Auszug aus dem Buch

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Geisteswissenschaft
Regina Welter
Epilepsie und die psychosozialen
Auswirkungen für die Familie
Diplomarbeit
Fachhochschule Coburg
Fachbereich Sozialwesen
Epilepsie und die psychosozialen Auswirkungen
für die Familie
DIPLOMARBEIT
vorgelegt zur Erlangung des akademischen Grades
einer Diplom – Sozialpädagogin (FH)
von
Regina Welter
Vorgelegt am: 05.04.2007
Inhaltsverzeichnis
Seite
Abbildungsverzeichnis
1
Einleitung
2
1. Begriffsbestimmung Epilepsie
4
2. Das Nervensystem
5
3. Aufgabenverteilung im Gehirn
6
4. Funktion der Nervenzellen
9
5. Die wichtigsten Anfallsformen
9
5.1 fokale Anfälle
10
5.1.1 einfache fokale Anfälle
10
5.1.1.1 motorische Anfälle
10
5.1.1.2 sensible und sensorische Anfälle
11
5.1.1.3 vegetative oder autonome Anfälle
11
5.1.1.4 Anfälle mit psychischen Symptomen
11
5.1.2 komplexe fokale Anfälle
12
5.2 generalisierte Anfälle
13
5.2.1 tonische Anfälle
13
5.2.2 klonische Anfälle
14
5.2.3 generalisierte tonisch-klonische Anfälle (Grand-mal)
14
5.2.4 myoklonische Anfälle
15
5.2.5 atonische Anfälle
15
5.2.6 Absencen
16
6. Epilepsieformen
16
6.1 Fokale Epilepsien
17
6.1.1 fokale idiopathische Epilepsien
17
6.1.2 fokale symptomatische Epilepsien
18
6.1.2.1 Temporallappenepilepsie
18
6.1.2.2 Frontallappenepilepsie
19
6.1.2.3 Okzipitallappenepilepsie
20
6.1.2.4 Parietallappenepilepsie
20
6.2 Generalisierte Epilepsien
20
6.2.1 generalisierte idiopathische Epilepsien
20
6.2.1.1 gutartige Neugeborenenkrämpfe
20
6.2.1.2 benigne frühkindliche myoklonische Epilepsie
21
6.2.1.3 Absence-Epilepsie im Kindesalter (Pyknolepsie)
21
6.2.1.4 juvenile Absence-Epilepsie
21
6.2.1.5 Impulsiv-Petit-mal-Epilepsie (Juvenile myoklonische Epilepsie)
21
6.2.1.6 Aufwach-Grand-mal-Epilepsie
22
6.2.2 generalisierte symptomatische oder kryptogene Epilepsien
22
6.2.2.1 West-Syndrom (Epilepsie mit BNS-Krämpfen)
22
6.2.2.2 Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS)
23
6.2.2.3 Epilepsie mit myoklonisch-astatischen Anfällen
24
6.3 Epilepsien ohne Zuordnung zu „fokal“ oder „generalisiert“
24
6.4 Besondere Epilepsieformen und Syndrome
25
7. Diagnostik
27
8. Behandlung
28
8.1 Akutbehandlung
28
8.2 Behandlung mit Antiepileptika
28
8.3 operative Behandlung
29
8.4 ergänzende Behandlungsmethoden
29
9. Folgen epileptischer Anfälle und Epilepsien für die Betroffenen
31
10. Umgang mit der Epilepsie – von der Antike bis in unsere Zeit
33
11. Begriffsklärung psychosozial
43
12. Situation der Familie
45
12.1 bei Erkrankung eines Kindes
46
12.1.1 Befindlichkeit des Kindes
46
12.1.2 psychische und physische Belastung der Eltern
47
12.1.3 Erziehung
49
12.1.4 Situation der gesunden Geschwister
52
12.1.5 Probleme bei Medikamenteneinnahme
54
12.1.6 Schwierigkeiten im Kindergarten
55
12.1.7 Schulschwierigkeiten
56
12.1.8 berufliche Situation
59
12.1.9 Einrichtungen für Kinder und Jugendliche
60
12.1.9.1 Epilepsieberatungsstellen
60
12.1.9.2 Frühförderstellen
61
12.1.9.3 Ambulanzen
62
