscheidung, an welcher Stufe der Kunde in die Wertschöpfung integriert wird,
hat wesentliche Auswirkungen auf die Festlegung des optimalen Vorfertigungsgrades
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Produktindividualisierung und Mass Customization
(siehe Definitionskasten). Die Bestimmung des optimalen Vorfertigungsgrads ist eine
wesentliche Stellgröße zur Definition stabiler Prozesse (Corsten 1998a; Schnäbele
1997). Auf der Prozessebene wird die Fertigung in einen kundenunabhängigen, standardisierten Teil und einen kundenspezifischen Teil gesplittet. Während der erste Teil
für die kostengünstige Vorfertigung der einzelnen Komponenten sorgt, ist das kundenorientierte Segment für deren Montage in ein individuelles Endprodukt verantwortlich. Diese Zweiteilung ist eine wesentliche Voraussetzung zur Reduktion der Planungs- und Steuerungskomplexität, die mit einer kundenindividuellen Produktion
verbunden ist.
Der Vorfertigungsgrad charakterisiert den Schnittpunkt zwischen kundenunabhängiger und
auftragsbezogener Fertigung. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, ab welchem Zeitpunkt
“eine Variante zur Variante wird”. Die einzelnen Bauteile und Module eines Produkts werden bis
zu diesem Punkt auftragsneutral vorgefertigt und auf Lager gelegt. Bei Eingang eines Auftrags
werden sie dann entsprechend der gewünschten Auftragsspezifikationen bearbeitet und zum
fertigen Produkt zusammengefügt. Ein Vorfertigungsgrad am Anfang des Fertigungsprozesses
(“Vorfertigungsgrad von null”) bedeutet, dass alle Bearbeitungsschritte erst bei Auftragseingang
beginnen und auftragsspezifisch vollzogen werden.
Auftragsneutrale und kundenbasierte Vorfertigung
Die gesamte Planungsaufgabe wird in Subsysteme aufgespalten. Diese bestehen aus
zwei Regelkreisen (Doringer 1991):
„ Ein kundenauftragsbezogener Regelkreis löst Fertigungsaufträge unmittelbar
aufgrund eines konkret zuordenbaren Kundenauftrags aus.
„ Ein kundenauftragsneutraler Regelkreis steuert Fertigungsaufträge (für Teile,
Module, Varianten), die ohne direkten Bezug zu einem Kundenauftrag ausgelöst
werden.
Beide Regelkreise können sehr effizient verbunden werden. Dabei beruht die Trennung
dieser Regelkreise zunächst nicht auf physischen Vorgaben bzw. einer Teilung der
Fertigungsapparatur in zwei Bereiche, sondern ist vielmehr Spiegelbild einer gedanklich-planerischen Splittung der gesamten Fertigungsaufgabe. Ziel der Zweiteilung soll
sein, alle Fertigungsgänge, die kundenauftragsneutral durchgeführt werden können
und folglich der Produktionsplanung höhere Freiheitsgrade bieten, auch als solche zu
planen. Die Komplexität des Gesamtsystems kann so entscheidend gesenkt werden. Die
Entscheidung, wo die Trennung zwischen dem kundenauftragsbezogenen Regelkreis 1
und dem auftragsneutralen, “standardisierten” Regelkreis 2 beginnt, entspricht im
Wesentlichen dem Problem zur Bestimmung des optimalen Vorfertigungsgrads. Dieser
Punkt (auch als Entkopplungs-, oder Variantenbestimmungspunkt sowie im Englischen
als Freeze-, Order-Penetration- und Decoupling-Point bezeichnet) charakterisiert den
Schnittpunkt zwischen kundenunabhängiger und auftragsbezogener Fertigung.
Hierbei sind zwei alternative Vorgehensweise zu unterscheiden (Abbildung 4–6): Bei
Möglichkeit 1 werden die einzelnen Bauteile und Module eines Produkts bis zum
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Vorfertigungsgrad auftragsneutral erstellt und auf Lager gelegt. Bei Eingang eines
Auftrags werden sie dann entsprechend der gewünschten Auftragsspezifikationen
weiterbearbeitet und zum fertigen Produkt zusammengefügt. Je weiter der Vorfertigungsgrad auf eine spätere Stufe des Fertigungsprozesses verschoben werden
kann, desto größer ist die mögliche Komplexitätsreduktion, da der Umfang der individuellen Leistungen geringer wird. Die Möglichkeit zur Bildung optimaler Losgrößen
und Verstetigung der Produktion in der Vorfertigung erlaubt dort den Einsatz effizienterer Fertigungssysteme. Auch kommt es zu einer Verkürzung der Lieferzeiten, da
nach Kundenauftrag nur noch wenige individuelle Schritte vollzogen werden müssen
(Corsten 1998a; Homburg / Daum 1997; Köster 1998).
Abbildung 4–6: Auftragsneutrale und kundenbasierte Vorfertigung
standard. Vorfertigung
Alternative 1:
auftragsneutrale
Vorfertigung
individuelle Fertigung
Kunde
Lager
Kundenauftrag
Alternative 2:
auftragsbasierte
Vorfertigung
Kunde
Kundenauftrag
Vorfertigungsgrad
Jedoch bedeutet ein hoher Vorfertigungsgrad aus einer logistikorientierten Sichtweise
der gesamten Wertkette stets Verschwendung im Sinne einer Lagerhaltung, die an sich
bei einer kundenauftragsgesteuerten Produktion nicht notwendig ist. Lagerkosten und
Bestandsrisiko sowie die Planungskomplexität auf Komponentenebene können erst
dann im Sinne einer echten “Customer-Pull-Strategie” vermieden werden, wenn erst
beim Eingang einer Kundenbestellung die Aufbereitung der Rohstoffe beginnt und die
weiteren Verarbeitungsschritte rein auftragsbezogen durchgeführt werden. Expertenschätzungen nehmen beispielsweise für die Bekleidungsindustrie bis zu 30 Prozent
Verschwendung der Wertschöpfung durch fehlproduzierte Stoffe und fertige Produkte
an.
Hier kann eine Senkung des Vorfertigungsgrads – auch wenn es gängigen Vorstellungen des Komplexitätsmanagements widerspricht – theoretisch große Potenziale
bergen, verbunden jedoch mit einem weit höheren Steuerungs-, Transport- und
Umstellungsaufwand. Deshalb wird bei Alternative 2 zwar ein recht hoher Anteil auftragsneutraler Arbeitsgänge festgelegt, die Vorproduktion allerdings erst bei Eintreffen
eines konkreten Kundenauftrags angestoßen. Damit können Zwischenlagerkosten und
Bestandsrisiko vermieden werden. Da es sich bei der Vorfertigung nun zwar um auf212
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Produktindividualisierung und Mass Customization
tragsbedingte, aber inhaltlich stetige und repititive Prozesse handelt, sinkt die
Planungskomplexität entscheidend. Voraussetzung sind allerdings ausreichende Kapazitäten in der Vorfertigung sowie eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit des
Gesamtsystems.
Bestimmung des optimalen Vorfertigungsgrads
Die Wahl des optimalen Vorfertigungsgrads liegt so im Spannungsfeld zwischen
Standardisierung und Individualisierung. Gutenberg (1979) spricht deshalb vom
Vorfertigungsgrad als kritisches Standardisierungs- oder Typisierungsmaß. Ziel ist es,
das optimale Verhältnis zwischen standardisierter und individualisierter Leistungsgestaltung zu finden. Der optimale Integrationsgrad kann sowohl aus Perspektive des
Kunden als auch des Anbieters betrachtet werden. Aus Anbietersicht wird theoretisch
anhand der preislichen Präferenzprämie bestimmt, die aufgrund der größeren
Kundennähe der Leistung erzielt werden kann. Diese Präferenzprämie richtet sich
nach dem Maß, mit dem der kundenindividuelle Idealpunkt getroffen wird. Je näher
Leistungs- und Idealpunkt beieinander liegen, desto höher ist sie. Die Präferenzprämie
wird den damit verbundenen Kosten gegenübergestellt. Das Optimum liegt an dem
Punkt, an dem die Differenz aus zusätzlichen Erlösen und Kosten am größten ist. In
der Praxis ist dieser Punkt aber leider nur schwer quantifizierbar (Homburg / Weber
1996). Als Ersatz werden qualitative Faktoren herangezogen, die beispielsweise mittels
eines Punktwertzahlverfahrens beurteilt werden. Mit diesem Verfahren können auf
Produzentenseite beispielsweise die folgenden Kriterien mit einer geeigneten
Gewichtung miteinbezogen werden:
„ technische Kriterien (z. B. Handlingfähigkeit und Mehrfachverwendbarkeit der
Module),
„ Zwischenlagerkosten vorgefertigter Module,
„ von den Nachfragern akzeptierte Lieferzeit,
„ die Prognosegenauigkeit des Komponentenbedarfs,
„ die Kosten einer Produktionsumstellung.
Diese Aspekte sind aus Sicht der Abnehmer zu ergänzen. Hier sind beispielsweise die
folgenden Einflussfaktoren relevant:
die Erfahrung des Abnehmers mit dem Produkt (Wiederholungskauf, Vorbildung etc.)
und damit die Fähigkeit zum Umgang mit einer größeren Komplexität bei Systemen
mit sehr frühem Interaktionspunkt,
die Höhe des Risikos eines Fehlkaufs (Umtauschmöglichkeit, Lieferzeit, Beurteilungsmöglichkeit),
der Anteil des Konfigurationsvorganges als Teil der Absatzleistung (Konfiguration als
Erlebniseinkauf und Zeitvertreib).
Wie bereits in Kapitel 2 diskutiert, verlangt die interaktive Wertschöpfung von
beiden Marktpartnern Einsatz. Damit gibt es auch aus Sicht der Kunden einen
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
optimalen Integrationsgrad. Ist zur Definition der kundenindividuellen Leistung
zu viel Engagement des Kunden erforderlich, kann dieser Aufwand den
Nutzenzuwachs zunichte machen. Wir werden diesen Aspekt noch in Abschnitt
4.4 vertiefen.
4.1.5 Effizienzkriterien interaktiver Wertschöpfung bei
Produktindividualisierung
Die vorhergehenden Ausführungen haben gezeigt, dass eine Individualproduktion zusätzlichen Nutzen für die Kunden schafft, der von Anbietern im
Rahmen einer Differenzierungsstrategie genutzt werden kann. Jedoch stellt die
Integration der Kunden bei einer Produktindividualisierung im Sinne von Mass
Customization auch eine Kostenbelastung dar. Die Ursache sind höhere
Produktionskosten durch die auftragsspezifische Fertigung und höhere
Transaktionskosten durch den interaktiven Verkaufsprozess. Wir argumentieren
aber im Folgenden, dass Kundenintegration nicht nur die Ursache zusätzlicher
Kosten, sondern zugleich eine Quelle neuer Kostensenkungs- und Erlöspotenziale darstellt (siehe Abbildung 4–7 zur Übersicht). Eine Mass-CustomizationStrategie ist nur dann erfolgreich, wenn die zusätzlichen Nutzenpotenziale die
zusätzlichen Kosten übertreffen, d. h. wenn die interaktive Wertschöpfung das
Effizienzkriterium erfüllt.
Die folgende Argumentation betrachtet dabei zunächst die Kosteneffizienz einer
interaktiven Wertschöpfung durch Produktindividualisierung (Abschnitt 4.2). Wir
betrachten dazu sowohl die zusätzlichen Produktions- und Transaktionskosten als
auch Ansatzpunkte, diese zusätzlichen Kosten wieder auszugleichen. Dabei lassen
sich systemimmanente und systeminhärente Effekte unterscheiden. Moderne
Produktions- und Informationstechnologien können das (monetäre) Ausmaß der
zusätzlichen Kosten stark reduzieren, nicht aber die eigentlichen Quellen der Kosten.
Systeminhärente Kostensenkungspotenziale einer interaktiven Wertschöpfung durch
Produktindividualisierung resultieren aus den Prinzipien der Kundeninteraktion
selbst, die über den besseren Zugang zu Bedürfnisinformation (“sticky information”) helfen, Verschwendung zu vermeiden und die Kundenabhängigkeit zu steigern.
Produktindividualisierung hat aber auch positive Wirkungen auf die Erlöse
(Absatzeffizienz). Diese beruhen auf einem wahrgenommenen Nutzenzuwachs der
Abnehmer durch eine höhere Produktqualität (wiederum auf Basis der Möglichkeit für
den Hersteller, Zugang zur Bedürfnisinformation der Nachfrager zu erlangen), aber
auch durch eine positive Wahrnehmung des Interaktionsvorganges in der Co-DesignPhase (Prozessqualität). Beide Faktoren erlauben einem Anbieter preispolitische
Potenziale, die Wettbewerbsvorteile einer interaktiven Wertschöpfung widerspiegeln
(Abschnitt 4.3).
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Kosteneffizienz von Individualproduktion
Abbildung 4–7: Übersicht der Treiber der Effizienz interaktiver Wertschöpfung bei
Produktindividualisierung
Effizienz interaktiver Wertschöpfung
durch Produktindividualisierung
Kosteneffizienz
zusätzliche Kosten
Kostensenkungspotentiale
(Economies of Integration)
Zusätzl. Kosten in der
Produktion
Zusätzl. Kosten der
Interaktion
Zusätzl. Kosten im
After-Sales-Prozess
Kasten 4–3:
Absatzeffizienz
Besserer Zugang zu
"sticky information"
Vermeidung von
Verschwendung
durch besseren
"Fit to market"
Möglichkeit eines
Preispremiums
Erhöhung der
Produktqualität
Erhöhung der
Produktqualität
Reduktion der Akquisekosten durch
Steigerung der Abnehmerabhängigkeit
Literaturempfehlungen zu den Grundlagen der Produktindividualisierung
„
Duray, Rebecca / Ward, Peter T / Milligan, Glenn / Berry, William (2000). Approaches to mass
customization: configurations and empirical validation. Journal of Operations Managements,
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Lampel, Joseph / Mintzberg, Henry (1996). Customizing customization. Sloan Management
Review, 37 (1996) 1 (Fall): 21-30
4.2
Kosteneffizienz von Individualproduktion
Die Kriterienbetrachtung im letzten Abschnitt hat bereits in die Diskussion neuer
Kostensenkungspotenziale durch Kundenintegration eingeführt. Treiber für die
Kosteneffizienz stehen Treibern für die Absatzeffizienz der Produktindividualisierung
gegenüber.
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4.2.1 Zusätzliche Kosten durch Produktindividualisierung
Eine Individualproduktion verursacht zusätzliche Kosten, die zum einen aus
Investitionen in den Aufbau des Individualisierungspotenzials (Solution Space) resultieren (fixe Kosten), und zum anderen im operativen Geschäft anfallen (variable
Kosten). Wichtig ist dabei eine Betrachtung über alle Wertschöpfungsbereiche hinweg,
denn allzu oft werden in der Praxis lediglich die Kosten in der Produktion bedacht.
Dabei sind bei vielen Mass Customizern aber vor allem die zusätzlichen Kosten, die
auf die Interaktion mit den Kunden zurückzuführen sind, erfolgskritisch und bedürfen daher besonderer Aufmerksamkeit. In Anlehnung an eine einfache Unterteilung
aller Kosten in Produktions- und Transaktionskosten (Picot 1982) gehört damit das
besondere Augenmerk im Rahmen unserer Argumentation den Transaktionskosten.
Beide Bereiche sollen im Folgenden kurz betrachtet werden. Dabei werden die einzelnen Kostenblöcke nur sehr knapp vorgestellt. Wichtiger als Anleitungen zur
Quantifizierung ist uns die sich ergebende Struktur.
Kostentreiber in der Produktion (Zusatzkosten des Herstellers)
Für die Einrichtung und Planung der Produktion fallen im Vergleich zur klassischen
Massenproduktion bei einer Einzelfertigung oftmals höhere Investitionen an. Ein
Mass-Customization-Unternehmen benötigt in der Regel mehrere Universalmaschinen, um die wechselnden Bearbeitungsvorgänge zu bewältigen. Einem homogenen Massenfertiger dagegen reicht eine auf hohe Stückzahlen ausgelegte
Spezialmaschine, die in der Regel eine höhere Produktivität pro Stück besitzt. In der
Produktion gilt die Losgröße als ein wesentlicher Kostentreiber (Reichwald / Dietl
1991). Bei einer homogenen Massenproduktion verteilt sich der Aufwand für die
Produktionsplanung und –steuerung sowie das Rüsten der Maschinen auf alle produzierten Stücke eines (großen) Loses. Werden nur wenige oder gar nur ein Stück einer
Produktvariante gefertigt, kommen diese Degressionserscheinungen nicht zum tragen.
Diese Opportunitätskosten entsprechen den verlorenen Effizienzvorteilen einer standardisierten Massenproduktion. Auch heute gibt es keine effizientere Fertigungsstrategie als die klassische Massenproduktion. Für einen bearbeiteten Markt wird
genau eine Produktversion entwickelt, die dann in Form einer massenhaften
Produktion auf Vorrat produziert wird (Kleinaltenkamp 1995; Knolmayer 1999). Damit
geht die Standardisierung auf Teileebene einher, was wiederum konstante und abgestimmte Leistungsprozesse ermöglicht (effiziente Fließsysteme). Dabei sind nicht nur
die Produktionsprozesse, sondern auch Kommunikations-, Distributions- und Serviceleistungen standardisierbar. Die so zu verwirklichenden Vorteile entsprechen den klassischen Kostendegressionseffekten, die bei einer Individualfertigung in der Regel nicht
erreicht werden können. Geringere Wiederholungsgrade eines Arbeitschritts führen
auch zu einer eingeschränkten Wirksamkeit des Lerngesetzes der Produktion. Damit
lässt sich nicht nur die Arbeitsproduktivität nicht verbessern, sondern häufig müssen
auch höher qualifizierte Arbeitskräfte (mit einer höheren Flexibilität) eingestellt werden. Das Resultat sind steigende Arbeits- und damit Herstellkosten.
Allerdings setzt die Idee des “stabilen Lösungsraumes” als Differenzierungsmerkmal
einer Produktindividualisierung durch Mass Customization genau hier an. Eine
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Kosteneffizienz von Individualproduktion
Modularisierung von Produkten und Prozessen soll auf der Vorleistungsebene unabhängig von einer individuellen Leistungserstellung Skaleneffekte verwirklichen (Jiao /
Tseng 1996; Sahin 2000). Die Module stellen Gleichteile dar, d. h. sie gehen trotz ihrer
standardisierten Herkunft ohne Veränderung in eine Vielzahl von verschiedenartigen
Endprodukten ein (Feitzinger / Lee 1997; van Hoek / Commandeur / Vos 1998). Damit
kommt es zu einer kostensenkenden Allokation der Inputfaktoren zur Definition und
Entwicklung dieser Komponenten. Zur Sicherstellung dieser Kompatibilität müssen
die Teile eine gemeinsame Systemarchitektur besitzen. Die synergetische Nutzung dieses Potenzials resultiert in Verbundeffekten (Feitzinger / Lee 1997). Diese Kombination
von Skalen- und Verbundeffekten ist ein wesentliches Kennzeichen von Mass
Customization (Piller 2006a).
Dennoch kommt es in der Produktion zu zusätzlichen Kosten, die vor allem in der steigenden Komplexität des gesamten produktionstechnischen Aufgabenvollzugs begründet sind. Ein großes Problem ist dabei oft die Komplexität der Produktionsprogrammplanung. Die Planungskomplexität resultiert aus der Bewältigung der
Unsicherheit aufgrund des stochastischen Auftragseingangs sowie der Bereitstellung
einer hohen Lieferbereitschaft und Planungsstabilität zur Vermeidung von Engpässen
vor allem in der Montage. In der Durchlauf- und Kapazitätsterminierung steigt die
Komplexität zum einen durch zusätzliche Bearbeitungsschritte, wenn zum Beispiel ein
größeres Bauteil, das bei einer Standardfertigung komplett montiert werden kann, nun
in Teilmodule aufgespalten wird, die jeweils einzeln entsprechend der auftragsspezifisch durchzuführenden Arbeiten eingeplant werden müssen. Zum anderen steigen
generell durch die Zunahme der einzuplanenden Aufträge die Anzahl und
Vielschichtigkeit der Planungsläufe, da je nach Spezifikation verschiedene alternative
Arbeitsvorgänge berücksichtigt werden müssen (Homburg / Weber 1996).
Während der Bearbeitung selbst führen häufige Produktionsumstellungen zu einer
Zunahme der Wechselkosten. Diese werden nicht nur durch den Rüstvorgang selbst
verursacht (Werkzeugverschleiß, Arbeitsaufwand, Probestücke etc.), sondern enthalten
auch Stillstandskosten während des Werkzeugwechsels und die damit hervorgerufene
Minderauslastung der Fertigungskapazität. Das Ziel, die Wechselkosten durch eine
geschickte Reihenfolgeplanung zu minimieren, führt zu einer weiteren Komplexitätssteigerung der Terminierungsrechnung. Die genannten Komplexitätssteigerungen
in der Produktionsplanung äußern sich kostenseitig vor allem in einer Zunahme der
Koordinationskosten (Personalkosten, Nutzung aufwendigerer PPS-Systeme etc.).
Jedoch können in der Zukunft flexible Fertigungsverfahren diese Kosten vielleicht entscheidend senken. Insbesondere wird derzeit unter dem Stichwort Rapid Manufacturing eine Technologie diskutiert, die die werkzeuglose Erstellung von Produkten
und Komponenten direkt aus einem Datenmodell heraus erlaubt. Kasten 4–4 stellt ein
Beispiel dieser Technologie vor.
Kostenwirkungen ergeben sich in Hinblick auf die Materialwirtschaft. Eine anonyme
Variantenfertigung, die individuelle Kundenwünsche lediglich dadurch erfüllt, dass
viele verschiedene Varianten “auf Verdacht” auf Lager produziert werden, führt natürlich im Vergleich zur Massenfertigung eines Standardprodukts zu steigenden
Fertigwarenbeständen (und damit Lagerkosten), während eine echte Einzelfertigung
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auf Bestellung diese Fertigwarenbestände völlig abbauen könnte. Um die Kundenwünsche schnell zu erfüllen, müssen jedoch bei Mass Customization im Eingangslager
anstatt eines Materials in einer bestimmten Qualität mehrere alternative Materialien in
verschiedenen Ausprägungen vorgehalten werden, womit es zu einem Anstieg der
Kosten der Eingangslagerhaltung kommt. Deshalb wird häufig auch eine auftragsspezifische Bestellung der Materialien gefordert (optimal aus Sicht der gesamten
Wertschöpfungskette wäre natürlich die auftragsspezifische Vorfertigung der
Materialien, siehe Abschnitt 4.1.3). Auch wenn so die Bestandskosten und –risiken sinken, steigt der Aufwand im Bestellwesen. Weitere Kosten resultieren aus der Notwendigkeit flexiblerer und aufwändigerer Transport- und Handlingsysteme, um ein
größeres Teilespektrum verarbeiten zu können. Schließlich erhöht eine Zunahme der
Materialvielfalt auch den Aufwand der Materialverwaltung sowie der Beschaffungsmarktforschung.
Schließlich steigen bei einer kundenindividuellen Produktion auch die Ansprüche und
damit die Kosten der Qualitätskontrolle. Während bei einer Fertigung von Standardprodukten Stichproben genügen, müssen bei einer individualisierten Produktion alle
Produkte einer Qualitätsprüfung unterzogen werden, da nicht nur die stetigen
Fertigungsbedingungen fehlen, die die Voraussetzung einer validen Stichprobe bilden,
sondern auch pro Produkt zusätzlich die Einhaltung der Individualisierungswünsche
des Kunden geprüft werden muss (nichts ist geschäftsschädigender als eine unpassende Maßfertigung).
Kasten 4–4:
Mass-Customization-Produktionstechnologie Rapid Manufacturing: Die
Brille aus dem Drucker
(Quelle: Auszug aus dem Artikel “Die Brille aus dem Drucker” von Susanne Donner in SpiegelOnline vom 05. November 2005 [tinyurl.com / r6lzo])
(...) Möglich, dass man sich irgendwann einmal eine neue schicke Sonnenbrille drucken wird,
wenn man die alte verlegt hat. Noch sind solche 3D-Druckverfahren zu teuer für den
Alltagsgebrauch. Fraunhofer-Forscher in Magdeburg testen aber schon einmal aus, was alles drinsteckt in der Technik. Es kommt selten vor, dass eine neue Technik ausgerechnet die Kreativität
von Künstlern und Designern bereichert. Die so genannten Rapid-Technologien sind eine dieser
seltenen Ausnahmen, denn sie werden dem künstlerischen Wunsch nach Einzigartigkeit eines
Produktes gerecht. Schon heute entstehen mithilfe des Verfahrens exklusive Lampen,
Sonnenbrillen und Handtaschen - individuell nach Kundenwunsch hergestellt. Nach einer Vorlage
im Computer entsteht dabei auf Knopfdruck der gewünschte Gegenstand. Möglich wird dies mit
einer Art 3D-Drucker, der das Unikat auf einer festen Unterlage in die Höhe wachsen lässt. Schicht
für Schicht bauen solche Geräte beispielsweise Tassen oder Teller aus Kunststoff oder
Schmuckstücke aus Metall auf. “Jahrhundertelang musste der Produkt-Designer darauf Rücksicht
nehmen, was in der Fertigung überhaupt technisch machbar ist. Mit den Rapid-Verfahren entfällt
dieser Zwang: Jede noch so komplizierte Produktgestalt ist herstellbar”, erläutert Rudolf Meyer von
der Fraunhofer-Allianz Rapid Prototyping in Magdeburg. Mittlerweile lassen sich deshalb viele
Designer von den Möglichkeiten der neuen Technik beflügeln.
Das Rapid-Unternehmen EOS in Krailling bei München beispielsweise profitiert vom Interesse der
Künstler: Hier wird eine Handtasche gefertigt, die nur aus Kunststoffringen von der Größe eines
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10-Cent-Stückes besteht. Jeder Ring ist mit den jeweiligen Nachbarringen verhakt, so dass auf
diese Weise ein Netz entsteht. “Industriell lässt sich so eine Handtasche gar nicht herstellen und
von Hand müsste man alle Ringe einzeln miteinander verlöten, was wiederum nur mit Metall funktionieren würde. Der Kunde wollte aber einen weißen Kunststoff haben”, berichtet Christof Stotko,
Marketingleiter der Münchner Firma. Um die Handtasche herzustellen, verteilt die Rapid-Maschine
zunächst eine 0,1 Millimeter dünne Schicht Kunststoffpulver auf einer Arbeitsunterlage. Ein
Laserstrahl bringt das Pulverbett genau dort zum Schmelzen, wo später Kettenglieder entstehen
sollen. Beim Abkühlen erhärten die geschmolzenen Stellen und werden zu festem Kunststoff. Ein
Relief aus verschlungenen Ringen ragt nun empor, während ringsum das Pulver liegen bleibt. Ist
die erste Schicht auf diese Weise fertig gestellt, geht die Prozedur von vorne los. Es wird eine neue
Pulverschicht über das Relief der sich herausbildenden Ringe gestreut. Lage um Lage wächst die
Handtasche mit diesem so genannten Laser-Sinter-Verfahren in die Höhe. Nach sieben Stunden
Produktionszeit ist das Accessoire fertig. “Es ist eher ein exklusives Modeobjekt”, sagt Stotko. (...)
“Mit den Rapid-Verfahren lassen sich die Produkte individualisieren und dem Kunden quasi auf
den Leib schneidern. Das ist faszinierend. Aber noch stehen wir hier am Anfang der Entwicklung”,
meint Meyer. Denn der schier unbegrenzten gestalterischen Freiheit steht bislang eine begrenzte
Zahl an Werkstoffen gegenüber. Während der Ingenieur im Maschinenbau oder in der
Textilindustrie zwischen tausenden Materialien wählt, verarbeiten die Rapid-Maschinen bis dato
nur einige Dutzend Spezialwerkstoffe. Neben Kunststoffen können Metall, Papier und Keramik verwendet werden. (...) Die Technik hat in den vergangenen Jahren beachtliche Fortschritte gemacht
und der Preis für die Geräte ist gefallen. “Vielleicht werden in 5 bis 8 Jahren die ersten Haushalte
über ihren eigenen 3D-Drucker verfügen, wenn die preiswertesten Geräte dann nur einige
Tausend Euro statt der heute üblichen 25.000 Euro und mehr kosten”, wagt Meyer einen Blick in
die Zukunft.
Kosten der Interaktion im Wertschöpfungsprozess
Kundenbezogene Wertschöpfung findet im engeren Sinne auf der Informationsebene
statt. Grundlage der Erstellung individueller Produkte und Leistungen ist stets eine
Interaktion zwischen Abnehmer und Anbieter im Leistungserstellungsprozess
(Hibbard 1999; Ramirez 1999). Dies gilt sowohl hinsichtlich der Kontaktanbahnung,
Verkauf und Bindung der Endkunden als auch in Bezug auf die physische
Warenverteilung. Ein Massen- bzw. Variantenfertiger überträgt diese Aufgaben in der
Regel dem Handel. Eine solche Aufgabenteilung ist aber vor allem hinsichtlich einer
individuellen Leistungserstellung unökonomisch. Je komplexer ein Leistungsobjekt
und der dazu gehörige Spezifikationsprozess ist, desto wichtiger und effizienter wird
aus Transaktionskostensicht die interne Abwicklung der Distributionsfunktion, d. h.
bei einer spezifischen, individuellen Leistung ist eine direkte Kommunikation zwischen Abnehmer und Hersteller im Sinne eines Direktvertriebs ohne Einschaltung des
Handels vorteilhaft (Picot 1986; Schnäbele 1997).
Wir können auch hier wieder die zusätzlichen Kosten von Mass Customization aus den
Verlusten der Effizienzvorteile einer Massenproduktion begründen, nun aus Sicht des
Vertriebs: Aus Transaktionskostensicht beruhen die Potenziale der Standardisierung
auf der asymmetrischen Informationsverteilung der Abnehmer über die Eigenschaften
von Gütern und Leistungen. Gerade bei neuen Produkten machen fehlende
Erfahrungswerte eine Beurteilung der Eignung unmöglich, womit das Risiko von
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Fehlentscheidungen steigt. Eine individuelle Leistungserstellung verstärkt diese
Unsicherheiten drastisch. Bei einer standardisierten Leistung dagegen können potenzielle Käufer auf bestehendes Wissen über ähnliche Leistungen zurückgreifen.
Standards dienen deshalb genauso wie Preise als Informationsträger im Marktprozess,
die sowohl Nachfrager als auch Anbieter bei ihrer Informationsgewinnung (Screening)
und Informationsübertragung (Signaling) unterstützen. Sie bilden “Verhaltensregeln”
der Marktteilnehmer, die zu sinkenden Transaktionskosten führen (Kleinaltenkamp
1995). Bei einer Individualisierung der Leistungserstellung können diese Vorteile nicht
per se genutzt werden, um den abnehmerseitigen Grad der Unsicherheit zu reduzieren. Hierzu bedarf es zusätzlicher Maßnahmen. Damit steigen aber die Informationsund Kommunikationskosten aus Sicht des Herstellers im Vergleich zum Absatz massenhafter Waren und Leistungen stark an (Piller et al. 2005):
„ Steigende Informations- und Kommunikationskosten durch Erhebung der
Konfigurationsinformation für jeden Kunden: Hierbei geht es bei weitem nicht
nur um die rein funktionale Erhebung der Wünsche, sondern vor allem auch um
Beratung der Kunden bei der Formulierung ihrer Wünsche. Zusätzliche Kosten
entstehen neben den operativen Kosten bei jedem Kundenkontakt vor allem durch
den Aufbau entsprechender Konfigurationssysteme (Technik und Multi-ChannelIntegration).
„ Aufbau von Vertrauen und Risikoreduktion beim Abnehmer: Der Einbezug der
Kunden in die Wertschöpfung bedeutet für diese nicht nur aktive Mitarbeit, sondern auch einen Vertrauensvorschuss und zusätzliches Risiko. Hieraus resultiert
die Notwendigkeit von vertrauensstiftenden Maßnahmen und einer ausgeklügelten Kommunikationspolitik – beides sind wesentliche Kostentreiber von Mass
Customization, die oft unterschätzt werden.
Zusatzkosten für den Kunden
Diese zusätzlichen Kosten lassen sich so auch aus Sicht der Abnehmer beschreiben. Die
direkten Kosten von Mass Customization aus Kundensicht entsprechen dem
Preispremium, das ein Kunde für ein individuelles Gut im Vergleich zum massenhaften Gut zahlen muss. Doch für die Kunden fallen auch indirekte Kosten an, die aus
ihrer Beteiligung am interaktiven Wertschöpfungsprozess resultieren. Angesichts der
kombinatorisch oft sehr hohen möglichen Variantenzahlen zur Definition eines
Endprodukts bei nur einigen Optionen steht der Käufer vor einer sehr komplexen
Kaufentscheidung im Vergleich zum Kauf eines Standardprodukts (Broekhuizen /
Alsem 2002; Dellaert / Stremersch 2005; Franke / Piller 2003; De Meyer, Dutta /
Srivastava 2002; Huffman / Kahn 1998; Zipkin 2001). In industriellen Märkten wird er
zwar häufig das notwendige Know-how für die Produktdefinition besitzen, jedoch ist
auch hier der Konfigurationsprozess oft mit großem Aufwand verbunden und führt
zum beschriebenen Faktortransfer. Im Konsumgütergeschäft dagegen besitzen die
Kunden bei vielen Produkten keine ausreichenden Kenntnisse zur Definition der
Produktspezifikation, die ihren Bedürfnissen entspricht. Sie können keine
Präferenzreihenfolge zwischen verschiedenen Variationsvorschlägen bilden und das
Preis-/Leistungsverhältnis nicht richtig abschätzen (Baker et al. 2002; Stone / Gronhaug
1993). Das Resultat ist nicht nur ein erheblicher Zeitaufwand für die Konfiguration,
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sondern auch eine steigende Unsicherheit des Abnehmers, da bei Kaufabschluss die
Leistungserstellung noch nicht erfolgt ist (Dellaert / Stremersch 2005; Ludwig 2000;
Huffman / Kahn 1998). Populär bezeichnen Piller at al. (2005) deshalb diese Unsicherheit bei Mass Customization als “mass confusion”. Diese Probleme lassen sich in
zwei wesentliche Treiber indirekter Kosten von Mass Customization aus Kundensicht
gliedern (Huffman / Kahn 1998; Liechty / Ramaswamy / Cohen 2001).
„ “Qual der Wahl” (“burden of choice”): Eine hohe Variantenvielfalt bzw. das Angebot individualisierbarer Leistungen erhöht die Informationskosten des
Abnehmers. Such- und Vergleichsprozesse sind unübersichtlicher, die Transparenz
der Angebote ist geringer. Die Marketingforschung hat in vielen Studien gezeigt,
dass viele Konsumenten an einer Minimierung der Zeit und des Aufwandes interessiert sind, der mit einer Kaufentscheidung verbunden ist. Je geringer der
Aufwand, desto höher oft auch die Zahlungsbereitschaft (Anderson 1972). Ein
Kaufakt, der zu zeitaufwändig erscheint, wird häufig abgebrochen und das Budget
zu anderen Bereichen verlagert (Babin / Darden / Griffin 1994; Simon 1976). Ein
Problem von Mass Customization ist in dieser Hinsicht, dass eine zu hohe Anzahl
an Optionen die Komplexität aus Kundensicht erhöhen mag. Die Kunden können
durch die Auswahlmöglichkeiten schier erschlagen werden (Franke / Piller 2004;
Huffman / Kahn 1998; Kamali / Loker 2002; Stump, Athaide / Joshi 2002; Wind /
Rangaswamy 2001). Jeder, der einmal gezwungen war, aus einer großen Auswahl
eine Entscheidung zu treffen, kennt diese Situation (man denke an die Speisekarte
eines Chinesischen Restaurants mit 500 Positionen). Die Möglichkeit von Menschen
zur Verarbeitung von Informationen ist begrenzt (Miller 1956) und kann leicht zu
einem “Information Overload” führen (Maes 1994; Neumann 1955). Als Resultat
lässt sich in der Praxis beobachten, dass Kunden immer wieder den
Interaktionsvorgang bei einem Mass-Customization-Angebot abbrechen und sich
dem Standardangebot zuwenden (Dellaert / Stremersch 2005; Hill 2003). Dieses
Problem wird dadurch noch verstärkt, dass viele Kunden relativ wenig
Produktwissen besitzen und so einfach nicht beurteilen können, welche Variante
ihren Bedürfnissen am ehesten entspricht (Huffman / Kahn 1998). Selbst ein einfaches Produkt wie ein Paar Jeans kann ein hochkomplexes Gut werden, wenn die
Auswahl des Schnitts, der Farbe, des Garns, der Anzahl von Taschen und
Gürtelschnallen und des Innenfutters unabhängig voneinander gewählt werden
müssen
„ Qualitätsunsicherheiten des Abnehmers entstehen, da er die Leistung ex ante
nicht überprüfen kann. Dies steht im Gegensatz zu einer Standardisierung komplexer Leistungen, da hier – selbst wenn die Leistung bei Verkaufsabschluss noch nicht
vorliegt – eine Vergleichbarkeit mit anderen Produkten gegeben ist. Insbesondere
bei wiederholten Käufen standardisierter Produkte eines Abnehmers bei einem
Anbieter wird die Qualitätsunsicherheit stark reduziert (Gersch 1995;
Kleinaltenkamp / Marra 1995). Gleichfalls ist die Situation des Abnehmers von
Unsicherheit bezüglich des Verhaltens des Anbieters geprägt. Bedingt durch den
kooperativen Charakter der individuellen Leistungserstellung besteht zwischen
den Beteiligten eine asymmetrische Informationsverteilung – eine typische
Principal-Agent-Konstellation. Der Anbieter als Agent trifft Entscheidungen, die
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nicht nur seinen eigenen Nutzen, sondern auch den des Abnehmers (Principal)
beeinflussen. Der Nachfrager weiß nicht, inwieweit der Anbieter bereit und in der
Lage ist, sein Leistungsversprechen zu halten. Diese Situation ist umso ausgeprägter, je neuer und individueller die zu erstellende Leistung ist. Standardisierte
Produkte können hier als Signale verstanden werden, die Leistungsfähigkeit des
Anbieters zu dokumentieren. Zudem sind sie die Voraussetzung für Garantieversprechen des Anbieters (Agenten), die die Unsicherheit des Nachfragers reduzieren
können. Ohne einen eindeutigen Anhaltspunkt zur Definition einer optimalen
Leistung ist nicht oder nur schwer zu beurteilen, ob ein Garantiefall eingetreten ist.
In diesem Sinne tragen Standards dazu bei, die asymmetrische Informationsverteilung und Unsicherheitssituation aus Sicht des Abnehmers stark abzuschwächen und individuelle Handlungsspielräume des Anbieters zu mindern. Ebenso
dienen Produkt-Informationen, Garantien und die Reputation des Anbieters zur
Vermittlung von Kompetenz und den Aufbau von Vertrauen (Gersch 1995;
Hildebrand 1997; Kahn 1998).
Die mit diesen Faktoren verbundenen Unsicherheiten und Faktortransfers können als
zusätzliche Kosten des Kunden interpretiert werden, der sich auf eine Leistungsindividualisierung einlässt. Eine der wichtigsten Aufgaben des Anbieters – und daraus
resultiert ein wesentlicher Kostentreiber – ist dafür zu sorgen, dass einerseits dieser
Aufwand möglichst gering gehalten wird und andererseits der Nutzen, den der Kunde
aus der Individualisierung erfährt, deutlich höher als die von ihm wahrgenommenen
Mühen bzw. zusätzlichen Kosten der Individualisierung ausfällt. Gerade bei der
Einbindung von Konsumenten in den Prozess der Leistungsgestaltung sollte die
Intensität der Integration auf ein für ihn wirtschaftlich wie geistig zu bewältigendes
Höchstmaß begrenzt werden. Unternehmen, die ihren Kunden eine größtmögliche
Varietät bieten und gleichzeitig durch geeignete Maßnahmen bei der Auswahl helfen,
erlangen einen großen Wettbewerbsvorteil.
Zusatzkosten im After-Sales-Service
Auch in der Nachkaufphase und bei produktbegleitenden Dienstleistungen führt Mass
Customization zu steigenden Kosten. Neben Kosten für Garantien und Gewährleistung können auch Produktschulungen und andere Serviceleistungen aufwändiger als bei vergleichbaren Massengütern werden. Auch die beste Interaktion kann
niemals ausschließen, dass das endgültige Produkt einem Kunden nicht gefällt bzw.
seinen Ansprüchen nicht gerecht wird. Aus unserer Sicht ist eine Rücknahmegarantie
nach dem Prinzip “no questions asked” unabdingbar, um das Vertrauen der Kunden
in das System zu gewinnen. Je nachdem, wie gut Anspruch und Wirklichkeit des Mass
Customizers beieinander liegen, kann dieses Angebot ebenfalls einen nicht unerheblichen Kostenfaktor darstellen.
