Leseprobe Modul B

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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1. Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Zusammenhängen im Staat, der
sogenannten Volkswirtschaft. Es werden Themen wie das Bruttoinlandprodukt, der Wirtschaftskreislauf und die Teilnehmer am Wirtschaftskreislauf behandelt. Aber wir lernen
auch die Grundlagen der „Nationalen Buchhaltung“, wie wir die „Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung (VGR)“ auch nennen, kennen.
„Nichts ist so beständig wie die Veränderung“ (Heraklit). Das trifft heute ganz besonders
auf die Wirtschaft zu.
Warum das so ist, erfahren Sie im folgenden Kapitel.
Meine Lernziele dieses Kapitels
Nach dem Durcharbeiten des Kapitels kann ich
pr
ob
e
💬💬 die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme erklären.
✋✋ die Wirtschaftssysteme nach ihren Eigenschaften und Besonderheiten richtig
zuordnen.
💬💬 den Wirtschaftskreislauf mit all seinen Teilnehmern und ihren Funktionen darstellen.
nen.
se
✋✋ die unterschiedlichen Wirtschaftssektoren anhand von Beispielen richtig zuord-
Le
💬💬 die Bedeutung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) und die Begriffe
BIP und BNE erklären und darstellen, sowie beschreiben, wozu das BIP dient und
was damit gemessen wird.
✋✋ anhand von Beispielen den Begriff „Vorleistungen“ richtig zuordnen.
💬💬 das reale und das nominelle BIP erklären und auch beschreiben, was bei der
Berechnung desselben vernachlässigt wird und warum es sich nur bedingt zur
Messung des Wohlstandes einer Volkswirtschaft eignet.
💬💬 beschreiben, wie wichtig Wirtschaftswachstum für eine Volkswirtschaft ist und
auch erklären, was unter „Konjunktur“ zu verstehen ist.
✋✋ anhand von Beispielen die verschiedenen konjunkturellen Schwankungen erkennen und die Konjunkturindikatoren richtig einordnen.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1.1
Wirtschaftssysteme
Das Ziel aller Wirtschaftssysteme war und ist es, möglichst grossen Wohlstand zu
schaffen, Menschen Arbeit zu geben und mit genügend Lebensmitteln zu versorgen.
Im Laufe der Jahrhunderte haben die Menschen verschiedene Wirtschaftssysteme
entwickelt und erprobt. Alle haben augenscheinlich das gleiche Ziel – doch sie unterscheiden sich fundamental. Die Unterschiede sind vor allem im Ausmass, in dem von
den einzelnen Wirtschaftsteilnehmern bzw. vom Staat in wirtschaftlichen Fragen entschieden wird, zu finden.
Wirtschaftssysteme
Freie Marktwirtschaft
Soziale Marktwirtschaft
Planwirtschaft
pr
ob
e
1.1.1 Freie Marktwirtschaft
Dieses Wirtschaftssystem wird vorrangig von den Komponenten Angebot und Nachfrage
dominiert. Demnach sind Preise sowie Mengen frei wählbar, ohne dass der Staat dabei
einen Einfluss ausüben kann.
Le
se
Dies hat gezeigt, dass Personen mit besseren Maschinen, Arbeitskräften und Gütern
besserer Qualität auch mehr verlangen können und dadurch einen höheren Gewinn
erzielen. Ärmere Menschen, welchen keine maschinelle Kraft zur Verfügung steht, setzen
allein auf ihre Arbeit. Dies hat zur Folge, dass ihre Produkte generell weniger auf dem
freien Markt wert sind und sie demzufolge auch weniger verdienen.
Die freie Marktwirtschaft führt schlussendlich dazu, dass Reichere reicher und Ärmere
ärmer werden.
In der freien Marktwirtschaft, die auf den Ideen des klassischen Liberalismus beruht,
gehören Unternehmen, Fabriken und Maschinen Privateigentümern. Wie teuer die
produzierten Waren sind, regelt der Markt, also Angebot und Nachfrage. Als Entdecker
dieses Marktprinzips gilt Adam Smith, der 1776 in seinem Hauptwerk Wohlstand der
Nationen forderte, dass der Staat möglichst wenig in wirtschaftliche Prozesse eingreifen
soll. Die einzige Aufgabe des Staates war es, Schutz, Sicherheit und Eigentum der Bürger
zu gewährleisten, ein Zahlungsmittel zur Verfügung zu stellen und das Rechtssystem zu
erhalten.
Für ihn regelte die „unsichtbare Hand“ des Marktes, dass die Unternehmen die passenden Waren und die richtigen Mengen herstellten.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Privateigentum an
den Produktionsmitteln
freier Wettbewerb
freie Preisbildung
Freie Marktwirtschaft
Gewerbefreiheit
Vertragsfreiheit
Vorteile
Konsumfreiheit
Nachteile
Grösstmögliche Freiheit des Individuums, Kleine Unternehmen gehen unter, es entallgemeine Wohlfahrtssteigerung und hohe steht soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung
Produktivität
und Egoismus.
1.1.2 Soziale Marktwirtschaft
pr
ob
e
Nun haben wir noch 2 weitere Wirtschaftssysteme im Vergleich.
se
Das Problem der freien Marktwirtschaft, bei welcher die Schere zwischen Arm und Reich
immer grösser wird, sollte mit der sozialen Marktwirtschaft behoben werden.
Le
Um Gerechtigkeit für alle Beteiligten zu gewährleisten, übernimmt der Staat bei diesem
Wirtschaftssystem die Aufgabe, diejenigen zu unterstützen, denen es krankheitsbedingt
oder aufgrund fehlender Schulbildung schlechter geht. So werden Schulungen bezahlt und
auch Sprachkurse für die ausländischen Mitbürger stehen frei zur Verfügung. Ausserdem
werden auch Familien mit Kindern finanziell unterstützt. Ein Nachteil, der bleibt: Um die
staatliche Unterstützung zu gewährleisten, müssen Steuern wie z. B. die Einkommenssteuer erhoben werden. Der Staat schenkt somit keinem Bürger etwas, sondern agiert
viel mehr als Verteiler, indem er den finanziell Bessergestellten mehr Geld abnimmt,
um es für die Unterstützung finanziell Benachteiligter zu investieren.
Die soziale Marktwirtschaft ist eine Verbindung des Wettbewerbssystems mit der Idee
der sozialen Gerechtigkeit. Die Ordnungselemente der Marktwirtschaft sind weitgehend
aufrecht.
Dort, wo die freie Marktwirtschaft zu sozial nicht vertretbaren Härten führt, hat der Staat
prinzipiell die Aufgabe, durch ordnungspolitische oder ablaufpolitische Massnahmen in
das Wirtschaftsgeschehen korrigierend einzugreifen.
Alfred Müller-Armack wählte diese Wortverbindung erstmals 1946 in seinem Werk
„Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“, welches 1947 veröffentlicht wurde. Er entwarf die Soziale Marktwirtschaft als „dritte Form“ neben rein liberaler Marktwirtschaft
und staatlicher Wirtschaftslenkung.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Für die Wirtschaftsordnung des vom Krieg zerstörten Deutschlands sollte der Markt als
„tragendes Gerüst“ in „eine bewusst gesteuerte“ und zwar „sozial gesteuerte Marktwirtschaft“ eingebettet sein.
Privateigentum an
Produktionsmitteln
Gewinnstreben als
Leistungsansatz
freie Preisbildung auf
dem Markt
Soziale Marktwirtschaft
Ein rechtlicher Rahmen sichert
Gewerbe-, Konsum-, Vertragsund Berufsfreiheit
Eine staatliche Wettbewerbspolitik
soll den Wettbewerb sichern und
Monopole und Kartelle verhindern.
Nachteile
Soziale Sicherheit, politische Stabilität, Ausbildungsqualität, Produktion, Kaufkraft,
und Lebensstandard sind hoch, motivierte
Mitarbeiter, gute Infrastruktur, Rechtsstaatlichkeit, sowie Möglichkeit für Absatz und
Investition.
Hohe Personal- und Lohnkosten, kurze
Arbeitszeiten, hohe Abgaben und viele
Subventionen sowie eine Belastung durch
die Globalisierung.
se
pr
ob
e
Vorteile
Le
1.1.2.1 Keynesianismus
Der Keynesianismus ist eine Wirtschaftstheorie, die auf den Briten John Maynard Keynes
zurückgeht. Der Ökonom ging aufgrund seiner Erfahrungen während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre davon aus, dass die Selbstregulierung des Marktes durch Angebot und Nachfrage nicht zu stabilen wirtschaftlichen
Situationen und Vollbeschäftigung führt. Stattdessen sei es die Aufgabe des Staates,
für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung zu sorgen, sowie die Schwankungen von
Angebot und Nachfrage auszugleichen. Denn vor allem Schwankungen im Bereich der
Investitionen in wirtschaftliche Betriebe sorgen für eine instabile Wirtschaft und führen
in der Folge zu Arbeitslosigkeit.
Theoretischer Hintergrund
Keynes empfiehlt dem Staat in Bezug auf die Wirtschaftspolitik deshalb ein antizyklisches
Verhalten in Form von aktiver Konjunkturpolitik. Schliesslich kann sich die Wirtschaft
in Phasen der Rezession nicht ohne Hilfe der Politik wieder erholen.
Das heisst, bei einer geringen Nachfrage nach produzierten Gütern und Arbeitskraft soll
die Nachfrage durch über Kredite finanzierte, staatliche Zuschüsse gesteigert werden.
Im Gegenzug sollen diese öffentlichen Ausgaben wieder zurückgenommen werden,
sobald sich die Nachfrage auf dem gewünschten Niveau befindet.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Diese Wirtschaftstheorie dominierte vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis weit in die
1970er-Jahre die wirtschaftspolitischen Entscheidungen in allen westlich orientierten
Staaten der Welt.
Beispiel:
Auch dem modernen Wohlfahrtsstaat, wie wir ihn in der Schweiz
und in Deutschland kennen, liegt der Keynesianismus in einigen
Teilen zugrunde.
Allerdings ist der Keynesianismus im Laufe der Jahre auch immer wieder an seine Grenzen
gestossen. So mussten Politiker immer wieder erkennen, dass sich die Wirtschaft nicht
im Sinne der Wirtschaftstheorie des Briten Keynes steuern lässt, beziehungsweise, dass
ihre fiskal- und konjunkturpolitischen Massnahmen schlicht zu spät kamen.
pr
ob
e
Dadurch war eine Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Situation und Vermeidung
von Arbeitslosigkeit durch staatliche Massnahmen nicht mehr möglich, oder sie haben
die Instabilität und damit die Krise noch verstärkt.
