Skript - walser-h-m.ch

Werbung
Hans Walser
Mathematik für die Sekundarstufe 1
Modul 404
Axiomatik und Unterricht
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
Modul 404 für die Lehrveranstaltung: Mathematik für die Sekundarstufe 1
Herbst 1999 Vortragsskript, GDM-Arbeitskreis Geometrie
Sommer 2000 Überarbeitung und Erweiterung
Sommer 2004 Straffung, Ergänzung, neue Kapiteleinteilung
Sommer 2006 Mehrere Änderungen
Frühjahr 2008 Ergänzungen. MathType
Frühjahr 2010 Geändertes Layout
last modified: 6. Juni 2014
Hans Walser
http://www.walser-h-m.ch/hans
ii
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
iii
Inhalt
1 Was gehört wie in den Unterricht? ..............................................................................1 1.1 „Konstruieren mit Zirkel und Lineal“ ..................................................................1 1.2 Logisches Denken ................................................................................................2 1.2.1 Drei Sorten von Logikern ...........................................................................2 1.2.2 Lern- und Arbeitstechnik ............................................................................3 2 The toolbox of Euclid ..................................................................................................3 3 Lineal und feste Zirkelöffnung ....................................................................................3 4 Unmögliche Konstruktionen........................................................................................4 4.1 Winkeldrittelung...................................................................................................4 4.1.1 Messen und Rechnen ..................................................................................5 4.1.2 Näherungsverfahren ....................................................................................5 4.1.3 Mechanische Geräte....................................................................................5 4.1.4 Uhr ..............................................................................................................5 4.1.5 Einpasslineal (ARCHIMEDES) ......................................................................6 4.1.6 Noch ein Einschiebegerät ...........................................................................7 4.1.7 Winkeldrittelung durch Falten ....................................................................9 4.1.8 Dynamische Geometrie Software .............................................................10 4.2 Würfelverdoppelung...........................................................................................11 4.3 Quadratur des Kreises ........................................................................................11 4.3.1 Im alten Ägypten ......................................................................................11 4.3.2 Vieta ..........................................................................................................12 5 Erfahrungen im Unterricht.........................................................................................12 5.1 Elementargeometrie............................................................................................12 5.1.1 Die Axiome von EUKLID ..........................................................................12 5.1.2 Modelle dazu ............................................................................................12 5.2 Beispiel mit mehreren Modellen ........................................................................13 5.2.1 Modell 1 ....................................................................................................13 5.2.2 Modell 2 ....................................................................................................13 5.2.3 Modell 3 ....................................................................................................13 5.2.4 Modell 4 ....................................................................................................13 5.2.5 Modell 5 ....................................................................................................14 5.3 Verschiedene Interpretationen ............................................................................14 5.4 Hyperbolische Geometrie ...................................................................................15 5.4.1 Ein Modell ................................................................................................15 Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
1
1 Was gehört wie in den Unterricht?
Die Axiomatik gehört zu den Themen, welche implizit im Rahmen des üblichen Mathematikunterrichtes behandelt werden. Eine spezielle Erwähnung der Axiomatik in
Lehrplänen hätte leicht zur Folge, dass diese losgelöst von mathematischem Kontext ein
Eigenleben zu führen beginnt und von den Lernenden als krauses Beiwerk wahrgenommen wird, das für die prüfungsrelevanten mathematischen Fähigkeiten unwichtig
ist oder gar störend ist.
Im folgenden einige historische Beispiele von Themen, die durch die explizite Forderung, sie im Unterricht zu behandeln, dem Unterricht eher geschadet als genützt haben.
1.1 „Konstruieren mit Zirkel und Lineal“
Aus der simplen Frage: Welcher Teil der Scheibe wird gewischt? —
Der Scheibenwischer und die Windschutzscheibe
wird dann folgende Grässlichkeit: Konstruieren Sie mit Zirkel und Lineal den gesamten
Rand desjenigen Gebietes, das vom Scheibenwischer (Strecke AB ) bei einer Drehung
um den Punkt C um 150° im Uhrzeigersinn überstrichen wird. Bemerkung: Der Hebelarm (Strecke CD ) ist starr mit dem eigentlichen Scheibenwischer (Strecke AB ) verbunden.
B
D
A
C
Didaktische Aufarbeitung
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
2
Die fast rituelle Formulierung „Konstruieren mit Zirkel und Lineal“ – oft verkürzt zu
„Konstruieren“ – will an die EUKLIDische Geometrie mit ihrer axiomatischen Beschränkung der zugelassen Hilfsmittel anknüpfen. Den Schülerinnen und Schüler ist dies aber
nicht klar, und sie wundern sich vielleicht, warum dann doch für das Zeichnen eines
rechten Winkels das Geodreieck verwendet wird.
