Neuromarketing: Unserem Denken, Fühlen und Handeln auf der Spur

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No. 2 – NACHGEDACHT
Eine Publikation der strategischen Marken- und Kommunikationsagentur Intermotion® GmbH
Neuromarketing: Unserem Denken, Fühlen
und Handeln auf der Spur
Hamburg, 21.05.2012. Die zunehmende Integration neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in
diversen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen ist in den letzten Jahren deutlich in den Fokus des öffentlichen
Bewusstseins gerückt. Ein einfacher Indikator hierfür ist das Internet: Während eine entsprechende Recherche des
Begriffs Neuromarketing bei Google im Jahre 2003 nur einige wenige Treffer ergab, wird der Suchende heute mit
ca. 1.480.000 Ergebnissen konfrontiert. Höchste Zeit für eine kurzweilige Einordnung.
Editorial
Die Mär vom Kaufknopf in
unserem Gehirn
Dürfte sich ein Marketeer etwas wünschen, so wäre
es sicherlich die genaue Kenntnis über den Kaufknopf im Kopf seiner Kunden. Endlich könnte er alle
unternehmerischen Marketingaktivitäten zielgenau, effektiv und erfolgreich platzieren. Dies hieße:
Im Himmel ist Jahrmarkt.
Doch leider – oder vielleicht auch Gott sei Dank –
kennt diesen ominösen Kaufknopf noch niemand.
Und dies wird auch so bleiben – da er nicht existiert!
Diese ernüchternde oder aus Konsumentensicht
beruhigende Erkenntnis ist das Ergebnis der letzten
zwei Dekaden Hirnforschung. Unser Gehirn ist nicht
so einfach gestrickt, dass es sich seiner Geheimnisse
so leicht berauben ließe. Das sogenannte Pugh-­
Paradoxon bringt es auf den Punkt: „If the brain
were so simple that we could fully understand it,
we would be too simple to understand it.“
Eine Standortbestimmung des Begriffs Neuromarketing
Der Blick in den Kopf des Kunden, den sich die Verantwortlichen des Marketings auf Unternehmens- als auch
Agenturseite buchstäblich wünschen, ist nicht nur der
Blick in ein ca. 1400 Gramm schweres Organ aus Wasser,
Fett, Proteinen, Kohlenhydraten und Mineralien. Es ist
der Blick in den „Geist“ des Kunden, in die psychologischen Gesetzmäßigkeiten, die dem Verhalten, Lernen
und Erleben zu Grunde liegen. Ob das Neuromarketing
diese Einblicke und Einsichten geben kann und damit für
die kommerzielle Nutzung geeignet und somit anwendungsrelevant ist, ist der eigentliche Lackmustest für die
Praxisrelevanz des Neuromarketings.
FASZINATION GEHIRN
Beginnen wir unsere Reise aber von Anfang an. Das
sogenannte moderne Gehirn ist in der menschlichen
Entwicklungsgeschichte vor ca. 50.000 Jahren entstanden. Erstmalig beschrieben wurde es ca. 1.700 v. Chr. in
einem ägyptischen Papyrus. Eine besondere Bedeutung
schrieb der Mensch diesem Organ lange Zeit nicht zu. So
postulierte der griechische Philosoph Aristoteles noch um
335 v. Chr., dass das Gehirn dem Herzen untergeordnet
sei und wohl der Kühlung des Körpers diene. Allerdings
siedelte der athener Philosoph Platon geistige Prozesse
bereits 387 v. Chr. im Gehirn an. In der Folgezeit sollte
das geistige Zentrum des Menschen aber langsam seinen
Platz im Schädel des Menschen erhalten. Abgesehen von
schweren – aber für den Erkenntnisgewinn glücklicherweise nicht tödlichen verlaufenden – Kopfverletzungen,
die eine erste Ahnung von der Bedeutung und den Aufgaben des Gehirns erahnen ließen (Bsp.: Phineas Gage,
dessen Kopf von einer Eisenstange durchbohrt wurde und
der von da an soziopathische Züge ausbildete), waren Untersuchungen am Gehirn kaum möglich, da einem lebenden Menschen nur schwerlich ins Gehirn geblickt werden
konnte. Dies änderte sich schlagartig mit der Einführung
moderner Untersuchungsmethoden, die es nunmehr
der Wissenschaft erlaubten, einen Blick auf und in das
Vor dem Mythos der „geheimen Verführer“ muss
sich also keiner fürchten, auch nicht im Zeitalter
des Neuromarketings. Es ist nicht möglich einen
Menschen – ohne Gewalt – gegen seinen Willen zu
einer Handlung zu bewegen. Unbestritten ist aber
auch, dass die Nutzung der Erkenntnisse des Neuromarketings Unternehmen Mehrwerte bescheren
kann. Zwar steckt diese neue Disziplin noch in den
Kinderschuhen, aber es ist davon auszugehen,
dass dieser interdisziplinäre Ansatz zukünftig zum
Standardwerkzeug im Marketing zählen wird.
