Fachtagung 2011 - donum vitae NRW

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Dokumentation Jahrestagung 2011
Inhalt
Seite
Begrüßung .................. 01
Dr. med. J. Luckhaus.. 02
Auszüge aus der
Stellungnahme des
Dt. Ethikrats zur PID ... 07
Prof. Dr. H. Heinz ....... 14
C. Schmidt-Herterich .. 20
Podiumsdiskussion ..... 23
Schlusswort ................ 27
Eindrücke .................... 28
Landesverband
donum vitae NRW e.V.
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„Fortschritt oder Dammbruch – Herausforderung PID“
Liebe Beraterinnen,
liebe Vorstandsmitglieder unserer Orts- und Regionalverbände,
sehr geehrte Damen und Herren,
Brisanz des Themas
im Namen des Landesverbandes donum vitae NRW begrüße ich Sie sehr herzlich zu
unserer Fachtagung „Fortschritt oder Dammbruch – Herausforderung PID―. Ich freue
mich, dass neben Mitgliedern unseres eigenen Verbandes, Vertreter aus zahlreichen mit
Präimplantationsdiagnostik befassten Fachbereichen - aus Medizin und Geburtshilfe,
aus Beratung und von Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, aus Wissenschaft,
Politik und Theologie unserer Einladung gefolgt sind. Das bestätigt die Brisanz des Themas.
In der kommenden Zeit wird der Bundestag um eine gesetzliche Neuregelung in diesem
Kontext debattieren. Und donum vitae mischt sich ein in die politische Diskussion.
Es geht uns mit dieser Tagung um die ernste Auseinandersetzung mit den
medizinischen Abläufen, ethischen Grundsatzfragen und den sich daraus ergebenden
Konsequenzen für die Einschätzung der „Erlaubtheit― medizinischer Verfahren sowie
deren Auswirkungen auf das Wertebewusstsein in unserer Gesellschaft.
unser fachlicher Beitrag
Dabei sehen wir uns, wie der Name „donum vitae― sagt, dem „Geschenk des Lebens―
besonders verpflichtet. Aus unserer Beratungserfahrung, besonders im Schwangerschaftskonflikt und bei Pränataldiagnostik, möchten wir unseren fachlichen Beitrag zur
Diskussion und Meinungsbildung leisten. Wir tun dies in großer zeitlicher Nähe zur geplanten ersten Lesung der drei Gesetzentwürfe zur Präimplantationsdiagnostik, die noch
im April im Deutschen Bundestag vorgesehen ist.
Ich begrüße dazu alle Referenten, die aus medizinischer, ethischer, behindertenpolitischer Sicht dazu Stellung nehmen. Ich freue mich, dass heute Nachmittag drei Bundestagsabgeordnete und ein Mediziner unter fachkundiger Moderation über die Entwürfe diskutieren.
Als Gäste begrüße ich besonders Frau Dr. Katrin Kaufmann, Leiterin des Referats Soziale Familiendienste und Familienbildung im - kurz gesagt -Familienministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und Frau Ursula Monheim vom donum vitae Bundesvorstand.
Ein besonderes Dankeschön gilt unserem Kooperationspartner, der Konrad-AdenauerStiftung.
Ich wünsche uns allen einen interessanten und aufschlussreichen Tag und anregende
Diskussionen.
Ingrid Schürholz-Schmidt
(Vorsitzende Landesverband donum vitae NRW)
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IVF—Behandlung (Dr. med. Johannes Luckhaus)
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6
Ergänzend zu den Tagungsbeiträgen dokumentieren wir
Auszüge aus: Deutscher Ethikrat: Präimplantationsdiagnostik.
Stellungnahme. Berlin, 2011
[...]
2 Wissenschaftlich-medizinische Grundlagen der Embryonalentwicklung und
präimplantativer Untersuchungen
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ermöglicht eine Beurteilung der Entwicklungsfähigkeit und genetischen Ausstattung von künstlich befruchteten Embryonen, noch bevor sie
in den Körper der Frau übertragen werden. Ein Sonderfall der PID ist die Polkörperdiagnostik, die vor Abschluss der Befruchtung erfolgt.
Im Rahmen einer medizinisch assistierten Fortpflanzung (Assistierte Reproduktionstechnik, ART) werden in der Regel durch hormonelle Behandlung der Frau mehrere
Eizellen gleichzeitig zur Reifung gebracht und operativ dem Körper entnommen. Bei der
In-vitro-Fertilisation (IVF) dringt eine Samenzelle eigenständig in die Eizelle ein; bei der
Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) wird ein einzelnes Spermium unter dem
Mikroskop direkt in die Eizelle injiziert.
