Einführung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie Sabine Völkl-Kernstock Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Medizinische Universität Wien Wien, April 2015 Aufgaben der Kinder- und Jugendpsychiatrie vorbeugen erkennen behandeln rehabilitieren begutachten 2 Problemstellungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Entwicklungsstörungen Verhaltensstörungen Psychische Störungen Psychosoziale Störungen Psychosomatische Störungen (neurologische Störungen) 3 Wie kommen Störungen zustande? Mangelhafter Aufbau des Nervengewebes Zerstörung/Beschädigung des Nervengewebes Funktionsverschlechterung des Nervengewebes Mangelhafte Entwicklung der seelisch-geistigen Funktionen Überlastung der seelisch-geistigen Funktionen 4 Wodurch kommen Störungen zustande? Genetische Fehlinformationen Physikalische Einwirkungen (Verletzungen) Chemische Einwirkungen (Vergiftung) Biologische Einwirkungen (Krankheitserreger) Mangelnde Ernährung Mangelnde Anregung/Förderung Erlebnisvermittlung (seelische Überforderung/Traumatisierung) 5 BIO-PSYCHO- SOZIALES MODELL Prädisponierende Bedingungen: genetische, biologische und soziale Faktoren Auslösende (situative) Bedingungen: biologisch, psychosozial Aufrechterhaltende Bedingungen: Funktionalität, kurzfristige und langfristige Konsequenzen der Symptomatik, real oder antizipert. 6 Prädisponierende Bedingungen Genetische Einflüsse Biologische Einflüsse: Temperament, Exekutivfunktionen, körperliche Faktoren etc. Abnorme Psychosoziale Einflüsse: siehe Achse V der Multiaxialen Klassifikation (Verbindung zu Bindungsfähigkeit, Selbstwert, soziale Kompetenz, etc.) Psychische Störungen sonstiges 7 Auslösende (situative) Bedingungen Life events Traumatisierungen Entwicklungsschritte und Entwicklungsaufgaben Konflikte …… 8 Aufrechterhaltende Bedingungen Biologisch: Temperament, Exektuiv-Funktionen, körperliche Eigenschaften und Merkmale Sozial: Abnorme Umgebungsbedingungen, interpersonelle Absicherung, fehlende soziale Kompetenz Psychisch: z.B. Identitätssicherung 9 Interdisziplinarität durch multiprofessionelles Team Kinder- u. JugendpsychiaterInnen PsychologInnen PsychotherapeutInnen SozialarbeiterInnen ErgotherapeutInnen PhysiotherapeutInnen LogopädInnen SozialpädagogInnen Sonder- und HeilpädagogInnen 10 Kinder- und jugendpsychiatrische Untersuchung Anamnese - Vorstellungsanlass/Aufnahmemodus - Familienanamnese - Eigenanamnese Psychopathologische Befunderhebung Körperliche Untersuchung - intern- pädiatrischer Befund - entwicklungsneurologischer Befund 11 Familienanamnese Von jedem Verwandten Angaben über: − Alter − Krankheiten (Fehlbildungen, chronische Krankheiten, psychische Auffälligkeiten, psychiatrische Krankheiten, Klinikaufenthalte) − soziale Stellung und Beruf Familiäre Situation: − − − − sozioökonomische Lage, Persönlichkeit und Entwicklung der Eltern und Geschwister, Geschwisterkonstellation, Beziehung des Patienten zu den übrigen Familienmitgliedern, Interaktion und − Aktivitäten innerhalb der Familie 12 Persönliche Anamnese (1) Entwicklung Schwangerschaftsverlauf, Geburt, Neugeborenenperiode, Säuglings- und Kleinkindentwicklung, Entwicklung in Vorschulalter/Schulalter/ Adoleszenz Schule und Beruf Einschulung, Schulstand, Leistungen, Schularbeitssituation, Berufsplane, Ausbildung in Lehre