Prof. Dr. Dr. hc mult. Günter Wöhe zum 80

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Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Günter Wöhe
zum 80. Geburtstag
Laudatio anlässlich der Akademischen Feier am 3. Mai 2004 an der Universität des Saarlandes
Prof. Dr. Ulrich Döring, Universität Lüneburg
1. Einleitung
Was erwartet eine Festversammlung von einer Laudatio? Die Antwort ist einfach: Die Laudatio
soll lobesam und sie soll unterhaltsam sein. Der Laudator soll ein großes Werk rühmen und er
darf seine Zuhörer nicht langweilen. Im Falle Günter Wöhes ist es unmöglich, beiden Ansprüchen gleichzeitig gerecht zu werden.
Daß G. W. ein berühmter Mann ist, weiß jeder. Aber gerade das macht die Laudatio so schwierig,
denn seine wissenschaftliche Leistung wurde schon aus vielfältigen Anlässen öffentlich gepriesen:
1981 zur Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Duisburg, 1984 zum 60. Geburtstag in einem Sonderheft der Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 1986 zur
Verleihung des international renommierten Dr. Fritz Kausch-Preises an der Universität Sankt
Gallen, 1989 zur Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Lüneburg und im gleichen Jahr durch die Festschrift zum 65. Geburtstag.
Wenn das Handelsblatt seine Glückwunschadresse zum 75. Geburtstag unter die Überschrift
stellte: „Der Nestor der deutschen BWL wird 75“, dann kann der Laudator zum 80. Geburtstag
keinen höheren Ruhm verkünden. Seine Vorredner haben ihm schon alles weggelobt.
Würde ich jetzt in das bekannte Loblied über G. W. einstimmen, degenerierte die Laudatio zur
zehnten Strophe eines Hymnus. Liturgische Lobgesänge sind aber nicht nach dem Geschmack
von G. W. Seine private Passion gilt eher der klassischen Musik und der Geschichtsschreibung.
Darum will ich mich in meiner Laudatio nach dem Motto Leopold von Rankes darauf beschränken, zu „sagen, wie es gewesen ist“.
Ranke steht unserem Jubilar sehr nahe. Beide wurden in dem zwischen Sachsen und Preußen
umkämpften Grenzland geboren: G. W. in der früheren Bischofsstadt Zeitz und Ranke im nahe
gelegenen Wiehe im Unstruttal. Auffälliger ist die geistige Verwandtschaft: Beide - Ranke und
Wöhe - verwahren sich gegen eine normative Wissenschaft. Nach Ranke soll der Historiker nicht
richten und belehren, sondern nur sagen, wie es gewesen ist. Und nach Wöhe soll der Ökonom
nicht zwischen guten und schlechten Zielen unterscheiden, sondern er soll nur sagen, ob
menschliches Handeln zielkonform, d. h. zweckmäßig oder unzweckmäßig ist.
Günter Wöhes Neigung zur Musik und zur Geschichte hat familiäre Wurzeln: Sein Vater war
Mittelschullehrer, der mit einer historischen Arbeit zum Doctor philosophiae promoviert wurde.
Sein Großvater war Arzt und Musiker aus Leidenschaft und stand in engem Kontakt zu den
Pianisten Elly Ney und Wilhelm Backhaus.
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Bei der Wahl seines Studienfaches schwankte der Abiturient G. W. zwischen Medizin und Philosophie, also zwischen großväterlichem und väterlichem Vorbild. Seine persönliche Neigung gehörte eindeutig der Philosophie. Aber man schrieb das Jahr 1942. Und der Achtzehnjährige wußte, daß er bald in den Krieg ziehen müßte. Und er fragte sich, ob einem Soldaten an der Ostfront
eher das Philosophie- oder das Medizinstudium von Nutzen sein könnte. Er entschied sich für
das Medizinstudium, erwies sich aber in Wahrheit als Ökonom, denn sein Handeln war nicht
vom Gefühl, sondern von nüchterner Kosten-Nutzen-Analyse bestimmt.
Nach einem Semester Medizin in Halle wurde G. W. erwartungsgemäß Soldat. Am Mittelabschnitt der Ostfront wurde der Neunzehnjährige schwer verwundet. Die Beinamputation im
Feldlazarett blieb ihm - buchstäblich in letzter Minute - erspart, weil der Feldchirurg dem jungen
Medizinstudenten eine kollegiale Verzugsbehandlung in der Heimat zuteil werden ließ. Das Medizinstudium hatte also seinen Zweck erfüllt.