In der Nachkaufphase kann ein Individualfertiger vor dem Problem einer ausufernden
Ersatzteilbevorratung stehen. Für jede vorhandene Leistungsvariante müssen
Ersatzteile bereitgehalten werden. Auch Leistungen wie beispielsweise Reparaturen
gestalten sich schwieriger, da jede Variante aufgrund abweichender Ausprägungen
unterschiedliche technische Probleme aufwerfen kann, die bei anderen Varianten in
dieser Art noch nicht aufgetreten sind. Damit verlangsamen sich Lerneffekte beim
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Servicepersonal, die im Bereich von massenhaft produzierten Gütern Kostensenkungspotenziale eröffnen (Anderson 1997; Mayer 1993). Schließlich sinkt mit zunehmender Varietät auch die Möglichkeit, Sekundärdienstleistungen, die aus Marketinggründen das Produkt begleiten, zu standardisieren. Kann beispielsweise bei Massenprodukten für mehrere Abnehmer gleichzeitig eine Schulung durchgeführt werden, ist
dies bei Individualprodukten oft nicht möglich. Bei komplexen technischen Produkten
können gerade im Industriegüterbereich zusätzliche Kosten für die interne wie externe produktbegleitende Dokumentation anfallen (Stücklisten, Bedienungsanweisungen, Schaltpläne etc. ...). In diesem Sinne sind die Prinzipien von Mass Customization
auf die Erstellung dieser Dienstleistungen zu übertragen (siehe z. B. Büttgen / Ludwig
1997; Piller / Meier 2001; Reichwald / Piller / Meier 2002).
4.2.2 Neue Kostensenkungspotenziale durch
Produktindividualisierung
Wir haben im letzten Abschnitt eine Vielzahl an Treibern zusätzlicher Kosten von Mass
Customization beschrieben. Insgesamt gibt es aus Anbietersicht drei Möglichkeiten,
diese zusätzlichen Kosten zu decken (Piller / Möslein / Stotko 2004):
„ Erstens gestattet die Differenzierungswirkung von Mass Customization, höhere
Preise für ein individuelles Gut zu verlangen. Ursache dieses Preissetzungspotenzials ist die Wahrnehmung einer höheren Qualität durch die Abnehmer (siehe
Abschnitt 4.3).
„ Zweitens erlauben die Potenziale moderner Produktions- und Informationstechnologien, die zusätzlichen Kosten einer Produktindividualisierung durch
Mass Customization heute im Vergleich zu einer klassischen Einzelfertigung zu
senken (siehe dazu ausführlich Piller 2006a). Ebenso soll der Gedanke des stabilen
Lösungsraumes und der daraus abgeleiteten Forderung nach stabilen Prozessen
und Produktarchitekturen (Modularisierung) die Höhe der zusätzlichen Kosten
beschränken. Auch diesen Aspekt haben wir bereits mehrfach angesprochen.
„ Drittens aber kann die Kundenintegration auch zugleich eine Quelle neuer
Kostensenkungspotenziale darstellen. Interessanterweise bieten genau die gleichen Ursachen der Kundenintegration, die für die steigenden Kosten einer
Einzelfertigung verantwortlich sind, auch Ansatzpunkte für zusätzliche Kostensenkungspotenziale, die beim Angebot standardisierter Produkte nicht möglich
sind (Piller 2006a; Piller / Möslein / Stotko 2004; Reichwald / Piller 2003).
Economies of Integration
Wir fokussieren die Argumentation in diesem Anschnitt auf den dritten Aspekt. Diese
neuen Kostensenkungspotenziale beruhen auf der Möglichkeit, durch die Integration
der Kunden in die Wertschöpfung des Herstellers besseren Zugang zu Kundenwissen
zu erlangen, welches wiederum Effizienz- und Effektivitätssteigerungspotenziale in
Vertrieb und Fertigung birgt. Diese aus der Kundenintegration per se resultierenden
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Kostensenkungspotenziale bezeichnen wir im Folgenden mit “Economies of Integration”. Sie ergeben sich, wenn ein Unternehmen seine Wertschöpfungsprozesse
besonders gekonnt vollzieht. Die Business-Process-Reengineering-Diskussion setzt
hier ebenso an wie der Lean-Management-Gedanke. Durch eine friktionslose, doppelte Prozesse und Leerzeiten vermeidende Abwicklung der verschiedenen Schritte der
Wertkette sollen sowohl Kosten gespart als auch der Kundennutzen erhöht werden.
Eine Verbesserung der Informationsbasis der jeweiligen Planungs- und Steuerungsprobleme ist die Basis für eine Verbesserung der Prozesse selbst. Die direkte
Interaktion zwischen Hersteller und Kunde stellt hierzu im Vergleich zu einer anonymen Marktfertigung bedeutende Informationspotenziale bereit.
Economies of Integration beruhen auf dem besseren Zugang eines Unternehmens zu
Wissen und Informationen, die ihren Ursprung in der Domäne des Kunden haben, aber
für eine effiziente Leistungserstellung durch das Unternehmen benötigt werden. Diese
Informationen sind, wie wir in Abschnitt 2.4.3.3 diskutiert haben, häufig “sticky”, d. h.
nur mit erheblichen Aufwand und Kosten zu transferieren. Die Integration der Kunden
in die Wertschöpfung erlaubt nun Herstellern, diese Informationen mit erheblich geringerem Aufwand zu verwenden (wir erinnern noch einmal daran, dass es im Kern nicht
darum geht, diese Information in die Domäne des Herstellers zu transferieren, sondern
nur, diese nutzbar zu machen). Besteht dieser Zugang zu Kundeninformation, folgen
daraus zwei wesentliche Effekte, die neue Kostensenkungen ermöglichen:
„ die Reduktion von Verschwendung in der Leistungserstellung und -distribution
und
„ eine erhöhte Effizienz bei der Akquise neuer und bestehender Kunden für
Folgekäufe (Steigerung der Abhängigkeit der Abnehmer und damit potenziell der
Kundenloyalität). Es sei an dieser Stelle bereits betont, dass Economies of
Integration keinen Automatismus, sondern lediglich Potenziale darstellen, die von
einem einzelnen Anbieter umgesetzt und realisiert werden müssen.
Vermeidung von Verschwendung durch besseren “Fit-to-Market”
Wesentliches Ziel von Kundenintegration ist die Gewinnung eines genaueren
Verständnisses des Marktumfeldes, also heutiger wie künftiger Kundenwünsche. Dies
gilt insbesondere dann, wenn diese Information nicht direkt vom Kunden erfragt werden kann. “Meistens sind die Kunden, selbst im Business-to-Business-Markt, nicht in
der Lage, ihre Bedürfnisse und ihre Erwartungen vollumfänglich zum Ausdruck zu
bringen” (Boutellier / Schuh / Seghezzi 1997: 52). Homburg konnte in einer empirischen Untersuchung zeigen, dass kundennahe Unternehmen eine bessere Effizienz bei
der Allokation von Forschungs- und Entwicklungsressourcen haben, sie forschen nicht
“am Markt vorbei” (Homburg 1995: 203). Aggregation und Vergleich der
Informationen, die ein Unternehmen über seine verschiedenen Kunden gewonnen hat,
bewirken, dass das Kundenverhalten transparent wird. Dies erlaubt eine zielgerichtete und effizientere Marktbearbeitung (siehe auch noch mal die sehr ähnliche
Diskussion in Zusammenhang mit Open Innovation in Abschnitt 3.4.3).
Als Folge ergeben sich Kostensenkungen, wenn durch die Kundenintegration früher
bekannt wird, welche Produktspezifikation die Kunden wann benötigen werden.
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Kosteneffizienz von Individualproduktion
Dieses Wissen wirkt kostensenkend, wenn die Zulieferkette entsprechend optimiert
und Über- und Unterbestände auf Komponentenebene – d. h. Verschwendung – vermieden werden können. Eine kundenindividuelle Leistungserstellung kann hier eine
Reihe von Vorteilen verwirklichen, die über Präferenz-/Differenzierungsvorteile hinausgehen und aus einer gesteigerten Effizienz der Leistungserstellung resultieren. Die
direkte Interaktion zwischen Hersteller und Kunde stellt hierzu im Vergleich zu einer
anonymen Marktfertigung bedeutende Informationspotenziale bereit.
Die “on-demand”-Strategie von Mass Customization vermeidet Fehlprognosen auf
Endproduktebene ebenso wie hohe Distributionslagerkosten. Produktionsseitig kann
sich die Lagerhaltung auf Rohmaterialien und Bauteile beschränken, die zudem teilweise noch auftragsbezogen beschafft werden können. Der Abbau von Fertigwarenbeständen kann die Bestandskosten drastisch reduzieren – bei gleichzeitig steigender Planungssicherheit. Auch entfallen Abschriften auf überschüssige Produkte
durch Modellwechsel. Da ein Mass Customizer keine nur auf Verdacht eines möglichen Kundeninteresses produzierte Ware auf Lager hält, muss das Kundeninteresse
auch nicht künstlich durch z. T. hohe Preisnachlässe geweckt werden. Betrachtet man
die Tatsache, dass in der Textilindustrie viele Händler lediglich 50 bis 60 Prozent ihrer
Waren zum vollen Preis absetzen können, kann die Abschaffung der daraus folgenden
Preisnachlässe aufgrund der rein kundenindividuellen Produktion für den Rest der
Ware ein wesentlicher Beitrag für höhere Margen sein (siehe dazu die Fallstudie in
Abschnitt 5.5). So können die Preise gesenkt werden, oder es steht ein höherer
Spielraum zur Verfügung, die aus der Individualisierung resultierenden zusätzlichen
Kosten zu decken (Feitzinger / Lee 1997, Schnäbele 1997).
Auch in anderen, dynamischen und von einer heterogenen Nachfrage gekennzeichneten Märkten herrschen bei einem Angebot vorgefertigter Produkte hohe Anpassungskosten, die sich beispielsweise in hohen Sicherheitsbeständen, Lieferausfällen aufgrund von Fehlplanungen, kurzfristigen Produktionsumstellungen oder einer erhöhten Planungskomplexität äußern. Die Fertigung individueller Leistungsvarianten kann
hier aus einer aggregierten Sicht die Anpassungskosten so weit senken, dass eine eventuelle Steigerung der Produktions- und Transaktionskosten überkompensiert wird.
Weiterhin kann es zum Abbau von Fixkostenblöcken (Leerkosten) kommen, die
durch die Notwendigkeit einer hohen Leistungs- und Flexibilitätsbereitschaft als
Reaktionsmöglichkeit auf eine schnelle Anpassung an die Markterfordernisse entstanden sind. Auch diese Erhöhung der Kapazitätsauslastung bzw. Verringerung von
Leerkapazitäten durch die Reduktion von Unsicherheiten trägt zu einer Zunahme der
Effizienz bei.
Hintergrund der Diskussion ist der in vielen Branchen weit verbreitete Ansatz, einen
so genannten Vorfertigungsgrad oder Entkopplungspunkt zu bestimmen. Im Rahmen
einer solchen Postponement-Strategie werden Komponenten und Teile, die in einem
Großteil der Aufträge benötigt werden, vorgefertigt, um aktuelle Kundenaufträge
dann schneller bedienen zu können. Wie bereits in Abschnitt 4.1.3 diskutiert, entstehen
durch die Entkopplung der Wertschöpfungskette in einen auftragsspezifischen und
einen auftragsneutralen Teil Kostenvorteile, wenn wesentliche Wertschöpfungsstufen
erst dann betrieben werden, sobald ein konkreter Kundenauftrag vorliegt, zugleich
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
aber eine schnelle Reaktionsfähigkeit durch die Vorfertigung sichergestellt ist (Lee /
Tang 1997; Rudberg / Wikner 2004; Salvador / Forza 2004; Su / Chang / Ferguson 2005).
Ebenso können trotz individueller Endproduktee Skaleneffekte während der Vorproduktion der standardisierten Komponenten gesichert werden. Die Verzögerung der
endgültigen Spezifikation kann sich dabei auf Auslegungs-, Zeit- und Ortsaspekte
beziehen. Die Potenziale zur Kostensenkung, die sich aus einer Entkopplung der
Wertschöpfungskette ergeben können, stehen in enger Korrelation zur Wahl der
Wertschöpfungsstufe, auf der die Kunden integriert werden. Eine tiefe Integration der
Kunden bis hinein in die Produktentwicklung (“development-to-order”) erlaubt eine
stärkere Entkopplung der Wertschöpfung.
Wesentliche Voraussetzung jedoch, um die potenziellen Vorteile einer PostponementStrategie zu verwirklichen, ist die Fähigkeit des Anbieters, die vorzufertigenden
Komponenten in der richtigen Menge und Spezifität bereitzuhalten. Kostensenkungen
können sich nur dann ergeben, wenn Über- und Unterbestände auf Komponentenebene vermieden werden. Kundenwissen, das während des Konfigurationsvorgangs gesammelt wird, stellt ein wesentliches Optimierungspotenzial dar. Das
Ergebnis der Kundeninteraktion im Vertrieb wird nicht nur als Input für den auftragsspezifischen Produktionsprozess genutzt, sondern stellt auch wesentliche Informationen bereit, die auftragsneutralen Prozesse marktbezogen auszurichten. Eine weitere Option der Kundenintegration ist, im Rahmen eines modularen Produktaufbaus
auch Wertschöpfungsaktivitäten aus der Produktion auf den Kunden zu übertragen.
Unter dem Begriff “embedded configuration” wird beispielsweise die Entwicklung
von Komponenten beschrieben, die eine eingebaute Flexibilität besitzen. Die Kunden
können damit gewisse Wertschöpfungsschritte selbst übernehmen, indem sie z. B.
Module zur länderspezifischen Anpassung eines Produktes selbst montieren. Diese
Verlagerung von Anpassungs- oder Konfigurationsschritten auf den Kunden sollte zu
weiteren Kostensenkungspotenzialen beim Hersteller führen.
Reduktion der Akquisekosten durch Steigerung der Kundenbindung: Wechselkosten
Die Interaktion mit den Kunden bietet auch Möglichkeiten zur Steigerung der Kundenloyalität. Geht man davon aus, dass sich Kundenbindung in steigenden Umsätzen pro
Kunde ausdrückt, benötigen Unternehmen mit hohem Bindungsgrad weniger
Abnehmer als Unternehmen mit geringerer Kundennähe, um ein bestimmtes
Umsatzziel zu erreichen (Stotko 2002). Wird die Zahl der Kunden als “Kostentreiber”
im Sinne der Prozesskostenrechnung interpretiert, kann eine hohe Kundenbindung
neben den Transaktionskosten auch die Marketingkosten senken und Streuverluste eliminieren (Schnäbele 1997; Vandermerwe 1999, 2000). Ein Kunde kann mehrfach für
verschiedene Produkte “genutzt” werden, ohne dass dabei neue Akquisitionskosten
anfallen. Die damit verbundenen Kostensenkungspotenziale tragen ebenfalls zur
Verwirklichung von Economies of Integration bei.
Ansatzpunkt hierzu ist insbesondere die Leistungskonfiguration eines ersten Auftrags.
Die dabei erlangten Informationen über einen Kunden lassen bei einem Wiederholauftrag sowohl eine schnellere/einfachere als auch eine inhaltlich verbesserte
Leistungsspezifikation zu. Damit wird eine bedeutende Markteintrittsbarriere gegenü226
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Kosteneffizienz von Individualproduktion
ber neuen Wettbewerbern aufgebaut, die diese Informationen nicht besitzen.
Beispielsweise kann ein Hersteller von Maßkonfektion einem Kunden, der bereits
einen Anzug bestellt hat, dazu passende Hemden anbieten. Der größte Kostenblock in
der Kundenbeziehung, der Interaktionsprozess, reduziert sich bei diesem
Wiederholungskauf stark, da die Maße des Kunden bereits weitgehend aus dem
Erstkauf bekannt sind. So können bei Vorliegen der Maßdaten Wiederholungskäufe
einfach z. B. über das Internet abgewickelt werden. Kombiniert mit dem Wissen, was
der Kunde bereits gekauft hat und wo seine Vorlieben liegen, können dabei auch
Vorschläge für weitere Einkäufe unterbreitet werden.
Eine Folge interaktiver Wertschöpfung und Kundenintegration ist der Aufbau von
Wechselhürden, die dazu beitragen können, die Kundenbindung zu erhöhen. Diese
resultieren primär aus Wechselkosten, Opportunitätskosten und “Sunk-Costs”, die
dem Kunden beim Wechsel einer Lieferantenbeziehung entstehen würden (Jackson
1985; Riemer / Totz 2003, Riemer und Totz 2003) sehen eine generelle Erhöhung dieser
Wechselhürden aus Kundensicht durch das Angebot individualisierter Produkte.
Beispielsweise erhöhen sich die “Direct Costs of Switching”, da ein anderer Anbieter
individueller Produkte schwieriger zu finden ist als ein Anbieter von Normteilen. Die
Opportunitätskosten sind bei der Nachfrage nach individualisierten Produkten daher
hoch, da der Kunde Vorteile aus dem Bezug individualisierter Produkte ziehen kann.
“Sunk Costs” aus Sicht des Abnehmers lassen sich nach Jackson (1985) als “investments in procedures” beschreiben. Derartige “procedures” sind beispielsweise die
Investitionen des Kunden zur Integration in die Wertschöpfungskette des Anbieters
wie Investitionen in Kommunikationswege (z. B. EDI-Verbindungen), der Aufbau von
Qualifikation beim eigenen Personals zum Umgang mit Produktkonfigurationswerkzeugen eines bestimmten Anbieters oder die Ausrichtung der eigenen Prozessabläufe (z. B. im Bereich der Fabrikplanung) auf einen speziellen Anbieter.
Kundenintegration kann somit in Verbindung mit dem Angebot individualisierter
Produkte einen wirkungsvollen Hebel bieten, Wechselkosten für den Kunden aufzubauen. Einerseits trägt die individualisierte Problemlösungskompetenz dazu bei, dass
der Kunde “freiwillig” dem Anbieter treu bleibt, da ihm die individuelle Lösung höheren Nutzen stiftet. Andererseits erhöht eine individualisierte Leistung die
Abhängigkeit des Abnehmers, da dieser bereits als Folge seiner Integration in die
Leistungserstellung des Anbieters spezifische Investitionen getätigt hat. Mit der persönliche Interaktion zwischen Hersteller und jedem einzelnen Kunden, die zur
Leistungskonfiguration zwingend notwendig ist und bei einer massenhaften Fertigung
nicht stattfindet, kann der Grundstein einer langfristigen Kundenbeziehung gelegt
werden. Aufgabe des Herstellers ist es, die während der Interaktion gewonnenen
Informationen folgegeschäfts- und gewinnbringend einzusetzen (Kotha 1995; Piller
1998, 2001; Pine / Peppers / Rogers 1995; Schnäbele 1997). Ein Käufer vermittelt
(“lehrt”) dem Mass Customizer viele Informationen über sich, sei es explizit durch
Angabe seiner Wünsche oder implizit durch die Möglichkeit für den Anbieter, den
Kundenkontakt auszuwerten. Der Anbieter lernt nicht nur die Vorlieben seiner
Kunden kennen, sondern kann dieses Wissen verwenden, um weiteren Kundennutzen
zu stiften. Peppers und Rogers (1997) sprechen deshalb bei dieser Verbindung aus
Mass Customization und individuellem Beziehungsmarketing von “Learning
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Relationships”, die im Zeitablauf wachsen, tiefer und intelligenter werden (siehe auch
Pine / Peppers / Rogers 1995; Piller 1998).
Learning Relationships entstehen wie folgt (siehe Abbildung 4–8): Je mehr ein Kunde
dem Hersteller während des Integrationsprozesses über seine Vorlieben, Abneigungen
und Spezifikationswünsche erzählt, desto eher kann bereits beim ersten Kauf ein
Produkt gefertigt werden, das den Wünschen des Kunden entspricht. Speichert der
Hersteller nun diese Kundenwünsche, weiß er auch bei zukünftigen Interaktionen, was
der Kunde wünscht und bevorzugt. Diese Informationen bilden dann eine effiziente
Basis für die schnellere und einfachere Vornahme der Integration (im Rahmen der
Konfiguration). Ergänzt das Unternehmen diese Informationen noch um Wissen über
den Kunden, das während des Produktgebrauchs entsteht, kann das Unternehmen bei
einem Wiederholauftrag auf verfeinertes und verbessertes Wissen über den jeweiligen
Kunden zurückgreifen, was sowohl eine schnellere/einfachere als auch eine inhaltlich
verbesserte Formulierung der Leistungsspezifikation zulässt. Bei jedem zusätzlichen
Kauf wird dieses Wissen weiter verfeinert, es kommt zu einem kontinuierlichen “FineTuning”. Ebenso erlaubt der Aufbau dieses Wissens beispielsweise, dem Abnehmer
nach Ablauf der durchschnittlichen Verbrauchszeit des Produkts automatisch ein
Angebot zum Nachkauf zukommen zu lassen.
Abbildung 4–8: Aufbau von “Learning Relationships” (entnommen aus Piller 2006a in
Anlehnung an Hausruckinger / Wunderlich 1997)
Verbesserung und
Feintuning der
Leistungsspezifikation
Kundenfeedback
Reaktionsdaten
Wiederholauftrag
permanente
Optimierung
Unternehmen u.
Kunde erarbeiten
Leistungsspezifikation
Auftragsausführung
Speicherung
Kundendaten/
Leistungsspezifikation
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Kosteneffizienz von Individualproduktion
Abbildung 4–9: Qualitativer Vergleich der Wertschöpfungsmodelle in Bezug auf wesentliche
Kostenarten (in Anlehnung an Reichwald 2004b)
konventionelle
variantenreiche
Serienfertigung
Kostenvorteile
basieren
auf
Economies of Scale
Economies of Scope
Kostenart
PPS-Kosten
-
(Fehl-) Entwicklungskosten
+
-
Kapitalbindung Maschinen
+
+
Material-/ Fertigungskosten
-
-
Anlauf- und Änderungskosten
+
+
Logistikkosten
-
+
Kundeninteraktionskosten
-
+
Adaptionskosten
-
-
Lagerhaltungskosten
+
-
Abschreibungen Endprodukte
+
+ Kostenvorteil des Wertschöpfungsmodells
bezogen auf jeweilige Kostenart
Kostenart
Produktindividualisierung
durch Mass Customization
Wertschöpfungsmodell
-
Variantenreiche
Serienfertigung
Kostenvorteile
insb. durch
„Economies
of
Integration“
Kostennachteil des Wertschöpfungsmodells
bezogen auf jeweilige Kostenart
klass. individuelle
Einzelfertigung
Individualisierung mit
Mass Customization
(Fehl-) Entwicklungskosten
Kapitalbindung Maschinen
Material-/ Fertigungskosten
Anlauf- und Änderungskosten
Logistikkosten
Kundeninteraktionskosten
Adaptionskosten
Lagerhaltungskosten
Abschreibungen Endprodukte
…
Vorteil
Kostenart
Nachteil des Wertschöpfungsmodells bezogen auf jeweilige Kostenart
Wertschöpfungsmodell
Variantenreiche
Serienfertigung
klass. individuelle
Einzelfertigung
Individualisierung mit
Mass Customization
(Fehl-) Entwicklungskosten
Kapitalbindung Maschinen
Material-/ Fertigungskosten
Anlauf- und Änderungskosten
Logistikkosten
Kundeninteraktionskosten
Adaptionskosten
Lagerhaltungskosten
Abschreibungen Endprodukte
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Learning Relationships steigern den Erlös pro Kunde, da sie über den eigentlichen
Produktnutzen hinaus Kaufentscheidung und -prozess vereinfachen und so den
Kunden bei Wiederholungskäufen wieder das Unternehmen wählen lassen. Sie bilden
einen einschneidenden Schutz gegen neue Konkurrenten. Warum sollte ein Kunde zu
einem Wettbewerber wechseln, selbst wenn dieser ein technisch/funktional gleichwertiges individuelles Produkt liefern kann, wenn ein anderes Unternehmen bereits all das
weiß, was für die Erbringung der Leistung notwendig ist? Ein neuer Anbieter muss
dieses Wissen erst wieder mühsam erfragen. Ebenso hat aber auch der Kunde nun
Erfahrungen und Lernkurveneffekte zur Abwicklung seiner Integration in die Leistungserstellung gesammelt.
Gesamtsicht der Kosteneffizienz interaktiver Wertschöpfung
Die bisherige Argumentation zusammenfassend strukturiert Abbildung 4–9 die
kostenbezogenen Effekte und vergleicht dabei prototypisch die Ausprägungen der verschiedenen Kostenarten, die wir in den vorangehenden Abschnitten angesprochen
haben, bei den drei Wertschöpfungsmodellen klassische variantenreiche Serienfertigung “auf Verdacht” (Vorproduktion der Güter “made-to-stock”), klassische individuelle Einzelfertigung sowie Produktindividualisierung nach dem Mass-Customization-Prinzip.
4.3
Markteffizienz von Individualproduktion
Das Wesen der Produktindividualisierung, den Idealpunkt der verschiedenen Kunden
möglichst genau zu treffen, ist die Grundlage zur Verwirklichung ihres Differenzierungsvorteils. Ziel einer Differenzierungsstrategie ist generell, den Kundennutzen
durch eine überlegende Qualität im weitesten Sinne als wettbewerbsentscheidenes
Merkmal einer angebotenen Leistung herauszustellen (siehe auch Abschnitt 2.4.5). Der
Nutzen bezieht sicht dabei meist nicht auf die Leistung als Ganzes, sondern auf eine
Eigenschaft, die alle Abnehmer als wichtig oder besonders bemerkenswert erachten.
Bei einer erfolgreichen Differenzierung darf kein anderer Wettbewerber (in der
Wahrnehmung der Zielgruppe) diese Eigenschaft besser erfüllen als der Anbieter, der
so den Status eines Quasi-Monopolisten erlangt und damit Preiszuschläge erzielen
kann, die über den Grenzkosten zur Erstellung der Leistung liegen. Gutenberg (1984)
bezeichnet diese Fähigkeit eines Unternehmens, besondere Präferenzen der Abnehmer
für bestimmte Produkte zu schaffen, als “akquisitorisches Potenzial”. Daraus folgt für
den Anbieter ein Preissetzungsspielraum, da er den Preis seiner Leistung über den
Preis eines konkurrierenden Produkts setzen kann, ohne sofort jegliche Nachfrage zu
verlieren. Dieser Preiszuschlag entspricht bei einer Produktindividualisierung aus
Sicht des Kunden dem Nutzenzuwachs im Vergleich zum Kauf und Gebrauch eines
massenhaft hergestellten Gutes. Wenn wir diesen Nutzenzuwachs etwas genauer
betrachten, können wir zwei wesentliche Treiber ausmachen (Ihl et al. 2006; Piller
2006b): eine Steigerung der wahrgenommenen Produktqualität, aber auch Nutzen
durch den Interaktionsprozess beim Bezug des individuellen Gutes selbst, ausgedrückt als Prozessqualität.
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Markteffizienz von Individualproduktion
4.3.1 Einfluss auf die Produktqualität
Eine Produktindividualisierung beeinflusst die wahrgenommene Produktqualität
sowohl in Bezug auf die funktionalen Eigenschaften eines Produkts als auch in
Hinblick auf emotionale Faktoren, die ein Nutzer mit einem Produkt verbindet, z. B.
Neuheitswert, Status oder Originalität. Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang
von ergonomischen und hedonistischen Eigenschaften eines Produktes (Hassenzahl
2001). Dabei bezieht sich die ergonomische Qualität auf den Gebrauch eines
Produktes und ist eng an die Aufgabe und die mit dem Produkt verbundenen Ziele
geknüpft. Hier setzt der Kernnutzen einer Individualisierung an, der Nutzenzuwachs
durch die bessere Übereinstimmung der Leistung mit spezifischen Bedürfnissen eines
Kunden (Homburg / Giering / Hentschel 1999). Folge ist aus Sicht der Kunden zunächst die Reduktion der Unsicherheit im Vergleich zu einem vorgefertigten Gut – wie
zu Beginn dieses Kapitels mit dem Idealpunktmodell erklärt (siehe Abschnitt 4.1).
Auch reduzieren sich die Suchkosten, die bei einer klassischen Variantenproduktion
für den Abnehmer aus der Suche nach der richtigen Lösung aus der Menge aller
Angebote resultieren.
Wie in Abschnitt 4.1 erwähnt, kann die ergonomische Produktqualität bei
Individualisierung an den Maßen des Abnehmers (Passform, z. B. Kleidung nach Maß,
Höhe von Apparaturen, Verpackungsgröße), der Funktionalität des Produkts (z. B.
Dämpfung eines Sportschuhs, Bespannung eines Tennisschlägers, Schnittstellen eines
PC) und an der gustativen bzw. visuellen Wahrnehmung (ästhetisches Design,
Farbwahl, Geschmack) ansetzen (Piller / Stotko 2003). Kann ein Abnehmer eine oder
mehrere dieser Eigenschaften genau an seine spezifischen Wünsche anpassen, sollten
die wahrgenommene Produktqualität und so die Produktzufriedenheit entsprechend
steigen. Dieser Effekt ist umso größer, je heterogener sich die Wünsche der Kunden in
Bezug auf die Produkteigenschaften verteilen, d. h. je schwieriger es für einen
Hersteller ist, durch wenige Standardvarianten eines Produktes alle gewünschten
Eigenschaftsbündel des angestrebten Marktsegments abzubilden (Broekhuizen /
Alsem 2002). Wie wir in Abschnitt 2.2.3 gesehen haben, scheint dieser Zustand heute
in vielen Märkten immer mehr Norm als Ausnahme zu sein.
Im Gegensatz zur ergonomischen Qualität betreffen hedonistische Aspekte die nichtaufgabenbezogenen Eigenschaften eines Produkts (Hassenzahl 2001). Individuelle
Produkte könnten hedonistische Attribute wie den Wunsch nach Einmaligkeit
(Opernballeffekt, d. h. kein anderer Kunde soll die gleiche Ausprägung des Produkts
besitzen; siehe auch Tepper / Bearden / Hunter 2001), nach Abwechslung (“VarietySeeking”, Kahn 1995) oder nach dem sozialen Status, der mit einem maßgeschneiderten Produkt verbunden ist, erfüllen und damit zur Zufriedenheit des Kunden beitragen. Nach ersten empirischen Studien in diesem Bereich (Blaho 2001; Ihl et al. 2006;
Franke / Piller 2004; Schreier 2004) können hedonistische Eigenschaften bei manchen
Konsumgüterbereichen aus Kundensicht ebenso wichtig wie die ergonomischen
Eigenschaften werden. Beispiele sind Imageeffekte durch individuelle Produkte (SnobEffekt) gegenüber Mitbürgern, Befriedigung des Umweltbewusstseins durch passende
Produkte und weniger Verschwendung oder die Verfügbarkeit eines originellen
Geschenkartikels. Diese Ansatzpunkte, die ebenfalls zur Differenzierung eines indivi231
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
duellen Angebots von massenhaften Produkten beitragen, gehen eng mit dem
Nutzenzuwachs einher, der durch den Interaktionsvorgang selbst generiert wird.
4.3.2 Einfluss auf die Prozessqualität
Betrachtet man Co-Design-Prozesse im Kontext von Mass Customization genauer,
dann scheint zusätzlich die Frage interessant, ob ein Co-Design-Prozess vom Kunden
nur als notwendiger Vorgang angesehen wird, um ein individuelles Produkt zu erhalten, oder ob dieser Prozess auch eine differenzierende positive Wirkung hat, weil z. B.
die Gestaltung des individuellen Produktes besonderen Spaß macht. Dieser Aspekt
knüpft an die Diskussion von “hedonic and utilitarian shopping value” nach Babin,
Darden und Griffin (1994) an. Die Aufwandskomponente von Co-Design wird in der
Literatur oft als ein Faktor für die Grenzen der Produktindividualisierung angeführt
(Huffman / Kahn 1998; Zipkin 2001; Dellaert / Stremersch 2005; Piller et al. 2005). MassCustomization-Käufe können (heute noch) als High-Involvement-Käufe gesehen werden, bei denen die Kunden relativ viel Zeit und Aufwand investieren müssen. Die mit
diesen Faktoren verbundenen Kosten können als zusätzliche Transaktionskosten eines
Kunden interpretiert werden, der sich auf eine Leistungsindividualisierung einlässt
(siehe Abschnitt 4.2.1).
Jedoch können Einkaufsprozesse neben diesen Kosten auch eine positive (hedonistische) Erlebniskomponente beinhalten. Die bereits angesprochene positive Wirkung
eines als qualitativ hochwertig wahrgenommenen Co-Design-Prozesses indiziert
bereits die Bedeutung dieser Komponente. Der Co-Design-Prozess könnte von den
Kunden nicht nur als Mittel zum Zweck (individuelles Produkt) gesehen werden, sondern selbst einen symbolischen Wert besitzen. Schreier (2004) nennt beispielsweise den
“pride-of-authorship”-Effekt. Für die Kunden könnte die Begeisterung, etwas selbst
geschaffen zu haben, schon allein wertstiftend sein. Hinzu kommt das Gefühl, etwas
Einmaliges oder Einzigartiges geschaffen zu haben. Neben dieser Begeisterung könnten Mass-Customization-Kunden auch den Abschluss des Co-Design-Prozesses als
Erfüllung eines anspruchsvollen und kreativen Schaffensakts ansehen, der schon allein
Nutzen stiftet (Lakhani / Wolf 2005). Diese Faktoren bilden den hedonistischen Wert
der Prozessqualität. Die Berücksichtigung von sowohl aufwandsbezogenen als auch
hedonistischen Eindrücken ist eine wichtige Basis für die Gestaltung der
Interaktionsprozesse für ein Mass-Customization-Angebot (siehe Abschnitt 4.4).
4.3.3 Preispolitische Potenziale
Die Gesamtheit des so wahrgenommenen Nutzens macht die Einmaligkeit von MassCustomization aus. In der Theorie kann ein Hersteller, der sich diesen
Handlungsspielraum sichert, ungeachtet eines geltenden Marktpreises den Preis für
sein Produkt weitgehend autonom festlegen, und zwar ausgerichtet am jeweiligen
Nutzen eines Produkts für einen Abnehmer. Grundlegend hat Chamberlin (1962; erste
Auflage 1933) die Wettbewerbswirkungen der Differenzierung untersucht. In seiner
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Markteffizienz von Individualproduktion
“theory of monopolistic competition” hebt er die Prämisse homogener Güter auf,
womit zwangsläufig Präferenzen auf Seiten der Nachfrager für einzelne Anbieter entstehen. Damit ist es einem Anbieter möglich, in gewissen Grenzen eine Monopolstellung zu erlangen, indem er sein Angebot von den Wettbewerbern abhebt (Franke /
Piller 2004 weisen diesen Effekt in einer empirischen Studie nach).
Idealvorstellung ist dabei die bereits von Pigou (1920) als “Preisdifferenzierung ersten
Grades” bezeichnete Festlegung eines individuellen Preises für jeden Abnehmer in
dem Maße, dass die gesamte Konsumentenrente dieses Kunden abgeschöpft wird
(unter der Annahme, dass dabei mindestens die variablen Kosten des Unternehmens
erfüllt sind). Die Konsumentenrente entspricht dem Differenzbetrag zwischen der
Zahlungsbereitschaft eines Abnehmers und dem Preis, den dieser für das Produkt
bezahlt. Ziel ist es damit, genau die Zahlungsbereitschaft eines Kunden abzugreifen.
Diese Option wird oft als unrealistisch und “unfair” eingestuft. Wenn eine
Preisdifferenzierung sich aber nicht auf gleiche, sondern unterschiedliche, individuelle Produkte bezieht, sieht die Situation schon anders aus. Eine Individualisierung der
Preise kann dann eine Individualisierung der Produkte begleiten (Skiera 2003).
Jedoch ist die Wirklichkeit nicht ganz so einfach: Der Kundennutzen ist zwar ein
Indikator für den maximal möglichen Preis – spiegelt aber nicht den optimalen
Absatzpreis wider. Zwar sinkt mit der Individualisierung innerhalb gewisser Grenzen
die Preiselastizität der Nachfrage, aber in der Praxis ist der Preisspielraum oft gering.
Es besteht eine Obergrenze, ab der die potenziellen Abnehmer nicht mehr bereit sind,
den aus der Attraktivität der Leistung resultierenden Mehrpreis zu honorieren, und
auf billigere Konkurrenzprodukte ausweichen, auch wenn diese ihren Anforderungen
nicht genau entsprechen (der Fall entspricht der “doppelt geknickten Preis-AbsatzFunktion” von Gutenberg 1984: 245-251). Zudem müsste ein Anbieter, der den
Preisspielraum einer individuellen Leistungserstellung entsprechend der Theorie ausnutzen möchte, nicht nur die Wünsche jedes Kunden erheben und in individuelle
Produkte umsetzen, sondern darüber hinaus den Wert der Individualisierung
(Nutzenzuwachs beim Kunden durch individuelle Leistung) messen können – was die
Kenntnis der Preissensibilität aller Kunden voraussetzt (Mayer 1993). Eine Ausnahme
bieten Informationsgüter und viele “rein virtuellen Produkte” im Internet, wo tatsächlich eine echte Preisdiskriminierung möglich erscheint (siehe z. B. Smith / Bailey /
Brynjolfsson 2000; Skiera 1998; Skiera / Spann 2000).
Deshalb wird in der Praxis bei einer Leistungsindividualisierung meist kein individueller Preis pro Abnehmer bestimmt, sondern entweder ein einheitlicher Preis gefordert oder aber das Entgelt anhand eines klar strukturierten und durchschaubaren
Preisbaukastens an die gelieferte Leistung angepasst. Bei dieser Individualisierung
der Entgeltgestaltung ist der Kunde selbst und bewusst für die Preisbestimmung “verantwortlich”. Voraussetzung ist, dass es sich um modular aufgebaute Produkte und
Leistungen handelt, deren Module einzelne, verschieden aufwändige (bzw. verschieden bewertete) Optionen aufweisen, die zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden: Leder- oder Stoffverkleidung, vergoldete oder Messingstecker, Markenkomponente oder “No-Name”-Bauteil. Auch kann ein Kunde vor die Wahl gestellt
werden, ob er gegen Preisnachlass bestimmte Serviceleistungen selbst übernehmen
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
will: Bestellung per Internet oder persönliche Beratung durch Verkaufspersonal;
Selbstaufbau oder Installation vor Ort. Computerhersteller nutzen diese Flexibilität
teilweise hervorragend, um in der Werbung relativ günstige Einstiegspreise angeben
zu können, um die damit angezogenen Kunden dann während des Konfigurationsvorganges zu hochwertigeren Komponenten und Up-grades zu “überreden”.
Wichtig ist abschließend aber noch einmal zu betonen, dass Produktindividualisierung
durch Mass Customization von “vertretbaren” Preisaufschlägen ausgeht, die keinen
Wechsel des Marktsegments im Vergleich zu den Käufern massenhaft hergestellter
Güter zur Folge haben. Ebenfalls glauben wir nicht, dass in mittel- bis langfristiger
Sicht Nachfrager dafür bereit sind, hohe Aufschläge allein für den Zuwachs an hedonistischer Produkt- und Prozessqualität zu zahlen. Im Vordergrund steht langfristig
der Nutzenzuwachs durch besser an die individuellen Präferenzen angepasste
Produkte. Interaktive Wertschöpfungsmodelle auf Basis einer Produktindividualisierung gehen hier einher mit den Erkenntnissen aus dem Bereich der
Kundeninnovation: Auch hier ist das wesentliche Motiv für Nutzer, im Rahmen von
Innovationsprozessen selbst aktiv zu werden, der Wunsch nach neuen Produkten, die
besser als die vorhandenen die spezifischen (neuen) Bedürfnisse eines Nutzers befriedigen (siehe Abschnitt 3.3.2).
4.3.4 Zusammenfassende Betrachtung der Effizienzwirkung
interaktiver Wertschöpfung durch
Produktindividualisierung
Kasten 4–5:
Loewe Individual-Fernseher als Alternative für eine Produktion am Standort
Deutschland
(Quelle: Auszug aus dem Bericht “Der Individual-Fernseher soll’s richten “ von Gerhard Hegmann
in der Financial Times Deutschland vom 22. Aug. 2005)
Der Unterhaltungselektronikhersteller Loewe will sich künftig noch stärker auf das Luxusgeschäft
konzentrieren. Das Unternehmen stellt auf der Funkausstellung in Berlin (IFA) Anfang September
2005 erstmals die neue Fernsehgerätereihe “Loewe Individual” vor, ein Flachbildgerät des
Unterhaltungselektronikherstellers Loewe. Damit läutet Loewe das Ende des fertigen Fernsehers
aus dem Regal ein. Um seinen Anspruch als Hochpreisanbieter zu rechtfertigen, kann der Kunde
künftig bei einigen Flachbildgeräten die Farbe, das Aussehen, die Materialien, Aufstellvarianten
sowie die Technikausstattung selbst bestimmen. Loewe-Vorstandschef Rainer Hecker spricht von
einer Strategie der “größtmöglichen Individualisierung”. Loewe bietet ähnlich wie der dänische
Wettbewerber Bang / Olufsen schon seit Jahren die Möglichkeit, für TV-Geräte oder Lautsprecher
verschiedene Farben und Aufstellvarianten auszusuchen. Der deutsche Hersteller geht in dieser
Strategie jetzt noch weiter und schließt technische Varianten mit ein. Allein bei den Farben und
Blenden gibt es mehr als 400 Kombinationsmöglichkeiten.