1.1.3 Planwirtschaft
Le
se
Noch eines der Wirtschaftssysteme, die wir im Vergleich haben und bei welchem, auch
ohne grossen Erfolg, dennoch einige Staaten den Versuch starteten, die Wirtschaft
komplett zu steuern, ist die Planwirtschaft. Mithilfe eines „Plans“ wird nicht nur die
genaue Produktion, sondern auch der Konsum so gestaltet, dass die Herstellung einzelner Güter genau auf den Bedarf gerechnet wird. Unternehmen müssen demnach alles
in dem Masse herstellen, wie es der Staat verordnet und auch die Preise der Produkte
werden staatlich festgelegt.
Das Problem, das sich hierbei ergibt, ist, dass der Bedarf verschiedenster Güter nicht
genau errechnet werden kann. Weiterhin führt diese genaue Planung dazu, dass niemand
mehr gewinnorientiert arbeitet, indem er z. B. durch den Einsatz besserer Maschinen
auch bessere Produkte herstellt.
Dem Staat gehören die Unternehmen, er bestimmt Preise, Produkte und Löhne. Der
geistige Vater dieses Wirtschaftssystems ist Karl Marx, sein Hauptwerk ist Das Kapital.
Eine Planwirtschaft ist hierarchisch aufgebaut. Das heisst, die Einzelpläne der verschiedenen Wirtschaftsbereiche müssen sich einem politisch beschlossenen Gesamtplan
unterordnen. Nach diesem Gesamtplan produziert und verkauft die Wirtschaft. Angebot und Nachfrage spielen keine Rolle. Oberstes Ziel ist die Planerfüllung. Das Angebot
bestimmt die Nachfrage! Wenn die Nachfrage grösser ist als das Angebot, bildet sich
ein „Schwarzmarkt“.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Preise und Löhne werden
vom Staat festgesetzt
Produktionsmittel im
Staatseigentum
Planwirtschaft
keine freie Auswahl
des Arbeitsplatzes
keine Gewerbefreiheit
keine Vertragsfreiheit
Nachteile
Abschaffung des Klassenkonfliktes, vorhersagbare Ergebnisse, gerechte Verteilung
der Ressourcen und fast keine Arbeitslosigkeit.
Einschränkung des Individuums, Rückgang
der Produktivität aufgrund mangelnder
Eigenverantwortung, Bereicherung des
Staates durch unrechtmässiges Eingreifen.
Die Realität hat gezeigt, dass es regelmässig zu einem Defizit zwischen Planung und
Realisierung der geforderten Leistungen
gekommen ist. Notwendige Innovationen
und Erfindungen für eine langfristige Entwicklung einer Volkswirtschaft können
nicht gesichert werden.
pr
ob
e
Vorteile
se
Übung
✋✋ Nun sind Sie an der Reihe. Als Zusammenfassung und zur Wiederholung des
Le
erworbenen Wissens versuchen Sie, folgende Aufgabe zu lösen und holen Sie
sich anschliessend ein Feedback im Lösungsteil.
Welche der folgenden Aussagen trifft auf welches Wirtschaftssystem zu?
Ordnen Sie richtig zu.
Freie Markt- Soziale Marktwirtschaft
wirtschaft
Wird vorrangig von den Komponenten
Angebot und Nachfrage dominiert.
Der Staat ist Eigentümer der Unternehmen und bestimmt Preise, Produkte und
Löhne.
Preise und Mengen sind ohne staatlichen
Einfluss frei wählbar.
Verbindet das Wettbewerbssystem mit
sozialer Gerechtigkeit.
Unternehmen stellen Güter nach staatlicher Verordnung her.
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Planwirtschaft
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Freie Markt- Soziale Marktwirtschaft
wirtschaft
Planwirtschaft
Reichere werden immer reicher und
Ärmere immer ärmer.
Gerechtigkeit für alle Beteiligten soll
gewährleistet werden.
Der Staat agiert als Verteiler.
Produktion und Konsum der Güter exakt
auf den Bedarf abgestimmt.
1.2
Der Wirtschaftskreislauf
pr
ob
e
Die Wirtschaft funktioniert wie ein Kreislauf! Ganz nach dem Prinzip „Geben und Nehmen“
zwischen allen Teilnehmern der Wirtschaft. Alle Teilnehmer sind durch Beziehungen
miteinander verbunden. (Auf den Wirtschaftskreislauf wurde bereits in Modul A näher
eingegangen.)
1.2.1 Die Darstellung des Wirtschaftskreislaufes
Le
se
Die Idee, die Wirtschaft als Kreislauf darzustellen wird bereits am einfachsten Modell
des Wirtschaftskreislaufs – bestehend lediglich aus Unternehmen (Produzenten) und
privaten Haushalten (Konsumenten) – deutlich: Um Güter zu produzieren werden den
Unternehmen von den privaten Haushalten Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Dafür
werden diese im Gegenzug entlohnt. Das heisst, dass die privaten Haushalte Arbeit zur
Verfügung stellen und dafür Geld erhalten. Von diesen Einkommen können dann die
privaten Haushalte die von Unternehmen produzierten Güter wiederum erwerben.
Im erweiterten Wirtschaftskreislauf besteht dann auch die Möglichkeit, dass private
Haushalte einen Teil ihres Einkommens sparen. Unternehmen wiederum können Investitionen mit einem Teil des Gewinns tätigen. Damit diese Möglichkeiten berücksichtigt
werden können, muss das Kreislauf-Modell um die Beachtung der Vermögensveränderung erweitert werden: Durch Sparen sowie durch Investitionen steigt das Vermögen;
die Banken sammeln dann die Spareinlagen und verleihen diese gegen Zinsen an die
privaten Haushalte und an Unternehmen, die konsumieren oder investieren wollen.
Die Banken leihen Geld aber auch an den Staat.
Es ist zu berücksichtigen, dass auch der Staat am wirtschaftlichen Geschehen teilnimmt.
Er erzielt z. B. Einkommen, indem er Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (das sind
die Zahlungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber für die gesetzliche Kranken-, Pensions-,
Pflege- und Arbeitslosenversicherung) einzieht. Diese Einkommen verwendet der Staat
für Transferzahlungen an private Haushalte (z. B. Arbeitslosengeld) oder an Unternehmen (Subventionen). Er nimmt aber auch aktiv als Unternehmer und Nachfrager am
Wirtschaftskreislauf teil!
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
In einer offenen Volkswirtschaft – d. h. einer solchen, welche für den Handel mit anderen
Volkswirtschaften offen ist – führen Ex- und Importe von Waren und Dienstleistungen
ebenfalls zu Einnahmen- und Ausgabenströmen. Ein Modell des Wirtschaftskreislaufs
sollte daher auch diese Beziehungen zum Ausland miteinbeziehen. Der Einfachheit
halber werden dabei nur die Beziehungen von Unternehmen mit dem Ausland betrachtet. Importe führen zu einem Ausgabenstrom von den Unternehmen an das Ausland,
während Exporte zu einem Einnahmenstrom aus dem Ausland an die inländischen
Unternehmen führen.
Transferzahlungen
Sozialversicherungsbeiträge
Staat
Sozialversicherungsbeiträge
Subventionen
Lohn/Gehalt
Arbeitskraft
Zinsen
€
pr
ob
e
Spareinlagen
privater
Haushalt
Banken
Zinsen
Kredite
Unternehmen
Konsumausgaben
Le
se
Konsumgüter, Dienstleistungen
Konsumgüterimporte
Konsumgüterexporte
Exporte
Ausland
Importe
Alles, was wir an Aktivitäten im Wirtschaftskreislauf sehen können, kann man nun in
einer Art nationaler Buchhaltung erfassen und auch in Zahlen darstellen! Wir nennen
das die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, mit deren Grundlagen wir uns in Kapitel
1.3. befassen werden.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1.2.2 Die Beteiligten am Wirtschaftskreislauf und ihre Verflechtungen
Beteiligte am Wirtschaftskreislauf
Unternehmen
private Haushalte
Staat - Gebietskörperschaften:
Bund, Länder, Gemeinden
und Gemeindeverbände
Banken
Ausland
pr
ob
e
■■ Unternehmen
Sie produzieren Güter und Dienstleistungen und befriedigen damit die Bedürfnisse ihrer Kunden. Die Nachfrager ihres Angebots sind sowohl Haushalte als
auch andere Unternehmen. Unternehmen können jetzt privat sein oder aber
staatliche Unternehmen.
Le
se
■■ Private Haushalte
Ein Teil der Personen arbeitet in den Unternehmen. Für ihre Arbeitsleistung
erhalten diese Personen Geld bzw. Einkommen. Einige der privaten Haushalte
geben auch Kapital an Unternehmen (durch den Kauf von Aktien oder Anleihen).
Vielleicht stellen sie auch Gebäude sowie Grund und Boden zur Verfügung. Für
diese Leistungen erhalten sie ebenfalls Einkommen in Form von Zinsen, Dividenden, Pacht oder Miete. Es fliesst somit ein Güterstrom von den privaten Haushalten zu Unternehmen. In der Gegenrichtung fliesst ein Geldstrom in Form von
Einkommen von den Unternehmen an die privaten Haushalte. Dieses Einkommen
wird von den Haushalten wieder für Güter und Dienstleistungen ausgegeben, die
von den Unternehmen angeboten werden. Das heisst, es fliesst ein Geldstrom
zurück zu den Unternehmen und ein Güterstrom zu den Haushalten.
■■ Der Staat
Die äusserst vielfältigen Ströme einer modernen offenen Volkswirtschaft mit
staatlicher Aktivität können ebenfalls in einem Kreislaufschema dargestellt
werden. Der Staat hat auch Anteil an der Wirtschaft, indem er mit Gesetzen
regulierend eingreift. Er erhält aber auch Zwangsabgaben in Form von Steuern.
Er bietet den privaten Haushalten Transferleistungen (siehe Kapitel 3.1.2.), etwa
im Rahmen der Sozialhilfe. Für seine Leistungen erhält er Steuern und Abgaben.
Ausserdem tritt der Staat auch als Unternehmer und Nachfrager auf.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
■■ Banken
Zu den Beziehungen des Finanzsektors mit den anderen Teilnehmern des Wirtschaftskreislaufs zählt auch die Geldanlage bei Banken, wofür Zinsen als Gegenleistung erhalten werden. Unternehmen und Haushalte können Kredite aufnehmen.
Der Staat verschuldet sich durch die Ausgabe von Anleihen und zahlt dafür Zinsen.
■■ Ausland
In das Ausland fliessen Güter und Dienstleistungen. Private Haushalte und
Unternehmen erwerben im Ausland Güter. Kreditinstitute vergeben Kredite an
Unternehmen im Ausland oder an Staaten und erhalten dafür Zinsen. Der Staat
importiert Waren. Der Sektor Ausland besteht dabei aus der Zusammenfassung
aller ausländischen Wirtschaftssubjekte.
