Ringvorlesung AD(H)S Was ist das AufmerksamkeitsdefizitSyndrom mit/oder ohne Hyperaktivität (AD(H)S)? Es gibt 3 wesentliche Kernsymptome von„AD(H)S“: 1. Aufmerksamkeitsstörungen und Konzentrationsschwächen 2. Impulsivität 3. Hyperaktivität Was ist das AufmerksamkeitsdefizitSyndrom mit/oder ohne Hyperaktivität (AD(H)S)? „AD(H)S“ ist kein Erziehungsfehler und keine gewollte Marotte der Kinder. Beim AD(H)S handelt es sich um eine Störung der Informationsverarbeitung im Gehirn. Medizinisches Modell Merkmale und Diagnose einer AD(H)S A) Unaufmerksamkeit: 1. Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten. 2. Hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder Spielen aufrechtzuerhalten. 3. Scheint häufig nicht zuzuhören wenn andere ihn ansprechen. 4. Führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen. 5. Hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren . 6. Vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengung erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben). 7. Verliert häufig Gegenstände, die er/sie für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt (z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug). 8. Lässt sich oft durch äußere Reize leicht ablenken. 9. Ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich. B) Hyperaktivität: 1. Zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum 2. Steht häufig in der Klasse oder in anderen Situationen auf, in denen Sitzenbleiben erwartet wird. 3. Läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist. 4. Hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen. 5. Ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er „getrieben“, oder zeigt ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivität, das durch die soziale Umgebung oder durch Aufforderung nicht durchgreifend beeinflussbar ist. C) Impulsivität: (≈Impulskontrollschwäche) 1. Platzt häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist. 2. Kann häufig nur schwer warten, bis er/sie an der Reihe ist bei Spielen oder in Gruppensituationen 3. Unterbricht und stört andere häufig (platzt z.B. in Gespräche oder in Spiele anderer hinein). 4. Redet häufig übermäßig viel, ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren. Aus: Döpfner u.a., Wackelpeter und Trotzkopf, S.16/17 Begriffserklärungen AD(H)S = Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom HKS = Hyperkinetisches Syndrom bzw. Hyperkinetische Störung ADD = Attention Deficit Disorder bzw. Aufmerksamkeits-Defizit-Disposition ADHS Syndrom: FörderDiagnostik (Langzeit-) Beobachtung Zuhause Klasse Schulhof usw. Psychologische Diagnostik Verhalten Begabung Aufmerksamkeit Belastbarkeit EinschätzSkalen Arbeitsproben Für Eltern KollegInnen Beobachter Auswerten Medizinische Abklärung Kinderarzt Neurologe Kinder-/Jugendpsychiater Aus: Döpfner u.a, Wackelpeter und Trotzkopf, 2. Auflage 2000, S.279 Aktivität Aufmerksamkeit Rastlos Kurze Konzentration Ziellos Leicht ablenkbar Kann nicht zuhören Zappelig Wenig Ausdauer Kann nicht stillsitzen Erregung Impulsivität Verringerte Selbststeuerung Wechselhafte Gefühle Niedrige FrustrationsToleranz Unangemessene Reaktionen ADHS Syndrom Gefühle Sozialverhalten Geringes SelbstwertGefühl „quenglerisch“ Geringes Einfühlungsvermögen Unbeliebt Viele Konflikte Trotzig Aggressives Verhalten TeilleistungsStörungen Wahrnehmung Sinne Grob/Feinmotorik Lernstörungen Rechnen Lesen Rechtschreiben Vererbung NahrungsmittelUnverträglichkeiten Umweltfaktoren AD(H)S Infektionserkrankungen Hirnorganische Schädigungen Störungen des Gehirnstoffwechsels Erklärungsansätze Als mögliche Ursachen werden diskutiert: a)Genetische Faktoren - z.B Kinder von Eltern mit AD(H)S entwickeln in 57% der Fälle ebenfalls eine solche Störung. b) Psychosoziale Faktoren - Familiäre Belastungsfaktoren und die Eltern-Kind-Interaktion, sind nicht ursächlich für die Entstehung des AD(H)S, sondern müssen als Belastungsfaktoren betrachtet werden c) Allergien -Phosphat-Hypothese: konnte ebenfalls nicht belegt werden, da unter strenger Diät keine Verbesserung der Symptome eintrat d) Schädigung des Zentralnervensystems - z.B. Infektionen während der Schwangerschaft, Schädel-Hirn-Traumen, Komplikationen vor oder während der Schwangerschaft/Geburt - Risikofaktoren sind: geringes Geburtsgewicht, Toxikationen z.B Blei - Umstritten ist der Einfluss von Alkohol und Tabak während der Schwangerschaft e) Neuroanatomische Auffälligkeiten - z.B. Abweichungen im Kleinhirn (Magnetresonanztomographie) - Das Kleinhirn ist u.a. für die sensorische Wahrnehmung, die für motorische Aktivität notwendig ist, zuständig f) Neuropsychologische Befunde Bei der Informationsverarbeitung sind u.a. zwei Mechanismen von zentraler Bedeutung, die bei AD(H)S-Kindern gestört sind: 