So konnte der aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrte Soldat seiner Neigung folgen und
1946 mit dem Studium der Philosophie und Geschichte in Würzburg beginnen. Schon nach drei
Semestern machte er zwei wichtige Entdeckungen: Er erkannte seine Neigung zur Ökonomik
und wechselte das Studienfach und er begegnete in der Mensa einer hübschen und sympathischen VWL-Studentin, mit der er inzwischen seit über 50 Jahren verheiratet ist. 1951 machten
die beiden ihr VWL-Diplom. 1954 wurde G. W. mit einer volkswirtschaftlichen Arbeit promoviert und 1958 mit einer betriebswirtschaftlichen Arbeit habilitiert.
2. Das wissenschaftliche Fundament des Gesamtwerks
Günter Wöhes Gesamtwerk umfaßt 14 Monographien und Lehrbücher und eine dreistellige Zahl
von Aufsätzen und anderen wissenschaftlichen Beiträgen. Will man seine herausragende wissenschaftliche Leistung charakterisieren, genügen zwei Schlagworte
G. W. ist der Pionier der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre
G. W. ist der Bewahrer der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre deutscher Prägung.
Das Fundament seines wissenschaftlichen Werkes legte er in seiner 1959 erschienenen Habilitationsschrift „Methodologische Grundprobleme der Betriebswirtschaftslehre“. Hierin setzte er
sich mit drei bis heute zentralen Problemkomplexen unseres Faches auseinander:
1.
2.
3.
Mit dem Leitmotiv ökonomischen Denkens und Handelns.
Mit der Abgrenzung unseres Faches zu den Nachbarwissenschaften.
Mit dem Problem von Werturteilen in der Wissenschaft.
Was verbindet G. W. mit seinem im nahegelegenen Leipzig geborenen Landsmann Richard Wagner? Es ist die Anerkennung des Leitmotivs als entscheidendes konstruktives Element in Kunst
und Wissenschaft. Für G. W. ist das ökonomische Prinzip das Leitmotiv einer Wissenschaft, die
man Ökonomik nennt: aus einem begrenzt verfügbaren Potential soll der größte Nutzen gezogen
werden. Und weil das Eigenkapital knapp ist, ist es so einzusetzen, daß es dem Eigenkapitalgeber
den größten Nutzen bringt. So wird für G. W. die langfristige Gewinnmaximierung zum unternehmerischen Oberziel und zum Auswahlprinzip der Betriebswirtschaftslehre.
Das ökonomische Prinzip ist nicht nur Leitmotiv modellmäßigen wirtschaftlichen Handelns. Es
dient darüber hinaus zur Abgrenzung unseres Faches gegenüber den Nachbarwissenschaften. Be-
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triebliches Geschehen kann unter technischen, rechtlichen, soziologischen oder ökonomischen
Aspekten analysiert werden. Die Ökonomik unterscheidet sich von anderen wissenschaftlichen
Disziplinen durch das Bemühen, das Problem der Güterknappheit durch Anwendung des ökonomischen Prinzips zu entschärfen.
In der Werturteilsfrage geht es um die Rolle der Moral in der Wissenschaft. Hier plädiert G. W.
für eine klare Trennung zwischen Gewissen und Wissen, zwischen primären und sekundären
Werturteilen. Primäre Werturteile, d. h. die ethische Wertung menschlichen Handelns, überläßt er
der Moralphilosophie. Nach G. W. soll der Betriebswirt nicht sagen, ob die Ziele gut oder
schlecht sind, sondern er soll nur feststellen, ob die zur Zielerreichung einzusetzenden Mittel geeignet oder ungeeignet sind.
3. Der Pionier der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre
G. W. ist seiner Saarbrücker Fakultät trotz mehrerer ehrenvoller Rufe bis zur Emeritierung im
Jahre 1992 treu geblieben. 1959 kam er zum ersten Mal ins Saarland, denn dort war ein Lehrstuhl
für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre ausgeschrieben. Die Saarbrücker Kollegen erwarteten sicherlich einen Berufungsvortrag, wie man in einer bestimmten Sachfrage Steuergesetz und
Steuerrechtsprechung auszulegen habe, um zu einem rechtskonformen steuerlichen Jahresabschluß zu kommen. Eine derartige Steuerrechtsauslegungsslehre entsprach dem damaligen Selbstverständnis des Faches.