1.2.3 Die Sektoren der Wirtschaft
Wie Sie bereits wissen, haben Unternehmen einen erheblichen Anteil an der Wirtschaft.
Betriebe bzw. Unternehmen können, wie bereits in Modul A besprochen, nach verschiedenen Kriterien wie Betriebsgrösse, Umsatz, Branche, etc. unterteilt werden.
pr
ob
e
Eine weitere Möglichkeit ist die Untergliederung der Betriebe nach Sektoren bzw. nach
den Leistungen, die sie erstellen.
Wirtschaftssektoren
se
Primärer Sektor
Le
vor allem Land- und
Forstwirtschaft
Tertiärer Sektor
Dienstleistungen
Sekundärer Sektor
vor allem Erzeugung
(Produktion)
Quartärer Sektor
Höherwertige Dienstleistungen
Unsere gesamten wirtschaftlichen Tätigkeiten kann man also in vier Gruppen zusammenfassen:
■■ Landwirtschaft und Forstwirtschaft, Fischerei und Fischzucht zählen zur ersten
Gruppe. Da es diese wirtschaftlichen Tätigkeiten schon seit vielen tausend Jahren
gibt und man dabei mit Rohstoffen (z. B. Boden) arbeitet, die schon immer vorhanden waren, spricht man vom primären Wirtschaftssektor. (Primus kommt aus
dem Lateinischen und heisst der Erste). In diesen Bereichen tätige Unternehmen
sind Betriebe des primären Sektors.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
■■ Alle Produktionsbetriebe ausserhalb des primären Sektors (von Unternehmen
mit grossen Fabriken bis hin zu kleinen Handwerksbetrieben, wie eine Tischlerei) zählen zum sekundären Sektor (die Bedeutung von „second“ kennen Sie
aus dem Englischen). In diesen Bereichen tätige Unternehmen sind Betriebe
des sekundären Sektors. Zu diesem zählen neben der Sachgüterproduktion die
Energie- und Wasserversorgung sowie das Bauwesen.
■■ Die dritte (oder tertiäre) grosse Gruppe von Wirtschaftstätigkeiten ist die Erbringung von Dienstleistungen. Unternehmen, die Dienstleistungen anbieten, sind
Betriebe des tertiären Sektors.
Dienstleistungsbetriebe sind u.a. Tourismus- und Freizeitbetriebe (z. B. Hotel,
Gasthaus, Fitnesscenter), Handelsbetriebe (z. B. Einkaufsmarkt, Boutique, Elektrofachgeschäft), Banken und Versicherungen, Verkehrsbetriebe, Betriebe,
die persönliche oder soziale Dienste für ihre Kunden erbringen (z. B. Friseur,
Altenheim).
pr
ob
e
■■ Der vierte (oder quartäre) Sektor, den man auch Informationssektor nennt,
beinhaltet Tätigkeiten aus dem Bereich des tertiären Sektors, die besonders hohe
intellektuelle Ansprüche stellen und eine ausgeprägte Verantwortungsbereitschaft
erfordern. Darunter fallen vor allem Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsberater
oder Steuerberater.
In der folgenden Aufstellung finden Sie einen kurzen Überblick zu den vier Sektoren:
Sekundärer Sektor
(Produktion)
Beispiele
Gewinnung von Rohstoffen
Landwirtschaftliche
Betriebe, Forst,
Bergwerke
Möbelfabrik, Autohersteller, Bäckerei etc.
se
Leistungserstellung
Le
Sektoren
(Betriebsarten)
Primärer Sektor
(Urproduktion)
Herstellung von Gütern, Verarbeitung von Rohstoffen in
Industrie und Gewerbe
Tertiärer Sektor
Bereitstellung von Dienstlei(Dienstleistungssektor) stungen und allen Gütern, die
durch private oder staatliche
Unternehmen produziert
wurden
Quartärer Sektor
Dienstleistungen mit höherer
(Informationssektor)
Verantwortung und höherem
intellektuellen Anspruch
Hotels, Gaststätten, Versicherungen, Lebensmittelhändler, Banken etc.
Rechtsanwälte, Notare,
Steuerberater etc.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1.3
Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR)
Die VGR sagt uns, wie gut oder wie schlecht es der Wirtschaft in unserem Staat geht.
Sie schafft uns einen Überblick über die wirtschaftlichen Abläufe.
Alle diese Wirtschaftseinheiten – Unternehmen, Haushalte, öffentliche Verwaltungen
– treffen täglich Entscheidungen, die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft haben. Sie
konsumieren, sparen, stellen Güter (Sachgüter und Dienstleistungen) her und investieren.
Der Staat erhebt Steuern, baut Strassen und Bildungseinrichtungen. Menschen gründen
Unternehmen, die expandieren, stagnieren oder auch in Konkurs gehen. Wie soll man
da die Übersicht behalten?
Ganz einfach – indem Sie sich das Ganze von oben anschauen. Genau das ist mit den
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) möglich: ein Blick auf die Wirtschaft aus
der Vogelperspektive. Wenn Sie von dort oben hinunterschauen, verlieren Sie natürlich
einige Details aus dem Auge. Im Gegenzug erhält man aber auf beeindruckende Weise
einen umfassenden Überblick über das ganze (Wirtschafts-) Geschehen.
pr
ob
e
Was Sie jetzt sehen, sind nicht mehr die wirtschaftlichen Handlungen einzelner Wirtschaftseinheiten (z. B. ein einzelner privater Haushalt, ein einzelnes Unternehmen),
sondern Sie sehen die Zusammenfassungen von Wirtschaftseinheiten (alle Haushalte,
ganze Wirtschaftssektoren). Gleichzeitig werden die wirtschaftlichen Vorgänge (wie der
Konsum aller privaten Haushalte oder die Investitionen aller Unternehmen) in komprimierter Form dargestellt.
se
Diese Daten dienen dann als Informations- und Entscheidungsgrundlage für wirtschaftspolitische Massnahmen. Ohne diese Daten kann der Staat keine geeigneten Rahmenbedingungen schaffen.
Le
Die VGR sind somit ein umfangreiches statistisches System, eine Art nationale Buchhaltung. Ihre wichtigste Kennzahl ist das Bruttoinlandprodukt (BIP) und das Bruttonationaleinkommen (BNE). Sie ist ein geschlossenes Kontensystem, das wesentliche
gesamtwirtschaftliche Grössen ausweist (BIP, BNE, verfügbares Einkommen der Haushalte,
Finanzierungssaldo des Staates, privater Konsum und private und öffentliche Investitionen). Aber die VGR ermöglichen es auch, wirtschaftliche Tätigkeiten und Vorgänge nach
Sektoren der Wirtschaft gegliedert auszuweisen.
Die folgende Grafik gibt einen Überblick über die drei grossen Berechnungen zum BIP.
BIP
Entstehungsrechnung
In welchem Wirtschaftsbereichen ist das BIP
entstanden?
Verwendungsrechnung
Wofür wurde das BIP
verwendet?
Verteilungsrechnung
Welche Einkommen sind
bei der Produktion
entstanden?
Im Rahmen dieses Kapitels ist es nicht möglich, auf alle Details der VGR einzugehen,
deshalb werden wir uns auf die wichtigste Kennzahl im Rahmen der VGR konzentrieren,
auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) sowie das Bruttonationaleinkommen (BNE).
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Übung
💬💬 Erinnern Sie sich bitte an die Wirtschaftssektoren, dargestellt im Kapitel 1.2.3.:
primärer, sekundärer, tertiärer und quartärer Sektor. Was glauben Sie, wie hat
sich das BIP (die Wirtschaftsleistung) im Laufe der Zeit in diesen vier Sektoren
verändert?
Notieren Sie hier Ihre Gedanken. Überprüfen Sie Ihre Vermutungen im Internet
unter www.statistik.admin.ch!
________________________________________
________________________________________
________________________________________
1.4
pr
ob
e
________________________________________
Das Bruttoinlandprodukt (BIP)
Le
se
Um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Staates zu messen bzw. die Staaten
untereinander zu vergleichen, benötigt man Kennzahlen. Die wichtigsten Kennzahlen
sind das Bruttoinlandprodukt (BIP) und das Bruttonationaleinkommen (BNE).
1.4.1 Was genau verstehen wir unter dem BIP und dem BNE?
Das Bruttoinlandprodukt (BIP)
Die mit Abstand wichtigste Kennzahl zur Messung der wirtschaftlichen Leistung im Rahmen
der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) ist das Bruttoinlandprodukt (BIP). Mit
ihm werden die Leistungsfähigkeit und der Wohlstand einer Volkswirtschaft beurteilt.
Es dient aber auch dem internationalen Vergleich von Volkswirtschaften.
Das BIP pro Kopf
Wenn man das BIP als Mass für den materiellen Wohlstand eines Landes heranzieht,
genügt es nicht, das reale und das nominelle BIP (siehe Kapitel 1.4.5) zu berechnen.
Was ist, wenn das BIP steigt, gleichzeitig aber auch die Bevölkerung? Was bleibt für den
Einzelnen übrig? Das ist z. B. ein Problem in vielen Entwicklungsländern, wo das BIP zwar
wächst, die Bevölkerung aber noch schneller zunimmt.
Und wenn man den materiellen Wohlstand zweier Länder miteinander vergleichen will,
ist das BIP auch wenig geeignet.
19
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Beispiel:
Deutschland hatte 2015 ein fünfmal höheres BIP als die Schweiz.
Das heisst im Umkehrschluss nicht, dass Deutschland auch fünfmal
so reich ist, denn in Deutschland leben zehnmal so viele Menschen.
Das BIP pro Kopf war 2015 in der Schweiz ungefähr doppelt so
hoch wie in Deutschland.
Für wirklich aussagekräftige Vergleiche bezieht man das BIP daher auf die Bevölkerungszahl („BIP pro Kopf“).
Da es sich beim BIP/Kopf aber nur um eine Durchschnittsrechnung handelt, sagt diese
Zahl natürlich über die tatsächliche Verteilung des Wohlstandes nichts aus.
Das Bruttonationaleinkommen (BNE)
Neben dem BIP gibt es noch andere volkswirtschaftliche/wirtschaftliche Begriffe, z. B.:
Bruttonationaleinkommen, Bruttonationalprodukt und das Bruttosozialprodukt. Das sind
drei Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache, wobei der Begriff des Bruttosozialprodukts nur bis 1999 verwendet wurde und seither als veraltet gilt.
pr
ob
e
Im Prinzip stehen sie für die gleiche Aussage wie das BIP. Sie gelten als Kennzahl für die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes. Es muss jedoch auf folgende Unterscheidung geachtet werden:
se
■■ Das Bruttoinlandprodukt erfasst alle Leistungen, die im Inland erwirtschaftet
werden. Dabei ist es egal, ob die Leistung von Inländern oder von Ausländern
erbracht wird (Inlandskonzept).