und Beruf Soziale Situation Freundschaftsbeziehungen, soziale Stellung, soziale Aktivitäten, Freizeitunternehmungen 13 Persönliche Anamnese (2) Sexualität sexueller Entwicklungsstand, Einstellung zur Sexualität, sexuelle Aktivitäten Frühere Krankheiten Beginn, Maßnahmen und Verlauf Genussmittel, Drogen und Medikamente Nikotin, Alkohol, Rauschmittel und Arzneimittel: jeweils gekennzeichnet hinsichtlich Art, Dosis, Frequenz und Dauer der Einnahme Hobbys und Interessen 14 Psychopathologische Befunderhebung bei Kindern und Jugendlichen (1) Äußerliches Erscheinungsbild Attraktivität, Größe, Gewicht, Reife, Fehlbildungen, erworbene körperliche Entstellungen, Kleidung, Sauberkeit Kontakt- und Beziehungsfähigkeit Abhängigkeit von der Begleitperson, Aufnahme der Beziehung zum Untersucher, Rapport, Selbstsicherheit, Kooperation Emotionen Stimmung, Affekte, Angst, psychomotorischer Ausdruck 15 Psychopathologische Befunderhebung bei Kindern und Jugendlichen (2) Denkinhalte Ängste, Befürchtungen, Phantasien, Träume, Denkstörungen, Selbstkonzept, Identität Kognitive Funktionen Orientierung, Aufmerksamkeit, Konzentration, Auffassung, Wahrnehmung, Gedächtnis und Merkfähigkeit, allgemeine Intelligenz Sprache Umfang, Intonation, Artikulation, Vokabular, Komplexität, Sprachverständnis, Gesten 16 Psychopathologische Befunderhebung bei Kindern und Jugendlichen (2) Motorik Antrieb und Aktivität, qualitative Auffälligkeiten (zB Tics, Stereotypien, Automutilation, Jaktationen) Soziale Interaktion Position/Beziehungen innerhalb von Familie / Schulklasse / Gleichaltrigengruppe, Freundeskreis 17 Psychopathologische Befunderhebung bei Kindern und Jugendlichen (3) Einschätzung der Suizidalität! Selbstmordgedanken, -impulse, SMV in der Vorgeschichte oder im Bekanntenkreis 18 Basisbefunderstellung unter Heranziehung der 4 Basisbereiche der Entwicklung Körperliche Entwicklung Emotionale Entwicklung Kognitive Entwicklung Soziale Entwicklung 19 Erstellung einer psychiatrischen Diagnose nach ICD oder DSM DSM-V ICD-10 20 Multiaxiale Diagnosestellung Achse 1: Klinisch- psychiatrische Syndrome Achse 2:Entwicklungsrückstände Achse 3: Intelligenzniveau Achse 4: Körperliche Symptomatik Achse 5: aktuelle psychosoziale Umstände Achse 6: Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung 21 Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände (Achse 5) Abnorme intrafamiliäre Beziehungen Psychische Störung, abweichendes Verhalten od. Behinderung in der Familie Inadäquate od. verzerrte intrafamiliäre Kommunikation, abnorme Erziehungsbedingungen Abnorme unmittelbare Umgebung Akute belastende Lebensereignisse Gesellschaftliche Belastungsfaktoren Chronische zwischenmenschliche Belastung im Zusammenhang mit Schule und Arbeit Belastende Lebensereignisse/ Situation infolge von Verhaltensstörungen/Behinderung des Kindes 22 Liste der psychiatrischen ICD- 10 Kategorien (Überblick) F0 organische einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F1 psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F3 Schizophrenie, schizotypische und wahnhafte Störungen F4 neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen F7 Intelligenzminderung F8 Entwicklungsstörungen F9 Verhaltens- und emotionelle Störungen mit Beginn in der Kindheit 23 Klassifikationsschemata Kinder und