Hier gab es für den Privatdozenten G. W. ein Problem: Er hatte keinerlei fachliche Vorkenntnisse. Er hatte noch nie eine Vorlesung zu Steuerlehre gehört, geschweige denn gehalten. Um
dieses Manko auszugleichen, mußte er sich ein paar grundlegende Gedanken machen. Kurz
gefaßt läßt sich sein Gedankengang folgendermaßen beschreiben: Unternehmerisches Oberziel
ist die langfristige Gewinnmaximierung. Treten Steuern hinzu, geht es um langfristige Nettogewinnmaximierung. So werden Steuerzahlungen zur negativen Entscheidungskomponente. Damit
stellt sich für die Betriebswirtschaftslehre die Aufgabe, den Einfluß von Steuern auf unternehmerische Entscheidungen zu untersuchen.
Der Steuergesetzgeber setzt die Spielregeln. Die Unternehmen machen innerhalb des Ordnungsrahmens Spielzüge nach Maßgabe des Spielziels „Nettogewinnmaximierung“. Wenn dem
Regelgeber das Spielergebnis nicht gefällt, muß er die Spielregel, d. h. die Steuergesetze, so
ändern, daß die Spieler mit ihren Spielzügen zum gewünschten Resultat gelangen.
Dieses im Grunde genommen institutionenökonomische Konzept hat G. W. schon 1960 entwickelt. Er hat das Fach von der Rechtsauslegungslehre zur Steuerwirkungs- und Steuergestaltungslehre geführt. Mit dieser Pionierleistung hat er große Anerkennung erfahren. Zur Zeit
der Großen Koalition wurde er vom damaligen Finanzminister Strauß in die Steuerreformkommission berufen. Als Fachmann in Fragen der Körperschaftsteuerreform hat er die japanische
Regierung beraten. Zwei japanische Universitäten übertrugen ihm eine Gastprofessur. Fünf
Kollegen aus Japan sind eigens zu dieser Akademischen Feier angereist. Sie bekunden damit ihre
enge persönliche und fachliche Verbundenheit zu G. W. Es ist uns eine große Ehre und Freude,
unsere japanischen Kollegen heute bei uns begrüßen zu können.
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4. Der Bewahrer der A BWL
Markennamen haben ein langes Leben, wenn sich die jeweiligen Produkte nachhaltiger Wertschätzung erfreuen. Manchmal halten Markennamen die Erinnerung an Personen wach, die ohne
den Produkterfolg längst vergessen wären. Beispiele sind Mercedes, Melitta, Diesel, Duden oder
Brockhaus. Mit dem Namen Wöhe wird es ganz genauso kommen. Schon heute unterscheiden
die Studenten beim Begriff „Wöhe“ nicht mehr zwischen Person und Produkt, sondern nur noch
zwischen dem alten und dem neuen Wöhe, je nachdem ob sie die gerade aktuelle Auflage oder
eine Vorauflage besitzen.
Vor kurzem kam ein Erstsemester zu mir und fragte „Kann ich mit dem alten Wöhe noch was
anfangen?“ Meine Antwort: „Es kommt darauf an, wie alt Ihr Wöhe ist.“ Er zeigte mir dann die
13. Auflage, mit der seine Mutter ihr BWL-Studium bestritten hatte. Ich riet ihm, doch die 21.
Auflage zu kaufen und jährlich einen Euro zurückzulegen, damit seine Kinder einmal mühelos
die 30. Auflage erwerben können.
Vor 39 Jahren kam ich zum BWL-Studium nach Saarbrücken. Im Audimax las Herbert Hax die
„Einführung in die BWL“. Als Pflichtlektüre verwies er auf „Wöhes Allgemeine“. Das sei das
Standardlehrbuch. Zwischenzeitlich wurde der „Wöhe“ in mehrere Sprachen übersetzt. Und im
deutschen Sprachraum ist er noch immer das führende Standardlehrbuch. Worauf ist dieser für
ein wissenschaftliches Lehrbuch beispiellose Erfolg zurückzuführen? Meine persönliche Antwort
lautet: Weil G. W.
mit seinem methodologischen Ansatz den Bedürfnissen der Wirtschaftspraxis und
mit seinem didaktischen Ansatz den Bedürfnissen der Studienanfänger gerecht wird.
Am Ende der Ära Gutenberg veränderte sich die deutsche Betriebswirtschaftslehre: Ein Teil der
Fachvertreter konvertierte vom ökonomischen zum sozialwissenschaftlichen Fachverständnis.
Und fast alle Fachvertreter spezialisierten sich in einem betriebswirtschaftlichen Forschungsschwerpunkt. Interdisziplinarität und Spezialisierung waren die kennzeichnenden Auflösungserscheinungen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre. Beiden Entwicklungstendenzen hat sich
G. W. bis heute entgegengestellt. In methodologischer Hinsicht ist Wöhes BWL-Ansatz focussiert auf das ökonomische Prinzip. Damit will er zweierlei erreichen: Erstens die strikte Abgrenzung des Faches zu den Sozialwissenschaften und zweitens den Erhalt des einigenden
Bandes zwischen den betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen.