Die Vorstufen der Eizellen ebenso wie der Spermien sind zunächst diploid (von
diploos [griech.] = doppelt), enthalten also alle 23 menschlichen Chromosomen in
doppelter Ausführung. Die reife Eizelle und das Spermium hingegen enthalten jedes
Chromosom nur einmal; sie sind haploid (von haplos [griech.] = einfach). Den haploiden
Zustand erreichen Eizelle und Spermium, indem sie ihren doppelten Chromosomensatz
zunächst noch einmal kopieren und ihn dann in zwei Reifeteilungen auf den einfachen
Satz reduzieren. Vor der ersten Reifeteilung tauschen die verdoppelten Chromosomen
miteinander entsprechende Abschnitte aus, sodass jeder Chromosomensatz nach den
Reifeteilungen eine einzigartige Kombination von Genvarianten enthält.
Bei den beiden Reifeteilungen der Eizell-Vorläuferzelle entstehen eine reife
Eizelle sowie zwei an ihr haftende Polkörper, die an der weiteren Entwicklung nicht teilnehmen und schließlich abgebaut werden. Die zweite Reifeteilung erfolgt erst nach Eindringen des Spermiums in die Eizelle, aber bevor sich die jeweiligen Membranen um die
beiden Zellkerne von Ei- und Samenzelle auflösen. Erst der letzte Schritt – in § 8 ESchG
als „Kernverschmelzung― bezeichnet – markiert gemäß der Definition des Embryonenschutzgesetzes den Abschluss der Befruchtung und den Beginn des menschlichen
Embryos als Schutzobjekt. Die Reifeteilungen der Spermienvorläuferzelle erzeugen
keine Polkörper; alle vier Teilungsprodukte können zu funktionsfähigen Spermien
heranreifen.
Nach der Befruchtung bilden die Zellen des Embryos während der sogenannten
Furchungsteilungen etwa alle zwölf bis 36 Stunden je zwei Tochterzellen, genannt
Blastomeren. Bis etwa zum Acht-Zell-Stadium geht man davon aus, dass sich eine
einzelne, dem Embryo entnommene Zelle unter geeigneten Umständen als eigener,
genetisch identischer Embryo weiterentwickeln kann. Deshalb gelten embryonale Zellen
in diesem Stadium als totipotent und haben rechtlich den gleichen Status wie ein
Embryo (§ 8 ESchG).
In weiteren Zellteilungen entsteht die Blastozyste, ein Bläschen aus ca. 120
Zellen, das einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum enthält. Die äußeren Zellen bezeichnet
man als Trophoblast; sie bilden später ausschließlich das embryonale Hüll- und Nährgewebe (u. a. als Teil der Plazenta). Der Embryo selbst entwickelt sich aus einer kleinen
Gruppe von inneren Zellen, dem Embryoblasten. Etwa vom sechsten Tag nach der
Befruchtung bis zum 14. Tag nistet sich die Blastozyste im Uterus ein.
Die erste Phase der Embryonalentwicklung, von der Befruchtung bis zur Blastozystenbildung, kann auch außerhalb des mütterlichen Organismus ablaufen und eröffnet
dadurch Gelegenheiten für präimplantative Untersuchungen. Dafür ist eine extrakorporale Befruchtung erforderlich. Die Embryonen werden üblicherweise am zweiten oder
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dritten Tag nach der Befruchtung in die Gebärmutter der Frau übertragen, wo sie sich
nach erfolgreicher Implantation normal entwickeln können. Es ist jedoch auch möglich,
Embryonen als Blastozysten erst am fünften oder sechsten Tag in den Körper der Frau
zu übertragen, zum selben Zeitpunkt, zu dem auch nach natürlicher Zeugung die Nidation beginnt. Eine spätere Übertragung ist wegen der notwendigen hormonellen Synchronisierung zwischen Uterusschleimhaut und Embryonalentwicklung nicht möglich.
Präimplantative Untersuchungen lassen sich morphologisch durch die Bewertung
von Aussehen und Entwicklungspotenzial des Embryos und genetisch durch die Analyse
der Polkörper oder einiger embryonaler Zellen durchführen. Bei der genetischen Untersuchung werden die entnommenen Zellen zerstört. In dieser Stellungnahme befasst sich
der Deutsche Ethikrat ausschließlich mit genetischen Untersuchungen.
Unabhängig von den Details der Untersuchungsmethoden ist es wichtig, zunächst
zwischen den unterschiedlichen Anwendungskontexten und diagnostischen Ebenen der
verschiedenen präimplantativen Untersuchungen zu unterscheiden. Von einer
präimplantativen genetischen Diagnostik (PID) spricht man, wenn bei einem Embryo
gezielt nach einem genetischen Merkmal oder Chromosomenbild gesucht wird, für das
bei der betroffenen Familie ein erhöhtes Risiko vorliegt und das zu einer Fehlgeburt oder
zu einer Krankheit oder Behinderung des Kindes führen würde. Von PID spricht man
aber auch, wenn nach erwünschten Merkmalen gesucht wird, wie zum Beispiel nach
einem bestimmten Geschlecht des Embryos oder nach Genen des Immunsystems, die
Auskunft darüber geben können, ob der Embryo sich zu einem geeigneten Gewebespender für ein erkranktes Familienmitglied entwickeln könnte.