Le
■■ Das Bruttonationaleinkommen erfasst dagegen die Leistung von Inländern, egal
ob diese im Inland oder im Ausland erbracht wird (Inländerkonzept).
Um vom BIP zum BNE zu kommen, subtrahiert man einfach die Einkommen der Ausländer im Inland vom BIP und addiert die Einkommen der Inländer im Ausland dazu.
Wir nennen beide Kennzahlen auch das Sozialprodukt eines Landes.
1.4.2 Wozu dient das BIP und was wird mit dem BIP gemessen?
Auf das BIP beziehen sich:
■■ Kriterien für die Teilnahme an der gemeinsamen Währung EURO (symbolisiert
durch „€“), wie z. B. die maximal zulässige Neuverschuldung (3 % des BIP) oder
der maximale Schuldenstand eines Landes (max. 60 % des BIP).
■■ Viele Kennzahlen, wie die Produktivität einer Wirtschaft, ihre Investitionstätigkeit
oder die Exportintensität, nehmen ebenfalls Bezug auf das BIP.
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Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
Unter dem Bruttoinlandprodukt (BIP) versteht man die Summe
der Werte aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Land
in einer bestimmten zeitlichen Periode hergestellt werden. Man
spricht von dem Inlandsprinzip.
Das BIP erhalten wir also, wenn wir alle Endprodukte und Dienstleistungen, die in einem
Land produziert bzw. erbracht wurden, addieren.
Übung
💬💬 Aber wie addiert man nun so unterschiedliche Produkte wie Bohrinseln und CDs,
Haarschnitte und Taxifahrten, Autos und Medikamente, Theatervorstellungen
und Flugreisen?
Notieren Sie hier Ihre Gedanken und holen Sie sich anschliessend ein Feedback im Lösungsteil!
pr
ob
e
________________________________________
________________________________________
________________________________________
se
________________________________________
Le
In Wirklichkeit ist diese Rechnung allerdings natürlich nicht ganz so einfach. Nicht alle
Waren und Dienstleistungen haben einen Marktpreis. Was ist zum Beispiel mit den
unentgeltlichen Leistungen, die der Staat zur Verfügung stellt, z. B. die Arbeitsleistung
von Polizisten oder Lehrern? Da es für diese Leistungen keinen Marktpreis gibt, werden
sie mit ihren Kosten (also dem Gehalt des Lehrers oder Polizisten) bewertet.
All die unterschiedlichen Produkte, die in einem Land hergestellt werden, haben einen
Marktpreis. Die Summe der Marktpreise aller Güter ergibt das Bruttoinlandsprodukt.
Im BIP werden nur diejenigen Güter erfasst, die in der laufenden Periode hergestellt
wurden. Bereits existierende Güter werden nicht berücksichtigt. Der Bau eines Hauses
zählt zum BIP, der Handel mit bestehenden Häusern nicht. Eine eventuelle Gebühr für
den Immobilienmakler gehört aber ins BIP, weil seine Leistung in der laufenden Periode
erbracht wird.
21
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1.4.3 Die volkswirtschaftliche Wertschöpfungskette
Da die meisten Produktionsprozesse mehrstufig verlaufen, gehen in das BIP nur die
Endprodukte ein.
Endprodukte sind solche Produkte, die nicht mehr weiter verarbeitet werden.
So lassen sich mögliche Mehrfachzählungen vermeiden.
Um das zu verstehen, schauen Sie sich ein einfaches Beispiel an:
Beispiel:
pr
ob
e
Ein Hersteller von Computern kauft bei einem Lieferanten Computerchips. Aus diesen (und anderen Teilen) baut er einen Computer
zusammen und verkauft ihn. Der Computerhersteller hat den
Chip also nicht selbst produziert. Seine Leistung besteht darin,
dass er aus den zugekauften Teilen ein neues Produkt herstellt. Er
fügt den zugekauften Teilen also einen zusätzlichen Wert hinzu.
Le
se
Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Unternehmen, die am volkswirtschaftlichen
Wertschöpfungsprozess beteiligt sind, kann sehr unterschiedlich sein. Von der losen,
nur vereinzelten Zusammenarbeit bis hin zum Zusammenschluss zweier Unternehmen
(Fusion) sind viele Formen der Kooperation möglich. Jedes Unternehmen tritt als Wirtschaftseinheit in der volkswirtschaftlichen Wertschöpfungskette sowohl als Nachfrager,
als auch als Anbieter auf.
Als Nachfrager besorgt sich ein Unternehmen auf den Beschaffungsmärkten folgende
Dinge: Ausreichende Finanzen, qualifiziertes Personal, angemessene Räumlichkeiten
und Anlagen, für die Produktion notwendige Rohstoffe, bedarfsgerechtes Material und
notwendige Informationen.
Als Anbieter verkauft ein Unternehmen auf den Absatzmärkten seine Marktleistungen
zu einem attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis.
1.4.3.1 Wertschöpfung
Wertschöpfung ist der Mehrwert, den ein Unternehmen im Produktionsprozess schafft. Die Wertschöpfung errechnet sich aus
Verkaufserlös minus Vorleistungen.
Auf jeder Produktionsstufe wird nur die jeweilige Wertschöpfung zum BIP gerechnet.
22
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
Schauen Sie sich das an einem klassischen Beispiel* an. Sie sehen hier die Darstellung
eines vereinfachten, vierstufigen Produktionsprozesses.
Bauer
SFr. 100.-
Müller
SFr. 150.-
Bäcker
SFr. 200.-
+ + =
Bauer
Wertschöpfung:
SFr. 100.-
Müller
Bäcker
SFr. 50.-
SFr. 50.-
Supermarkt
SFr. 230.-
Wert des Brotes beim
Verkauf an den
Endverbraucher: SFr. 230.- (BIP)
1. Verkauft ein Bauer Weizen für SFr. 100.-, beträgt seine Wertschöpfung SFr. 100.-.
2. Ein Müller kauft den Weizen und macht daraus Mehl. Verkauft er dieses für
SFr. 150.-, so beträgt seine Wertschöpfung SFr. 50.-. Das entspricht der Differenz
zwischen Vorleistung (Bauer SFr. 100.-) und Verkaufspreis (Müller SFr. 150.-).
3. Ein Bäcker kauft das Mehl (SFr. 150.-) und verarbeitet es zu Brot. Dieses Brot
verkauft er für SFr. 200.- weiter (Wertschöpfung SFr. 50.-).
pr
ob
e
4. Supermärkte kaufen das Brot beim Bäcker für SFr. 200.- ein und verkaufen es an
den Endverbraucher für SFr. 230.- (Wertschöpfung SFr. 30.-).
Wenn wir nun die Wertschöpfung aller vier Produktionsstufen zusammenzählen (SFr. 150.+ SFr. 50.- + SFr. 50.- + SFr. 30.- = SFr. 230.-), so entspricht das genau dem Wert des
Brotes, das an den Endverbraucher verkauft wurde.
se
Die Vorleistungen Weizen, Mehl und Brot gehen nicht ins Bruttoinlandprodukt ein, sie
stecken im Wert des Endproduktes.
Le
Man kann also zusammenfassend sagen, dass die Wertschöpfung der Mehrwert bzw. der
Wertzuwachs ist, den ein Unternehmer innerhalb seines Produktionsprozesses schafft.
1.4.3.2 Berechnung der Wertschöpfung
Die Wertschöpfung lässt sich wie folgt berechnen:
–
Verkaufserlös je Produktionsstufe
Summe der Vorleistungen
Wertschöpfung je Produktionsstufe
*Wir möchten darauf hinweisen, dass die hier verwendeten Werte NICHT den tatsächlichen
Werten entsprechen, die z. B. ein Bauer für den Verkauf von Weizen erhält.
23
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Grafisch lässt sich das auch wie folgt darstellen:
Summe aller Wertschöpfungen = Wert des Endprodukts
Wertschöpfung
SFr. 50.-
Wertschöpfung
SFr. 50.-
Wertschöpfung
SFr. 30.Wert des
Endproduktes
SFr. 230.-
Wertschöpfung
SFr. 100.-
Vorleistung
Weizen
SFr. 50.-
Vorleistung
Mehl
SFr. 150.-
Vorleistung
Brot
SFr. 200.-
Bauer
Müller
Bäcker
Supermarkt
Wir nennen die Darstellung in der obigen Grafik eine sogenannte „Wertschöpfungskette“.
pr
ob
e
Sie beginnt beim „Rohstofferzeuger“, dem Bauern (Primärer Sektor), geht weiter beim
Hersteller oder Produzenten, dem Müller und dem Bäcker (sekundärer Sektor) und setzt
sich dann fort im Handel, dem Supermarkt (tertiärer Sektor).
Genaueres zu den Sektoren der Wirtschaft finden Sie in Kapitel 1.2.3.
1.4.3.3 Vorleistungen
Le
se
Produkte, die von anderen Unternehmen zugekauft und weiterverarbeitet werden,
nennt man Vorleistungen. Dazu zählen Rohstoffe, Vorprodukte, Handelswaren und
Dienstleistungen.
Vorleistung Chip
+
Endprodukt Computer
In das BIP fliesst nur der Preis des Endproduktes Computer ein. Der Preis der Vorleistung
Chip bleibt unberücksichtigt, sein Wert steckt ja schon im Endpreis des Computers.
Würde man den Chip auch noch dazuzählen, würde er doppelt ins BIP eingehen. Wenn
Sie sich also dafür interessieren, welche Werte in einer Volkswirtschaft geschaffen
werden, müssen solche Doppel- und Mehrfachzählungen natürlich vermieden werden,
weil ansonsten der Wert der geschaffenen Produkte weit überschätzt wird.
In der Praxis vermeidet man Doppelzählungen, indem man mit der sogenannten Wertschöpfung arbeitet.
24
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
1.4.4 Die Zusammensetzung bzw. die Berechnungsarten des BIP
Das Bruttoinlandprodukt (BIP) misst die Produktion von Waren und Dienstleistungen
im Inland nach Abzug der Vorleistungen und ergibt sich aus der Summe der Beiträge
der einzelnen Wirtschaftsbereiche („Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen“),
plus Gütersteuern minus Gütersubventionen (Entstehung des BIP). Es lässt sich aber
auch als Summe der Endverwendungskategorien (Konsum, Investitionen und Exporte),
abzüglich der Importe darstellen (Verwendung des BIP), oder als Summe aus Arbeitnehmerentgelt, Betriebsüberschuss / Selbstständigeneinkommen und Abschreibungen
plus Produktions- und Importabgaben minus Subventionen (Verteilung des BIP).