12.1.9.4 Epilepsiezentren
62
12.1.9.5 Sonderkindergärten
62
12.1.9.6 Sonderschulen für Menschen mit einer Lernbehinderung
63
12.1.9.7 Sonderschulen für Menschen mit einer geistigen Behinderung
63
12.1.9.8 Sonderschulen für Menschen mit einer körperlichen Behinderung
64
12.1.9.9 integrative Kindergärten und Schulen
64
12.1.9.10 berufliche Bildungsmaßnahmen
65
12.1.9.11 Berufsbildungswerke
65
12.1.9.12 Werkstätten für Menschen mit Behinderung
66
12.1.10 Wohnformen für Kinder und Jugendliche
66
12.1.10.1 Heime
67
12.1.10.2 betreute Wohnformen
67
12.1.10.3 Epilepsieabteilungen
68
12.1.11 Einschränkungen bei Freizeitgestaltung
69
12.1.11.1 Sport
69
12.1.11.2 Anfallsauslösende Faktoren
69
12.1.12 Freundschaften und Partnerschaft
71
12.2 bei Erkrankung der Mutter / des Vaters
72
12.2.1 Befindlichkeit der Mutter / des Vaters
72
12.2.2 psychische und physische Belastung des Partners
73
12.2.3 Partnerschaft
74
12.2.4 Schwangerschaftsverhütung und Kinderwunsch
75
12.2.5 Versorgung der Kinder
77
12.2.6 psychische Belastung bei Kindern
78
12.2.7 Probleme bei Medikamenteneinnahme
79
12.2.8 Fahrtauglichkeit
80
12.2.9 berufliche Situation
81
12.2.10 Versicherungen
83
12.2.11 Einrichtungen für Erwachsene
83
12.2.11.1 Epilepsieberatungsstellen
83
12.2.11.2 Rehabilitationsmaßnahmen
84
12.2.11.3 Berufsförderungswerke
84
12.2.11.4 Epilepsiezentren
85
12.2.11.5 Werkstätten für Menschen mit Behinderung
86
12.2.12 Einschränkungen bei Freizeitgestaltung
86
12.2.12.1 Sport
86
12.2.12.2 Anfallsauslösende Faktoren
87
13. Verhalten der sozialen Umwelt
88
13.1 gegenüber Erkrankten
88
13.2 gegenüber der Familie
92
14. Reaktion der Familie
93
14.1 auf Isolation / Stigmatisierung
93
14.2 Einstellungen der Menschen zur Bekanntgabe der Erkrankung
95
15. Folgen
98
15.1 Verschlechterung der Lebensqualität
98
15.2 Differentialdiagnose: psychogene Anfälle
99
15.3. Folgeerkrankungen
100
15.3.1 psychische Veränderungen
100
15.3.2. Verhaltensstörung
101
15.3.2.1 Aggressive Verhaltensstörungen
101
15.3.2.2 Sexualstörungen
102
15.3.2.3 Affektive Störungen
102
15.3.3 Wahnideen bzw. Halluzinationen
104
15.3.4 Psychosen
104
15.3.5 Dämmerzustand
105
15.3.6 Wesensänderung
105
15.3.7 Demenz
107
Resümee
108
Literatur- / Quellenverzeichnis
111
Anhang A: Dokumente
Anfallserfassungsbogen
Dissertation von 1936 / Einführung
Anstecknadel
Krisenverarbeitung als Lernprozess in acht Spiralphasen
Erfahrungsbericht
Anhang B: Interviews / Erfahrungsbericht
Fragenkatalog
Interview 1
Interview 2
Interview 3
Interview 4
Interview 5
Interview 6
Interview 7
Interview 8
Interview 9
Interview 10
Interview 11
Erfahrungsbericht
Abbildungsverzeichnis
Seite
Abbildung 1: Aufbau des Gehirns
8
Abbildung 2: Aufbau des Gehirns
8
Abbildung 3: Die Einteilung der Epilepsieformen
17
Abbildung 4: Epilepsien
26
Abbildung 5: politische Rede im Jahre 1940
40
Abbildung 6: Rechenaufgabe aus dem Jahre 1936
40
Abbildung 7: psychosozial
43
1
Einleitung
Bereits im Altertum wurde die Epilepsie als Krankheit definiert (SCHNEBLE 1996: 104).
