Ernährung auf Basis von Fleisch, Milch und Zucker: Bis zu 27-mal höhere Prostatakrebssterblichkeit Dr. med. Ludwig Manfred Jacob, 01.07.2013 Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung des Mannes. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 70 Jahren. Das Robert Koch-Institut geht für 2012 von 67.700 Neuerkrankungen aus und einer 5-JahresPrävalenz von 251.700. Mit 13.324 Verstorbenen ist Prostatakrebs 2011 bei Männern insgesamt die sechsthäufigste Todesursache nach KHK, Lungenkrebs, Herzinfarkt, chronisch obstruktiver Lungenkrankheit und Herzinsuffizienz, berichtet das Statistische Bundesamt (2012). Studiert man die Studienlage zu den Risikofaktoren für Prostatakrebs, fallen die widersprüchlichen Ergebnisse auf. Als einzige gesicherte Risikofaktoren gehen aus dem Krieg der Widersprüche Alter, Rasse und familiärer Hintergrund hervor. Blendet man aber die meist eindimensional konstruierten Studien aus und betrachtet die weltweite Epidemiologie, ergibt sich eigentlich ein klares Bild – jenseits statistischer Confounder und eindimensionaler Perspektiven, die die mehrdimensionale Wirklichkeit zwangsläufig verzerren. Die Ernährungsweise beeinflusst maßgeblich die Prostatakrebsmortalität Hippokrates empfahl: „Eure Lebensmittel sollen Eure Heilmittel sein und Eure Heilmittel sollen Eure Lebensmittel sein.“ Der Vergleich weltweiter Prostatakrebssterberaten mit dem im jeweiligen Land über Jahrzehnte vorherrschenden Ernährungsmuster liefert sehr interessante Rückschlüsse. Die Schweiz, Schweden und Norwegen waren jahrzehntelang führend im Konsum von Milchprodukten, Fleisch und Zucker. Im Jahr 2000 war die altersstandardisierte Prostatakrebssterblichkeit (pro 100.000) in allen drei europäischen Ländern 27-mal höher als in China (1 pro 100.000), 19-mal höher als in Vietnam (1,4 pro 100.000), 13,5-mal höher als in Südkorea (2 pro 100.000), 10-mal höher als in Thailand (2,65 pro 100.000) und immerhin noch 5-mal höher als in Japan (5,47 pro 100.000) (GLOBOCAN 2000 der International Agency for Research on Cancer). Während bei Afroamerikanern ein starker genetischer Faktor belegt ist, stehen bei den Asiaten andere Faktoren im Vordergrund: Chinesen und Japaner in den USA wiesen in den 1980er Jahren, also vor der Einführung des PSA-Tests, eine wesentlich höhere Prostatakrebsinzidenz auf als ihre Landsleute im Heimatland (Muir et al., 1991). Auch verschwinden die Überlebensvorteile der Asiaten nach einer Migration in westliche Länder und der Übernahme eines westlichen Ernährungsmusters. Auch in Asien selbst ist durch die zunehmende Verwestlichung bereits eine starke Zunahme der altersstandardisierten Prostatakrebssterblichkeit festzustellen. Die Zunahme ist umso größer, je früher und intensiver die Verwestlichung einsetzte, was sich an den Zahlen Japans zeigt. Die besonders stark verwestlichten Philippinen liegen bei 11/100.000, nicht mehr weit entfernt von den USA und Deutschland mit 18/100.000 (GLOBOCAN 2000 der International Agency for Research on Cancer). Die altersstandardisierten Prostatakrebsraten sind von 2000 bis 2008 in den westlichen Ländern rückläufig, während sie in Asien steigen. Für diesen Anstieg wird allgemein die Verwestlichung der Länder verantwortlich gemacht, insbesondere der stark steigende Konsum von tierischen Fetten und Eiweiß, Übergewicht und abnehmende körperliche Aktivität (Baade et al., 2009). Auch die China Study (Campbell und Campbell, 2006) beschreibt die großen Unterschiede in der Brust- und Prostatakrebsmortalität zwischen China und den USA und macht dafür insbesondere den übermäßigen Verzehr von tierischem Protein verantwortlich. Colli und Colli (2006) haben die Ernährungsgewohnheiten (38 Lebensmittel) und die