Von einem präimplantativen genetischen Screening (PGS) spricht man, wenn
nach chromosomalen Veränderungen beim Embryo gesucht wird, ohne dass ein spezifisches Risiko bekannt ist. Es kann im Rahmen von Unfruchtbarkeitsbehandlungen vorgenommen werden, um im Falle eines unspezifisch erhöhten Risikos von Chromosomenstörungen (z. B. aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Frau) oder nach wiederholten
Fehlgeburten oder erfolglosen Versuchen künstlicher Befruchtung die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft zu erhöhen oder auch nicht erbliche chromosomale Schäden
zu erkennen, die zu einer Krankheit oder Behinderung führen.
2.1 Möglichkeiten der Gewinnung von genetischem Material für eine PID
Polkörperbiopsie
Die Polkörper der Eizelle können vor Abschluss der Befruchtung gewonnen werden. Sie
enthalten jeweils einen mütterlichen Chromosomensatz. Durch eine genetische Untersuchung der Polkörper kann man Rückschlüsse auf das in der Eizelle verbliebene genetische Material ziehen, also indirekt Informationen über eventuelle genetische oder
chromosomale Schäden im von der Frau an den Embryo weitergegebenen Erbmaterial
gewinnen, jedoch keine Information über das vom Mann vererbte Genom. Bei der
Polkörperdiagnostik fehlt zudem die Möglichkeit, chromosomale Veränderungen zu
diagnostizieren, die erst nach der Polkörperbildung auftreten. In Deutschland besteht
zudem aufgrund § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG12 bei der Polkörperdiagnostik das Problem des
kleinen Zeitfensters von ca. 18 Stunden zwischen der Gewinnung der Polkörper im
sogenannten Vorkernstadium und der Entstehung des Embryos durch Auflösen der
Kernmembranen.
Blastomerenbiopsie
Bei der Blastomerenbiopsie werden einem Embryo etwa am dritten Tag, ungefähr im
Acht-Zell-Stadium, ein bis zwei Zellen entnommen. Weltweit ist die Blastomerenbiopsie
bisher die in fast allen Fällen verwendete Methode. Diese Art von Untersuchung ist
aufgrund der möglichen Totipotenz dieser Zellen in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz und auch nach der Entscheidung des BGH verboten.
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Blastozystenbiopsie
Bei einer Blastozystenbiopsie werden einem etwa fünf Tage alten Embryo, der bereits
das Blastozystenstadium erreicht hat, mehrere Zellen aus der äußeren Zellschicht
(Trophoblast) entnommen. Da diese Zellen nicht mehr totipotent sind, ist ihre Verwendung für eine Diagnostik nach der vorerwähnten Entscheidung des BGH nicht vom
Embryonenschutzgesetz verboten. In den letzten Jahren haben sich unter anderem
durch eine Verbesserung der Kulturmedien die Erfolgschancen der Entwicklung von
Blastozysten deutlich verbessert. Dennoch liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein
Embryo in vitro das Blastozystenstadium erreicht, derzeit nur bei ca. 50 %. Da bei einer
Blastozystenbiopsie mehrere Zellen entnommen werden können, steigt die Diagnosesicherheit bei einem Screening nach numerischen Chromosomenstörungen (vgl. 2.2,
iii), sodass das Interesse an genetischer Diagnostik an Blastozysten auch international
wächst (vgl. 2.4). Allerdings besteht auch bei der Blastozystenbiopsie ein kurzes
Zeitfenster für die Diagnostik, da ein bis zwei Tage nach der Zellentnahme der Embryo
in den Uterus transferiert oder ansonsten eingefroren werden muss. Zu berücksichtigen
wäre bei einer vermehrten Anwendung des Blastozystentransfers außerdem, dass
dieses Verfahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 1,64 % zu monozygoten Zwillingen
führt im Vergleich zu 0,41 % beim Transfer von Embryonen im Furchungsstadium.
[...]
2.3 Diagnostische Methoden
Zur Ermittlung der genannten genetischen Auffälligkeiten stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Die molekulargenetische und zytogenetische (chromosomale)
Diagnostik erfolgt bei vorliegender Indikation je nach Fragestellung auf der Basis
verschiedener Varianten der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH).
PCR ist eine Methode, mit deren Hilfe einzelne Gene oder Genabschnitte vervielfältigt und so der Analyse zugänglich werden.