Es war und ist das Anfallsgeschehen, das sie zu einer Erkrankung macht, der meist
mit starken Gefühlen begegnet wird. Auch in vielen literarischen Werken findet diese
Thematik Verwendung. In dem Buch „Der Idiot“ von Fjodor M. Dostojewskij
verarbeitet der Schriftsteller seine eigene Erkrankung und die damit verbundenen
Reaktionen der Umwelt, wie bspw.: „Verhält er sich wenigstens ruhig, wenn er seine
Anfälle bekommt? Schneidet er keine Gesichter? ...“ (vgl. DOSTOJEWSKIJ 1965: 70). In
dem Buch „Rote Sonne, Schwarzes Land“ von Barbara Wood, die Autorin war zehn
Jahre als Chirurgie-Assistentin tätig, leidet ebenfalls eine Romanfigur an Epilepsie
und deren Folgen (vgl. WOOD 1989: 240 f, 306 f).
Auch als ich während meiner Realschulzeit das erste Mal mit den Reaktionen der
Gesellschaft auf die Erkrankung konfrontiert wurde, geschah dies in Form von
abfälligen Bemerkungen einiger Schüler. Auf der Heimfahrt mit dem Bus erzählte
eine Schülerin, laut und für alle hörbar, von ihrem Klassenkameraden, der während
des Unterrichts einen epileptischen Anfall erlitten hatte. Einer ausführlichen
Beschreibung des Geschehens folgten dumme Witze mehrerer Personen, die mich
damals sehr verunsicherten. Meine Eltern erklärten mir, dass es sich bei der
Epilepsie um eine Erkrankung des Gehirns handelt, die Anfälle zur Folge hat. Die
Angst, die mit dem Begriff „Epilepsie“ verbunden sei, würde häufig zur Ausgrenzung
der Betroffenen führen.
Während meines Vorpraktikums in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung
lernte ich Mitarbeiter kennen, die an Epilepsie erkrankt waren. In meiner Gruppe
arbeitete ein Betroffener, der den ganzen Vormittag auf Reize, die von außen kamen
nicht reagierte, da er sehr starke Antiepileptika nehmen musste und diese seine
Sinne stark beeinträchtigten. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin während meiner
Studienzeit erlebte ich in einer Einrichtung für Begegnungs-, Erholungs- und
Bildungsmaßnahmen für Menschen mit und ohne Behinderung das erste Mal einen
Grand-mal-Status mit. Die Hilflosigkeit mancher Teilnehmer und die Angst der
Angehörigen machte mir das Ausmaß eines Anfalls und die Betroffenheit der
Umstehenden bewusst.
Die Schicksale dieser Menschen bewegen mich sehr. Es sind Menschen, denen es
häufig gesundheitlich nicht gut geht und die nicht unbedingt mit einer positiven
Bewertung ihrer Person durch die Gesellschaft rechnen können. Ich musste
2
erfahren, dass Erkrankte wie die Angehörigen aus Angst vor Bekanntwerden der
Epilepsie, auch bei Neigung zu Grand-mal-Anfällen, die Erkrankung nicht einmal den
Betreuern preisgeben. Betroffene und ihre Familien sollten offen über ihre
Erkrankung sprechen dürfen. So können sie die benötigte Unterstützung aus dem
Umfeld erhalten.
Aufgrund dieser Vielzahl an persönlichen Erfahrungen und der Tatsache, dass auch
in jedem Bereich der Sozialen Arbeit Menschen mit Epilepsie anzutreffen sind, habe
ich mich entschieden, die Erkrankung „Epilepsie“ und deren psychosozialen
Auswirkungen für die Familie innerhalb meiner Diplomarbeit ausführlich zu
behandeln. Wenn ich in der vorliegenden Arbeit von Familie spreche, so setzt sich
diese aus Vater, Mutter, Kind und Geschwisterkinder zusammen.
Die Frage, die mich beim Schreiben besonders leiten wird ist, in wieweit das soziale
Umfeld das Denken, Fühlen und Handeln in einer Familie mit einem an einer
Epilepsie erkrankten Familienmitglied beeinflussen kann.
Ich
möchte
versuchen,
diese
Antworten
anhand
von
wissenschaftlichen
Publikationen, Erfahrungsberichten Betroffener, eigenen Erfahrungen während
meines Vorpraktikums, eines praktischen Studiensemesters, meiner ehrenamtlichen
Tätigkeit sowie einigen Interviews mit Erkrankten, Betreuern und Nicht-Betroffenen
zu geben. Ihnen gilt an dieser Stelle mein Dank für die freundliche Unterstützung.