Es gibt also 3 unterschiedliche Methoden, um das BIP zu berechnen, die wir bereits in
Kapitel 1.3.1 kennengelernt haben:
= Bruttoinlandprodukt
(BIP)
Verteilungsrechnung
Das BIP ist die Summe
aller erzielten Einkommen einer Volkswirtschaft.
pr
ob
e
Verwendungsrechnung
Das BIP entspricht dem Wert
aller Ausgaben (=gesamtwirtschaftliche Nachfrage).
se
Berechung
Konsumausgaben der
privaten Haushalte
+ Konsumausgaben des
Staates
= Konsumausgaben
insgesamt
+ Bruttoinvestitionen
+ Exporte
– Importe
Le
Entstehungsrechnung
Es werden die Werte
aller Endprodukte
und Dienstleistungen
(=Summe aller Wertschöpfungen), die in den
einzelnen Wirtschaftssektoren entstanden
sind, erfasst.
Berechnung
Produktionswert zu
Herstellerpreisen
– Vorleistungen
= Bruttowertschöpfung
+ Steuern
– Subventionen
= Bruttoinlandprodukt
(BIP)
Berechnung
Arbeitnehmerentgelt
+ Unternehmenseinkommen
+ Einkommen aus
Vermögen
= Volkseinkommen
+ Abschreibungen
+ Steuern und Abgaben
an den Staat
- Subventionen
= Bruttonationaleinkommen (BNE)
+ Einkommen von Ausländern im Inland
– Einkommen von Inländern im Ausland
= Bruttoinlandprodukt
(BIP)
Zum besseren Verständnis:
■■ Bruttoinvestitionen sind die Summe von Investitionen privater Unternehmen
und den Investitionen staatlicher Unternehmen.
25
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
■■ Die Differenz von Exporten und Importen nennt man in der Volkswirtschaft auch
den „Aussenbeitrag“.
■■ Vorleistungen: Siehe Kapitel 1.4.2.
■■ Unter „Steuern“ versteht man alle Abgaben, die für die gehandelten oder produzierten Waren oder Dienstleistungen zu entrichten sind. Da gehören auch alle
Importabgaben, wie z. B. Zölle dazu.
■■ „Subventionen“ sind Zuschüsse vom Staat oder von der EU.
1.4.4.1 Die Verteilungsrechnung
Die Verteilungsrechnung sagt uns, welche Einkommen bei der Produktion entstanden sind.
Als Basis wird das BNE verwendet.
Verteilung des Volkseinkommens
Einkommen aus Unternehmenstätigkeit
und Vermögen (Gewinnquote)
pr
ob
e
Einkommen aus unselbständiger
Tätigkeit (Lohnquote)
€
Le
se
Der Anteil der Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit, gemessen am gesamten BNE,
nennt man die „Lohnquote“, den Anteil der Einkommen aus Unternehmenstätigkeit
und Vermögen nennt man „Gewinnquote“.
Lohnquote und Gewinnquote gemeinsam ergeben 100% des Einkommens.
1.4.4.2 Die Verwendungsrechnung
Die Verwendungsrechnung sagt uns, wofür das BIP verwendet wird.
Ein wichtiger Bestandteil der Verwendungsrechnung sind die Investitionen.
Investitionen
Unter Investitionen versteht man den Kauf von Produktionsmitteln wie Maschinen, Gebäuden und Fahrzeugen etc.
26
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
Investitionen
Ersatzinvestitionen
Erweiterungsinvestitionen
Rationalisierungsinvestitionen
■■ Ein Teil der Investitionen wird dazu verwendet, die im Produktionsprozess verbrauchten Anlagen (Maschinen, Gebäude, Fahrzeuge u. ä.) zu ersetzen und
nicht, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Wenn ein Speditionsunternehmen einen alten LKW durch einen neuen ersetzt, dann spricht man von einer
Ersatzinvestition.
■■ Ganz anders sieht es bei den sogenannten Erweiterungsinvestitionen aus.
Durch sie werden die bestehenden Kapazitäten erhöht. Das ist der Fall, wenn
die Spedition zusätzlich zu ihrem alten LKW einen neuen anschafft und damit in
der Lage ist, mehr als bisher zu transportieren.
se
pr
ob
e
■■ Werden noch funktionstüchtige Anlagen durch neue, aber bessere ersetzt, dann
nennt man das Rationalisierungsinvestitionen. Das Speditionsunternehmen
kann sich beispielsweise entschliessen, seinen alten, noch fahrtüchtigen LKW
auszumustern und durch einen moderneren zu ersetzen. So lassen sich Transporte kostengünstiger durchführen.
Le
Diese 3 Investitionsarten nennen wir auch „Bruttoinvestitionen“.
Sie beinhalten den Wertzuwachs aller produzierten Vermögensgüter einer Volkswirtschaft (neue Strassen, neue Schulen, neue Maschinen etc.).
Die Bruttoinvestition kann eine Anlageninvestition oder eine Vorrats-bzw. Lagerinvestition sein. Wenn Unternehmen Sachgüter kaufen, die zum Unternehmensvermögen
gehören (etwa ein Auto für den Fuhrpark, PC-Anlage, Maschinen usw.), sind das Anlageinvestitionen, wenn sie etwa Material für die Produktion kaufen oder ein Händler grosse
Mengen Waren, weil sie gerade günstig sind, ist das eine Vorrats- oder Lagerinvestition).
Die Gesamtsumme dieser Güter ist die Bruttoinvestition.
Bruttoinvestitionen sind die Gesamtinvestitionen.
27
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Beispiel:
Die Annahme, eine Spedition kauft in einem Jahr 4 LKW, jeder
kostet SFr. 250‘000.-, dann betragen die Bruttoinvestitionen des
Jahres 1 Million SFr.
Im Laufe des Jahres verlieren die anderen Wertgegenstände, die
dieses Unternehmen hat, durch Gebrauch an Wert, so tritt ein
Wertverlust ein.
Diesen Wertverlust nennt man „Abschreibung“.
Abschreibung gibt den Geldbetrag der Wertminderung eines
Wirtschaftsgutes infolge von Benutzung (z. B. bei Maschinen,
Gebäuden, Autos, Computern etc.) an.
pr
ob
e
Die Differenz zur Bruttoinvestition nennt man Nettoinvestition.
Le
se
Also: Bruttoinvestition ist alles, was in einem Jahr investiert wird.
Zieht man davon die Abschreibungen, also den Wertverlust ab,
so spricht man von der Nettoinvestition.
1.4.5 Nominelles- und reales Bruttoinlandprodukt
Sieht man sich die Definition des BIP an, stellt man fest, dass das Bruttoinlandprodukt
aus zwei Komponenten besteht, einer Mengenkomponente („alle Produkte und Dienstleistungen“) und einer Preiskomponente („bewertet zu Marktpreisen“).
Das BIP steigt also, wenn entweder mehr produziert wird, oder wenn die Preise (gemeint
sind die Durchschnittspreise aller Güter) für die Waren und Dienstleistungen steigen
oder wenn beides zutrifft.
Man unterscheidet zwischen nominellem und realem Bruttoinlandprodukt.
Bruttoinlandsprodukt
Nominelles Bruttoinlandsprodukt
28
Reales Bruttoinlandsprodukt
...wird mit Preisen des laufenden Jahres
...wird mit Preisen eines bestimmten
bewertet, Preissteigerungen erhöhen das
Basisjahres bewertet, Preissteigerungen
BIP.
erhöhen das BIP nicht.
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
Beim realen Bruttoinlandprodukt wird die Preiskomponente konstant gehalten, es wird
die reine Produktionssteigerung gemessen. Daher ist das reale BIP das korrekte Mass
für die wirtschaftliche Leistung eines Landes.
Wir können aber auch ganz einfach sagen: Das reale BIP ist das, um die Inflation bereinigte, nominelle BIP.
Wenn man das nominelle und das reale BIP nun zum Vergleich darstellt, ergeben sich
verschieden hohe Wachstumsraten!
Das sieht für die Schweiz, dargestellt in einer Grafik, zum Beispiel so aus:
Reales und nominelles BIP der Schweiz 2001 – 2014
% Veränderung
8
6
4
2
pr
ob
e
0
-2
-4
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
se
Reales Wachstum
Le
Nominelles Wachstum
2010 2011 2012 2013 2014
1.4.6 Das BIP als Indikator für Wohlstand und Wirtschaftswachstum
Das BIP gilt immer noch als wichtigster Massstab für den Wohlstand eines Landes.
Hohes BIP, hoher Wohlstand, niedriges BIP, niedriger Wohlstand, so lautet die einfache
Formel. Das BIP zählt aber nur die Wirtschaftsaktivitäten zusammen und bewertet sie.
Deswegen gibt es auch Kritik am BIP als Wohlstandsmassstab:
■■ Ob die jeweilige Aktivität Wohlstand steigernd ist, wie z. B. eine innovative Erfindung zur Müllvermeidung, oder ob die Aktivität durch sinnlose Verschwendung
von Rohstoffen zukünftigen Generationen das Leben schwer macht, wird im BIP
nicht berücksichtigt.
■■ Aktivitäten, durch die Bewohner eines Landes krank werden, die eine Luftverschmutzung verursachen oder die Gewässer verseuchen – sie alle können durchaus zu einer Erhöhung des BIP führen. Es ist aber fraglich, ob das als Wohlstand
empfunden wird.
29
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
■■ Auch die Beseitigung von Umweltschäden, die Entsorgung von Sondermüll, die
Rehabilitation von Unfallopfern, steigende Rüstungsausgaben wegen kriegerischer Auseinandersetzungen, der steigende Alkohol- und Tabakkonsum oder
mehr Verkehrstote erhöhen das BIP und senken den Wohlstand.
Allerdings darf man bei aller berechtigten Kritik am BIP als Wohlstandsmass nicht übersehen, dass oft ein sehr enger Zusammenhang zwischen dem BIP und verschiedenen
Kennzahlen, die typischerweise als Wohlstandsindikatoren gelten, besteht.
Beispiel:
Länder, die ein hohes BIP erwirtschaften, haben tendenziell eine
niedrigere Säuglingssterblichkeit, höhere Lebenserwartungen, ein
besseres Gesundheitssystem, eine höhere Alphabetisierungsrate
und einen besseren Zugang zu Bildung.
