2000, Heft 2: Infektionskrankheiten

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2000/2
Mitteilungen der
Lebensversicherer an die
Schweizer Ärzteschaft
Infektionskrankheiten
Beilage der Schweizerischen Ärztezeitung • Nr. 51/52 20.12.2000
2
Inhalt
Infektionskrankheiten
als neue Bedrohung
22
HIV und Lebensversicherung:
Medizinischer Aspekt –
10
Fortschritt und Aussichten
Jeden Winter eine Grippeepidemie – wann folgt aber
die nächste Pandemie?
28
HIV und Lebensversicherung
Der praktische Fall
35
Tropische Infektionskrankheiten
4
18
Impressum
Herausgeber
SVV
Schweizerischer
Versicherungsverband
1941 – 1998: herausgegeben
von den Lebensversicherern
Die für die Herausgabe der
«Mitteilungen» verantwortliche Kommission setzt sich
wie folgt zusammen:
• Josef Kreienbühl, PAX,
Präsident
• Karl Ehrenbaum, Zürich
• Udo Hohmann, Basler
• Michel Janiaud,
Swiss Re
• Dr. med. Thomas Mall,
Basler
• Dr. med. Jan von Overbeck,
Swiss Re
• Dr. med. Emile Simon,
La Suisse
• Dr. med. Walter Sollberger,
Berner
• Peter Suter, Winterthur
• Dr. med. André Weissen,
PAX
Redaktion
Dr. Jörg Kistler
C. F.-Meyer-Strasse 14
8022 Zürich
Telefon 01- 208 28 28
E-mail [email protected]
Druck
Dürrenmatt Druck AG
3074 Muri -Bern
Auflage
11000 Exemplare
3
Editorial
Dr. Jörg Kistler
Liebe Leserin, lieber Leser
Infektionskrankheiten ein Ding der Vergangenheit? Das glaubte man
noch zu Beginn der siebziger Jahre.
Heute ist dieser Glaube verflogen. Nicht nur sind die Infektionskrankheiten nicht ausgerottet. Wegen der heute viel intensiveren
Reisetätigkeit sind sogar hierzulande vorher unbekannte Infektionskrankheiten bei uns aufgetreten. Und es stellt sich in diesem
Zusammenhang die Frage, ob sich nicht eines Tages wieder eine
Grippewelle wie anno 1918 rasend schnell über den Erdball
ausbreiten könnte.
Unsere Beiträge gehen diesen Fragen nach. Nicht stimmungsmachend, sondern sachlich untersuchen sie die Frage,
welche Bedrohung Infektionskrankheiten darstellen. Sie gehen
der Frage des möglichen Auftretens einer Pandemie nach
und behandeln die Bedeutung der Tropenkrankheiten, die in Afrika
weite Landstriche bedrohen.
Anhand des HIV-Virus wird aber auch untersucht, wie Therapien
oder Kombinationen davon mit der Zeit eine wirksamere Bekämpfung
einer anfänglich unbesiegbaren Krankheit erlauben. Und es wird
die Frage gestellt, ob und wie sich eine Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit auf die Versicherbarkeit von Personen, die unter
einer solchen Krankheit leiden, auswirkt.
Das Echo auf unsere letzte Ausgabe war ausserordentlich positiv.
Ich bin überzeugt, dass auch diese Nummer auf Ihr Interesse
stossen wird.
4
Tropische
Infektionskrankheiten
Dr. med.
Johannes Blum,
Schweizerisches
Tropeninstitut, Basel
Mehr als 1,2 Millionen Schweizer
und Schweizerinnen reisten 1999
in tropische oder subtropische Länder (1). Schätzungsweise 50% der
Reisenden leiden während oder
nach der Reise an einer Gesundheitsstörung. Etwa 10% beanspruchen nach ihrer Rückkehr in die
Schweiz ärztliche Hilfe (2). Spekta-
kulär aufgezogene Medienberichte
über eine importierte tödliche virale Erkrankung sowie über Zunahme von Erkrankungen in tropischen Endemiegebieten wie Schlafkrankheit, Tuberkulose oder Dengue-Fieber verunsichern Ärzte und
Reisende. Vor allem Patienten mit
Fieber nach einem Tropenaufent-
Ätiologie fieberhafter Erkrankungen nach Tropenreisen
(Angaben in Prozenten) Angaben aus tropenmedizinischen Kliniken (3)
Diagnose
Mc Leaqn et al
(n = 582)
Doherty et al
(n = 195)
Malaria
32
42
Hepatitis
06
03
Infekte der Luftwege
11
02,5
Harnwegsinfekte
04
02,5
Dengue Fieber
02
06
Typhus
02
02
Durchfallerkrankungen
04,5
06,5
EBV (Mononukleose)
02
00,5
Pharyngitis
01
02
Rickettsiose
01
00,5
Amöbenleberabszess
01
00
Tuberkulose
01
02
Meningitis
01
01
Akuter HIV Infekt
00,3
01
Verschiedene
06,3
05
Keine Diagnose
25
24,5
5
halt befürchten, an einer schwerwiegenden Krankheit zu leiden.
Für den Arzt ist es wichtig zu
wissen, welche fieberhaften Erkrankungen häufig sind und welche seltenere er auf keinen Fall
verpassen darf, da eine verspätete
Diagnose und Einleitung der Therapie fatale Folgen haben können.
Durchfallerkrankungen treten bei Destinationen wie Indien
oder Kenia bei über 50% der Reisenden (4) auf und können von Fieber begleitet sein. Meistens handelt
es sich um Infektionen durch
gastro-intestinale Erreger, die zur
Behandlung keiner Antibiotika bedürfen. In seltenen Fällen kann
aber, vor allem bei Kindern, ein
fieberhafter Durchfall im Rahmen
einer extra-intestinalen Erkrankung wie Malaria oder Typhus vorkommen.
Infekte der oberen Luftwege
und «Erkältungen» sind auch in
heissen Klimazonen häufig. Fokale
bakterielle Erkrankungen wie
Pneumonie, Pyelonephritis, Infektionen im HNO-Bereich, Dysenterie, Meningitis oder eine Tuberkulose müssen systematisch gesucht
werden. Das Erfassen einer HIV
Frühinfektion hat Konsequenzen
für den betroffenen Patienten und
seine/n Partner/in.
Das Verpassen der Diagnose
einer Malaria, einer gramnegativen Sepsis wie Typhus, eines Amöbenleberabszesses oder einer
Meningitis kann für den Patienten
fatale Folgen haben.
Malaria
Fieber bei Tropenrückkehrern erfordert immer eine notfallmässige
Untersuchung zum Ausschluss
einer Malaria. Der Zeitabstand
zwischen einer Infektion während
einer Tropenreise und dem Auftreten einer fieberhaften Erkrankung
kann im Falle einer Malaria von
einer Woche bis zu über einem Jahr
betragen. Der typische Fieberverlauf mit symptomfreien Intervallen
tritt nur bei einem Fünftel der
Erkrankten ein. Es ist wichtig zu
wissen, dass eine zuverlässig
durchgeführte Chemoprophylaxe
das Risiko einer Malaria zwar um
über 90% senken, aber nicht sicher
verhindern kann. Im ungünstigen
Fall wird die Diagnostik einer
Malaria im Blut durch eine eingenommene Malariaprophylaxe oder
ein vorgängig eingenommenes
Antibiotikum erschwert, weil dann
die Parasiten im peripheren Blut
nicht immer nachgewiesen werden
können. Die üblichen Untersuchungen für Plasmodien wie der
dicke Tropfen oder der Blutausstrich werden heute durch die sogenannten Schnelltests ergänzt.
Die zwei verfügbaren Produkte
weisen, mit einer Sensitivität und
einer Spezifität von über 90% ein
spezifisches Antigen (HRP2) von
P. falciparum und P. vivax nach. Bei
niedriger oder sehr hoher Parasitämie wurden falsch negative Resultate beschrieben. Die übrigen 2
Arten der humanpathogenen Malaria werden durch diese Tests (noch)
nicht erfasst.
6
Tropische Infektionskrankheiten
Resistenzentwicklungen erfordern
eine differenzierte Behandlung der
Malaria. Chloroquin ist nach wie
vor Therapie der Wahl bei P. vivax,
ovale und malariae. Chloroquinresistente P. vivax Stämme aus
Südostasien werden primär mit
Mefloquin behandelt. Bei P.vivax
und ovale wird zur Eradikation der
Leberformen (Hypnozoiten) anschliessend an diese Therapie nach
Ausschluss eines Glukose 6 Phosphat Dehydrogenase Mangels Primaquin verabreicht.(5) Für eine
Falciparum Malaria soll die Indikation zur stationären Behandlung
grosszügig gestellt werden. Bei
unkompliziertem Verlauf reicht
häufig eine Hospitalisation zur
Überwachung während der ersten
24 Stunden. Eine Hospitalisation
muss immer erfolgen, wenn Vitalfunktionen beeinträchtigt sind, der
Patient somnolent ist, eine bedeutende Anämie, Niereninsuffizienz,
Hämoglobinurie, Hypoglykämie,
Ikterus oder konkommitierende
Erkrankungen vorliegen, oder
wenn der Patient erbricht. Eine
Parasitämie von 2% oder höher
(oder wenn die Parasitämie nicht
bekannt ist) ist eine Hospitalisationsindikation, auch wenn der
Patient in einem guten Allgemeinzustand ist (6).
Mit Artemether/Lumefantrin
und Atovaquon/Proguanil stehen
uns heute wirksame Medikamente
zur Behandlung der unkomplizierten multiresistenten Malaria tropica zur Verfügung.
Typhus/Sepsis
Bei jedem Status febrilis ungeklärter Genese bei einem Tropenrückkehrer muss an die Möglichkeit
eines Typhus gedacht werden und
es empfiehlt sich, Blutkulturen
abnehmen zu lassen. Typischerweise erfolgt der Arztbesuch, nachdem die Beschwerden schon vor
einigen Tagen begonnen hatten
und von Tag zu Tag zunahmen.
Neben Fieber sind Kopfschmerzen
das häufigste Symptom. Die bekannten Typhuszeichen wie relative Bradykardie, Splenomegalie,
Roseolen und Leukopenie sind oft
nicht vorhanden. Im Anfangsstadium ist Verstopfung häufiger als
Durchfall, welcher typischerweise
erst später auftritt. Die Leukozytenzahl ist meistens nicht erhöht
und eine ausgeprägte Eosinopenie
kann erst im Verlauf auftreten.