„In many areas of economics, it will dominate,
because it works.“, bringt es der Nobelpreisträger für
Wirtschaftswissenschaften Daniel Kahneman auf
den Punkt. Wir wünschen Ihnen daher viel Vergnügen mit unserer kleinen Einführung in die Welt der
Neuroökonomie.
Jan-Oliver Heß
Geschäftsleitung
[email protected]
No. 2 – NACHGEDACHT
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lebende und arbeitende Gehirn zu werfen. Insbesondere
die sogenannten bildgebenden Verfahren haben die Neurowissenschaften revolutioniert. Dabei wird das Gehirn
durch zwei Verfahrensarten abgebildet: Durch anatomische Verfahren, die Informationen über die Struktur des
Gehirns liefern und funktionelle Verfahren, die Einblicke
in die Abläufe im Gehirn gewähren. Konnte man lange
nur vermuten, wie das Gehirn Gedanken, Emotionen und
Wahrnehmung erzeugt, so kann man ihm jetzt quasi bei
der Arbeit zusehen (s. Abbildung unten).
sargartigen, engen Hightech-Röhre stattfindet und bei
etlichen Menschen klaustrophobische Zustände auslöst,
die für gewöhnlich nichts mit einem entspannten Einkaufsbummel gemein hat. Zudem misst die fMRT die
Aktivität von Gehirnzellen nur indirekt, indem man sich
das Phänomen zu Nutze macht, dass das Blut um rege
arbeitende Neuronen herum seine magnetischen Eigenschaften aufgrund eines veränderten Sauerstoffgehaltes
ändert. Die Einfärbung der einzelnen Regionen, entsteht
erst später im Computer als statistische Mittelung.
Literatur Service
Empfehlenswerte Bücher für den ersten und übersichtsartigen Einstieg:
Neuromarketing
Erkenntnisse der Hirnforschung für
Markenführung,Werbung und Verkauf
Hans-Georg Häusel (Hrsg.)
Haufe Verlag (2008)
Neuromarketing
Grundlagen–Erkenntnisse–Anwendungen
Gerhard Raab, Oliver Gernsheimer,
Maik Schindler
Gabler Verlag (2009)
Neurowissenschaften
Ein grundlegendes Lehrbuch für Biologie,
Medizin und Psychologie
Mark F. Bear, Barry W. Connors,
Michael A.Paradiso
Spektrum Akademischer Verlag (2008)
Die Neurogesellschaft
Wie die Hirnforschung Recht und
Moral herausfordert
Stephan Schleim
Heise Zeitschriften Verlag (2011)
© Jan-Oliver Heß 2011
Mit bildgebenden Verfahren dem Gehirn auf der Spur
Die aufmerksamkeitsstarken bunten Bilder aus dem
Hirnscanner sind heute auch in der Tagespresse und in
Publikumszeitschriften allgegenwärtig. Aber auch wenn
diese bildgebenden Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) der Neurowissenschaft
bereits zu vielen neuen Einsichten verholfen haben, ist
Vorsicht geboten. Blindes Vertrauen in ihre Nützlichkeit
verführt – insbesondere manche populäre Massen­
medien – leicht dazu, sich stark vereinfachte und oft
sogar irreführende Vorstellungen über die Arbeitsweise
unseres Denkorgans zu machen.
