Geisteswissenschaft Regina Welter Epilepsie und die psychosozialen Auswirkungen für die Familie Diplomarbeit Fachhochschule Coburg Fachbereich Sozialwesen Epilepsie und die psychosozialen Auswirkungen für die Familie DIPLOMARBEIT vorgelegt zur Erlangung des akademischen Grades einer Diplom – Sozialpädagogin (FH) von Regina Welter Vorgelegt am: 05.04.2007 Inhaltsverzeichnis Seite Abbildungsverzeichnis 1 Einleitung 2 1. Begriffsbestimmung Epilepsie 4 2. Das Nervensystem 5 3. Aufgabenverteilung im Gehirn 6 4. Funktion der Nervenzellen 9 5. Die wichtigsten Anfallsformen 9 5.1 fokale Anfälle 10 5.1.1 einfache fokale Anfälle 10 5.1.1.1 motorische Anfälle 10 5.1.1.2 sensible und sensorische Anfälle 11 5.1.1.3 vegetative oder autonome Anfälle 11 5.1.1.4 Anfälle mit psychischen Symptomen 11 5.1.2 komplexe fokale Anfälle 12 5.2 generalisierte Anfälle 13 5.2.1 tonische Anfälle 13 5.2.2 klonische Anfälle 14 5.2.3 generalisierte tonisch-klonische Anfälle (Grand-mal) 14 5.2.4 myoklonische Anfälle 15 5.2.5 atonische Anfälle 15 5.2.6 Absencen 16 6. Epilepsieformen 16 6.1 Fokale Epilepsien 17 6.1.1 fokale idiopathische Epilepsien 17 6.1.2 fokale symptomatische Epilepsien 18 6.1.2.1 Temporallappenepilepsie 18 6.1.2.2 Frontallappenepilepsie 19 6.1.2.3 Okzipitallappenepilepsie 20 6.1.2.4 Parietallappenepilepsie 20 6.2 Generalisierte Epilepsien 20 6.2.1 generalisierte idiopathische Epilepsien 20 6.2.1.1 gutartige Neugeborenenkrämpfe 20 6.2.1.2 benigne frühkindliche myoklonische Epilepsie 21 6.2.1.3 Absence-Epilepsie im Kindesalter (Pyknolepsie) 21 6.2.1.4 juvenile Absence-Epilepsie 21 6.2.1.5 Impulsiv-Petit-mal-Epilepsie (Juvenile myoklonische Epilepsie) 21 6.2.1.6 Aufwach-Grand-mal-Epilepsie 22 6.2.2 generalisierte symptomatische oder kryptogene Epilepsien 22 6.2.2.1 West-Syndrom (Epilepsie mit BNS-Krämpfen) 22 6.2.2.2 Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) 23 6.2.2.3 Epilepsie mit myoklonisch-astatischen Anfällen 24 6.3 Epilepsien ohne Zuordnung zu „fokal“ oder „generalisiert“ 24 6.4 Besondere Epilepsieformen und Syndrome 25 7. Diagnostik 27 8. Behandlung 28 8.1 Akutbehandlung 28 8.2 Behandlung mit Antiepileptika 28 8.3 operative Behandlung 29 8.4 ergänzende Behandlungsmethoden 29 9. Folgen epileptischer Anfälle und Epilepsien für die Betroffenen 31 10. Umgang mit der Epilepsie – von der Antike bis in unsere Zeit 33 11. Begriffsklärung psychosozial 43 12. Situation der Familie 45 12.1 bei Erkrankung eines Kindes 46 12.1.1 Befindlichkeit des Kindes 46 12.1.2 psychische und physische Belastung der Eltern 47 12.1.3 Erziehung 49 12.1.4 Situation der gesunden Geschwister 52 12.1.5 Probleme bei Medikamenteneinnahme 54 12.1.6 Schwierigkeiten im Kindergarten 55 12.1.7 Schulschwierigkeiten 56 12.1.8 berufliche Situation 59 12.1.9 Einrichtungen für Kinder und Jugendliche 60 12.1.9.1 Epilepsieberatungsstellen 60 12.1.9.2 Frühförderstellen 61 12.1.9.3 Ambulanzen 62 12.1.9.4 Epilepsiezentren 62 12.1.9.5 Sonderkindergärten 62 12.1.9.6 Sonderschulen für Menschen mit einer Lernbehinderung 63 12.1.9.7 Sonderschulen für Menschen mit einer geistigen Behinderung 63 12.1.9.8 Sonderschulen für Menschen mit einer körperlichen Behinderung 64 12.1.9.9 integrative Kindergärten und Schulen 64 12.1.9.10 berufliche Bildungsmaßnahmen 65 12.1.9.11 Berufsbildungswerke 