1.2 Logisches Denken
Die Fähigkeit zu logischem Denken ist sicher ein erstrebenswertes Bildungsziel. Ihre
explizite Forderung in den Lehrplänen der 70-er Jahre – vielleicht war es auch nur eine
Modeerscheinung bei innovativen Lehrpersonen – führte dann aber zu Veräußerlichungen wie etwa dem Umgang mit Wahrheitswertetabellen.
p
q
p
q
0
0
0
0
1
0
1
0
0
1
1
1
Erinnerung an die 70-er Jahre
1.2.1 Drei Sorten von Logikern
Es gibt drei Sorten von Logikern: Solche, die auf drei zählen können, und solche, die
dies nicht können. [Ernst Specker]
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
3
1.2.2 Lern- und Arbeitstechnik
Kaum eine Schule, welche nicht Lern- und Arbeitstechnik anbietet. (Figur aus [Metzger
1995]).
Kommentar einer Schülerin: Was einen interessiert, lernt man auch ohne Lerntechnik,
und das andere lohnt sich nicht zu lernen.
2 The toolbox of Euclid
EUKLID hat lediglich zwei Werkzeuge zugelassen: Zirkel (mit beliebigem Radius) und
Lineal.
Wenn man tatsächlich nur mit diesen Werkzeugen arbeiten müßte, wäre schon ein rechter Winkel jedesmal ein mittleres Büro. Im Alltag arbeiten wir mit Instrumenten, welche
verschiedene mit Zirkel und Lineal durchgeführte Grundkonstruktionen in einem Schritt
anbieten. Beispiele: Geodreieck, Makros bei dynamischer Geometrie Software.
3 Lineal und feste Zirkelöffnung
Wir können uns fragen, welche Konstruktionen allenfalls mit einer gegenüber EUKLID
reduzierten Werkzeugkiste noch möglich sind.
Beispiel:
Problemstellung: Welche Grundkonstruktionen der EUKLIDischen Elementargeometrie
(zum Beispiel „Mittelpunkt einer Strecke“, „Senkrechte von einem Punkt auf eine Gerade“, „Abtragen einer Strecke“ usw.) sind noch möglich, wenn nur folgende Werkzeuge zugelassen sind (vgl. [Lindbichler 2000]):
• Ein Lineal ohne Markierungen
• Ein Zirkel mit fester Öffnung (es können also nur Kreise mit einem bestimmten vorgegebenen Radius gezeichnet werden)
Hinweis: Versuchen Sie, einige Grundkonstruktionen zu finden und dann mit deren
Hilfe neue Konstruktionen als Makros aufzubauen.
Das Problem ist nicht neu; es kann sogar gezeigt werden, dass diese eingeschränkten
Werkzeuge gegenüber der klassischen EUKLIDischen Geometrie keine Einschränkung
bedeuten. Was mit Zirkel und Lineal möglich ist, ist auch mit einem eingerosteten Zirkel und Lineal möglich.
Es ist aber erstaunlich, mit welchem Engagement die Studierenden versuchen, eine eigene „Geometrie“ auf dieser eingeschränkten Basis aufzubauen. Auch für einfache
Probleme gibt es verschiedene mehr oder weniger elegante Lösungswege. So wird etwa
die Frage nach dem Mittelpunkt einer Strecke meist nach folgendem Verfahren gelöst:
Man/frau arbeitet sich von beiden Enden her in gleich vielen Schritten gegen die Mitte,
bis man/frau „genügend nahe“ ist und wendet dann das vom Schulunterricht her bekannte Verfahren an. Bei diesem Verfahren hängt die Anzahl der benötigten Schritte
von der Länge der vorgegebenen Strecke ab.
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
4
Mittelpunkt in Schritten
Die elegantere Methode arbeitet mit zwei gleichseitigen Dreiecken.
Elegante Methode
Die Anzahl der Konstruktionsschritte ist hier von der Streckenlänge unabhängig.
4 Unmögliche Konstruktionen
Unter den Werkzeug-Vorgaben von EUKLID gibt es einige Konstruktionsaufgaben, welche nicht durchführbar sind.