ZNS-Symptome wie Interesselosigkeit und Benommenheit treten
auch erst im Verlauf der Erkrankung auf. Als weitere Symptome
wurden Myalgien, Husten, Konjunktivitis und Epistaxis beschrieben. Potentiell letale Komplikationen wie gastro-intestinale Blutungen oder Perforation, Pneumonie,
neuropsychiatrische, renale oder
kardiovaskuläre Manifestationen
sind gefürchtet.
Amöbenleberabszess
Die Trias Fieber, Schmerzen im
rechten Oberbauch und Hepatomegalie muss an die Möglichkeit eines
Amöbenleberabszesses
denken
lassen, wobei das Fieber auch das
7
dominierende Symptom sein kann.
Die Diagnose stützt sich auf eine
positive Amöbenserologie sowie
den Nachweis eines Leberabszesses im Ultraschall wobei sowohl
Serologie wie Ultraschall in den
ersten Krankheitstagen noch einen
negativen Befund zeigen können.
Dengue-Fieber
In letzter Zeit wurden wir mit grossen Epidemien von Dengue-Fieber
in Zentral- und Mittelamerika, in
der Karibik sowie in Südostasien
von 50 bis 100 Millionen Erkrankten konfrontiert. Dengue-Fieber
wird durch tagaktive Stechmücken
der Gattung Aedes aegypti übertragen. Die Leitsymptome sind
hohes Fieber, Kopfschmerzen
(vor allem retroorbital), Gliederschmerzen und ein Hautausschlag.
Im Status findet sich einige Tage
nach Krankheitsbeginn eine Lymphadenopathie, ein morbiliformer
Hautausschlag und eine Hyperästhesie. Eine ausgeprägte Leukopenie und eine Thrombopenie fallen
bei den Laboruntersuchungen auf.
Antikörper sind nach einer Woche
in 90% positiv.
In seltenen Fällen kann sich
das Dengue-Fieber zu einem
hämorrhagischen Dengue-Fieber
entwickeln. Dabei kommt es zu
Hautblutungen, inneren Blutungen
und einer Flüssigkeitsverschiebung in den dritten Raum. Salicylate können wegen ihrer Hemmung
der Thrombozytenaggregation die
Symptomatik verschlimmern und
dürfen deshalb keinesfalls zur
Analgesie oder Fiebersenkung verabreicht werden (7).
Virales hämorrhagisches Fieber
(VHF: z. B. Ebola)
Unter den viralen hämorrhagischen Fiebern hat vor allem die
Gruppe der Viren, die direkt von
Mensch zu Mensch übertragen
werden können, in den Medien für
Aufregung gesorgt. Dahinter steckt
die theoretisch berechtigte Furcht,
dass ein Virus aus dem tiefen Urwald nach Europa eingeschleppt
und zu einer nicht aufhaltbaren
Epidemie führen könnte. Da die
Anfangssymptome dieser viralen
hämorrhagischen Fieber kaum von
einer «banalen» grippalen Infektion unterscheiden werden können, und es unmöglich ist, jeden
fieberhaften Tropenrückkehrer in
einer Unterdruckkammer zu isolieren, ist der erstbehandelnde Arzt
stark verunsichert. Richtlinien von
WHO, CDC und BAG geben uns Hinweise, welche Patienten hospitalisiert und isoliert werden müssen(8):
Febriler Patient mit und ohne
weitere Symptome, der sich
innerhalb der vergangenen
3 Wochen in einem Gebiet aufgehalten hat, in dem bestätigte
oder vermutete Fälle von VHF
epidemisch oder in Zusammenhang mit Tieren aufgetreten
sind.
Febrile Patienten mit Kontakt
zu VHF Erkrankten bzw. deren
Körperflüssigkeiten.
8
Tropische Infektionskrankheiten
Febrile Patienten mit hämorrhagischer Diathese oder
unerklärtem Schock.
Erste Symptome einer Bilharziose,
die Zerkariendermatitis, wird nur
selten von den Patienten bemerkt:
Bei Süsswasserkontakt dringen
Zerkarien durch die Haut ein und
können zu meist milden kurzdauernden, juckenden makulopapulösen Hautausschlägen führen.
Während der anschliessenden Phase der Wurmentwicklung
verspürt der Patient keine subjektiven Beschwerden. 4 bis 6 Wochen
nach der Exposition kann das sogenannte Katayamafieber mit zum
Teil hohen Fieber, Urtikaria,
Krankheitsgefühl, Kopf- und Gliederschmerzen
sowie
Bauchschmerzen auftreten. Meist findet
sich eine Eosinophilie. Als Ursache
wird eine immunologische Reaktion im Zusammenhang mit der
Eiausstossung angenommen. Komplikationen bei unbehandelter Bilharziose treten erst nach Jahren
im urogenitalen oder hepatolienalen System auf.
Eine Eosinophilie im Blutbild
sowie eine positive Süsswasserexposition weisen auf dieses Krankheitsbild hin. Die Diagnose erfolgt
durch serologische Untersuchungen und später auch durch den
Erregernachweis im Urin oder
Stuhl.
Japanische Enzepahlitis
Die Japanische Enzepahlitis ist
eine Viruserkrankung (Flavivirus),
die durch nacht-aktive CulexStechmücken übertragen wird. Die
Krankheit ist in ländlichen Gebieten Südostasiens (mehr als 35 000
Fälle und 10 000 Tote jährlich) verbreitetet und ist dort der Hauptgrund für Enzephalitiden bei Kindern. Eine Infektion führt in weniger als 5% der Fälle zu einer manifesten Erkrankung. Die Krankheit
hat einen plötzlichen Beginn mit
Fieber, Kopfschmerzen, Lichtscheu, Abgeschlagenheit, Meningismus. Später können Lähmungen, Bewusstseinstrübungen epileptische Anfälle und Reflexstörungen dazukommen. Im Gegensatz
zur Bevölkerung in den Endemiegebieten wird die japanische Enzephalitis nur sehr selten bei Reisenden aus Europa oder den USA in
Endemiegebiete beobachtet.
Virale Hepatitis
Hepatitis A und B sind seit der Verfügbarkeit wirksamer Impfstoffe
seltener geworden. Bei Fieber und
deutlich erhöhten Transaminasen
ist bei einem gegen Hepatitis A und
B geimpften Tropenrückkehrer an
die Hepatitis E zu denken. Diese
Erkrankung ist besonders bei
schwangeren Frauen wegen ihrer
hohen Mortalität (bis 20%) gefürchtet.
Rickettsiose
(R.conori, R. africae)
Nach einem Zeckenstich kommt es
zu einem Schanker mit einer
Lymphknotenschwellung im Abflussgebiet, Fieber, Kopf- und Glie-
9
derschmerzen und einem makulopapulären Hautausschlag. Die Leukozytenzahl ist meist normal, die
der Thrombozyten kann erniedrigt
sein. Bei klinischem Verdacht sollte die Behandlung mit Doxycyclin
noch vor der Bestätigung der Diagnose mittels Serologie erfolgen.
Viscerale Leishmaniose
Die Trias Fieber, Hepatomegalie
und Panzytopenie muss an das
Krankheitsbild einer viszeralen
Leishmaniose denken lassen. Seit
der HIV-Epidemie hat diese Erkrankung an Bedeutung gewonnen. Nebst grösseren Endemiegebieten in Übersee (z. B. Indien, Brasilien, Sudan) sind auch Länder
Südeuropas wie Italien, Frankreich
oder Spanien betroffen. Die Serologie ist in nur 50% der immunsupprimierten Patienten positiv,
bei immmunkompetenten dagegen
meistens.
Humane Afrikanische Trypanosomiasis (Schlafkrankheit)
Im ersten Stadium stehen Fieber,
Kopfschmerzen und eine Lymphknotenschwellung vor allem in der
Halsregion im Vordergrund. Im
zweiten Stadium kommen neurologische Störungen wie Schlafumkehr, psychische Veränderungen
und Gehstörungen und später
Bewusstseinstörungen dazu. Die
Abklärung erfolgt durch den Spezialisten.
Literatur
1. Bundesamt für Statistik: Reiseverkehr der Schweizer
im Ausland 1999, 2000.
2. Steffen R., Rickenbach M., Wilhelm U et al.:
J. Infect Dis. 158, 84 – 91, 1987.
3. Sonnenburg F., Tornieporth N., Wayaki P., Lowe B.,
Peruski L., Du Pont H., Mathewson J., Steffen R:
Risk and aetiology of diarrhoea at various tourist
destinations, Lancet Vol 356, 133 – 134, 2000.
4. Humar A, Keystone J.: Evaluating fever in returning
travellers from tropical countries, BMJ, 312, 953 – 56,
1996.
5. Blum J., Tichelli, Hatz Ch. Diagnostische und therapeutische Probleme der Malaria tertiana Schweiz
Rundschau Med (Praxis), 88; 985 – 991,1999.
6. Markwalder K., Hatz Ch., Malariatherapie 1998,
Schweiz. Med. Wochenschrift,128, 1313 – 27, 1998.
7. Rigaux-Perez J., Clark G, Gubler D., Reiter P., Sanders
E., Vorndarm A., Dengue and Dengue haemorrhagic
fever, Lancet, Vol 352, 971 – 977, 1998.
8. Update: Management of patients with suspected
Viral Hemorrhagic Fever, United States, MMWR 44,
475 – 479, 1995
10
HIV und Lebensversicherung:
Medizinischer Aspekt –
Fortschritt und Aussichten
Prof. Dr. med.
Manuel Battegay,
Medizinische
Universitäts-Poliklinik,
Universitätsspital
Basel
Einleitung
Seit der Einführung der Protease
Inhibitoren 1995 /1996, die hoch
wirksame Kombinationstherapien
ermöglichen, hat sich die Prognose
der Infektion mit dem Humanen
Immundefizienz Virus (HIV) drastisch geändert. Während Ende der
80iger Jahre Monotherapien und
anfangs der 90iger Jahre erste
Kombinationstherapien ohne Protease Inhibitoren gewisse Verbesserungen hinsichtlich Verhindern
von opportunistischen Infektionen
herbeigeführt hatten, haben neuere Kombinationstherapien die
Krankheits- und Sterblichkeitsrate
um 80 bis 90% langanhaltend, d. h.
über mehrere Jahre, reduziert.
Trotzdem bleibt die HIV-Infektion
eine chronische Krankheit, die
sehr häufig mit verschiedensten
Problemen vergesellschaftet ist. Im
folgenden Artikel werden Erfolge,
aber auch Probleme wie Beeinträchtigung der Lebensqualität,
Auftreten von Resistenzen und
Langzeitnebenwirkungen diskutiert. Ebenfalls werden Aussichten
dargestellt.