Durch die FISH-Technik können bestimmte Gene eines Chromosoms mithilfe
eines fluoreszierenden Farbstoffes markiert werden. Durch den Einsatz verschiedener
Fluoreszenzfarbstoffe ist es möglich, gleichzeitig mehrere Chromosomen sichtbar zu
machen. Die FISH-Technik wird für die Chromosomenanalyse im Rahmen der Abklärung geschlechtsgebundener Erkrankungen (x-chromosomale Erkrankungen), für
chromosomale Strukturstörungen wie Translokationen und zur Diagnostik von Aneuploidien eingesetzt. Wird die FISH jedoch, wie bisher häufig üblich, zur Diagnostik an
Blastomerenzellen eingesetzt, ist problematisch, dass verschiedene Zellen eines
Embryos gerade in diesem Stadium unterschiedliche Chromosomenmuster aufweisen
können (Mosaikbildung). Bei etwa 40 % der Embryonen liegt ein solches Mosaik vor. In
solchen Fällen lässt die Diagnose einer einzelnen Zelle einen Schluss auf die
Konstitution der übrigen Zellen nicht zu.
Zu Verfahren, die sich derzeit noch in der klinischen Prüfung oder Entwicklung
befinden, gehören die vergleichende Genomhybridisierung (comparative genome
hybridization, CGH), der Einsatz von DNA-Chips sowie verfeinerte morphologische
Analysemethoden.
Die CGH ermöglicht einen Vergleich des Chromosomenmusters einer Zelle mit
dem einer anderen Zelle, von der bekannt ist, dass sie einen normalen Chromosomensatz aufweist. Anders als bei der FISH können auf diese Weise Abweichungen in der
Anzahl aller Chromosomen festgestellt werden.
DNA-Chips enthalten viele Sequenzmuster, mit denen man ganz bestimmte
Chromosomenabschnitte mit hoher Auflösung untersuchen und dabei Varianten identifizieren kann.
Ist die Auflösung groß genug, wie beim Einsatz von Chips, die Veränderungen in
Hunderttausenden einzelnen Nukleotiden aufzeigen (Einzelnukleotid-Polymorphismen
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bzw. Single Nucleotide Polymorphism, SNP), kann man durch einen Vergleich der
embryonalen DNA mit der DNA der Eltern und anderer Familienmitglieder sogar
Defekte in einzelnen Genen diagnostizieren, ohne wie bei der PCR-Analyse erst die
genaue Sequenz der Mutation finden und dafür einen spezifischen Test entwickeln
zu müssen.
DNA-Chips haben das Potenzial, ein gesamtes Genom auf Veränderungen zu
untersuchen. Sie haben deshalb eine Anwendungsperspektive für das AneuploidieScreening. DNA-Chips lassen sich aber auch gezielt für den Nachweis einzelner genetischer Veränderungen designen. Gegenwärtig wird beispielsweise an der Entwicklung
eines DNA-Chips gearbeitet, der die Gruppe unterschiedlicher Mutationen an einem
Gen, die für die Entstehung von Zystischer Fibrose relevant sind, erfassen soll.
2.4 Künstliche Befruchtung und PID in der klinischen Praxis
Die Bewertung der PID erfordert nicht nur eine Überprüfung und Reflexion ihrer grundlegenden Charakteristika und Potenziale, sondern auch der Voraussetzungen und
möglichen Konsequenzen ihres Einsatzes. Dieses Kapitel konzentriert sich auf die
Rahmenbedingungen für die Durchführung einer PID sowie auf ihre Implikationen für
die Gesundheit der betroffenen Frauen und die aus solchen Behandlungen entstandenen Kinder.
IVF oder ICSI als Voraussetzung der PID
Eine konstitutive Voraussetzung für die PID ist die In-vitro- Fertilisation; deshalb sollen
zunächst deren Ergebnisse und Konsequenzen im Blick auf die PID diskutiert werden.
Die Daten, auf die im Folgenden Bezug genommen wird, entstammen dem Deutschen
IVF-Register (DIR), das seit ca. 1999 geführt wird und jährlich über die Behandlungsergebnisse in deutschen reproduktionsmedizinischen Zentren berichtet.
Für die Gewinnung einer höheren Zahl von reifen Eizellen muss die Frau sich
zunächst einer hormonellen Stimulationsbehandlung unterziehen. Anschließend
werden die Eizellen zumeist unter Narkose aus den Follikeln (Eibläschen) des
Eierstocks abgesaugt. Sowohl Hormonbehandlung als auch Eizellentnahme sind mit
Risiken für die Frau verbunden. Zu den Komplikationen bei der Eizellentnahme gehören
mögliche Verletzungen, Blutungen und Infektionen. Laut DIR kam es im Jahr 2009 in
285 Fällen (0,66 %) zu solchen Komplikationen. Eine mögliche Nebenwirkung der
Hormonbehandlung ist das ovarielle Überstimulationssyndrom (OHS), das in drei
Schweregrade eingeteilt wird. 2009 kam es in 115 Fällen (0,27 %) zu einem OHS der
Stufe III, das lebensbedrohlich sein kann und einen mehrtägigen Klinikaufenthalt erforderlich macht.