Es sollte immer die Kernfrage im Hinterkopf mitschwingen: Was können Aufnahmen des arbeitenden Gehirns
wirklich zeigen und was nicht? Die Interpretation der
Bilder ist aus verschiedenen Gründen schwierig. So ist
der Hirnscanner eine unnatürliche Umgebung für Denkprozesse, da die Untersuchung mit fixiertem Kopf in einer
Schließlich arbeiten Hirnareale nicht eigenständig, sondern als Teile von Netzwerken, so dass man nicht einfach
auf einen Flecken zeigen und sagen kann: Dort passiert
dieses und jenes in deinem Gehirn. Es handelt sich also
weniger um viele isolierte Module in unserem Kopf als
vielmehr um untereinander interagierende Netzwerke.
Die Interpretation der Hirnscanner Resultate ist daher
Wissenschaft und Kunst zugleich.
Das kleine Buch vom Gehirn
Reiseführer in ein unbekanntes Land
Michael Madeja
Verlag c. H. Beck (2011)
Vorträge & Seminare
Nutzen Sie auch gerne unser Vortrags- und
Seminarangebot zu den vielfältigen Themen aus
der Kommunikationswelt und lernen Sie uns
persönlich kennen.
UNIVERSUM IM KOPF
Zum Thema Neuromarketing
Trotz aller gebotenen Skepsis haben die letzten zwei
Jahrzehnte – in denen wir ca. 95 % unseres derzeitigen
Wissens über das Gehirn gewonnen haben – erstaunliche und teilweise atemberaubende Erkenntnisse gebracht. Exemplarisch seien einige Superlativen über das
Gehirn genannt: Unser Gehirn besteht aus ca. 100 Milliarden Nervenzellen (die Zahl der im Gehirn befindlichen
Die Markenwelt in unseren Köpfen
Wie Botschaften ihr Ziel erreichen
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Gliazellen ist sogar um das zehnfache höher), die mit ca.
1 Trillionen Synapsen mit einander verbunden sind. Zum
Vergleich: Der menschliche Körper besitzt geschätzte 100
Billionen Zellen und die Zahl der Sterne in unserer Milchstraße beträgt ca. 100 bis 300 Milliarden. Jedes Neuron ist
mit bis zu 30.000 anderen Neuronen vernetzt bzw. kommuniziert mit diesen. Die Gesamtlänge aller Nervenbahnen unseres Gehirns beträgt ca. 5,8 Millionen Kilometer,
eine Länge, die 145 Erdumrundungen entspricht.
Bemerkenswert ist auch, das unser Gehirn nur 2 % des
Körpergewichtes ausmacht, sein Anteil am Sauerstoffbzw. Energieverbrauch aber stolze 20 % bzw. 25 % beträgt. Vom Standpunkt der Energieeffizienz ist Denken
also ein sehr verschwenderischer Zustand und daher aus
biologischer Sicht zu vermeiden. Mit den daraus ableit­
baren Schlussfolgerungen über ihre Mitmenschen lasse
ich sie jetzt aber lieber alleine.
© Jan-Oliver Heß 2011
Aber auch das Marketing und hier insbesondere die Werbe- und Kommunikationsdisziplinen konnten erheblich
von den Erkenntnissen der Hirnforschung profitieren. An
dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass man landläufig
unter Neuromarketing im engere Sinne den Einsatz von
bildgebenden Verfahren zum Zwecke der Marktforschung
und Markenwirkungsforschung versteht und unter
Neuromarketing im weiteren Sinne die interdisziplinäre
Anwendung und Zusammenführung der Erkenntnisse
der Neurowissenschaften zum Zwecke des Marketings
(s. Schaubild auf Seite 1). Für die „Markenwelt“ lassen­
sich die Erkenntnisse plakativ so zusammenfassen: Wir
wissen jetzt, was wir vorher nur vermutet haben!