Krankheitsentstehung/Verlauf
Die HIV-Infektion verläuft aufgrund verschiedener Faktoren je
nach Person sehr unterschiedlich.
Im Durchschnitt dauert eine HIVInfektion bis zum Auftreten der
AIDS-Krankheit, falls nicht behandelt, 7 bis 10 Jahre. Dabei variiert
die Inkubationszeit je nach Abwehrstärke, Infektiosität der Wirtszellen sowie Subtypen des Virus. In
50% der infizierten Menschen
kommt es zu einer sogenannten
HIV-Primoinfektion, die ähnlich
einer Grippe mit Fieber, Unwohlsein, Pharyngitis und häufig
zusätzlich einer Lymphknotenschwellung einhergeht. In dieser
Phase ist die Virusmenge meist
sehr hoch bis die körpereigene
Immunabwehr einsetzt. Danach
pendelt sich die Virusmenge je
nach Abwehr und Dynamik verschieden hoch ein, mit Werten zwischen mehreren 100 000 sowie
wenigen 100 oder 1000 Viruskopien
pro Milliliter Blut (Diagramm 1).
Das Niveau der Viruslast pro Milliliter Blut, das mindestens an zwei
verschiedenen Zeitpunkten und
später in regelmässigen, mindestens 6-monatlichen Abständen,
gemessen werden muss, ist ein
wichtiger prognostischer Faktor,
um die Dynamik der Infektion festzustellen. Über die Abwehrsituation geben die so genannten CD4-TZellen Auskunft, die wichtige Koordinatoren der Immunabwehr
sind.
Unbehandelt steigt meist die
Virusmenge nach mehreren Jahren an (Diagramm 1) und sukzessive stellt sich eine reduzierte Immunabwehr ein. Diese erhöht das
Risiko, führt an sogenannten opportunistischen Infektionen zu
erkranken. Diagramm 2 zeigt bei
welchen Abwehrlagen verschiedene Infektionen und Krankheiten
auftreten können. Dazu gehören
vor allem spezielle so genannte
opportunistische Erreger, die z. B.
11
Diagramm 1: HIV-Infektion – Immunantwort und serologische Parameter
im Krankheitsverlauf
Immunantwort
CD4+ -Lymphozytenzahl
Virus-RNA im Plasma
Virusgenom im Blut
Jahre
Monate
Symptome
Symptome
zu einer Lungenentzündung oder
zu Hirnabszessen führen.
Antiretrovirale Therapie
Die antiretrovirale Therapie kann
die Abwehrschwäche aufhalten
oder falls sie bereits aufgetreten
ist, in hohem Ausmasse rückgängig
machen. Deshalb ist es wichtig,
eine Therapie vor Beginn einer Abwehrschwäche zu beginnen, damit
ein Patient nicht in den Risikobereich kommt, wo opportunistische
Krankheiten auftreten könnten.
Diagramm 3 zeigt, wo die antiretrovirale Therapie ansetzt. Zum
einen können Reverse Transkriptase Inhibitoren das Enzym Reverse
Transkriptase hemmen, so dass es
nicht zu einer Virusvermehrung
kommt. Zum anderen hemmen
Protease Inhibitoren die Zerlegung
von Virusproteinen, die für die
Zusammensetzung (Assembly) des
Virus nötig sind. Wegen der hohen
Virusdynamik und der Notwendigkeit, die Virusvermehrung so komplett als möglich zu unterdrücken,
ist eine sehr gute Tabletteneinnahme äusserst wichtig. Der Patient
muss zu einer andauernden Therapie, d. h. zum tagtäglichen Einnehmen von Tabletten bereit sein. Wir
wissen zudem, dass auf eine erste
Therapie am besten angesprochen
wird. Falls sich ein Therapieversagen einstellt, hat jede folgende
Therapie weniger hohe Aussichten
auf eine Unterdrückung der Virusvermehrung.
Seit 1995 /1996 sind viele prospektive, randomisierte Studien
publiziert worden, die zeigen, dass
das virologische Therapieansprechen auf eine Kombinationstherapie mit zwei Reversen Transkripta-
12
HIV und Lebensversicherung: Medizinischer Aspekt – Fortschritt und Aussichten
se Inhibitoren und einem Protease
Inhibitor zirka 50 bis 80% beträgt.
Dabei lässt sich die Virusmenge auf
unter 500 Kopien/ml senken. Dank
neuer Messmethoden weiss man,
dass eine Unterdrückung sogar
unter 50 Kopien/ml möglich ist.
Zirka 50% der so behandelten
Patienten zeigen einen langanhaltenden Therapieerfolg über Jahre.
Ebenfalls, und dies ist im Hinblick
auf eine Risikoreduktion an Aids zu
erkranken der wichtigste Parameter, steigen die CD4-Werte im Blut
an, so dass häufig eine beinahe nor-
male Immunabwehr gegenüber
verschiedensten infektiösen Erregern zustande kommt. Viele Studien dokumentieren die eindrückliche Wirkung dieser Medikamente
mit einer bis anhin über 80%igen
Reduktion der Krankheits- und
Sterblichkeitsrate über nun bereits
fünf Jahre. Patienten konnten wieder an Lebensqualität gewinnen
(Gewichtszunahme, Sistieren von
Allgemeinsymptomen wie Müdigkeit und Energieverlust, Wiedererlangen einer zumindest teilweisen
Arbeitsfähigkeit).
Diagramm 2: Verlauf der HIV-Infektion (allgemein)
750
Akute HIV-Krankheit (in 30 – 70% Fieber, Lymphadenopathie, Pharyngitis, Exanthem)
700
650
Lungentuberkulose, Herpes Zoster, Orale Candidiasis, Kaposi Sarkom,
Non-Hodgkin Lymphome
600
550
CD4 (Zellzahl / µl)
500
450
400
350
Bakterielle Pneumonie
Bakterielle Durchfälle
300
Pneumozystis carinii Pneumonie,
AIDS Demenz, Wasting Syndrom
250
CMV Retinitis,
Zerebrale Toxoplasmose,
Kryptokokkose
200
150
100
nicht tuberkulöse Mykobakteriose, Kryptosporidiose,
Progressive multifokale Leukenzephalopathie,
Primäres ZNS Lymphom
50
0
Jahre
13
Diagramm 3: Antiretrovirale Therapie – Angriffspunkte im Replikationszyklus
Replikationszyklus
reverse
Transkription
Monate
antiretrovirale
Medikamente
reverse
TranskriptaseInhibitoren
Jahre
– Nukleosidanaloga
– NichtNukleoside
Provirus
RNS
ProteinaseInhibitoren
Polyprotein
Protein
Angriffspunkte
Medikamente
Zur Zeit steht eine breite Palette
von Reverse Transkriptase Inhibitoren (Zidovudin, Zalzitabin, Didanosin, 3TC, Abacavir, Stavudin),
Protease Inhibitoren (Indinavir,
Ritonavir, Saquinavir, Nelfinavir,
Amprenavir) sowie nicht Nukleosid
Reverse Transkriptase Inhibitoren
(Nevirapine, Efavirenz) zur Verfügung. In den heutigen Kombinationstherapien werden meist zwei
14
HIV und Lebensversicherung: Medizinischer Aspekt – Fortschritt und Aussichten
Reverse Transkriptase Inhibitoren
mit entweder einem Protease Inhibitor oder einem nicht Nukleosid
Reverse Transkriptase Inhibitor
kombiniert. Bei Therapieversagen
muss die Therapie meist intensiviert werden, damit die Virusmenge noch unterdrückt werden kann.
Probleme der antiretroviralen
Therapie
Adherence
Aufgrund der meist enormen Virusvermehrung (bis 10 Milliarden
Viren pro Tag) ist es nötig, dass
ständig Medikamente in genügend
hoher Konzentration im Blut vorhanden sind. Dies bedingt eine sehr
zuverlässige (über 95%) Medikamenteneinnahme. Dies stellt an die
Patienten sehr hohe Anforderungen. Vor allem sogenannte «drug
holidays» führen zu ungenügenden
Medikamentenkonzentrationen,
welche wiederum zu einer ungenügenden Hemmung der Virusvermehrung und somit zu Resistenzen
führen.
Resistenzen
Gegenüber allen drei Medikamentenklassen, d. h. Reverse Transkriptase Inhibitoren, Protease Inhibitoren sowie nicht Nukleosid
Reverse Transkriptase Inhibitoren
ist das Auftreten von Resistenzen
sehr gut dokumentiert. Bei bestimmten Resistenzen wird ein
bestimmtes Medikament praktisch
wirkungslos. Bei anderen Resistenzen stellt sich ein Wirkungsverlust
der Medikamente graduell ein.
Allerdings zeigen neuere Studien
auf, dass ein resistentes Virus das
Abwehrsystem nicht in gleichem
Masse schädigt, so dass die Therapien trotz Auftreten vieler Resistenzen nach wie vor klinisch effektiv sind und das Auftreten von
opportunistischen Erkrankungen
sehr selten ist. Bei Therapieversagen kann neuerdings auch das
Genom des Virus analysiert (Resistenzmessung) werden sowie das
Verhalten des Virus in Zellkulturen, so dass eine nächste Therapie
entsprechend optimal adaptiert
werden kann.
Nebenwirkungen
Die kurzfristigen Nebenwirkungen
einer Kombinationstherapie sind
vor allem Übelkeit, Bauchschmerzen und weitere unspezifische Beschwerden. Meist gehen diese
anfänglichen
Nebenwirkungen
nach wenigen Tagen oder Wochen
zurück oder es lässt sich mit einer
veränderten Kombinationstherapie eine nebenwirkungsarme Behandlung finden. Problematischer
sind Langzeitnebenwirkungen, in
erster Linie zu nennen sind Lipodystrophie (Körperfettumverteilung) und erhöhte Cholesterinwerte. Diese Nebenwirkungen sind
pathophysiologisch noch wenig
geklärt. Allerdings nimmt man an,
dass Protease Inhibitoren und
möglicherweise auch Nukleosid
Reverse Transkriptase Inhibitoren
an Schaltenzymen in der Leber den
Fettstoffwechsel beeinflussen. Die
auftretende Lipodystrophie, die bei
15
zirka 30% der behandelten Patienten auftritt (meist in milder Form),
ist charakterisiert durch eine Fettansammlung am Bauch (Abdomen)
sowie einem Fettverlust an Gesäss,
Oberarmen und Beinen sowie im
Gesicht. Manchmal tritt auch eine
Fettansammlung im Nacken auf.