Die Interpretation des Betriebes als sozio-ökonomisches System überläßt G. W. den Sozialwissenschaften. Für ihn ist der Betrieb eine Institution zum Einkommenserwerb: Im betriebswirtschaftlichen Modell strebt der Unternehmer nach langfristiger Gewinnmaximierung. Das
nennt man heute Shareholder-Ansatz.
Mit fortschreitender Globalisierung verschärft sich der Wettbewerb auf fast allen Märkten. Mit
zunehmendem Wettbewerb steigt das unternehmerische Risiko, vom Markt verdrängt zu werden.
Zu bestmöglicher Risikovorsorge muß das Verlustauffangpotential, also das Eigenkapital, maximiert werden. Langfristige Gewinnmaximierung ist die unternehmerische Antwort auf marktwirtschaftlichen Wettbewerbsdruck. Wöhes Modellansatz langfristiger Gewinnmaximierung entspricht der marktwirtschaftlichen Realität weitaus besser als der konsensorientierte StakeholderAnsatz. Der Vorwurf, durch einseitige Parteinahme zugunsten der Shareholder das Prinzip wertfreier Wissenschaft zu verletzen, kann mit zwei Worten entkräftet werden. Sie lauten: Adam
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Smith. Seine sprichwörtlich gewordene unsichtbare Hand des Wettbewerbs sorgt dafür, daß die
Shareholder im eigenen Gewinnmaximierungskalkül die Interessen der Stakeholder berücksichtigen müssen. In Günter Wöhes BWL-Ansatz kommen also die Stakeholder durchaus zu ihrem Recht.
Die Auflösungserscheinungen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre sind leicht zu erklären:
Erkenntnisse lassen sich nur im Wege wissenschaftlicher Forschung gewinnen. Und Forschung
setzt Spezialisierung voraus. Betriebswirtschaftliche Forschung ist das eine, die Anwendungsorientierung des Faches ist das andere. Spezialisierung in der Medizin ist möglich, weil körperliche Funktionen, wahrgenommen durch Augen, Ohren, Nieren usw. weitgehend unabhängig voneinander sind. Bei den betrieblichen Funktionen ist das anders. Die Interdependenzen zwischen
den betrieblichen Teilbereiche sind unübersehbar. Darum braucht die Wirtschaftspraxis ganzheitliche Lösungen. Darum brauchen wir in der Lehre eine Allgemeine Betriebswirtschaftslehre.
Hinterfragt man G. W. Erfolg als Lehrbuchautor, muß man vor allem auf sein didaktisches Konzept zu sprechen kommen. Wie sein Landsmann Richard Wagner, der seine berufliche Laufbahn
mit 20 Jahren als Chorleiter in Würzburg begann, hat G. W. seine ersten Lehrerfahrungen als
Repetitor in Würzburg gesammelt. Da seine Hörer zahlende Kunden waren, setzte er sich intensiv mit ihren Bedürfnissen auseinander. Dabei erkannte er schnell die wichtigsten Grundrechte von Studierenden: Sie haben das Recht ahnungslos zu sein. Und sie haben das Recht bequem
zu sein. Wissensvermittlung ist für G. W. eine Bringschuld. Erfüllungsort ist das studentische Gedächtnis. Weil dessen Speicherkapazität begrenzt ist, sucht der akademische Lehrer G. W. die
Zusammenarbeit mit einem Platzanweiser. Diese Funktion übernimmt der gesunde Menschenverstand.
Vor 50 Jahren sprach hierzulande noch niemand vom Transaktionskostenansatz. Aber G. W. hat
ihn schon damals praktiziert, indem er den gesunden Menschenverstand als Institution zur
Senkung der Wissensvermittlungskosten einsetzte.
5. Schluß
Wer, wie G. W., in fast 50 Jahren ein großes betriebswirtschaftliches Werk geschafften hat, hinterläßt Spuren, Spuren in seiner Umwelt und Spuren in der Nachwelt.
Den akademischen Lehrer G. W. konnte man aus verschiedenen Perspektiven erleben: Als Hörer
im berufsbegleitenden Abendstudium, als Universitätsstudent oder als Doktorand. Alle beeindruckte er durch seine fachliche Souveränität, durch seine Fähigkeit, Kompliziertes einfach zu
erläutern und durch sein Bestreben, das große Ganze wichtiger zu nehmen als die Summe der
Einzelheiten.