1. Hemmung von Impulsen 2. Arbeitsgedächtnis Dadurch entstehen Beeinträchtigungen in der Selbstregulation, Flexibilität im Denken, Reaktionshemmung, Planen und Organisieren von Verhalten. Aktueller Stand der Forschung: Das AD(H)S ist auf eine Dysfunktion des Zentralen Nervensystems (ZNS) zurückzuführen und ist im Sinne einer Hirnfunktionsstörung (Informationsverarbeitungsstörung / Störung im Transmitterhaushalt (Dopamin-Mangel)) zu betrachten. Komorbidität Häufigkeit komorbider (begleitender; zusätzlicher) Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S: 30 – 50% 10 – 40% 20 – 25% 10 – 25% Bis 30% oppositionelle Störung des Sozialverhaltens affektive, vor allem depressive Störungen Angststörungen Lernstörungen, Teilleistungsschwächen Tic-Störungen Verlauf der AD(H)S Symptomatik Säuglings- und Kleinkindalter → sehr hohes psychophysiologisches Aktivitätsniveau → ungünstige Temperamentsmerkmale (Schlafprobleme, Essprobleme, gereizte Stimmung) → negative Eltern-Kind-Interaktion Vorschulalter → Hyperaktivität → geringe Spielintensität und –ausdauer → Entwicklungsdefizite → oppositionelles Verhalten → Risikofaktoren für ungünstige Entwicklung: aversive Eltern-Kind-Interaktion, Aggressivität des Kindes, Entwicklungsdefizite Grundschulalter → Unruhe/Ablenkbarkeit im Unterricht → Lernschwierigkeiten/Teilleistungsschwächen → Umschulungen/Klassenwiederholungen → aggressives Verhalten (mind. 30 – 50%) → Ablehnung durch Gleichaltrige → Leistungsunsicherheit/Selbstwertprobleme Jugendalter → Verminderung der motorischen Unruhe → Aufmerksamkeitsstörungen persistieren häufig → aggressives Verhalten → dissoziales Verhalten/Delinquenz (30%) → Alkohol-/Drogenmissbrauch → emotionale Auffälligkeiten Erwachsenenalter → Persistenz von AD(H)S-Symptomen bei 30 – 60% → Ausgeprägte Symptomatik bei 30% → Delinquenz und dissoziale Persönlichkeitsstörung bei etwa 15 – 30% Therapieansätze 1. Medikamentöse Therapie - Methylphenidat (Ritalin) → „Medikinet“ Wirkung nach ca. 20 Minuten für ca. 3-4 Stunden, 70% bis 85% sprechen auf das Medikament an (Responder) - D-Amphetamin weniger Wirkung und mehr Nebenwirkungen als Ritalin - Pemolin nur unter strenger Aufsicht, da Leberschäden auftreten können - Antidepressiva mehr unerwünschte Nebenwirkungen 2. Diäten Sind sehr aufwendig und wenig wirksam 3. Entspannungsverfahren Wirken unspezifisch und sind ohne Medikamente kontraindiziert (Rebound-Effekt) 4. Mototherapie, Psychomotorik, Ergotherapie Sind als ergänzende Maßnahmen wichtig, es gibt jedoch keine kontrollierte Studien,unspezifisch 5. Verhaltenstherapie aktueller Stand der Forschung: aufgrund der massiven Beeinträchtigung in vielen Lebensbereichen hat sich eine multimodale Therapie bei AD(H)S-Kindern bewährt. Medikamentöse Therapie + Verhaltenstherapie + ergänzende Maßnahmen Medikamentöse Therapie Verhaltenstherapie Therapieansätze Ergotherapie, Psychomotorik Entspannungsverfahren Folgen der Aufmerksamkeitsund Wahrnehmungsstörung Lern- und Leistungsstörungen - nicht als Ausdruck einer verminderten Intelligenz - Lese-, Rechtschreib- und Rechenstörungen sind die dominantesten spezifischen Lernstörungen - Schwierigkeiten Einzelschritte eines bestimmten Handlungsablaufes zu ordnen Soziale Verhaltensstörung - generelle Verzögerung in der sozialen Entwicklung - typisch dissoziales Verhalten - Sie werden häufig beschrieben als: destruktiv, bockig, trotzig, verstockt, negativistisch Emotionale Störung - Sie sind nicht in der Lage ihre Gefühle zu kontrollieren - Sie sind häufig dysphorisch, quenglerisch, so dass ihr Verhalten völlig unvorhersehbar ist. - geringes Selbstwertgefühl → depressive Verstimmungen Kurzzeiteffekte von Stimulanzien 1.Verminderung der AD(H)S-Symptomatik (häufig) → Reduktion von störendem und impulsivem Verhalten → Verbesserung der Handschrift → Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer → Verminderung der Ablenkbarkeit 2. Verminderung der oppositionellen und aggressiven Symptomatik (manchmal) → Verminderung von oppositionellem Verhalten gegenüber Erwachsenen → Verminderung von aggressivem Verhalten gegenüber Gleichaltrigen 3. Verbesserung der Beziehungen (manchmal) → Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung → Verbesserung der Lehrer-Kind-Beziehung → Verbesserung der Beziehung zu Gleichaltrigen → Verbesserung der soziometrischen Position in der Klasse 4. Verbesserung schulischer Leistungen (manchmal) → Verbesserung der Genauigkeit bei Schulaufgaben → Verminderung von Flüchtigkeitsfehlern → Steigerung des Anteils vollendeter Aufgaben Nebenwirkungen unter Psychostimulanzien → Appetitminderung → Schlafprobleme → Reboundhyperaktivität bei Nachlassen der Wirkung → Dysphorie ≈ starke Stimmungsschwankungen → Weinerlichkeit und sozialer Rückzug → Tic-Störungen