Loewe hofft, mit maßgeschneiderten Angeboten auch höhere Marktpreise als die Massenanbieter
durchsetzen zu können. Wie drastisch der Preisverfall im TV-Markt ist, zeigt allein das erste
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Markteffizienz von Individualproduktion
Halbjahr. Großformatige LCD-TV-Geräte waren um rund 40 Prozent billiger als vor einem Jahr.
Finanzvorstand Burkhard Bamberger ist zuversichtlich, dass die Rechnung bei der Individual-Linie
trotz der komplexen Lagerhaltung und Einzelfertigung aufgeht. “Ich erwarte höhere Margen als bei
den Standardprodukten”, sagte er jüngst zu Analysten. Über die genauen Absatzplanungen machte Loewe allerdings keine Angaben. Zunächst kommen im Herbst europaweit über den
Fachhandel zwei Modelle mit 66 und 80 Zentimeter Bilddiagonale auf den Markt. Die Preisspanne
reicht von etwa 2000 bis 4000 Euro. Die individuellen Geräte sollen spätestens binnen 14 Tagen
geliefert werden. Diese Lieferzeiten seien mit einer Fernostproduktion nicht machbar, heißt es. Die
Individualisierung werde auf weitere Produktlinien ausgebaut.
Das Beispiel von Loewe in Kasten 4–5 liefert einen guten Anhaltspunkt zur
Zusammenfassung der bisherigen Argumentation. Wir haben gesehen, dass Mass
Customization eine Position anstrebt, in der eine Differenzierung durch
Individualisierung zu einer Kostenposition möglich ist, die der Effizienz einer
Massenproduktion entspricht. Auf der anderen Seite führt Mass Customization aber
auch zu zusätzlichen Kosten, die gegen diese Potenziale abgewogen werden müssen.
Abbildung 4–10 gibt einen schematischen Überblick darüber, wo zusätzliche Kosten
zur Implementierung einer Mass Customization-Strategie anfallen und welcher
zusätzliche Nutzen daraus zu erwarten ist.
Abbildung 4–10: Kosten und Nutzen einer Mass-Customization-Strategie aus Sicht des
Anbieters
Mehrkosten durch:
Ertragspotenziale durch:
• Steigende
Zahlungsbereitschaft
• Erhöhte Kundenzufriedenheit
und Loyalität
• Wiederholungskäufe
• Flexibilität bei
Marktänderungen
• Investitionen in flexible
Leistungssysteme
• Koordinationsaufwand in
Produktion und Logistik
• Kosten der Produktadaption
• Kosten der Kundeninteraktion
• Aufbau von Vertrauen,
Risikoabbau aus Kundensicht
• Kostensenkungspotenziale
(“Economies of Integration”)
Auf der Kostenseite ist insbesondere der hohe Aufwand der Kundeninteraktion zu
nennen. Diese zusätzlichen Kosten beruhen auf dem Interaktionsaufwand zur
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Erhebung und Spezifikation der individuellen Kundenpräferenzen. Zusätzlich sind
erhöhte Kosten für vertrauensbildende Maßnahmen zu veranschlagen, die sich beispielsweise in einem erweiterten Rückgaberecht niederschlagen können. Aber auch die
Transformation der gewonnenen Kundeninformation in eine konkrete Fertigungsinformation verursacht Kosten, die in diesem Maße bei Massenfertigern nicht zu
erwarten sind. Viele Kunden sind nicht in der Lage sind, ihre Wünsche so zu artikulieren, dass ein Mass Customizer daraus bereits eine Produktkonfiguration ableiten kann.
Dieses Dilemma, mehr Kundennähe zu bieten als Kunden in der Lage sind zu bewältigen, führt zu hohen Komplexitätskosten. Diese begründen sich in aufwändigen
Systemen zur Kundeninteraktion und Kosten zur Qualifikation der Mitarbeiter, insbesondere der Vertriebsmitarbeiter.
Auf der anderen Seite fallen Komplexitätskosten im Bereich der Fertigung an, in der
die individuellen Produkte umgesetzt werden. Der Komplexität in der Fertigung geht
eine erhöhte Komplexität in der Produktentwicklung voraus, in der eine
Produktarchitektur gestaltet wird, die eine Individualisierung bei minimaler produktinhärenter Komplexität erlaubt. Eine solche Produktarchitektur ist beispielsweise ein
modularer Produktaufbau. Schließlich sind die Logistik- und Distributionskosten bei
einer Individualproduktion in der Regel deutlich höher als bei einem Vertrieb standardisierter Waren über ein Ladengeschäft. Für jedes einzelne Produkt fällt ein individueller Transportvorgang an. Wie das Beispiel Loewe zeigt, überwiegen hierbei die
Transportkosten und -zeiten dem Produktionskostenvorteil einer Fertigung in Asien,
so dass es – aus volkswirtschaftlicher Sicht – wieder zu einer Rückverlagerung der
Produktion nahe zu den Kundenmärkten kommen könnte.
Diesen Kosten, die mit der Einführung von Mass Customization anfallen, steht eine
Reihe von Vorteilen gegenüber. Ein Vorteil ist beispielsweise, dass sich ein Mass
Customizer durch die geringe Vergleichbarkeit individueller Produkte in einer QuasiMonopolstellung befindet. Dadurch kann er Preiszuschläge erzielen, die über den
Grenzkosten zur Erstellung liegen. Zu diesen Vorteilen auf der Erlösseite (Steigerung
der Absatzeffizienz) kommen weitere hinzu, die sich insbesondere in einer verbesserten Planungssituation auf einer Informationsbasis begründen, die durch eine enge
Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess geprägt ist. Diese
Kostensenkungspotenziale wurden als Economies of Integration bezeichnet. Durch
die Kenntnis der individuellen Präferenzen einzelner Kunden kann sowohl die allgemeine Planungssituation als auch die Zielgenauigkeit der Marktbearbeitung verbessert werden. Gegenüber der Massenfertigung und des begleitenden Massenmarketings können so die Streuverluste minimiert werden, indem Mittel zur
Kundenakquise und –bindung gezielt dort eingesetzt werden, wo sich das größte
wirtschaftliche Potenzial ergibt. Weiterhin bestehen neue Möglichkeiten zur
Steigerung der Kundenbindung, die eine effizientere Abwicklung weiterer
Interaktionen zwischen einem Anbieter und seinen gebundenen Kunden erlauben.
Auch bestehen hier Erlössteigerungspotenziale, wenn beispielsweise weitere
Produkte oder Dienstleistungen (Cross-selling) an den Kunden oder Produkte mit
einem höheren Deckungsbeitrag (Up-selling) abgesetzt werden können. Ziel ist es, die
zunächst anfallenden höheren Interaktionskosten im Laufe der Kundenbeziehung zu
amortisieren.
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Phasen und Instrumente der Kundeninteraktion bei Mass Customization
Kasten 4–6:
Literaturempfehlungen zur Markt- und Kosteneffizienz von Mass
Customization
„
Baldwin, Carliss / Clark, Kim (1997). Managing in the age of modularity. Harvard Business
Review, 75 (1997) 5: 84-93
„
Pine, B. Joseph II / Peppers, Don / Rogers, Martha (1995). Do you want to keep your customers forever? Harvard Business Review, 73 (1995) 2: 103-114
„
Salvador, Fabrizio / Rungtusanatham, M. Johnney / Forza, Cipriano (2004). Supply-chain configurations for mass customization. Production Planning & Control, 15 (2004) 4: 380-402
„
Tseng, Mitchell / Jiao, Jianxin (2001). Mass Customization. In: Gaviel Salvendy (ed.): Handbook of Industrial Engineering, 3rd edition, New York: Wiley 2001: 684-709
4.4
Phasen und Instrumente der
Kundeninteraktion bei Mass Customization
Im vorangehenden Abschnitt haben wir diskutiert, welche Effizienzvorteile eine
Produktindividualisierung durch Mass Customization ermöglichen kann. Zur
Erlangung dieser Vorteile ist allerdings aus Sicht beider Marktparteien ein
Interaktionsakt notwendig, der in diesem Ausmaß bei einer Massenproduktion nicht
anfällt: der Co-Design-Vorgang zur Gestaltung der kundenindividuellen Lösung, der
das Prinzip der Kundenintegration bei Mass Customization konkretisiert. Im
Folgenden betrachten wir deshalb, welche Ansprüche Co-Design an die Kunden stellt
und welche Probleme dabei zu überwinden sind. Aufbauend auf diese Argumentation
betrachten wir, wie ein entsprechendes System zur Kundeninteraktion bei Mass
Customization gestaltet werden kann. Ziel ist es, den Abnehmern ein entsprechendes
Interaktionssystem an die Hand zu geben, um den Co-Design-Vorgang zu vollziehen.
Wir haben bereits in Kapitel 3 eine ähnliche Argumentation in Bezug auf die
Entwicklung von Open-Innovation-Toolkits gesehen. Auch hier geht um weit mehr als
um ein bloßes technisches Tool. Ziel ist die um die proaktive Gestaltung der gesamten
Interaktionsbeziehungen. Die folgende Argumentation konkretisiert die Ausführungen in Abschnitt 3.5.2 über die Gestaltung von Toolkits für Open Innovation.
Auf die ebenfalls wichtigen Punkte des Aufbau des Produktions- und Logistiksystems für Mass Customization wollen wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen
(siehe dazu weiterführend Anderson 1997, 2003; Brown / Bessant 2003; Höck 1998;
Kolisch 2001; Lopitzsch / Wiendahl 2003; MacCarthy / Brabazon / Bramham 2003; Piller
1998, 2006a; Reinhart / Schönung / Wagner 2003; Salvador / Rungtusanatham / Forza
2004; Su / Chang / Ferguson 2005). Wichtig ist an dieser Stelle aber noch einmal zu betonen, dass der im Folgenden beschriebene Interaktionsvorgang nicht vollstänig die idealtypischen Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung umsetzt, wie wir sie in
Abschnitt 2.4 kennengelernt haben (insbesondere des Modell der “Commons-based
Peer-Production” ist bei Mass Customization in der Regel nicht umgesetzt). Dennoch
kann die Analyse der Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager bei Mass
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Customziation wichtige Anhaltspunkte für eine proaktive Gestaltung interaktiver
Wertschöpfungsprozesse in anderen Bereichen (Innovation) geben.
4.4.1 Übersicht und Phasenmodell
Aufbauend auf den Grundlagen der Integration und Interaktion werden in diesem
Kapitel die Anforderungen an eine erfolgreiche Interaktion bei Mass Customization
diskutiert. Diese besteht aus einer Reihe von Phasen, die über die eigentliche
Konfiguration hinausgehen. Eine mögliche Strukturierung dieser Phasen findet sich
bei Blaho (2001) in Anlehnung an die Konsumentenverhaltensforschung. Blaho orientiert sich an den klassischen Phasen des Kaufentscheidungsprozesses, Vorkauf-, Kaufund Nachkaufphase, und beschreibt die für Mass Customization geltenden
Besonderheiten in diesen Phasen. Mass Customization-Kaufentscheidungsprozesse
sind in allen drei Phasen durch eine größere Unsicherheit auf Konsumentenseite
gekennzeichnet. Bereits in der Vorkaufphase herrscht aufgrund der Tatsache, dass nur
ein Leistungspotenzial und kein fertiges Produkt angeboten werden kann, größere
Unsicherheit beim Kunden. Besonders im Konsumgütergeschäft haben die meisten
Kunden noch keine Erfahrung mit dem Kauf individualisierter Güter. In der
Kaufphase ist der Kunde sehr intensiv in die Leistungserstellung integriert und wirkt
mit an der Konfiguration seines individuellen Produktes. Auch hier entsteht möglicherweise Unsicherheit, wenn der Kunde durch die Vielzahl an Optionen und
Informationen überfordert wird. Kennzeichnend für die Nachkaufphase ist die
Tatsache, dass der Kunde auf sein Produkt zunächst noch warten muss, d. h. er hat die
Kaufentscheidung zwar getroffen, ihm fehlt jedoch noch das Objekt dieser
Entscheidung. Auch diese Situation führt wiederum zu Unsicherheit (Blaho 2001).
Aufbauend auf dieser grundsätzlichen Gliederung wollen wir im Folgenden ein
erweitertes Interaktionsmodell für Mass Customization vorstellen, das als Ergebnis
eigener empirischer Arbeiten entstanden ist (Ihl et al. 2006; Reichwald / Müller / Piller
2005). Es betrachtet den Mass-Customization-Prozess aus Kundensicht. Die
Beobachtung und Befragung von Kunden von individualisierbaren Produkten hat
gezeigt, dass sich der Verkaufsprozess für Mass Customization in sechs Phasen gliedern kann, die zwar ineinander übergehen, jedoch durch spezifische Aufgaben
gekennzeichnet sind (Abbildung 4–11).
Die erste Phase, in der eine Interaktion von Käufer und Verkäufer stattfinden kann, ist
die Phase der Kommunikation, deren primäres Ziel es ist, die Aufmerksamkeit neuer,
potenzieller Kunden für das Konzept zu gewinnen. Erste grundlegende Informationen
sind gegebenenfalls nötig, die den Kunden an das Konzept und seine Rolle heranführen.
Es folgt die Phase des Exploring, in der sich der Kunde mit den Möglichkeiten, die der
Anbieter offeriert, auseinandersetzt und, in der er vertiefende Informationen erhält.
Die Exploring-Phase geht häufig fließend in die Konfigurationsphase über. Diese steht
im Mittelpunkt jedes Mass Customization-Angebots und dient der Spezifierung der
individuellen Kundenlösung.
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Phasen und Instrumente der Kundeninteraktion bei Mass Customization
Erst nach der Konfiguration findet die Produktion der Kundenlösung statt, weshalb
sich für den Kunden eine Wartezeit bis zur Lieferung oder Abholung seines individuellen Produktes ergibt.
In der After-Sales-Phase geht es darum, die gesammelten Kundeninformation durch
zusätzliche Informationen über den Kunden zu ergänzen und für eine weiterführende
Kundenbetreuung zu nutzen.
Der Wiederholungskauf soll für den Kunden so einfach wie möglich sein, wobei
wiederum auf bereits gespeicherte Kundendaten zurückgegriffen werden sollte.
Abbildung 4–11: Phasen der Kundeninteraktion bei Mass Customization
Kommunikation
Erwecken von
Aufmerksamkeit beim
Kunden,
Herstellen des
Erstkontakts
Exploring
Information über
Möglichkeiten
und Optionen
des MassCustomizationSystems
Konfiguration
Unterstützung
des Kunden bei
der
Konkretisierung
des individuellen
Produkts
Wartezeit
und
Lieferung
Betreuung des
Kunden während
der Wartezeit
und
Abholung/Liefer
ung der Ware
After-Sales
und
Feedback
Sammlung von
KundenFeedback,
Information über
ServiceLeistungen
Wiederkauf
Initiierung von
Folgekäufen
unter und
Nutzung der
vorhandenen
Kundendaten
Feedback-Loop: Verwendung vorhandenen Wissens
Das Modell gilt sowohl für Online- als auch Offline-(d. h. Ladenbasierte) Interaktionsprozesse und trägt damit der Tatsache Rechnung, dass der Interaktionsprozess bei
Mass Customization sowohl im Internet als auch in einem Laden oder als Kombination
beider Kanäle erfolgen kann. Aufgrund der unterschiedlichen Bedarfssituationen und
Präferenzen von Kunden scheint es für viele Anbieter sinnvoll zu sein, sich nicht ausschließlich auf das virtuelle Angebot zu konzentrieren, sondern Kunden die Wahl zwischen verschiedenen Kanälen zu bieten. Während Kunden beispielsweise den
Konfigurationsvorgang offline mit ausgebildetem Fachpersonal durchlaufen können,
müssen sie sich bei der Online-Konfiguration intensiver mit dem Konfigurator beschäftigen und diesen allein bedienen (Schnäbele 1997). Die einzelnen Phasen dieses
Modells werden im Folgenden näher beschrieben werden (in Anlehnung an Reichwald /
Müller / Piller 2005). Kasten 4–7 bietet ein einführendes Beispiel und kann als
Anschauungsobjekt beim Lesen der folgenden Abschnitte dienen.
Kasten 4–7:
Kundenintegration in das Produktdesign am Beispiel des Internet-Toolkits
von Factory 121
Hinweis: Wir empfehlen, das Beispiel von Factory 121 parallel zum Lesen dieses Kapitels im
Internet anzuschauen [www.factory121.com] und dabei darauf zu achten, wie die in diesem Kapitel
beschrieben Phasen bei diesem Anbieter umgesetzt sind. Ein ebenso sehr aufschlussreicher
Selbstversuch ist es, zuvor in einem konventionellen Uhrenladen den Auswahlprozess für eine
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Armbanduhr zu durchlaufen (versuchen Sie, ohne größere Betonung eines bestimmten
Markennames aus dem Geamtangebot die Uhr zu finden, die Ihrem persöhnlichen Geschmack am
besten trifft). Wiederholen Sie dann den gleichen Prozess im Konfigurator bei Factory 121.
Factory121 ist ein Internet-Anbieter aus der Schweiz, der die Individualisierung hochwertiger
“swiss made” Herren- und Damenuhren anbietet. Die Individualisierung setzt dabei ausschließlich
an ästhetischen Gesichtspunkten an, an die die Kunden hohe Ansprüche stellen (www.factory121.com). Durch umfangreiche Individualisierungs- und Anpassungsmöglichkeiten bietet
Factory121 einen sehr großen Lösungsraum. Auf der Internetseite haben die Kunden zu Beginn
des Interaktionsprozesses die Wahl zwischen 82 Uhrenmodellen. Ausgewählt werden kann aus
einer Palette von klassischen, sportlichen, eleganten und luxuriösen Damen- und Herren-Modellen
– auf Wunsch mit erstklassigen Diamanten und Saphiren besetzt. Durch diese Vorauswahl
(Vorkonfiguration) von Lösungen soll die Komplexität aus Kundensicht gesenkt werden. Mit Hilfe
einer benutzerfreundlichen Konfiguration wählt der Kunde das Gehäuse, das Zifferblattdesign, das
Uhrenband und die jeweiligen Farben aus, die seinem Stil entsprechen. Der schnelle Bildaufbau
regt zum Spiel mit Formen, Farben und Materialien an. Alle Optionen können jederzeit geändert
und verglichen werden. Dies wird in Echtzeit und mit guter 3-D-Bildqualität ausgeführt, welches
den Umstand entschädigt, das Produkt nicht anfassen zu können. Die Visualisierung als wesentliches Designelement eines Toolkits ist hier gut umgesetzt.
Abbildung: Element des Co-Design Toolkits von Factory121.com
Des Weiteren bietet Factory121 den Kunden die Garantie, dass sie die Uhr im Falle von
Problemen 10 Tage nach der Auslieferung ohne Fragen zu stellen, austauscht oder zurücknimmt,
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sowie eine zweijährige Garantie auf allen Modellen. Wie groß die Zufriedenheit der bisherigen
Kunden ist, belegt eine unabhängige Studie eindrücklich: Über 95 % aller in einer Zufriedenheitsstudie des Unternehmens befragte Kunden würden wieder eine 121TIME-Uhr bestellen. 93 %
bewerten das Preis-Leistungs-Verhältnis als gut bis sehr gut (eine Uhr kostet zwischen ca. 130 und
600 Euro, je nach Ausstattungsoption und Uhrwerk). Auch kommt es im Verhältnis zu den gekauften Uhren sehr selten vor, dass eine Uhr zurückgesandt wird. (ca. 1-2 %). Es kommt aber öfter vor,
dass wir Änderungen an der Uhr vornehmen müssen oder die Uhr ganz ausgetauscht wird.
Meistens sind es ästhetische Gründe, dass man sich die Uhr anders vorgestellt hat oder die
gewählte Kombination nicht gefällt.
Nach der Bestellung erfolgt die Montage der Uhr nach Bestellung in einer kleinen Fabrik in der
Schweiz. Der Konfigurator bereitet dabei die Bestellung vor und sendet sie direkt an die
Montagewerkstatt. Nach einer Überprüfung (Kreditcheck) wird der Auftrag zur Fertigung freigegeben. Die Fertigungsdokumente (Fertigungsauftrag, Proforma-Rechnung, Garantiekarte, Versandscheine) werden im Lager automatisch ausgedruckt. Die Uhrenkomponenten werden anhand des
Fertigungsauftrages zusammengestellt und zur Fertigung freigegeben. Optionale Elemente wie
z. B. die Gravur auf dem Uhrenboden werden vom Lieferanten innerhalb von 5 Tagen angeliefert
und in den Auftrag integriert. Die Uhr wird auf Ihre Wasserdichtigkeit und Ganggenauigkeit geprüft
und nach erfolgter Endkontrolle zum Versand freigegeben. Der Kunde erhält die Uhr nach höchstens 10 Tagen.
4.4.2 Kommunikationsphase
Was nützen die besten kundenindividuellen Produkte, wenn sie niemand kennt? Die
Differenzierungsvorteile von Mass Customization können den Kunden erst dann
Nutzen stiften, wenn diese auf das Angebot aufmerksam werden. Aufgabe der
Kommunikationsphase ist es deshalb, die potenziellen Kunden über das Angebot kundenindividueller Produkte und Dienstleistungen zu informieren. Kommunikationspolitik umfasst generell alle auf den Markt gerichteten Informationen eines
Unternehmens zum Zweck der Beeinflussung von Meinungen, Einstellungen,
Erwartungen und Verhaltensweisen der Abnehmer im Sinne des Anbieters.
Grundlegend gelten für Mass Customizer damit zunächst dieselben Aspekte wie für
die Anbieter standardisierter Leistungen.
Inhaltlich unterscheiden sich die Maßnahmen zur Verkaufsförderung von kundenindividuellen Produkten im Vergleich zu Standardprodukten jedoch durch zwei Aspekte:
die Komplexität der Produkte und die besondere Rolle, die der Kunde im MassCustomization-Prozess durch seine Integration in die Wertschöpfung spielt. Zusätzlich
besteht – wie bei Dienstleistungen – die Herausforderung, dass zu Beginn des
Leistungserstellungsprozesses kein fertiges Produkt existiert, das dem Kunden in der
Kommunikation gezeigt werden kann. Vorhanden ist nur ein Leistungspotenzial, d. h.
die Fähigkeit und Bereitschaft des Anbieters, die Leistung zusammen mit dem
Abnehmer zu erstellen. Damit ist es für den Kunden schwierig, die Qualität der
Leistung zu bestimmen, was zu einem großen wahrgenommenen Risiko auf der Seite
des Kunden führen kann. Hinzu kommt, dass Kunden derzeit oft noch keine
Erfahrung mit der Gestaltung von individuellen Produkten an sich haben, was ihre
Unsicherheit noch erhöht.
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Grundsätzlich spielen Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften von Gütern
eine Rolle bei der Leistungsbeurteilung durch die Kunden (Homburg / Krohmer 2003;
Picot, Reichwald / Wigand 2003). Sucheigenschaften, d. h. Eigenschaften von
Leistungen, die vor dem Kauf einfach betrachtet und beurteilt werden können (z. B.
die Eigenschaften eines bereits produzierten Standardschuhs), treten bei Mass
Customization in den Hintergrund. Vertrauenseigenschaften können erst nach dem
Kauf bzw. während des Kaufs durch Ge- und Verbrauch beurteilt werden (z. B. die
Eigenschaften eines individuellen Schuhs, den der Kunde nach dem Kauf nutzt und
anprobiert und erst dann beurteilen kann). Bei Vertrauenseigenschaften ist keine vollständige Beurteilung möglich – weder vor noch nach dem Kauf des Gutes. Wie wir in
Abschnitt 4.2.1 gesehen haben, bedeuten Mass-Customization-Angebote für Kunden
oft eine bestimmte Unsicherheit. Diese ist durch entsprechende Kommunikationsmaßnahmen abzubauen. Beispielsweise kann es Sinn machen, detaillierte Informationen über das Produkt und die Nachfragerrolle zu kommunizieren.
Erfahrungseigenschaften spielen bei Mass-Customization-Gütern ebenfalls eine wichtige Rolle und sind Grundlage der besonderen Möglichkeiten eines Kundenbindungsmanagement, das wir in Abschnitt 4.2.2 bereits angesprochen haben. Es lässt sich
nämlich zeigen, dass die Informationen, die im Rahmen der Konfiguration des ersten
Produktes vom Abnehmer an den Hersteller übermittelt wurden, eine wichtige Hürde
gegen einen Anbieterwechsel darstellen.
Dabei sollten die Kommunikationsmaßnahmen je nach Stellung der Kunden – Neuund Bestandskunden – differenziert werden, denn die Kundengruppen unterscheiden
sich in Informationsstand und Grad des wahrgenommenen Risikos. Bei potenziellen
Neukunden geht es zunächst darum, die Aufmerksamkeit dieser Konsumentengruppe
für das Mass-Customization-Programm zu wecken. Ziel ist es, potenzielle Kunden
über die Möglichkeit einer Individualisierung zu informieren, die Vorteile individueller Produkte und deren Preisgestaltung zu erläutern und hervorzuheben, wo die
Grenzen liegen. Der Computerhersteller Dell Inc. wirbt beispielsweise mit dem Slogan
“Eines Tages wird es ganz einfach sein, ihren individuellen PC zu finden – Mit Dell ist
eines Tages schon heute”. Der Slogan transportiert die Individualität in einem Satz und
weckt die Aufmerksamkeit der Kunden für das Angebot. Hier können insbesondere
bereits existierende Marken eine wichtige Hilfestellung leisten, da sie dem Kunden
Vertrauen in den Anbieter geben können. Die vom Kunden wahrgenommene
Unsicherheit wird reduziert und das Unternehmen erhält einen Vertrauensvorsprung.
Diese Aufgabe hat aufgrund der in den folgenden Phasen beginnenden Integration des
Kunden eine besondere Bedeutung. Die Kommunikation dient auch der Information
und Qualifizierung des Kunden, damit die Leistungserstellung und -nutzung bestmöglich erfolgen kann (Gouthier 2003; Hennig-Thurau 1998). Bei Bestandskunden geht
es dagegen darum, sie möglichst personalisiert und mittels Direktmarketing nach
Ablauf eines Verbrauchszyklus oder im Rahmen branchenüblicher saisonaler Zyklen
erneut anzusprechen und ihnen zu vermitteln, dass eine (modifizierte) Nachbestellung
ihres individuellen Gutes viel einfacher möglich ist als bei der Erstbestellung.
Eine aktuelle Strategie ist der Einbezug der Kunden in den Aufbau des
Distributionssystems für ein Mass-Customization-Angebot. Ebenso wie Spreadshirt
in Deutschland (siehe Kasten 2–8) gelten Zazzle und Cafepress als herausragende
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Beispiele in den USA, wie Kasten 4–8 beschreibt (in Deutschland arbeit das Unternehmen Spreadshirt nach einem ähnlichen Prinzip). Hier wird ein Konfigurationstool
für User Co-Design mit einem einfachen Shop wie bei e-Bay kombiniert. Damit wird
eine wesentliche Hürde der Skalierbarkeit eines Mass-Customization-Angebots überwunden: Hat ein besonders kreativer Kunde einmal eine tolle eigene Kreation geschaffen, kann er diese an alle anderen Nutzer einfach weiterkaufen, die dafür nicht mehr
der gesamten Komplexität der Leistungskonfiguration gegenüberstehen. Da der
Hersteller aber dennoch durch die Verwendung flexibler Produktionstechniken die
resultierende sehr hohe Variantenvielfalt effizient anbieten kann, entsteht hier ein
neues Geschäftsmodell, das große Chancen aufweist.
Kasten 4–8:
Web Sites Offering Personalized Products Catch Fire Among Vcs
(Quelle: Auszug aus dem Artikel “ ‘Your name here’ goes global” von Verne Kopytoff im San
Francisco Chronicle vom 19. Juli 2005 [tinyurl.com/lfhnk])
Customized T-shirts, posters and postage stamps have emerged as the Internet’s latest darlings
among venture capitalists. Zazzle, a Palo Alto company that allows users to buy personalized products, announced Monday it had received $16 million in funding from two of Google’s early backers, Kleiner Perkins’ John Doerr and Ram Shriram, of Sherpalo Ventures. Earlier this year, a similar company, CafePress.com, in San Leandro, received $14 million in a second round of funding
led by Sequoia Capital. These two firms are part of what analysts sometimes call personalized
commerce. The idea is a cross between eBay’s online marketplace and FedEx Kinko’s, the chain
of copying and printing stores. To get started, users create their own designs for products including
T- shirts, posters and greeting cards. The Web sites then handle the printing and shipping. (...)
Many people simply use the Web sites to make gifts for family members and friends. Others earn
royalties by selling their products or designs to shoppers on the sites. “These are tools of self
expression,” said Kent Allen, an analyst for the Research Trust, a market research firm specializing in online commerce. “They’re allowing people to turn their creativity and passion into a business.” The idea is more evolutionary than revolutionary. Consumers have been able to get customized trinkets at flea markets and county fairs for years featuring their names or images. What sets
the online version apart is its potential global reach. Shriram, the investor, said that is in part what
attracted him to Zazzle.
“This is an opportunity to do mass customization,” he said. “The scaling of this has been an interesting challenge.” Zazzle was founded in 2003 by Robert Beaver, a serial entrepreneur in manufacturing, and his sons, Jeff and Bobby. Since then, the site has gained only modest traction on a
limited budget. Users can create their own designs with Zazzle. They can also choose from nearly half a million images that are publicly available, including ones from the Walt Disney Co., the
Library of Congress and the Bancroft Library at UC Berkeley.
CafePress was founded in 1999 by Maheesh Jain and Fred Durham, two former students at
Northwestern University. The company has grown to more than 200 employees, and has been profitable for several years, according to Durham. (...) As with Zazzle, shoppers on CafePress can use
their own designs on 70 different products. Shoppers can also buy products from the Web site’s
marketplace that are offered by other users. Political novelties, including coffee mugs and buttons,
are widely available. Independent sellers dominate the marketplace, although there are a smattering of corporate products from StarTrek.com and the television program, “This Old House.”
“There’s a million niches of tribes of 10,” said Durham. “It’s very focused stuff you just can’t find
anyplace else.” Both companies operate by printing products only after they have been ordered. A
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run of items may therefore range anywhere from 1 to 1,000. Earlier this month, CafePress opened
its second printing plant in Kentucky to speed order delivery on the East Coast. The company’s
other production facility is in Hayward. (...)
4.4.3 Exploring-Phase
Die Information über die Möglichkeiten und das Spektrum des Mass-CustomizationSystems gehört neben der Konfiguration zu den wichtigsten Inhalten des
Kundeninteraktionsprozesses. Der Kunde setzt sich im Rahmen des Exploring mit
dem System an sich und dessen Möglichkeiten und Grenzen auseinander. Exploring
heißt, dass sich ein Kunden bereits mit den konkreten Individualisierungsoptionen für
das Produkt auseinandersetzt, dabei aber weniger die konkrete Spezifikation seines
gewünschten Produktes im Auge hat, sondern vielmehr – je nach Geschäftskonzept
allein und/oder mit Hilfe eines Verkäufers – alle Möglichkeiten erforschen kann, die
ihm im Rahmen des Mass-Customization-Angebots geboten werden. Dabei kann das
Exploring sowohl on- als auch offline stattfinden, z. B. mit Hilfe eines Konfigurators
am PC (zu Hause oder am Point of Sale) oder anhand ausliegender Stoffmuster,
Produktmodelle und –komponenten im Geschäft.
Exploring ist nicht nur bei Mass Customization wichtig, sondern auch beim Kauf von
Standardprodukten: Auch hier will der Kunde das Angebot erforschen, es z. B. anfassen oder ausprobieren. Kennzeichnend für Mass Customization ist allerdings erneut
die höhere Komplexität und Unsicherheit auf der Seite des Kunden, denn der Kunde
hat wahrscheinlich keine Möglichkeit, genau das Produkt, das er kaufen möchte, anzufassen oder anzuprobieren (Dellaert / Stremersch 2005; Franke / Piller 2004; Huffman /
Kahn 1998). Die meisten Kunden sind es nicht gewöhnt, ein Angebot auf
Komponentenebene zu erforschen.
Für Unternehmen ist es deshalb essentiell, die Exploring-Phase zu strukturieren und
die Komplexität aus Kundensicht zu reduzieren. Durch ständige Optimierung der
Auswahl können die Optionen entfernt werden, die nur von einer kleinen Anzahl an
Kunden gewählt werden. Permanent sollte deshalb eine Überprüfung der angebotenen
Auswahl stattfinden. Wichtig ist neben der Anzahl an Optionen auch deren adäquate
Darstellung: Die Kunden sollen überzeugt werden, zur nächsten Phase – der Konfiguration – voranzuschreiten. Konfiguratoren spielen deshalb bereits in dieser Phase
eine wichtige Rolle, denn sie können helfen, das Produktangebot in einer für Kunden
ansprechenden Art und Weise darzustellen. Beispielsweise bietet DaimlerChrysler den
Interessenten für Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge die Möglichkeit, im Internet die gewünschten Leistungsmerkmale eines Lkws zusammenzustellen und sich vor dem
Händlerbesuch zu informieren. Je nach individuellem Kundenwunsch ist dies anhand
der Transportaufgabe, anhand von technischen Aspekten oder über eine Branchenlösung möglich. Auf diese Art und Weise kann jeder Kunde den Exploring-Prozess je
nach seinen individuellen Präferenzen durchführen.
Die Exploring-Phase ist auch für Anbieter erklärungsbedürftiger Produkte eine besondere Chance, das Leistungsspektrum ihres Angebots zu kommunizieren. Im Gegensatz
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zu einer klassischen Kommunikation ist der Kunde hier in die Wertschöpfung integriert. Er kann selbst die Kombinationsmöglichkeiten und verschiedenen technischen
oder ästhetischen Optionen beurteilen.
4.4.4 Konfigurationsphase
Im Mittelpunkt des Kundeninteraktionsprozesses bei Mass Customization steht die
Konfigurationsphase. Der Begriff Konfiguration leitet sich vom lateinischen “configuratio” ab und bedeutet übersetzt Anordnung und/oder Gestaltung. Im Sinne von Mass
Customization ist Konfiguration ein Design- und Schöpfungsprozess innerhalb eines
bestimmten Gestaltungsspielraums (der Lösungsraum). Anordnung verlangt dabei
nach einzelnen Modulen oder Teilen, aus denen ein Objekt zusammengesetzt werden
kann. Dies sind die Bestandteile der modularen Produkt- und Leistungsarchitektur.
Gestaltung bedeutet die Möglichkeit der Abänderung von bereits vorhandenen
Elementen und deren kreative Formung. Als Beispiel für eine Gestaltung können
Abmessungen, eine freie Farbgebung oder die Positionierung gelten (Rogoll / Piller
2003). Für alle Individualisierungsoptionen muss aus dem angebotenen Komponentenspektrum jeweils die Ausprägung gewählt werden, die den Kundenwünschen entspricht. Konfiguration ist so eine (oft computerbasierte) Co-Designaktivität, die dazu
dient, die individuelle Leistung und die Leistungsmerkmale zu gestalten, wobei der
Lösungsraum, d. h. sowohl die einzelnen Komponenten als auch ihre Kombinationsmöglichkeiten, vorab durchdacht und festgelegt wurden (Dockenfuß 2003; Köhne /
Klein 2004).
Konfiguration ist eine computergestützte Gestaltungsaktivität zur Auswahl oder Spezifikation
von Leistungsmerkmalen, bei der die Menge verfügbarer Komponenten und deren
Kombinationsmöglichkeiten a priori bestimmt sind.
Konfigurationssysteme stellen dabei ein integrales Bindeglied zwischen Produktentwicklung, Fertigung und Kundenwunsch dar. Ausgestattet mit einer einfachen
Benutzerschnittstelle leiten diese Systeme den Kunden (und ggf. einen Mitarbeiter im
Verkauf) durch die Erhebung der Bedürfnisinformation – und prüfen sogleich die
Konsistenz sowie die Fertigungsfähigkeit der gewünschten Variante (Abbildung 4–12).
Dieser Dialog vollzieht sich innerhalb von Minuten, bei komplexen Produkten vielleicht innerhalb mehrerer Stunden, auf keinen Fall aber innerhalb von Wochen, wie
dies bei einer klassischen Individualfertigung oft die Regel ist. Schon während dieser
Phase müssen dem Kunden Preis und Lieferzeitpunkt mitgeteilt werden können –
ohne die Abstimmungsprozesse, die sonst bei einer Individualisierung anfallen. Der
Einsatz von Konfigurationssystemen stellt so sowohl hinsichtlich der Effektivität
(Erweiterung des Konfigurationsumfangs) als auch der Effizienz (Kostensenkung)
eines der wichtigsten IuK-technischen Unterstützungspotenziale von Mass Customization dar (Berger et al. 2005; Dellaert / Stremersch 2005; Franke / Piller 2003; Khalid
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/ Helander 2003; Liechty / Ramaswamy / Cohen 2001; Novak / Hoffmann / Yung 2000).
In der Literatur wird der Begriff Konfigurationssystem meist recht technisch verwendet. Deshalb schlagen Franke und Piller (2003) die Verwendung des Ausdrucks
“Toolkit for Customer Co-Design” vor, um zum einen die Verwandtheit zu Toolkits
for User Innovation (siehe Abschnitt 3.5.2), zum anderen die strategische (und nicht
rein technische) Bedeutung dieses Instruments zu betonen. Wir werden in diesem
Kapitel beide Begriffe synonym verwenden.
Abbildung 4–12: Der Konfigurationsprozess (entnommen aus Rogoll / Piller 2003)
Auswahl eines
Basisproduktes/ Modells
Modul01... Modul0X
Plausibilitätsprüfung/
Auswahl der
Grundschemata
Modul11…Modul1X
Plausibilitätsprüfung
der Auswahl,
Anpassung der Logik
ModulX1…ModulXX
Plausibilitätsprüfung
der Auswahl,
Anpassung der Logik
Fertig
konfiguriertes
Produkt
Plausibilitätsprüfung
der Auswahl
Parallele oder abschließende Stücklistenerstellung (und/oder weitere Prozesse)
Parallele oder abschließende visuelle Produktpräsentation (Visualisierung)
Bei der Entwicklung und Implementierung eines Konfigurationssystems (Toolkits for
Customer-Co-Design) sollte die dominierende Leitlinie die Reduktion der abnehmerseitig wahrgenommenen Komplexität sein, was gleichzeitig eine Komplexitätsreduktion in der Auftragsannahme des Anbieters einschließt. Studien haben ergeben,
dass mehr als 40 Prozent aller Overheadkosten im US-Maschinenbau für Vertrieb und
Marketing anfallen. Während versucht wird, die Fertigungs-, Entwicklungs-,
Verwaltungs- oder Materialflusskosten seit Jahren durch Automatisierung und
Computerisierung zu senken, muss der Vertrieb oft ohne jede informationstechnische
Hilfe zwischen Kunde und Hersteller agieren, wenn es um die Bestellung individueller Produkte geht. Die Folge sind ständige Rückfragen, Anpassungen und Änderungen. Nach empirischen Studien wendet der typische US-Maschinenbauer zwei Prozent
seines Bruttoumsatzes nur dafür auf, menschliche Eingabefehler, Misskalkulationen
und andere Mängel während des Konfigurationsvorgangs auszugleichen (McHugh
1996; Ziegler 1997). Eine aktuelle empirische Studie hat für den deutschen Maschinenund Anlagenbau ähnliche Daten ergeben (Stotko 2005).
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Phasen und Instrumente der Kundeninteraktion bei Mass Customization
Im Gegensatz zu einer klassischen Einzelfertigung basiert die Produktindividualisierung bei einem Mass-Customization-Konzept auf relativ konkreten Vorgaben
in Form der modularen Produktarchitektur und möglicher Anpassungsschritte. Je
nach Konzeption der Mass Customization stehen hierbei unterschiedlich viele
Konfigurationsmöglichkeiten zur Verfügung. Diese sind aber ex ante bereits definiert.
Damit kann eine regelbasierte Beschreibung der Produktkonfiguration geschaffen
werden (selbst, wenn kombinatorisch die Anzahl der möglichen Varianten schnell in
die Millionen geht), was die Voraussetzung für eine weit reichende Vereinfachung,
Automatisierung, und Effizienzsteigerung des Konfigurationsvorgangs bietet.