Diese Nebenwirkung stellt für die
Patienten eine erhebliche psychische Belastung dar. Es ist noch
nicht klar, ob diese Nebenwirkungen durch einen Wechsel der Therapie im vollen Umfang zurückgehen werden.
Lebensqualität
In eigenen Untersuchungen konnten wir aufzeigen, dass die Lebensqualität trotz eindrücklicher Verbesserung der Lebensaussichten
bei gut 30% der Patienten signifikant beeinträchtigt ist. Depressionen und dokumentierte Angstzustände sind hier an erster Stelle zu
nennen. Dies zeigt auch auf, dass
die HIV-Infektion von den Patienten
meist als schwere, chronische
Krankheit erlebt wird. Im Unterschied zu anderen chronischen
Krankheiten wie dem Diabetes
mellitus oder chronisch rheumatologischen Krankheiten ist bei der
HIV-Infektion noch nicht abzusehen, wie lange die Therapien wirken, so dass hier ein belastender
Unsicherheitsfaktor vorhanden ist.
Schwangerschaft
Ein sehr grosser Fortschritt wurde
bei der Behandlung von HIV-infizierten schwangeren Frauen erzielt. In westlichen Ländern und
insbesondere in der Schweiz konnte die Transmission von der Mutter
auf das ungeborene Kind auf fast
0% gesenkt werden, wenn eine
Therapie lege artis durchgeführt
wird. Diese Therapie beinhaltet
die Behandlung der schwangeren
Frau, eine intensive Behandlung
während der Geburt inklusive Kaiserschnitt sowie eine Frühbehandlung mittels antiretroviralem Sirup
des Neugeborenen.
Kosten
In einer eigenen Untersuchung
konnten wir im Rahmen der
Schweizerischen
HIV-Kohorten
Studie an über 3500 Patienten und
Patientinnen feststellen, dass aufgrund der massiven Reduktion der
Hospitalisationen, der Abnahme
der Komplikationen und der wiedergewonnenen Erwerbsfähigkeit,
diese Therapien sehr kosteneffektiv sind. In Betracht gezogen wurden verschiedene Szenarien, ein
optimistisches, ein pessimistisches
und ein so genanntes Base-CaseSzenario. In allen Szenarien, sogar
bei der pessimistischsten Annahme hinsichtlich Prognose, zeigte
sich die anti-HIV-Therapie auch
gegenüber anderen chronischen
Krankheiten sehr kosteneffektiv.
16
HIV und Lebensversicherung: Medizinischer Aspekt – Fortschritt und Aussichten
Aussichten
Weitere Verbesserungen der antiretroviralen Therapie sind erst
kürzlich erreicht worden. Diese
betreffen insbesondere die Anzahl
der einzunehmenden Tabletten
sowie die Häufigkeit der Tabletteneinnahme (zur Zeit zweimal täglich). Weitere Fortschritte hinsichtlich oben genannter drei Medikamentenklassen sind zu erwarten,
insbesondere Medikamente, die
auch ein resistentes Virus wirksam
unterdrücken. Zusätzlich werden
in den nächsten Jahren wohl Medikamente entwickelt werden, die
den Fettstoffwechsel nicht beeinflussen. Während Reverse Transkriptase Inhibitoren sozusagen die
Kopiermaschine des Virus blockieren und Protease Inhibitoren die
Zusammensetzung des Virus nach
dem Kopierschritt, setzen neue
Medikamente dort an, wo sich das
Virus an die Zelle andockt. Damit
wird von Beginn weg die Infektion
einer Zelle verhindert und damit in
einem späteren Schritt auch der
Missbrauch einer Zelle als Viruskopiermaschine.
Weitere Fortschritte betreffen Therapiestrategien um den
optimalen Zeitpunkt eines Therapieeinsatzes festzustellen. Ebenfalls sind weltweit mehrere Studien
im Gange, die prüfen, ob ein Therapieunterbruch möglich ist. Die
Grundlage dieser Studie liegt in der
Tatsache begründet, dass die
Abwehr aufgrund der Therapie
stark verbessert wurde und sich
unter der Therapie stabilisiert hat.
In der Hoffnung, dass diese Stabilisierung wenigstens für Monate
oder wenige Jahre auch ohne Therapie möglich ist, wird zur Zeit
geprüft, ob ein Therapieunterbruch möglich ist. Leider hat sich
trotz des grossen Fortschrittes in
den letzten Jahren gezeigt, dass
eine Eradikation, d. h. Heilung,
nicht möglich ist. Das Virus kann
offenbar integriert in den Viruszellkern aber auch in Zellen, die ruhen,
weiter existieren. Diese Viren sind
einer Therapie auch mit neuesten
Medikamenten nicht zugänglich.
Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass sich die Prognose der
HIV-Infektion durch das Einführen neuer Kombinationstherapien
1995/1996 drastisch verbessert
hat. Aufgrund der komplexen Therapie, der Nebenwirkungen und
der nach wie vor auftretenden
opportunistischen Infektionen (obwohl in massiv reduzierter Zahl)
bleibt die HIV-Infektion eine chronische, mitunter schwere Infektionskrankheit. Dabei variiert die
Lebensqualität je nach Therapieansprechen und bisher durchgemachten Krankheiten deutlich. Die
Forschung in diesem Gebiet ist
nach wie vor sehr dynamisch und
lässt weitere Entwicklungen erwarten.
17
Weiterführende Literatur
Battegay M. und Hirschel B. HIV-Infektion und AIDS. In:
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Does pregnancy influence the course of HIV infection?
Evidence from two large Swiss Cohort Studies.
J. Acquir. Immune Defic. Syndr. Hum. Retrovirol.
1998; 17: 404 – 410
18
HIV und Lebensversicherung
Jan van Overbeck
Chief Medical Officer,
Swiss Re Life & Health
In der Wissenschaft sind im Bereich der HIV-Infektion erhebliche
Fortschritte erreicht worden. In
seinem Artikel präsentiert Dr. Battegay ein sehr genaues Bild der
Auswirkungen dieser Fortschritte
auf die klinische Betreuung der
Patienten. Dank den neuen Kombinationstherapien (3-fach Therapie) wurde die Lebenserwartung
der Patienten, wie auch deren Lebensqualität, massgeblich verbessert. Aus der Sicht der Versicherungsgesellschaften erlauben diese Entwicklungen zu Recht die Frage der Versicherbarkeit von HIVpositiven Personen. Dieser Artikel
hat nicht zum Ziel, Kriterien bzgl.
der Aufnahme und Versicherbarkeit aufzuführen, sondern schlägt
Elemente für eine konstruktive
Debatte vor.
Allgemeine Prinzipien
Der Versicherer muss die Sterblichkeit einer Gruppe von Kranken
mit derer der sogenannten Normalbevölkerung, in Bezug auf Geschlecht und Alter, vergleichen.
Damit kann man die Übersterblichkeit und somit eine adäquate Versicherungsprämie bestimmen. Dieses Prinzip wird für alle Versicherungsanfragen angewendet, sei es
nun bei Fällen von Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebsleiden
oder HIV-Infektion. Die HIV-Infektion trifft vor allem junge Leute und
ohne Therapie tritt der Tod durchschnittlich innerhalb von 7 bis 10
Jahren ein. Wenn man also die
Lebenserwartung dieser Gruppe
mit der Normalbevölkerung vergleicht, ist die Übersterblichkeit
der HIV-positiven Personen extrem
hoch und verunmöglicht eine Versicherung zu akzeptablen Bedingungen.
Eine Versicherungsgesellschaft kann ihr wesentliches Ziel,
d. h. eine grösstmögliche Anzahl
von Personen zu bestmöglichem
Preis zu versichern, nur dann erreichen, wenn die angebotenen
Prämien den Risiken angepasst
sind. In der Lebensversicherung,
wo die versicherte Leistung beim
Tod des Versicherten zu zahlen ist,
entspricht diese Schadenwahrscheinlichkeit der Sterblichkeit des
Versicherten. Durch Auswertung
von Bevölkerungszählungen und
Zivilstandsregister (Geburten, Todesfälle) errechnet das statistische
Amt eines jeweiligen Landes die
einjährige Sterbenswahrscheinlichkeit der Bevölkerung nach Alter
und Geschlecht und konstruiert
daraus eine Sterbetafel. Ergibt die
Sterblichkeitsmessung beispielsweise, dass von 100 000 während
eines Jahres unter Beobachtung
stehenden 43-jährigen Männern
300 starben bevor sie das Alter 44
erreichten, so resultiert daraus
eine Sterbenswahrscheinlichkeit
für 43-jährige Männer von 0,003
oder 3‰.
Wenn eine Versicherungsgesellschaft Personen mit einem
erhöhten Sterblichkeitsrisiko aufnimmt (oder, in anderen Worten,
Personen, die eine verkürzte Lebensdauer aufweisen), muss sie
19
von diesen Personen höhere Prämien verlangen. Im Bereich der
privaten Versicherung wäre es unangemessen, wenn die gesamten
Mehrkosten, die Personen mit
einer erhöhten Sterblichkeitsrate
von Anfang an aufweisen, von der
grossen Mehrheit der gesunden
Versicherten getragen würden.
Gesunde
Versicherungsnehmer
würden sonst eine andere Form
von Risikodeckung suchen (z. B.
Kapital- oder Immobilienanlagen)
und der Versicherer würde nur
erhöhte Risiken aufweisen und bei
Schadenfällen keine Auszahlung
vornehmen können.
Die kürzlich erschienenen
klinischen Daten zeigen eine deutliche Verbesserung der Lebenserwartung für HIV-Patienten. Es ist
erwiesen, dass durch die 3-fach
Therapie die Sterblichkeitsrate auf
5 Jahre um 80% gesenkt werden
konnte, einschliesslich Reduktion
der opportunistischen Infektionen,
dies allerdings ohne Berücksichtigung der Lebensqualität. Aus der
Sicht der Lebensversicherer ist
diese Verbesserung klar erwiesen,
aber verglichen mit einer gesunden Bevölkerung ist die Lebensqualität von HIV-infizierten Personen trotzdem viel schlechter. Deshalb kann trotz der erreichten
Fortschritte HIV-infizierten Personen keine Lebensversicherung mit
langer Laufzeit unterbreitet werden. Die Versicherungsgesellschaften haben aber die Möglichkeit,
z. B. eine Deckung mit limitierter
Laufzeit (5 Jahre) anzubieten. Ein
solcher Vertrag könnte ein gesellschaftliches Bedürfnis erfüllen
sollte aber zugleich die grundlegenden Prinzipien eines «gesunden» Versicherungsproduktes beachten (d. h. die Bezahlung der
versicherten Leistungen).