65 12.1.9.12 Werkstätten für Menschen mit Behinderung 66 12.1.10 Wohnformen für Kinder und Jugendliche 66 12.1.10.1 Heime 67 12.1.10.2 betreute Wohnformen 67 12.1.10.3 Epilepsieabteilungen 68 12.1.11 Einschränkungen bei Freizeitgestaltung 69 12.1.11.1 Sport 69 12.1.11.2 Anfallsauslösende Faktoren 69 12.1.12 Freundschaften und Partnerschaft 71 12.2 bei Erkrankung der Mutter / des Vaters 72 12.2.1 Befindlichkeit der Mutter / des Vaters 72 12.2.2 psychische und physische Belastung des Partners 73 12.2.3 Partnerschaft 74 12.2.4 Schwangerschaftsverhütung und Kinderwunsch 75 12.2.5 Versorgung der Kinder 77 12.2.6 psychische Belastung bei Kindern 78 12.2.7 Probleme bei Medikamenteneinnahme 79 12.2.8 Fahrtauglichkeit 80 12.2.9 berufliche Situation 81 12.2.10 Versicherungen 83 12.2.11 Einrichtungen für Erwachsene 83 12.2.11.1 Epilepsieberatungsstellen 83 12.2.11.2 Rehabilitationsmaßnahmen 84 12.2.11.3 Berufsförderungswerke 84 12.2.11.4 Epilepsiezentren 85 12.2.11.5 Werkstätten für Menschen mit Behinderung 86 12.2.12 Einschränkungen bei Freizeitgestaltung 86 12.2.12.1 Sport 86 12.2.12.2 Anfallsauslösende Faktoren 87 13. Verhalten der sozialen Umwelt 88 13.1 gegenüber Erkrankten 88 13.2 gegenüber der Familie 92 14. Reaktion der Familie 93 14.1 auf Isolation / Stigmatisierung 93 14.2 Einstellungen der Menschen zur Bekanntgabe der Erkrankung 95 15. Folgen 98 15.1 Verschlechterung der Lebensqualität 98 15.2 Differentialdiagnose: psychogene Anfälle 99 15.3. Folgeerkrankungen 100 15.3.1 psychische Veränderungen 100 15.3.2. Verhaltensstörung 101 15.3.2.1 Aggressive Verhaltensstörungen 101 15.3.2.2 Sexualstörungen 102 15.3.2.3 Affektive Störungen 102 15.3.3 Wahnideen bzw. Halluzinationen 104 15.3.4 Psychosen 104 15.3.5 Dämmerzustand 105 15.3.6 Wesensänderung 105 15.3.7 Demenz 107 Resümee 108 Literatur- / Quellenverzeichnis 111 Anhang A: Dokumente Anfallserfassungsbogen Dissertation von 1936 / Einführung Anstecknadel Krisenverarbeitung als Lernprozess in acht Spiralphasen Erfahrungsbericht Anhang B: Interviews / Erfahrungsbericht Fragenkatalog Interview 1 Interview 2 Interview 3 Interview 4 Interview 5 Interview 6 Interview 7 Interview 8 Interview 9 Interview 10 Interview 11 Erfahrungsbericht Abbildungsverzeichnis Seite Abbildung 1: Aufbau des Gehirns 8 Abbildung 2: Aufbau des Gehirns 8 Abbildung 3: Die Einteilung der Epilepsieformen 17 Abbildung 4: Epilepsien 26 Abbildung 5: politische Rede im Jahre 1940 40 Abbildung 6: Rechenaufgabe aus dem Jahre 1936 40 Abbildung 7: psychosozial 43 1 Einleitung Bereits im Altertum wurde die Epilepsie als Krankheit definiert (SCHNEBLE 1996: 104). Es war und ist das Anfallsgeschehen, das sie zu einer Erkrankung macht, der meist mit starken Gefühlen begegnet wird. Auch in vielen literarischen Werken findet diese Thematik Verwendung. In dem Buch „Der Idiot“ von Fjodor M. Dostojewskij verarbeitet der Schriftsteller seine eigene Erkrankung und die damit verbundenen Reaktionen der Umwelt, wie bspw.: „Verhält er sich wenigstens ruhig, wenn er seine Anfälle bekommt? Schneidet er keine Gesichter? ...