Sonnenexposition in 71 Ländern mit der jeweiligen altersstandardisierten Prostatakrebsmortalität korreliert. Der Konsum von Gesamtkalorien aus tierischen Lebensmitteln, Gesamtkalorien aus tierischem Fett, Fleisch, tierischem Fett, Milch, Zucker und alkoholischen Getränken korrelierte mit erhöhten Prostatakrebsmortalitätsraten. Der hohe Konsum von tierischen Lebensmitteln (R = 0,7) und Zucker (R = 0,71) erhöhten die Prostatakrebsmortalität am stärksten. Dagegen wirkten Sonnenexposition, Getreide, Ölsaaten, Soja und Zwiebeln protektiv. Angesichts dieser Zahlen drängt sich die Frage auf: Ist die Entwicklung eines Prostatakarzinoms das Ergebnis von Genetik, Schicksal oder vor allem eines lebenslangen Ernährungsmusters? Dieser Artikel soll die These untermauern, dass die lebenslange Ernährungs- und Lebensweise die maßgeblichen Faktoren sind. Entscheidend ist hierbei nicht nur, was Prostatakrebskranke die letzten Jahre vor ihrer Erkrankung gegessen haben, sondern vielmehr ihr lebenslang praktiziertes Ernährungsmuster, das zur Entwicklung des Karzinoms beigetragen hat. Weltweit korreliert das westliche Ernährungsmuster mit vielen Fleisch- und Milchprodukten sowie Zucker durchweg mit einer hohen Prostatakrebsmortalität, während das asiatische Ernährungsmuster auf Basis von Reis, Sojabohnen und Gemüse mit einer sehr niedrigen Mortalität einhergeht (s. Tabelle). Die Mortalitätsraten in der Tabelle sind von der International Agency for Research on Cancer hinsichtlich der Lebenserwartung des jeweiligen Landes angepasst, so dass die Zahlen der verschiedenen Länder vergleichbar werden. Traditionelle Ernährung in Okinawa Die Ernährungsweise in asiatischen Ländern war ursprünglich sehr arm an tierischem Protein aus Milch und Fleisch. Die Bewohner von Okinawa stellten lange Zeit die langlebigste Population der Welt dar; traditionell (1949) verzehrten sie pro Tag 15 g Fisch, nur 3 g Fleisch und so gut wie keine Milchprodukte (Willcox et al., 2007). Dementsprechend lag der Wert für die Proteinaufnahme aus tierischen Lebensmitteln bei lediglich 3,3 g pro Tag, die Proteinzufuhr aus pflanzlichen Lebensmitteln betrug dagegen 35,7 g. Das pflanzliche Protein stammt zu einem großen Teil aus Sojabohnen, die große Mengen an Isoflavonen enthalten. Isoflavone tragen zum Schutz vor Prostatakrebs und Brustkrebs bei. Dennoch kann dies alleine die extrem niedrige Krebsrate nicht erklären. Wesentliche Merkmale der Okinawa-Ernährung waren immer auch reichlich Gemüse, Süßkartoffeln (Carotinoide), Tofu (Isoflavone), Kräuter, Gewürze (z. B. Kurkuma mit Kurkumin) und Grüntee (Polyphenole wie z. B. Catechine) sowie insgesamt eine Ernährung mit einer relativ geringen Gesamtenergieaufnahme (Kalorienrestriktion), hoher Vitalstoffdichte und niedriger Kaloriendichte (Willcox et al., 2007). Mitte der 1990er Jahre war die absolute, nicht altersstandardisierte Prostatakrebsmortalität für Japaner auf dem Festland (8/100.000) übrigens doppelt so hoch wie für die Männer in Okinawa (4/100.000), obwohl die Männer in Okinawa älter wurden (Japan Ministry of Health and Welfare 1996, www.okicent.org). Okinawa liegt geographisch näher bei China und Taiwan als bei Japan – und dies gilt auch kulturell. Erst 1872 fiel es Japan zu. Traditionelle Ernährung in China In China wurden traditionell wenig Fisch und Fleisch sowie praktisch keine Milchprodukte konsumiert. Der Verzehr von Fleisch ist jedoch erst in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch um mehr als das 14-Fache angestiegen, er beträgt aber immer noch nur etwa die Hälfte des westlichen Niveaus (Brown, 2009). Nach wie vor werden wenige Milchprodukte verzehrt, auch wenn der Trend neuerdings stark steigend ist. Der Fischkonsum hat sich seit