Jugendliche Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 6-achsige Beurteilung 24 MAS 1. Klinisch-psychiatrisches Syndrom 2.Umschriebene Entwicklungsstörungen 3. Intelligenzniveau 4. Körperliche Symptomatik 5. Assoziierte Abnorme Psychosoziale Umstände 6. Globalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus 25 Klassifikationsschemata • Kleinkinder: ZERO TO THREE Diagnostische Klassifikation: 0-3. Hrsg. National Center für Infants, Toddlers and Families, 2005) 5 Achsen - 1. Primäre Diagnose - 2. Klassifikation von Beziehungen - 3. Medizinische Probleme und Entwicklungsstörungen - 4. Psychosoziale Stressoren - 5. Funktionell-emotionales Entwicklungsniveau 26 Psychische Störungsbilder bei Kindern und Jugendlichen Angststörungen ADHS Essstörungen Tiefgreifende Entwicklungsstörung Störung des Sozialverhaltens Juvenile Psychosen Zwangsstörungen 27 ANGSTSTÖRUNGEN 28 Angst oder Furcht ist eine normale Reaktion höherer Lebewesen auf akute oder vorgestellte Gefahr, die sich im Verhalten sowie als inneres Gefühl äußert und von physiologischen Veränderungen begleitet wird. (Marks 1987) Angst dient zur Vorbereitung auf Flucht oder Kampf Angst im Kindes- und Jugendalter 1. Epidemiologie der Angststörungen 2. Symptome der Angst 3. Formen der Angsterkrankungen 4. Therapie der Angststörungen Epidemiologie der Angststörungen • • • • • • • Häufigste psychiatrische Störung 10% der 8-jährigen Lebenszeitprävalenz 14% bis 19% Spezifische Phobien am häufigsten Frauen doppelt so oft betroffen Hohe Komorbidität (Depression, Zwang) Unbehandelt hohes Chronifizierungsrisiko und Risiko der Substanzabhängigkeit Prävalenzrate 8 LJ (Felderer et al 2000) Prävalenzrate 7-16 LJ (Steinhausen 1998) Lebenszeitprävalenz Agoraphobie 6% Soziale Phobie 2,5% Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters 0,4% 4,7% Spezifische Phobien Phobische Störungen des Kindesalters 10% 5,2% 5,8% Panikstörungen 2% Emotionale Störungen 2,8% mit Trennungsangst 0,8% 6,6% Generalisierte Angststörungen Generalisierte Angststörungen des Kindesalters 1,4% Gesamt Ca. 10% 0,6% 2. Symptome der Angst Symptome der Angst I Emotion Angst manifestiert sich auf der Ebene der Emotion, des Verhalten und des Körpers Verhalten Körper Symptome der Angst II Herz-Kreislauf Herzklopfen, Herzrasen Atembeschwerden Beklemmungsgefühl Brustschmerz Symptome der Angst III Verdauungstrakt Mundtrockenheit Schluckbeschwerden Übelkeit, Erbrechen Bauchschmerzen Diarrhoe Harn- und Stuhldrang Symptome der Angst IV Weitere Schweißausbrüche Hitzewallungen oder Kälteschauer Erröten Zittern Gefühllosigkeit Schwächegefühl Muskelverspannung Kopfschmerz Symptome der Angst V Psychisch Angst vor Kontrollverlust oder verrückt zu werden Angst vor Trennung von Bezugsperson Angst zu sterben Angst vor Peinlichkeit und Bloßstellung Keine Milderung durch rationale Erklärungen oder Beruhigungsversuche Erwartungsangst Vermeidungsverhalten Depressive Stimmungslage Befangenheit, Verlegenheit Schlafstörungen, Alpträume Schreien, Wutausbrüche, Reizbarkeit Ruhelosigkeit und Nervosität Konzentrationsprobleme 2. Formen der Angsterkrankungen Angststörungen Ungerichtete Angststörungen Gerichtete Angststörungen Agoraphobie Panikstörung Soziale Phobie Emotionale Störung mit Trennungsangst Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters Generalisierte