In seiner Rede über den „wahren Reichtum der Nationen“ am 18.03.1968, an der Universität von Kansas sagte der amerikanische Politiker Robert F. Kennedy:
Le
se
pr
ob
e
„[...] Wir können die Seele unserer Nation weder durch den Dow Jones Index, noch
durch die nationale Leistung anhand des Bruttoinlandproduktes messen. Denn das
Bruttoinlandprodukt umfasst die Verunreinigung der Luft und Krankenwagen, die
das Blutbad auf unseren Autobahnen wegräumen. Es beinhaltet die Schlösser für
unsere Türen und die Gefängnisse für jene Menschen, die diese aufbrechen. Das
Bruttoinlandprodukt umfasst die Zerstörung der Redwoods und den Tod des Lake
Superior. Es wächst mit der Produktion von Napalm und nuklearen Sprengköpfen.
[...] Es enthält die Ausstrahlung von Fernsehprogrammen, die Gewalt verherrlichen,
um unseren Kindern Spielzeug zu verkaufen. Und während das Bruttoinlandprodukt
dies alles beinhaltet, gibt es doch viel, was es nicht umfasst. Es ist ungeeignet für
die Gesundheit unserer Familien, die Qualität ihrer Ausbildung oder die Freude
ihres Spielens. Es beinhaltet weder die Schönheit unserer Poesie, noch die Stärke
unserer Ehen, noch die Intelligenz unserer öffentlichen Debatte oder die Integrität
unserer Amtsträger [...] das Bruttosozialprodukt misst weder unseren Verstand
noch unseren Mut, weder unsere Weisheit, noch unser Mitgefühl [...]. Es misst
kurz gesagt alles, ausser dem, was das Leben lebenswert macht.“
Das BIP und das BIP/Kopf ist also kein idealer Massstab für die Lebensqualität in einer
Volkswirtschaft.
Beispiel:
Als Regel kann man festhalten, dass bei einem regelmässigen
jährlichen Zuwachs des BIP um 2 %, eine Verdoppelung des Wohlstandes in 35 Jahren erfolgt. Bei einem Zuwachs von 1 % dauert
die Wohlstandsverdoppelung bereits 70 Jahre.
30
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1.4.6.1 Was wird in der VGR bzw. im BIP nicht erfasst?
Das BIP misst nicht alle in einem Land erbrachten Leistungen. Grosse Teile werden nicht
erfasst, obwohl sie einen durchaus grossen Anteil am BIP eines Landes haben.
Was wird im BIP nicht erfasst
Tätigkeiten
im Haushalt
do-ityourselfBewegung
Schattenwirtschaft
EinkommensArbeitsverteilung
bedingungen
■■ Alle Tätigkeiten im Haushalt: Das selbst gekochte Essen trägt nur insofern zum
BIP bei, als dass die dafür nötigen Zutaten konsumiert werden; die Wertschöpfung der Hausfrau oder des Hausmannes (z. B. die Arbeit zur Zubereitung des
Essens) wird nicht berücksichtigt.
pr
ob
e
■■ Die do-it-yourself-Bewegung: Wer möchte bestreiten, dass durch den Bau des
eigenen Hauses ein Wert geschaffen wird. Im BIP wird dieser jedoch nicht berücksichtigt, wohl aber der Einkauf der benötigten Materialien.
Beispiel:
Le
se
■■ Die „Schattenwirtschaft“ (Schwarzarbeit): Alle Leistungen, die am Staat vorbei,
steuerfrei erbracht werden, wie z. B. unversteuerter Nachhilfeunterricht, die
illegale Beschäftigung von Arbeitskräften oder der nicht gemeldete Untermieter
zählen auch nicht zum BIP.
In der Schweiz wird die Schattenwirtschaft auf etwa 6,9 % des
BIP geschätzt, was im internationalen Vergleich sehr wenig ist.
■■ Des Weiteren berücksichtigt das BIP weder Einkommensverteilung noch Arbeitsbedingungen. Ein Land kann zwar ein sehr hohes BIP haben, wenn der Reichtum
aber nur wenigen Leuten gehört, profitiert ein Grossteil der Bevölkerung aber
nicht vom hohen BIP. Darüber hinaus kann ein Land mit einem hohen BIP solch
schlechte Arbeitsbedingungen aufweisen, dass viele Menschen trotz Reichtum
eine niedrige Lebensqualität haben.
Um den Wohlstand in einem Land besser darzustellen, verwendet man eine exaktere
Messgrösse, nämlich, den Human Development Index (HDI).
31
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1.4.6.2 Der Human Development Index
Human Development Index
Lebenserwartung
Schulbesuchsdauer
Lebensstandard
Dieser Index beinhaltet folgende Faktoren bzw. Indizes:
■■ Die Lebenserwartung bei der Geburt.
■■ Die durchschnittliche und die voraussichtliche Schulbesuchsdauer in Jahren.
■■ Der Lebensstandard, dargestellt als BNE/Kopf in Kaufkraftparität (KKP).
Der HDI ist ein Mittelwert aus diesen 3 Indizes.
1.5
pr
ob
e
Dieser HDI wird von der UNO jährlich im sogenannten Human Development Report
veröffentlicht.
Wirtschaftswachstum
Le
se
Unter Wirtschaftswachstum versteht man eine Erhöhung des realen BIP. Von einer
wachsenden Wirtschaft wird also dann gesprochen, wenn in einem Jahr mehr Güter
hergestellt werden als im Jahr zuvor.
1.5.1 Die Bedeutung von Wirtschaftswachstum für eine Volkswirtschaft
Wirtschaftswachstum beschreibt die prozentuelle Veränderung des realen BIP zum
Vorjahr. Grundsätzlich wird Wachstum als Normalfall angesehen.
Bleibt das reale BIP konstant, spricht man von Stagnation oder Nullwachstum, und erst
bei Schrumpfen des realen BIP spricht man vom „Minuswachstum“.
Wirtschaftswachstum ist in vielen Volkswirtschaften eines der Hauptziele staatlicher
Wirtschaftspolitik, da daraus eine Vermehrung des Wohlstandes abgeleitet wird.
32
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
Wirtschaftswachstum
Wohlstand
der
Bevölkerung
Güter
Arbeitsplätze
Umverteilung
Staatseinnahmen
Warum ist für eine Volkswirtschaft Wirtschaftswachstum wichtig?
pr
ob
e
■■ Es erhöht das Volkseinkommen und somit den Wohlstand der Bevölkerung.
■■ Es stellt ein höheres Güterangebot und damit eine bessere Güter-Versorgung
der Bevölkerung sicher.
■■ Es sichert bzw. schafft Arbeitsplätze.
■■ Es erleichtert die Umverteilung von Einkommen und Vermögen.
■■ Es erhöht die Staatseinnahmen und stellt dadurch bessere Finanzierungsmöglichkeiten für öffentliche Aufgaben sicher.
1.5.2 Quantitatives und qualitatives Wirtschaftswachstum
Le
se
Wirtschaftswachstum kann unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden.
Zum einen unter einem mengenmässigen und materiellen Gesichtspunkt (quantitatives
Wachstum) und zum anderen unter einem qualitativen Gesichtspunkt (qualitatives Wachstum). Nicht immer bedeutet quantitatives Wachstum auch ein qualitatives Wachstum.
Betrachtungsarten für das Wirtschaftswachstum
quantitativ
qualitativ
■■ Quantitatives Wachstum
Die Wirtschaft wächst von Jahr zu Jahr und die Einkommen in der Volkswirtschaft
steigen kontinuierlich. Messgrössen des quantitativen Wachstums wären z. B.
eine steigende Zahl an PKW, Eigentumswohnungen, Handys etc.
■■ Qualitatives Wachstum
Hier handelt es sich um ein nachhaltiges Wachstum! Die Umwelt sollte bei wachsender Wirtschaft intakt bleiben und zukünftige Generationen sollen durch das
gegenwärtige Handeln so gering wie möglich belastet werden. Natürliche Ressourcen sollten nur in dem Ausmass verbraucht werden, in dem sie sich auch
wieder nachbilden können.
33
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Als Messgrösse gibt es den Vorschlag der OECD mit folgenden Zielen: Gesunde Umwelt,
Ausbildung, Freizeit, Sicherheit, sowie Gesundheit und Qualität im Arbeitsleben.
Wenn es zu einem Wirtschaftswachstum unter diesen Aspekten kommt, dann kann man
auch von einem qualitativen Wachstum sprechen.
Übung
💬💬 Womit hängt das quantitative und qualitative Wirtschaftswachstum in den verschiedenen Regionen der Erde zusammen?
Notieren Sie hier Ihre Gedanken und recherchieren Sie anschiessend im Internet
________________________________________
________________________________________
________________________________________
pr
ob
e
________________________________________
1.5.3 Gründe für Wirtschaftswachstum
se
Was sind nun die Gründe für ein Wirtschaftswachstum?
Le
Gründe für ein Wirtschaftswachstum
Geburtenrate
Investition
Technischer Fortschritt,
Ausbildung, Spezialisierung
Entwicklung neuer Produkte
und Verfahren
Zunahme der Arbeitskräfte
Zunahme der Produktionsmittel
Steigerung der Produktivität
Innovationen
■■ Steigt in einem Land die Geburtenrate, so wirkt sich dies auf die Anzahl der
Einwohner/Anzahl der Arbeitskräfte aus.
■■ Wird in einem Land mehr investiert, so nimmt die Zahl der Produktionsmittel zu.
Produktionsmittel sind zum Beispiel Gebäude, Maschinen oder auch Verkehrsflächen, also alles, was indirekt zur Produktion dient.
■■ Durch den technischen Fortschritt, verbesserte Ausbildung und Spezialisierung
steigt die Produktivität in einem Land. Dadurch können mehr Güter von einer
einzelnen Arbeitskraft produziert werden.
34
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
■■ Die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren bewirkt Innovationen, die das
Wirtschaftswachstum ebenfalls steigern.
Übung
✋✋ Was glauben Sie, was spricht für, was gegen ein Wirtschaftswachstum?
Notieren Sie drei Gründe, die für ein Wirtschaftswachstum sprechen und drei
Gründe, die gegen ein Wirtschaftswachstum sprechen, in die vorgesehenen
Zeilen und holen Sie sich anschiessend ein Feedback im Lösungsteil.
pro
contra
pr
ob
e
1.5.3.1 Produktivität
se
Die Produktivität ist ein Mass für die Leistungsfähigkeit der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital. Sie gibt das Verhältnis von
Produktionsmenge und eingesetzten Produktionsfaktoren an.
Le
Sehen wir uns das an einem Beispiel an.
