Senioren-Kolleg Liechtenstein, Donnerstag, 22. April 2010 Vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild, von den frühen Griechen zu Kopernikus Prof. Dr. phil. Klaus Bartels, Kilchberg bei Zürich Einige Namen, Daten und Stichworte zur Entwicklung des griechischen Weltbildes: Homer (8. Jh. v. Chr.): Mythisches Weltbild: flache, kreisrunde Erdscheibe, rings umgeben vom Okeanos, darüber und darunter Himmel und Hades, je zehn „Hammertage“ hoch und tief, der Riese Atlas als Himmelsträger, Helios und Selene auf vierspännigen Wagen. Anaximander von Milet (611 - 546 v. Chr.): Erstes post-mythisches Weltmodell: Die Erde als „Säulentrommel“, Sonne und Mond als Öffnungen in feuergefüllten, dunstumschlossenen Rädern; allseitige Symmetrie, einfache Zahlenverhältnisse. Pythagoras von Samos (um 565 - um 495 v. Chr.) und die Pythagoreer in Süditalien (5. und 4. Jh. v. Chr.): Zehnzahl der Himmelskörper mit „Zentralfeuer“, Erde und „Gegenerde“ und den sieben Planeten; die Himmelskörper kugelförmig; ihre Bahnen kreisförmig, konzentrisch um das „Zentralfeuer“ angeordnet, ihre Bewegungen gleichförmig. Zuinnerst Mond und Sonne, darauf entsprechend den Umlaufzeiten Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn. Das „All“ kugelförmig, von der Fixsternsphäre umschlossen. Einfache Zahlenverhältnisse; Sphärenharmonie. Anaxagoras von Klazomenai (um 500 - 428 v. Chr.): Die Sonne ein Ball aus glühendem Eisen, der Mond ein Ball aus Stein; zutreffende Erklärung der Mond- und Sonnenfinsternisse. Um 430 in Athen Anklage wegen Gotteslästerung; Flucht mit Hilfe des Perikles nach Lampsakos. Leukipp (um 450 v. Chr.) und Demokrit von Abdera (470/460 -380/370 v. Chr.): Zahlreiche aus Atomen zusammengeballte, in einem unermesslichen „Leeren“ umhergewirbelte Welten, die in ständigem Entstehen und Wachsen, Schwinden und Vergehen begriffen sind. Empedokles von Akragas ( um 495 - 435 v. Chr.): Die vier Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer; diese durch „Liebe“ und „Streit“ im Wechsel miteinander verbunden und wieder geschieden. Platon (427 - 348/347 v.Chr.), Athener, Begründer der „Akademie“: Übernahme des Pythagoreischen Weltbildes, jedoch ohne „Zentralfeuer“ und „Gegenerde“, die Erde im Mittelpunkt. Festhalten an der Kreisförmigkeit und Gleichförmigkeit der Planetenbewegungen; dazu das Postulat, „die Phänomene, die Erscheinungen zu bewahren“ (sózein ta phainómena). Bald danach Einordnung der Sonne entsprechend ihrer Umlaufzeit zwischen Venus und Mars. Eudoxos von Knidos (Schüler Platons, um 400 - um 347 v. Chr.): 26 „Homozentrische Sphären“: Zurückführung der schleifenförmig und ungleichförmig erscheinenden Bewegungen jedes einzelnen Planeten auf eine Überlagerung kreisförmiger und gleichförmiger Bewegungen. Kallippos von Kyzikos (Mitte des 4. Jh. v. Chr.): Ergänzung des Eudoxischen Systems der „Homozentrischen Sphären“ durch weitere sieben Sphären. Aristoteles von Stageiros (384 - 322 v. Chr.), Wahlathener, Begründer des „Peripatos“: Ergänzung des Eudoxischen Systems durch 22 zwischengeschaltete „rückrollende Sphären“. Bedeutender die Bewegungs- und Gravitationstheorie: Der „natürliche Ort“ der vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer in dieser Abfolge konzentrisch um den Erdmittelpunkt; die „natürliche Bewegung“ dieser vier irdischen Elemente radial-geradlinig auf den Weltmittelpunkt zu bzw. von ihm fort; die „natürliche Bewegung“ des himmlischen Äthers, des „fünften Elements“, kreisförmig um den Weltmittelpunkt herum. Physikalische Verankerung der hergebrachten Trennung von „irdischer“ und „himmlischer“ Region. Herakleides Pontikos (Schüler Platons und des Aristoteles, um 388 - 310 v. Chr.): Erste Vorwegnahme späterer Aristarchischer und Kopernikanischer Thesen: tägliche Drehung der Erde um ihre Achse; Umlauf der inneren Planeten Merkur und Venus um die Sonne. Aristarch von Samos (1. Hälfte des 3. Jh. v. Chr.), der „antike Kopernikus“: Nach vereinzelten Zeugnissen bei Archimedes und Plutarch einsamer Verfechter eines heliozentrischen Systems mit entsprechend weit hinausgerückter Fixsternsphäre (keine Paralaxe!). Apollonios von Perge (um 262 - 190 v. Chr.) und Hipparchos von Nikaia (Mitte 2. Jh. v. Chr.): „Epizykeltheorie“ zur Erklärung sowohl der Schleifenbewegungen als auch der Helligkeitsschwankungen der Planeten: Die Erde weiter im Mittelpunkt ruhend; mathematische Projektion der kreisförmig gedachten Erdbahn auf die gleichfalls kreisförmig gedachten Planetenbahnen, Umlauf der Planeten auf kreisförmigen Bahnen („Epizykeln“), deren Mittelpunkte auf wiederum kreisförmigen Bahnen um die Erde umlaufen. Ptolemaios von Alexandria (Mitte des 2. Jh. nach Chr.): Autor der umfassenden, bis Kopernikus massgeblichen Darstellung der Planetentheorie (ihr griechischer Titel „Megiste Syntaxis“, „Grösste Zusammenfassung“, arabisiert und verhackstückt zu „Almagest“): Ergänzung der „Epizykeltheorie“ durch die Einführung eines „Exzenters“ und eines „Ausgleichspunktes“ (Punctum aequans) zur Kompensation der Unregelmässigkeiten, die auf der elliptischen Form der Planetenbahnen und der unterschiedlichen Umlaufgeschwindigkeit der Planeten in Sonnennähe (Perihel) und Sonnenferne (Aphel) beruhen. Kopernikus, Nikolaus (1473 - 1543), Verfasser der sechs Bücher „De revolutionibus orbium caelestium“, „Über die Umläufe der Himmelskörper“. Verfechter des heliozentrischen Systems und Archeget der „Neuen Astronomie“. Festhalten an der Kreisförmigkeit und Gleichförmigkeit der Bewegungen, aber: Neu-Interpretation der Aristotelischen Bewegungstheorie durch Einführung zweier natürlicher Bewegungen für die irdischen Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, Neu-Definition der Gravitation als eines „natürlichen, gottgegebenen Bestrebens der Teile, zur Einheit und zur Vollständigkeit zusammenzukommen“, nunmehr ohne Bezug auf einen Weltmittelpunkt. Im Winter 1609/10: Erste teleskopische Himmelsbeobachtungen durch Galileo Galilei (1564 - 1642), eindrücklich beschrieben im „Sidereus Nuntius“. Endgültige Widerlegung der über fast zwei Jahrtausende hinweg anerkannten Aristotelischen Gravitations- und Bewegungstheorie durch die Entdeckung der vier grösseren Jupitermonde.