Eine Begriffsbestimmung von „Epilepsie“ leitet diese Arbeit ein. Das Nervensystem,
die Aufgabenverteilung im Gehirn und die Funktion der Nervenzellen werden
anschließend betrachtet. Einer Beschreibung der Erkrankung, die die Entstehung,
das Anfallsgeschehen, die Diagnostik und die unterschiedlichen Formen der
Behandlung beinhaltet, folgt eine kurze geschichtliche Aufzeichnung.
Mit einer Erläuterung des Begriffs „psychosozial“ wird die Arbeit fortgesetzt.
Nachdem die Situation der Familie bei Erkrankung eines Kindes oder bei Erkrankung
eines Erwachsenen ausführlich beleuchtet wird, soll ein Bild vom Verhalten der
sozialen Umwelt gegenüber dem Erkrankten und seiner Familie erstellt werden.
Ausgehend von dieser Sicht werden mögliche Reaktionen der betroffenen Familie
aufgezeigt. Ein besonderes Augenmerk gilt der Frage: „Erzähle ich dem Umfeld von
meiner Epilepsie?“.
Abschließend erfolgt eine Darstellung eventuell auftretender psychischer und
physischer Probleme für den Menschen mit Epilepsie.
3
Mit Hilfe meiner theoretischen Ausarbeitung werde ich einen Fragenkatalog
entwickeln, dessen Antworten mir zur Unterstützung meines Geschriebenen dienen
sollen.
Einrichtungen,
die
in
erster
Linie
der
Unterstützung
der
gesunden
Familienangehörigen dienen, wie bspw. der „Familienentlastende Dienst FED“,
stellen wichtige und sinnvolle Hilfeleistungen bereit. Sie sollen aber im Weiteren nicht
näher behandelt werden.
Auch kann der Besuch von Selbsthilfegruppen für einige Betroffene und ihre
Angehörigen eine Erleichterung bringen. Eine eigene Beschreibung dieser Gruppen
erfolgt nicht. Hier sei nur auf einen ausführlichen Bericht von SCHUSTER, die selbst
Leiterin einer Gruppe ist, verwiesen (1996: 143 – 150). Ausführlich wird der Besuch
einer Selbsthilfegruppe bspw. von KRÄMER (2000: 308 f) diskutiert.
Anmerkung: Bei der Bezeichnung der Personen sind stets beide Geschlechter
gemeint, auch wenn im weiteren Text aus stilistischen Gründen das Maskulinum
verwendet wird.
1. Begriffsbestimmung Epilepsie
Der Name „Epilepsie“ stammt aus dem Griechischen. Das Verb „epilambanein“
bedeutet: packen, jemand heftig ergreifen. (SCHNEBLE 1996: 13; WOHLFAHRT 1996:
188)
Epilepsie ist eine organisch begründete Erkrankung des Gehirns, bei der eine starke
und gleichzeitige Entladung von Nervenzellen zu epileptischen Anfällen führt
(LAMPRECHT 1990: 330, 337; ASTA MEDICA AWD GMBH 1999a: 3). Sie gehört zu den
häufigsten chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems (EPILEPSIEKURATORIUM 1998: 10; FRÄNKISCHER TAG 2007: 11).
Epilepsie ist keine einheitliche Krankheit. Es gibt mehr als 20 Arten von Epilepsien.
Sie haben verschiedene Ursachen und zeigen unterschiedliche Symptome. Einen
„typischen Epileptiker“ gibt es nicht. (KRÄMER 1998: 17)
Fast 1 % der Bevölkerung leidet an einer Epilepsie. Zwei Drittel der Erkrankungen
treten vor dem 20. Lebensjahr auf. (SCHNEBLE 1996: 11) Nach dem 70. Lebensjahr
4
steigt das Risiko zu erkranken erneut stärker an. In der BRD geht man von ca. 30000
Neuerkrankungen pro Jahr aus. (KRÄMER 2003: 17)
Ist die Ursache für das Anfallsgeschehen nicht erkennbar, wird von idiopathischen
Anfällen und Epilepsien gesprochen. Die genetische Disposition spielt hier eine
entscheidende Rolle. Die Epilepsie ist jedoch keine Erbkrankheit. Lassen sich
krankhafte Veränderungen im Gehirn nachweisen, wird von symptomatischen
Anfällen und Epilepsien gesprochen. Bei kryptogenen Anfällen und Epilepsien liegen
die Ursachen im Verborgenen. Aufgrund des Krankheitsverlaufes rechnet man
jedoch damit, dass zu einem späteren Zeitpunkt mittels moderner Möglichkeiten eine
symptomatische Störung diagnostiziert werden kann. (KRÄMER 1998: 73 f)
Je nach Ort und Ausmaß des epileptischen Geschehens im Gehirn sind die
Symptome sehr unterschiedlich (SCHNEBLE 1996: 15; MATTHES et. al. 1992, zit. n.