Kriterien für die Berechnung
der Versicherbarkeit
Die Würdigung einer Versicherungsanfrage sollte einfachen, verlässlichen und statistisch-relevanten Kriterien unterliegen. Die für
die HIV-Infektion wichtigsten Daten sind die folgenden: Verlaufszeit
der Infektion, Anzahl CD4-Zellen
und Virämie, wie auch die klinische
Anamnese, der mit dem HI-Virus
infizierten Person. Ins Gewicht fallen insbesondere auch die vorgenommenen therapeutischen Massnahmen und die Präsenz opportunistischer Infektionen.
Es ist oft schwierig, die Dauer
der klinischen Infektion präzise zu
bestimmen, denn die Primärinfektion ist oftmals asymptomatisch
oder oligosymptomatisch («Grippesymptome»). Häufig genügt es,
wenn man die Daten des letzten
negativen und des ersten positiven
Testbefunds kennt. Praktisch gesehen können die Immunsuppression
und die Dauer der Infektion durch
regelmässige Messungen der CD4Zellen geschätzt werden. Weit gehende klinische Studien haben eindeutig bewiesen, dass der Rückgang der CD4-Zellen mit der Zeit
konstant verläuft. Da individuelle
Messungen variieren können, sind
20
HIV und Lebensversicherung
für eine verlässliche Schätzung
mindestens zwei CD4-Zellwerte
nötig, wie auch ein über einige Zeit
beobachtetes CD4-Profil. Ein einziger CD4-Zellwert erlaubt keine
Schlussfolgerung.
Die Virämie oder sogenannte
Viruslast entspricht einer Schätzung der Anzahl der Virenpartikel
im Blut und widerspiegelt den Replikationsstand des HI-Virus. Bei
nichtbehandelten Patienten hat die
Messung der Virämie einen wichtigen prognostischen Wert, denn dieser ist unabhängig von den CD4Werten. Je tiefer die Virämie ist,
desto besser ist die Prognose. Mit
den Werten der CD4-Zellen und der
Virämie kann man das Gleichgewicht zwischen dem HI-Virus und
dem Immunsystem einer einzelnen
Person messen. Antiretrovirale
Medikamente haben eine grosse
Auswirkung auf die Virämie, weshalb es bei einer medikamentösen
Behandlung wichtig ist, die Werte
des Patienten vor der Behandlung
zu kennen.
Die klinische Anamnese eines
Patienten ist unerlässlich, besonders bei opportunistischen Infektionen. Die Diagnose einer solchen
Infektion lässt meistens auf eine
milde bis ernste Immunsuppression rückschliessen. Eine Versicherbarkeit ist im allgemeinen
nicht möglich. Für die Würdigung
eines Antrags ist es nötig, einen
Vertrauensarzt beizuziehen, der
über praktische Erfahrung mit der
Behandlung von HIV-positiven
Patienten verfügt.
Detaillierte Informationen zur Therapie sind von immenser Bedeutung. Die heutigen Erfahrungen
zeigen, dass Patienten, welche von
Anfang an mit einer Dreierkombination behandelt wurden, die besten Resultate aufweisen. Die Wirksamkeit beträgt allerdings gemäss
klinischer Studien nur 5 bis 7 Jahre, wobei die Resistenz des HIVirus auf die antivirale Langzeitbehandlung das Hauptproblem
darstellt. Dies bedeutet, dass die
Behandlung lebenslang weitergeführt werden muss, da die heutigen
Medikamente keine Beseitigung
des Virus’ ermöglichen. In diesem
Zusammenhang muss erwähnt
werden, dass sowohl die Resistenzentwicklung wie auch die Compliance seitens des Patienten Probleme aufwerfen. Man muss sich
vorstellen, dass eine Dreierkombination mit der erforderlichen
täglichen Einnahme von 10 bis 15
Tabletten nicht ohne Nebenwirkungen bleibt. Bei einem Versicherungsantrag ist es absolut notwendig, die CD4-Werte sowie die Virusreplikation vor Behandlung zu
kennen. Dies erlaubt es, eine Einschätzung des Krankheitsverlaufes
vorzunehmen. Ein unbehandelter
Patient mit CD4-Werten um 400
kann nicht mit einem Patienten
verglichen werden, der mit einer
Dreierkombination behandelt worden ist, und bei dem die CD4-Zellen
von 200 auf 400 Zellen/ml angestiegen sind. Der Versicherer muss
den natürlichen Krankheitsverlauf
einschätzen können, zumal mindes-
21
tens 50% der Patienten die Therapie abbrechen. Die Erfahrung
zeigt, dass Patienten, die in einem
spezialisierten Zentrum oder
durch Spezialärzte behandelt werden, eine bessere Prognose aufweisen.
Schlussfolgerung und
Anregungen
Aufgrund des aktuellen Wissensstandes, wird die Entwicklung von
Versicherungsdeckungen für HIVpositive Personen möglich. Eine
Nachfrage besteht in verschiedenen Ländern und sollte genau
geprüft werden, damit deren Umsetzung professionell und konstruktiv geschehen kann. Ein
Nichteingehen auf diese Anfragen
könnte sich auf politischer Ebene
negativ für die Versicherungsgesellschaften auswirken. Aufgrund
der verlängerten Lebenserwartung
durch verbesserte therapeutische
Möglichkeiten, kann in ausgewählten Fällen eine Deckung mit einer
Versicherungsdauer von 5 Jahren
in Erwägung gezogen werden.
Die medizinisch notwendigen
Abklärungen und Informationen
beinhalten: genaue Anamnese,
falls vorhanden letzter negativer
Test und erster positiver Test,
Virämie und CD4-Werte vor Behandlung, Verlauf der CD4-Werte,
angewandte Therapie und behandelnder Arzt. Patienten mit CD4Werten über 500 und ohne anamnestisch opportunistische Infekte
sollten individuell eingestuft werden. Es ist unerlässlich, dass der
Vertrauensarzt mit entsprechender Erfahrung beigezogen wird,
mit dem Ziel, für die Zukunft genügend Informationen zu sammeln.
22
Infektionskrankheiten
als neue Bedrohung
Prof. Dr. med.
Werner Zimmerli,
Chefarzt Medizinische
Universitätsklinik,
Kantonsspital,
4410 Liestal
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren Infektionskrankheiten
bei weitem die häufigste Todesursache. Noch am Ende der siebziger
Jahre glaubte man, die Infektionskrankheiten seien besiegt. Die
prophylaktischen und therapeutischen Massnahmen gegen Mikroorganismen waren so viel versprechend, dass angenommen wurde,
die Infektionen würden ihre Bedeutung und ihren Schrecken verlieren. Von diesem Enthusiasmus
ist lediglich die Ausrottung der
Pocken im Jahre 1977 geblieben.
Wichtigste Todesursachen
Der Tod wegen Infektionskrankheiten ist in den industrialisierten
Ländern selten geworden. Während noch vor hundert Jahren in
der Schweiz die Tuberkulose die
wichtigste Todesursache war, sind
seit 60 Jahren die Kreislaufkrankheiten, Tumorkrankheiten und Unfälle/Gewalt die drei wichtigsten
Todesursachen.
Zwischen 1980 und 1997 hat
sich diese Tendenz wieder etwas
gewendet. Während unverändert
ein Viertel aller Schweizer an
einem Tumorleiden stirbt, hat die
Mortalität an Herz-Kreislaufleiden
Die wichtigsten Todesursachen in den letzten 120 Jahren
Gestorbene auf 100 000 Einwohner
450
400
Kreislaufkrankheiten
350
Tuberkulose
300
250
Krebs
200
150
Gewaltsamer Tod
100
Lungenentzündung
Epidemische
Infektionskrankheiten 1
50
0
1875
1
1885
1895
1905
1915
1925
1935
1945
Pocken, Masern, Scharlach, Diphtherie, Keuchhusten, Typhus
1955
1965
1975
1985
1995
23
um 6,9% auf 41,4% abgenommen.
Dies ist ohne Zweifel auf die vielfältigen neuen prophylaktischen und
therapeutischen Möglichkeiten im
Gebiet der Herz-Kreislaufkrankheiten zurückzuführen. Die Mortalität an Krankheiten der Atemwege
und an Infektionen hat dagegen
leicht zugenommen. Diese Zunahme ist zwar absolut gesehen gering, nämlich um 1,4% auf 7,1% bei
Krankheiten der Atmungsorgane
und um 0,5% auf 1,2% bei den
Infektionen. Diese Veränderungen
entsprechen jedoch einem klaren
relativen Anstieg von 27% bzw.
71%.
Dieser Anstieg ist kein Zufall.
Er ist zum grössten Teil auf die
Immunschwäche AIDS zurückzuführen, welche 1995 für 635 Todesfälle in der Schweiz verantwortlich
war. Dies ist zwar verglichen
mit den total 62 839 Todesfällen
wenig, betraf jedoch fast ausschliesslich junge Menschen.
Innerhalb von 15 Jahren nach
ihrem Auftreten in der Schweiz ist
die HIV-Infektion 1995 die zweithäufigste Todesursache der 25- bis
44-Jährigen geworden. 32 von
100 000 Männern und 12 von
100 000 Frauen dieser Altersklasse
starben an AIDS. Dieser Trend ist
erst seit Ende der 90iger Jahre wieder rückläufig, als die hoch aktive
antiretrovirale Kombinationstherapie verfügbar wurde. Auch gemäss amerikanischen Statistiken
haben Infektionen als Todesursache von 1980 bis 1992 zugenommen, nämlich von 41 auf 65 pro
Wichtigste Todesursachen
Todesursachen 1980 in %
(100% = 59 097 Todesfälle)
Todesursachen 1997 in %
(100% = 62 839 Todesfälle)
4,7%
0,4%
0,7%
1,4%
2,7%
2,7%
3,8%
5,6%
Übrige
Psyche
Infektionen
Nervensystem
Selbstmorde
Stoffwechsel und Blut
Verdauungsorgane
Unfälle und Gewalt
5,6%
Atmungsorgane
5,7%
3,8%
1,2%
3,3%
2,1%
3,3%
3,7%
3,6%
7,1%
24,1%
Tumoren
24,8%
48,3%
Herz-Kreislauf
41,4%
Quelle: Todesursachen-Statistik 1980, 1997
Bundesamt für Statistik, Neuenburg
100 000 Einwohner. Bei den 25- bis
44-Jährigen stieg die Todesrate an
Infektionen sogar um das 6,3fache.