In der Kurzform bedeutet dies: 1. Marken können zu Veränderungen der Gehirnaktivitäten führen und Präferenzentscheidungen beeinflussen; 2. Starke Marken haben
ein breites neuronales Netzwerk mit vielen Assoziationen
und beeinflussen auf diese Weise das Wahlverhalten der
Konsumenten; 3. Starke Marken haben eine starke emotionale Komponente, aktivieren das Belohnungszentrum
im Gehirn und sind klar limbisch positioniert; 4. Effektive
Markenkommunikation ist multi-sensorisch und vermittelt diejenigen Assoziationen und Werte besonders
intensiv, die im neuronalen Markennetzwerk eng an den
Markenkern gebunden sind.
Doch der Stein der Weisen ist damit noch lange nicht gefunden, da die dahinterliegenden Prozesse im Detail und
auf eine einzelne Marke bezogen – insbesondere eine, die
es noch werden möchte – noch nicht genau bekannt sind.
Zudem bedeutet Markenbekanntheit nicht zwangsläufig
auch Markenkauf. Die Überbrückung dieser Kluft ist von
einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter denen die
Anwendung neuropsychologischer Kenntnisse und Verfahren nur einer unter vielen ist.
INTERMOTION News
Display des Jahres 2011
Intermotion erhält den „Pappe-Oscar“
Für die Kreation des „Eucerin Weihnachtsbaum“ Displays des Kunden Beiersdorf AG durfte Intermotion
die Auszeichnung der Firma wellteam entgegen
nehmen. Dankeschön!
NEUES DENKEN IN DER HIRNFORSCHUNG
Ungeachtet aller noch offen Fragen, kann das Neuro­
marketing aber bereits jetzt eine klare Antwort geben:
Den Homo oeconomicus als Grundlage aller Marketingund Kommunikationsaktivitäten gibt es nicht. Es ist nicht
die Vernunft, die entscheidet und unser Handeln bewusst
bestimmt. Es sind vielmehr die Emotionen, die uns führen und von den allermeisten Entscheidungen (>70 % bis
80 %) bekommen wir gar nichts mit, da sie unbewusst
fallen. Unser Verstand nimmt hierbei mehr die Rolle eines
Regierungssprechers ein, der Entscheidungen interpretieren und legitimieren muss, an deren Zustandekommen
er nicht beteiligt war und deren wahren Gründe er nicht
kennt (Dan Dennet, Neurophilosoph).
In letzter Konsequenz müssen daher Marken implizit und
neuropsychologisch geführt werden und die besondere
Motiv-, Emotions- und Wertestruktur der Adressaten
berücksichtigen und ansprechen. Dann können die Botschaften ihr Ziel erreichen und ihre körperlichen Manifestationen haben eine Chance in den „Einkaufstaschen“
der Kunden zu landen.
Das Neuromarketing als “Multi-Science“ Ansatz entdeckt
derzeit die notwendigen Voraussetzungen effizienter
Marken- und Kampagnenführung und seine Erkenntnisse werden in die Marketing- und Kommunikationspraxis
integriert. Dieses neuropsychologische Wissen ist jedem
zugänglich und erklärt nicht nur die Werbe- und Markenwirkung sondern auch ein Stück weit unser eigenes Verhalten. Den kreativen und stets risikobehafteten Prozess
der Marken- und Kommunikationsentwicklung kann es
aber nicht ersetzen – ein guter Physiker ist ja auch nicht
notwendigerweise ein guter Erfinder.
Quelle: P.O.S. kompakt | 3.2012
Impressum:
Redaktion: Jan-Oliver Heß
Text/Lektorat: Jan-Oliver Heß, Kerstin Oschütz
Gestaltung: Jan-Oliver Heß
Litho/Druck: Jan-Hendrik Munzert
Herausgeber: Intermotion® GmbH
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(Dr. Hans-Georg Häusel)
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