Beispiel:
Ein Unternehmen produziert Autos. Wenn in einem Jahr von
100 Arbeitern 100 Autos produziert werden, dann kommt auf
einen Arbeiter 1 Auto. Werden von denselben Arbeitern 120
Autos produziert, dann kommen auf einen Arbeiter 1,2 Autos,
die (Arbeits-)Produktivität ist gestiegen und zwar gleich um 20 %.
35
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Steigende Produktivität bedeutet, dass die
gleiche Produktmenge mit weniger
Arbeitskräften hergestellt werden kann
oder dass die gleiche Anzahl an Arbeitskräften mehr Güter herstellen kann.
Für die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens ist eine steigende Produktivität von
großer Bedeutung.
Gründe für die steigende Produktivität sind höher qualifizierte Arbeitskräfte und der
technische Fortschritt. Ausserdem tragen der Einsatz von immer besseren Anlagen und
Maschinen, die bessere Ausbildung der Arbeitskräfte und eine immer stärkere Spezialisierung zur Produktivitätssteigerung bei.
1.5.3.2 Innovationen
Le
se
pr
ob
e
Die Wirtschaft entwickelt sich aber nicht nur weiter, weil mehr Arbeitskräfte und mehr
oder bessere Maschinen vorhanden sind. Eine besonders wichtige Rolle spielen Innovationen. Darunter versteht man das Ergebnis von Forschung und Entwicklung und seine
Umsetzung in neue Produkte oder Prozesse.
Innovationen
Produktinnovationen
Prozessinnovationen
Neue Produkte, z.B. Schreibmaschine,
Fax und Telefon (drei sehr innovative
Produkte) werden von Computer,
E-mails und Handy abgelöst
Neue Produktstrukturen und -verfahren, z.B. Roboter in der Autoindustrie
schweißen schneller, genauer und
kostengünstiger
Durch solche Innovationen können ganze Wirtschaftszweige neu entstehen und alte
verschwinden. Für den österreichischen Ökonomen Joseph Alois Schumpeter ist dieser
Prozess der „kreativen Zerstörung“ der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung.
Eine wachsende Wirtschaft hat für ein Land eine grosse Bedeutung.
■■ Wie schon in Kapitel 1.4.6. erwähnt, verdoppelt sich das BIP innerhalb von 35
Jahren, wenn es jährlich um 2 % wächst. Dann kann jede Generation mit einem
doppelt so hohen materiellen Wohlstand rechnen wie die vorige.
■■ Wenn das BIP durchschnittlich nur um 1 % wächst, dauert es 70 Jahre, bis es sich
verdoppelt. Über die Zeit haben also schon kleine Unterschiede in den Wachstumsraten eine grosse Auswirkung.
36
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
■■ In einer Wirtschaft, die nicht wächst, können Einkommenssteigerungen für eine
bestimmte Gruppe nur dann erzielt werden, wenn anderen etwas weggenommen wird. Wenn der „Kuchen“ grösser wird, kann auch jeder ein grösseres Stück
bekommen.
Aber nicht nur zur Hebung, sondern auch zur Erhaltung des Lebensstandards ist eine
wachsende Wirtschaft wichtig. Bei einer wachsenden Bevölkerung würde das BIP pro
Kopf sinken, wenn die Wirtschaft nicht wachsen würde.
1.6
Konjunktur
Der Begriff Konjunktur beschreibt die wirtschaftliche Gesamtlage
eines Landes bzw. einer Volkswirtschaft.
pr
ob
e
1.6.1 Die Konjunktur – das Auf und Ab der Wirtschaft
se
Der Wirtschaftsablauf eines Landes besteht aus vielen einzelnen Vorgängen, wie Sie
bereits im Abschnitt über die Verflechtungen im Wirtschaftskreislauf erkennen konnten. Solche Prozesse sind natürlich immer wieder grösseren oder kleineren Schwankungen unterworfen, da in bestimmten Zeiträumen z. B. mehr investiert, produziert
und konsumiert wird als in anderen.
Le
Diese Schwankungen nennen wir das Auf und Ab der Wirtschaft oder ganz einfach
„Konjunkturschwankungen“.
Dieses mittelfristige Auf und Ab kann gesamtwirtschaftlich betrachtet werden, oder
sich auf bestimmte Zeiträume (saisonale Schwankungen) oder einzelne Wirtschaftszweige (Branchenkonjunktur) beziehen.
Wir stellen die Konjunktur in einer sogenannten „Konjunkturkurve“ dar. Diese ergibt
sich aus der jährlichen Veränderung des realen BIP. Dargestellt wird das prozentuelle
Wachstum des realen BIP, gemessen am Vorjahr.
37
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Für die Schweiz stellt sich eine Konjunkturkurve der letzten 14 Jahre folgendermassen dar:
Reales BIP-Wachstum in der Schweiz in % 2000 – 2014
7
6
5
4
Prozent
3
2
1
0
-1
-2
-3
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
pr
ob
e
Veränderung in % zum Vorjahr
Quelle: www.bfs.admin.ch
Übung
se
✋✋ Was glauben Sie, was könnten die Ursachen von Konjunkturschwankungen sein?
Le
Notieren Sie hier Ihre Gedanken und holen Sie sich anschliessend ein Feedback im Lösungsteil.
________________________________________
________________________________________
________________________________________
________________________________________
________________________________________
________________________________________
Folgende Arten von Wirtschaftsschwankungen lassen sich aufgrund der Länge der
Zyklen unterscheiden:
38
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
1.6.2 Konjunkturelle, strukturelle und saisonale Schwankungen
Wie kommt es zu diesen Schwankungen und worin liegt der Unterschied?
Konjunkturschwankungen haben in den seltensten Fällen eine einzige Ursache. Fast
immer ist es ein Bündel von Ursachen, die bewirken, dass eine Wirtschaft in eine
Rezession gerät oder sich daraus befreien kann. Eines haben alle Konjunktursituationen gemeinsam: Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimmt nicht mit dem Angebot überein.
Sehen Sie sich einmal ein kleines (und sehr vereinfachtes) Szenario an:
Beispiel:
se
pr
ob
e
Ausgangspunkt ist ein kräftiger Anstieg der Rohölpreise. Das verteuert viele Produkte. Die Menschen haben weniger Geld, um
andere Güter zu kaufen. Die sinkende Inlandsnachfrage bewirkt,
dass die Unternehmer weniger Gewinn erzielen. Dadurch können
sie auch weniger investieren. Von der Ölpreiserhöhung sind auch
andere Länder betroffen. Das hat Auswirkungen auf die Exportnachfrage. Arbeitskräfte müssen entlassen werden. Dadurch
sinken die Einkommen und die Nachfrage geht weiter zurück.
Die Wirtschaft ist auf dem Weg in eine Rezession.
Le
Wie man sieht, kann sich eine Ursache verstärken und die Wirtschaft in einer negativen Spirale nach unten ziehen. Auslöser war in diesem Fall eine Verteuerung der
Ölpreise.
Neben solchen Preisschocks können auch andere Dinge die Konjunktur beeinflussen.
Häufig treten mehrere Ereignisse ein. Die jeweiligen Ursachen sind vielfältig.
Konjunkturschwankungen
Saisonal
Konjunkturell
Strukturell
■■ Saisonale Schwankungen
sind kurzfristig und relativ leicht vorhersehbar. Häufig werden sie durch die sich
jahreszeitlich ändernden Wetterbedingungen hervorgebracht und machen sich
besonders in bestimmten, diesen besonderen Einflüssen besonders stark unterworfenen Wirtschaftszweigen, wie etwa der Baubranche, bemerkbar.
39
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
■■ Konjunkturelle Schwankungen
sind mittelfristiger Natur. Sie sind schwieriger in den Griff zu bekommen und sind
die typische Aufgabe von Konjunkturpolitik. Sie kommen durch Ungleichgewichte
zwischen gesamtwirtschaftlicher Nachfrage und gesamtwirtschaftlichem Angebot
zustande, die zudem noch von zeitlichen Anpassungsverzögerungen beeinflusst
werden. Ein Beispiel wäre eine Steuerreform.
■■ Strukturelle Schwankungen
sind langfristiger Natur (rund 50 bis 60 Jahre). Sie werden durch tiefgreifende
Veränderungen in der Wirtschaft ausgelöst (Innovationen in den Schlüsseltechnologien) und haben grosse Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Hier kann
Politik nur schwer gestaltend eingreifen.
Einer der bekanntesten derartigen Zyklen ist der „Kondratieff-Zyklus“.
Kondratieff-Zyklus
pr
ob
e
Die in 3 langen Wellen verlaufenden Schwankungen der Weltkonjunktur, die von dem russischen Wirtschaftswissenschaftler
Nikolai D. Kondratieff (*1892, †1938) im Jahre 1926 erstmalig
beschrieben wurden:
Le
se
Aufschwung vor und Abschwung nach 1814, 1873 und 1920. Nach
seiner Erkenntnis wird die Boom-Phase des neuen Zyklus von
neuen Basisinnovationen ausgelöst. (Basisinnovationen sind Innovationen, die eine grundlegende Veränderung der Einstellungen
und Verhaltensmuster der Käufer nach sich ziehen). Lässt dieser
Wirtschaftsaufschwung nach, dann schlittert die Volkswirtschaft
in einen Abschwung. Diese langfristigen Konjunkturbewegungen
werden dabei in Zeitabschnitte von etwa 50 bis 60 Jahren eingeteilt. Am Beginn jedes langfristigen Wirtschaftsaufschwungs
steht dabei, wie vom österreichischen Nationalökonomen Joseph
Alois Schumpeter (*1883, †1950) festgestellt wurde, eine neue,
umwälzende Technologie, die tiefgreifende Veränderungen in
der Wirtschaft bewirkt.
Heute beträgt der Abstand dieser Boom-Phasen nur noch ca. 30
Jahre.
In der folgenden Tabelle finden Sie einen Überblick über die Ursachen und die Dauer
von saisonalen, konjunkturellen und strukturellen Schwankungen.
40
1
Saisonale
Schwankungen
Einige Wochen bis
Monate, eher kurzfristig
Konjunkturelle
Schwankungen
•Short term/3-4 Jahre
Jahreszeitenwechsel
Permanentes Ungleichge- Technologische und
wicht zwischen gesamtwirt- gesellschaftliche Innovaschaftlicher Nachfrage und tionen
gesamtwirtschaftlichem
Angebot,
Ursachen
Dauer
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
Strukturelle
Schwankungen
Teilweise 50 bis 60 Jahre
•Mid term/5-7 Jahre
•Long term/7-10 Jahre
•Winterarbeitslosigkeit in der Baubranche
•Angst vor Wirtschaftskrise
•Hoher Heizölverbrauch im Winter
•Änderungen der staatlichen Budgetpolitik
können bewirken, dass
der Staat mehr oder
weniger nachfragt.