Aus Sicht des Anbieters muss der Konfigurationsprozess weitgehend automatisiert
werden. Dies ist vor allem im Konsumgütermarkt notwendig, um die zusätzlichen
Kosten der Interaktion zwischen Hersteller und jedem Abnehmer entscheidend zu senken. Die hier oft übliche Selbstbedienung im Handel ist auf eine Selbstkonfiguration
des Kunden zu übertragen. Ist eine Selbstkonfiguration nicht möglich, muss das
Verkaufspersonal des Anbieters bei der Erhebung der Individualisierungsinformation
so weit wie möglich unterstützt werden. Bei der Gestaltung eines Konfigurationssystems gibt es eine Vielzahl möglicher Gestaltungsoptionen, die in den folgenden
Abschnitten näher betrachtet werden (Abbildung 4–13). Ungeachtet der Ausprägung
eines Konfigurationssystems muss dieses etlichen wichtigen Ansprüche gerecht werden (Abbildung 4–14). Die folgende Diskussion (in Anlehnung an Rogoll / Piller 2003)
dieser Ansprüche orientiert sich dabei an erster Linie an Konfigurationssystemen im
Internet, ist aber auch auf eine Gestaltung ladengestützter Konfiguratoren übertragbar.
Abbildung 4–13: Einsatzumgebungen von Toolkits für User Co-Design
Prozedural
(step by Step)
Online Konfiguratoren
(Internetbasiert)
Unstetig
(freie Abfolge)
Wissensbasiert
(keine Konfigurationsschritte)
Konfigurationsaufgabe
Sales Konfigurator
(Unterstuetzung am POS)
Real-Konfiguratoren
(Verkaufsumgebung)
„Montage“ Konfigurator
(Selbstmontage im Laden)
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Präsentation des Angebots und Auswahl eines Basisprodukts oder -modells: Die
meisten Mass-Customization-Angebote basieren auf einer einheitlichen Plattform bzw.
einem Grundprodukt (Modell, Schnitt etc.), das dann durch Standard- oder kundenindividuelle Module erweitert bzw. modifiziert wird. Deshalb ist eine der wichtigsten
Aufgaben des Kunden, zu Beginn des Konfigurationsvorgangs ein geeignetes
Basisprodukt auszuwählen. Dieses Basisprodukt beschreibt das zu konfigurierende
Objekt in seinen Grundzügen und legt die einzelnen Module fest, die für das kundenindividuelle Endprodukt notwendig sind. Durch die geeignete Wahl des Basisproduktes kann die Komplexität aus Kundensicht stark gesenkt werden.
Abbildung 4–14: Aufgabenumfang eines Produktkonfigurationssystems für Mass
Customization
Ka
Unternehmens- und
Fähigkeitsrepräsentation
Gewinnung von
aggregiertem
Kundenwissen
Präsentation des
Angebots
Begleitung bei
Erhebung von
Kundendaten
uf p
roz
es
s
Auswahl eines
Basisprodukts/ -modells
Visualisierung der
Konfiguration
Konfigurator
Vervollständigung
des Produktes
Plausibilitätsprüfung
der Auswahl
Unterstützung und
Beratung
Führung durch den
Konfigurationsvorgang
Vermittlung eines
„Flow-Erlebnisses“
Unterstützung und Beratung: Eine weitere Aufgabe ist die Beratung und
Unterstützung des Nutzers während des Konfigurationsvorganges. Gerade bei individuell gefertigten Produkten spielt die Beratung des Kunden häufig eine wichtige Rolle.
Der Abnehmer befindet sich während des Konfigurationsprozesses in einem ständigen
Entscheidungszwang, der zusammen mit eventuellen Unsicherheiten zum Abbruch
der Konfiguration führen kann. Deshalb ist ein Hilfs- und Beratungssystem von hoher
Bedeutung. Hierbei geht es neben technischer oder funktionaler Hilfe vor allem auch
um die Unterstützung zum Erkennen und Formulieren der Bedürfnisse eines Kunden.
Beratungssysteme können von einem einfachen Hilfe-Button, der in der Regel die
Funktionsweise eines Konfigurationsschritts oder die Eigenschaften einer Komponente
erklärt, über automatisch gesteuerte Zusatzinformationen bei bestimmten Verweil248
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Phasen und Instrumente der Kundeninteraktion bei Mass Customization
dauern bis hin zu einem interaktiven Verkaufsberater reichen, der eine komplette
Stilberatung ersetzt. Zum Aufbau von Vertrauen und zur Reduktion des Risikos von
Mass Customization aus Kundensicht ist eine solche Beratungsfunktion von essentieller Bedeutung. Neben der Information des Anwenders über die gewählte Leistungsspezifikation muss ein Konfigurator auch Auskunft über Attribute der einzelnen Komponenten geben können. Dies sind beispielsweise Beschreibungen und Angaben wie
Preis, Gewicht, Lieferzeit etc. Da diese Attribute die Kaufentscheidung maßgeblich
beeinflussen können, sollten diese Angaben nach jedem Konfigurationsschritt aktualisiert werden.
Führung durch den Konfigurationsvorgang: Während des Konfigurationsvorganges
werden die Merkmale des kundenindividuellen Produktes durch die Auswahl bzw.
den Austausch von Modulen oder Teilen verändert. Die Differenzierung zwischen
Auswahl und Austausch begründet sich aus der Art des Konfigurationsvorgangs.
Entweder wird nur ein Basismodells abgeändert, das bereits eine vordefinierte
Vollständigkeit hat (Standard-Konfiguration), oder aber es werden alle notwendigen
Konfigurationsschritte mit begleitender Auswahl von Modulen oder Teilen abgearbeitet, bis eine Vollständigkeit vorhanden ist (aktuelle Forschungsarbeiten lassen darauf
schließen, dass die Zahlungsbereitschaft von Kunden höher ist, wenn ihnen ein vollständig ausgestattetes Produkt präsentiert wird, das sie anschließend durch Austausch
von Komponenten und/oder Löschen von Kann-Optionen individualisieren – anstatt
das Produkt von Grund aus in allen Stufen zu individualisieren ; siehe Levin et al.
2002). Dabei sollte sich die Prozessunterstützung in erster Linie an den Anwendungsfeldern des Kunden orientieren und nicht an der grundlegenden Produktstruktur. Viel
zu wenige Konfiguratoren beginnen mit einer Erhebung der eigentlichen Wünsche
und Bedürfnisse des Anwenders, sondern konfrontieren den Nutzer sofort mit der
Auswahl verschiedener Module und Komponenten. Ein Ausweg aus dieser
Problematik ergibt sich beispielsweise durch eine begleitende Stilberatung, die die zur
Verfügung stehenden Variationsmöglichkeiten sukzessive einschränkt. So könnte beispielsweise ein Konfigurator von Maßkonfektion zuerst den Anlass abfragen, zu dem
ein Kunde ein maßgefertigtes Hemd bestellen möchte. Wählt er “Business look” als
Motivation aus, könnte der Konfigurator Button-Down-Kragen oder auffällige Stoffe
von vorneherein ausschließen. Somit rückt das Kundeninteresse in den Vordergrund.
Aus konzeptioneller Sicht spricht diese Diskussion die Entscheidung zwischen parameterbasierten und bedürfnisbasierten Konfiguratoren an (Randall / Terwiesch /
Ulrich 2005). Parameterbasierte Konfiguratoren präsentieren dem Kunden (ggf. vorgefiltert) alle möglichen Auswahloptionen für eine individualisierbare Komponente.
Der Kunde muss dann selbst entscheiden, welche Option seinem Bedürfnis am ehesten
entspricht. Bedürfnisbasierte (“need based”) Konfiguratoren dagegen fragen den
Kunden nach seinem Bedürfnis und ordnen dieses dann selbstständig einer Option
vor. Empirische Studien haben gezeigt, dass letzteres Verfahren häufig zu einer höheren Kundenzufriedenheit führt. Eine bedürfnisbasierte Konfiguratoren bedeutet aus
Sicht der interaktiven Wertschöpfung aber auch, dass ein Kunde einen geringeren
Integrationsgrad besitzt, da der Anbieter den eigentlichen Problemlösungsprozess
wieder internalisiert.
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Vermittlung eines Einkaufserlebnisses: Die Führung durch das Konfigurationssystem dient neben der eher technischen Unterstützung zur Findung einer passenden
Spezifikation auch zur Vermittlung eines besonderen Einkaufserlebnisses. Empirische
Studien haben ergeben, dass bei Mass Customization die wahrgenommene Produktzufriedenheit ganz stark mit der erlebten Prozesszufriedenheit korreliert (Franke /
Piller 2004). Für viele Kunden ist die Mitwirkung beim Entwurf eines individuellen
Produktes ein besonderes Erlebnis. Der Kunde wird zum eigenen Designer, was
Identifikation und Involvement mit dem Endprodukt deutlich erhöhen kann. Aufgabe
für einen Konfigurator ist so auch die Vermittlung von Begeisterungseigenschaften.
Im Rahmen einer Internet-Konfiguration hat dabei die “Flow-Theorie” eine große
Bedeutung (Bauer / Grether / Borrmann 2001; Csikszentmihalyi 1990; Hoffman / Novak
1996). Diese beschäftigt sich mit Fragen der intrinsischen Motivation (Motivation aus
Eigenantrieb) und den Determinanten, die Aktivitäten so erfreulich machten, dass sie
um ihrer selbst willen ausgeübt werden (siehe auch Abschnitt 3.3.3). Flow bezeichnet
jenen Zustand, bei dem eine Person so in eine Tätigkeit vertieft ist, dass nichts anderes
um sie herum eine Rolle zu spielen scheint. Ein Flow entsteht, wenn beispielsweise ein
Nutzer merkt, dass er bei der Lösung einer als hoch wahrgenommenen
Herausforderung die notwendigen Fähigkeiten besitzt, um diese zu meistern. Auch
eine unmittelbare Rückmeldung über den Grad der Zielerreichung vermittelt ein FlowErlebnis, ebenso wie das Gefühl von Kontrolle über eine Situation. Hoffman / Novak
(1996) konnten einen statistisch signifikanten positiven Zusammenhang zwischen
Flow und Online-Kauf empirisch nachweisen. Damit liegt die Bedeutung des FlowKonstruktes für das Kundennutzungsverhalten von Online-Konfiguratoren auf der
Hand. Ein guter Konfigurator kann dazu beitragen, bei den Kunden ein Flow-Erlebnis
hervorzurufen – mit den angesprochenen positiven Konsequenzen auf das
Kaufverhalten. Bei der Konfiguration sind einige Voraussetzungen zu erfüllen, um das
Entstehen eines Flow-Erlebnisses zu begünstigen. Mehr noch als in herkömmlichen
Internetanwendungen ist das individuelle Konfigurieren eines Produkts als
Herausforderung anzusehen. Wichtig ist es dabei allerdings, den Kunden nicht zu
überfordern, da sonst Frustration entsteht. In ganz besonderem Maße muss dem
Kunden dabei das Gefühl vermittelt werden, die Kontrolle über die Situation zu haben.
Der Kunde muss sich als sein eigener Designer begreifen können. Dazu ist eine zeitnahe Visualisierung des Ergebnisses nötig, um dem Nutzer eine Rückmeldung über seine
Tätigkeit geben zu können. Ebenso ist es in dieser Stufe nötig, die durch das Design
beeinflussten Parameter wie Preis oder Liefertermin zu übermitteln.
Plausibilitätsprüfung der Auswahl: Mit jeder Auswahl oder Gestaltung eines Moduls
ergeben sich für die weitere Konfiguration des Produkts auf Grund der Produktlogik
bestimmte Einschränkungen oder zusätzliche Möglichkeiten. Charakteristisch für die
Produktkonfiguration ist, dass die Auswahl bestimmter Module zu einer Belegung
anderer Module führt, die weitere Auswahlmöglichkeiten begünstigen oder einschränken. Es bestehen also neben den mehrstufigen funktionstechnischen Abhängigkeiten
unter Umständen noch weitere Abhängigkeiten. Um diese je nach aktueller Auswahl
eines Nutzers aufzuzeigen, gibt es verschiedene Ansätze, um die Abhängigkeiten zwischen einzelnen Konfigurationsschritten zu ermitteln und in so genannten
Konfigurationsregeln zu beschreiben (z. B. prozedurale, entscheidungsregelbasierte
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und wissensbasierte Systeme). Die Realisierung dieser Prüfungen und Regeln ist von
der Funktionsweise der Konfigurationslogik und der dafür eingesetzten Technologie
abhängig.
Vervollständigung des Produkts: Ein Konfigurator sollte in der Lage sein, über die
Beratung hinaus den User bei der Konfiguration soweit zu unterstützen, dass die
Bemühungen auf jeden Fall zu einem sinnvollen Ergebnis führen. Hilfsmittel dazu ist die
Möglichkeit einer Auto-Vervollständigung der Konfiguration, so dass immer ein vollständig konfiguriertes Produkt aus dem Prozess hervorgeht. Dies reduziert einerseits die
Unsicherheit des Kunden, da ihm nach jedem Schritt ein mögliches Endergebnis mitgeteilt wird. Andererseits wird das Flow-Erlebnis des Kunden dadurch bestärkt, dass er zu
jedem Stadium des Konfigurationsprozesses ein mögliches Endergebnis seiner Tätigkeit
sieht. So wird seinem Wunsch nach Kontrolle genüge getan.
Darstellung der Konfiguration (Visualisierung): Visualisierung ist ein wesentlicher
Erfolgsfaktor eines guten Konfigurators. Sowohl während als auch am Ende des
Konfigurationsvorgangs muss den Kunden das individuell konfigurierte Produkt
möglichst realistisch präsentiert werden. Die Visualisierung ersetzt das physische
Produkt, das bei kundenindividueller Fertigung zum Zeitpunkt des Kaufabschlusses
noch nicht verfügbar ist. Ziel ist es, den Kunden bei seinen Entscheidungen zu unterstützen, aber auch, seine Kreativität anzuregen. Technisch ist eine Visualisierung meist
einer der aufwändigsten Teile eines Konfigurators, hinzu kommt das Problem langer
Übertragungszeiten, wenn eine Visualisierung auf einem externen Server individuell
erstellt (“Rendering”) und dann auf den Computer des Anwenders übermittelt wird.
Aus Anbietersicht bedeutet deshalb Visualisierung stets eine Abwägung zwischen dem
technisch Machbaren mit dem zur Komplexitäts- und Risikoreduktion Wünschenswertesten und einer praktikablen Lösung mit hoher Effizienz.
Begleitung bei der Erhebung von Kundendaten: Studien, die sich mit den Ursachen
eines Abbruchs von Onlineverkäufen beschäftigen, zeigen oft, dass genau dann ein
Kaufvorgang abgebrochen wird, wenn persönliche Angaben vom Nutzer erfragt werden (Adressdaten, Zahlungsinformation etc.). Dies gilt in einem Mass-CustomizationSystem in besonderem Maße. Bei kundenindividuellen Produkten sind oft sehr persönliche Angaben wie Körpermaße, Abmessungen, aber auch Vorlieben oder Angaben
über Hautprobleme nötig. Der Konfigurator muss nicht nur in der Lage sein, die
Ermittlung dieser Angaben zu unterstützen, sondern auch im besonderen Maße “vertrauenswürdig” sein. Allerdings kann die Investition, die ein Nutzer bereits durch die
Auseinandersetzung mit dem Produkt getätigt hat (in Form von Zeit und Mühe) als
wichtiger Anreiz dienen, einen Kauf abzuschließen. Entsprechend einfach (und intuitiv) muss dann aber auch der Abschluss der Konfiguration durch den eigentlichen
Kaufvorgang sein.
4.4.5 Wartezeit und Lieferung
Nach der Konfiguration folgt aus Anbietersicht die Produktion der individuellen Güter
“on demand”. Dieses Prinzip der Individualproduktion ist Grundlage der neuen
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Kostensenkungspotenziale. Wie wir bereits gesehen haben, können dazu schon bis zu
einem gewissen Grad Aktivitäten vorausschauend stattgefunden haben, d. h. die
Individualproduktion erfolgt nicht (unbedingt) bei der Aufbereitung der Rohstoffe,
sondern kann möglicherweise nur aus der individuellen Montage vorgefertigter Teile
bestehen. Diese Optionen sind von der Festlegung des Vorfertigungsgrades abhängig
(siehe Abschnitt 4.1.3). Aus Kundensicht bedeutet eine Produktion auf Bestellung
jedoch, dass sie bis zur Abholung oder Lieferung des individuellen Produktes warten
müssen. Als Substitut für das Produkt dient aus Kundensicht ein Ausdruck mit den
individuellen Konfigurationsdaten und einer Darstellung des konfigurierten Produktes. Diese Bestellbestätigung kann zu einem wichtigen Kommunikationsinstrument werden.
Die Gestaltung der Wartezeit ist ein entscheidender Faktor für die Gesamtzufriedenheit
der Abnehmer (Ihl et al. 2006). Zu berücksichtigen ist dabei die Tatsache, dass Kunden
es bei vielen Produkten gewohnt sind, ihr Produkt sofort mit nach Hause zu nehmen,
d. h. die Wartezeit könnte von den Kunden zunächst als nachteilig empfunden werden.
Umso wichtiger ist es, dem Kunden die Vorteile, die aus dem individuellen Produkt
resultieren, zu vermitteln. Es gilt außerdem, die Wartezeit soweit möglich zu reduzieren. Eine Möglichkeit ist z. B., den Kunden die Möglichkeit zur Auftragsverfolgung zu
bieten. Nach Anstoß der Fertigung sollte für den Kunden eine Möglichkeit bestehen,
den Status der laufenden Bestellung online zu verfolgen und zu überprüfen
(Ordertracking). Hierzu gehört beispielsweise die Nennung seiner Warteschlangenposition in der Fertigung oder der Zeitpunkt der Übergabe an den Distributeur.
4.4.6 Feedback und After-sales-Phase
Die direkte Interaktion mit jedem einzelnen Kunden bietet neue Möglichkeiten für den
Aufbau einer intensiven, wissensbasierten Kundenbeziehung im Sinn des Relationship
Management. Unternehmen, die kundenindividuelle Produkte anbieten, haben hier
einen entscheidenden Vorteil gegenüber Anbietern von Massenware, da sie eine
Vielzahl von Informationen über die Kunden während der Kundeninteraktion gesammelt haben. Entscheidend ist es, das Potenzial dieser Informationen zu nutzen. Eine
individuelle Betreuung der Kunden ist auch nach Übergabe des individualisierten
Produktes wichtig. Beispielsweise sollte der Hersteller bei Kundenanfragen den
Kunden und die gekauften Produkte kennen und individuell auf Kundenwünsche eingehen können. Vor allem aber sollte unmittelbar nach der Auslieferung durch einen
Feedback-Prozess die Zufriedenheit des Kunden mit dem Produkt und dem
Interaktionsprozess abgefragt werden, um für künftige Käufe des einzelnen Kunden,
aber insbesondere auch für die Optimierung des Gesamtsystems Anregungen zu erhalten. Ferner sollten Kunden regelmäßig mit aktuellen Informationen versorgt werden,
die optimalerweise entsprechend der Kaufpräferenzen individuell auf jeden einzelnen
Kunden abgestimmt sind.
Eine wichtige Aufgabe an dieser Stelle ist auch die systematische Auswertung der
während des Konfigurationsvorgangs erhobenen Informationen. Denn Vo252
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raussetzung für ein dauerhaft erfolgreiches Mass-Customization-Konzept ist nicht
nur die Fähigkeit, Produkte variabel und kostengünstig zu fertigen, sondern gleichermaßen der Einsatz des dabei gewonnenen Wissens zum Aufbau einer dauerhaften
Kundenbindung. Durch den Konfigurationsvorgang erhält der Hersteller Zugang zu
implizitem Wissen der Kunden. Dadurch werden die Kosten eingespart, die normalerweise erforderlich sind, um dieses Kundenwissen zu decodieren (beispielsweise
durch aufwändige Marktforschung), zu verstehen und weiterzugeben. Kundenbedürfnisse werden somit schneller und vor allem genauer verstanden. Die aggregierte Auswertung der gewählten wie auch verworfenen Konfigurationen aller Nutzer
kann auch für eine Definition von Varianten für eine standardisierte Variantenproduktion genutzt werden (bei einem simultanen Angebot individueller und massenhafter Leistungen) bzw. zur Verbesserung der Produktarchitekturen und angebotenen Vielfalt einer Mass Customization dienen. Deshalb sollte ein Konfigurator auch
(im begrenzten Maße) Informationen erheben, die für Wiederkäufe oder ein Cross/Up-Selling interessant sind (Verwendungszyklen, Anwendungsintensitäten,
Feedback etc.). Ebenso ermöglicht das systematische Auswerten der Log-files, die die
Kundenaktivitäten protokollieren, eine systematische Verbesserung des Konfigurators.
4.4.7 Wiederholungskauf
Sind die Kunden mit der individuellen Leistung zufrieden, kommt es aus
Anbietersicht hoffentlich zu einem Wiederholungskauf. Hierbei sollte wie in der
After-Sales-Phase darauf geachtet werden, dass die bereits vorhandenen
Kundendaten sinnvoll genutzt werden. Diese Daten bilden, wie wir in Abschnitt 4.2.2
bereits diskutiert haben, die Grundlage für Learning Relationships, d. h.
Kundenbeziehungen, die mit jeder Interaktion wachsen, stärker und intensiver werden, und die immer mehr Kundennutzen stiften (Peppers / Rogers 2004).
Beispielsweise sollte bei jedem weiteren Kauf auf die gespeicherten Kundendaten
zurückgegriffen werden. Der Konfigurationsvorgang kann damit für den Kunden
wesentlich unkomplizierter gestaltet werden, und der Kunde kann sich auf die
wesentlichen Aspekte des Vorgangs, z. B. das Design seines individuellen Schuhs,
konzentrieren. Damit wird es möglich, Aufwand und Komplexität des Kaufs weiter
zu reduzieren. Allerdings darf die Flexibilität, auch auf neue oder geänderte
Kundenbedürfnisse einzugehen, nicht verloren gehen. Optimalerweise sind die
Kundendaten auch direkt online für den Kunden einseh- und änderbar, so dass der
Kunde gegebenenfalls autonom seine Daten anpassen kann.
Abschließend stellt Kasten 4–9 noch ein ausführlicheres Beispiel vor, wie ein großes
Unternehmen, der Spielzeughersteller LEGO, durch die Kombination von Mass
Customization und Open Innovation ein völlig neues Wertschöpfungssystem geschaffen hat. Ob dieses Bestand hat und tatsächlich eine Alternative zum derzeitigen Modell
klassischer Variantenfertigung auf Basis von Marktforschungsanstrengungen des
Herstellers ist, wird die Zukunft zeigen.
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Interaktive Wertschöpfung in der Produktion: Mass Customization
Kasten 4–9:
LEGO Factory: Von Mass Customization zu User Innovation
(Quelle: Auszug aus dem Posting “Lego Factory hacked by users - and the company loves it” von
Frank Piller im Blog MC&OI News [mass-customization.blogs.com] vom 12. Dezember 2005)
Lego, a toy maker based in Billund, Denmark, provides an interesting case of a company combining mass customization configuration and open innovation. Originally acclaimed for its modular
product architecture, the company provided users since its foundation the possibility to create
almost unlimited designs. However, the relationship between the company and its users was following the conventional, disconnected transaction marketing approach. Also, all parts and logo kits
were produced in a built-to-stock model. In recent years, Lego faced serious difficulties to forecast
its products. Also, it was in a need to differentiate itself to more “modern” educational toys like children computers etc.
To get inspiration for new products and connect closer with its users, the company had a great
source of inspiration: Totally independent by the company, a Lego user community called LUGNET
has been built by fanatic adult users of Lego. Lugnet is one of the best examples of a community
where users co-create and co-design based around a manufacturer’s products. Its members do
not only swap parts or share pictures of their individual models, but also developed collaboratively a design software (open source) to create great expert constructions. Also, a whole number of
small user shops sell unique models and designs. When Lego introduced its Mindstorms Robotic
toys, after several years of development, some users “hacked” the robotic kit and improved the
performance of the construction kit and its processing capabilities by several dimensions in just a
few weeks (this is one of the best documented and fascinating of user innovation). All these user
activities, however, were not facilitated or really utilized by Lego.
But finally, the Lego Company introduced a similar offering combining mass customization and
open innovation: In August 2005, Lego announced the opening of LEGO factory, a very advanced
toolkit for user (children) innovation and co-design. The Lego Factory combines several trends and
developments which were before invented in the user domain, and which are now incorporated into
a business model of the company. At Lego Factory, users can create their own unique Lego models
– using interactive software that helps them to overcome the engineering problem of combining
basic modular elements (Lego bricks) into a new creation. Then, the company manufactures the
bricks necessary for the model and ships them to users so they can assemble their models.
Customers can also buy the bricks necessary to build from other people’s designs, which are
posted on the site. Lego Factory is based on a toolkit for user co-design, called Lego Designer, a
free, downloadable, 3D modeling program that lets users choose from digital collections of bricks
to compose their own unique models.
In addition, the site finally features real open innovation at Lego: It highlights the fact that the company is now selling Lego sets which are designed by other Lego users. Children can not only create their own unique designs, and order the corresponding bricks in a customized set with the help
of their father’s credit card, but can also submit these designs to the company. Lego may then produce an extraordinary design as a mass product for other children as well. This ideas has been
also tested before (in the German Lego catalog, some user designed Lego sets were included
since 2003), but never utilized in large scale.
But the story continues further: Already 15 days after its launch, the Lego Designer software was
hacked. The problem was that Lego used a simple algorithm to assign bricks to a user’s unique
creation. Instead of matching the blueprint with the exact number of the correct bricks, the Lego
assembly center has pre-packed packages of bricks, and matches a user’s designs with these
packages. The result: Users often had to pay for far more pieces than they really needed. At the
same time, they were missing a few others that were integral to the creations, and had to purchase more packages. That made designing and buying models sometime very costly. While a child
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using her father’s credit card wouldn’t bother with this problem, adult fans of Lego, who adopted
the Lego Factory rapidly, did.
So the adult Lego community became innovative: They collected information about the exact combination of each brick package (called a palette in Leo Factory language) and compiled this information in a database that lists which bags must be purchased in order to collect specific bricks. On
top comes an algorithm that optimizes the number of bricks based on a user’s design by making
modifications in the design or at least promoting a warning if a user selects a part that would cause
an additional order of a package of bricks.
In an article* about this user initiative on CNET Networks, the author Daniel Terdiman quotes Dan
Malec, one of the user developers (Malec is a software engineer from Stow, MA): “You’d see a lot
of fan creations [on Lego factory] costing $400 or $500 because fans are not using the bags efficiently. If you could see it at the bag level (instead of the larger digital palettes offered by Lego),
maybe you might make a different decision. Maybe (instead of buying) that one piece which takes
a whole bag that you’re not going to use, you might choose a different bag.”
So users created a very beneficial addition to the company’s offering, however once that undermines Lego’s sales opportunities. But most astonishing, Lego’s reaction has been largely positive.
Terdiman quotes a Lego executive that “the adult community found out within a few days (of the
Lego Factory launch) how these bags were mixed together. It was a puzzle to us. They took us
completely by surprise.” But the Lego manager added: “We really encourage and embrace some
modifications of our software.” And while in the moment Lego has not incorporated the development of the Lego fan community into its proprietary Designer software, it may do so in the future:
“It’s not surprising to us that they’re doing the hacking, because that was the hope, that they would
take the core of what we’re doing and own the system” for themselves, Jacob McKee, Lego’s global community relations specialist is quoted in the CNET Networks article. “We want to release
more and more content and development tools to help that process along. The hope is that they
really start to take this on and start to do things we haven’t even thought of yet.” This is really an
astonishing remark and could serve as a role model for many other companies who often fight
against user modifications and do not recognize the input from the company.
* Daniel Terdiman: Lego Factory hacked. CNET News.com, September 15, 2005 [http://tinyurl.com
/bnflw]
Kasten 4–10:
Literaturempfehlungen zur Gestaltung der Kundeninteraktion bei Mass
Customization
„
Dellaert, Benedict G.C. / Stremersch, Stefan (2005). Marketing mass customized products:
Striking the balance between utility and complexity. Journal of Marketing Research, 43 (2005)
2 (May): 219-227.
„
Franke, Nikolaus / Piller, Frank (2004). Toolkits for user innovation and design: An exploration
of user interaction and value creation. Journal of Product Innovation Management, 21 (2004)
6 (November): 401-415
„
Gerschenfield, Neil (2005): Fab: The coming revolution on your desktop — from personal computers to personal fabrication. New York: Basic Book 2005.
„
Randall, Taylor / Terwiesch, Christian / Ulrich, Karl T (2005). User design of customized products. Wharton School Working Paper, 2005 (Forthcoming in: Marketing Science).
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Fallstudien zur interaktiven
Wertschöpfung
Dieser Fallstudienteil soll die vorangehenden Kapitel praxisbezogen konkretisieren
und Einblick geben, wie Unternehmen heute schon die zuvor dargestellten Wertschöpfungsprinzipien nutzen. Alle Fallstudien enden mit Diskussionsfragen, die eine
weiterführende Auseinandersetzung erlauben. Auf der Internetseite zum Buch finden
sich laufend weitere neue Fallbeispiele und Aktualisierungen zu den hier vorgestellten
Fällen. Aufgrund des Umsetzungsstands der Interaktiven Wertschöpfung in der
Industrie beziehen sich die meisten dieser Fallstudien auf eine Produktindividualisierung, da hier besser dokumentierte Beispiele von Unternehmen vorliegen.
5.1
Von Mass Customization zu Open Innovation
bei der Adidas-Salomon AG
Die Adidas-Salomon AG (‘Adidas’ im Folgenden) ist ein Vorreiterunternehmen im Bereich
der interaktiven Wertschöpfung. Bereits in den 1990er Jahren wurde unter dem Namen
‘mi adidas’ ein erfolgreiches Mass-Customization-Programm entwickelt und seit 2000
erfolgreich am Markt platziert. Grundidee von ‘mi adidas’ ist es, Schuhe, die an die individuellen Bedürfnisse des Trägers angepasst sind, nicht wie bislang nur professionellen
Athleten, sondern allen Kunden anzubieten. Aus den Erfahrungen, die Adidas im
Rahmen der ‘mi adidas’ Aktivitäten im Bereich Kundenintegration gewinnen konnte, entstand die Idee, die Kunden nicht nur im Rahmen eines gegeben Lösungsraumes in die
Wertschöpfung einzubeziehen, sondern sie auch im Sinne von Open Innovation aktiv in
den Innovationsprozess zu integrieren. Zu diesem Zweck wurde ein internet-gestützter
Ideenwettbewerb entwickelt, der auch der Identifikation von Lead Usern dienen kann.
Die folgende Fallstudie beschreibt zunächst das ‘mi adidas’ Programm. Anschließend
wird der Innovationswettbewerb dargestellt. Dieser setzt auf dem ‘mi adidas’ Programm
auf, steht jedoch streng genommen nicht mit der Mass-Customization-Idee in
Verbindung. Allein aus Gründen der einfacheren Pilotierung wurde bei Adidas die OpenInnovation-Initiative (recht konsequent) auf dem bestehenden Angebot zur Produktindividualisierung aufgesetzt. In der Zukunft können aber weitere Innovationswettbewerbe auch in anderen Produktbereichen nach ähnlichem Schema stattfinden.1
1
Diese Fallstudie wurde von Dominik Walcher und Frank Piller zu Illustrations- und
Lehrzwecken erstellt und kann ein vereinfachtes oder modifiziertes Abbild der Wirklichkeit
darstellen. Sie berichtet nicht wirklichkeitsgetreu über derzeitige und zukünftige Aktivitäten
des dargestellten Unternehmens.
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Unternehmensdarstellung
Die Ursprünge der Adidas-Salomon AG gehen bis in das Jahr 1920 zurück, als Adi
Dassler in einer Werkstatt in Herzogenaurach seinen ersten Leinen-Turnschuh fertigte.
In den folgenden Jahren konzentrierte er sich auf die Herstellung von Spezialschuhen
für die Sportarten Fußball und Leichtathletik, wobei er als Erster Schuhe mit Stollen
und Dornen auf den Markt brachte. Bereits 1928 wurden Schuhe von Adi Dassler bei
Olympischen Spielen getragen. 1937 umfasste das Sortiment über 30 verschiedene
Modelle für insgesamt elf Sportarten. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Adi Dassler
1948 mit 47 Mitarbeitern die Schuhproduktion wieder auf. Als Produktnamen wählte
er die beiden ersten Silben seines Vor- und Zunamens. 1949 fand die offizielle
Eintragung des Namens Adidas in das Handelsregister statt. Ebenso wurden im selben
Jahr die drei Streifen als Markenzeichen angemeldet. Nach fast 70 Jahren schied die
Familie Dassler 1989 aus dem Unternehmen aus. Im November 1995 ging das
Unternehmen an die Börse und fusionierte zwei Jahre später mit der Salomon Gruppe
zur Adidas-Salomon AG. Insgesamt umfasst das Portfolio des Unternehmens die
Marken:
„
Adidas (Sportschuhe, Sportbekleidung und Zubehör),
„
Salomon (Skier, Bindungen, Inlineskates und Bergstiefel),
„
TaylorMade (Golfschläger, Golfbälle und Zubehör),
„
Mavic (Fahrradkomponenten) und
„
Erima (Sporttextilien).
Im Mai 2005 gab das Unternehmen den Verkauf der Sparte Salomon an den finnischen
Sportartikelhersteller Amer Sports für 485 Mio. Euro bekannt und kündigte wenige
Monate später den Kauf des amerikanischen Konkurrenten Reebok an. Mehr als 110
eigene Tochterunternehmen, Joint Ventures und Lizenznehmer sorgen weltweit für die
Distribution der Produkte in den fünf Regionen Europa/Naher Osten, Afrika,
Nordamerika, Asien/Pazifik und Lateinamerika. Insgesamt arbeiten über 17.000
Menschen für das Unternehmen.
Verkaufte Adidas im Jahre 1990 mehr als 80 Mio. Schuhe und 150 Mio. Kleidungsstücke, so stieg diese Zahl im Jahre 2004 auf mehr als 110 Mio. Paar Schuhe an. Der
Umsatz im Jahr 2004 betrug 6,5 Mrd. Euro mit einem Jahresüberschuss von 314 Mio.
Euro. Das Unternehmen ist damit Europas größter Sportschuhhersteller. Mit der 3,1
Mrd. Euro teuren Akquisition von Reebok kommt Adidas auf 28 Prozent des weltweiten Sportschuhmarkts, der ein Volumen von 11,5 Milliarden Dollar hat, und verringert
seinen Abstand zum weltgrößten Sportschuhhersteller Nike, der einen Marktanteil von
31 Prozent besitzt.
Neben Adidas (einschließlich Reebok) wird der internationale Schuhmarkt von den
Unternehmen Nike, Asics und Puma bestimmt. Allen Marken ist gemeinsam, dass sie
die Schuhproduktion seit Jahren ins Ausland (meist Asien) verlagert haben. Die verbliebenen Kernkompetenzen der Unternehmen liegen in der Erkennung von
Markttrends sowie der Entwicklung neuer Produkte. Mit dem Outsourcing der
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Produktion verfolgten die Unternehmen das Ziel, durch Kostenoptimierung auf die
schwierige Marktsituation zu reagieren. So machen sich gerade im Schuhbereich einschneidende gesellschaftliche Veränderungen wie wachsende Individualisierungswünsche, Konsum-Hedonismus, Erlebnisorientierung und ein Trend zu LifestyleProdukten bemerkbar. Darüber hinaus setzen neue, modische Unternehmen etablierte
Marken wie Adidas unter Druck. Außerdem verlangen immer mehr Konsumenten
hochqualitative Schuhe für weniger Geld, wobei die Bindung der Kunden an ein
Unternehmen stetig nachlässt.
Die Reaktion der Schuhhersteller auf diese Kundenanforderungen lag innerhalb der
letzten Jahre darin, die Zahl der angebotenen Varianten enorm zu erhöhen. Eine
Variantenzunahme hat jedoch eine steigende Prognose- und Planungsunsicherheit zur
Folge. Die Konsequenzen sind kostenintensive Lagerbestände, ein zunehmendes
Moderisiko, eine hohe Komplexität in der Zulieferkette und immer höhere Discounts,
um Überproduktionen abzuverkaufen. Dazu kommen verlorene Umsätze für Schuhe,
die trotz großer Nachfrage nicht in ausreichenden Mengen oder richtigen Größen verfügbar sind. Die Adidas Führung reagierte Mitte der 1990er Jahre auf diese Situation
mit dem Entschluss, mit Mass Customization eine neue Form der Wertschöpfung zu
verfolgen, um sich den verschärften Marktanforderungen zu stellen.
mi adidas
Adidas startete im Jahr 2000, nach einer zweijährigen Vorbereitungsphase, das MassCustomization-Projekt ‘mi adidas’. Zunächst wurde die Möglichkeit der
Schuhindividualisierung nur für den Bereich Fußball und Laufen angeboten, eine
Erweiterung des Angebots auf andere Sportarten wie etwa Tennis war aber von Anfang
an geplant.
Kasten 5–1:
Die Konkurrenz: Mass Customization bei Nike
Der weltweit größte Sportartikelhersteller Nike praktiziert schon seit Ende des Jahres 1999 eine
Individualisierungsstrategie im Sportschuhbereich unter dem Namen NikeID. Über seine
Internetseite bietet das Unternehmen unterschiedliche Modelle aus den Bereichen Laufen, Fußball
und Basketball zur Online-Konfiguration durch den Kunden an. Die angebotenen Schuhe basieren
dabei auf den normal erhältlichen Serienmodellen und können lediglich in der Farbgebung sowie
durch einen eigenen Schriftzug vom Kunden individualisiert werden. Eine Visualisierung zeigt, wie
der Schuh später aussehen wird. Hat sich der Kunde für eine Farbkombination und einen
Schriftzug, der aus bis zu acht Zeichen bestehen kann, entschieden, kann er noch seine Schuhgröße angeben und die Bestellung mit der Eingabe seiner Lieferadresse abschließen. Etwa fünf
Wochen später erfolgt die Auslieferung per UPS. Preislich liegt der an die Gestaltungswünsche
des Kunden angepasste Schuh mit zusätzlichen $10 nur geringfügig über dem des Standardmodells.
Im Vergleich zu Nike (Kasten 5–1) geht ‘mi adidas’ insichtlich Produktindividualisierung noch einen bedeutenden Schritt weiter: Der Kunde kann nicht nur zwischen
verschiedenen Farbgestaltungen und Schriftzügen für den gewünschten Schuh wäh259
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len, sondern auch mit Hilfe von verschiedenen statischen und dynamischen
Messsystemen die exakte Länge und Breite seiner Füße sowie die Besonderheiten seines Laufstils bestimmen lassen. Ein derartiger Service, bei dem auf die Wünsche des
Kunden hinsichtlich Passform (fit), Funktion (performance) und Aussehen (design)
eingegangen wird, war bislang nur professionellen Athleten vorbehalten.
Die Schuhe werden zu einem Preis angeboten, der etwa 30 bis 50 Prozent über dem des
Standardschuhs liegt. Die Erhebung der Individualisierungsinformationen erfolgt in
den Verkaufsräumen von Sporthäusern an einem mobilen Konfigurationsterminal, der
so genannten ‘mi adidas’ Unit. Diese Units samt Betreuungsteam können von
Sporthändlern für einen Zeitraum von wenigen Tagen bis mehreren Wochen gebucht
werden. Zusätzlich werden die Units auch bei Sportgroßereignissen wie beispielsweise
Marathonläufen aufgebaut. Darüber hinaus plant Adidas die Zahl seiner ConceptStores, zu deren Ausstattung eine fest installierte ‘mi adidas’ Unit gehört, weltweit auszubauen.
Allen Terminals ist gemein, dass speziell ausgebildete Produkttrainer die kundenindividuellen Anforderungen erfassen. Die Termine, an denen eine Unit in einem
Sportgeschäft aufgebaut wird, werden im Vorfeld auf der Adidas-Website und durch
den Sporthändler bekannt gegeben. Das Terminal besteht aus einem statischen
Präzisionsmessgerät, mit Hilfe dessen die Fußlängen und -breiten bestimmt werden,
einer Sensormatte, dem so genannten Footscan-System, mit dem die dynamische
Druckverteilung der Füße ermittelt wird, einem Laptop, der die Informationen sammelt und verarbeitet sowie einem Regalsystem mit mehreren hundert Probeschuhen.
Die Erhebung der kundenindividuellen Daten wird in mehreren Schritten durchgeführt (Abbildung 5–1):
„
Im ersten Schritt erfolgt die Erfassung der genauen Länge und Breite jedes Fußes.
Dies geschieht mit dem Messsystem, auf das sich der Kunde zu Beginn des
Konfigurationsprozesses nach Ausziehen seiner Schuhe stellen muss. Es hat sich
gezeigt, dass bei der Mehrheit aller Kunden die Maße der beiden Füße nicht übereinstimmen. So wurden zum Teil Abweichungen von bis zu drei Zentimetern in der
Länge gemessen, eine Tatsache, die wiederum das Anbieten individuell angepasster Schuhe noch sinnvoller erscheinen lässt.