“ (vgl. DOSTOJEWSKIJ 1965: 70). In dem Buch „Rote Sonne, Schwarzes Land“ von Barbara Wood, die Autorin war zehn Jahre als Chirurgie-Assistentin tätig, leidet ebenfalls eine Romanfigur an Epilepsie und deren Folgen (vgl. WOOD 1989: 240 f, 306 f). Auch als ich während meiner Realschulzeit das erste Mal mit den Reaktionen der Gesellschaft auf die Erkrankung konfrontiert wurde, geschah dies in Form von abfälligen Bemerkungen einiger Schüler. Auf der Heimfahrt mit dem Bus erzählte eine Schülerin, laut und für alle hörbar, von ihrem Klassenkameraden, der während des Unterrichts einen epileptischen Anfall erlitten hatte. Einer ausführlichen Beschreibung des Geschehens folgten dumme Witze mehrerer Personen, die mich damals sehr verunsicherten. Meine Eltern erklärten mir, dass es sich bei der Epilepsie um eine Erkrankung des Gehirns handelt, die Anfälle zur Folge hat. Die Angst, die mit dem Begriff „Epilepsie“ verbunden sei, würde häufig zur Ausgrenzung der Betroffenen führen. Während meines Vorpraktikums in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung lernte ich Mitarbeiter kennen, die an Epilepsie erkrankt waren. In meiner Gruppe arbeitete ein Betroffener, der den ganzen Vormittag auf Reize, die von außen kamen nicht reagierte, da er sehr starke Antiepileptika nehmen musste und diese seine Sinne stark beeinträchtigten. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin während meiner Studienzeit erlebte ich in einer Einrichtung für Begegnungs-, Erholungs- und Bildungsmaßnahmen für Menschen mit und ohne Behinderung das erste Mal einen Grand-mal-Status mit. Die Hilflosigkeit mancher Teilnehmer und die Angst der Angehörigen machte mir das Ausmaß eines Anfalls und die Betroffenheit der Umstehenden bewusst. Die Schicksale dieser Menschen bewegen mich sehr. Es sind Menschen, denen es häufig gesundheitlich nicht gut geht und die nicht unbedingt mit einer positiven Bewertung ihrer Person durch die Gesellschaft rechnen können. Ich musste 2 erfahren, dass Erkrankte wie die Angehörigen aus Angst vor Bekanntwerden der Epilepsie, auch bei Neigung zu Grand-mal-Anfällen, die Erkrankung nicht einmal den Betreuern preisgeben. Betroffene und ihre Familien sollten offen über ihre Erkrankung sprechen dürfen. So können sie die benötigte Unterstützung aus dem Umfeld erhalten. Aufgrund dieser Vielzahl an persönlichen Erfahrungen und der Tatsache, dass auch in jedem Bereich der Sozialen Arbeit Menschen mit Epilepsie anzutreffen sind, habe ich mich entschieden, die Erkrankung „Epilepsie“ und deren psychosozialen Auswirkungen für die Familie innerhalb meiner Diplomarbeit ausführlich zu behandeln. Wenn ich in der vorliegenden Arbeit von Familie spreche, so setzt sich diese aus Vater, Mutter, Kind und Geschwisterkinder zusammen. Die Frage, die mich beim Schreiben besonders leiten wird ist, in wieweit das soziale Umfeld das Denken, Fühlen und Handeln in einer Familie mit einem an einer Epilepsie erkrankten Familienmitglied beeinflussen kann. Ich möchte versuchen, diese Antworten anhand von wissenschaftlichen Publikationen, Erfahrungsberichten Betroffener, eigenen Erfahrungen während meines Vorpraktikums, eines praktischen Studiensemesters, meiner ehrenamtlichen Tätigkeit sowie einigen Interviews mit Erkrankten, Betreuern und Nicht-Betroffenen zu geben. Ihnen gilt an dieser Stelle mein Dank für die freundliche Unterstützung. Eine Begriffsbestimmung von „Epilepsie“ leitet diese Arbeit ein. Das Nervensystem, die Aufgabenverteilung im Gehirn und die Funktion der