Alte Bedrohungen
Von den bakteriellen Infektionen
sind vor der Verfügbarkeit von
Antibiotika viele letal verlaufen.
Während gewisse Infektionen wie
die Sinusitis, die Otitis media, die
Pneumonie oder Hautinfektionen
durch eine intakte Immunabwehr
24
Infektionskrankheiten als neue Bedrohung
in den meisten Fällen auch ohne
antimikrobielle Substanzen abheilen, endet die Meningitis, die Sepsis, oder die akute Endokarditis
ohne Antibiotika praktisch immer
tödlich. Früher war der Tod an diesen Krankheiten meistens auf die
unkontrollierte Infektion zurückzuführen. Im Gegensatz dazu sterben heute die Patienten in der
Regel nicht mehr direkt an der
Infektion, sondern an den Folgen
der unkontrollierten Immunabwehr. Diese kann den Organismus
durch eine überschiessende Entzündung irreversibel schädigen.
Die Sterblichkeit an der Meningitis
war vor 25 Jahren trotz wirksamer
Antibiotika bei etwa 33%, heute
sterben noch 15 bis 20% der Patienten. Diese Verbesserung ist u. a. auf
179,6
226,2
0,9
1,3
5,6
4,2
11,7
7,9
2,6
2,0
0
35,1
20,9
50
78,2
82,6
100
91,7
150
124,8
153,6
200
188,8
250
272,2
266,9
300
Häufigkeit der Todesfälle an Tuberkulose
auf 100 000 Einwohner
1900 ’10 ’20 ’30 ’40 ’50 ’60 ’70 ’80 ’90 ’97
Quelle: Bundesamt für Statistik, Neuchâtel
eine raschere Diagnose und somit
Therapie und auf die Fortschritte
der Intensivmedizin («supportive
care») zurückzuführen. Eine ähnliche Reduktion der Letalität konnte
bei der akuten Endokarditis erreicht werden. Hier ist die Verbesserung u. a. auf die raschere und
bessere kardiochirurgische Therapie (Klappenersatz im akuten Stadium) zurückzuführen.
Auch heute noch sterben 40
bis 50% der Patienten mit einem
septischen Schock. Diese schlechte
Prognose hat sich seit der Einführung der Antibiotika trotz immer
besseren Substanzen nicht wesentlich verbessert. Auch bei der Sepsis
sterben die meisten Patienten an
der unkontrollierten und bisher
nicht wirksam beeinflussbaren
Entzündung (Multiorganversagen)
oder an der Grundkrankheit und
nicht an der Infektion selbst. Keines der neuen Therapiekonzepte
wie z. B. anti-Endotoxin-Antikörper, anti-Zytokine oder lösliche
Zytokinrezeptoren hat die hohe
Letalität signifikant und reproduzierbar senken können. Deshalb
kann auch bei der Sepsis die Verbesserung der Prognose nur durch
die raschere Diagnose und Antibiotikatherapie erreicht werden.
Im Gegensatz zu diesen
Krankheiten mit immer noch hoher
Mortalität hat sich die Situation bei
der Tuberkulose drastisch verbessert. Die Tuberkulose war anfangs
Jahrhundert eine sehr gefürchtete
und häufig tödliche Krankheit.
Durch die Verbesserung der so-
25
Die wichtigsten neuen Mikroorganismen der letzten 25 Jahre
Jahr
Mikroorganismus
Krankheit
1975
Parvovirus B19
Aplastische Anämie u. a. m.
1976
Cryptosporidium parvum
Enterokolitis
1977
Ebola Virus
Hämorrhagisches Fieber
1977
Legionella pneumophila
Legionellenpneumonie
1981
Toxin-bildender S. aureus
Toxisches Schocksyndrom
1982
Escherichia coli 0157:H7
Hämolytisch-urämisches
Syndrom, hämorrhag. Kolitis
1982
Borrelia burgdorferi
Borreliose
1983
HIV
AIDS
1983
Helicobacter pylori
Ulcus duodeni bzw. ventriculi
1988
Humanes Herpesvirus-6
Dreitagefieber
1989
Ehrlichia chaffeensis
Humane Ehrlichiose
1992
Bartonella henselae
Katzenkratzkrankheit,
bazilläre Angiomatose
1993
Sin Nombre Virus
Hanta-Lungensyndrom
1994
Humanes Herpesvirus-8
Kaposisarkom
1996
Prionen Protein
Neue Variante der CreutzfeldJacob Krankheit
1997
Influenza A H5N1
Influenza in Hong Kong
1999
Nipah Virus
Enzephalitis
zialen Verhältnisse (Wohnraum,
Hygiene, Ernährung) und seit den
50iger Jahren durch die antimykobakterielle Therapie konnten die
Sterbefälle an Tuberkulose von 272
auf 0,9 pro 100 000 Einwohner reduziert werden. Weltweit hat die
Tuberkulose mit dem Auftreten der
HIV-Pandemie wieder zugenommen. In der Schweiz wurde dieser
Trend nicht beobachtet. Die Erklärung dafür ist die Tatsache, dass
die Koinfektion mit dem HIV und
dem Mycobacterium tuberculosis
26
Infektionskrankheiten als neue Bedrohung
seltener ist als in den Ländern der
Dritten Welt oder in den grossen
amerikanischen Städten.
Neu entdeckte Erreger
In den letzten 25 Jahren sind viele
neue Erreger entdeckt und beschrieben worden. Einige dieser
Erreger konnten die Aetiologie von
schon lange bekannten Infektionen
aufklären (z. B. Legionella spp.,
Bartonella henselae), andere Erreger klärten die Ursache von neu
beobachteten unklaren Infektionen auf (z. B. Human Immunodeficiency Virus) oder von bisher nicht
als Infektionen beurteilten Krankheiten (z. B. Helicobacter pylori).
Diese lange Liste von neu entdeckten Erregern auf Seite 25
zeigt, dass die Infektionskrankheiten auch im 20. Jahrhundert nichts
von ihrer Gefährlichkeit verloren
haben und mit immer neuen Überraschungen gerechnet werden
muss. Das Beispiel der HIV-Infektion zeigt jedoch auch, dass heute
vom Erkennen einer neuen Krankheit bis zur Aufklärung des Erregers nur noch wenige Jahre
liegen.
Neue Bedrohungen durch alte
Erreger
Neben den neuen Erregern und
Krankheiten sind in den letzten
10 Jahren auch viele alte Erreger
entweder neu epidemisch aufgetreten, mit neuem Krankheitsbild
beobachtet worden oder wegen
Antibiotikaresistenz gefährlicher
geworden. Beispiele für neue Epi-
demien sind z. B. das hämorrhagisches Ebola Fieber, welches 1995
in Zaire beobachtet worden ist,
oder die Diphtherie, welche 1993
auf Grund der ungenügenden
Durchimpfung der Bevölkerung in
Russland neu aufgetreten ist. Ende
80iger und in den 90iger Jahren
wurden neu bzw. vermehrt lebensgefährliche Manifestationen der
Infektion mit Grupppe A Streptokokken, nämlich der toxische
Schock und die Streptokokkenmyositis beobachtet. Eine neue Bedrohung sind auch die multiresistenten Bakterien, welche erahnen
lassen, dass eine postantibiotische
Ära möglich ist, falls wir nicht sorgfältig mit den Antibiotika umgehen.
Beispiele dieser weltweit beobachteten Erreger sind die Vancomycin-resistenten Enterokokken, die
Penicillin- und Makrolid-resistenten Pneumokokken, sowie der Methicillin-resistente und schliesslich
der auf Vancomycin und somit
auf alle Antibiotika resistente S.
aureus.
Ursachen für die neue
Bedrohung durch Infektionskrankheiten
Für einige der erwähnten neuen
Probleme gibt es Erklärungen und
somit auch potentielle Lösungen.
Die Tabelle auf der gegenüberliegenden Seite fasst diese zusammen.
Einige der beschriebenen
neuen Probleme sind der Preis für
Fortschritte in der Medizin und
somit inhärent in der neuen Tech-
27
Ursachen für die neue Bedrohung durch Infektionskrankheiten
Faktoren
Beispiele (Krankheiten / Erreger)
Invasivere Medizintechnik
Katheterinfektionen mit multiresistenten
Enterokokken oder Staphylokokken
Internationale Reisen
Cholera in Nordamerika, Denguefieber
Vernachlässigte Impfprogramme
Diphtherie in Russland
Antibiotika in Tiermast
Vancomycin-resistente Enterokokken,
Chinolon-resistente Campylobacter
Sexualverhalten (Promiskuität)
HIV-Infektion, resistente Gonokokken
Bau von grossen Staudämmen
Rift Valley Fieber in Ostafrika
Antibiotikamissbrauch
Infektionen mit multiresistenten Erregern
Transplantation, Immunsuppression
Opportunistische Erreger (z. B. CMV,
Pneumocystis carinii)
Intravenöser Drogengebrauch
HIV-, HCV-, HBV-Infektion
Geflügel- und Schweinehaltung auf engem Raum
Neue Influenzaviren
nologie verankert. Andere Probleme sind entweder durch die Veränderung des individuellen Verhaltens («Safer Sex»), durch kollektive
Verbesserung der Antibiotikaverschreibung, durch Zurückhaltung
bei ökologisch invasiven Projekten
(Stauseen, Waldrodung) oder
durch staatliche Vorschriften (Verbot von Antibiotika in der Tiermast)
zu lösen. Das Bewusstwerden der
neuen Bedrohung durch Infektionskrankheiten ist der beste
Schutz vor einem zukünftigem Anstieg der Infektionsmorbidität und
-mortalität.
28
Jeden Winter eine Grippeepidemie –
wann folgt aber die nächste Pandemie?
Prof. Dr sc. nat.
Werner Wunderli,
Laboratoires centrales
de virologie,
Genève
Einleitung
Die Presse schenkt dem Thema
«Grippe» jedes Jahr sehr viel Aufmerksamkeit. Regelmässig wird
auch die Frage nach der nächsten
Pandemie gestellt. Das Problem ist
vielschichtig und obwohl die Wissenschaft in letzter Zeit grosse
Fortschritte gemacht hat, kann
niemand genaue Voraussagen
machen. Zwar können viele Phänomene besser gedeutet werden,
doch ist eine abschliessende Erklärung noch nicht möglich. Vieles
weist aber darauf hin, dass das
Auftreten von Epidemien und Pandemien vor allem auf spezielle
Eigenschaften der Grippeviren
zurückzuführen ist.