Im Jahr 2009 wurde in Deutschland eine Stimulation zur Eizellentnahme in
54.239 Fällen eingeleitet; in 50.993 Fällen wurden reife Follikel punktiert und Eizellen
entnommen. Das heißt, in 3.246 Fällen war die Stimulation entweder erfolglos oder es
kam zu Komplikationen während der hormonellen Behandlung, die einen Abbruch der
Behandlung erforderlich machten. Eine Befruchtung mittels IVF oder ICSI wurde
49.604-mal durchgeführt. In 47.379 Fällen war die Befruchtung erfolgreich, das heißt,
es entstanden Embryonen, deren Transfer in 45.671 Fällen erfolgte. Daraus entstanden
13.175 klinische Schwangerschaften (28,8 %). Die Geburtenrate pro Embryotransfer
war geringer, sie lag bei ca. 19 %. Dies ist dadurch bedingt, dass es in einer Reihe von
Fällen auch nach der Etablierung einer klinischen Schwangerschaft zu deren Verlust
kommt.
Über die methodenimmanenten Risiken der Behandlung hinaus existieren sowohl
für Frauen als auch für die nach ART geborenen Kinder Risiken, die bei der Anwendung der PID ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Dabei handelt es sich in
erster Linie um solche Risiken, die mit den nach künstlicher Befruchtung besonders
häufig auftretenden Mehrlingsschwangerschaften verbunden sind. Laut DIR betrug die
Mehrlingsrate im Jahr 2009 ca. 21 % für Zwillinge und ca. 0,9 % für Drillinge. Die
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natürliche Mehrlingsrate beträgt insgesamt ungefähr 1,5 %. Bei den nach ART entstandenen Zwillingen handelt es sich zumeist um zweieiige Zwillinge. Allerdings ist auch
die Rate der eineiigen Zwillinge erhöht, was ein zusätzliches Risiko für die Schwangerschaft darstellt. Die betreffenden Mehrlingsschwangerschaften entstanden nur teilweise
durch künstliche Befruchtung, teilweise aufgrund hormoneller Stimulation ohne nachfolgende künstliche Befruchtung.
Mehrlingsschwangerschaften sind immer Risikoschwangerschaften. Zu den
Risiken einer Zwillingsschwangerschaft für Frauen gehören Bluthochdruck (ca. 2,5fache Erhöhung gegenüber einer Einlingsschwangerschaft), Präeklampsie
(Schwangerschaftsvergiftung, ca. 2,5-fach), postpartale Nachblutung (ca. 2-fach), Kaiserschnitt (ca. 3-fach), intensivmedizinische Betreuung (ca. 15-fach) und nachgeburtliche Depression (ca. 3-fach). Insbesondere bei höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften wird teilweise – auch aufgrund des erhöhten Risikos für die Schwangere –
eine Mehrlingsreduktion durch Fetozid vorgenommen. In Deutschland sind dies
schätzungsweise 150 Fälle pro Jahr.
Das Risiko für Kinder aus Mehrlingsschwangerschaften bzw. -geburten ist gegenüber dem von Einlingen ebenfalls erhöht. Zu den Risiken gehören Frühgeburtlichkeit
(vor Vollendung der 37. Woche, ca. 10-fach), niedriges Geburtsgewicht (unter 2.500 g,
ca. 7- bis 10-fach), Zerebralparese (3- bis 10-fach), Atemnotsyndrom des Neugeborenen (5- bis 7-fach), Sepsis (3-fach) sowie eine bleibende, schwere Behinderung
(1,5- bis 2-fach). Die Risikosteigerung betrifft jedoch nicht nur Zwillinge oder höhergradige Mehrlinge. Durch ART gezeugte Einlinge haben – verglichen mit natürlich
gezeugten Einlingen – je nach Untersuchung ebenfalls ein 1,3- bis 4,3-faches Risiko, zu
früh geboren zu werden und die mit einem zu geringen Geburtsgewicht assoziierten
neurologischen und körperlichen Beeinträchtigungen zu erleiden. Bisher ist allerdings
nicht geklärt, worauf die beschriebene Risikoerhöhung für die Kinder zurückzuführen ist,
ob sie also durch die ART verursacht werden oder durch physiologische oder andere
Faktoren der Frau oder des Mannes, die der Unfruchtbarkeit des Paares zugrunde
liegen. Allerdings ist die insgesamt zwar geringe, aber im Vergleich mit natürlichen
Zeugungen erhöhte Zahl von Krankheiten, die auf Imprintingfehler zurückgeführt
werden, möglicherweise eine Konsequenz der ART.