den 1990er Jahren in etwa vervierfacht. Allem Anschein nach folgt China mit einigen Jahrzehnten Verzögerung dem Beispiel Japans, dessen Verwestlichung in den 1960er Jahren begann und dessen Prostatakrebsmortalität im Jahr 2008 altersstandardisiert um 150 % höher lag als in China, Vietnam oder Thailand (Ferlay et al., 2010). Allerdings erfolgt die Verwestlichung Chinas schneller und intensiver als in Japan, was sich bereits in rapide steigendem Übergewicht, Diabetes und Herz-KreislaufErkrankungen äußert. Seit 2000 ist in China die altersstandardisierte Prostatakrebsmortalität übrigens bereits um 80 % gestiegen (GLOBOCAN 2000 und 2008 der International Agency for Research on Cancer; Ferlay et al., 2010). Traditionelle Ernährung in Japan The Cambridge World History of Food (2000) berichtet, dass Japan auf eine sehr alte Ernährungskultur ohne Fleisch- und Milchprodukte zurückblickt. Von 675 n. Chr. bis in das 15. Jahrhundert war das Essen von Säugetieren weitestgehend staatlich verboten – man nahm die Gewaltlosigkeit der buddhistischen Lehre ernst. Daher gab es auch keine Tierzucht. Milchprodukte konnten sich auch danach nie in Japan, China oder Korea etablieren, die Laktoseintoleranz ist in diesen Ländern sehr hoch. Die Betonung der japanischen Küche lag darauf, den natürlichen Geschmack der Lebensmittel zu bewahren. Frischkost galt als Devise, auch Fisch wurde überwiegend roh verzehrt. Insgesamt basiert die japanische Ernährung auf fettarmer, pflanzlicher Kost mit Fischbeigabe. Dies hat sich im Zuge der Verwestlichung Japans seit dem 2. Weltkrieg zunehmend verändert, auch wenn die älteren Japaner noch zum Teil an ihren alten Ernährungsmustern festhalten. In den 1990er Jahren unterschied sich die Inzidenz von Prostatakrebs in den USA und in Japan noch um einen Faktor von 10: In den USA lag das Auftreten jährlich bei etwa 120 pro 100.000 Einwohnern (Weiße) und bei fast 200 pro 100.000 Einwohnern (Schwarze), in Japan bei etwa 12 (z. B. Matsuda und Saika, 2007). Seit langem bekannt ist das Phänomen der verwestlichten Japaner: Wenn Japaner nach Kalifornien ziehen und „amerikanisiert“ werden, steigt ihr Prostatakrebsrisiko deutlich und nähert sich US-amerikanischem Niveau (Kalifornisches Krebsregister 2002; www.ccrcal.org). Inzwischen hat die Verwestlichung im Land schon die zu erwartenden Ergebnisse erzielt. Nicht nur die Inzidenz liegt inzwischen (2008) bei 23/100.000 und ist damit nur noch 73 % niedriger als in den USA (84/100.000) (Ferlay et al., 2010). Auch die Mortalität ist stark angestiegen. Was ist geschehen? Grüntee, Soja und Natto (traditionelle japanische Speise aus mit Bacillus subtilis fermentierten Sojabohnen, sehr reich an Vitamin K2) sind fundamentale Bestandteile der japanischen Ernährung. Neben hochwertigem pflanzlichem Protein, Ballaststoffen und B-Vitaminen enthält Soja auch reichlich Soja-Isoflavone, insbesondere auch aus fermentiertem Soja (Miso), wo die Soja-Isoflavone bereits in ihrer bioaktiven Form vorliegen. Japan fällt unter den asiatischen Ländern durch seinen seit jeher relativ hohen Fischkonsum auf (Willcox et al., 2007), der sich seit 1950 um das 2,5-Fache erhöht hat. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges konnte weiterhin ein steigender Konsum an Milch (20-fach), Fleisch (9-fach) und Eiern (7-fach) verzeichnet werden. Die Prostatakrebsmortalität stieg in diesem Zeitraum um das 25-Fache an (Ganmaa et al., 2003). Dennoch ist die Mortalität immer noch deutlich niedriger als in Europa, Südamerika und den USA. Die alten Generationen der Japaner haben viele Jahre traditionell gelebt und profitieren noch immer davon, weshalb die alten Japaner weltweit die höchste Lebenserwartung erreichen (Willcox et al., 