Angststörung Generalisierte Angststörung des Kindesalters Spezifische Phobien Phobische Störung des Kindesalters Angst und depressive Störung gemischt 1. Agoraphobie – Hauptmerkmal ist die Angst, sich an Orten oder in Situationen zu befinden, von denen aus ein Rückzug an einen sicheren Platz, im Allgemeinen nach Hause, schwierig oder peinlich ist – Die Angst muss in mindestens zwei der folgenden Situationen auftreten: 1. Menschenmengen 2. öffentlichen Plätzen 3. bei Reisen mit weiter Entfernung von zu Hause 4. bei Reisen alleine – Vermeidungsverhalten – Psychovegetative Symptome 2.1. Soziale Phobie Diese Störungen zentrieren sich um die Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen (nicht dagegen in anonymen Menschenmengen) Die Angst ist auf bestimmte soziale Situationen beschränkt oder überwiegt in solchen Situationen Die phobischen Situationen werden vermieden Der Beginn liegt häufig im Jugendalter 3.1. Spezifische Phobien Angst isoliert auf bestimmte Objekte oder spezifische Situationen Diese Objekte oder Situationen werden vermieden Spezifische Phobien entstehen gewöhnlich in der Kindheit und können unbehandelt jahrzehntelang bestehen. Tier-Typ Naturgewalten-Typ (Frigophobie, Pa-leng, Donner, Wasser) Blut-InjektionVerletzungs-Typ (Aichmophobie, Anblick von Blut ) Situativer Typ (Akrophobie, Klaustrophobie, Prüfungsangst, Schulangst, Zahnarzt, Krankenhaus, öffentliche Toiletten, Lift, Tunnel) 3.2. Phobische Störungen des Kindesalters Abnorm gesteigerte Furcht vor alterstypisch angstbesetzten Objekten oder Situationen Der Beginn liegt in der entwicklungsangemessenen Altersstufe Ausgeprägtes Vermeidungsverhalten gegenüber solchen Objekten oder Situationen Entwicklungstypische Ängste (Nach Scarr 1999) Alter Psychologische / Quelle soziale entwicklungsKompetenz typischer Angst Alterstypische klinisch relevante Angst 2-4 Präoperationales Denken, kein Trennen von Fantasie und Realität Fantasiekreaturen, potentielle Einbrecher, Dunkelheit Trennungsangst, Dunkelheit, Geister 5-7 Konkret-operationales Denken, Fähigkeit konkret-logisch zu denken Naturkatastrophen, Verletzungen, Tiere, medienbasierte Ängste Tierphobie, Blutphobie 8-11 Selbstwert basiert auf akademischen und sportlichen Leistungen Schlechte schulische und sportliche Leistungen, Prüfungen Schulphobie 12-18 Formal-operationales Denken, Gefahren werden antizipiert Selbstwert durch Gleichaltrige Ablehnung durch Gleichaltrige Sozialphobie, Agoraphobie, Panikstörung 4.1. Panikstörung Ungerichtet Wiederkehrend Spontan und unvorhersehbar Intensive psychovegetative Symptome Kurz (1-60 Min.) Nach Barlow (1988) können Kinder nicht internal attribuieren und es fehlt dadurch die Spontaneität für Panik Attacken 4.2. Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters Angst vor der Trennung von wichtigen Bezugspersonen Ablehnung und Vermeiden von Trennung, auch zu Hause und in der Nacht Somatische Symptome bei Trennung Beginn vor 6. Lebensjahr (Trennungsangsthypothese von Klein 1980, Trennungsangst hat enge Verbindung zu Panikstörung und Agoraphobie, durch ständige Fehlalarmierung Störung des Kontrollmechanismus) 5.1. Generalisierte Angststörung Ungerichtete (frei flottierende) und anhaltende Angst an den meisten Tagen einer Woche Mit vielfältigen, insbesondere vegetativen Symptomen 