Nervenzellen werden anschließend betrachtet. Einer Beschreibung der Erkrankung, die die Entstehung, das Anfallsgeschehen, die Diagnostik und die unterschiedlichen Formen der Behandlung beinhaltet, folgt eine kurze geschichtliche Aufzeichnung. Mit einer Erläuterung des Begriffs „psychosozial“ wird die Arbeit fortgesetzt. Nachdem die Situation der Familie bei Erkrankung eines Kindes oder bei Erkrankung eines Erwachsenen ausführlich beleuchtet wird, soll ein Bild vom Verhalten der sozialen Umwelt gegenüber dem Erkrankten und seiner Familie erstellt werden. Ausgehend von dieser Sicht werden mögliche Reaktionen der betroffenen Familie aufgezeigt. Ein besonderes Augenmerk gilt der Frage: „Erzähle ich dem Umfeld von meiner Epilepsie?“. Abschließend erfolgt eine Darstellung eventuell auftretender psychischer und physischer Probleme für den Menschen mit Epilepsie. 3 Mit Hilfe meiner theoretischen Ausarbeitung werde ich einen Fragenkatalog entwickeln, dessen Antworten mir zur Unterstützung meines Geschriebenen dienen sollen. Einrichtungen, die in erster Linie der Unterstützung der gesunden Familienangehörigen dienen, wie bspw. der „Familienentlastende Dienst FED“, stellen wichtige und sinnvolle Hilfeleistungen bereit. Sie sollen aber im Weiteren nicht näher behandelt werden. Auch kann der Besuch von Selbsthilfegruppen für einige Betroffene und ihre Angehörigen eine Erleichterung bringen. Eine eigene Beschreibung dieser Gruppen erfolgt nicht. Hier sei nur auf einen ausführlichen Bericht von SCHUSTER, die selbst Leiterin einer Gruppe ist, verwiesen (1996: 143 – 150). Ausführlich wird der Besuch einer Selbsthilfegruppe bspw. von KRÄMER (2000: 308 f) diskutiert. Anmerkung: Bei der Bezeichnung der Personen sind stets beide Geschlechter gemeint, auch wenn im weiteren Text aus stilistischen Gründen das Maskulinum verwendet wird. 1. Begriffsbestimmung Epilepsie Der Name „Epilepsie“ stammt aus dem Griechischen. Das Verb „epilambanein“ bedeutet: packen, jemand heftig ergreifen. (SCHNEBLE 1996: 13; WOHLFAHRT 1996: 188) Epilepsie ist eine organisch begründete Erkrankung des Gehirns, bei der eine starke und gleichzeitige Entladung von Nervenzellen zu epileptischen Anfällen führt (LAMPRECHT 1990: 330, 337; ASTA MEDICA AWD GMBH 1999a: 3). Sie gehört zu den häufigsten chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems (EPILEPSIEKURATORIUM 1998: 10; FRÄNKISCHER TAG 2007: 11). Epilepsie ist keine einheitliche Krankheit. Es gibt mehr als 20 Arten von Epilepsien. Sie haben verschiedene Ursachen und zeigen unterschiedliche Symptome. Einen „typischen Epileptiker“ gibt es nicht. (KRÄMER 1998: 17) Fast 1 % der Bevölkerung leidet an einer Epilepsie. Zwei Drittel der Erkrankungen treten vor dem 20. Lebensjahr auf. (SCHNEBLE 1996: 11) Nach dem 70. Lebensjahr 4 steigt das Risiko zu erkranken erneut stärker an. In der BRD geht man von ca. 30000 Neuerkrankungen pro Jahr aus. (KRÄMER 2003: 17) Ist die Ursache für das Anfallsgeschehen nicht erkennbar, wird von idiopathischen Anfällen und Epilepsien gesprochen. Die genetische Disposition spielt hier eine entscheidende Rolle. Die Epilepsie ist jedoch keine Erbkrankheit. Lassen sich krankhafte Veränderungen im Gehirn nachweisen, wird von symptomatischen Anfällen und Epilepsien gesprochen. Bei kryptogenen Anfällen