2012) und damit direkt hinter der vegetarisch lebenden Gruppierung der Adventisten in den USA rangieren. Nach wie vor ist der Konsum von Milchprodukten und Fleisch im Vergleich zu anderen Industrienationen deutlich geringer. Prostatakrebsmortalität in Japan (Quelle: Suzuki, 2009) Seit etwa 20 Jahren findet ein Umdenken in Japan statt. Der American Way of Life verliert an Popularität, eine gesunde Lebensweise rückt ins Zentrum. Schlank und gesund sind zentrale gesellschaftliche Werte, die auch einen hohen sozialen Druck ausüben. Ein wichtiges Element: Die verzehrten Portionen sind viel kleiner als in Europa und den USA. Am Arbeitsplatz finden jährlich staatlich verordnete Gesundheitscheckups statt, die die Messung des Bauchumfangs beinhalten. Wer durchfällt, wird offiziell aufgefordert, an Seminaren zu gesunder Lebensweise teilzunehmen. Dieser Bewußtseinswandel drückt auch in der weltweit höchsten Lebenserwartung (auf Länderbasis), den meisten gesunden Lebensjahren und einem Rückgang der Sterblichkeitsraten diverser Krebsarten aus. Seit dem Jahr 2004 stagniert die Prostatakrebsmortalität und ist wieder rückläufig (Katanoda et al., 2013). EPIC-Studie und Ernährung in Europa: reich an tierischem Protein und Fett Die europäische EPIC-Studie liefert auf den ersten Blick keine herausragenden Ergebnisse. Eine genauere Analyse der Daten zeigt allerdings den möglichen Grund: Die Männer in Europa ernähren sich inzwischen alle relativ ähnlich. Obwohl der Konsum von Fisch, Fleisch und Milch jeweils stark variiert, kann man am Konsum tierischen Proteins erkennen, dass tierische Lebensmittel die Hauptproteinlieferanten waren: Im Schnitt kamen 32 % des Proteins aus Fleisch, 9 % aus Käse, und 7 % aus Milch. Getreide lieferte 18 % der Proteinzufuhr. Selbst das niedrigste Quintil (das Fünftel der Bevölkerung, welches am wenigsten aufnimmt) liegt bei durchschnittlich 47 g tierischem Protein pro Tag. Das höchste Quintil hält sich bei 80 g pro Tag (Allen et al., 2008). Verglichen mit China essen die Europäer somit 4- bis 11-mal so viel tierisches Eiweiß in Form von Fleisch, Wurst, Käse, Milch und Fisch. Und die europäischen Männer mit dem geringsten Verzehr an tierischem Eiweiß nehmen sogar mehr als 14-mal mehr davon zu sich als die Bewohner Okinawas. Interessant ist hierbei, dass die deutsche Ernährung im 18. Jahrhundert (Lemnitzer, 1977) in Bezug auf die Makronährstoffe der traditionellen Ernährung von Okinawa ähnelte. Der EPIC-Studie zufolge steigert ein hoher Verzehr von Milchprotein das Prostatakrebsrisiko um 22 % (Allen et al., 2008). Ursache hierfür sind u. a. erstens die damit verbundene hohe Aufnahme von Calcium, das laut World Cancer Research Fund und American Institute for Cancer Research (2007) „wahrscheinlich“ das Prostatakrebsrisiko erhöht, zweitens die in der Milch enthaltenen insulinähnlichen Wachstumsfaktoren wie IGF-1 und drittens die besondere Wirkung des Milchproteins, die IGF-1-Serumspiegel beim Menschen zu erhöhen (Norat et al., 2007; Miura et al., 2007; Parrella et al., 2013). Vor allem tierische Lebensmittel sind reich an essenziellen Aminosäuren, die erhöhte IGF-1-Serumspiegel verursachen können (Allen et al., 2002; Clemmons et al., 1985). Eine Reduktion der Proteinaufnahme (Smith et al., 1995) und eine rein pflanzliche Ernährungsweise (Allen et al., 2002; Allen et al. 2000) haben dagegen niedrigere IGF-1-Spiegel zur Folge. Insbesondere die Kombination von Kohlenhydraten wie Zucker oder Weißmehl, die einen hohen Glykämischen Index haben, mit tierischen Proteinträgern wie Milch oder Fleisch führen zu einer sehr hohen Insulinausschüttung (Jacob, 2012; Bao et al., 2011). Gleichzeitig können die in tierischen Lebensmitteln enthaltenen gesättigten