Wichtig für die Bewertung der PID sind vor allem auch die Erfahrungen, die im
Ausland bisher damit gemacht wurden.
Die European Society for Human Reproduction and Embryology (ESHRE) veröffentlicht
seit 1999 Berichte zur PID. Sie beruhen auf der Meldung der Behandlungsergebnisse
von derzeit 57 Zentren, die überwiegend, aber nicht ausschließlich in Europa lokalisiert
sind. Insgesamt liegen durch die derzeit vorhandenen zehn Erhebungen der ESHRE
Daten zu 27.630 Behandlungszyklen und 4.047 Kindern vor, die in diesen Zentren nach
PID geboren wurden. Der derzeit aktuellste Bericht Nr. X umfasst das Behandlungsjahr
2007 und alle bis Oktober 2008 aus diesen Behandlungen entstandenen Kinder. Im
Jahr 2007 wurden nach einer PID 1.516 Schwangerschaften eingeleitet, die zu 995
Geburten und – da eine Reihe von Mehrlingsgeburten darunter waren – insgesamt zu
1.206 Kindern führten.
Von den im Jahr 2007 bis zur Eizellentnahme durchgeführten 5.887 Behandlungszyklen mit PID erfolgten 729 zur Ermittlung chromosomaler Anomalien; 110 zur
Geschlechtsbestimmung für x-chromosomal vererbte Erkrankungen, 1.203 für monogen
bedingte Erkrankungen, 3.753 zum Zweck des genetischen Präimplantationsscreenings
und 92 für die Geschlechtsbestimmung aus sozialen Gründen.
Ein Aspekt der PID, den es insbesondere im Blick auf das deutsche Embryonenschutzgesetz zu reflektieren gilt, ist ihr relativ hoher Bedarf an Embryonen. In den 5.887
im letzten ESHRE-Bericht dokumentierten Behandlungszyklen wurden insgesamt
56.325 Eizellen inseminiert, aus denen sich 40.713 Embryonen entwickelten. 31.867
Embryonen wurden Zellen für die genetische Untersuchung entnommen. In 28.998 Fällen kam es zu einer verwertbaren Diagnose. Von den erfolgreich diagnostizierten Embryonen waren 10.084 transferierbar, das heißt, die getesteten genetischen oder chro11
mosomalen Veränderungen waren nicht vorhanden oder die Embryonen wiesen – wie
im Fall der Feststellung des Geschlechts – die erwünschte Eigenschaft auf.
Aus den von der ESHRE dokumentierten Befunden geht demzufolge hervor, dass
in der internationalen Behandlungspraxis in einem Behandlungszyklus im Mittel 9,6 Eizellen befruchtet wurden, aus denen 6,9 als entwicklungsfähig klassifizierte Embryonen
entstanden. Im Mittel wurden bei 6,6 Embryonen Zellen für eine PID entnommen; zu
einer verwertbaren Diagnose kam es bei durchschnittlich 4,9 Embryonen, von denen
1,7 als übertragbar eingestuft wurden.
Laut ESHRE-Bericht beträgt die klinische Schwangerschaftsrate 32 % pro Embryotransfer (23 % pro Eizellentnahme) und die Geburtenrate 26 % pro Embryotransfer
(19 % pro Eizellentnahme). Damit es zu einer Geburt kommt, muss sich also eine Frau
bis zu fünf Mal einer Behandlung unterziehen (Hormonbehandlung bis zur Eizellentnahme). Dennoch bekommen auch nach wiederholter Behandlung nicht alle Frauen Kinder;
die Gründe dafür liegen teilweise in den physiologischen Bedingungen der Frau, teilweise sind sie unbekannt. Insofern bewegen sich die Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer nach PID in der gleichen Größenordnung wie nach IVF ohne PID.