und Epilepsien liegen die Ursachen im Verborgenen. Aufgrund des Krankheitsverlaufes rechnet man jedoch damit, dass zu einem späteren Zeitpunkt mittels moderner Möglichkeiten eine symptomatische Störung diagnostiziert werden kann. (KRÄMER 1998: 73 f) Je nach Ort und Ausmaß des epileptischen Geschehens im Gehirn sind die Symptome sehr unterschiedlich (SCHNEBLE 1996: 15; MATTHES et. al. 1992, zit. n. KNÖLKER, MATTEJAT, SCHULTE-MARK 2003: 228). So können sich die mehr als zehn verschiedenen Formen von epileptischen Anfällen, z. B. in einer plötzlichen Störung des Bewusstseins äußern sowie in Bewusstlosigkeit, Krämpfen, einer vorübergehenden Sprechhemmung, aber auch nur in einem kurzen Zucken mit der Hand oder auch in Empfindungen, die nur vom Betroffenen wahrgenommen werden, wie Kribbeln, Taubheitsgefühl, Lichtreize und Schwindel (KRÄMER 1998: 13; SCHNEBLE 1996: 22, 27 – 32). Unter bestimmten Bedingungen, z. B. Entzündungen oder Verletzungen des Gehirns, Gehirnoperationen, Sauerstoffmangel, rasch ansteigendem Fieber, Medikamenten und Alkohol, kann jeder Mensch einen epileptischen Anfall erleiden. Bei diesen Gelegenheitsanfällen handelt es sich nicht um eine manifeste Epilepsie. Von dieser wird erst nach mehreren spontan auftretenden Anfällen gesprochen, die ohne erkennbare Auslösung auftreten. (MATTHES, KRUSE 1989: 5 f; SCHUSTER 1996: 23) Mehr als die Hälfte aller Epilepsien können heute erfolgreich behandelt werden (KRÄMER 1998: 15; MASUHR 1983: 26). 2. Das Nervensystem Mehr als 60 Milliarden Nervenzellen bilden in ihrer Gesamtheit das Nervensystem. Es setzt sich zusammen aus dem Zentralnervensystem, bestehend aus Gehirn und Rückenmark, dem peripheren Nervensystem und dem autonomen Nervensystem. Das Gehirn ist in Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm unterteilt. Es liegt in einer 5 knöchernen Schädelhöhle und wird von Hirnhäuten und Hirnflüssigkeit umgeben. Als zentrales Kontroll- und Steuerorgan regelt es fast alle Körperfunktionen. Eine perfekte Arbeit wird möglich, weil jede Nervenzelle mit unzähligen anderen Nervenzellen in Verbindung steht und ein ständiger Informationsaustausch stattfindet. Auch führt die Zuordnung von bestimmten Nervenzellen zu bestimmten Funktionen zu einer Spezialisierung und damit erhöhten Leistungsfähigkeit. Über das weit verzweigte periphere Nervensystem werden vom Rückenmark aus Verbindungen zu allen Körperteilen hergestellt. Das autonome (vegetative) Nervensystem reguliert die unwillkürlich ablaufenden Körpervorgänge, wie Blutdruck, Atmung, Stoffwechsel. (KRUSE, STENGEL 1972: 118 – 125; LINDER, HÜBLER 1975: 114 – 123; DIETRICH, MÜLLER-HEGEMANN 1990: 120, 242) Das Zentralnervensystem und häufig auch das autonome Nervensystem sind bei epileptischen Anfällen direkt, das periphere Nervensystem nur indirekt beteiligt (KRÄMER 1998: 20 ff). 