„
Im nächsten Schritte erfolgt die Untersuchung des Laufverhaltens. Hierzu wird der
Kunde aufgefordert, mehrmals ohne Schuhe so über die Footscan-Matte zu laufen,
wie es seinem gewöhnlichen Stil entspricht. Die durch das dynamische Messsystem
ermittelte Druckverteilung der abrollenden Füße wird dem Produkttrainer am
Computerbildschirm sofort visualisiert und er kann dem Kunden die
Besonderheiten seines Laufstils erläutern.
„
Anschließend erfolgt das Testen eines Probeschuhs. Ein wesentlicher Bestandteil
der Unit sind die Regale mit den Probeschuhen. Nach Eingabe der Maße und
Bestimmung des Laufverhaltens schlägt der Computer einen Schuh für jeden Fuß
vor, welcher vom Produkttrainer dem Kunden zum Anprobieren zur Verfügung
gestellt wird. Hier hat der Kunde die Möglichkeit, den vom System bestimmten
Schuh auszuprobieren und Änderungswünsche zu äußern.
260
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„
Der nächste Schritt besteht aus der Auswahl des individuellen Schuhdesigns. Am
Computerbildschirm wird ein ungestalteter, weißer Basis-Schuh dargestellt, der
sich in alle Richtungen drehen und wenden lässt. Der Kunde kann nun verschiedene Bereiche des Schuhs wie beispielsweise Zunge, Oberleder, Streifen etc. auswählen und auf einer Farbpalette eine von 50 verschiedenen Farben wählen. Schließlich
hat er die Möglichkeit. auf jeden Schuh ein Monogram mit maximal acht Zeichen
(Buchstaben oder Zahlen) sticken zu lassen.
„
Im letzten Schritt erfolgt die Erfassung der persönlichen Daten des Kunden; auch
werden Zahlungs- und Auslieferungsmodalitäten besprochen. Alle erhobenen
Konfigurationsdaten werden an die Adidas-Zentrale in Herzogenaurach übermittelt, von wo sie zur Produktion nach Asien weitergeleitet werden.
Abbildung 5–1: Der ‘mi adidas’-Konfigurationsprozess
Nach etwa drei bis vier Wochen erfolgt die Lieferung der individualisierten Schuhe an
den Sporthändler, in dessen Räumen die Konfiguration stattgefunden hat. War der
Sporthändler im Vorfeld der ‘mi adidas’-Aktion für Werbemaßnahmen, Termin261
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5
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
vereinbarungen und das Entgegennehmen einer Anzahlung zuständig, so ist er nach
Lieferung der Schuhe dafür verantwortlich, die Kunden zu benachrichtigen und den
Restbetrag bei Abholung der Schuhe entgegenzunehmen. Sollten in der Nachkaufphase Fragen oder Beanstandungen auftreten, so wird als erstes der Sporthändler kontaktiert.
Bei der ‘mi adidas’-Individualisierungsmethode handelt es sich wie beim NikeIDSystem um eine individuelle Modularisierung. Hierbei kann der Kunde aus einer fixen
Anzahl von Modulen unterschiedlicher Ausprägung, die auf einem Basisprodukt aufbauen, wählen. Beim Laufschuh „Supernova“ erfolgt die kundenindividuelle
Anpassung des Grundmodells beispielsweise durch die Kombination der fünf
Komponenten (1) Länge, (2) Breite, (3) Stützsystem, (4) Farbgebung und frei wählbarer
(5) Schriftzug. Bei der Länge werden 24 verschiedene Ausprägungen, so genannte
Graduierungen, unterschieden, die jeweils um 4,23 Millimeter variieren. In der Breite
hat der Kunde die Wahl zwischen vier Ausprägungen: schmal, mittel, weit und extraweit. Bezüglich des Laufverhaltens besteht im Falle einer festgestellten Überpronation,
d. h. wenn der Läufer verstärkt über die Innenseite des Fußes abrollt, die Möglichkeit,
ein zusätzliches Stützsystem einarbeiten zu lassen. Das Individualisierungskonzept
von ‘mi adidas’ kann als ein so genanntes match-to-order-System bezeichnet werden.
Die verschiedenen Ausprägungen der Module sind zum größten Teil bereits vorgefertigt. Sie werden also schon produziert, ohne dass ein spezieller Kundenauftrag vorliegt. Sobald der Auftrag eingeht, beginnt die Herstellung des Schuhs, indem die
gewünschten Module kombiniert werden. Die Farbgebung und Erstellung der
Stickereien erfolgt durch flexible Fertigungsverfahren. Es wird also nicht für jeden
Kunden ein eigener Leisten entwickelt, wie es bei einer kundenindividuellen
Einzelfertigung (made-to-order) der Fall wäre, sondern der Fuß eines Kunden wird
einem vorhandenen Leisten zugeordnet. Insgesamt hat der Kunde pro Schuh die
Auswahl aus über 192 Kombinationen für die individuellen Anforderungen an
Passform (Fit) und Leistungsverhalten (performance). Addiert man die Möglichkeiten
beim Design hinzu, sind schnell mehrere Millionen Kombinationen erreicht.
Das Open-Innovation-Projekt mi-adidas-und-ich
Dieses mi adidas System wurde ungeachtet einiger Start-Probleme von den Kunden
gut angenommen und ist inzwischen im Unternehmen etabliert. Zwar ist ‘mi adidas’
im Vergleich zu den anderen Produktgruppen noch ein recht kleines Programm (aus
Sicht des Umsatzes), jedoch hat es im Unternehmen eine wichtige Vorreiterfunktion:
Zunächst dient es als Aushängeschild der Marketingabteilung, um die Innovativität
und Fortschrittlichkeit der Marke Adidas herauszustellen. Weiterhin gewinnt Adidas
als Unternehmen durch die direkte Interaktion mit den Kunden wichtige Erfahrungen
für eine kontinuierliche Verbesserung des Produktprogramms. ‘mi adidas’ hat sich
aber vor allem auch als Experimentierplattform für das Unternehmen bewährt, wo
weitergehende Aktivitäten getestet werden. Hierzu gehört ein Programm in Bereich
Customer Relationship Management (CRM), aber auch der Ideenwettbewerb mi-adidas-und-ich, der im Mittelpunkt der weiteren Ausführungen dieser Fallstudie steht.
Die Entscheidung der Verantwortlichen, ein Open Innovation-Projekt durchzuführen,
basiert im Wesentlichen auf drei Faktoren:
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Von Mass Customization zu Open Innovation bei der Adidas-Salomon AG
1. Kundennähe: Spricht man mit Verantwortlichen bei Adidas, so gelangt man sehr
schnell zu der Erkenntnis, dass es sich bei den zentralen Kunden des Unternehmens
um Großabnehmer wie Karstadt, Footlocker etc. handelt. Das Unternehmen ist beinahe zu hundert Prozent im B2B-Markt tätig. Der Kontakt zu den Endkunden findet aus
diesem Grund nur sehr begrenzt und fast ausschließlich über Intermediäre statt. Die
kundenindividuellen Konfigurationen bei ‘mi adidas’ basieren jedoch auf der direkten
Interaktion mit dem Konsumenten und stellen somit eine Prozessinnovation innerhalb
des traditionellen Geschäftsmodells dar. Schon zu Beginn der Konzeption von ‘mi adidas’ wurde aufgrund dieser – durch die Integration des Endkunden in den
Leistungserstellungsprozess entstehenden – Kundennähe ebenfalls die Integration des
Kunden in den Innovationsprozess als logische Konsequenz eingeplant.
2. Ausbau der CRM-Aktivitäten: Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der
Schuhmarkt von einem immensen Wettbewerbsdruck sowie einer stetig wachsenden
Käufermacht beherrscht wird, sehen sich gerade die großen Hersteller gezwungen,
trotz ihres traditionellen Schwerpunkts im B2B-Geschäft, verstärkt auf die Bedürfnisse
der Endkonsumenten einzugehen und lang anhaltende Kundenbeziehungen aufzubauen. Der Ausbau von Aktivitäten innerhalb des Customer Relationship Managements (CRM) ist deshalb von hoher strategischer Wichtigkeit. CRM kann allgemein
als bereichsübergreifende, meist IT-unterstützte Geschäftsstrategie definiert werden,
die auf den systematischen Aufbau und die Pflege dauerhafter und profitabler
Kundenbeziehungen abzielt. Die im Projekt vorgesehene Entwicklung einer internetbasierten Interaktionsplattform zur Gewinnung von Kundenfeedbacks stellt ein CRMTool par excellence dar, weshalb das Projekt von Anfang an die Zustimmung aller
Verantwortlichen besaß und mit großem Interesse verfolgt wurde.
3. Entwicklungspotenziale: Auf Grund der Tatsache, dass es sich bei ‘mi adidas’ um
eine relative junge Initiative handelt (Markteinführung in 2000), ergeben sich zahlreiche Bereiche, innerhalb derer Verbesserungen bestehender Prozesse sowie komplette
Neuerungen einen echten Mehrwert darstellen und somit sehr willkommen sind. Das
Durchführen eines Open-Innovation-Projekts ist somit nicht nur zum Aufbau von
Kundenbeziehungen wichtig, sondern liefert darüber hinaus auch konkrete Vorschläge
zur Optimierung des betrieblichen Leistungsangebots.
Initiierung und Aufbau des Projektes
Nach einer Abwägung verschiedener Alternativen wurde ein internetbasierter
Ideenwettbewerb als die beste Methode zur Pilotierung einer Integration der Kunden
in die Produktentwicklung ausgewählt. Die Entscheidung, den ‘mi adidas’-Geschäftsbereich zum Objekt der Innovation zu machen, erlaubt dabei eine weitere Besonderheit: Der Ideenwettbewerb konnte so gestaltet werden, dass kreative Beiträge zur
Verbesserung bzw. Neuausrichtung des bestehenden Kaufvorgangs einschließlich der
Nachkaufphase eingesendet werden konnten. Der Fokus lag somit auf Dienstleistungsund nicht auf Produktinnovationen. Gerade im Bereich der Gestaltung innovativer
Dienstleistungen sieht Adidas für die Zukunft große Wachstumsfelder, zugleich ist
hier aber relativ wenig internes Know-how vorhanden (im Vergleich zur technischen
Produktentwicklung).
263
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
mi-adidas-und-ich wurde im Juni 2004 offiziell gestartet und die ersten Kunden zur
Teilnahme eingeladen. Während der Durchführung des Projektes wurde der letzte
Schritt im Konfigurationsprozess durch die Aufklärung des Kunden über das Projekt
ergänzt, wobei unter anderem ein Informationsblatt mit den wichtigsten Details ausgeteilt wurde. Grundsätzlich wurde dabei folgender organisatorischer Ablauf verfolgt:
„
Mit dem Projektstart wurde der Kunde am Verkaufsterminal darauf hingewiesen,
dass er in den nächsten Tagen via Email zur Teilnahme am Projekt eingeladen wird.
Die Teilnahme war gemäß den Vorgaben der Adidas-Verantwortlichen ausschließlich für mi adidas-Kunden im deutschsprachigen Raum für den beschränkten
Zeitraum von sechs Monaten vorgesehen.
„
Hinsichtlich des Sportschuhtyps wurden keinen Einschränkungen gemacht, so
dass sowohl Käufern von Laufschuhen als auch von Fußballschuhen teilnehmen
konnten.
„
Um nur den ‘mi adidas’-Kunden den Zugang zu der Plattform zu gewähren, wurden in der Einladungsmail die persönlichen Zugangsdaten übermittelt. Nahm der
Kunde innerhalb von sieben Tagen nicht teil, so wurde eine einmalige
Erinnerungsmail versandt.
„
Die Preise für die von einer Adidas-internen Jury ermittelten drei besten Einsendungen bestanden aus einer Einladung nach Herzogenaurach mit Einkaufsgutscheinen im Wert von je 250,-€.
Abbildung 5–2: Aufbau der Gestalte-Seite des Ideenwettbewerbs
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Hat sich der Kunde erfolgreich mit den in der Email enthaltenen Zugangsinformationen angemeldet, so gelangt er auf eine personalisierte Website, auf der er weitere Informationen zum Projekt erhält und wird schließlich zum Ideenwettbewerb weitergeleitet. Grundsätzlich ist der Ideenwettbewerb in zwei Bereiche geteilt:
„
Zum einen gibt es den Bereich Gestalte, bei dem der Kunde seine kreativen
Beiträge systematisch formulieren kann,
„
zum anderen findet sich der Bereich Bewerte, bei dem der Kunde die Möglichkeit
hat, die Ideen anderer Teilnehmer zu bewerten und fortzuführen.
Die systematische Ideenformulierung im Gestalte-Bereich wird durch eine Visualisierung der wichtigsten Stationen des Kaufprozesses und Situationen der Nachkaufphase unterstützt. Abbildung 5–2 zeigt den Aufbau der Gestalte-Seite des
Ideenwettbewerbs.
Um die Ideen der Kunden zu strukturieren, werden zur jeder Phase des ‘mi adidas’Interkationsprozesses stichwortartig einige ausgewählte Teilschritte genannt.
Insgesamt werden der Kaufprozess und die Nachkaufphase in zwölf Einzelschritte
aufgeteilt:
„
Beim ersten Schritt Termin können Beiträge zu Gegebenheiten im Vorfeld des
eigentlichen Kaufprozesses eingesendet werden. Ausgesuchte Stichworte hierzu
sind ‘mi adidas’-Werbeaktivitäten, Websitegestaltung und Terminvereinbarungsmodalitäten.
„
Gestaltung: Wahrnehmung des Geschäfts, Platzierung des Verkaufsterminals,
Gestaltung des Terminals etc.
„
Anmeldung: Wahrnehmung des Produkttrainers, Empfang, Wartezeit bis Vermessung, Registrierung etc.
„
Scanning: Fußvermessung, Footscan etc.
„
Fitting: Visualisierung der Fußformen, Erläuterung der Stützsysteme, Identifikation der Schuhe, Auswahl und Test der Probeschuhe etc.
„
Design: Beratung am PC, Farbauswahl, Stickerei etc.
„
Kaufabschluss: Bestellung, Mappe mit Zertifikat, Ende der Individualisierung,
Anzahlung beim Händler etc.
„
Produktion: Wartezeit, Benachrichtigung durch Händler etc.
„
Auslieferung: Abholung und Begutachtung der Schuhe etc.
„
Einsatz: Schuhe im Einsatz, Zufriedenheit mit den Schuhen, Probleme mit den
Schuhen, Abnutzung der Schuhe etc.
„
After Sale Services: Reorder, Newsletter, Hotline etc.
„
Advanced Services. Bei diesem letzten Schritt hat der Kunde die Freiheit, weitergehende Vorschläge, die keiner anderen Situation zuzuordnen sind, einzusenden.
265
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Mit Hilfe einer On-Mouse-Over-Funktion wird dem Kunden beim Überfahren der
Bilder angezeigt, um welche Situation und Teilschritte es sich im Speziellen handelt.
Nach Auswahl einer Station durch Anklicken des Bildes hat der Kunde die
Möglichkeit, in ein Titelfeld eine passende Überschrift für seinen Beitrag zu schreiben
und in einem darunter erscheinendem Freitextfeld seine kreativen Gedanken in beliebiger Länge auszuformulieren.
Nach Absenden der Idee gelangt der Kunde zurück auf die Startseite, wo er eine weitere Idee eingeben oder im Bereich Bewerte die Ideen anderer Kunden beurteilen kann.
Der Kunde hat die Möglichkeit, diese Beiträge anhand verschiedener Beurteilungsdimensionen zu bewerten. Darüber hinaus kann er den Beitrag durch Eintrag in ein
Freitextfeld kommentieren oder fortsetzen. Ursprüngliche Idee, wie auch Bewertung
und Kommentar, sind für alle anderen Kunden einsehbar.
Die Durchführung des mi-adidas-und-ich Projekts stellte für adidas selbst eine radikale Prozessinnovation dar, die von zahlreichen Unsicherheiten begleitet war. Ziel des
Projekts war es demgemäß, festzustellen, ob die Kunden sich überhaupt an dem
Projekt beteiligen (Teilnahmeverhalten) und ob die beim Ideenwettbewerb eingesandten Beiträge überhaupt kreativ sind (Leistungsverhalten).
Teilnahmeverhalten
Innerhalb der sechsmonatigen Projektphase wurden an insgesamt 774 Kunden
Einladungen zur Teilnahme versendet. Folgende Auflistung gibt eine Übersicht über
die Beteiligungsquoten:
„
Beim Ideenwettbewerb wurden insgesamt 103 Beiträge eingesendet, wobei sich
zeigte, dass 82 Beiträge als sinnvoll bezeichnet werden können.
„
Die 21 ausgeschlossenen Beiträge stellen mehr oder weniger ernst gemeinte
Einträge dar, die vermutlich überwiegend zum Testen des Systems getätigt wurden.
„
Die 82 verwertbaren Beiträge wurden von insgesamt 57 Personen verfasst. Dies
beruht auf der Tatsche, dass einige Personen mehrere Beiträge eingesandt hatten.
„
Jeweils eine Idee wurde von 38 Personen, jeweils zwei Ideen wurden von 15
Personen und jeweils 3 Ideen wurden von 3 Personen eingesandt. Eine Person verfasste sogar fünf kreative Beiträge.
Es zeigte sich, dass die Themen der Einsendungen über alle zwölf Stationen unterschiedlich verteilt waren: 7 Beiträge für Termin, 4 Beiträge für Gestaltung, 6 Beiträge
für Anmeldung, 8 Beiträge für Scanning, 9 Beiträge für Fitting, 12 Beiträge für
Design, 3 Beiträge für Abschluss, 9 Beiträge für Produktion, 6 Beiträge für Lieferung,
2 Beiträge für Einsatz, 6 Beiträge für After Sale und 10 Beiträge für Advanced
Services. Abbildung 5–3 gibt eine Übersicht der Verteilung der 82 Beiträge auf die
zwölf Stationen:
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Abbildung 5–3: Verteilung der Ideen auf die unterschiedlichen Phasen
12
12
10
Anzahl Personen
10
8
9
9
8
7
6
6
6
6
4
4
3
2
2
Termin
Anmeldung
Fitting
Abschluss
Lieferung
After Sale
Gestaltung
Scanning
Design
Advanced
Einsatz
Produktion
Leistungsverhalten
Neben der reinen Feststellung der Beteiligungszahlen muss darüber hinaus auch die
Qualität der eingesandten Ideen – also, ob die Beiträge überhaupt kreativ sind – überprüft werden. Hierzu bewerteten fünf Adidas-interne Experten die Beiträge an Hand
der vier Dimensionen Originalität, Kundennutzen, Anzahl der Nutznießer und
Ausarbeitungsgrad. Die Beurteilung erfolgte auf einer siebenstufigen Skala, wobei 0
für keine Ausprägung und 6 für eine sehr hohe Ausprägung stand. Der Gesamtscore
ergab sich durch Addition der Einzelscores. Aufgrund der Tatsache, dass fünf Experten
bei vier Dimensionen Werte zwischen null und sechs verteilt hatten, ergab sich ein
Maximalscore von 120 (= 5 Experten x 4 Bewertungsdimensionen x 6 max. Punkte) und
ein Minimalscore von null. Auf Basis dieser Gesamtscores konnten alle 82 Beiträge in
eine Reihenfolge gebracht werden. Da einige Teilnehmer mehrere Ideen eingesandt
hatten, wurde beschlossen, jeweils nur den Beitrag mit dem höchsten Score zu verwenden, da dies der für die Untersuchung relevanten Maximalleistung des Kunden entsprach. So wurden die 57 Teilnehmer des ‘mi adidas’-Ideenwettbewerbs gemäß ihrer
Kreativitätsleistung in eine finale Reihenfolge gebracht. Die Auswertung ergab einen
Maximalscore von 107 und einen Minimalscore von 51.
Zur Verdeutlichung wurden alle Einzelscores in Gruppen eingeteilt. Die Einteilung
erfolgte in Fünferschritten, so dass zwölf Gruppen von 50-54 bis 105-109 entstanden. Es
zeigte sich, dass die Scoreverteilung einer Normalverteilungskurve folgte. Anhand dieser Verteilung konnte eine übergeordnete Einteilung aller Beiträge in die Kategorien
Kommentare, Verbesserungsvorschläge und neue Ideen vorgenommen werden. Es
wurde festgelegt, die fünf von sehr geringer Kreativität geprägten Beiträge unterhalb
der Scoremarke von 65 als Kommentare, die 46 Beiträge mit Leistungsscores zwischen
267
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65 und 100 als Verbesserungsvorschläge und die sechs Beiträge über der Scoremarke
von 100 als neue Ideen zu bezeichnen (Abbildung 5–4).
Abbildung 5–4: Verteilung des Kreativscores
10
10
Number of Participants
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90%
8
7
8
10%
7
5
5
6
4
4
4
2
2
2
2
1
50
55
60
Comments (n=5)
65
70
75
80
85
90
Improvements (n=46)
95
100
105
110
115
Score
New Ideas (n=6)
Bewertung
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass ca. 10 Prozent der eingesandten Beiträge
als völlig neue Ideen klassifiziert werden konnten, worüber die AdidasVerantwortlichen sehr begeistert waren. Parallel zum Ideenwettbewerb wurden die
Teilnehmer innerhalb einer Fragebogenaktion nach ihren Motiven und Eigenschaften
befragt. Es zeigte sich, dass die Kunden der kreativen Spitzengruppe die Merkmale
von Lead Usern aufweisen (Querverweis). Der internetbasierte Ideenwettbewerb ist
demnach nicht nur eine geeignete Open Innovation-Methode zur Integration von
Kunden in den Innovationsprozess (=Sammlung von Ideen), sondern kann vom
Unternehmen auch zur Identifikation von Lead Usern eingesetzt werden. Konkret handelt es sich bei der Identifikation um eine Abfolge aus einem Selbst- und einem
Fremdselektionsprozess (Abbildung 5–5):
„
So nimmt nur ein Teil der Personen aus der angesprochenen Grundgesamtheit am
Ideenwettbewerb überhaupt teil (=Teilnahmeselektion). Die Personen entscheiden
eigenständig über ihre Teilnahme, was somit einer Selbstselektion entspricht.
„
Zum anderen treten aus der Menge dieser Teilnehmer nur einzelne Kunden auf
Grund ihrer besonderen Leistungen hervor (=Leistungsselektion). Diese Hochkreativen werden von einem Expertengremium ausgewählt, was einer Fremdselektion gleichkommt.
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Als Methoden der Lead User Identifikation wurden bereits das Screening und das
Pyramiding beschrieben (Abschnitt 3.5.1). Aufbauend auf den Ergebnissen des mi-adidas-und-ich Projekts kann der Ideenwettbewerb mit seinem doppelten Selektionsprozess als weitere Methode angeführt werden.
Abbildung 5–5: Der Ideenwettbewerb als Methode zur Identifikation von Lead Usern
Beim Ideenwettbewerb findet ein doppelter Selktionsprozess statt. Zum einen nimmt nur ein Teil der Personen aus der
angesprochenen Grundgesamtheit am Ideenwettbewerbteil überhaupt teil (=Selbstselektion). Zum anderen treten aus
der Menge dieser Teilnehmer wiederum nur Einzelne auf Grund ihrer besonderen Leistungen hervor, was wiederum von
einem Expertengremium ermittelt wird (=Fremdselektion).
Teilnahmeselektion
Ideenwettbewerb
Leistungsselektion
Fragen zur Diskussion der Fallstudie
„
Führen Sie eine Internetrecherche durch und betrachten Sie weitere Angebote zu Mass
Customization im Sportschuhbereich. Wodurch versuchen einzelne Anbieter, einen
Differenzierungsvorteil zu bekommen? Entwickeln Sie eine Klassifikation zur Angrenzung der
verschiedenen Angebote.
„
Vor welchen besonderen Herausforderungen bei der Markteinführung und Etablierung steht
Adidas mit seinem Produkt zur Individualisierung im Vergleich zu einem rein internetbasierten
System? Welche Vorteile erwachsen aber auch aus dem Adidas-Ansatz?
„
Welche Beziehungen sehen Sie zwischen ‘mi adidas’ und dem regulären Standard-Sortiment
des Unternehmens? Diskutieren Sie die Vorteile und Gefahren einer engen Integration von ‘mi
adidas’ mit dem Standardsortiment im Vergleich zu einer selbständigen organisatorischen
Verankerung des Programms?
„
Wie beurteilen Sie den mi-adidas-und-ich Wettbewerb? Welche Alternativen hätte es bei seiner Gestaltung gegeben? Wie kann Adidas eine Nutzen-Kosten-Abschätzung dieses Projektes
vornehmen?
„
Welche weiteren Ideenwettbewerbe kennen Sie? Wie können Sie diese klassifizieren?
269
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
„
Was sind wesentliche Erfolgsfaktoren für Adidas, um den Einbezug der Kunden in den
Innovationsprozess weiter auszubauen? Welche weiteren Instrumente könnten zum Einsatz
kommen?
„
Was sind die Unterschiede des in der Fallstudie dargestellten Ansatzes zur Identifikation von
Lead Usern im Vergleich zu anderen Methoden?
5.2
Wikipedia als Beispiel einer interaktiven
Wertschöpfung in Nutzer-Communities von
Informationsgütern
Wikipedia ist eine von freiwilligen Autoren verfasste, mehrsprachige, freie OnlineEnzyklopädie. Der Begriff setzt sich aus „Encyclopedia“ und „Wiki“ zusammen, einer
Software, mit der jeder Internetnutzer im Browser Artikel verbessern oder neu anlegen
kann. Bestand hat, was von der Gemeinschaft akzeptiert wird. Bisher haben international etwa 100.000 angemeldete Benutzer und eine unbekannte Anzahl anonymer
Mitarbeiter zum Projekt beigetragen, über 600 Autoren arbeiten regelmäßig an der
deutschsprachigen Ausgabe mit.[1]2 Das im Januar 2001 gegründete Projekt bezeichnet
sich als freie Enzyklopädie, weil alle Inhalte unter der GNU-Lizenz für freie
Dokumentation stehen, die jedermann das Recht einräumt, die Inhalte unentgeltlich –
auch kommerziell – zu nutzen, zu verändern und zu verbreiten. Es gilt als die umfangreichste Sammlung originär freier Inhalte. Betrieben wird das Projekt von der
Wikimedia Foundation, einer Non-Profit-Organisation mit Sitz in Florida, USA
Geschichte
Die erste belegte Idee, das Internet zur kooperativen Erstellung einer Enzyklopädie zu
verwenden, veröffentlichte Rick Gates am 22. Oktober 1993 im Usenet. Das als
Interpedia diskutierte Projekt, wie auch die 1999 von Richard Stallman, einem der
bekanntesten Vertreter der Freie-Software-Bewegung, angeregte GNUPedia kam über
das Planungsstadium allerdings nicht hinaus (siehe: Vorgänger der Wikipedia). Im
März 2000 startete der Internet-Unternehmer Jimmy Wales seinen Anlauf zu einer
Internet-Enzyklopädie. Er engagierte über die Firma Bomis, deren Teilhaber und
Geschäftsführer Wales damals war, den Philosophiedozenten Larry Sanger und rief
mit ihm als Chefredakteur die Nupedia ins Leben. Der Redaktionsprozess des Projekts
lehnte sich stark an den konventioneller Enzyklopädien an. Autoren mussten sich
bewerben und ihre Texte anschließend einen langwierigen Peer-Review durchlaufen.
Entsprechend langsam entwickelte sich das Projekt. Ende 2000/Anfang 2001 wurden
sowohl Wales als auch Sanger auf das Wiki-Prinzip aufmerksam gemacht – angestoßen
2
270
Dieser Text ist ohne inhaltliche Editierung der deutschen Version der Online Enzyklopädie
Wikipedia entnommen, die sich hier sozusagen selbst beschreibt [de.wikipedia.org/wiki/
Wikipedia]. Der Text wurde von mehr als 50 verschiedenen Autoren geschrieben oder bearbeitet. Eine sehr umfangreiche Diskussion gibt darüber hinaus Einblick in die Entstehungsgeschichte und kontroverse Bereiche dieses Beitrags [http://de.wikipedia.org / wiki /
Diskussion:Wikipedia]).
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Wikipedia als Beispiel einer interaktiven Wertschöpfung in Nutzer-Communities
durch Sanger ging daraufhin bereits am 10. Januar ein Wiki innerhalb des NupediaProjekts online; nur fünf Tage später, am 15. Januar 2001, war es dann unter der eigenständigen Adresse wikipedia.com erreichbar. Dies gilt als offizielle Geburtsstunde des
Wikipedia-Projekts.[2]
Ursprünglich sollte Wikipedia als Plattform zur gemeinsamen Erstellung von Artikeln
dienen, die später den Redaktionsprozess der Nupedia durchlaufen sollten. Vor allem
aufgrund seiner Offenheit – das Wiki-Prinzip gestattete die Mitarbeit ohne
Registrierung – entwickelte sich das Projekt so rasant, dass diese Idee immer mehr in
den Hintergrund trat. Am 15. März 2001 kündigte Jimmy Wales auf der
Projektmailingliste an, Versionen auch in anderen Sprachen einzurichten, unter den
ersten waren die französisch- und die deutschsprachige Wikipedia. Ende des Jahres
2001 existierte Wikipedia bereits in 18 verschiedenen Sprachen. Im Februar 2002 entschied sich Bomis, nicht länger einen Chefredakteur zu beschäftigen und kündigte den
Vertrag mit Larry Sanger. Dieser stellte kurze Zeit später seine Arbeit bei Nupedia und
Wikipedia ein.
Im Februar 2002 musste die Wikipedia erstmals einen spürbaren Rückschlag hinnehmen. Zahlreiche Autoren der spanischen Wikipedia entschlossen sich zu einem Fork.
Abbildung 5–6: Ausschnitt aus der Hauptseite der deutschsprachigen Wikipedia (Februar
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Die Gründe für die Abspaltung unter dem Namen Enciclopedia Libre waren Gerüchte
über die mögliche Einblendung von Werbung innerhalb der Wikipedia und das
Unbehagen über mangelnden Einfluss in der englischsprachig dominierten internationalen Projektkoordination. Um eine weitere Aufspaltung des Projekts zu verhindern,
erklärte Jimmy Wales im gleichen Jahr, dass die Wikipedia auch künftig werbefrei bleiben solle. Außerdem änderte er die Adresse des Projekts von wikipedia.com auf wikipedia.org mit der für nicht-kommerzielle Organisationen gedachten Top Level Domain
.org. Am 20. Juni 2003 schließlich verkündete Wales die Gründung der Wikimedia
Foundation und übereignete der Non-Profit-Organisation die Server, auf denen die
Projekte liefen, und die Namensrechte, die bis dato bei Bomis oder ihm persönlich
lagen.
Mittlerweile existiert das Projekt in mehr als 100 Sprachen. Im September 2004 überschritt der Umfang des Gesamtprojekts die Grenze von einer Million Artikeln. Die
deutschsprachige Wikipedia enthielt im Februar 2006 über 350.000 Artikel, die englische über 970.000. Das Projekt gewann mehrere Preise, darunter im Mai 2004 einen Prix
Ars Electronica und einen Webby Award, sowie den Grimme Online Award 2005.
Funktionsweise
Wikipedia ist ein Wiki, das heißt eine Website, bei der jeder Benutzer ohne Anmeldung
Autor werden, Beiträge schreiben und bestehende Texte ändern kann. Eine Redaktion
im engeren Sinne gibt es nicht, das Prinzip basiert vielmehr auf der Annahme, dass
sich die Benutzer gegenseitig kontrollieren und korrigieren. Der Inhalt ist als
Hypertext organisiert. Querverweise und Formatierungsanweisungen geben die
Autoren in einer einfachen Syntax ein. So wandelt die Software in eckige Klammern
gesetzte Begriffe ([[Beispiel]]) automatisch in einen Link auf den betreffenden Artikel
um. Existiert dieser noch nicht, erscheint der Link in rot und beim Anklicken öffnet
sich ein Eingabefeld, in dem der Leser einen neuen Artikel verfassen kann. Diese einfache Verlinkungsmöglichkeit hat dafür gesorgt, dass die Artikel der Wikipedia
wesentlich dichter miteinander vernetzt sind als die der herkömmlichen digitalen
Enzyklopädien. Neben den im Kontext angebrachten Hyperlinks auf andere Artikel
existieren noch weitere Navigationsmöglichkeiten wie Kategorien oder der alphabetische Index, die jedoch eine untergeordnete Rolle spielen.
Prinzipien
Der vorgegebene Rahmen für die Autoren ist sehr weit gefasst. Die Initiatoren des
Projektes haben nur sehr wenige Richtlinien aufgestellt, die als unumstößlich gelten.
Dazu zählt als erster Grundsatz, dass Wikipedia der Schaffung einer Enzyklopädie
gewidmet ist. Der Grundsatz des neutralen Standpunkts legt die inhaltliche
Ausrichtung der Artikel fest. Die Autoren willigen ferner mit dem Speichern darin ein,
ihre Beiträge unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation (GFDL) zu veröffentlichen. Als Verhaltensvorschrift wird von Mitarbeitern am Projekt gefordert, ihre
Mitautoren zu respektieren und niemanden persönlich anzugreifen.
(1) Wikipedia ist eine Enzyklopädie: Wie andere Enzyklopädien verfolgt auch
Wikipedia das Ziel, die Gesamtheit des Wissens unserer Zeit in lexikalischer Form
anzubieten. Während frühere, gedruckte Enzyklopädien aus wirtschaftlichen und
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Wikipedia als Beispiel einer interaktiven Wertschöpfung in Nutzer-Communities
technischen Gründen Inhalte und Autorenzahl beschränken mussten, unterliegt die
Wikipedia keinen solchen Einschränkungen: Festplattenplatz ist billig, die Autoren
arbeiten ehrenamtlich. Welche Themen aufgenommen werden und in welcher Form,
entscheidet die Community in einem offenen Redaktionsprozess. Konflikte in der
Wikipedia kreisen in diesem Zusammenhang meist darum, was Wissen darstellt, wo
die Abgrenzung zu reinen Daten und gänzlich Irrelevantem liegt. Abgesehen von groben Leitlinien, die Wikipedia von anderen Werktypen wie Wörterbuch, Datenbank,
Link- oder Zitatsammlung abgrenzen, gibt es keine allgemeinen Kriterienkataloge
etwa für Biographien, wie sie in traditionellen Enzyklopädien gebräuchlich sind. Im
Zweifel wird über den Einzelfall diskutiert. Empfindet ein Benutzer ein Thema als
ungeeignet oder einen Artikel als dem Thema nicht angemessen, kann er einen so
genannten Löschantrag stellen, der im Folgenden diskutiert wird.
(2) Neutraler Standpunkt: In Wikipedia arbeiten Autoren mit unterschiedlichstem
politischen, religiösen und weltanschaulichen Hintergrund mit, die offene
Enzyklopädie schließt von vorneherein niemand aufgrund seiner Einstellungen aus.
Um dabei unweigerlich aufkommende Kämpfe um Artikel zu verhindern bzw. einen
Ausweg daraus zu schaffen, hat Gründer Jimmy Wales die Richtlinie des neutralen
Standpunkts (NPOV, von englisch neutral point of view) aufgestellt. Danach soll ein
Artikel so geschrieben sein, dass möglichst viele Autoren ihm zustimmen können.
Existieren zu einem Thema mehrere verschiedene Ansichten, so soll sie ein Artikel fair
beschreiben, aber nicht selbst Position beziehen. Der neutrale Standpunkt verlangt
jedoch nicht, dass alle Ansichten gleichwertig präsentiert werden müssen: Die wissenschaftlich plausiblere Ansicht kann etwa an erster Stelle genannt werden (siehe auch:
Ockhams Rasiermesser). Wie die Eignung einzelner Artikel für eine Enzyklopädie
wird auch die Einhaltung des neutralen Standpunkts durch den sozialen Prozess
gewährleistet und gerade bei kontroversen Themen oft nur in mühevollen
Diskussionen erreicht.
(3) Urheberrecht und Freiheit der Inhalte: Alle Mitarbeiter der Wikipedia erklären
sich mit dem Einstellen oder Bearbeiten von Artikeln damit einverstanden, von ihnen
beigetragene Inhalte unter der GFDL zu veröffentlichen. Diese Lizenz erlaubt es anderen, die Inhalte nach Belieben zu ändern und auch kommerziell zu verbreiten, sofern
die Bedingungen der Lizenz eingehalten werden und die Inhalte wieder unter der gleichen Lizenz veröffentlich werden. Die Lizenz macht es damit unmöglich, WikipediaArtikel und auf diesen basierende Texte unter Berufung auf das Urheberrecht exklusiv
zu verwerten (Copyleft-Prinzip). Für viele Autoren ist dieses aus der Freie SoftwareBewegung bekannte Prinzip ein wesentlicher Grund, bei der Wikipedia mitzuarbeiten.
Die Lizenz schreibt ebenfalls vor, Hauptautoren von Artikeln bei Veröffentlichungen
außerhalb der Wikipedia zu nennen. Einige engagierte Autoren, die nicht anonym
arbeiten, werden dadurch zusätzlich motiviert.
(4) Respektvoller Umgang: Auch wenn diese Richtlinie als unnötig angesehen werden
kann, da der respektvolle Umgang mit anderen Menschen als Selbstverständlichkeit
gelten sollte, zeigt die Realität doch, dass diese Richtlinie ihre Existenzberechtigung
hat. Besonders die Offenheit des Projektes und der damit verbundene unkontrollierte
Zustrom neuer Autoren, die rein schriftliche Kommunikation sowie die unterschiedli273
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
che soziale und kulturelle Herkunft der aktiven Benutzer machen es notwendig, sich
von Zeit zu Zeit an diese Richtlinie zu erinnern.
Organisation
Aufbau der Wikipedia: Sowohl die Interpretation der oben aufgeführten Grundsätze
als auch weitere Vorgaben werden von der Gemeinschaft der Autoren festgelegt und
beruhen vor allem auf sozialen Protokollen. Der Betreiber des Projekts, die Wikimedia
Foundation, mischt sich in aller Regel nicht in diesen Prozess ein und vertraut stattdessen auf die Selbstorganisation der Gemeinschaft. Organisatorisch gliedert sich die
Wikipedia in drei Bereiche, durch Präfixe im Seitennamen unterschiedene so genannte Namensräume: die eigentliche Enzyklopädie mit den angeschlossenen
Diskussionsseiten, wo an den Artikeln gearbeitet wird, den Benutzernamensraum, in
dem jeder Autor eine persönliche Seite erhält, auf der er sich vorstellen kann, und eine
Nachrichtenseite, auf der andere mit ihm Kontakt aufnehmen können, und dem
Wikipedia-Namensraum zur Verwaltung des Projekts. Im Wikipedia-Namensraum
finden sich Einführungstexte und das Software-Handbuch, Stilregeln und
Formatkonventionen. Dort entscheidet die Autorengemeinschaft, welche Artikel
gelöscht werden, kürt in einem Review-Prozess besonders gute Beiträge zu exzellenten
Artikeln, die auf der Hauptseite vorgestellt werden, und wählt Administratoren, die
erweiterte Software-Funktionen erhalten.
Entscheidungsfindung und Organisationsstruktur: Die Einflussstruktur der
Wikipedia ist komplex und erschließt sich in der Regel erst nach längerer aktiver
Teilnahme am Projekt. Sie vereint Züge von Anarchie, Meritokratie, Demokratie,
Autokratie und Technokratie. Der anarchische Charakter folgt aus dem Wiki-Prinzip,
nach dem jeder, auch anonym, Seiten ändern kann. Soziale Konventionen und größtenteils informelle Organisationsprozesse erhalten eine interne Organisationsstruktur aufrecht. Angemeldete Teilnehmer können sich mit ihren Beiträgen in der Community
einen Ruf und Vertrauen erwerben. Neben der Überzeugungskraft ihrer Argumente
bemisst sich danach auch der Einfluss, den Teilnehmer auf laufende Diskussionen
haben. Formalisiert wird der Prozess durch die Ernennung von Administratoren.
Besonders engagierte Teilnehmer wählt oder bestimmt die Autorengemeinschaft zu
Administratoren mit erweiterten Rechten. Bei Entscheidungen über Regeln wird in
Wikipedia traditionell versucht, einen Konsens zu finden. Praktisch ist ein echter
Konsens bei der Vielzahl der Mitarbeiter kaum möglich. Regeln, die über eine ausreichende Legitimität verfügen sollen, müssen von einer großen qualifizierten Mehrheit
der Benutzer getragen werden. Die meisten Regeln und Prozesse etablieren sich so in
der Praxis dadurch, dass viele Teilnehmer einen Vorschlag aufgreifen und anwenden.
Andere Entscheidungen werden in Meinungsbildern getroffen, die zwischen
Diskussion und Abstimmung anzusiedeln sind.