5.2. Generalisierte Angststörung des Kindesalters Fast täglich intensive Ängste und übermäßige Sorgen, nicht panikartig und nicht auf eine Sache gerichtet Schwierigkeit Sorgen zu kontrollieren Gefühl der Anspannung Ängstliche Erwartung Bedürfnis nach Rückversicherung Müdigkeit und Konzentrationsprobleme Phobische Störung des Kindesalters Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters Angst vor einer oder wenigen Situationen Unrealistische / anhaltende Sorge über Trennung von Eltern Abneigung und Vermeidung von Trennungssituationen Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters Generalisierte Angststörung des Kindesalters Angst vor Blamage und Peinlichkeit Angst und Sorge in den meisten Lebensbereichen vor Fremden in sozialen Situationen Sorgen können schwer kontrolliert werden Bedürfnis nach Rückversicherung 4. Therapie der Angststörungen Multimodale Behandlung mit dem Ziel, dass der Betroffene lernt sich wieder in Angst auslösenden Situationen zu behaupten Informationsvermittlung über Angststörung Etablierung eines Arbeitsbündnisses Rücksprache / Beratung mit Schule Verhaltensorientierte Interventionen (z.B. Expositionstraining, Entspannungstherapie) Psychodynamische Psychotherapie (Förderung der Persönlichkeitsentwicklung) Familientherapeutisches Setting Erst wenn die vorangestellten Interventionen keinen Erfolg zeigten, kann nach sorgfältiger Abwägung eine psychopharmakologische Behandlung indiziert sein. Psychopharmakologische Behandlung Erst wenn die kognitive Verhaltenstherapie keinen sichtbaren Erfolg zeigt, kann nach sorgfältiger Abwägung eine psychopharmakologische Behandlung indiziert sein. Aufgrund der geringen und wenig gravierenden Nebenwirkungen empfiehlt sich dann der Einsatz von SSRI. (Cave: möglicherweise erhöhen SSRIs suizidales Verhalten bei Kindern- und Jugendlichen) Panikstörung SSRIs •Fluoxetin (Fluctine ®) •Citalopram (Seropram®) •Paroxetin (Seroxat®) (bis 40mg/d) (Masi, 2001) SNRIs Trizyklische Antidepressiva Benzodiazepine Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters SSRIs •Fluoxetin (Fluctine ®) (Young, 2006; Clarck, 2005) •Paroxetin (Seroxat®) (Wagner, 2004) SNRIs RIMA •Moclobemid (Aurorix®) Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters SSRIs Trizyklische Antidepressiva Benzodiazepine (max. 6 Wo.) Generalisierte Angststörung des Kindesalters SSRIs •Paroxetin (Seroxat®) (Kapczinski, 2003) •Fluoxetin (Fluctine ®) (Clarck, 2005) SNRIs •Venlafaxin (Efectin ®) (Kapczinski, 2003) Trizyklische Antidepressiva Buspiron (Buspar ®) Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitatsstörung 56 Erscheinungsbild Impulsivität (mangelnde Verhaltenskontrolle u. Fähigkeit, Belohnung aufzuschieben) Unaufmerksamkeit (mangelnde gleichmäßige Aktivierung bei hoher Affektlabilität) Überaktivität (innere Getriebenheit) 57 Erscheinungsbild (2) Auffälligkeiten in allen 3 Kernbereichen - inkonsistente (zu viel oder zu wenig) Aufmerksamkeit, ein hohes Niveau an Aktivität und Impulsivität (mit extremen Emotionen) hauptsächlich Aufmerksamkeitsschwächen, aber weniger impulsives und motorisch unruhiges Verhalten („Träumerchen“) impulsiver, motorisch unruhiger Typ, weniger Konzentrationsschwächen - ein hohes Niveau an Aktivität und Impulsivität (mit extremen Emotionen) 58 Epidemiologie und Verlauf Weltweit sind ca.5-9 % der Kinder von ADHS betroffen Bei 50-75% persistieren die Symptome bis zur Adoleszenz Bei 10-66 % Symptome bis ins Erwachsenenalter Prävalenz bei Erwachsenen ca.4 % Störungsbild, welches im Kindesalter beginnt und laut epidemiologischen Untersuchungen in bis zu 80% der Fälle bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben kann. 59 ICD 10 F90 hyperkinetische Störung Die Diagnose fordert das eindeutige Vorliegen eines abnormen Ausmaßes an Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität. Die Störung ist situationsübergreifend und andauernd und nicht durch andere Störungen verursacht. Die Symptome müssen mindestens 6 Monate lang in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß auftreten. 60 Relevante Diagnosekriterien Durchgehendes, → nicht alters- und entwicklungsentsprechendes, → situationsübergreifendes Muster von: Unaufmerksamkeit motorischer Unruhe Impulsivität →vor dem 6. LJ beginnend →mindestens 6 Mo bestehend →mindestens 2 Lebensbereiche →v. a. in Gruppensituationen 61 Klinisches Erscheinungsbild Unaufmerksamkeit leichte Ablenkbarkeit Unaufmerksamkeit gegenüber Details scheinbares nicht zuhören Schwierigkeiten im Organisieren von Aufgaben Verlust, Vergessen von Gegenständen, Aufträgen vorzeitiges Abbrechen von Aufgaben Vermeiden von längeren (konzentrationsintensiven) Aufgaben 62 ICD 10 – Kriterien Unaufmerksamkeit (min. 6 Symptome) Die Kinder sind häufig unaufmerksam gegenüber Details/ Sorgfalts- fehler bei Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten. sind häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben und beim Spielen aufrecht zu erhalten. hören häufig scheinbar nicht, was ihnen gesagt wird. können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten, Aufgaben und Pflichten am Arbeitsplatz erfüllen. sind häufig beeinträchtigt, Aufgaben u. Aktivitäten zu organisieren. vermeiden ungeliebte Arbeiten, wie Hausaufgaben, die häufig geistiges Durchhaltevermögen erfordern. verlieren häufig Gegenstande, die für bestimmte Aufgaben wichtig sind. werden häufig von externen Stimuli abgelenkt. sind im Verlauf der alltäglichen Aktivitäten oft vergesslich. 63 Klinisches Erscheinungsbild Hyperaktives Verhalten anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten ungerichtetes Hin- und Herbewegen der Extremitäten Hin- und Herrutschen beim Sitzen Ständiges Verlassen des Sitzplatzes (Schule, Hort, etc.) Herumlaufen und Klettern in unpassenden Situationen Nur kurze Strukturierbarkeit 64 ICD 10 – Kriterien Überaktivitat (mind. 3 Symptome) Die Kinder: fuchteln häufig mit Händen und Füssen oder winden sich auf den Sitzen. verlassen ihren Platz im Klassenraum oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird. laufen häufig herum oder klettern exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist. sind häufig unnötig laut beim Spielen oder haben Schwierigkeiten bei leisen Freizeitbeschäftigungen; zeigen ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten, die durch den sozialen Kontext oder Verbote nicht durchgreifend beeinflussbar sind. 65 Klinisches Erscheinungsbild Impulshaftigkeit ungebremste Antworten, dazwischenreden nicht warten können Unterbrechen und Stören exzessives Reden, ohne auf Grenzen entsprechend zu reagieren ungebremste Raptuszustände mangelnde Frustrationstoleranz 66 