KNÖLKER, MATTEJAT, SCHULTE-MARK 2003: 228). So können sich die mehr als zehn
verschiedenen Formen von epileptischen Anfällen, z. B. in einer plötzlichen Störung
des
Bewusstseins
äußern
sowie
in
Bewusstlosigkeit,
Krämpfen,
einer
vorübergehenden Sprechhemmung, aber auch nur in einem kurzen Zucken mit der
Hand oder auch in Empfindungen, die nur vom Betroffenen wahrgenommen werden,
wie Kribbeln, Taubheitsgefühl, Lichtreize und Schwindel (KRÄMER 1998: 13;
SCHNEBLE 1996: 22, 27 – 32).
Unter bestimmten Bedingungen, z. B. Entzündungen oder Verletzungen des Gehirns,
Gehirnoperationen, Sauerstoffmangel, rasch ansteigendem Fieber, Medikamenten
und Alkohol, kann jeder Mensch einen epileptischen Anfall erleiden. Bei diesen
Gelegenheitsanfällen handelt es sich nicht um eine manifeste Epilepsie. Von dieser
wird erst nach mehreren spontan auftretenden Anfällen gesprochen, die ohne
erkennbare Auslösung auftreten. (MATTHES, KRUSE 1989: 5 f; SCHUSTER 1996: 23)
Mehr als die Hälfte aller Epilepsien können heute erfolgreich behandelt werden
(KRÄMER 1998: 15; MASUHR 1983: 26).
2. Das Nervensystem
Mehr als 60 Milliarden Nervenzellen bilden in ihrer Gesamtheit das Nervensystem.
Es setzt sich zusammen aus dem Zentralnervensystem, bestehend aus Gehirn und
Rückenmark, dem peripheren Nervensystem und dem autonomen Nervensystem.
Das Gehirn ist in Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm unterteilt. Es liegt in einer
5
knöchernen Schädelhöhle und wird von Hirnhäuten und Hirnflüssigkeit umgeben. Als
zentrales Kontroll- und Steuerorgan regelt es fast alle Körperfunktionen. Eine
perfekte Arbeit wird möglich, weil jede Nervenzelle mit unzähligen anderen
Nervenzellen in Verbindung steht und ein ständiger Informationsaustausch
stattfindet. Auch führt die Zuordnung von bestimmten Nervenzellen zu bestimmten
Funktionen zu einer Spezialisierung und damit erhöhten Leistungsfähigkeit. Über das
weit
verzweigte
periphere
Nervensystem
werden
vom
Rückenmark
aus
Verbindungen zu allen Körperteilen hergestellt. Das autonome (vegetative)
Nervensystem reguliert die unwillkürlich ablaufenden Körpervorgänge, wie Blutdruck,
Atmung, Stoffwechsel. (KRUSE, STENGEL 1972: 118 – 125; LINDER, HÜBLER 1975: 114
– 123; DIETRICH, MÜLLER-HEGEMANN 1990: 120, 242) Das Zentralnervensystem und
häufig auch das autonome Nervensystem sind bei epileptischen Anfällen direkt, das
periphere Nervensystem nur indirekt beteiligt (KRÄMER 1998: 20 ff).
3. Aufgabenverteilung im Gehirn
Der Hirnstamm bildet die Verbindung zwischen Gehirn und Rückenmark. Er wird in
Mittelhirn (Mesazephalon), Brücke (Pons) und verlängertes Mark (Medulla oblongata)
unterteilt. Vom letzteren aus werden die unbewusst ablaufenden Körperfunktionen
kontrolliert. Zwischenhirn und Mittelhirn enthalten Durchgangs- und Umschaltstellen
für zahlreiche Nervenbahnen, auch werden hier manch reflektorisch ablaufende
Vorgänge ausgelöst und überwacht. Alle Nervenbahnen vom Gehirn zum Körper und
umgekehrt
verlaufen
durch
den
Hirnstamm
und
die
Stammganglien.