International wird daran gearbeitet, die Zahl der Mehrlingsgeburten zu verringern
und die Geburtenrate zu erhöhen. Der derzeit im Rahmen der ART am intensivsten verfolgte Weg besteht darin, die Embryonen bis zum Blastozystenstadium zu kultivieren
und dann nur einen oder zwei Embryonen zu übertragen. Im Rahmen der ART lassen
sich damit höhere Schwangerschaftsraten erzielen als nach dem Transfer von Embryonen im Furchungsstadium. Auch im Zusammenhang mit der PID wird diskutiert, die genetisch zu untersuchenden Zellen aus der Blastozyste anstatt aus dem sechs bis acht
Blastomeren umfassenden Embryo im Furchungsstadium zu entnehmen. Zwar wurde
die Blastozystenbiopsie 2007 nur in 20 von den 5.814 im ESHRE-Bericht verzeichneten
Fällen durchgeführt und die Blastomerenbiopsie in 4.535 Fällen; verschiedene Experten
gehen jedoch davon aus, dass die Zahl der Untersuchungen im Blastozystenstadium in
Zukunft steigen wird. Zum einen gibt es Hinweise darauf, dass die Embryonen im Furchungsstadium durch die Entnahme von ein oder zwei Zellen geschädigt bzw. in ihrer
Entwicklungsfähigkeit eingeschränkt werden. Zum anderen scheint die Analyse von
Trophoblastenzellen besonders bei einer Untersuchung auf numerische Chromosomenanomalien eine bessere Prognose der Entwicklungsfähigkeit von Embryonen zu erlauben als die Untersuchung im Furchungsstadium, da die Blastomeren eines Embryos
teilweise unterschiedliche Karyotypen (Chromosomenbilder) tragen. Solche „Mosaik―Embryonen sterben bei der Entwicklung zum Blastozystenstadium teilweise ab, sodass
bei Blastozysten weniger Aneuploidien und weniger Mosaike zu finden sind. Die Untersuchung im Blastozystenstadium hat jedoch auch Nachteile. Zum einen entwickeln sich
nur ca. 50 % der Embryonen in vitro aus dem Furchungsstadium bis zum Blastozystenstadium. Das heißt, die Zahl der Embryonen, die für eine eventuelle PID zur Verfügung stehen, verringert sich dabei um die Hälfte. Dies liegt nach aktueller Einschätzung teilweise daran, dass grundsätzlich nicht entwicklungsfähige Embryonen bis zum
fünften Tag bereits abgestorben sind, teilweise jedoch auch an der längeren Verweildauer im Kulturmedium, insbesondere wenn die Bedingungen des Kulturmediums nicht
bereits für die Blastozystenentwicklung optimiert sind. Darüber hinaus ist auch das Zeitfenster, das für die genetische Analyse im Blastozystenstadium zur Verfügung steht,
bevor die Embryonen in den weiblichen Körper transferiert werden müssen, knapp bemessen. Bei schwierigen Diagnosen oder logistischen Problemen müssten die Embryonen demzufolge eingefroren und im nächsten Zyklus der Frau übertragen werden. Dies
hätte – neben der psychischen Belastung der Frau – den Nachteil, dass gegenwärtig
ca. 20 % der Blastozysten die Prozedur des Einfrierens und Auftauens nicht lebend
überstehen würden. Es gibt jedoch auch beim Einfrieren von Blastozysten aktuelle Fortschritte aufgrund neuer, schonenderer Schnellgefriermethoden (Vitrifikation).
Hinsichtlich der Risiken für die nach PID geborenen Kinder gibt es bisher keine
Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren selbst, also die Entnahme von Zellen im frühen Embryonalstadium, beim späteren Kind Spuren hinterlässt und zu PID-spezifischen
12
Schädigungen oder Beeinträchtigungen führt. Bei nach PID geborenen Kindern treten
offensichtlich im gleichen Maße Fehlbildungen auf wie bei Kindern, die nach Anwendung von ART, speziell ICSI, ohne PID geboren werden. Deshalb müssen sich auch
fruchtbare Paare, die eine PID in Anspruch nehmen wollen, mit dem ART-spezifischen
Risiko einer Fehlbildung oder Entwicklungsstörung bei ihrem Kind auseinandersetzen.
Die überwiegende Zahl der präimplantativen genetischen Untersuchungen wird
derzeit als Aneuploidie-Screening (PGS) durchgeführt, um den Erfolg von IVF- Behandlungen zu erhöhen – knapp zwei Drittel laut ESHRE-Bericht. Es hat sich allerdings
inzwischen in mehreren großen Studien gezeigt, dass PGS entgegen früheren Erwartungen zumindest unter Verwendung von Blastomerbiopsien und FISH-Analyse nicht zu
einer Verbesserung der Geburtenrate führt. Nach aktueller Einschätzung der ESHRE
liegt dies an der begrenzten Aussagekraft und Genauigkeit der FISH-Technik und den
hohen chromosomalen Mosaikbildungsraten von Embryonen im Furchungsstadium.
Eine PGS-Untersuchung mittels FISH an Blastomeren kann demnach nur einen Teil der
möglichen Aneuploidien nachweisen und ist zudem mit der Unsicherheit
verbunden, dass die untersuchte Zelle aufgrund der Mosaikbildung nicht repräsentativ
für den gesamten Embryo ist. Es gibt erste Hinweise darauf, dass PGSUntersuchungen, die mithilfe von Chiptechnologien alle Chromosomen untersuchen und
an Polkörpern oder Blastozystenzellen durchgeführt werden, die weniger von der Mosaikbildung betroffen sind, künftig bessere PGS-Ergebnisse bringen.