ICD 10 – Kriterien Überaktivität (mind. 1 Symptom) Die Kinder: platzen häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist. können häufig nicht in der Reihe warten oder warten, bis sie bei Spielen oder in Gruppensituationen an die Reihe kommen. unterbrechen und stören andere häufig (z.B. mischen sich ins Gespräch oder Spiel anderer ein). reden häufig exzessiv, ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren. 67 Komorbidität Störung mit oppositionellem Trotzverhalten oder Störung des Sozialverhaltens Häufig Spezifische Lernstörungen, Angststörungen, Entwicklungsbezogene Koordinationsstörungen Manchmal Tic-Störungen, Depressive Störungen Selten Autismusspektrumsstörungen, Intelligenzminderung Mehr als 85% der Patienten haben mindestens eine komorbide Störung, und ungefähr 60% der Patienten haben mindestens zwei komorbide Störungen. 68 PSYCHOPHARMAKOTHERAPIE Es hat sich nicht gezeigt, dass die Behandlung einer ADHS mit Stimulanzien zu unerlaubtem Drogenkonsum/missbrauch führt. Sorgfältige Titrierung und Überwachung der pharmakologischen Behandlung führt zu besserer Wirksamkeit. 69 PSYCHOPHARMAKOTHERAPIE Häufigste Nebenwirkungen STIMULANZIEN Kopfschmerzen Bauchschmerzen Appetitverlust Schlaflosigkeit Benommenheit NORADRENERGE SUBSTANZEN Appetitverlust Benommenheit Dermatitis Dyspepsie (Bei Desipramin: EKG-Auffälligkeiten, Schläfrigkeit) Die meisten Nebenwirkungen sind vorübergehend 70 Therapieschlussfolgerungen Ein gutes Therapiekonzept muss individuell zugeschnitten, kontinuierlich überwacht und optimiert werden. Begleitende Pädagogik bildet die Grundlage für alle Behandlungsformen bei ADHS Wirksame Interventionen beinhalten Psychoedukation und Begleitung für den Patienten und seine Familie, in der Schule und zu Hause Motivation / Kooperation des Kindes spielt in vielen Fällen eine zentrale Rolle ADHS ist eine chronische Erkrankung, die eine Langzeitbehandlung erfordert 71 Essstörungen 72 ICD-10 Essstörungen - F50 F50.0 Anoriexia nervosa F50.1 atypische AN F50.2 Bulimia nervosa 50.3 atyp. BN F50.4 Essattacken bei sonstigen psychischen Störungen F50.5 Erbrechen bei psychischen Störungen F50.8 sonstige Essstörungen F50.9 nicht naher bezeichnete Essstörung 73 Anorexia nervosa Körpergewicht unter 3. Perzentile (mind. 15% unter der Norm) Gewichtsverlust ist selbst verursacht Körperschemastörung Endokrine Störung/Amenorrhoe 74 Epidemiologie Höchste Inzidenz 10 – 19 Jahre, Altersgipfel liegt bei 14 Jahren w:m = 10:1 ca. 0,3% Prozent der Mädchen haben Anorexie 75 Massive körperliche Veränderungen! (zB Minderwuchs, Osteoporose, Haarausfall, massive Karies, Speicheldrüsenschwellung, Blutbild-, Elektrolyt-, Hormonveränderungen, Hypothermie, Bradycardie, Hypotonie, Atrophie des Hirns etc. Mortalitätsrate 2-10 Prozent Heilungsrate inzwischen bei rund 70 Prozent Etwa ein Fünftel entwickelt eine Bulimie 76 Bulimia nervosa Heißhungerattacken, ständige Beschäftigung mit Essen (mind. 2x/Woche über 3 Monate) Versuche, durch Erbrechen etc. abzunehmen Krankhafte Furcht zuzunehmen Häufig nach anorektischer Phase 77 Prävalenzraten in Österreich Lebenszeitprävalenz der Bulimie ca. 1 bis 4 Prozent; bei Mädchen 1-2 Prozent, bei Burschen 0,2-0,3 Prozent. Bulimie beginnt später als AN 78 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! [email protected] 79