Fettsäuren eine Insulinresistenz fördern. Da die krebsfördernden Auswirkungen einer chronischen Hyperinsulinämie bekannt sind, dürfte vor allem in der lebenslangen Kombination dieser Lebensmittel in Kombination mit Bewegungsmangel ein bisher kaum untersuchtes kanzerogenes Potential liegen. Eindrucksvoll ist auch in Europa der enorme Anstieg des Fleischkonsums in den Mittelmeerländern wie z. B. Spanien, Portugal und Griechenland, wo sich der Fleischkonsum seit 1961 in etwa verfünffacht hat (Brown, 2009). Von der mediterranen Ernährungsweise ist nicht mehr viel übrig, was sich auch in der Prostatakrebsmortalität widerspiegelt (Ferlay et al., 2010). Da scheint auch das viele Sonnenlicht und Vitamin D nicht mehr ausreichend protektiv zu wirken. Da nun Fleisch, Wurst und Milchprodukte die Entwicklung von Prostatakrebs ähnlich gut fördern, überrascht das Ergebnis der EPIC-Studie nicht. Es erklärt vielmehr, warum deutlich protektive Effekte nur dann zu erwarten sind, wenn man grundsätzlich sein Ernährungsmuster ändert und sich überwiegend pflanzlich ernährt, statt einfach nur Wurst oder Fleisch mit Käse, Joghurt und Milch zu ersetzen. Insbesondere Joghurt korrelierte in der EPIC-Studie mit einem erhöhten Prostatakrebsrisiko (Allen et al., 2008). Wie wirkungsvoll die Verwendung von Sojamilch als Kuhmilch-Alternative ist, zeigte eine Studie von Jacobsen et al. (1998): Männer mit einem hohen Konsum an Sojamilch senkten ihr Risiko für Prostatakrebs um 70 %. Schweden steht mit seinem hohen Fischkonsum stellvertretend für die skandinavischen Länder (NOAA, 2011). Analysiert man die Zahlen der Prostatakrebsmortalität in Schweden (20/100.000), Norwegen (19/100.000) und Island (18/100.000) (Ferlay et al., 2010), hat der hohe Fischkonsum in diesen Ländern darauf jedoch keine vorteilhaften Auswirkungen. Auch in Asien stieg mit der Zunahme des Fischkonsums die Prostatakrebsmortalität. Der Fischkonsum ist daher nicht die Ursache für die niedrigere Mortalität in Japan und den anderen asiatischen Ländern, wie manchmal behauptet wird. Für den Rückgang der Prostatakrebsmortalität in den letzten 10 Jahren in den westlichen Ländern werden insbesondere verbesserte Therapien und eine verbesserte Früherkennung durch den PSA-Test verantwortlich gemacht (Collin et al., 2008; Etzioni et al., 2008). Epidemiologisch bietet sich aktuell insbesondere ein Vergleich von Uruguay mit asiatischen Ländern an. Die Lebenserwartung ist ähnlich hoch. Daher entfällt die Altersstandardisierung als möglicher Unsicherheitsfaktor. Die Korrelation der Mortalitätsraten mit der Ernährung zeigt sich insbesondere, wenn man die vielen Millionen aktiver Greise in China und das wissenschaftlich bestens erforschte Langlebigkeitsphänomen in Okinawa mit den Männern in Uruguay vergleicht, die nach unserem Verständnis „sehr gut“ gelebt haben. Ernährung in Uruguay: seit Jahrzehnten besonders viel Fleisch und Milch Uruguay gilt aufgrund seines seit vielen Jahrzehnten bestehenden, relativ stabilen Wohlstands als die Schweiz Südamerikas. Nach WHO-Zahlen von 2008 starben Männer in Uruguay 13-mal häufiger an Prostatakrebs als Chinesen, Thailänder und Vietnamesen (s. Tabelle; Ferlay et al., 2010). Die Einwohner von Uruguay haben sich zeitlebens konträr zu den Asiaten ernährt. Das südamerikanische Land pflegt seit vielen Jahrzehnten einen extrem hohen Konsum von rotem Fleisch (Instituto Nacional de Carnes, 2011; www.inac.gub.uy) und Milchprodukten (MercoPress, 2011). Auch die Qualität des Rindfleisches hat daran nichts geändert: Es handelt sich um bestes Weidenrind, dessen Qualität am 15.12.2009 sogar in der New York Times in einem ausführlichen Artikel gerühmt wurde (The New York Times, 2009). Eine hohe Zufuhr der