Die
Nervenzellverbände in der Tiefe des Gehirns (weiße Substanz) sind für die
Informationsübertragung im Nervensystem verantwortlich. (KRUSE, STENGEL 1972:
118 – 125; LINDER, HÜBLER 1975: 114 – 123; DIETRICH, MÜLLER-HEGEMANN 1990: 120,
242) Von den Stammganglien spielt vor allem der Thalamus, hier werden
Berührungs- und Schmerzinformationen gesammelt und an die entsprechenden
Stellen weitergeleitet, bei epileptischen Anfällen eine wichtige Rolle (KRÄMER 1998:
24). Der darunterliegende Hypothalamus steuert die Empfindungen, wie Müdigkeit,
Hunger, Durst, die Körpertemperatur, die Ausschüttung von Sexualhormonen. Die
Hypophyse steuert als Zentrale des hormonellen Geschehens alle übrigen Drüsen
und liefert auch selbst Hormone. Sie ist durch das Zwischenhirn mit dem vegetativen
Nervensystem verbunden.
6
Das wie das Großhirn durch eine Längsfurche in zwei Hemisphären geteilte
Kleinhirn, ist zu einem großen Teil für die Erhaltung des Gleichgewichts
verantwortlich. Durch die aus dicken Faserbündeln bestehende Brücke ist das
Kleinhirn mit dem Großhirn verbunden.
Das Großhirn macht mehr als drei Viertel der Gehirnmasse aus. Es überlagert die
übrigen Gehirnteile von oben her. Der Balken (Corpus callosum) verbindet beide
Hemisphären. Durch regelmäßig verlaufende Furchen ist die Oberfläche in
zahlreiche Windungen aufgeteilt, wodurch es zu einer Oberflächenvergrößerung
kommt, die umso mehr Nervenzellen (schätzungsweise 14 Milliarden) Platz bietet.
Bei einem Schnitt durch das Großhirn sind zwei verschieden gefärbte Schichten zu
erkennen. Über der weißen Substanz ist die 13 – 14 mm dicke graue Gehirnrinde mit
Sitz der Nervenzellen Denk- und Schaltzentrale. Von den beiden annähernd
symmetrischen Hälften ist jede nochmals in Frontal-, Temporal-, Parital- und
Okzipitallappen unterteilt. Die Hirnlappen sind miteinander verbunden, was bei einem
epileptischen Anfall zu einem schnellen Übergreifen führen kann. Häufiger
Ausgangspunkt epileptischer Anfälle ist der Temporallappen mit dem in seinem
inneren Teil liegenden Hippocampus, der Eindrücke gezielt an andere Stellen
weiterleitet. (KRUSE, STENGEL 1972: 118 – 125; LINDER, HÜBLER 1975: 114 – 123;
DIETRICH, MÜLLER-HEGEMANN 1990: 120, 242) Jeder Teil des Gehirns kann bei einem
epileptischen Anfall betroffen sein (KRÄMER 1998: 27, POHLMANN-EDEN 2006: 3).
Obgleich der Aufbau der Großhirnhälften weitgehend der gleiche ist, arbeiten beide
Seiten nahezu unabhängig, und auch in ihrer Verantwortlichkeit unterscheiden sie
sich. Während die linke Hälfte bei fast allen Menschen für das Sprechen, Schreiben,
das logische Denken, bewusste Erleben und Handeln zuständig ist, finden wir auf
der rechten Seite die Zuständigkeit für gefühlsmäßige Vorgänge, unbewusstes
Erleben und die automatische Informationsverarbeitung.
In der Regel ist eine Großhirnhälfte für die Funktion der gegenüberliegenden
Körperhälfte verantwortlich, da die auf- wie absteigenden Nervenbahnen die
Mittellinie (Hirnstamm, Rückenmark) kreuzen.
(KRUSE, STENGEL 1972: 118 – 125; LINDER, HÜBLER 1975: 114 – 123; DIETRICH,
MÜLLER-HEGEMANN 1990: 120, 242)
Die folgenden Abbildungen geben einen Überblick über die Aufteilung des Gehirns.
7
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