Seine Lehrstuhlmitarbeiter hat G. W. nicht nur in fachlicher, sondern auch in persönlicher Hinsicht stark geprägt. Wir verdanken unserem Altmeister die ausgewogene Sichtweise zwischen
Theoriebildung und Praxisbezug. Wir haben von ihm gelernt, das Wesentliche vom weniger
Wichtigen zu unterscheiden und wir haben uns beeindrucken lassen von seiner starken Affinität
zur klassischen Musik und zur deutschen Geschichte.
Ein guter Lehrer beschränkt sich nicht auf die Vermittlung fachlicher Kenntnisse: Er will auch
seine persönlichen Wertvorstellungen auf andere übertragen. Er ist Traditionalist im um-
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fassenden Sinne. So ist es zu erklären, daß uns G. W. mit der reichen Kultur seiner fränkischen
Wahlheimat vertraut machen wollte. Deshalb organisierte er für seine „Institutsfamilie“ - in voller
Mannschaftsstärke waren das oft mehr als 15 Personen - etwa 20 Jahre lang eine sog. „Frankenfahrt“. Wir besichtigten Klöster, Schlösser, Kirchen und Museen; von morgens bis abends;
immer eine Woche lang. Das waren keine Vergnügungsreisen, das war verschärfter Dienst in Sachen Kunst. Mit dem Kunstsinn seiner sächsischen und dem disziplinierenden Ordnungssinn seiner preußischen Vorfahren führte uns unser Lehrmeister durch eine der reichsten Kulturlandschaften Deutschlands und öffnete uns die Augen für die Schönheiten des süddeutschen Barocks. Für die so erfahrene persönliche Bereicherung danken wir unserem Lehrer ganz herzlich.
Wer ein großes Werk schaffen will, verbringt einen Großteil seines Lebens am Schreibtisch. Dort
ist man erfahrungsgemäß sehr einsam. Das arme Leben eines Schreibtischtäters kann ein verständnisvoller Lebenspartner erträglicher machen. Seit 50 Jahren übernimmt Hildegard Wöhe
diese wichtige Rolle. Sie duldete es, daß der Ehemann bis in den späten Abend in sein Arbeitsverlies abtauchte. Und sie versteht es bis heute, den von der Schreibschlacht zurückkehrenden
ermatteten Kämpfer wieder ins Leben zurückzuholen. Wir danken Ihnen, liebe Hildegard Wöhe.
Sie haben sich um das Werk Ihres Mannes und damit um die deutsche Betriebswirtschaftslehre
verdient gemacht.
Ein Schriftsteller von Weltruhm kann selbstbewußt wie Horaz sagen: „Exegi monumentum aere
perennius“. Ein Lehrbuchautor, der um die kurze Halbwertzeit wissenschaftlicher Erkenntnisse
weiß, macht sich hinsichtlich seiner Wirkung für die Nachwelt keine großen Illusionen. Er muß
sich mit dem Gedanken begnügen, zu Lebzeiten etwas erreicht zu haben.
Es gibt Monumente, die beeindrucken den Betrachter durch ihre schiere Größe. So behauptet
man von der Chinesischen Mauer, sie sei das einzige Bauwerk, das aus dem Weltraum zu erkennen sei. Kaum jemand von uns wird in die Verlegenheit kommen, die Richtigkeit dieser Behauptung aus eigenem Anschauen zu überprüfen.
Aber der eine oder andere von uns hat schon einen Flug von Hamburg nach München unternommen. Auf dieser Strecke überfliegt man Nördlingen und erkennt aus einer Höhe von etwa
dreitausend Metern die geschlossene mittelalterliche Stadtmauer.
Warum erzähle ich das? In Nördlingen läßt der Vahlen Verlag in der hauseigenen Druckerei Wöhes „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ herstellen. Und diese „Allgemeine“ hat ein Format
von 23 x 15 x 4,5 Zentimetern. Profan gesprochen hat dieses Buch eine große Ähnlichkeit mit
einem Backstein.
Als größter geschlossener Mauerring Deutschlands hat die Nördlinger Stadtmauer eine Länge
von 2700 Metern. Wollte man die in Nördlingen gedruckten „Wöhes“ als vollsteiniges Mauerwerk aufeinanderschichten, erreichte die virtuelle Stadtmauer eine Höhe von 3,12 Metern.
Deshalb kann man mit Fug und Recht sagen: „Günter Wöhe hinterläßt ein weithin sichtbares
Werk“. Daß er noch lange daran bauen möge, daß er die Nördlinger mit großer Tatkraft auch
weiterhin einmauert, das wünschen ihm alle hier Anwesenden von ganzem Herzen.
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