Omega-3-Fettsäure ALA (alpha-Linolensäure), die in Uruguay vor allem auch durch den Verzehr von Weidenrind aufgenommen wird, wirkt hier nicht günstig, sondern erhöht bei Männern in Uruguay das Prostatakrebsrisiko um den Faktor 3,91 (De Stéfani et al., 2000). Dass die alphaLinolensäure und auch die langkettigen Omega-3-Fettsäuren aus Fisch bei Prostatakrebs eine ambivalente Rolle spielen, zeigt sich in zahlreichen Studien und dürfte insbesondere mit der Oxidationsempfindlichkeit der mehrfach ungesättigten Fettsäuren zu tun haben. Eine schonende Verarbeitungs- und Zubereitungsweise wird dadurch besonders wichtig. Dieses lebenslange Ernährungsmuster dürfte eine wesentliche Ursache für die geringe durchschnittliche Lebenserwartung (WHO, 2009) und die extrem hohe Mortalität durch Prostatakrebs, Brustkrebs und Darmkrebs sein, die das Land trotz seines optimalen Klimas und seines gut ausgebauten Sozial- und Gesundheitssystems aufweist. Frauen in Uruguay (24,3/100.000) versterben mehr als 4-mal so häufig an Brustkrebs wie Chinesinnen (5,7/100.000). Die Dickdarmkrebsmortalität beider Geschlechter ist immerhin noch 2,3-mal so hoch (16,2 vs. 6,9/100.000) (Ferlay et al., 2010). Interessanterweise zeigen auch Migrationsstudien: Wer von Ländern mit niedrigem Krebsrisiko nach Uruguay zieht, dessen Risiko für Prostata-, Brust-, Speiseröhren-, Dickdarm- und Gebärmutterkrebs passt sich den erhöhten Raten in Uruguay an (De Stéfani et al., 1990). Ein hoher Verzehr von rotem Fleisch erhöht in Uruguay auch das Risiko für Krebserkrankungen des Hals- und Rachenraums um den Faktor 3,65, der Speiseröhre um den Faktor 3,36, des Kehlkopfes um den Faktor 2,91, des Magens um den Faktor 2,19, des Dickdarms um den Faktor 3,83, der Lunge um den Faktor 2,17, der Brust um den Faktor 1,97, der Prostata um den Faktor 1,87, der Blase um den Faktor 2,11, und der Nieren um den Faktor 2,72. Ähnliche Korrelationen wurden nicht nur für rotes Fleisch, sondern auch für die Gesamtaufnahme von Fleisch ermittelt (Aune et al., 2009). In einer Fall-Kontroll-Studie in Uruguay ergab der Vergleich des höchsten mit dem niedrigsten Viertel der Verzehrmenge folgende Zusammenhänge mit dem Risiko für Prostatakrebs: Rotes Fleisch erhöhte das Risiko um 100 %, süße Nachspeisen um 80 %, eine hohe Energiezufuhr um 90 %, und eine hohe Gesamtfettaufnahme um 80 %. Dagegen senkten viel Gemüse und Früchte das Risiko um 50 %, Vitamin C und Vitamin E aus der Nahrung um 60 % bzw. um 40 % (Deneo-Pellegrini et al., 1999). Warum man Wurst nicht mit Käse, sondern mit Tofu und Gemüse ersetzen sollte . . . Im Gegensatz zu den Menschen in Uruguay ernähren sich Chinesen traditionell von viel isoflavonreichem Soja und Gemüse. Insbesondere der zu den Kreuzblütlern zählende Chinakohl und andere Kohlsorten sind Grundnahrungsmittel. Die protektive Wirkung eines hohen Gemüsekonsums in Bezug auf die Entwicklung eines fortgeschrittenen Prostatakarzinoms (Stadien III oder IV) belegt eine Studie von Kirsh et al. (2007). Männer, die viel Gemüse verzehrten hatten ein um 59 % reduziertes Risiko im Vergleich zu Männern mit einem geringen Gemüseverzehr. Dieser Effekt wurde zu 40 % auf die Wirkung von Gemüsesorten zurückgeführt, die zu den Kreuzblütlern zählen. Insbesondere Brokkoli und Blumenkohl führten zu einer Risikominderung um 45 % bzw. 52 %, wenn sie häufiger als einmal pro Woche verzehrt wurden verglichen mit einem Konsum von weniger als einmal pro Monat. Den protektiven Effekt von Kreuzblütlern auf die Entwicklung eines nicht-metastatischen Prostatatumors zu einem progressiven Tumor zeigten auch Richman et al. (2012). Männer mit dem höchsten Verzehr (höchstes Viertel) hatten ein um 59 % vermindertes Risiko verglichen mit dem geringsten