•Dampfmaschine
•Automobil
•Fliessband
pr
ob
e
•Automatisation
•Hohe oder niedrige
Zinsen beeinflussen die
Investitionstätigkeit der
Unternehmen.
•Computer
•Internet
•Telekommunikation
se
•Hohe Umsätze der
Gärtnereien im
Sommer
•Ölpreisschock
Erfindung
Le
Beispiele – Auswirkungen
Weltpolitische Ereignisse
41
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1.6.3 Die vier Phasen des Konjunkturzyklus
Die folgende Grafik zeigt einen Konjunkturverlauf mit den vier typischen Phasen:
Wachstum des BIP in %
Nachfrage
Produktion
Arbeitslosigkeit
Inflation
Löhne
Zinsen
steigend
steigend
sinkend
steigend
steigend
steigend
Nachfrage
Produktion
Arbeitslosigkeit
Inflation
Löhne
Zinsen
Hochkonjunktur
Aufschwung
sinkend
sinkend
steigend
sinkend
sinkend
sinkend
Das Wirtschaftswachstum verläuft
nicht gleichmäßig, sondern unterliegt
Schwankungen. Die typischen Phasen
eines Konjunkturzyklus sind Krise (Depression),
Aufschwung, Hochkonjunktur und Abschwung (Rezession).
pr
ob
e
niedrig
niedrig
hoch
niedrig
niedrig
niedrig
Abschwung/Rezession
Nachfrage
Produktion
Arbeitslosigkeit
Inflation
Löhne
Zinsen
Krise, Depression
Nachfrage
Produktion
Arbeitslosigkeit
Inflation
Löhne
Zinsen
hoch
hoch
niedrig
hoch
hoch
hoch
Zeit
Le
se
Zu beachten ist, dass in der Grafik die Wachstumsraten des BIP dargestellt sind und nicht
die absoluten Werte des BIP. In der Krise kommt es nicht zwangsläufig zu einem Rückgang
des BIP. Das BIP wächst nur langsamer, und zwar so langsam, dass das Wachstum keine
positiven Effekte (z. B. auf die Beschäftigung) hat. Ein Rückgang der absoluten Werte,
also ein „Minuswachstum“, kommt, wie Sie in den vorangegangenen Abschnitten gesehen haben, eher selten vor.
Die Zeitspanne von einem Tief- bzw. Hochstand zum jeweils nächsten bezeichnet man
als Konjunkturzyklus. Ausgangs- und Endpunkt können je nach Stärke des Auf- und
Abschwungs auf verschiedenen Niveaus liegen. Ist die Wirtschaft nach einem Konjunkturzyklus auf einem niedrigeren Niveau als am Beginn, dann ist die Wirtschaft geschrumpft,
ist sie auf einem höheren Niveau, dann ist sie gewachsen.
Es werden kurz-, mittel- und langfristige Konjunkturzyklen unterschieden. Die mittelfristigen Konjunkturzyklen dauern meist zwischen zwei und sieben Jahre.
1.6.3.1 Aufschwung (Expansion)
Nach dem Erreichen des unteren Wendepunktes (Depression), folgt die Erholungsphase
(expansive Phase). Damit beginnt der Aufschwung der Konjunktur. Es folgt eine Zunahme
der Produktion und der Beschäftigung. Die Phase der Expansion wird von einem steigenden Wirtschaftswachstum geprägt. Die Angebote und Investitionen nehmen zu und auch
die Stimmung ist optimistisch. Einkommen und somit auch die Nachfrage steigen, was
42
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1
natürlich die Preise ankurbelt (leichte Inflation). Mit der grösseren Konsumnachfrage
steigt dann auch die Nachfrage nach Arbeitsplätzen.
1.6.3.2 Hochkonjunktur (Boom)
Der Boom ist der Höhepunkt der Hochkonjunktur. In dieser Phase sind die Kapazitäten
der Wirtschaft aufgrund der starken Nachfrage voll ausgelastet. Es werden Arbeitskräfte
und Produktionsmittel langsam knapp. Es herrschen Vollbeschäftigung, ein grosses
Angebot, ebenso wie Investitionsneigung, Einkommen und Nachfrage. Die Produktion
wird so lange gesteigert, bis es zu einer Überlastung kommt. Es folgt eine Marktsättigung
mit dem Ergebnis, dass das BIP zwar weiterhin noch wächst, dafür jedoch mit sinkenden
Wachstumsraten. Damit kommt es zum nächsten Konjunkturabschnitt, dem Abschwung
(Rezession).
1.6.3.3 Rezession
1.6.3.4 Depression (Konjunkturtief)
pr
ob
e
Das deutlichste Merkmal der Rezession ist ein sinkendes BIP über mindestens zwei
Quartale. Die wirtschaftliche Grundstimmung wird schlechter. Nachfrage und Investitionsneigung sinken. Die Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit nehmen zu. Preise und Zinsen
sinken nur sehr langsam und die Sparneigung steigt. Als Ergebnis hat man vor allem
sinkende Produktionen und Gewinne. Sollte sich der Abschwung weiter steigern oder
kommt es zu einer anhaltenden Stagnation, so spricht man von einer Depression.
Le
se
So bezeichnet man den wirtschaftlichen Tiefstand einer Volkswirtschaft. Die Depression
zeichnet sich vor allem durch eine ungewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit aus. Die Kapazitätsauslastungen nehmen weiter ab, ebenso wie die Nachfrage. Ist die Depression
besiegt, folgt anschliessend wieder ein neuer Aufschwung.
1.6.4 Konjunkturindikatoren
Bisher wurde immer von Konjunktur gesprochen. Doch wie misst man die Konjunktur
eigentlich? Welche ökonomischen Massstäbe repräsentieren die Konjunktur am besten?
Mit sogenannten Konjunkturindikatoren (Indikator = Anzeiger) versucht man festzustellen, in welcher Phase des Konjunkturzyklus sich die Wirtschaft befindet.
Konjunkturindikatoren
Frühindikatoren
Präsenzindikatoren
Spätindikatoren
■■ Frühindikatoren oder vorauseilende Indikatoren
Sie zeigen Änderungen des Wirtschaftsverlaufs früh an und sind daher für Prognosen gut geeignet. Man kann aus ihnen die zukünftige Entwicklung der Wirtschafts43
1
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
lage herauslesen. Folgende Frühindikatoren kann man verwenden: Aktienindex,
Gewinnerwartungen der grossen Unternehmen, Einkaufsmanagerindex oder
auch der Rohstoffindex und der Konsumklimaindex.
■■ Präsenzindikatoren oder Gegenwartsindikatoren bzw. Ist-Indikatoren
Sie beschreiben die aktuelle wirtschaftliche Situation. Man kann aus ihnen die
gegenwärtige wirtschaftliche Situation einer Volkswirtschaft herauslesen. Dazu
werden aktuelle Werte wie die Konsumzahlen, das BIP eines Monats, Zahlen
von Lagerbeständen und Industrieproduktion ebenso wie die gegenwärtige
Sparquote verwendet.
Le
se
pr
ob
e
■■ Spätindikatoren
Sie reagieren mit einer gewissen Verzögerung auf die wirtschaftliche Entwicklung
und zeigen die Wirtschaftsentwicklung der Vergangenheit an. Als Indikatoren
werden hier vor allem die Arbeitslosenquoten, das BIP eines Jahres, die Inflationsrate, die Steuereinnahmen oder aber die Insolvenzrate verwendet.
44
Bestimmungsgrössen der Volkswirtschaft
1.7
1
Zusammenfassung
■■ Wirtschaftssysteme sollen möglichst grossen Wohlstand schaffen, Menschen in
Arbeit bringen und mit genügend Lebensmitteln versorgen. Im Laufe der Jahrhunderte haben die Menschen unterschiedliche Wirtschaftssysteme entwickelt und
erprobt. Alle haben das gleiche Ziel – doch sie unterscheiden sich fundamental.
■■ In marktwirtschaftlichen Systemen (freie Marktwirtschaft und soziale Marktwirtschaft) gehören Unternehmen, Fabriken und Maschinen Privateigentümern.
Wie teuer die produzierten Waren sind, regelt der Markt, also Angebot und Nachfrage. Dass die Unternehmen die passenden Waren und die richtigen Mengen
herstellen, regelt die „unsichtbare Hand“ des Marktes.
■■ Das Gegenstück zu diesem Konzept ist die Planwirtschaft: Dem Staat gehören
die Unternehmen, er bestimmt Preise, Produkte und Löhne.
■■ Die soziale Marktwirtschaft ist eine Verbindung des Wettbewerbssystems mit
der Idee der sozialen Gerechtigkeit. Die Ordnungselemente der Marktwirtschaft
sind weitgehend aufrecht.
pr
ob
e
■■ Der Wirtschaftskreislauf funktioniert wie ein Kreislauf nach dem Prinzip „Geben
und Nehmen“ zwischen den Wirtschaftsteilnehmern. Das Zusammenwirken aller
beteiligten Teilnehmer kann stark vereinfacht im Wirtschaftskreislauf dargestellt
werden.
se
■■ Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) ist eine Untersuchung und
Darstellung des Wirtschaftsgeschehens für eine abgelaufene Periode. Die Hauptindikatoren sind das BIP und das BNE.
Le
■■ Unter dem Bruttoinlandprodukt (BIP) versteht man den Wert aller Endprodukte
und Dienstleistungen, die in einem Land in einer bestimmten Periode hergestellt
werden. Es errechnet sich, vereinfacht ausgedrückt, aus der Summe aller Wertschöpfungen (= Verkaufserlös minus Vorleistungen) einer Volkswirtschaft. Für
aussagekräftige Vergleiche bezieht man das BIP in einer Durchschnittsrechnung
auf die Bevölkerungszahl (BIP pro Kopf).
■■ Das Bruttoinlandprodukt erfasst alle Leistungen im Inland (von In- und Ausländern). Das Bruttonationaleinkommen (BNE) dagegen erfasst die Leistungen
von Inländern (auch im Ausland).
■■ Das nominelle BIP wird mit Preisen des laufenden Jahres bewertet – somit können
Preissteigerungen das BIP erhöhen. Das reale BIP wird mit Preisen eines Basisjahres bewertet. Preissteigerungen erhöhen das BIP nicht, es wird die reine
Produktionssteigerung gemessen (Wirtschaftswachstum). Das reale BIP ist somit
das richtige Mass für die wirtschaftliche Leistung eines Landes.
■■ Man unterscheidet drei Rechnungen zum BIP: Entstehungs- (welche Wirtschaftsbereiche), Verwendungs- (privater und öffentlicher Konsum, Bruttoinvestition)
und Verteilungsrechnung (Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit, Unternehmertätigkeit und Vermögen).
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