Epidemien
Epidemien, welche durch Influenzaviren verursacht werden, treten
bei uns mit einiger Regelmässigkeit
im Winter auf. Durch Influenza A
verursachte Epidemien beobachtet
man im allgemeinen in der Periode
Dezember bis Januar, während Influenza B Viren ihre grösste Aktivität in den Monaten Februar und
März zeigen.
Warum kommt es überhaupt
zu Epidemien? Die Gründe liegen
vor allem in einigen speziellen
Eigenschaften des Influenza Virus.
Diese sind sogenannte RNS Viren,
deren Genom aus RNS Segmenten
besteht. Bei der Replikation dieser
RNS Genomstücke treten Fehler
auf, welche nicht korrigiert werden. Es kommt zu Mutationen.
Durch die Anhäufung solcher Mu-
tationen in den Genomen, welche
für gewisse Oberflächenproteine
kodieren, gelingt es den Grippeviren, ihre Oberfläche laufend zu
verändern. Vor allem an zwei Oberflächenproteinen, dem sogenannten Hämagglutinin und der Neuraminidase, können solche strukturellen Veränderungen beobachtet
werden. Man nennt diese Veränderungen den «antigenic drift». Da
schützende Antikörper vor allem
gegen diese Proteine gerichtet
sind, ist nun leicht einzusehen,
dass durch die Veränderung der
Oberfläche dieser Viren, bestehende, zirkulierende Antikörper ihre
Wirksamkeit allmählich verlieren
und die Individuen gegen die neuen
Varianten nicht mehr genügend
geschützt sind.
Die Übertragung der Grippeviren ist zudem sehr leicht, da dies
vor allem durch Tröpfcheninfektionen geschieht. Offenbar sind die
Bedingungen für eine solche Übertragung bei uns vor allem im
Winterhalbjahr günstig, so dass es
dann zu einer epidemischen Ausbreitung der Infektion kommen
kann.
Pandemien
Die Ursachen von Pandemien hingegen sind in einer weiteren speziellen Eigenschaft des Grippevirus
zu suchen. Influenzaviren besitzen,
wie schon erwähnt, ein segmentiertes Genom. Bei Doppelinfektionen mit zwei Viren verschiedener
Herkunft in einem gemeinsamen
Wirt können die Segmente bei den
29
Tabelle 1: Zusammenfassung der wichtigsten Unterschiede epidemischer und pandemischer
Influenzaviren
Art der Veränderung
Ursache
Immunität in der
Bevölkerung
Konsequenzen
Epidemisches Virus
Entsteht aus einem
bekannten Virus durch
Anhäufung von
Mutationen
(«antigenic drift»).
Kreuzreagierende
Antikörper sind in einem
grossen Teil der
Bevölkerung vorhanden.
Unterschiedliche
Infektionsraten, welche
zu lokalen oder
regionalen Ausbrüchen
führen.
Pandemisches Virus
Entsteht durch «antiWenig oder keine
genic shift». Influenza A Immunität in der
Virus mit bisher unbeBevölkerung vorhanden.
kanntem Hämagglutinin
und/oder Neuraminidase
entstehen in einem
gemeinsamen Wirt.
Normalerweise hohe
Infektionsrate mit hoher
Morbidität und
Mortalität.
«Nachkommen» beliebig verteilt
werden. Dadurch können Viren mit
völlig neuen Kombinationen entstehen.
Woher kommen aber diese
andersartigen Viren? In der Tierwelt existiert ein sehr grosses Reservoir von verschiedenen Typen
von Grippeviren. Vor allem bei den
Vögeln kommen praktisch alle
Typen von Influenza A Viren vor.
Viren können aber nicht ohne weitere Adaptation von einer Spezies
zur andern (so zum Beispiel von der
Ente auf den Menschen) überspringen. Dazu braucht es eine Anpassung an den neuen Wirt. Verschiedene Beobachtungen zeigen, dass
eine solche Adaptation in einem
gemeinsamen Wirt möglich ist. Ein
solcher Wirt ist das Schwein. Dieses kann sich mit Stämmen infizie-
ren, welche von Vögeln und von
Menschen stammen. Erfolgt eine
Doppelinfektion, dann ist der vorhin beschriebene Austausch von
Genomen unterschiedlicher Herkunft möglich. Entstehen nun Viren
mit völlig neuartigen Oberflächenproteinen, welche den Menschen
befallen können, ist leicht einzusehen, dass dagegen keine Immunität
besteht. Es kommt dann zu einer
weltweiten Ausbreitung der Infektion. Diese Veränderung bezeichnet man als «antigenic shift». Im
Gegensatz zum «antigenic drift»
sind dies offenbar seltene Ereignisse und erfordern spezielle Voraussetzungen. Pandemien treten
unregelmässig auf und es sind darüber keine Voraussagen möglich.
Dies wird auch durch die Häufigkeit von Pandemien im letzten
30
Jeden Winter eine Grippeepidemie – wann folgt aber die nächste Pandemie?
Jahrhundert illustriert. 1918, 1957,
1968 und 1977 traten Pandemien
mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen auf.
In Tabelle 1 sind die wesentlichen Eigenschaften von Viren,
welche Epidemien oder Pandemien
verursachen, nochmals zusammengefasst.
Konsequenzen einer Grippeerkrankung
Epidemiologische Beobachtungen
haben gezeigt, dass bei Epidemien
und noch ausgeprägter bei Pandemien schwerwiegende Folgen zu
beobachten sind:
Todesfallrate: Grippeepidemien und Pandemien haben einen
nachweisbaren Einfluss auf die
Anzahl der Todesfälle. Man nennt
dies «excess mortality». Bei einer
Epidemie sind vor allem ältere Personen und Leute mit chronischen
Erkrankungen betroffen. Diese
Situation kann aber im Falle einer
Pandemie völlig anders sein und
nicht nur Leute aus Risikogruppen
betreffen, sondern auch sonst gesunde Personen.
Morbidität: während einer
Epidemie und noch viel ausgeprägter während einer Pandemie können fast gleichzeitig eine grosse
Anzahl von Personen erkranken.
Dadurch kommt es zu einer beträchtlichen Belastung des Arztes
und des gesamten Gesundheitswesens. Dies vor allem auch deshalb, weil Personen vermehrt wegen Komplikationen hospitalisiert
werden müssen. Dies kann vor
allem im Falle einer Pandemie zu
Engpässen im Gesundheitswesen
führen, welche schwierig zu handhaben sind.
Durch die grosse Zahl von
Arbeitsabsenzen kann es für die
Wirtschaft und die Versorgung zu
ernsthaften Problemen kommen,
da im Falle einer Pandemie 20 bis
25% der Bevölkerung betroffen
sein können. Absenzen in einem
solchen Ausmasse werden notgedrungen zu Schwierigkeiten führen, da das Funktionieren der Betriebe nicht mehr gewährleistet
werden kann.
Vorhersage von Pandemien
Wie schon erwähnt, treten Grippewellen einigermassen regelmässig
auf. Aber das Auftreten völlig
neuer Stämme mit pandemischen
Eigenschaften ist nicht voraussehbar. Vom grossen tierischen Reservoir an Influenza A Viren werden
immer wieder Infektionen auf
andere Arten, unter anderem auch
auf den Menschen, übertragen.
Tierpathogene Viren verschiedenen Ursprungs können immer wieder Menschen infizieren. Ein typisches Beispiel war das Influenza A
H5N1 Virus in Hongkong welches
von den Hühnern direkt auf den
Menschen übertragen werden
konnte. Sechs Menschen starben
an dieser Infektion. Glücklicherweise hat man diesem Virus keine
Chance gegeben, sich an den Menschen anzupassen, da durch die
Elimination der Hühner das Reservoir vernichtet wurde. Dies zeigt
31
Tabelle 2: Aktionsplan im Falle einer Pandemie
Stufen
Vorgehen
Stufe 0: Vorbereitende Massnahmen in drei
Prioritätsstufen
Überwachung der weltweiten Grippeaktivität,
um entscheiden zu können, ob ein neues Virus
gefährlich ist. (Normalfall des Überwachungssystems)
Stufe 1: Beginn einer Pandemie
Deklaration der Pandemie durch die «task force»
der WHO nach erfogtem Beweis, dass ein neues
Virus zirkuliert und Ausbrüche verursacht
Stufe 2: Regionale und multiregionale Ausbrüche
Koordination der Aktivitäten zur Prävention
zwischen den Ländern durch die WHO
Stufe 3: Abflauen der ersten Welle in den
ursprünglichen Regionen und gleichzeitig
weltweite Ausbreitung
Koordination der Aktivitäten zur Prävention
zwischen den Ländern durch die WHO
Stufe 4: Weitere Wellen im Abstand von
3 bis 9 Monaten
Massnahmen zur Prävention weiterer Wellen
Stufe 5: Ende der Pandemie
Deklaration des Endes der Pandemie durch
die WHO (normalerweise nach 2 bis 3 Jahren)
deutlich, dass es nur dann zu einer
Pandemie kommt, wenn sich das
Virus genügend an den Menschen
anpassen kann und dadurch in
der Bevölkerung zu zirkulieren
beginnt.
Aktionsplan im Falle einer
Pandemie
Aus den vorher erwähnten Gründen ist eine Voraussage der nächsten Pandemie nicht möglich. Die
Gefahr, dass sich ein verändertes
Virus sehr rasch ausbreiten wird,
ist aber wegen der ständig wachsenden Weltbevölkerung und auch
wegen der grossen Mobilität sehr
gross. Die Folgen wären dann in
einem solchen Falle auch entsprechend schwer wiegend. Aus diesem
Grunde hat die WHO einen Aktionsplan ausgearbeitet mit dem Ziel,
solche Situationen besser meistern
zu können. Dies ist kein Modellplan
sondern ein Hilfsmittel für die
nationalen Gesundheitsbehörden.
Sein Zweck lässt sich wie folgt
beschreiben:
Er stellt ein Hilfsmittel dar für
die nationalen Gesundheitsbehörden, damit diese einen
ihren Bedürfnissen angepassten Plan ausarbeiten können.
32
Jeden Winter eine Grippeepidemie – wann folgt aber die nächste Pandemie?
Er regelt die Rolle der WHO und
der Gesundheitsbehörden im
Falle einer Pandemie. Dies ist
besonders wichtig, da bei einer
Pandemie Probleme auftreten,
welche nicht nur auf nationaler
Ebene gelöst werden können.