Beispiele:
• Winkeldrittelung
• Würfelverdoppelung
• Quadratur des Kreises (Konstruktion eines zu einem vorgegebenen Kreis flächengleichen Quadrates, Konstruktion einer Strecke von der Länge des Umfanges eines
vorgegebenen Kreises)
Es bedurft oft schwieriger mathematischer Überlegungen, um die prinzipielle Unlösbarkeit dieser Probleme nachzuweisen.
Trotzdem gibt es Lösungen dieser Probleme. Einige sind Näherungslösungen, die aber
eine für den Alltag genügende Genauigkeit haben, andere Lösungen ergeben sich unter
Verwendung zusätzlicher Hilfsmittel und Werkzeuge.
4.1 Winkeldrittelung
Dass die Winkeldrittelung „unmöglich“ ist, verstehen Schülerinnen und Schüler zu
Recht nicht. Es ist wiederum eine Frage der zulässigen Methoden. Mögliche Zugänge:
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
5
4.1.1 Messen und Rechnen
Der Winkel wird gemessen, die Maßzahl durch drei geteilt, dann ein Drittel des Winkels
abgetragen.
4.1.2 Näherungsverfahren
Gibt es Näherungsverfahren, um einen Winkel mit Zirkel und Lineal in drei gleich große Teile zu teilen?
Da ein Winkel mit Zirkel und Lineal halbiert werden kann, ist ein Drittelswinkel analog
1 + 1 + ! approximierbar.
zur Dualbruchentwicklung von 13 = 14 + 16
64
4.1.3 Mechanische Geräte
Die Figur zeigt ein Beispiel (Nachbau nach einem Gerät im Deutschen Museum, München).
Gerät zur Winkeldrittelung
4.1.4 Uhr
Wird eine mechanische Analog-Uhr zunächst auf Null (das heißt auf 12 Uhr) gestellt,
nachher der Minutenzeiger auf einen Winkel α gegenüber der 12-Uhr-Richtung einge-
α . Das
stellt, dann bildet der Stundenzeiger mit der 12-Uhr-Richtung den Winkel 12
Vierfache davon ist α3 .
Uhr als Werkzeug zur Winkel-Zwölftelung
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
6
Im Rahmen der Informatikunterrichtes haben meine Schülerinnen und Schüler mit
Cabri géomètre kinematische Modelle gezeichnet, in denen sich bei Bewegen eines
Punktes ganze Figurenteile mit bewegen. So ist es auch möglich, eine Uhr zu zeichnen,
deren Zeiger sich im richtigen Verhältnis drehen lassen. Allerdings ist das nicht im oben
vorgestellten Sinn einer Abhängigkeit des Stundenzeigers vom Minutenzeiger möglich.
Es geht nur umgekehrt, dass am Stundenzeiger gedreht werden kann und der Minutenzeiger dann zwölf Mal so schnell dreht. (Cabri géomètre II hat zwar ein Winkeldrittelungsmakro, das aber nur in einem beschränkten Winkelbereich funktioniert. Eine Uhr
mit Abhängigkeit des Stundenzeigers vom Minutenzeiger lässt sich auch da nicht bauen.)
4.1.5 Einpasslineal (ARCHIMEDES)
Wir benötigen ein Lineal mit zwei Marken sowie die Erlaubnis, dieses Lineal auf zwei
verschiedenen Kurven mit einer Marke auf je einer Kurve einzupassen.
A
B
Einpasslineal
Damit ist eine exakte Winkeldrittelung möglich (beim Scheitel A der Figur entsteht der
Winkel α3 ):
A
B
B
A
Winkeldrittelung mit Einpasslineal
Auf Grund dieses Verfahrens lässt sich ein mechanisches Gerät zur Winkeldrittelung
bauen (vgl. [Schönwald 1999]).
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
7
Winkeldreiteilung nach ARCHIMEDES
4.1.6 Noch ein Einschiebegerät
Idee: Albert Gächter. Das Winkeldreiteilungsgerät besteht aus einer Geraden, einem
Halbkreis und einer Punktmarke, welche spiegelbildlich zum Halbkreiszentrum bezüglich der Geraden liegt.
Das Gerät
Ein solches Gerät kann als Figur auf transparenter Folie oder Plexiglas eingesetzt werden oder in klassischer Manier als Holzgerät.
Holzgerät
Dieses Gerät wird nun einem Winkel so eingepasst, dass die Gerade durch den Winkelscheitel verläuft, die Punktmarke auf einem der beiden Schenkel liegt und der Halbkreis
den anderen Schenkel berührt.