Die Entwicklung der Software, etwa den Einbau neuer Features, bestimmt das von der
Community unabhängige Team der Programmierer, das sich aber an den Wünschen
der Nutzer orientiert. Den größten persönlichen Einfluss – vor allem in der englischen
Wikipedia, aber auch in manch anderen Sprachversionen – hat der Gründer Jimmy
Wales, der in seiner Rolle als „Benevolent dictator“ lange Zeit Konflikte in der
Community als oberste Autorität schlichtete. Einen Teil seiner Aufgaben übertrug er
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Wikipedia als Beispiel einer interaktiven Wertschöpfung in Nutzer-Communities
Anfang 2004 in der englischen Wikipedia an ein von den Teilnehmern gewähltes
„Arbitration committee“. Eine diesem Schiedsgericht vergleichbare Institution in anderen Sprachversionen existiert bis jetzt nur in der französischen Wikipedia. Die
Oberhoheit über Wikipedia hat schließlich die Wikimedia Foundation als
Betreiberorganisation und Finanzier.
Internationale Zusammenarbeit: Obwohl anfangs nicht geplant, entwickelte sich
Wikipedia zu einem mehrsprachigen Projekt. Sobald sich genug Interessierte finden,
wird für eine Sprache ein Wiki angelegt. Über die Grenzziehung zwischen Sprache
und Dialekt entstehen in der Community oft heftige Kontroversen. Die Artikel der
durch Interwiki-Links miteinander verknüpften Sprachversionen sind selten übersetzt,
sondern entstehen meist separat. Bedingt durch die Sprachbarriere, besteht zwischen
den Sprachen in der Regel wenig Austausch, die Communitys organisieren und entwickeln sich unabhängig voneinander. Einzelne Projekte wie die „Übersetzung der
Woche“ versuchen diese Barriere zu überwinden und für mehr Austausch zu sorgen.
Besonders die Gründung von Wikimedia Commons sorgte für einen Aufschwung in
der internationalen Zusammenarbeit. Auf den mehrsprachig angelegten Commons
arbeiten Wikipedia-Teilnehmer aus allen Sprachversionen am Aufbau eines zentralen
Medien-Repository.
Finanzierung: Die Finanzierung der technischen Infrastruktur und des übertragenen
Datenvolumens, der Miete für Rechenzentren, Domainregistrierung sowie der
Förderung von spezifischen Software-Entwicklungsaufgaben und gelegentlich auch
von Reisekosten erfolgt vollständig durch Spenden.
Kritik und Probleme
Qualität und Verlässlichkeit der Inhalte: Der am häufigsten angeführte Kritikpunkt
an der Wikipedia ist, dass jeder Internetnutzer Artikel verändern kann. Während herkömmliche Enzyklopädien mit bezahlten Experten und redaktioneller Kontrolle für
die Einhaltung von Qualitätsstandards bürgen, bietet Wikipedia keine Gewähr für die
Vollständigkeit und Richtigkeit ihrer Artikel. Das prominenteste Beispiel eines HoaxEintrags war der Fall des amerikanischen Journalisten John Seigenthaler, dessen falsche Biographie, in der der Kennedy-Berater u. a. der Verwicklung in den Mordfall
Kennedy verdächtigt wurde, erst nach mehreren Monaten von Seigenthaler selbst entdeckt und anschließend im November 2005 auf seine Beschwerde hin sofort gelöscht
wurde [3]. Der anonyme Autor bekannte später gegenüber der amerikanischen
Zeitung USA Today, er habe nur einen Scherz gegenüber einem Arbeitskollegen
machen wollen.
Die Betreiber der Wikipedia stellen sich auf den Standpunkt, dass aufgrund der
Einfachheit, Änderungen vorzunehmen, die Hemmschwelle sinkt, Fehler zu korrigieren. Nach ihrer Ansicht reifen die Artikel somit, da Fehler nach einiger Zeit gefunden
und behoben werden. Durch die Fähigkeit der Software, zu jedem Artikel dessen
Versionsgeschichte aufzurufen und Querverweisen zu folgen, können Leser und
Autoren den Werdegang eines Artikels verfolgen und sich damit ein umfassenderes
Bild machen. Ebenso kann zu jedem Artikel eine Diskussionsseite abgerufen werden,
die nicht in den Artikeltext gehörende Anmerkungen enthält. Die Annahme der
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Betreiber von Wikipedia ist, dass Leser das Gelesene hinterfragen und diese Angebote
annehmen. Anders als in herkömmlichen Enzyklopädien sagen Länge und Umfang
eines Artikels in Wikipedia nichts über seine Bedeutung aus. Während viele Popkulturoder Computer-Themen in aller Breite dargestellt sind, kann es passieren, dass
Wikipedia zu einem zentralen Begriff der Philosophie nur einen mageren, extrem kurzen Eintrag enthält. Ein weiteres Problem stellen Interessengruppen dar, die versuchen, Artikelinhalte in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Artikel zu umstrittenen Themen wie Sekten oder obskuren esoterischen Theorien entsprechen deshalb oft
nicht dem Neutralitätsgrundsatz. Um besonders umstrittene Artikel zu schützen, ist es
Administratoren jedoch auch möglich, diese vorübergehend für Bearbeitungen zu
sperren.
Urheberrechtsverletzungen: Die offene Natur eines Wiki bietet zunächst keinen
Schutz gegen Urheberrechts- und andere Rechtsverletzungen. Ergibt sich ein Verdacht,
so prüfen aktive Nutzer deshalb neue Artikel darauf, ob sie von anderen Websites
kopiert wurden. Wenn sich der Verdacht bestätigt, werden diese von den
Administratoren nach einer Einspruchsfrist gelöscht. Hundertprozentige Sicherheit
bietet dieses Verfahren jedoch nicht. Der größte bekannte Fall einer Urheberrechtsverletzung wurde im November 2005 von Mitarbeitern der deutschen Wikipedia entdeckt. Ein anonymer Autor hatte über zwei Jahre hinweg Beiträge aus Büchern kopiert.
Vor allem hat er dazu alte DDR-Lexika benutzt. Besonders die Abteilung Philosophie,
Wirtschaft und Geschichte waren davon betroffen. Über 1000 Artikel wurden zuerst
unter Quarantäne gestellt und viele davon gelöscht, nachdem sie sich als direkte
Kopien herausstellten. Umgekehrt sind allerdings auch schon einige Fälle bekannt
geworden, in denen Urheberechte der Wikipedia verletzt wurden, häufig, indem
Beiträge ohne Quellenangaben aus Wikipedia kopiert und in fremde Webseiten eingearbeitet werden.
Wikipedia im Vergleich zu anderen Enzyklopädien
Der erste groß angelegte Vergleich der deutschen Wikipedia mit etablierten digitalen
Nachschlagewerken Microsoft Encarta Professional 2005 und Brockhaus multimedial
2005 Premium erschien im Oktober 2004 in der Computer-Fachzeitschrift c’t (Ausgabe
21 / 04). Wikipedia erzielte dort im Inhaltstest die höchste durchschnittliche Gesamtpunktzahl, in der Kategorie Multimedia schnitt die freie Enzyklopädie dagegen
schlecht ab, ähnliche Wertungen erzielte die deutsche Wikipedia kurz darauf in einem
Lexikavergleich der Wochenzeitung Die Zeit. Beide Tests basierten auf einer kleinen
Stichprobe von insgesamt 60 bis 70 Artikeln aus verschiedenen Themengebieten.
Dezember 2005 veröffentlichte die Zeitschrift Nature einen Vergleich der englischen
Wikipedia mit der Encyclopædia Britannica [4]. Dazu hatten sie 50 Experten gebeten,
je einen Artikel aus beiden Werken aus ihrem Fachgebiet ausschließlich auf Fehler zu
prüfen. Mit durchschnittlich vier Fehlern pro Artikel lag die Wikipedia nur knapp hinter der Britannica, in der im Durchschnitt drei Fehler gefunden wurden.
Verbreitung der Wikipedia-Inhalte
Zahlreiche Websites nehmen das Angebot der freien Lizenz wahr und spiegeln
Wikipedia-Inhalte, einige verdienen dabei an der Einblendung von Anzeigen. Daneben
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Wikipedia als Beispiel einer interaktiven Wertschöpfung in Nutzer-Communities
entstanden auch mehrere Versionen für PDA. In der Verbreitung offline spielte die
deutschsprachige Wikipedia eine Vorreiterrolle. Mehrere deutsche Wikipedianer stellten WikiReader zusammen, Artikelsammlungen zu einem Thema, von denen einige in
kleinen Auflagen auch gedruckt erschienen. Im Herbst 2004 veröffentlichte der Berliner Verlag Directmedia Publishing in Zusammenarbeit mit der Wikipedia-Community
eine CD-Version der Wikipedia, im Frühjahr 2005 folgte eine DVD-Ausgabe, die beide
auch frei im Netz zum Download bereitgestellt wurden. Außerdem ist eine Buchreihe
in Arbeit.
Wissenschaftliche Analyse
Der Erfolg des offenen Enzyklopädiekonzepts weckte das Interesse vieler Forscher;
einen Überblick publizierter Arbeiten gibt die unten verlinkte Bibliographie. Im Projekt
Historyflow analysierte und visualisierte ein Forscherteam von IBM 2003 die Evolution
von Artikeln. Martin Wattenberg und Fernanda B. Viégas stellten dabei fest, dass die
Community Vandalismus erstaunlich schnell, manchmal schon nach drei Minuten,
beseitigte.
Zur Sozialstruktur der Wikipedia-Autoren existieren noch wenige Untersuchungen.
Eine Umfrage Würzburger Psychologen ergab einen hohen Männeranteil (88 Prozent)
und etwa 50 Prozent Singles. 43 Prozent der Befragten arbeiten Vollzeit. Eine große
Gruppe bilden Studenten. Zu ihrer Motivation befragt, bewerteten über 80 Prozent die
Erweiterung des eigenen Wissens als wichtig bis sehr wichtig. In einer Analyse des
Partizipationsverhaltens angemeldeter Teilnehmer stellte Jimmy Wales fest, dass die
Hälfte aller Beiträge von gerade einmal 2,5 Prozent der Nutzer stammte. Wales stützte
damit seine These von der Wikipedia als „community of thoughtful users“, die er einer
Beschreibung der Wikipedia als emergentem Phänomen gegenüberstellte, in dem sich
aus den Beiträgen einer Vielzahl anonymer Internetnutzer eher spontan eine
Enzyklopädie herausbilde.
Schwesterprojekte
Da sich die Wikipedia selbst auf enzyklopädische Artikel beschränkt, sind inzwischen
Ableger entstanden, die sich anderer Textsorten annehmen. Ein wichtiger Ableger ist
Wiktionary, ein Projekt, das das Wiki-Konzept auf Wörterbücher anwendet. Im Juli
2003 wurde mit dem Ziel, freie Lehrbücher zu erstellen, das Wikibooks-Projekt begonnen. Das Projekt Wikiquote sammelt Zitate, Wikisource ist eine Sammlung freier
Originalquellen. Aus der Community entwickelte sich im Frühjahr 2004 auch ein satirischer Ableger der Wikipedia, die Kamelopedia. Seit September 2004 gibt es mit den
Wikimedia Commons ein Projekt, das Bilder und andere Medien für alle WikimediaProjekte gemeinsam zugänglich macht. Ein weiteres Schwesterprojekt, Wikinews, das
sich dem Aufbau einer freien Nachrichtenquelle widmet, wurde Anfang November
2004 ins Leben gerufen. Bis auf die Kamelopedia werden alle diese Projekte von der
Wikimedia Foundation betrieben.
Technik
Anfangs verwendete Wikipedia als Software das in Perl geschriebene UseModWiki,
das sich jedoch bald den Anforderungen nicht gewachsen zeigte. Im Januar 2002 stell277
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
te Wikipedia auf eine vom deutschen Biologen Magnus Manske geschriebene, MySQLbasierte PHP-Applikation (Phase II) um, die speziell an die Bedürfnisse der Wikipedia
angepasst war. Nachdem das Projekt sich über ein Jahr die Ressourcen mit dem
Webangebot von Bomis geteilt hatte, zog die englische Wikipedia, später auch die
anderen Sprachversionen, im Juli 2002 auf einen eigenen Server mit einer von Lee
Daniel Crocker überarbeiteten und teils neugeschriebenen Version von Manskes
Software (Phase III) um. Diese erhielt später den Namen MediaWiki.
Abbildung 5–7: Diagramm der Wikimedia-Server-Architektur vom 12. April 2005
email
d a ta b a se
d um p s
dat a b a se d um p s
Internet
z w i ng er
email
ser ver
isidore
squid
c ac h
srv5
ho l b a ch
c hloe
srv10
m a ster
d a ta b a se
sud a
b l euenn
will
w eb ster
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d a ta b a se
sl aves
wikimedia
c ont ent
browne
b a co n
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enna el
sq ui d
( Fra nce)
av i cenna
v i ncent
search
ser ver
search
wikitext
multimedia
files
srv9
srv6
srv7
HTM L
srv8
dalem b er t
a p a ch
w eb ser ver
albert
NFS S t orage
S e r ve r
multimedia
files
t ing x i
load
b a l a ncer
2005-04-12
Mit steigenden Zugriffszahlen erhöhten sich die Anforderungen an die Hardware.
Waren es im Dezember 2003 noch drei Server, sind zum Betrieb der Wikipedia und
ihrer Schwesterprojekte im Mai 2005 mittlerweile über 70 Server in Florida und
Frankreich im Einsatz, die von einem Team ehrenamtlicher Administratoren betreut
werden. Das Prinzip, die Server nach berühmten Enzyklopädisten zu benennen, wurde
2005 aufgegeben. Als Betriebssystem werden verschiedene Linux-Distributionen, überwiegend Fedora, mit der Server-Software Apache, PHP und der Datenbank MySQL
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Mass Customization in der Reisebranche
eingesetzt. Vorgeschaltete Squid-Caches versorgen nicht angemeldete Besucher, die
nur lesen wollen, mit vorgenerierten Seiten. Die MySQL-Datenbank läuft auf mehreren
Servern mit Replikation im Master-Slave-Betrieb. Regelmäßig kommt es zu Kapazitätsengpässen, die dazu führen, dass Seiten nur sehr langsam oder gar nicht geladen
werden. Mehrere Unternehmen und Organisationen boten der Wikimedia Foundation ihre Unterstützung an. Im April 2005 erklärte sich der Suchmaschinenbetreiber
Yahoo! bereit, 23 Server in seinem Rechenzentrum in Asien für den Betrieb der
Wikipedia abzustellen. Mit Google steht die Wikimedia Foundation ebenfalls in
Verhandlungen.
Referenzen
[1] Erik Zachte: Wikipedia-Statistik, erzeugt am 25. Dezember 2005 aus dem SQL-Dump vom 10.
Dezember 2005
[2] Larry Sanger: E-Mails an die Mailingliste nupedia-l: Let’s make a wiki (10. Januar 2001),
Nupedia’s wiki: try it out (10. Januar 2001), Nupedia’s wiki: try it out (11. Januar 2001; Name
Wikipedia), Wikipedia is up! (17. Januar 2001)
[3] John Seigenthaler: A false Wikipedia „biography“ USA Today, 29.11.2005
[4] Jim Jiles: Internet encyclopaedias go head to head, Nature 14.12.2005
[5] Henriette Fiebig (Hrsg.): Wikipedia – Das Buch. Directmedia Publishing 2005
Fragen zur Diskussion der Fallstudie
„ Diskutieren Sie am Beispiel Wikipedia, welche Grundprinzipien der interaktiven
Wertschöpfung Sie an diesem Beispiel sehen können. Warum ist dieses Projekt so erfolgreich?
„ Welche Hürden werden den weiteren Erfolg von Wikipedia behindern? Welche Maßnahmen
kann welcher Akteur dagegen ergreifen?
„ In welche anderen Bereiche lässt sich das Beispiel Wikipedia gut übertragen? Welche
Modifikationen sind hierzu noch notwendig? Überlegen Sie auch in Hinblick auf eine
Produktion materieller Güter.
5.3
Mass Customization in der Reisebranche –
kundenindividuelles Reisen mit Dynamic
Packaging
Die Reisebranche hat im letzten Jahrzehnt einen nachhaltigen Wandel erfahren.
Konnten Reiseveranstalter und Reiseagenturen in den 1990er Jahren noch gut davon
leben, verschiedene Reiseleistungen (Hotel, Flug etc.) als pauschal geschnürtes Paket
im Reisebüro anzubieten, so hat sich das Kundenverhalten mit aufkommender
Beliebtheit des Internet drastisch verändert. Neue Online-Reiseagenturen, die so
genannten „Reiseportale“, erfreuten sich immer größerer Beliebtheit und offerierten
eine Angebotsvielfalt, mit der ein konventionelles Reisebüro kaum noch konkurrieren
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
kann. Die klassische Pauschalreise verliert dagegen immer mehr zugunsten einer
Individualreise an Bedeutung. Damit wird der Mass-Customization-Gedanke auch in
dieser Branche immer aktueller und eine Orientierung des Reiseangebotes an den individuellen Kundenbedürfnissen erscheint sinnvoll. Die vorliegende Branchenanalyse
untersucht die gegenwärtige Marktdurchdringung und die zukünftigen Erfolgsaussichten des so genannten „Dynamic Packaging“, d. h. des kundenindividuellen Angebots von Touristikdienstleistungen für einen (relativ) großen Absatzmarkt. Zu den
„Best-Practice“-Beispielen der Branche können die Angebote der Online-Reiseagenturen expedia.de (Deutschland) und lastminute.com (England) gezählt werden. Aber
auch kleine Unternehmen wie die Münchner Jacana Tours GmbH bieten erfolgreich
kundenindividuelle Reisen an, konzentrieren sich jedoch häufig auf einen kleineren
Absatzmarkt. Im Fall von Jacana Tours ist das Angebot auf Individualreisen nach
Afrika beschränkt. Die Konzepte der Anbieter expedia.de (lastminute.com bietet ein
identisches Angebot an) und Jacana Tours werden in dieser Fallstudie genauer erläutert, da sie gewisse Extrempunkte auf dem Mass-Customization-Spektrum der
Reisebranche darstellen. Die Analyse zeigt, wie beide Unternehmensklassen ihr
Angebot weiter verbessern könnten: expedia.de durch ein höheres Maß an
Kundenorientierung und Flexibilität, Jacana Tours durch effizientere Prozesse. Der
Beitrag zeigt so, welche Möglichkeiten Mass Customization für Reiseveranstalter der
unterschiedlichsten Größenklassen bietet.3
Branchenumfeld
Bereits um 770 v. Chr. verleitete der Beginn der Olympischen Spiele Menschen zu
einem Ortswechsel. Der Grieche Herodot (480 bis 421 v. Chr.) war einer der Ersten, der
sich zum Entdecken neuer Sitten und Gebräuche auf eine Bildungsreise begab. Er
unternahm Fahrten zu Heilzwecken ebenso wie Wallfahrten zu den Göttertempeln –
ein wesentliches Reisemotiv im Mittelalter. Reisen zur Erholung und zum Vergnügen
unternahm man auch im alten Rom. Der Ausbau des Straßennetzes zu militärischen
Zwecken förderte die Reiselust und die Vorlieben für ferne Thermalquellen und Bäder
(Badeverkehr). Erst mit der Zeit der Kreuzzüge und Pilgerfahrten wurde das Reisen
gefährlicher und strapaziöser. Hauptgründe für das „Reisen“ waren jetzt Raubzüge
und Kriege, aber auch Handel, Entdeckung und Geschäftsverkehr. Im 15. und 16.
Jahrhundert begann die Zeit der Weltumseglungen. Seefahrer und Literaten weckten
die Sehnsüchte und die Abenteuerlust der Menschen. Das weitgehend von religiöser
und kriegerischer Intention freie Reisen, so wie wir es heute kennen, erlebte erst im 18.
Jahrhundert wieder einen Aufschwung. Das Reisen damals unterscheidet sich vom
Reisen heute in einem ganz entscheidenden Punkt: dem Personenkreis. Reisen war bis
weit ins 20. Jahrhundert eine Freizeitbeschäftigung, die den Reichen vorbehalten blieb,
d. h. vorwiegend Geschäftsleuten, Adel, Kirche, Besitzbürgertum und später Beamten.
Bedingt durch die Ausweitung des Wohlstands in allen Gesellschaftsschichten und ein
3
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Die Fallstudie wurde von Daniel Rögelein, Maribel Rodríguez und Melanie Müller erstellt
und basiert auf einem Ergänzungsbeitrag der Autoren für das Buch „Mass Customization
und Kundenintegration: Neue Wege zum innovativen Produkt“, Düsseldorf: Symposion
Verlag. Diese Fallstudie ist zu Illustrations- und Lehrzwecken erstellt worden und kann ein
vereinfachtes oder modifiziertes Abbild der Wirklichkeit darstellen. Sie berichtet nicht wirklichkeitsgetreu über derzeitige und zukünftige Aktivitäten des dargestellten Unternehmens.
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Mass Customization in der Reisebranche
Mehr an freier Zeit entwickelte sich der „Massentourismus“, welcher das Gesicht der
Tourismusbranche im 20. und angehenden 21. Jahrhundert prägt.
Seit dem Jahr 2001 befindet sich die europäische Tourismusindustrie jedoch in einer
schweren Krise. Die ehemals treibende Kraft der Branche, die Pauschalreise, macht in
Deutschland nur noch einen Anteil von ca. 44 Prozent des Gesamtreisevolumens aus
(Deraëd 2003). Einen nachhaltigen Einbruch des Umsatzes von 25 Prozent erfuhr der
Pauschalreisemarkt durch die Anschläge des 11. September, den Irak-Krieg sowie
SARS. Neben den für viele Unternehmen schädigenden Preiswettkämpfen des
Sommers 2002 dämpft überdies die momentane Wirtschaftskrise die Reiselust der
Deutschen. Insbesondere die Reiseagenturen, welche als Vermittler zwischen
Anbietern bzw. Veranstaltern und Kunden fungieren, sehen sich einem harten
Verdrängungswettbewerb gegenüber.
Seitdem viele Anbieter den direkten Kundenkontakt über das Internet suchen, brechen
die Gewinne der Vermittler nachhaltig ein. Für diese Entwicklung werden insbesondere die so genannten „Billigflieger“ bzw. „No Frills“-Airlines verantwortlich gemacht.
Sie lassen ihren Kunden vielfach aus Rationalisierungsgründen keine andere Wahl, als
die Flugtickets direkt im Internet zu erwerben. Während dies generell dazu führt, dass
klassische Reiseagenturen weniger genutzt werden, erkennen die Touristen auch zusehends, dass sie durch eine individuelle Zusammenstellung ihrer Reise – vor allem
unter Einbezug von Angeboten dieser Fluggesellschaften – günstiger reisen als bei
Buchung einer vergleichbaren Pauschalreise. Darüber hinaus wird die wirtschaftliche
Situation der Reiseagenturen dadurch belastet, dass die meisten Fluggesellschaften in
2003 ihre Kommissionszahlungen auf 1 Prozent kürzten, um mit den Billigfluggesellschaften weiter konkurrieren zu können. Neben den Reiseagenturen müssen sich auch
klassische Reisekonzerne dem gewandelten Wettbewerbsumfeld stellen. Der TUIKonzern beispielsweise strebt eine Neustrukturierung als voll integrierter TouristikKonzern an, der seinen Kunden einen Traumurlaub aus einer Hand anbieten kann.
Reiseveranstalter und Reiseagenturen sehen sich also vor die Herausforderung
gestellt, in diesem vom Individualitätsbedürfnis der Kunden einerseits und
Margendruck andererseits geprägten Wettbewerbsumfeld zukünftig zu bestehen. Als
viel versprechender Ansatz wird das Angebot kundenindividueller Reisen im Internet
gesehen, welches als Dynamic Packaging bezeichnet wird. Beim Dynamic Packaging
kann der Kunde Reisekomponenten aus unterschiedlichen Quellen auswählen, bündeln und buchen (Rogl 2003). Dynamic Packaging ist die Mass-CustomizationStrategie der Reiseindustrie.
Wichtige Wettbewerber und deren Angebote
Wie aus Abbildung 5–8 ersichtlich ist, belief sich der Gesamtumsatz der deutschen
Reisebranche im Jahr 2002 auf 33 Mrd. Euro, wozu internetbasierte Angebote zu ca. 10
Prozent beitrugen. Dieser Wert erscheint im EU-weiten Vergleich überdurchschnittlich
hoch – im Mittel erwirtschaften virtuelle Touristikunternehmen ca. drei Prozent des Gesamtumsatzes der Branche, was erwarteten 10 Mrd. Euro in 2004 entspricht. Betrachtet
man die deutschen Reiseveranstalter isoliert, setzten sie im Jahr 2001 164 Mio. Euro um,
wobei von einem Anstieg auf 2,2 Mrd. Euro bis zum Jahre 2006 ausgegangen wird.
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Abbildung 5–8: Gesamtumsatz und Umsatzentwicklung der deutschen Reisebranche on- und
offline 1999 bis 2006 (entnommen aus Web-Tourismus 2003)
Gesamtbranche offline
Gesamtbranche online
40
6,93
35
Mrd. EURO
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1,82
1,48
30
5,98
33,16
2,06
3
5,04
4
31,23
31,04
30,14
29,24
28,48
29,36
30,01
25
20
1999
2000
2001
2002
2003*
2004*
2005*
2006*
* geschätzt und erweiterte Basis
Allgemein wird ein weltweites Wachstum der Reisebranche in Höhe von ca. 10 Prozent
jährlich erwartet. Eine branchenweite Aussage über den Anteil von Dynamic
Packaging basierten Reisen am Gesamtumsatz erscheint schwierig. Beim
Branchenvorreiter lastminute.com betrug dieser Anteil in Q3 / 2003 ca. 8,6 %, im Q1 /
2004 6,1 %.
Der deutsche Markt für Tourismusdienstleistungen wird neben einer Vielzahl kleiner,
vielfach inhabergeführter Unternehmen im Wesentlichen durch zwei große Anbieterkreise dominiert. Hierzu zählen die „klassischen“ Reiseveranstalter sowie die in den
letzten Jahren hinzugekommenen Online-Reiseagenturen bzw. Reiseportale, z. B. expedia.com oder lastminute.com. Abbildung 5–9 und Abbildung 5–10 geben einen Überblick über die namhaftesten Anbieter der Branche. Insbesondere bei den OnlineReiseagenturen ist festzustellen, dass fast durchgängig Pauschal-, Lastminute-,
Flugreisen sowie Hotels und Mietwagen angeboten werden. Vielfach wird den Kunden die Möglichkeit an die Hand gegeben, unter Einbezug von Partnerangeboten (zeitlich) zusammenpassende Reisemodule selbst zu bündeln. Eine voll ausgeprägte
Dynamic Packaging Funktionalität, welche Verfügbarkeit und Abhängigkeiten aller
282
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Mass Customization in der Reisebranche
Module berücksichtigt, konnte hingegen nur bei sechs der 29 Online-Anbieter vorgefunden werden (Stand: Oktober 2004). Bei den sechs Anbietern ebookers.de, expedia.de, flyloco.de, lastminute.com, onlineweg.de und TUI ist es nicht nur möglich,
Verfügbarkeit und Abhängigkeit der Reisekomponenten online zu prüfen, sondern
eine Reise auch direkt zu buchen.
x
x
www.expedia.de
x
x
x
www.ferien.de
x
x
www.flyloco.de
x
www.lastminute.com
Bezeichnung
des DynamicPackagingAngebots
x
Tickets
x
x
Mietwagen
www.ebookers.de
x
Busreisen
x
Städtereisen
x
Kreuzfahrten
nur Hotel
x
Ferienhäuser
nur Flug
x
Bahnreise
Lastminute
www.billigweg.de
OnlineReiseagentur
Pauschalreise
Abbildung 5-9: Wichtige Angebote großer Online-Reiseagenturen im Internet
x
–
x
Dynamic
Package
x
x
Click&Mix
x
x
x
x
–
x
x
x
x
x
Locomat
x
x
x
x
x
x
e-basket
www.lcc24.com
x
x
x
x
x
x
x
x
–
www.onlineweg.de
x
x
x
x
x
x
x
x
Urlaubsbaukasten
www.opodo.de
x
x
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x
x
–
www.reisen.de
x
x
x
x
x
x
–
www.start.de
x
x
x
x
x
x
x
–
www.tiscover.de
x
x
x
x
x
www.travel24.com
x
x
x
x
www.travelchannel.de
x
x
x
x
x
www.travelocity.de
x
x
x
x
x
www.traveloverland.de
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
–
x
–
x
x
–
x
x
–
x
x
–
Neben diesen Agenturen und Veranstaltern, welche hauptsächlich gebündelte
Reisepakete offerieren (also mindestens Anreise und Unterkunft), tritt eine Reihe von
Anbietern spezieller Leistungen über das Internet in direkten Kontakt mit den Kunden.
Hierzu zählen z. B. Fluglinien wie Hapag-Lloyd (hlx.com, hlf.de) oder Germania
Express (gexx.de). Sie bieten jedoch in der Regel keine (ausgeprägte) Möglichkeit zur
283
5.3
12:53 PM
Page 284
Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Bündelung von Einzelleistungen. Kunden greifen auf diese Angebote jedoch gerne
zurück, wenn sie ihre Reise „von Hand“ zusammenstellen möchten.
x
x
www.fti.de
x
x
x
www.its.de
x
x
x
www.jahn-reisen.de
x
x
x
www.ltur.de (kein Dynamic
Packaging, sondern Filterfunktion
für das Pauschalreiseangebot)
x
x
x
www.meiers-reisen.de
x
www.neckermann-reisen.de
x
x
www.thomascook-reisen.de
x
X
www.tjaereborg.de
x
X
www.tui.de
x
X
x
x
–
–
x
–
x
–
x
–
–
x
x
x
–
x
x
x
x
Bezeichnung
des DynamicPackagingAngebots
x
x
Tickets
www.dertour.de
Mietwagen
x
Busreisen
x
Städtereisen
x
x
Kreuzfahrten
www.bucherreisen.de
x
x
Ferienhäuser
x
nur Hotel
www.alltours.de
nur Flug
x
Lastminute
www.airtours.de
Bahnreise
Abbildung 5-10: Wichtige Angebote großer, "klassischer" Reiseveranstalter im Internet
Pauschalreise
5
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Reiseveranstalter
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x
x
x
–
–
x
–
x
–
–
x
x
x
x
Kombisuche
Neben den großen Unternehmen existiert eine Vielzahl kleiner und mittelständischer
Anbieter, deren Geschäftsmodell insbesondere auf der Spezialisierung auf einen kleineren Abnehmerkreis beruht. Ein solcher Anbieter ist die Münchner Jacana Tours
GmbH, der im Folgendem als prototypisches Beispiel solcher Anbieter dargestellt
wird. Dieser Veranstalter bietet individualisierte Reisen in den südlichen Teil Afrikas
mit Hilfe eines über das Internet verfügbaren Konfigurationstools an. Im Gegensatz zu
den großen Reiseportalen und den bekannten „klassischen“ Reiseveranstaltern fokussiert das Unternehmen damit eine relativ kleine Zielgruppe: Kunden, die sich eine
Individualreise nach Afrika nach den eigenen Bedürfnissen zusammenstellen möchten. Das Unternehmen orientiert sich dabei maßgeblich an den Wünschen und
Vorstellungen der Kunden, was zu einer schier unbegrenzten Anzahl unterschiedlicher
Reisen führt. Damit ermöglicht Jacana Tours mehr Individualität als es die großen
Reiseportale derzeit bieten, dies jedoch nur in Hinblick auf Reisen nach Afrika. Das
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Mass Customization in der Reisebranche
Angebot der Jacana Tours GmbH und ähnlicher Anbieter stellt damit eine weitere
spannende Möglichkeit dar, in der Reisebranche auf die kundenindividuellen
Bedürfnisse einzugehen. Aufgrund der Vielzahl kleinerer Anbieter, die sich auf das
Angebot verschiedenster Arten kundenindividueller Reisen spezialisiert haben, ist es
im Rahmen dieser Fallstudie nicht möglich, einen Überblick zu liefern. Die Jacana Tours
GmbH wird aufgrund ihres erfolgversprechenden Konzeptes beispielhaft dargestellt.
Das Mass-Customization-Angebot der Reisebranche
Das kundenindividuelle Angebot von Reiseleistungen ist nicht etwa eine Errungenschaft des Internet-Zeitalters, sondern wurde bereits vor 150 Jahren praktiziert. Im Jahre
1841 organisierte Thomas Cook unter Zuhilfenahme von Morsetelegraphie eine
Zugreise für 500 Gläubige von Leicester nach Loughborough inklusive Teilnahmemöglichkeit an einer religiösen Veranstaltung. Dieser individuelle Ansatz wirkte jedoch
nicht nachhaltig – „vorgebündelte“ Pauschalreisen mit starrer Dauer von 7 oder 14
Tagen bestimmten im letzten Jahrzehnt das Bild der Reisebranche. Doch die Regeln des
Wettbewerbs haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Insbesondere die Vermittler
von Reisen sehen sich einer erhöhten Preistransparenz gegenüber, welche die
Abnehmermacht des Kunden stärkt und seine Loyalität zu bestimmten Anbietern
schwächt. Diese Entwicklung wirkt sich ungünstig auf die Gewinnmargen der Anbieter
aus. Zudem werden die Wünsche der Kunden immer individueller, weshalb sich
Anbieter von Pauschalreisen vor die Frage gestellt sehen, nach welchen Maßgaben diese
zu bündeln sind, um die Bedürfnisse einer möglichst großen Menge von Kunden überhaupt noch zu befriedigen. Als Folge dieses Wandels wurden die Pauschalreiseangebote
notgedrungen wieder entflochten, um den Kunden die Möglichkeit zu geben, Hotels,
Flüge und Mietwagen individuell zusammenstellen zu können. Dieses Vorgehen prägte vor allem im Umfeld der Reiseveranstalter den Begriff des „Baukastentourismus“.
Die Online-Reiseagenturen reagierten zunächst pragmatisch und entwarfen immer
aufwändigere Filtermechanismen, um den Kunden die Auswahl aus dem reichhaltigen
Angebot an Pauschalreisen zu vereinfachen. Dieses Prinzip liegt noch heute den meisten Reiseportalen zugrunde. Die Filterfunktion wird allerdings weder der Definition
von Mass Customization noch der von Dynamic Packaging gerecht, da die Bedürfnisse
des Kunden bei der Bündelung der Einzelleistungen nicht miteinbezogen werden.
Einen neuartigen, an den Kundenbedürfnissen orientierten Ansatz stellt das Dynamic
Packaging dar, welches die Auswahl und Bündelung zusammenpassender
Einzelleistungen durch den Kunden in Echtzeit ermöglicht. Nur wenige Anbieter,
unter ihnen expedia.de und lastminute.com, bieten es bereits heute in einer zur
Pauschalreise konkurrenzfähigen Form an. Ob Dynamic Packaging die Pauschalreise
zukünftig verdrängen wird oder diese nur komplementiert, kann nur schwer vorhergesagt werden. In England zeichnet sich allerdings bereits ein Rückgang des Anteils
der Pauschalreisen zugunsten des Dynamic Packaging ab.
Vergleich ausgewählter Dynamic-Packaging-Angebote
Die umfangreichsten Ansätze zum Dynamic Packaging bieten (mit Stand Oktober 2004)
die Anbieter expedia.de sowie lastminute.com, England, an (das gegenwärtig in
Deutschland verfügbare Angebot von lastminute.com ist weniger ausgereift als das
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5.3
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5
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Angebot für den englischen Markt.) In Abbildung 5–11 werden diese und weitere wichtige Dynamic-Packaging-Angebote gegenüberstellend verglichen. Das Angebot des
Anbieters Jacana Tours GmbH wurde ebenfalls in die Betrachtung aufgenommen. Zwar
kann das Unternehmen nicht als klassischer Dynamic-Packaging-Anbieter betrachtet werden, bietet allerdings ein wesentlich höheres Maß an Individualisierungsmöglichkeiten.
Neben Rundreise, Hotel, Hoteleigenschaften oder ganzen Touren kann der Kunde
Hoteltransfer, Kamelritte und andere Ausflüge wählen. Darüber hinaus können individuelle Wünsche „manuell“ Berücksichtigung finden, da eine Machbarkeitsprüfung durch
die Jacana Mitarbeiter erfolgt. Jacana kann als eine moderne Interpretation der klassischen
individuellen „Einzelfertigung“ einer Dienstleistung gesehen werden.
Abbildung 5–11: Funktionaler Vergleich wichtiger Dynamic-Packaging-Angebote
Charakteristika des Angebots
Anbieter
Anzahl
Destinationen
Kombination von
Individualisierungsmöglichk
Zusatzleistungen
99
Flug, Hotel
Flug, Hotel
–
>> 100
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Eigenschaften Hotelzimmer,
Mietwagen
Versicherung, Sight
Seeing, Restaurantbesuche etc.
www.flyloco.de –
"Locomat"
63
Flug, Hotel
Flug, Hotel
–
www.jacana.de –
"Tourdesigner"
75
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Hotel,
Mietwagen
Hoteltransfer, Ausflüge etc. (individuell
abstimmbar)
lastminute.com (UK)
– "e-basket"
>> 100
Flug, Hotel,
Mietwagen
www.lastminute.com
(D) – "e-basket"
47
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Hotel,
Mietwagen
Versicherung
www.onlineweg.de –
"Urlaubsbaukasten"
10
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Eigenschaften Hotelzimmer,
Mietwagen
Versicherung
>> 100
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Hotel,
Mietwagen
–
www.ebookers.de –
"Dynamic Package"
www.expedia.de –
"Click&Mix"
www.tui.de –
"Kombisuche"
Flug, EigenschafVersicherung, Sight
ten Hotelzimmer, Seeing, RestaurantbeMietwagen
suche, Hoteltransfer...
Dynamic Packaging aus Anbietersicht
Reiseagenturen aller Größen setzen ein weitgehend einheitliches Modell für die unternehmensinternen Prozesse der Reisevermittlung ein. In den Prozessen können sich
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Mass Customization in der Reisebranche
jedoch Unterschiede hinsichtlich der Interaktion mit den Kunden ergeben. Kleine
Reiseagenturen wie die Münchner Jacana Tours GmbH setzen in stärkerem Maße auf
persönlichen Kundenkontakt als beispielsweise große Anbieter wie expedia.de.
Der Prozess der Vermittlung einer Dynamic-Packaging-Reise im Internet wird im
Wesentlichen durch das Zusammenspiel von IT-Systemen der Komponentenanbieter,
Reiseveranstalter, Reiseagenturen und des Kunden realisiert. So veröffentlichen beispielsweise Anbieter von Flügen oder Hotels ihre freien Kapazitäten in so genannten
„Inventories“ (Datenbanken), auf welche Reiseagenturen mit Hilfe von ComputerReservierungs-Systemen zugreifen können. Reiseveranstalter, welche Kontingente der
Anbieter aufkaufen und z. B. zu Pauschalreisen bündeln, veröffentlichen diese Komplettangebote ebenfalls in entsprechenden Inventories. Der Kunde kommuniziert mit
der Online-Reiseagentur in der Regel über deren Internetpräsenz bzw. „Internet
Booking Engine“ (oder z. B. über ein Callcenter).
Während bei der Vermittlung von Komplett- bzw. Pauschalreisen in der Regel eine Selektion der Angebote der Reiseveranstalter gemäß der vom Kunden vorgegebenen Kriterien
erfolgt („Filterung“), werden beim Dynamic Packaging sämtliche in Frage kommenden
Komponenten der Reise einzeln und in Echtzeit in den entsprechenden Inventories recherchiert. Das System hat dabei vor allem die Verfügbarkeit und Abhängigkeit der einzelnen
Komponenten zu berücksichtigen und die Preisbildung durchzuführen.
Abbildung 5–12: Funktionalschema der Reisevermittlung durch Online-Reiseagenturen
Anbieter 1
Anbieter 2
Flüge
Dynamic
Packaging
Logik
Anbieter 1
Anbieter 2
Hotels
Anbieter M
Reiseveranstalter 1
Reiseveranstalter N
Anbieter
(z.B. Lufthansa)
Veranstalter
(z.B. TUI)
Internet Booking Engine
Anbieter L
Kunde
Filter- Logik
Komplettreisen
„Inventories“,
„Computer-Reservierungs-Systeme“
(z.B. Amadeus)
Online-Reiseagentur
(z.B. expedia.de)
287
5.3
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5
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Die Dynamic Packaging Logik sollte auch Zugriff auf verfügbare Pauschalreisen
haben. Dies hat zweierlei Gründe: zum einen erhöht sich hierdurch die Wahrscheinlichkeit, dass eine den Wünschen des Kunden entsprechende Reise gefunden und
angeboten werden kann. Zum anderen muss das System Kenntnis von verfügbaren
Pauschalreiseangeboten haben, welche sich mit den Eigenschaften einer vom Kunden
konfigurierten Individualreise decken. Da anzunehmen ist, dass Kunden selbst
Preisvergleiche durchführen, kann der Gesamtpreis der Individualreise so gewählt
werden, dass er den der Pauschalreise nicht oder nur geringfügig übersteigt. Eine
zusammenfassende Darstellung dieses Prozesses ist Abbildung 5–12 zu entnehmen.