Verzehr (niedrigstes Viertel). Chinakohl und Pak Choi, die in China sehr häufig verzehrte Gemüsearten sind, dürften ähnlich günstige Effekte haben: Sie sind reich an Vitamin C, Carotinoiden und Glucosinolaten. Hohe Gesundheitsausgaben schützen nicht vor Krankheit und Tod Auch wenn Uruguay seine großen Glanzzeiten hinter sich hat, geben die Männer in Uruguay für ihre Gesundheit bzw. ihre Krankheiten das 3-Fache der Chinesen aus und können sich das auch leisten. Dennoch haben sie eine kürzere Lebenserwartung (WHO, 2009). Die Deutschen ließen sich 2011 ihre Gesundheit das 10-Fache der Chinesen kosten – bei identisch vielen gesunden Lebensjahren (healthy life years) (WHO, 2009). Schockierend für das deutsche Gesundheitssystem dürfte auch sein, dass im Jahr 1981 ein 65-jähriger Chinese, der also die Tücken eines in seiner Entwicklung stark gebremsten Landes (sehr hohe Säuglingssterblichkeit, Infektionen, Unterernährung etc.) überlebt hatte, mit einem winzigen Bruchteil des Kostenaufwandes in einem völlig unterentwickelten Gesundheitssystem fast die gleiche Lebenserwartung wie ein Deutscher erreichte. Im Jahr 1981 hatte ein 65-jähriger Chinese im Schnitt noch 12,44 Jahre zu leben, insgesamt also 77,44 Jahre (Zhang und Zhu, 1984), der 65-jährige Deutsche hatte noch 13,09 Lebensjahre, insgesamt 78,09 Jahre (1981; Statistisches Bundesamt, 2012). Leben wir wirklich immer länger? Oder: Wie der große Fortschritt der Medizin von Zivilisationskrankheiten fast neutralisiert wird. Dass wir immer älter werden, ist vor allem korrekt in Bezug auf die Lebenserwartung bei der Geburt. Da lagen die Deutschen 1871-81 bei 35,58 Jahren (Männer) und 38,45 Jahren (Frauen). Doch schon 1871-81 hatte ein 65-jähriger Mann, der die hohe Säuglingssterblichkeit, Infektionserkrankungen und Kriege überlebt hatte, eine Restlebenserwartung von 9,55 Jahren, insgesamt wurde der Mann also im Schnitt 74,55 Jahre alt. 198082 lag der deutsche 65-jährige Mann bei 78,09 Jahren und im Jahr 2009-11 bei 82,48. (Eine 65-jährige Frau hatte übrigens 1871-81 eine Restlebenserwartung von 9,96 Jahren, also insgesamt 74,96 Jahre, 1980-82 eine Restlebenserwartung von 16,77 Jahren und im Jahr 2009-11 eine Restlebenserwartung von 20,68 Jahren.) (Statistisches Bundesamt, 2012) Zwischen 1871-81 und 2009-11 verlängerte sich die Lebenserwartung für einen 65-jährigen Mann also um lediglich 8 Jahre, doch wie viele davon werden in häuslicher Pflege oder in Pflegeheimen verbracht? Im gesund Altwerden sind die Deutschen weltweit nicht führend, doch in Sachen „Kosten des Gesundheitssystems“ gehören wir zur Spitze. Der Fortschritt der Medizin bekämpft mit gewaltigem Kostenaufwand und hohem Leidensdruck der Betroffenen vor allem Krankheiten, die 1871-81 eine Seltenheit waren, weil Zivilisationserkrankungen nur bei der Oberschicht auftraten. Es wundert daher nicht, dass in allen Ländern, wo der westliche Lebensstil Einzug hält, Zivilisationserkrankungen explosionsartig zunehmen. In den USA, wo der westliche Lebensstil auf die Spitze getrieben wurde, steigt die Lebenserwartung nicht mehr, sondern befindet sich vor allem bei den sozial Schwächeren im Sinkflug. Bei weißen US-Amerikanerinnen ohne höhere Bildung ging seit 1990 die Lebenserwartung bereits um 5 Jahre zurück, Männer ohne höhere Bildung verloren 3 Jahre Lebenserwartung (Olshansky et al., 2012). Dies kann uns einen Vorgeschmack auf die Zeiten eines wirtschaftlich geschwächten, aber ungesund fehl- und überernährten Europas geben. Zusammenfassung: Der Vergleich von weltweiten, extrem unterschiedlichen Ernährungsmustern kann die extrem hohe bzw. niedrige Prostatakrebsmortalität in Uruguay bzw. China und Asien erklären. Die Unterschiede betragen dann global gesehen