3. Aufgabenverteilung im Gehirn Der Hirnstamm bildet die Verbindung zwischen Gehirn und Rückenmark. Er wird in Mittelhirn (Mesazephalon), Brücke (Pons) und verlängertes Mark (Medulla oblongata) unterteilt. Vom letzteren aus werden die unbewusst ablaufenden Körperfunktionen kontrolliert. Zwischenhirn und Mittelhirn enthalten Durchgangs- und Umschaltstellen für zahlreiche Nervenbahnen, auch werden hier manch reflektorisch ablaufende Vorgänge ausgelöst und überwacht. Alle Nervenbahnen vom Gehirn zum Körper und umgekehrt verlaufen durch den Hirnstamm und die Stammganglien. Die Nervenzellverbände in der Tiefe des Gehirns (weiße Substanz) sind für die Informationsübertragung im Nervensystem verantwortlich. (KRUSE, STENGEL 1972: 118 – 125; LINDER, HÜBLER 1975: 114 – 123; DIETRICH, MÜLLER-HEGEMANN 1990: 120, 242) Von den Stammganglien spielt vor allem der Thalamus, hier werden Berührungs- und Schmerzinformationen gesammelt und an die entsprechenden Stellen weitergeleitet, bei epileptischen Anfällen eine wichtige Rolle (KRÄMER 1998: 24). Der darunterliegende Hypothalamus steuert die Empfindungen, wie Müdigkeit, Hunger, Durst, die Körpertemperatur, die Ausschüttung von Sexualhormonen. Die Hypophyse steuert als Zentrale des hormonellen Geschehens alle übrigen Drüsen und liefert auch selbst Hormone. Sie ist durch das Zwischenhirn mit dem vegetativen Nervensystem verbunden. 6 Das wie das Großhirn durch eine Längsfurche in zwei Hemisphären geteilte Kleinhirn, ist zu einem großen Teil für die Erhaltung des Gleichgewichts verantwortlich. Durch die aus dicken Faserbündeln bestehende Brücke ist das Kleinhirn mit dem Großhirn verbunden. Das Großhirn macht mehr als drei Viertel der Gehirnmasse aus. Es überlagert die übrigen Gehirnteile von oben her. Der Balken (Corpus callosum) verbindet beide Hemisphären. Durch regelmäßig verlaufende Furchen ist die Oberfläche in zahlreiche Windungen aufgeteilt, wodurch es zu einer Oberflächenvergrößerung kommt, die umso mehr Nervenzellen (schätzungsweise 14 Milliarden) Platz bietet. Bei einem Schnitt durch das Großhirn sind zwei verschieden gefärbte Schichten zu erkennen. Über der weißen Substanz ist die 13 – 14 mm dicke graue Gehirnrinde mit Sitz der Nervenzellen Denk- und Schaltzentrale. Von den beiden annähernd symmetrischen Hälften ist jede nochmals in Frontal-, Temporal-, Parital- und Okzipitallappen unterteilt. Die Hirnlappen sind miteinander verbunden, was bei einem epileptischen Anfall zu einem schnellen Übergreifen führen kann. Häufiger Ausgangspunkt epileptischer Anfälle ist der Temporallappen mit dem in seinem inneren Teil liegenden Hippocampus, der Eindrücke gezielt an andere Stellen weiterleitet. (KRUSE, STENGEL 1972: 118 – 125; LINDER, HÜBLER 1975: 114 – 123; DIETRICH, MÜLLER-HEGEMANN 1990: 120, 242) Jeder Teil des Gehirns kann bei einem epileptischen Anfall betroffen sein (KRÄMER 1998: 27, POHLMANN-EDEN 2006: 3). Obgleich der Aufbau der Großhirnhälften weitgehend der gleiche ist, arbeiten beide Seiten nahezu unabhängig, und auch in ihrer Verantwortlichkeit unterscheiden sie sich. Während die linke Hälfte bei fast allen Menschen für das Sprechen, Schreiben, das logische Denken, bewusste Erleben und Handeln zuständig ist, finden wir auf der rechten Seite die Zuständigkeit für gefühlsmäßige Vorgänge, unbewusstes Erleben und die automatische Informationsverarbeitung. In der Regel ist eine Großhirnhälfte für die Funktion der gegenüberliegenden Körperhälfte verantwortlich, da die auf- wie absteigenden Nervenbahnen die Mittellinie (Hirnstamm, Rückenmark) kreuzen. (KRUSE, STENGEL 1972: 118 – 125; LINDER, HÜBLER 1975: 114 – 123; DIETRICH, MÜLLER-HEGEMANN 1990: 120, 242) Die folgenden Abbildungen geben einen Überblick über die Aufteilung des Gehirns. 7