Prozessbeschreibung aus Kundensicht
Das im deutschen Raum momentan am fortschrittlichsten und umfangreichsten anmutende Dynamic-Packaging-Angebot ist „Click&Mix“ von expedia.de. Es wird auf der
Homepage neben Pauschal- und Lastminute-Reisen direkt beworben. Hier kann sich
der Kunde eine Reise zu weit mehr als 100 Destinationen nach individuellen Wünschen zusammenstellen lassen. Das System kombiniert hierbei Reisekomponenten wie
z. B. Flug, Hotel, Mietwagen oder Theaterbesuche unter Berücksichtigung von Abhängigkeiten und Verfügbarkeit. Ausgangspunkt bildet die Auswahl von Reiseziel, -zeitraum und Anzahl der reisenden Personen bzw. Hotelzimmer (Abbildung 5–13).
Abbildung 5–13: “Click&Mix“-Angebot auf expedia.de
Im nachfolgenden Schritt kann der Kunde aus einer Reihe von Basisvarianten seiner
Reise auswählen, welche den zuvor festgelegten Kriterien entsprechen. Jede Variante
repräsentiert eine Kombination aus Flug, Hotel und Mietwagen und wird zu einem
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Mass Customization in der Reisebranche
Gesamtpreis ausgewiesen. Nach Auswahl einer Basisvariante kann der Kunde
Modifikationen hinsichtlich des Fluges (Airline, Zeit), der Zimmerausstattung des
zuvor gewählten Hotels sowie der Beschaffenheit des Mietwagens vornehmen.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zum Abschluss einer Reiseversicherung
(Abbildung 5–14).
Abbildung 5–14: Individualisierung des Fluges, der Zimmerausstattung, des Mietwagens
sowie Auswahl einer Reiseversicherung
Im Anschluss an die Selektion der Grundkomponenten Flug, Hotel und Mietwagen
kann der Benutzer noch aus einer großen Anzahl zusätzlicher Aktivitäten an der
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Destination auswählen. Hierzu gehören z. B. Musicalaufführungen, Besichtigungen
oder Restaurantbesuche. Im Angebot solcher Zusatzleistungen kann ein entscheidender Differenzierungsvorteil von Dynamic-Packaging-Reisen gegenüber der konventionellen Pauschalreise gesehen werden, da sie der Reise einen einzigartigen Charakter
geben und somit dem Wunsch der Kunden nach einem einmaligen und exklusiven
Erlebnis entgegenkommen.
Den Abschluss der Buchung bildet die Bestätigung der ausgewählten Optionen sowie
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Anbieters. Hierzu ist das Anlegen eines
Benutzerkontos erforderlich. Der Konfigurationsvorgang ist insgesamt sehr durchgängig und übersichtlich, vermittelt jedoch vor allem aufgrund des hohen Textanteils und
der bei der Buchung erforderlichen Aufmerksamkeit kein „Fluss-Erlebnis“, wie es sich
z. B. bei interaktiven, graphisch orientierten Mass-Customization-Konfiguratoren einstellen kann. Die Darstellung der Preise der einzelnen Komponenten ist für den
Benutzer bewusst intransparent gestaltet, um ein direktes Vergleichen unterschiedlicher Angebote durch den Kunden zu erschweren. Bei der Individualisierung der
Komponenten werden lediglich preisliche Abweichungen von der Basisvariante ausgewiesen.
Abbildung 5–15: Tourdesigner der Jacana Tours GmbH
290
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Mass Customization in der Reisebranche
Eine andere Vorgehensweise zur Zusammenstellung einer individuellen Reise bietet
der „Tourdesigner“ der Jacana Tours GmbH (www.jacana.de) für das Reiseziel Afrika
an (Abbildung 5–15). Der Vorteil für den Kunden liegt darin, dass er seine eigene Route
zusammenstellen kann. Er „klickt“ sich etappenweise durch das Land seiner Wahl und
erhält zu jeder Stadt die wichtigsten Informationen sowie ausgewählte Unterkünfte
angeboten. Sowohl bei den einzelnen Etappen als auch bei den Unterkünften und
Mietwagen entscheidet er ganz nach seinen Wünschen. Der Tourdesigner vermittelt
einen Einblick in die einzelnen Reiseziele. Der Kunde plant seine Reise aufgrund dieser Information selbst und sendet seinen Wunsch per E-Mail an den Reiseveranstalter
Jacana Tours GmbH. Darüber hinaus hat der Kunde auch die Möglichkeit, die
Reiseplanung über einen Zeitraum von 14 Tagen auszudehnen, da das System ermöglicht, den persönlichen Reiseplan unter einem Benutzernamen abzuspeichern und
somit immer wieder aufzurufen. Es ist auch möglich, mehr als einen Plan abzuspeichern. In Abbildung 5–16 wird der Prozess aus Sicht des Kunden dargestellt.
Abbildung 5–16: Prozess aus Sicht des Kunden
OK
WebSite
?
Korrektur
OK
Nachricht
?
Gespräch
OK
Angebot
?
Vertrag
Optimierung
Der Kunde bekommt ein Angebot zu dem von ihm ausgewählten Reiseplan. Die
Buchung erfolgt letztendlich mit einer Unterzeichnung des zugesandten Angebots.
Sollte der Kunde mit dem Angebot nicht einverstanden sein, bietet die Jacana Tours
GmbH zusätzlich die Möglichkeit, einzelne Reisekomponenten zu verändern, um eine
Einigung zu erreichen. Auch der Prozess bei Jacana ist sehr übersichtlich und einfach
handhabbar gestaltet. Im Gegensatz zu expedia.de kann der Kunde die beabsichtigte
Reise jedoch nicht online buchen, sondern muss auf die Bestätigung durch das
Unternehmen warten. Es handelt sich damit nicht um eine Konfiguration der Leistung
im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um eine sehr strukturierte Übermittlung einer
Buchungsanfrage, die anschließend individuell von einem Mitarbeiter des Anbieters
bearbeitet wird. Durch die Vorstrukturierung kann allerdings diese klassische Leistung
eines Reiseanbieters effizienter und schneller erbracht werden. Bei „Click&Mix“ von
Expedia ist dagegen die gesamte Zusammenstellung und Reisebuchung automatisiert.
Preislich liegt Jacana Tours GmbH über den Angeboten der großen DynamicPackaging-Anbieter. Hierfür werden allerdings auch umfassende Individualisierungs291
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5
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
optionen und – auf Wunsch – eine individuelle Beratung geboten, die die Zahlungsbereitschaft erhöhen. Zudem sind die angebotenen Reiseziele eher im gehobenen
Segment und oft exklusiv über diesen Anbieter buchbar.
Veränderung der Kostenstruktur durch Dynamic Packaging
Aus theoretischer Sicht bietet Dynamic Packaging dem Anbieter die Möglichkeit, die
Konsumentenrente der Kunden abzuschöpfen, da den Kunden der Preisvergleich
erschwert oder nicht möglich ist. Hierbei kann der Fokus beispielsweise auf eine komplett nach den eigenen Bedürfnissen zusammengestellten Reiseroute oder auf
Zusatzleistungen an der Destination gerichtet werden, deren Preisstruktur sich dem
Kunden nicht ohne weiteres erschließt (z. B. Tagesausflüge). Jedoch zeigt sich heute,
dass Dynamic Packaging in der Regel nicht als Instrument zu Preissteigerungen
genutzt werden kann. Wie bereits erläutert, ist die Einführung von Dynamic Packaging
als Antwort auf die branchenweit rückläufigen Umsätze, insbesondere im Pauschalreisemarkt, zu werten. Aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks auf Anbieterseite und
der Transparenz des Marktes sehen sich die Dynamic-Packaging-Anbieter momentan
vielfach nicht imstande, die Zahlungsbereitschaft der Kunden im Vergleich zur
Pauschalreise zu erhöhen. Ziel ist vielmehr, angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage mit Hilfe von Dynamic Packaging den jeweiligen Umsatz zu sichern oder
ausbauen zu können. Während Anbieter TUI sein Individualreiseangebot generell
nicht teurer als die pauschalen Angebote gestaltet, stellt expedia.de den „Click&Mix“Kunden sogar Preisersparnisse bis zu 30 Prozent im Vergleich zur Buchung von
Einzelleistungen in Aussicht. In einer von der Marktforschungsfirma Ulysses im
Frühjahr 2003 durchgeführten Studie wurden bei Gegenüberstellung vergleichbarer
Individual- und Pauschalreiseangebote Preiszuschläge von 7 % bzw. 1,5 %, aber auch
Preisnachlässe von 3 % bzw. 0,5 % festgestellt.
Die mangelnde Zahlungsbereitschaft ist überdies vor dem Hintergrund zusätzlicher
Kosten durch die Einführung von Dynamic Packaging zu sehen. Insbesondere die
Entwicklung neuer Datenbanken (Inventories) zur Speicherung der komponentenbezogenen Informationen und deren Betrieb parallel zu den bestehenden KomplettreiseInventories stellt eine zusätzliche Kostenbelastung dar. Darüber hinaus müssen
Reiseveranstalter bzw. Reiseagenturen geeignete Dynamic-Packaging-Softwarelösungen erwerben und in ihre Internet Booking Engines integrieren.
Der zusätzlichen finanziellen Belastung durch Dynamic Packaging stehen jedoch auch
neue Kosteneinsparpotenziale gegenüber. Insbesondere könnten Reiseveranstalter theoretisch auf den „vorsorglichen“ Aufkauf von Kontingenten der Anbieter verzichten
bzw. diese nur nach tatsächlichem Bedarf der Kunden in Anspruch nehmen. Während
dieser Ansatz auf wenig Gegenliebe der Anbieter stoßen dürfte und daher eher theoretischer Natur ist, können Reiseveranstalter jedoch durch das Angebot von DynamicPackaging-Reisen viel über die Präferenzstrukturen ihrer Kunden lernen. Hierdurch
ließe sich in einem ersten Schritt das Angebot von Pauschalreisen besser an den
Kundenbedürfnissen ausrichten, was ebenfalls den Anteil aufgekaufter und nicht
genutzter Anbieterkontingente reduzieren könnte. Außerdem können Reiseveranstalter nicht nur durch die Umwandlung von Pauschalreisen in (günstige) LastminuteReisen versuchen, ihre schwer absetzbaren Komplettreisen zu verkaufen, sondern die
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Mass Customization in der Reisebranche
Komponenten dieser Reisen separat in entsprechenden Inventories anbieten. Durch die
Einführung von Dynamic Packaging können bei Reiseveranstaltern also vor allem
Risikokosten gesenkt werden. Die Anbieter kommen allerdings um die Einführung
neuer Angebote insgesamt nicht herum, da es im Moment eher darum geht die
Marktposition zu halten und nicht vom Markt zu verschwinden.
Erfolgsfaktoren für die zukünftige Entwicklung von Mass Customization in der
Reisebranche
Branchenintern stehen Anbieter von Dynamic-Packaging-Reisen vor allem in
Konkurrenz zu Pauschalreiseveranstaltern, wobei der Wettbewerb nicht über
Produktdifferenzierung, sondern hauptsächlich über den Preis geführt wird. Es ist
daher wesentlich für die Anbieter von Dynamic-Packaging-Reisen, eine kostengünstige Reisevermittlung auf Basis stabiler und durchrationalisierter Prozesse zu verwirklichen, von ihren Kunden zu lernen und diese unter Nutzung dieses Wissens an sich
zu binden.
Ähnlich Pauschalreiseveranstaltern müssen sie ihren Kunden das Gefühl geben, aus
einer großen Angebotsvielfalt wählen zu können und die Reise aus einer Hand sowie
zu einem günstigen Preis zu erhalten. Hierzu ist zum einen ein großes Netz von
Komponentenlieferanten aufzubauen. Zum anderen erscheint ein Auftreten als
Reiseveranstalter trotz der Haftungsproblematik unumgänglich, zumal Anbieter wie
Hotelketten oder Fluglinien ihre günstigen „Tour Operator Preise“ nur Reiseveranstaltern anbieten. Trotz der Erfordernis einer „kritischen Größe“ muss die Unternehmensstruktur der Anbieter flexibel genug bleiben, um zukunftsfähige Lösungen
zur Neukundengewinnung und Kundenbindung zu realisieren und auf plötzliche
Veränderungen der Nachfragesituation schnell und nachhaltig reagieren zu können.
Hier können größere Anbieter von den kleineren Unternehmen lernen.
In Kundenorientierung und Flexibilität sind somit die wesentlichen Erfolgsfaktoren für
einen weiteren Bedeutungsgewinn des Dynamic Packaging gegenüber der
Pauschalreise zu sehen. Jedoch bleibt abzuwarten, ob ausschließlich große Unternehmen mit gut skalierenden Prozessen und hoher, gleichwohl begrenzter Angebotsvielfalt Gewinner dieses Paradigmenwechsels hin zum individuellen Reisen sein werden. Gerade kleine Unternehmen könnten durch ihre Fähigkeit, wirklich individuell
auf die Kundenwünsche eingehen zu können und sie nicht auf einen diskreten
Lösungsraum reduzieren zu müssen, im Vorteil sein.
Fragen zur Diskussion der Fallstudie
„
Stellen Sie die Stärken und Chancen sowie Schwächen und Risiken des Dynamic-PackagingModells in einer SWOT-Analyse gegenüber.
„
Wodurch unterscheidet sich eine Individualisierung einer Dienstleistung von einer Mass
Customization bei Sachgütern? In welchen anderen Dienstleistungsbranchen sehen Sie noch
große Potenziale für eine Individualisierung?
„
Wie sieht ein optimales Co-Design-Toolkit (Konfigurator) für die Reisebranche aus?
293
5.3
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5
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Page 294
Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
„
Welche Ansätze sehen Sie für einen Einbezug der Kunden in den Innovationsprozess bei
Dienstleistungen?
„
Wie können Sie das Konzept der Economies of Integration für dieses Beispiel konkretisieren?
5.4
Linel GmbH: Entwurf eines MassCustomization-Konzepts für die Wasser- und
Abwasserfiltrationsbranche
Anlagen zur Wasser- und Abwasserfiltration müssen vielen spezifischen Gegebenheiten ihres Einsatzortes gerecht werden und sind damit in der Regel hoch individuell.
Erstaunlicherweise gibt es in dieser Branche aber noch kein ausgereiftes Mass-Customization-Angebot. Im Rahmen dieser Fallstudie sollen die Realisierungschancen von
Mass Customization bei einem der führenden Unternehmen dieser Industrie, der Linel
GmbH, evaluiert werden.4
Die Wasser- und Abwasserbehandlungsbranche
Wasser ist ein wichtiges und lebensnotwendiges Gut. Sowohl als Trinkwasser im täglichen Leben als auch als Wasch-, Lösungs- und Kühlmittel in der Industrie ist Wasser
unverzichtbar. Dabei sind lediglich 0,3 Prozent des gesamten Wasserreservoirs der
Erde als Trinkwasser nutzbar. Im Gegensatz zu anderen Rohstoffen unterliegt der
Wasservorrat einem ständigen Kreislauf aus Verdunstung und Niederschlag. Somit
kann sich die Menge an Wasser insgesamt nicht verringern. Allerdings kann sich die
Qualität verschlechtern, beispielsweise dadurch, dass belastende Stoffe in Gewässer
eindringen. Auch andere ökologische Faktoren lassen Wasser als ein zunehmend knappes Gut erscheinen. So herrscht beispielsweise in Süditalien ein derart großer Süßwassermangel, dass in vielen Gemeinden täglich nur wenige Stunden fließendes
(„süßes“) Wasser zur Verfügung steht. Der Bedarf an innovativen Lösungen wie
Wasserentsalzungs- oder Trinkwasseraufbereitungsanlagen scheint damit ständig zu
wachsen. Zudem erfordern verschärfte Umweltauflagen auch die Behandlung von
Prozesswasser, zum Beispiel in der Metallverarbeitungsindustrie.
Zur Befriedigung dieser Nachfrage steht ein sehr großes Angebot an Lösungen zur
Verfügung. Genaue Daten über die weltweite Anzahl entsprechender Unternehmen
liegen nicht vor, da es sich oft um recht kleine und lokal spezialisierte Unternehmen
handelt. Einen guten Anhaltspunkt liefern allerdings Daten der weltweiten Leitmesse
für Entsorgungs- und Abfallwirtschaft, die IFAT München: So stellten im Jahre 2002
919 Unternehmen aus den Bereichen Wasser- und Abwasserbehandlung aus. Der spe4
294
Die Fallstudie wurde von Michael Erspamer und Melanie Müller erstellt und basiert auf
einem Ergänzungsbeitrags der Autoren für das Buch „Mass Customization und
Kundenintegration: Neue Wege zum innovativen Produkt“, Düsseldorf: Symposion Verlag.
Diese Fallstudie ist zu Illustrations- und Lehrzwecken erstellt worden und kann ein vereinfachtes oder modifiziertes Abbild der Wirklichkeit darstellen. Sie berichtet nicht wirklichkeitsgetreu über derzeitige und zukünftige Aktivitäten des dargestellten Unternehmens.
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Page 295
Linel GmbH: Entwurf eines Mass-Customization-Konzepts
zielle Bereich der Membrananlagenbauer, zu denen auch das in dieser Fallstudie vorgestellte Unternehmen Linel GmbH gehört, umfasste 81 Anbieter. Im Vergleich zur
Messe im Jahre 1999 waren jedoch rund 40 Prozent der damals teilnehmenden
Unternehmen nicht mehr anwesend. Dies deutet auf einen hart umkämpften Markt
hin, in dem das Überleben für kleinere unabhängige mittelständische Unternehmen
schwer ist und der zunehmend von größeren Unternehmen beherrscht wird.
Linel GmbH: Unternehmen und Produktfeld
Die Linel GmbH war ursprünglich ein italienisches Tochterunternehmen der SAG
Energieversorgungslösungen GmbH und ist seit nunmehr 30 Jahren als eigenständiges
Unternehmen vorwiegend auf dem deutsch- und italienischsprachigen Markt tätig.
Das Unternehmen beschäftigt derzeit etwa 80 Mitarbeiter.
Neben den ursprünglichen Sparten Netzbau und Gebäudetechnik wurde vor 20 Jahren
die Sparte Depurtec als dritter Geschäftsbereich gegründet. Die Produktpalette reicht
von der Trinkwasser- über die Prozesswasseraufbereitung bis hin zur Meerwasserentsalzung. Die Kerntechnologie liegt dabei in der Membranfiltration, welche die Mikround Ultrafiltration sowie die Umkehrosmose umfasst. Der Gesamtumsatz der Sparte
Depurtec beläuft sich auf ca. 9 Mio. €, wobei ca. 5 Mio. € auf das Segment der Mikround Ultrafiltration zurückgehen und ca. 4 Mio. € durch den Verkauf der
Umkehrosmose-Anlagen (sie liefern voll entsalztes Wasser) erwirtschaftet werden. Das
Unternehmen spricht mit seinen Produkten folgende Zielgruppen an:
„
Haushalte und Gemeinden: In niederschlagsarmen Regionen wird Süßwasser rund
um die Uhr verfügbar, Kunden sind entweder Privatpersonen oder Gemeinden.
„
Gastronomie: Durch Entsalzung des Spülwassers können Gläser und Besteck lufttrocknen, ohne später Flecken aufzuweisen.
„
Industrie: Abwässer werden unter Berücksichtigung umweltrechtlicher Auflagen
für die Metallverarbeitungs-, Automobil- und Lebensmittelbranche bearbeitet.
Filtrationsanlagen sind kein Prestigeobjekt wie etwa Autos. Design sowie sichtbare
Merkmale wie Farbe oder Form sind in den Augen des Kunden eher nebensächlich. Der
Bedarf für derartige Anlagen resultiert aus der generellen Knappheit der Ressource
Wasser in bestimmten Regionen sowie aus umweltrechtlichen Bestimmungen, die etwa
bei Lackierereien die Nachbehandlung des Abwassers vorschreiben. Aufgrund der vielfältigen Anwendungsbereiche sind Filtrationsanlagen ein höchst kompliziertes
Produkt, das individuell auf den einzelnen Abnehmer abgestimmt werden muss.
Die Konfiguration einer Filtrationsanlage wird durch verschiedene Parameter
bestimmt. Wichtigster Einflussfaktor ist das zu behandelnde Wasser selbst. Das
Abwasser muss zunächst genau analysiert und hinsichtlich seiner Zieleigenschaften, z.
B. Trinkwasser, definiert werden. Die Permeatleistung (Resultat des Filtriervorgangs)
pro gegebene Zeiteinheit sowie die qualitative Ausführung der Anlage sind weitere
Parameter, die stark variieren können. Da Filtrationsanlagen in der Regel über viele
Jahre in Dauerbetrieb laufen, sind aus Kundensicht weiterhin Service und Wartung der
Anlage wichtige kaufentscheidene Kriterien. Deshalb müssen auch Nachkaufleistungen wie Wartungsvereinbarungen individuell definiert werden.
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Ziel des Unternehmens Linel ist es, dem Kunden qualitativ hochwertige Produkte in
„maßgeschneiderter“ Form als Lösung zu präsentieren. Derzeit stehen wenigen standardisierten Produkten viele Einzelfertigungen für individuelle Abnehmer gegenüber.
Für die Mehrzahl der Aufträge erfolgt eine eigene Planung und Projektierung in
Losgröße eins. Mit wachsendem Kundenstamm und einer zunehmenden Bedeutung
von Anlagen zur Wasseraufbereitung wuchs aber auch die interne Komplexität. Die
Geschäftsleitung stand so vor der Aufgabe, eine neue Strategie zu definieren, mit der
sowohl auf die wachsenden Kundenansprüche als auch auf den sich verschärfenden
Wettbewerbsdruck reagiert werden kann. Durch einen Vortrag auf einer Branchenmesse auf den Mass-Customization-Gedanken aufmerksam geworden, gründete die
Geschäftsleitung eine interne Arbeitsgruppe, um eine kritische Analyse der Chancen
und Potenziale zu diskutieren. Diese Arbeitsgruppe definierte die im Folgenden dargestellten Ergebnisse.
Konzeption eines potenziellen Mass Customization-Angebots
In der Wasser- und Abwasserbehandlungsbranche zeichnet sich ein erfolgreiches
Unternehmen durch die Fähigkeit aus, mit dem Kunden im Leistungserstellungsprozess zu interagieren. Aufgrund der individuellen Eigenschaften des zu behandelnden Wassers erwartet der Abnehmer, dass sich der Anbieter intensiv mit ihm auseinandersetzt, um die beste individuelle Lösung zu erhalten. Neben den Kosten für die
Maßfertigung der Anlagen erhöhen damit die für die Kundeninteraktion anfallenden
Kosten den Verkaufspreis einer Anlage wesentlich. Es ist üblich, dass Vertriebsmitarbeiter und Kunde zunächst für ein intensives Verkaufsgespräch zusammenkommen,
um die beste Lösung für den jeweiligen Kunden zu finden. Nach ca. zwei Wochen
intensiver Planung und Konstruktion beim Hersteller wird dem Kunden ein Angebot
übermittelt; allerdings entspricht dies meist nicht genau dem Kundenbedürfnis.
Kosten- und Zeitintensive Nachbesserungen sind die Regel.
Ein Mass Customization Konzept würde es nun ermöglichen, neben den Produktionskosten auch die Kosten für die Interaktion mit dem Kunden zu senken. Denkbar ist beispielsweise, dass der Kunde sich mittels eines Online-Konfigurators sein Produkt auf
einfache Art und Weise selbst zusammenstellt und eine Anfrage an das Unternehmen
sendet. Der Konfigurator ersetzt damit zumindest teilweise den Verkäufer. Dadurch,
dass alle Lösungen im Konfigurator bereits vorab durchdacht wurden, entfallen
zudem zeitraubende Nachbesserungsprozesse. Der Kunde erkennt sofort, wie seine
Wünsche in das Produkt umgesetzt werden. Dadurch reduziert sich auch die Zeit bis
die individuelle Anlage produziert werden kann, die Kosten sinken ebenfalls.
Hebelpunkt des Mass-Customization-Konzepts wäre die Ablösung der klassischen
Einzelfertigung und des Engineer-to-order-Konzepts durch eine Projektierung und
Fertigung aus Baukastenelementen, die sich der Kunde innerhalb bestimmter Grenzen
nach dem individuellen Wünschen selbst zusammenstellt. Möglich wäre dies durch
ein Mass-Customization-Angebot, das auf dem Konzept einer quantitativen Modularisierung beruht, d. h. der Kunden kann durch Hinzufügen und Variieren eines oder
mehrerer Module den Nutzen des funktionstüchtigen Produkts erhöhen. Beispielsweise kann einer funktionierenden Abwasserfiltrationsanlage das Modul „Digitale
Steuerung und Datenerfassung mittels Kleincomputer“ hinzugefügt werden.
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Linel GmbH: Entwurf eines Mass-Customization-Konzepts
Abbildung 5–17 gibt einen Überblick über mögliche Module einer Filtrationsanlage
sowie ihre Ausprägungen.
Abbildung 5–17: Mögliche Module einer Filtrationsanlage und ihre Ausprägungen
Tank
Edelstahl
Verchromt
Nicht
veredelt
Steuerung
Verbundwerkstoff
…
…
Manuell
Pumpe
Digital
Mit Kennfeldanzeige
Ohne Kennfeldanzeige
Mit Druckanzeige
Mit
Display
Ohne Druckanzeige
Ohne
Display
Prozessbeschreibung aus der Sicht der Linel GmbH
Diese Bestandteile könnten im folgenden Prozess münden: Der Erstellungsprozess
einer Filtrationsanlage beginnt mit der Einreichung einer Wasserprobe zur
Laboranalyse durch den Kunden. Das Abwasser wird untersucht und ein passender
Membrantyp gesucht; dieser ist für Filtrierqualität und ein störungsfreies Funktionieren der Anlage wesentlich. Anschließend beginnt der eigentliche Konfigurationsprozess der Anlage. Ein Internet-Konfigurator (Abbildung 5–18) scheint geeignet, die
individuellen Kundenbedürfnisse in Produktmerkmale zu übertragen und dabei
gleichzeitig die Kosten niedrig zu halten. Hierbei sollte der Kunde die aus der
Abwasseranalyse gewonnenen Daten hinsichtlich Membranbeschaffenheit sowie
benötigter Permeatleistung pro Zeiteinheit in den Konfigurator eingeben können, worauf dieser aus einer Bibliothek bereits vorhandener Lösungen ein Basisprodukt zur
Auswahl anbietet. Dieses Basisprodukt beinhaltet bereits die Anzahl notwendiger
Pumpen, die Kapazität des Speichertanks, die Anzahl der notwendigen Membranen,
sowie weitere grundlegende Komponenten. Zudem sollten Preis und weitere wichtige
Daten wie Größe und Gewicht angegeben werden.
Anschließend sollte der Online-Konfigurator dem Kunden die Möglichkeit bieten,
„
zwischen verschiedenen Optionen wie Material des Tanks (Verbundstoff, INOX,…)
oder Qualität der Pumpen zu wählen,
„
die Anlage um bestimmte Module wie zusätzliche Regler oder digitale Anzeigen zu
erweitern,
„
zwischen Finanzierungsoptionen und Servicekonditionen wie Wartungsverträgen,
Garantieleistungen usw. auszuwählen.
Da das Konfigurieren für einen Kunden eventuell komplex ist, sollte jederzeit ein
Berater zu Rate gezogen werden können, beispielsweise via einer Hotline. Nach
Abschluss des Konfigurationsprozesses erhält Linel eine Bestellung bzw. Anfrage.
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Abbildung 5–18: Darstellung eines Konfigurators für Membranfiltrationsanlagen
Diese wird an das Produktdatenmanagement-(PDM-)System weitergeleitet, das die
Bestellung auf Teileverfügbarkeit überprüft und dann einen Liefertermin berechnet,
der dem Kunden per E-Mail mitgeteilt wird. Erhält das Unternehmen eine Bestätigungsmail für den Auftrag vom Kunden, wird der Anlage eine Seriennummer zugewiesen und die Fertigung beginnt. Idealerweise sind die Lieferanten in das
Lagerverwaltungs- und Bestellsystem eingebunden. Im Falle fehlender Teile kann
dadurch eine automatische Bestellung beim Lieferanten erfolgen.
Neben der Einbeziehung des Kunden in den Anlagenentwurf mittels OnlineKonfigurator könnte Linel auch neue Impulse für das Kundenbeziehungsmanagement
bekommen. Ziel ist der Aufbau von Kundenbindung und damit eine bessere Nutzung
von weiteren Geschäftsmöglichkeiten. Bisher bricht der Kontakt zum Kunden nach
dem Verkauf einer Anlage größtenteils ab; eine Ausnahme bilden kostspielige
Reparaturleistungen. Vor allem Erlöse aus dem Verkauf ergänzender und zusätzlicher
Leistungen gehen damit verloren.
Ein weiteres entscheidendes Potenzial liegt so in der Nutzung der bereits vorhandenen
Kundendaten zum Aufbau intensiver Kundenbeziehungen. Informations- und Kom298
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Linel GmbH: Entwurf eines Mass-Customization-Konzepts
munikationstechnologien erlauben es seit einigen Jahren, den Kundenkontakt zu vergleichsweise niedrigen Kosten aufrecht zu erhalten. Beispielsweise könnte ein regelmäßig erscheinender Newsletter über Produktneuheiten informieren. Denkbar ist außerdem die Einrichtung eines Internetportals, wo Kunden untereinander und mit Experten des Unternehmens über Erfahrungen, Probleme und Verbesserungsvorschläge
diskutieren. Zusätzlich können ergänzende Serviceleistungen in modularer Form
angeboten werden (Abbildung 5–19). Auch das Angebot der präventiven Wartung
erscheint lukrativ und auch hier kann der Kunde aktiv eingebunden werden, indem er
selbst die Anlage beobachtet und Erfahrungen mit der Entwicklungsabteilung der
Linel GmbH online austauscht.
Abbildung 5–19: Beispielmodul Wartung & Reparatur
Wartung & Reparatur
Präventiver
Wartungsvertrag
Kostenlose
Membran
reinigung
Halbjährlicher Routinecheck
Garantieleistung und
Reparatur bei Schäden
…
…
Leasingkonzept
…
…
Eine weitere Idee ist die Realisierung eines Leasingkonzepts, bei dem der Kunde seine
Anlage für einen entsprechenden Jahresbeitrag least. Für das Funktionieren der Anlage
ist grundsätzlich der Hersteller verantwortlich; allerdings ist auch der Abnehmer bemüht (oder vertraglich verpflichtet), Informationen weiterzugeben, da dies der
Einsatzzeit der Anlage und damit seinen Kosten zugute kommt. Damit entsteht eine
partnerschaftliche Beziehung zwischen der Linel GmbH und dem Kunden, denn beide
Seiten profitieren von der engen Kooperation. Zudem steigen die Chancen für den
Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen, da der Abnehmer kein Interesse haben
wird, aus der funktionierenden Partnerschaft auszutreten.
Analyse des Mass-Customization-Prozesses aus Kundensicht
Produkte im Markt für Wasser- und Abwasserfiltration werden in jeder Preisklasse
angeboten. Allerdings erscheinen Billiganbieter auf der einen Seite oft wenig vertrauenswürdig; auf der anderen Seite sind die Produkte renommierter Hersteller oft in
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
ihrer Ausführung zu teuer und entsprechen nicht dem einfacheren Verwendungszweck des Kunden. Aufgrund des vielfältigen Angebots ist es für den Kunden derzeit
äußerst schwierig, das für ihn passende Produkt auf einfache Art und Weise zu finden.
Durch Mass Customization erlebt der Kunde nun zwei wesentliche Vorteile: Er erhält
das Produkt, das am besten zu seinen individuellen Bedürfnissen passt auf vergleichsweise einfache Art und Weise, und das zu einem für ihn akzeptablen Preis. Wird der
Konfigurationsprozess ins Internet verlagert, kann der Kunde jederzeit zeit- und ortsunabhängig Informationen über Angebot der Linel GmbH abrufen und sich ein
(Probe-)Produkt zusammenstellen. Der Kunde sieht unmittelbar, wie seine Bedürfnisse
am Produkt umgesetzt werden und kann jederzeit nachbessern. Zudem fühlt er sich
vom Unternehmen als Partner wahrgenommen, da er aktiv an der Produkterstellung
mitarbeitet. Kunden, die Unterstützung benötigen, steht eine kostenlose Hotline zur
Verfügung.
Weitere Vorteile für den Kunden ergeben sich beispielsweise hinsichtlich der Wartezeit
zwischen Anfrage und Angebotserstellung, die mit Hilfe des integrierten Konfigurationssystems verkürzt wird. Zudem entfällt die Zeit (und die Kosten) für
Nachbesserungen am Produkt, da der Konfigurator von vornherein nur realisierbare
Lösungen enthält. Allerdings sollte bedacht werden, dass ganz spezifische Kundenwünsche mit dem modularen Angebot eventuell nicht mehr erfüllt werden können. Es
könnten also einige Kunden für das Unternehmen verloren gehen. Jedoch scheinen die
Potenziale, die ein Mass Customization Konzept mit sich bringt, diese Verluste mehr
als aufzuwiegen.
Analyse des Mass-Customization-Prozesses aus Unternehmenssicht
Die Einführung eines auf den Prinzipien der Mass Customization beruhenden Konzepts bietet ein großes Potenzial zur Kostensenkung. Erster wichtiger Ansatzpunkt ist
die Komplexitätsreduktion in der Fertigung. Allen Anlagen muss eine Modulbauweise
zugrunde gelegt werden. Dadurch können die hohen Rüstzeiten der bisherigen
Einzelfertigung reduziert, Fertigungsprozesse wie das Drehen standardisiert und
somit die effektive Auslastung der Maschinen erhöht werden. Die Produktionskapazität steigt, was die durchschnittlichen Stückkosten senkt. Zudem kann die
Verwendung von modularisierten Gleichteilen (z. B. Steuerungskästen) Verbundeffekte hervorrufen. Erfahrungs- und Lerneffekte führen ebenso zu einer Reduktion
der Fertigungskosten.
Auch im Einkauf ergeben sich Einsparungspotenziale. Durch die Modulbauweise werden größere Mengen eingekauft; die Einkaufspreise sinken grundsätzlich. Zudem werden die Logistikkosten verringert. Bei einer sinnvollen Konzentration auf möglichst
wenige unterschiedliche Teile, sinken außerdem die Lagerkosten. Planung und
Konstruktion müssen auch nicht mehr für Teile erfolgen, die nur einmalig verwendet
werden können, sondern nur für die mehrfach verwendbaren Module.
Der für eine Implementierung des Mass Customization Konzepts notwendige Konfigurator bedeutet zunächst eine Kostenerhöhung. Es entstehen einmalige Programmierkosten zu Beginn sowie laufende Kosten für die Wartung. Doch gerade
durch den Konfigurationsprozess öffnen sich weitere wesentliche Kosteneinsparungs300
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Linel GmbH: Entwurf eines Mass-Customization-Konzepts
potenziale. Der Kunde stellt sich sein Angebot praktisch selbst zusammen, wodurch
Vertriebskosten in erheblichem Maße eingespart werden. Durch eine kontinuierliche
Auswertung der Konfigurationsdaten erhält Linel zudem Informationen über bevorzugte Produktvarianten und kann sein Produktangebot dementsprechend weiterentwickeln. Intensive Kundenbeziehungen beeinflussen zudem das Weiterempfehlungssowie Wieder- und Zusatzkaufverhalten der Kunden. Außerdem können Marktforschungstests überflüssig werden, da viele Informationen mit Hilfe des Konfigurators
und aufgrund der intensiven Kundenbeziehung gewonnen werden. So können zum
Beispiel die typischen Konfigurationen der Kunden einer Region als Ausgangspunkt
für eine standardisierte, aber genau passende Lösung für diese Region angeboten werden. Dies würde Linel ermöglichen, die Umsatzzahlen auch im Bereich der preiswerteren Lösungen effizient zu bedienen.
Die Stärken und Chancen des Konzepts liegen in den folgenden Aspekten:
„
Als erster Mass Customizer der Branche würde die Linel GmbH über ein
Alleinstellungsmerkmal verfügen und sich deutlich von der Konkurrenz abgrenzen.
„
Der Bedarf an Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung ist stark wachsend. Mit dem
Mass Customization Angebot könnte sich Linel in neuen Marktsegmenten schnell
und flexibel etablieren. Vor allem potentielle Massenmärkte wie Meerwasserentsalzungsanlagen für Haushalte in süßwasserarmen Gebieten könnten durch eine
Produktionssteigerung bei gleichzeitiger Kostensenkung besser bedient werden.
„
Durch den Konfigurationsprozess erstellt sich der Kunde sein individuelles
Produkt auf einfache Art und Weise. Auch das Risiko von Fehlinnovationen und
langwierigen Nachbesserungsprozessen sinkt. Das Unternehmen ist attraktiver für
Kunden, da Kosten und Zeit bis zur Auslieferung des individuellen Produktes sinken. Ein durchdachter Konfigurationsprozess hilft, die Kosten der Kundeninteraktion zu senken.
„
Durch die Darstellung der verschiedenen Optionen wird den Kunden die
Leistungsfähigkeit des Anbieters besser bewusst, der Konfigurator dient gerade bei
technisch anspruchsvollen Produkten wie denen von Linel nicht nur zur Konfiguration einer individuellen Leistung, sondern auch zur Darstellung des möglichen
Lösungsraumes und der Kompetenz des Anbieters.
„
Ein integriertes Customer Relationship Management Konzept von der Konfiguration
bis zur Nachkaufbetreuung hat positive Auswirkungen auf die Zufriedenheit des
Kunden und damit auf dessen Folge- und Zusatzkäufe sowie positive Weiterempfehlungen. Damit steigt letztendlich der Profit des Unternehmens.
„
Die Einführung des Mass-Customization-Programms „zwingt“ das Anbieter, die
bestehenden Produktstrukturen zu überdenken und vorhandene Spezialteile und
Sonderanfertigungen auf Gleichteile und standardisierte Module zu überprüfen.
Diese Aufgabe verursacht zwar einmalig größere Kosten und Umstellungsaufwand, ist aber langfristig die zentrale Ausgangslage für eine effiziente Kostenposition.
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
„
Durch die Modularisierung der Anlagenkomponenten sowie den Einsatz von CIMProgrammen und Rapid Manufacturing werden Größen- und Verbundvorteile erzielt.
„
Die Abkehr von Losgröße eins in der Fertigung (Maßfertigung) ermöglicht eine
bessere Auslastung der Maschinen sowie die Verkürzung von Rüstzeiten. Hierdurch entstehen Kosteneinsparungen im Vergleich zur Konkurrenz.
„
F&E-Kosten können durch die Einbeziehung des Kunden reduziert werden.
Basierend auf regelmäßigen Auswertungen der Kundenkonfigurationen wird das
Angebot in Hinblick auf die Kundenbedürfnisse optimiert.
Als Gefahren für Linel sind die folgenden Punkte zu nennen:
„
Das Konzept muss grundlegend durchdacht und neu eingeführt werden; es gibt
keinen Vorreiter. Damit ist großer Implementierungsaufwand zu erwarten.
„
Es ist mit erheblichen Widerständen im Unternehmen selbst zu rechnen, da viele
der klassischerweise im einzelkundenbezogenen Projektgeschäft tätigen Mitarbeiter und Entwickler vollkommen umdenken müssen. Ihre Aufgabe ist nicht mehr
die Konkretisierung einer einzelkundenbezogenen Lösung, sondern vielmehr die
langfristige Optimierung der Optionen, der Produktarchitekturen und des
Konfigurationswerkzeugs.
„
Der Konfigurationsprozess könnte für den Kunden ungewohnt sein. Kunden könnten ablehnend reagieren, da ihnen die Vorteile nicht sofort ersichtlich werden oder
weil sie auf die persönliche Beratung durch den Verkäufer nicht verzichtet möchten.
„
Das Mass-Customization-Angebot besitzt Grenzen. Besonders ausgefallene Kundenwünsche können eventuell nicht mehr befriedigt werden.
„
Durch die zu Beginn anfallenden Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien, z. B. den Konfigurator, sowie die Kosten der Umstrukturierung
des Fertigungsablaufs entsteht das Risiko, aus dem hart umkämpften Markt
gedrängt zu werden, sollte sich der Erfolg nicht sofort einstellen.