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
8
Einpassen des Gerätes
Berührung
3
Gerade durch Scheitel
Punkt auf Schenkel
Anwendung des Gerätes
Dann ist der Winkel zwischen dem unteren Winkelschenkel und der Geraden des Gerätes ein Drittel des Ausgangswinkels.
Die Richtigkeit dieses Verfahrens ergibt sich aus der folgenden Figur.
3
Beweisfigur
Die drei rechtwinkligen Dreiecke sind kongruent.
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
9
4.1.7 Winkeldrittelung durch Falten
In einem Rechteck (die Ausmaße sind beliebig) sei ein Winkel α gemäß Figur eingezeichnet, also α = ! ( BAE ) .
E
D
F
A
E
D
E
C
D
G
F
G
H
I
B
A
B
C
D
F*
F
H
C
E
C
H*
G
F*
H*
A*
A
G
F
I
H
B
A
A* I
3
B
Faltsequenz
Faltvorgehen:
a) Parallele FG zu AB, die Höhe dieser Parallelen ist beliebig.
b) Mittelparallele HI zu den Parallelen AB und FG.
c) Linke untere Ecke so umfalten, dass die Ecke A auf die Gerade HI und gleichzeitig
der Punkt F auf den Winkelschenkel AE zu liegen kommen. Die Faltbilder von A
und F sind mit A* beziehungsweise F* bezeichnet.
d) Zurückfalten. Es ist ! ( BAA *) = α3
Begründung (Beweisfigur): Die drei rechtwinkligen Dreiecke AA*A’, AA*H* und
AF*H* sind kongruent.
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
10
E
D
C
F*
F
G
H*
H
A* I
A
A'
B
Beweisfigur
4.1.8 Dynamische Geometrie Software
Dynamische Geometrie Software (Cabri-géomètre, Euklid, Sketchpad, Cinderella) hat
einen Zugmodus. Dieser erlaubt, einen Punkt zu verändern, worauf die ganze auf diesem
Punkt basierende Konstruktion entsprechend verändert wird. Dies kann zur Winkeldrittelung ausgenützt werden: Zu einem gegebenen Winkel α, welcher gedrittelt werden
soll, zeichnen wir einen zweiten Winkel ϕ, wobei die beiden Winkel einen Schenkel
gemeinsam haben sollen. Dann verdreifachen wir den Winkel ϕ und vergrößern oder
verkleinern ihn mit Hilfe des Zugmodus so weit, bis das Dreifache des Winkels ϕ mit
dem Winkel α übereinstimmt. In der folgenden Figur ist das in der mittleren Situation
der Fall.
Dritteln mit Zugmodus
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
11
4.2 Würfelverdoppelung
Als in Athen die Pest wütete und die Athener das Orakel um Rat fragten, wurde ihnen
beschieden, sie sollten den würfelförmigen Altar im Tempel verdoppeln. Die Athener
interpretierten das „Verdoppeln“ als Verdoppelung des Volumens. Es zeigte sich, dass
dies nicht möglich ist. Die Pest ging weiter.
Würfelverdoppelung?
Interessant ist, dass das entsprechende zweidimensionale Problem, nämlich die flächenmäßige Verdoppelung des Quadrates, ganz einfach zu lösen ist (wie?).
4.3 Quadratur des Kreises
Es ist unmöglich, zu einem gegebenen Kreis mit Zirkel und Lineal ein flächengleiches
Quadrat zu konstruieren.
Hingegen gibt es Näherungslösungen.
4.3.1 Im alten Ägypten
Die Ägypter kannten eine Näherungslösung für den Flächeninhalt eines Kreises.
s = 89 d
Kreisfläche und Quadratfläche
Wie gut ist diese Approximation?
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
12
4.3.2 Vieta
Vieta hat den Kreisumfang durch den Umfang eines rechtwinkligen Dreieckes approximiert.
b = 35 d
a = 65 d
Kreisumfang und Dreiecksumfang
Wie gut ist diese Approximation?
5 Erfahrungen im Unterricht
Es ist nahezu unmöglich, ohne Modell zu arbeiten. Schüler empfinden das Arbeiten
ohne Modell als unfair, zumal sie ahnen, dass die Lehrperson eine Modellvorstellung im
Hinterkopf hat.
Wir müssen daher versuchen, mit Modellen zu arbeiten.