den Faktor 13, nicht den Faktor 1,22 wie in der EPIC-Studie (Allen et al., 2008). Im Gegensatz zu Asien ist die Ernährung in den westlichen Ländern und in vielen Ländern Südamerikas gekennzeichnet durch den hohen Gehalt an tierischen Fetten und Proteinen und einen niedrigen Ballaststoffgehalt. In Uruguay stellten insbesondere die jahrzehntelang praktizierte Ernährungsweise mit einem übermäßigen Konsum von Fleisch, Milch und wohl auch der hohe Zuckerkonsum die Hauptrisikofaktoren dar. Die Asiaten dagegen nehmen traditionell nicht nur viel weniger tierische Lebensmittel zu sich, sondern auch große Mengen protektiv wirksamer pflanzlicher Kost wie Soja, Gemüse, Kohl, Kräuter, Pilze und Grüntee. Die Deutschen liegen nicht nur im Konsum von Fleisch und Milchprodukten, sondern auch in der Prostatakrebsmortalität im internationalen Mittelfeld. Sinnvoll wäre es also, nicht das Wurstbrot durch ein Käsebrot zu ersetzen, sondern mehr echte Pflanzenkost, wie z. B. Tofu mit reichlich Gemüse,Kräutern und Gewürzen, zu verzehren. Das wäre nicht nur gut für die Prostata, sondern auch für das Herz-Kreislauf-System. Daneben spielen auch regelmäßige Bewegung, Frischluft, Sonnenlicht und ausreichend Entspannungsphasen eine wichtige Rolle. Besonders Betroffenen sei das Zitat von Viktor Frankl an Herz gelegt: „Vor den Bäumen der Forschungsergebnisse sieht der Forscher nicht mehr den Wald der Wirklichkeit.“ Daher ist es wenig sinnvoll, auf ein endgültiges Urteil der Wissenschaft zu warten, bevor man seinen Lebensstil verändert. Im Jahr 2000 korrelierte das traditionelle asiatische Ernährungsmuster mit einer Risikoreduktion von 96 %, an Prostatakrebs zu versterben. Der Risikoaufschlag für eine westliche Ernährungs- und Lebensweise auf Basis von Milch, Fleisch, Zucker und wenig Bewegung betrug 2600 %. Weltweite Ernährungsmuster 2008: 13-mal höhere Mortalität in Uruguay als in China Fleisch g/Tag Protein Verzehr (g/Tag) Fisch g/Tag 1961 2002 Aus MilchProdukten Tierisches Protein Pflanzliches Protein 2(5) 22 g*(7)/ 84 g(9) 10 g(11) 144 g(11) Sehr niedrig 7 - 11 g(14,15) 51 g(15) 2(6) 15 g*(8) < 0,1 g*(8) 3,3 g*(8) Region Lebenserwartung (m/w) Prostatakrebsmortalität ASR** China 74/77(1) Okinawa 79/87(2) 3 g - 35,7 (1949)(8) Japan 79/86(1,2) 5(5) 62 g*(8)/ > 153 g(9) EPIC-Studie (1.-5. Quintil) 77/83(3) 12(5) 18 g78 g(10) Deutschland 78/83(1,4) 12(5) 42 g(9) Schweden 80/84(1) 20(5) 88 g(9) Uruguay 73/80(1) 26(5) g*(8) 120 g(11) < 1 g*(8) 44 g(15) (inkl. 33 g Fischprotein(9)) 76 g -194 g(10) 10 g - 27 g(10) 47 g 80 g(10) 29 g 47 g(10) 175 g(11) 225 g(11) Hoch 62 g(15) 35 g(15) 138 g(11) 208 g(11) Hoch 60 g(15) 30 g(15) 315 g(11) 252 g, davon 162 g aus Weidenrind(12) Hoch (630 mL Milch) 65 g(16) 35 g(16) 21 g(11) (13) 43 g(15) *: traditionelle Ernährung (China: 1981-90; Okinawa: 1949; Japan: 1950) **: ASR: age-standardised rate; Todesfälle pro 100.000 Quellen: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) (16) WHO (2009) : http://www.who.int/countries/en/ Willcox et al., 2012 European Commission, 2012 Statistisches Bundesamt, 2012 Ferlay et al., 2010 Altersstandardisierte Rate auf Basis von (4/100.000) von Japan Ministry of Health and Welfare 1996 Dey et al., 2005 Willcox et al., 2007 NOAA, 2011 Allen et al., 2008 Brown, 2009 Instituto Nacional de Carnes, 2011 MercoPress, 2011 Campbell und Campbell, China Study Frassetto et al., 2000 Konservativer Schätzwert aufgrund des Fleisch- und Milchkonsums in Uruguay und Werte für Argentinien aus Frassetto et al., 2000 Literatur: Allen N E, Appleby PN, Davey GK, Key TJ (2000): Hormones and diet: low insulin-like growth factor I but normal bioavailable androgens in vegan men. 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