Der Plan soll helfen, die Verteilung von Impfstoff und Medikamenten zu regeln. Dies vor
allem darum, weil es im Falle
einer Pandemie zu Engpässen
kommt.
Die Verhütung von Panik in der
Bevölkerung ist ein wichtiges
Ziel aller Massnahmen. Dies ist
keine leichte Aufgabe, da es
bei Engpässen sehr leicht
zu Panikreaktionen kommen
kann.
Auch die Schweiz hat, basierend
auf den Empfehlungen der WHO,
einen Aktionsplan ausgearbeitet.
Dieser ist ähnlich strukturiert wie
derjenige der WHO. Der Plan ist im
Augenblick bei den verschiedenen
interessierten Kreisen in einer Vernehmlassung. Er verfolgt verschiedene Ziele und soll auch helfen,
schwierige Situationen besser
meistern zu können. Darunter fallen folgende Punkte:
Durch vorsorgliche Massnahmen sollen die Auswirkungen
einer Pandemie vermindert
werden, so zum Beispiel durch
gezielte Impfungen von Personen- oder Patientengruppen.
Es ist deshalb wichtig, dass
schon in epidemischen Situationen der Prävention vor allem
bei Risikogruppen eine grosse
Bedeutung beigemessen wird.
Durch Massenimpfung soll die
Morbidität vermindert werden.
Dies setzt aber voraus, dass
Impfstoff in genügender Menge
und rechtzeitig zur Verfügung
steht.
Er soll auch Engpässe im
Gesundheitswesen regeln.
Durch die grosse Zahl von
Erkrankungen können gewisse
Dienste im Gesundheitswesen
völlig überlastet und dadurch
blockiert werden.
Die Grundversorgung der Bevölkerung muss sichergestellt
werden. Durch ein gehäuftes
Auftreten von Erkrankungen
können die öffentlichen Dienste
zum Teil nicht mehr aufrecht
erhalten werden. Der Plan soll
dem durch geeignete Massnahmen entgegenwirken.
Gewährleistung der Sicherheit
Es ist völlig klar, dass nicht alle Probleme im voraus geregelt werden
können. Das Massnahmenpaket
will aber auch Denkanstösse geben, damit auch neuere Erkenntnisse integriert werden können.
Impfung und Behandlungsmöglichkeiten
In allen Plänen wird der Prävention
durch Grippeimpfung ein grosses
Gewicht beigemessen. In verschiedenen Arbeiten und Studien, welche vor allem in den USA durchgeführt wurden, konnte eindeutig
gezeigt werden, dass eine Grip-
33
peimpfung wirksam ist und vor
allem die Komplikationsrate drastisch senken kann. Die Zahl der
schwer verlaufenden Grippefälle
sinkt drastisch und das Gesundheitswesen kann entscheidend entlastet werden. Auch die Absenzen
am Arbeitsplatz werden durch die
präventive Impfung vermindert. So
gesehen ist die Impfung die kostengünstigste Lösung, auch wenn sie
jedes Jahr wiederholt werden
muss.
Es gibt heute verschiedene
Typen von Impfstoffen, welche von
ihrer Wirksamkeit her vergleichbare Resultate zeigen. Man unterscheidet folgende Typen:
Parenterale Impfstoffe: «Split
vaccines» sind Impfstoffe,
welche aufgebrochenes Virus
enthalten.
«Subunit vaccines» sind Impfstoffe, welche gereinigte
Oberflächenproteine des Virus
enthalten.
Virosomale Impfstoffe enthalten
gereinigte Oberflächenproteine,
welche in Liposomen eingebaut
sind.
Nasaler Impfstoff: Nasal applizierbarer Impfstoff, welcher
die Virusproteine in liposomaler
Form enthält.
Wie schon erwähnt, sind die verschiedenen Impfstoffe im Hinblick
ihrer Wirksamkeit vergleichbar.
Hingegen weisen sie bezüglich
Nebenreaktionen gewisse Unterschiede auf.
Im Falle einer Pandemie wird es
immer eine Phase geben, in welcher kein Impfstoff vorhanden sein
wird. Die neuen Medikamente
(Neuraminidasehemmer), welche
kürzlich in den Handel gekommen
sind, werden erlauben, die Grippeerkrankung spezifisch zu behandeln. Voraussetzung dazu ist aber,
dass mit der Behandlung innerhalb
48 Stunden nach dem Auftreten der
ersten Symptome begonnen wird.
Die Wirksamkeit dieser Medikamente konnte in verschiedenen klinischen Studien belegt werden. Vor
allem werden die Krankheitsdauer,
die Absenz von der Arbeit, die Häufigkeit der Komplikationen und die
Rate der Sekundärinfektionen reduziert. Eines der Medikamente
kann auch zur Prävention eingesetzt werden. Die Neuraminidasehemmer ersetzten die Impfung
nicht, sind aber in gewissen speziellen Situationen hilfreich, so
zum Beispiel bei Ausbrüchen in
Alters- und Pflegeheimen, wo man
andere Insassen schützen will. Der
Schutz dauert aber jedoch nur so
lange als das Medikament eingenommen wird.
Probleme
Trotz sorgfältiger Planung können
gewisse Fragen und Probleme
nicht befriedigend im voraus gelöst
werden. Es wird auch nicht leicht
sein, eine Panik zu verhindern.
Dies vor allem aus folgenden Gründen:
Der Impfstoffhersteller kann
aus technischen Gründen nur
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Jeden Winter eine Grippeepidemie – wann folgt aber die nächste Pandemie?
mit einer Verzögerung von 4 bis
6 Monaten Impfstoffe in genügender Mengen auf den Markt
bringen. Die Produktion kann
erst beginnen, wenn der Stamm
zur Produktion freigegeben
worden ist. In diesem Zeitraum
ist es also nicht möglich, Personen gezielt durch eine Impfung
zu schützen. Deshalb muss diese Periode anders überbrückt
werden, z. B. durch die neuen
Medikamente. Wenn deren
Anwendung für diese Phase
aber nicht im voraus geplant
wird, sind auch diese im Notfall
nicht in genügender Menge vorhanden, um den sprunghaft
ansteigenden Bedarf weltweit
zu decken.
Wenn wir für eine solche Situation
gewappnet sein wollen, bleibt noch
einiges zu tun. Ziel muss es sein,
ein wirksames Instrument in dem
Moment zur Verfügung zu haben,
da in unserem System nicht mehr
alles wie gewohnt funktionieren
wird.
35
Der praktische Fall
Antrag
Ein 37-jähriger, selbständig erwerbender Coiffeur, verheiratet, beantragte bei uns folgende Lebensversicherung auf Endalter 65:
Gemischte Versicherung von
144 000 CHF, fällig im Todesoder Erlebensfall.
Jährliche Erwerbsunfähigkeitsrente von 12 000 CHF mit einer
Wartefrist von 24 Monaten.
Prämienbefreiung bei Erwerbsunfähigkeit mit einer Wartefrist
von 24 Monaten für den ganzen
Vertrag.
Der Antragsteller ist 172 cm gross
und 65 kg schwer. Aus den Gesundheitsfragen ging hervor, dass er
sich vor drei Jahren wegen einer
Diskushernie einem Spitalaufenthalt unterzogen hatte. Nun sei die
Behandlung der WirbelsäulenBeschwerden aber abgeschlossen
und alles in Ordnung.
Medizinischer Befund
Nach dieser Selbstdeklaration haben wir mittels Arztanfrage und
speziellen Fragen zur Wirbelsäule
den behandelnden Arzt um zusätzliche Informationen gebeten. Beim
lumboradikulären Syndrom L5/S1
mit medialer Diskushernie L4/5
konnte mit einer konservativen
Behandlung eine Besserung erreicht werden. Gleichzeitig erfuhren wir aber auch, dass zufällig
eine minimal aktive, chronisch
aggressive Hepatitis C entdeckt
und durch eine Leberbiopsie bestätigt wurde. Auf eine Interferon-
Behandlung hat der Patient nicht
angesprochen.
Versicherungsmedizinische
Beurteilung
Nun trat für uns das WirbelsäulenProblem in den Hintergrund. Denn
jetzt ging es primär darum, die
möglichen Folgen einer HepatitisC-Virus(HCV)-Infektion aus der
Sicht des Versicherers zu beurteilen. Dabei handelte es sich um eine
eindeutige Anzeigepflichtverletzung des Antragstellers.
Da die chronisch aggressive
Hepatitis C durch eine Leberbiopsie bestätigt war, gingen wir
davon aus, dass sich innerhalb der
Vertragsdauer von 28 Jahren mit
grosser Wahrscheinlichkeit eine
Leberzirrhose oder ein LeberzellKarzinom (HCC) entwickeln wird.
Somit mussten wir diesen Antrag
ablehnen.
Kommentar
Bei der Infektion durch das HCV
handelt es sich um eine schwerwiegende Erkrankung mit möglicherweise erheblichen Konsequenzen bei der Tarifierung in der
Lebensversicherung. Seit 1990
werden alle Blutspender routinemässig auf Hepatitis-C-Antikörper
getestet. Seither sind die Neuinfektionen deutlich rückläufig. Heute
erfolgt die Ansteckung durch
infizierte Spritzen und häufig
wechselnden, ungeschützten sexuellen Kontakt. Die Safer-SexKampagne und die sterile Spritzenabgabe sind heute die wichtigs-
Peter Suter,
Winterthur
36
Der praktische Fall
ten primären Präventionsmassnahmen.
HCV-Infektionen verlaufen
mehrheitlich klinisch unauffällig
oder werden von unspezifischen
Symptomen begleitet. Nur rund ein
Viertel aller Infektionsfälle weisen
das klinische Bild einer VirusHepatitis auf. Gerade in diesem
«stummen» Verlauf der meisten
Erkrankungen liegt einerseits die
grundlegende Schwierigkeit einer
genauen Beurteilung der Langzeitfolgen der Hepatitis C. Andererseits
entsteht für den Versicherer ein
generelles Risikopotential, da sich
viele Antragsteller ihrer HCV-Infektion gar nicht bewusst sind.
Schlussbemerkung
Die Ablehnung wurde vom Antragsteller ohne weiteres akzeptiert.
Inwieweit unser Entscheid im
konkreten Einzellfall richtig war,
kann anhand einer Verlaufskontrolle nicht nachgeprüft werden, da
sich ein abgewiesener Antragsteller nicht mehr in unserem Versicherten-Bestand befindet und wir
auch keine neuen Informationen
mehr erhalten.
Schweizerischer Versicherungsverband
Association Suisse d’Assurances
Associazione Svizzera d’Assicurazioni
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