5.1 Elementargeometrie
5.1.1 Die Axiome von EUKLID
Nach [Euklid 1980], S. 2-3:
Gefordert sein soll:
1. Dass man von jedem Punkt nach jedem Punkt die Strecke ziehen darf,
2. Dass man eine begrenzte gerade Linie zusammenhängend gerade verlängern kann,
3. Dass man mit jedem Mittelpunkt und Abstand den Kreis zeichnen kann,
4. Dass alle rechten Winkel zueinander gleich sind,
5. Und dass, wenn eine gerade Linie beim Schnitt mit zwei geraden Linien bewirkt,
dass innen auf derselben Seite entstehende Winkel zusammen kleiner als zwei Rechte
werden, dann die zwei geraden Linien bei Verlängerung ins unendliche sich treffen
auf der Seite, auf der die Winkel liegen, die zusammen kleiner als zwei Rechte sind.
5.1.2 Modelle dazu
Modell 1: Synthetische Geometrie
Modell 2: Analytische Geometrie
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
13
Für mich persönlich war die Bekanntschaft mit der (heute verpönten) analytischen Geometrie am Gymnasium insofern eine Sternstunde, als sie mir den Modellcharakter der
bisherigen Schulgeometrie aufzeigte. Es war nun möglich, geometrische Beweise
wahlweise anhand zweier äußerlich recht verschiedener Modelle zu führen.
5.2 Beispiel mit mehreren Modellen
1. Undefinierte Terme: [, ¥, \
2. Definierte Terme: keine
3. Axiome:
A1: Es gibt genau vier [.
A2: Zwei verschiedene [ sind \ genau ein ¥.
A3: Jedes ¥ \ genau zwei [.
5.2.1 Modell 1
[ = Maus
¥ = Katze
\ = verängstigt durch / verängstigt
5.2.2 Modell 2
[ = roter Bindfaden
¥ = blauer Bindfaden
\ = verbunden durch / verbindet
5.2.3 Modell 3
[ = großer Buchstabe
¥ = Menge von großen Buchstaben
\ = Element von / enthält
5.2.4 Modell 4
[ = Punkt
¥ = Linie
\ = verbunden durch / verbindet
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
14
5.2.5 Modell 5
[ = Linie
¥ = Punkt
\ = inzident in / inzidiert mit
Satz:
Es gibt genau 6 ¥.
Beweis?
5.3 Verschiedene Interpretationen
En Chuchitisch,
en Chuchitisch,
das isch en Tisch,
wo i de Chuchi isch.
Wird eine „Strecke“ AB im Sinne der kleinsten Fahrzeit statt der kleinsten metrischen
Länge von A nach B gesucht, ergibt sich ein vom EUKLIDischen Geradenbegriff abweichender Geradenbegriff der RIEMANNschen Geometrie.
Ein äquivalentes Modell, aber im Sinne der Längenmessung mit dem Meterband, ergibt
sich durch die Annahme eines „Berges“ im Zentrum. Dann ist es kürzer, um den Berg
herumzufahren als über den Berg.
Berg im Zentrum
Hans Walser: Modul 404, Axiomatik und Unterricht
15
5.4 Hyperbolische Geometrie
5.4.1 Ein Modell
Denken wir uns eine Stadt, die statt im Zentrum an den Rändern immer dichter (bis
unendlich dicht) überbaut ist, ergibt sich ein Modell der hyperbolischen Geometrie. Die
Fahrzeit an den Stadtrand ist unendlich, wir kommen gar nicht hin. Dies gibt einen Link
zu den Modellen von POINCARÉ und KLEIN–BELTRAMI.
Äquidistante Punkte in der hyperbolischen Geometrie (Modell von Poincaré)
Die Punkte auf der „Geraden“ sind äquidistant im Sinne dieser Fahrzeitmessung. In der
hyperbolischen Geometrie ist es nun so, dass es durch einen Punkt außerhalb einer gegebenen Geraden unendliche viele zu dieser Geraden parallele Geraden gibt.
P
g
Durch P gibt es viele Parallelen zu g
Dies widerspricht dem fünfte Axiom (Parallelaxiom) von EUKLID. Damit ist aber auch
klar, dass dieses fünfte Axiom nicht als Satz aus den anderen Axiomen gefolgert werden kann, da die übrigen Axiome von EUKLID auch in der hyperbolischen Geometrie
gelten.
Das hyperbolische Parkett der folgenden Figur (aus [Coxeter 1963], vgl. auch [Magnus
1974]) besteht aus unendlich vielen kongruenten Teilen.
Der Holzschnitt Kreislimit III von M. C. Escher (aus [Escher 1984]) basiert ebenfalls
auf einem hyperbolischen Parkett.
Herunterladen