Ausblick und Entscheidungsfindung
Wasser wird in Zukunft noch wertvoller und knapper werden. Immer neue Gesetze
zwingen Unternehmen, Haushalte und Gemeinden, ihr Abwasser umweltgerecht zu
entsorgen und gegebenenfalls wieder zu verwenden. Der Bedarf nach Lösungen zur
Bewältigung des Problems der Wasserknappheit steht erst am Anfang; der Markt
befindet sich im Wachstum. Die Realisierung eines Mass Customization Konzepts
eröffnet die Chance, sich grundlegend von der Konkurrenz abzuheben. Die anfänglichen Investitionen könnten sich rasch amortisieren. Das Bedürfnis nach individuellen
Lösungen auf Seite der Kunden wird dabei weiterhin befriedigt, jedoch sind Kosten
und damit Preise niedriger, weshalb dieses Konzept sowohl Anbietern als auch
Abnehmern entscheidende Vorteile bringt. Allerdings bedeutet die Einführung des
Systems auch einen erheblichen Umstellungsaufwand und nicht wenige Risiken während der Einführungsphase, die ein mittelständisches Unternehmen wie Linel nicht
einfach durch das Gesamtgeschäft ausgleichen kann.
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Effizienz der interaktiven Wertschöpfung
Fragen zur Diskussion der Fallstudie
„
Versuchen Sie durch eine Internet-Recherche aktuelle Daten zu Unternehmen und
Wettbewerbern herauszubekommen. Finden Sie Beispiele von Unternehmen, die sich ähnlich
aufgestellt haben wie Linel.
„
Was ist aus Ihrer Sicht die wesentliche Chance durch die Einführung eines MassCustomization-Programms in diesem Unternehmen?
„
Sehen Sie weitere Risiken als die im Fall genannten? Welches Risiko sehen Sie am nachhaltigsten?
„
Wie beurteilen Sie den angestrebten Wechsel vom persönlichen Vertrieb zu einem OnlineVerkaufsprozess?
„
Wie könnte ein kleineres mittelständisches Unternehmen den Einführungsprozess des MassCustomization-Angebots am besten gestalten? Wie kann die Geschäftsleitung am besten alle
betroffenen Abteilungen „mit ins Boot holen“?
„
Wie können Sie das Konzept der Economies of Integration für dieses Unternehmen konkretisieren?
5.5
Effizienz der interaktiven Wertschöpfung –
eine Kalkulation am Beispiel von
Maßkonfektion
Diese Fallstudie soll die Kostensenkungspotenziale einer interaktiven Wertschöpfung
genauer konkretisieren. Sie demonstriert an einem Beispiel, wie sich die Kosten- und
Profitstruktur von Mass Customization gestaltet. Ziel dieses Abschnitts ist, Anregungen
zu geben, diese Kalkulation auch auf andere Branchen zu übertragen. Dazu werden
anhand eines fiktiven Beispiels, aber auf Basis realer Zahlen, die einzelnen Rechenschritte gegenübergestellt. Beispielindustrie ist die Bekleidungsbranche, die eine
Vorreiterrolle in Hinblick auf die Umsetzung von Mass Customization innehat.5
Hintergründe zu Mass Customization in der Bekleidungsindustrie
Die Vorteile von Mass Customization im Bekleidungsbereich liegen auf der Hand:
Endlich muss ein Kunde keine Kompromisse mehr zwischen Passform- und
Designvorstellungen eingehen. Obwohl für betuchte Menschen schon immer die
Möglichkeit bestand, sich maßgeschneiderte Anzüge, Kostüme, Hemden und auch
Schuhe anfertigen zu lassen, erfolgt der Großteil der Kleidungskäufe von der Stange.
Mass Customization (oder Maßkonfektion) bietet hier eine Alternative zwischen dem
hoch individuellen und meist handwerklichen Vorgehen eines Schneiders und der
5
Die Fallstudie basiert auf einem Beitrag von Falk-Hayo Sanders, Christof Stotko und Frank
Piller für das Buch „Mass Customization und Kundenintegration: Neue Wege zum innovativen Produkt“, Düsseldorf: Symposion Verlag. Die Fallstudie ist zu Illustrations- und
Lehrzwecken erstellt worden und kann ein vereinfachtes oder modifiziertes Abbild der
Wirklichkeit darstellen. Sie berichtet nicht wirklichkeitsgetreu über derzeitige und zukünftige Aktivitäten des dargestellten Unternehmens.
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
standardisierten Kleidung industrieller Herstellung (siehe Kasten 5–2 für einige
Beispiele).
Abbildung 5–20 zeigt die einzelnen Schritte der Erstellung von Maßkonfektion. Die
Wertschöpfungskette beginnt bei der Erhebung von Scannerdaten des Kunden (und
zusätzlicher Informationen zur Ausstattung etc.). Diese Daten werden dann automatisch in ein Schnittmuster übertragen (oder einer größeren Bibliothek von
Schnittmustern zugeordnet),das dann in der Regel mit einem Lasercutter im
Einzellagenzuschnitt in die passenden Komponenten des gewählten Stoffs überführt
wird, Alle weiteren Schritte sind dann aber weitgehend die gleichen wie bei einer
Standardproduktion.
Abbildung 5–20: Wertschöpfungskette bei Maßkonfektion
Einlagenzuschnitt
Schnittdaten
Nähplatz
3D
Mensch
Modell
3DScanner
Messdaten
SchnittSystem
normierte
Körpermaße
Produktions
-Leitsystem
Konstruktionsmaße
Nähplatz
Kunde
Kasten 5–2:
Auslieferung
Endkontrolle
Bügelplatz
Beispiele für Maßkonfektion im Internet
„
Dolzer GmbH, Deutschland (dolzer.de): Der deutsche Pionier und größte Anbieter
„
Land’s End (landsend.com): Nutzt die Dienste des Systemintegrators Archetype, um
Maßkonfektion umzusetzen.
„
MeJeans (mejeans.com) und UJeans (UJeans.com): Individuelle Jeans mit großer Auswahl,
aber sehr komplexe Websites.
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Effizienz der interaktiven Wertschöpfung
„
Polo Ralph Lauren (polo.com): Erste Personalisierungsschritte eines großen Anbieters.
Literaturempfehlungen zur Individualproduktion in der Bekleidungsindustrie
„
Seidl, Andreas et al. (Hg.) (2001) Zukunft Maßkonfektion. Technik, Markt und Management.
Frankfurt/M.: Deutscher Fachverlag 2001.
„
Steffen, Marion (2001). Strategische Netzwerke für komplexe Konsumgüter am Beispiel der
industriellen Maßkonfektion. Frankfurt am Main: Lang 2001.
„
Ulrich, Pamela / Anderson-Connell, Lenda Jo / Wu, Weifang (2003). Consumer co-design of
apparel for mass customization. Journal of Fashion Marketing and Management, 7 (2003) 4:
398-412.
Kalkulationsbeispiel
Als Beispiel dient Vertrieb und Produktion einer individuellen Damenhose, produziert in
Asien und vertrieben über den stationären Handel in Europa. Sie erzielt im Beispiel einen
Verkaufspreis von 100 Euro. Die zu realisierenden Potenziale ergeben sich aus dem
Vergleich mit den Bedingungen, die herrschen, wenn das Produkt klassisch nach den Prinzipien der Massenfertigung (Variantenfertigung) hergestellt und vertrieben würde. Als
Übersicht der Effekte dient Abbildung 5–21. Sie gibt schematisch wieder, wie sich die einzelnen Economies auf den Deckungsbeitrag von Maßkonfektionsware auswirken. Ausgangspunkt ist dabei eine (heute bereits optimistische) Umsatzrendite von fünf Prozent.
Diese kann sich durch Mass Customization – trotz höherer Kosten – fast verdoppeln (wenn
lediglich eine singuläre Transaktion betrachtet wird, bei Berücksichtigung von Folgekäufen
oder mittelbaren Kostensenkungspotenzialen ist das Ertragssteigerungspotenzial sogar
noch höher, was der „Berichtsposten“ am rechten Rand des Schemas ausdrücken soll).
Abbildung 5–21: Kostenstruktur Maßkonfektionsware (Datenmaterial nach Sanders 2001)
Basis: 100 EUR
Preis-Premium
Ziel: Reduzierung der zusätzl. Kosten
durch Modularisierung & Stabilität
Berichtsposten:
Profitsteigerung durch Vorteile
bei Kundenbeziehungen,
Vermeidung von
Verschwendung
Vermeidung entgangener
5
Umsätze durch
Budgetverlagerung etc.
4
1
13
x
-9
-3
9
-3
-4
5
Erhöhte
Deckungs- Vermeidung Reduktion
Vermeidung
beitrag
Diebstahl- Preisbereitvon Rabatten der Lagerschaft
Standard
risiko
und
bestände
Discounts (statt 100 nur
5 Tage zu
15% p.a.)
Erhöhte
Erhöhte
Produktions- Transportkosten (+18% kosten
auf Basis 50
EUR)
Änderungsaufwand
(10% der
Aufträge)
Kosten der Deckungs- zzgl. weitere
beitrag
Kundenmgl. SavingMass
interaktion
potenziale
Customization
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Fallstudien zur interaktiven Wertschöpfung
Kostensenkungspotenziale
Das Potenzial einer Reduktion von Verschwendung schlägt sich in diesem Fall in drei
großen Blöcken nieder, die im Beispiel eine gesamte Kostensenkung von 18 Euro
bewirken können.
Dies sind im Einzelnen:
„
die Vermeidung von Discounts,
„
die Reduktion der Lagerbestände,
„
die Verringerung des Diebstahlrisikos.
Vermeidung von Discounts: Die Einsparungen durch Vermeidung von Discounts
machen mit 13 Euro den Löwenanteil aus. Diese Rechnung ist in Abbildung 5–22
genauer aufgeschlüsselt. Die Kalkulation geht von der Annahme aus, dass nur 60
Prozent der Massenware zum Listenpreis verkauft werden kann. Die übrigen 40
Prozent sind nur durch zum Teil erhebliche Preisnachlässe im Markt zu positionieren.
Dabei erfahren 20 Prozent der Bestände eine Preisreduktion von 30 Prozent, 15 Prozent
werden um 40 Prozent reduziert und fünf Prozent werden gar mit Rabatten von 60
Abbildung 5–22: Vergleich Abschriften bei Massenkonfektion und Mass Customization
(Datenmaterial nach Sanders 2001)
Standardkonfektion
Maßkonfektion
Abschriften: 15%
Abschriften: 3,50%
13 %
100%
100%
5%
Zu 40%
15%
Zu 60%
20%
5%
85%
9%
Zu 70%
2%
10%
14%
Zu 100%
(1. Katalogpreis)
Erlös bei
unverb.
Preisempfehlung
306
60%
Tatsächlicher
Bruttoerlös
1,5%
10%
Zu 100%
(aber Änderungen,
die ca. 30 % des
VK ausmachen)
85%
60%
96,5%
Zu 30%
Zu 100%
(1. Katalogpreis)
Erlös bei
unverb.
Preisempfehlung
85%
Tatsächlicher
Bruttoerlös
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Effizienz der interaktiven Wertschöpfung
Prozent angeboten. Daraus ergibt sich in der Summe ein Verkaufswert der Bestände an
massenhaft gefertigter Konfektionsware, der nur 85 Prozent dessen ausmacht, was
zum Verkauf bereitgestellt wurde. Diese Annahmen sind für die Bekleidungsindustrie
sehr konservative Einschätzungen, in der Realität ist die Situation oft noch weitaus
drastischer.
Im Gegensatz dazu wird angenommen, dass 85 Prozent der kundenindividuell gefertigten Hosen zum Listenpreis abgenommen werden. Die übrigen 15 Prozent setzen
sich aus solchen Bestellungen zusammen, die entweder nicht optimal sitzen und geändert werden müssen (zehn Prozent) oder aus solchen, die der Kunde nicht annehmen
will, beispielsweise weil sie im Design nicht seinen Vorstellungen entsprechen (fünf
Prozent). Für die Änderungen wird angenommen, dass sie mit einem Aufwand von ca.
30 Prozent des Verkaufspreises durchgeführt werden können (dies entspricht den
zusätzlichen Kosten von drei Euro im Schnitt aller verkauften Stücke). Nachdem diese
Änderungen durchgeführt sind, nimmt der Kunde das Produkt zum vollen Preis ab.
Die fünf Prozent der Bestände, deren Annahme der Kunde verweigert, werden mit
einem Preisnachlass von 70 Prozent verkauft (in Factory- oder Second-Hand-Läden).
Insgesamt wird bei Mass Customization ein Verkaufswert von 96,5 Prozent der zum
Verkauf bereitgestellten Waren erreicht. Dies entspricht einer Umsatzsteigerung um
fast zwölf Prozentpunkte.
Vermeidung von Fehlbeständen: Die Vermeidung von Verschwendung durch eine
Verringerung des Diebstahlrisikos zählt ebenfalls zu den Economies of Decoupling.
Ware, die erst auf Kundenwunsch gefertigt wird, kann nicht ohne weiteres gestohlen
werden. Die im Beispiel angesetzten ein Prozent des Umsatzes sind ebenfalls recht
konservativ geschätzt, viele Untenehmen verbuchen Ausfälle zwischen zwei und drei
Prozent.
Vermeidung von Beständen und Liegezeiten: Die Vermeidung von Discounts hat nur
die Wirkungen niedrigerer Erlöse für abgesetzte Ware berücksichtigt. Hinzu kommen
noch die oft erheblichen Einsparpotenziale durch die Reduktion der Distributions- und
Zwischenlagerhaltung. Im Bereich der Modeindustrie fallen die Lagerkosten der
Rohmaterialien (Stoffe) im Verhältnis zu den gesamten Kosten nicht ganz so stark ins
Gewicht wie beispielsweise in Industrien, die mit sehr teuren Einstandmaterialien
arbeiten (z. B. Computerindustrie). Auch in der Modeindustrie lassen sich die
Lagerzeiten stark verringern (von 100 Tagen auf fünf Tage bei Mass Customization).
Wir haben den Effekt im Beispiel mit vier Prozent Einsparpotenzial angesetzt. Dies entspricht den reinen Kapitalbindungskosten. Hinzu kommen aber noch die hier nicht
quantifizierten Möglichkeiten zur Reduktion durch Verschwendung durch eine erhöhte Flexibilität, Übersichtlichkeit und die Vermeidung der Lagerhaltungskosten
(Schwund, Lagerlogistik etc.).
Vermeidung entgangener Umsätze und Reduktion des Moderisikos: Nicht in unserer Beispielskalkulation aufgeführt sind zwei weitere Wirkungen auf die Kosten- und
Umsatzstruktur. Zum einen vermeidet Mass Customization entgangene Umsätze
durch Kunden, die im Standardsortiment nichts Passendes finden und deshalb ihr
Budget verlagern. In der Modeindustrie besteht hier aus Sicht eines Einzelhändlers ein
großes ungenutztes Umsatzpotenzial, wenn Händler Kunden, die keine gewünschte
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Größe oder Farbe finden, nicht zur Konkurrenz verweisen müssen, sondern ein passendes Stück nach Maß anbieten können. Der bessere Zugang zu Kunden-Know-how
trägt weiterhin dazu bei, dass das Moderisiko stark gemildert wird. Im Gegensatz zu
einem Massenfertiger ist ein Mass Customizer nicht darauf angewiesen, die
Abnahmemengen verschiedener Kollektionen in Bezug auf Menge und vor allem Stil
und Modell zu prognostizieren. Durch die Integration des Kunden in den
Wertschöpfungsprozess wird die Ware erst dann produziert, wenn der Kunde den
Auftrag dazu gibt. Dadurch werden einerseits die oben bereits angeführten Discounts
für Fehlplanungen vermieden. Zum anderen gewinnt ein Händler aber auch wertvolle Informationen zur Optimierung des Sortiments und eine bessere Modellpolitik –
wesentliche Voraussetzung für dauerhaft zufriedene und treue Kunden.
Die Höhe dieser zusätzlichen Umsatzpotenziale ist schwer aus einer generellen Sicht
zu quantifizieren. Hierzu sind firmenabhängige Befragungen und Abschätzungen notwendig, deren Mechanismen an dieser Stelle nicht dargestellt werden können. Nach
unserer Erfahrung lassen sich aber Potenziale von bis zu 30 Prozent des Umsatzes der
Ausgangssituation zusätzlich herausholen. Viel wichtiger als eine genaue Kalkulation
ist aber das bloße Erkennen dieser Möglichkeiten. Sie können als ergänzender Faktor
in eine Kalkulation einfließen, sollten aber nicht deren Basis bilden.
Zusätzliche Preisbereitschaft
In der Kalkulation ist ebenfalls die Möglichkeit dargestellt, einen höheren Preis für das
individuelle Gut zu fordern. Diese Umsatzsteigerung berücksichtigt noch nicht die
Möglichkeit, ein Preis-Premium zu erheben . Die Differenzierungswirkung von Mass
Customization führt zu einer Erhöhung der Preisbereitschaft der Kunden. Diese ist im
Beispiel – sehr konservativ– auf lediglich fünf Euro geschätzt. Hier lassen sich weitaus
höhere Potenziale verwirklichen, wie die Praxis zeigt. Allerdings sollte sich ein MassCustomization-Konzept auch ohne Preissteigerungen tragen können, weshalb wir in
unserem Beispiel nur ein geringes Premium ansetzen.
Gegenrechung: Höherer Aufwand durch Mass Customization
Auf der anderen Seite stehen die zusätzlichen Kosten, die bei Produktion und Vertrieb
kundenindividueller Produkte entstehen (vgl. noch einmal Abbildung 5–23). Sie sind
Folge des steigenden Produktions-, Transport und vor allem höheren Interaktionsaufwands. In unserem Beispiel macht diese Kostensteigerung in der Summe 19 Euro aus.
Die Höhe hängt dabei direkt von der Fähigkeit ab, Synergieeffekte auf der Modulebene
zu realisieren.
Steigende Kosten in der Produktion: Abbildung 5–23 legt schematisch dar, wie sich
die Produktionskosten bei Individualkleidung im Vergleich zur Massenfertigung
ändern (unsere Annahme folgt dabei einer Produktion in Asien). Dabei scheinen sich
insbesondere die entgangenen Skaleneffekte im Zuschnitt des Stoffes niederzuschlagen. Anstatt wie in der Massenfertigung mehrere Lagen Stoff in einem Arbeitsgang auf
eine standardisierte Konfektionsgröße zuschneiden zu können, muss nun jede Lage
Stoff einzeln mit den individuellen Maßen des Kunden zurechtgeschnitten werden.
Jedoch konkretisiert sich aufgrund des geringen Wertschöpfungsanteils an der gesamten Wertschöpfungskette auch eine Kostensteigerung von 500 Prozent in nur wenigen
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zusätzlichen Eurocent. An dieser Stelle machen viele Praktiker einen Fehler, indem einzelne Kostenblöcke herausgehoben werden, ohne die gesamte Wertschöpfungskette zu
betrachten. Entscheidende neue Kostenblöcke fallen durch Umrüstzeiten und vor
allem den steigenden Abwicklungsaufwand zur Integration der Kundeninformationen
in den Fertigungsablauf an. Insgesamt steigen in unserer Rechnung die reinen Produktionskosten um 18 Prozent (bzw. neun Euro bezogen auf einen Einkaufspreis von ehemals 50 Euro).
Abbildung 5–23: Kostenerhöhung bei individueller Fertigung von Konfektionsware in Asien
(Datenmaterial nach Sanders 2001)
Standardkonfektion
Maßkonfektion
59 EUR
50 EUR
Stoff 11,00 EUR
Zuschnitt
0,30 EUR
Verarbeitung 6,80 EUR
(45 min
dir. + indir.
(Nähen, Bügeln,
bei 9 EUR/h)
Handling)
Sonstige
Kosten /
Gewinnanteil
31,90 EUR
Summe:
+ 18%
13,70 EUR
+ 25% (mehr Abschriften)
(Einzellagen statt Mehrlagen)
+ 500%
1,80 EUR
8,50 EUR
+ 25% (erhöhte Umrüstungen)
+ 10% (höhere Abwicklungskosten)
35,00 EUR
Steigende Transportkosten: Erhöhte Transportkosten ergeben sich aus der Tatsache,
dass Transporte nicht, wie im Massenhandel üblich, gebündelt werden können. Die
Höhe der zusätzlichen Transportkosten, im Beispiel mit drei Prozent bzw. sechs Euro
angesetzt, hängt entscheidend vom Produkt, den Standorten und vor allem möglichen
Bündelungseffekten ab. In unserem Beispiel gehen wir davon aus, dass der Hersteller
in einem eigenen Luftfrachtcontainer die Waren von der asiatischen Fabrik zum
Ladengeschäft versendet. Dies setzt natürlich genügend große Absatzmengen und eine
Bündelung von Aufträgen voraus (siehe Abbildung 5–24, welche die gesamte mögliche
Durchlaufzeit eines Auftrags bei Fertigung in Asien zeigt). Eine Verzögerung des
Liefertermins, die sich aus einer Bündelung mehrerer Bestellungen ergeben würde,
wird vom Kunden nur in engen Grenzen akzeptiert. Deshalb sollten die angegeben
Liefertermine großzügig berechnet werden, um noch ausreichenden Raum für
Optimierungen zu besitzen.
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Abbildung 5–24: Durchlaufzeiten der kundenindividuellen Massenfertigung einer
Damenhose in Asien (Datenmaterial nach Sanders 2001)
Ablauf der Logistikkette für Masskonfektion aus Asien
8 – 14 Tage
GESAMT
Auslieferung an Kunde
per UPS, DPD etc.
Umladen in Versandkartons
nahe Flughafen
Lufttransport
auf Paletten, in Folie, in Kartons
Transport zum Flughafen
Nähen, Bügeln, Verpacken
Zuschnitt (inkl. Vorbereitg.)
Auftragserfassung
(tägliche Auftragsübertragung)
per LKW
in kleinen flexiblen Gruppen
Vorbereitung auf CAD, Einzellagencutter
Zusätzliche Erfassungsmasken und Übertragungssoftware
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15 Kalendertage
Änderungskosten und zusätzlicher Interaktionsaufwand: Wie hoch der zusätzliche
Änderungsaufwand ausfällt, hängt damit zusammen, welches Qualitätsniveau der
Gesamtprozess hat. In unserem Beispiel rechnen wir (wie bereits beschrieben), dass
jeder zehnte Auftrag Änderungskosten von 30 Prozent des Verkaufspreises verursacht
(bzw. in einer Mischkalkulation drei Euro für jedes abgesetzte Kleidungsstück).
Ursachen von Änderungen sind neben den üblichen Fehlerquellen in der Produktion
vor allem Fehler im Interaktionsprozess. Hier ist die Qualität des Verkaufspersonals
und der unterstützenden Prozesse der entscheidende Einflussfaktor. Damit bedingen
sich Änderungskosten und zusätzliche Interaktionskosten (Transaktionskosten) gegenseitig. Besonders die Abschätzung der zusätzlichen Interaktionskosten ist nicht einfach. Wir haben uns in unserem Beispiel auf Branchenangaben verlassen und den
zusätzlichen Aufwand (gegenüber den bereits bestehenden Kosten für Verkaufsräume
und -personal) mit vier Euro pro Auftrag berechnet. Diese Rechnung ist jedoch wieder
stark einzelfallabhängig und umfasst in unserem Fall eine Mischkalkulation aus
Erstkauf, bei dem viele Daten erhoben werden müssen, und dem Aufwand für
Wiederholungskäufe, wo auf bereits vorhandene Daten zurückgegriffen werden kann.
Gesamtwirkung einer Transaktion – und zusätzliche Potenziale durch Wiederholungskäufe
Insgesamt ergibt sich aus der Addition der eingesparten Kosten und der zusätzlichen
Preisbereitschaft bei Subtraktion der zusätzlichen Kosten eine mögliche Steigerung des
Deckungsbeitrages von vier Prozent. Dies kann die Gewinnsituation vieler Einzel310
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händler ganz entscheidend verbessern, vorausgesetzt, Mass Customization wird nicht
als reines Add-on zur Imagesteigerung verstanden, sondern als Grundlage einer
durchgreifenden Geschäftsstrategie.
Wichtig ist zu beachten, dass unsere Berechnung nur einen Verkaufsprozess darstellt
und die Transaktion einer Hose umfasst. Hinzu kommen noch Kostensenkungs- und
Umsatzsteigerungspotenziale aufgrund der Möglichkeit von Mass Customization, die
Kundenbindung zu erhöhen (Economies of Relationship). Zum einen kann mit steigender Bindungsintensität eines Kunden an einen Anbieter die Preisbereitschaft steigen.
Dieser zusätzliche Deckungsbeitrag kann weiter gesteigert werden, wenn die
Beziehung zum Kunden dazu genutzt wird, weitere Produkte abzusetzen (Cross- und
Up-selling). Ebenso werden die Interaktionskosten – wie bereits angeführt – oft bei
Wiederholungskäufen stark sinken. Ebenfalls sind in der Kalkulation die Kostensenkungspotenziale aus Economies of Integration und Umsatzsteigerungen durch die
Vermeidung von Budgetverlagerungen von Kunden, die kein passendes StandardStück finden, noch nicht enthalten, sondern nur als Berichtsposten in Abbildung 5–21
aufgeführt. Hier ergibt sich noch ein weiteres Potenzial zur Umsatzsteigerung.
Fragen zur Diskussion der Fallstudie
„
Stellen Sie die Besonderheiten der Modeindustrie heraus, die die Grundlage für die dargestellte Kostenstruktur sind. In welchen anderen Branchen findet sich eine vergleichbare Situation,
in welchen Branchen sind dagegen die Ausgangsbedingungen ganz anders?
„
Wie können Sie herausfinden, welche Potenziale durch eine Steigerung der Absatzeffizienz
zusätzlich erreicht werden können?
„
Welche wichtigen Kosten sind in der dargestellten Kalkulation nicht enthalten? Wie können Sie
diese quantifizieren?
„
Gruppenaufgabe: Übertragen Sie diese Kalkulation auf ein Unternehmen oder eine Branche
Ihrer Wahl (Hinweis: Auf Branchenebene finden Sie über den jeweiligen Verband der
Produzenten meist einfacheren Zugang zu den Ausgangsdaten). Vergleichen Sie die Ergebnisse.
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Zusammenfassung und Ausblick
Interaktive Wertschöpfung in der Unternehmenspraxis
Adidas, Amazon, BMW, CafePress, Dell, Factory 121, Flickr, Hyve, Innocentive, LEGO,
Linux, Liquid Paper, Loewe, Muji, Personal Novel, Podcasts, Procter & Gamble, Selve,
Spreadshirt, Swarovski, Threadless, Timbuk2, Wikipedia, Zagat, Zazzle, ZeroPrestige
– all diese Unternehmen oder Initiativen sind Beispiele für die Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung, die wir in diesem Buch vorgestellt haben. Wir warten gespannt
darauf, bis das im Januar 2006 relaunchte OsCar-Projekt (Open-Source-Car) eine ernsthafte Alternative zu den Automobilen der großen Hersteller bietet. Bei weniger komplexen Produkten ist genau dies heute schon der Fall. Unser Ziel war es, eine neue
Sichtweise der Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung zu diskutieren, die auf der
aktiven Kooperation und Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Kunden bzw.
Nutzern basiert.
Die Evolution der Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung
Aus der klassischen industriellen Vorstellung der Wertschöpfung (die aber immer
noch das Denken vieler Manager und Wissenschaftler prägt!) hat sich in einem evolutionären Prozess ein neues Wertschöpfungsmodell gebildet, das die klassischen
Koordinationsprinzipien Hierarchie und Markt durch neue Prinzipien ergänzt. Es war
das Ziel unserer Ausführungen, einen Bezugsrahmen zu bilden, der verschiedene
Theorie-Bausteine und Prinzipien zusammenfügt, die aus der Organisationsforschung
sowie dem Innovations-, Technologie- und Produktionsmanagement abgeleitet werden. Interaktive Wertschöpfung ist nicht universell anwendbar und soll keine bewährten Konzepte ersetzen. Es handelt sich vielmehr um eine Ergänzung bewährter
Ansätze und Instrumente des Innovations- und Produktionsmanagements.
Ausgangspunkt unserer Darstellung war die klassische industrielle Massenproduktion
auf Basis tayloristischer Prinzipien der Arbeitsgestaltung und hierarchischer
Organisationsstrukturen. Dieses konventionelle Wertschöpfungsmodell orientiert sich
streng an den Zielen der “Produktivität” und der “Kostenwirtschaftlichkeit” in der
Produktion, realisiert durch das Streben nach maximalen Skaleneffekten und einer
Zerlegung des Wertschöpfungsprozesses in kleinste Einheiten.
Das Leitbild der vernetzten Wirtschaft
Doch stabile Rahmenbedingungen und langfristig prognostizierbare Absatzmärkte –
die Voraussetzungen für die effiziente Anwendung dieses klassischen Wertschöpfungsmodells – gibt es heute in immer weniger. Die Globalisierung und der damit einhergehende Kostendruck und die gleichzeitig steigende Heterogenisierung der
Nachfrage verlangen von Anbietern neue Wettbewerbskonzepte und Ideen für die
Wertschöpfung. Die Potentiale der neuen Informations- und Kommunikations313
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technologien bieten einen neuen Lösungsraum: die Abflachung und die Auflösung
hierarchischer Unternehmensstrukturen zugunsten modularer dezentraler Organisationsformen, Netzwerkorganisationen und elektronische Märkte bilden neue
Plattformen für eine flexible Entwicklung und Produktion auf Kundenbestellung.
Das Leitbild der interaktiven Wertschöpfung
Wir sehen heute, dass Kunden das Ergebnis betrieblicher Wertschöpfung nicht nur
konsumieren, sondern selbst einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung von Wert leisten. Dies geschieht dabei nicht nur autonom in der Kundendomäne, sondern auch in
einem interaktiven und kooperativen Prozess mit Herstellern und anderen Nutzern
einer Leistung. Kunden und Nutzer tragen dazu bei, die Kenntnisse, Fähigkeiten und
Ressourcen eines Herstellers zu erweitern. Dieses Konzept einer interaktiven
Wertschöpfung erweitert den Gedanken der Netzwerkorganisation um einen wesentlichen Schritt: die Nutzung des Wissens von Kunden und Nutzern für die
Wertschöpfung. Das verteilte Potenzial individueller Wissensträger, insbesondere von
Anwendern und Endabnehmern der jeweiligen Produkte, wird für die Wertschöpfung
erschlossen. Die Kunden bringen sich in vormals autonome Wertschöpfungsaktivitäten des Herstellerunternehmens ein und führen diese teilweise selbst aus, um so ihr
(lokales) Wissen zu artikulieren und zu explizieren.
Die Radikalität des Ansatzes entscheidet über die Rolle der Akteure
Bezugspunkte der interaktiven Wertschöpfung können alle Phasen des Wertschöpfungsprozesses sein: von der Ideengenerierung bis zur Markteinführung. Entsprechend verläuft der Intergrationsgrad des Wertschöpfungspartners mehr oder
weniger radikal. Entlang dieser Evolution der Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung ändert sich aber nicht nur die Sichtweise, welche Akteure am Wertschöpfungsprozess aktiv beteiligt sind, sondern auch die Vorstellung, wie das
Organisationsproblem, d. h. die Koordination und Motivation der einzelnen Akteure,
die die Gesamtaufgabe arbeitsteilig vollziehen, am besten gelöst werden kann. Taylors
Modell setzt vor allem auf die hierarchische Koordination und Motivation durch finanzielle Anreize in einem geschlossenen Wertschöpfungssystem. Die Netzwerkansätze
erweitern diese Vorstellung um eine Kombination marktlicher und hierarchischer
Koordinationsformen und betonen darüber hinaus auch eine Motivation durch nichtmonetäre Anreize. Die interaktive Wertschöpfung ergänzt diese beiden klassischen
Koordinationsformen (Hierarchie und Markt) durch einen dritten Weg: das Organisationsprinzip einer „commons-based-peer-production“. Diese Organisation des
Wertschöpfungsprozesses verlangt eigene Organisationsprinzipien und Kompetenzen
der Akteure. Beispiele bilden die Selbstselektion und Selbstorganisation von Aufgaben
durch (hoch) spezialisierte Akteure, deren Motivation vor allem die (eigene) Nutzung
der kooperativ geschaffenen Leistungen ist. Hinzu kommt jedoch eine Vielzahl weiterer sozialer, intrinsischer und extrinsischer Motive.
Formen interaktiver Wertschöpfung
Wir haben uns in diesem Buch auf das Innovations- und das Produktionsmanagement
konzentriert. Je nach Ausmaß und Phase des Wertschöpfungsprozesses, in der die
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Zusammenfassung und Ausblick
Kundenintegration stattfindet, haben wir zwei wesentliche Formen interaktiver
Wertschöpfung unterschieden:
„ Open Innovation bezeichnet die systematische Integration von Kundenaktivitäten
und Kundenwissen in einzelne oder (im Extremfall) alle Phasen des Innovationsprozesses. Auf diese Weise entsteht zwischen einem Unternehmen und seinen
Kunden eine Wertschöpfungspartnerschaft, die durch eine integrierte System- und
Problemlösungskompetenz charakterisiert ist. Kunden werden selbst aktiv und
konkretisieren ihr implizites Wissen über neue Produktideen und Konzepte, unter
Verwendung bestimmter Hilfswerkzeuge des Unternehmens. Dieses Vorgehen ist
deutlich von so genannten “Voice of the Customer”-Verfahren wie QFD abzugrenzen. Diese Verfahren stellen zwar sehr leistungsfähige Methoden zur Verfügung,
wie Unternehmen die Kundenorientierung im Innovationsprozess verbessern können. Sie verbleiben jedoch im klassischen Innovationsparadigma und entsprechen
nicht unserer Auffassung von interaktiver Wertschöpfung. Bildhaft vollzieht sich
die Interaktion im Innovationsprozess nach dem Phasenmodell von der
Ideengenerierung über die Konzeptentwicklung bis hin zur Prototypen-Entwicklung und mündet schließlich aus der Sicht des Kunden in der Phase der Problemlösung. Der Open-Innovation-Ansatz ist insoweit ein ergänzender Ansatz zum herkömmlichen Innovationsmanagement. Produkt- und Markttest sowie Markteinführung werden aus Sicht des Herstellers nicht überflüssig, laufen jedoch wegen
der Kundeninteraktion in den vorherigen Phasen nach einem anderen Muster und
mit einem erheblich geringeren Marktrisiko ab.
„ Im Produktionsbereich konkretisiert die Produktindividualisierung die interaktive Wertschöpfung. Jede Erstellung von individuellen Produkten ist durch eine
Integration der Abnehmer in die Leistungserstellung geprägt. Schwerpunkt unserer Betrachtung war der Mass-Customization-Ansatz, d. h. die Individualisierung
von Gütern und Leistungen für eine relativ große Zahl an Abnehmern unter ähnlichen Effizienzbedingungen eines vergleichbaren Massenproduktionssystems.
Während die praktische Umsetzung von Open Innovation in vielen Unternehmen
erst ganz am Anfang steht und deshalb hier nur eine recht geringe empirische Basis
zur Ableitung von “promising practices” und Strukturen einer erfolgreichen
Umsetzung besteht, ist die Umsetzung von Mass Customization deutlich weiter
fortgeschritten. Die Analyse von Mass Customization konnte deshalb wichtige
Anhaltspunkte für eine Gestaltung der Interaktionsprozesse und Instrumente für
Open Innovation geben. Dies bezog sich insbesondere auf unsere Aufführungen
zur Gestaltung der Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager.
Allerdings wird nicht jede Art von Open Innovation oder Mass Customization alle
Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung, die wir in Kapitel 2 diskutiert haben, vollständig verwirklichen. Insbesondere das Modell der “Commons-based Peer Production” als Idealtyp der Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung findet sich heute erst
ansatzweise umgesetzt. Bei den in der betrieblichen Realität heute vorhandenen
Beispielen zu Open Innovation und insbesondere bei Mass Customization vollzieht
sich die Integration von Kundenbeiträgen oft noch im Rahmen hierarchischer
Arrangements – insbesondere, wenn es sich um materielle Güter handelt, bei denen
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Zusammenfassung und Ausblick
höhere Ansprüche an die Produktionsausstattung zur Erstellung der Produkte gestellt
werden. Auch werden die resultierenden Entwicklungen oft unter den proprietären
Schutz des fokalen Herstellerunternehmens gestellt (mittels klassischer Schutzrechte).
Ziel unserer Ausführungen ist es deshalb, ein realistisches Bild einer interaktiven
Wertschöpfung im Innovationsbereich zu zeichnen, dass mit der heutigen Wirklichkeit
übereinstimmt. Die Fallstudien in Kapitel 5 belegen diese Situation.
Neue Erfolgsfaktoren und Anwendungswissen
Jedoch resultieren in allen Fällen einer interaktiven Wertschöpfung aus der Integration
der Kunden in die Unternehmensaktivitäten innovative Prozessstrukturen, die die
konventionelle Vorstellung von Arbeitsteilung zwischen Anbietern und Abnehmern
aufbrechen. Dies verlangt in der Folge eine Redefinition der Kernkompetenzen, neues
Wissen und neue Formen der Organisation und Koordination. Ein wesentlicher Faktor
in diesem Zusammenhang ist der Aufbau von Interaktionskompetenz sowohl beim
Unternehmen als auch bei den Kunden bzw. Nutzern.
Diese neuen Erfolgsfaktoren umfassen beispielsweise
„ Maßnahmen und Routinen zur Erschließung des Kundenwissens als Ressource,
„ die gemeinsame Generierung von Bedürfnisinformationen und Lösungsinformationen,
„ Reduzierung des Innovationsrisikos durch frühzeitige Integration des Kunden,
„ Auswahl und Motivation geeigneter Kunden,
„ die Gestaltung des Innovationsprozesses über die Unternehmensgrenzen hinaus,
„ die Bereitstellung von Kommunikationsplattformen und Werkzeugen, die die Kundenintegration in den Wertschöpfungsprozess ermöglichen und für alle Akteure
attraktiv werden lassen,
„ den Aufbau von Controlling-Systemen, die den Wertbeitrag der Kunden für das
Unternehmen sicht- und steuerbar machen,
„ die Überwindung interner Barrieren im Herstellerunternehmen und der Aufbau
einer interaktionsförderlichen Unternehmenskultur.
Wir konnten in diesem Buch nur erste Ansatzpunkte zu einer Konkretisierung und
Gestaltung dieser Erfolgsfaktoren geben. Hier bieten sich für weiterführende Arbeiten
noch viele Ansatzpunkte. Mit der zunehmenden Verbreitung dieser Gedanken in der
Praxis wird sich aber in den kommenden Jahren ein reiches Feld für empirische
Arbeiten bieten. Diese müssen auch nähere Erkenntnisse zu den Grenzen und
Anwendungsbedingungen der interaktiven Wertschöpfung ableiten. Auch hier stehen
wir mit unserem Wissen erst ganz am Anfang.
Diffusion der interaktiven Wertschöpfung
Man sollte jedoch nicht vergessen, dass auch die klassischen Organisationsprinzipien
von Frederik Taylor viele Jahrzehnte gebraucht haben, bis sie in modernen Massen316
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Zusammenfassung und Ausblick
produktionssystemen perfektioniert wurden. Gleiches gilt für die Umsetzung der
Gedanken grenzenloser bzw. modularer Unternehmen, die trotz ihrer relativ langen
Diskussion heute in vielen Unternehmen erst ansatzweise umgesetzt sind. Genauso
wird es auch noch viele Jahre dauern, bis sich interaktive Wertschöpfung als breites
Phänomen zeigt. Ein Faktor ist dabei jedoch anders:
Anders als bei den klassischen Organisationsformen, die dem Änderungswillen und
Beharrungsvermögen unternehmensinterner Stakeholder ausgesetzt waren, bestimmen bei der interaktiven Wertschöpfung die Kunden den Wandel und treiben diesen
voran. Die neuen Internettechnologien, aber auch Innovationen in der Produktion, stellen heute eine Infrastruktur bereit, auf der sich interaktive Wertschöpfung im kleinen
und ohne große Kapitalinvestitionen schnell und einfach entfalten kann – bei gleichzeitig hoher Leistungsfähigkeit, Flexibilität und Qualität. Hinzu kommt ein Wandel im
Bewusstsein vieler Kunden und Nutzer, die sich nicht länger als willige Konsumenten,
sondern als Macher (“Maker”) und aktive Akteure sehen. All diese Entwicklungen
werden unserer Meinung dazu führen, dass die Diffusionskurve der interaktiven
Wertschöpfung deutlich steiler sein wird als die ihre Vorgänger in der Evolution
arbeitsteiliger Wertschöpfung.
Das letzte Wort haben unsere Kunden
Aber das letzte Wort sollen unsere Kunden bzw. Leser haben (aus dem Vorwort): “Für
mich ist diese interaktive Wertschöpfung vor allem eine Vision und ein Anreiz, bestehende Prinzipien zu überdenken. Ich will in meinem Unternehmen offen werden für
externen Input. Das ist nicht immer einfach, aber ich bin mir sicher, es ist es wert.” “In
einem Unternehmen gibt es ja auch ‘interne Kunden’ – auch hier können die Prinzipien
der interaktiven Wertschöpfung helfen, Abteilungsdenken zu überwinden.”
“Hoffentlich setzen immer mehr Unternehmen in Zukunft diese Prinzipien um – denn
als Kunden habe ich viele gute Ideen, meinen Input einzubringen und all die Dinge zu
ändern, die mich schon immer stören.” (Zitate unserer Leser)
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