[...]
(Unterstreichungen zur besseren Lesbarkeit finden sich nicht im Originaltext)
Die gesamte Stellungnahme steht unter http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/
stellungnahme-praeimplantationsdiagnostik.pdf zur Verfügung.
Wir danken dem Deutschen Ethikrat für die Genehmigung der auszugsweisen
Wiedergabe.
13
Verantworteter Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik
Thesen eines katholischen Theologen (Prof. Dr. Hanspeter Heinz)
Die Thesen sollen ein Beitrag zur kontroversen ethischen Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID) sein. Thesen sind nicht Behauptungen, sondern Diskussionsbeiträge. Mit Hilfe von Argumenten formulieren sie Anfragen, u.a. an die lehramtliche
Position der katholischen Kirche, die als bekannt vorausgesetzt wird.
1. Freiheit ist unausrottbar
Papst Pius XII. hat einmal festgestellt, es sei unmöglich, die Freiheit wieder aus einem
Bereich zu verdrängen, in dem sie einmal Platz gegriffen, in dem sie sich konstituiert
hat. Seit Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, ist ihnen das Tor
zum Paradies versperrt, sie haben für immer die Unschuld der kindlichen Naivität
verloren. Ähnlich verhält es sich mit der PID. Diese Entdeckung lässt sich nie mehr
ungeschehen machen. Mit ihr ist Paaren, Ärzten und Politikern die Freiheit eröffnet, in
bisher aussichtslosen Situationen die Hoffnung auf ein gesundes Kind zu ermöglichen.
Die stufenweise Entdeckung der Freiheit im Verlauf der letzten vier Jahrhunderte ist das
entscheidende Charakteristikum einer neuen Epoche der Menschheit, die wir die
Neuzeit oder die Moderne nennen. Der Mensch versteht sich nicht länger der vorgegebenen Ordnung der Natur und der Gesellschaft verpflichtet, die er auszuführen hat, will
er sich ethisch verhalten. Er sieht seine Aufgabe vielmehr darin, alle vorgegebenen
Ordnungen schöpferisch zu gestalten. Diese Ethik der Freiheit weiß sich dem Maßstab
der Vernunft verpflichtet. Nicht Willkür, sondern Verantwortung lautet ihre Maxime.
Deshalb ist das naturrechtliche Konzept des römisch-katholischen Lehramtes fragwürdig geworden: Ist es nicht ein Fehlschluss, die Ordnung der Biologie bzw. der Natur als
Schöpfungsordnung und Ausdruck des Willens Gottes auszugeben? Warum also nicht
als Politiker die PID zulassen oder als Paare und Ärzte von ihr Gebrauch machen?
Ethik der Freiheit
2. Die unterschiedlichen Rollen von Politik, Wissenschaft und Seelsorge ernstnehmen
In einem genialen Beitrag aus dem Jahr 1972 „Unterscheidung des Politischen― weist
Klaus Hemmerle auf, dass Politiker ihre ureigene Verantwortung nicht abtreten dürfen
an die Experten oder, genauso schlimm, an die Therapeuten, Seelsorger und anderen
Begleiter von Menschen in ihrer individuellen Lebenssituation. Salopp gesprochen,
Politik ist ein viel zu anspruchsvolles Geschäft, als dass man es Bischöfen oder
Professoren überlassen dürfte.
Politik hat die schöpferische Aufgabe, die hohe Kunst erfordert, eine gesellschaftliche
Ordnung zu gestalten, die den Rechtsfrieden ermöglicht. Rechtsfrieden ist etwas anderes als Friedfertigkeit, die durch Erziehung und Selbsterziehung gefördert wird. Politik
sorgt sich vielmehr um eine Rechtsordnung, die für ein gedeihliches Miteinander und für
die Lösung von Konflikten entsprechende Normen, Sanktionen und Institutionen schafft.
Hierzu die freie Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen, erfordert Mut und Überzeugungskraft, eine Absage an populistische Parolen. Ein Beispiel für die Störung des
Rechtsfriedens ist das aktuelle Ärztehaftungsgesetz im Kontext der PND, das kaum
durch eine Versicherung abzudecken ist.
Politik:
Rechtsfrieden schaffen
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Expertenwissen
Ernstnehmen konkreter
Situationen
Die Wissenschaft – in unserem Fall vor allem Medizin, Rechtswissenschaft und Ethik –
müssen von der Politik zu Rate gezogen werden, um Gewissheit über Sachgesetzmäßigkeiten und Sicherung von Verfahren zu eruieren. Doch Expertenwissen, selbst wenn
sich Experten eines Fachgebiets einmal einig wären, nimmt der Politik nicht ihre ureigene Aufgabe ab, die gesellschaftliche Ordnung zu gestalten.
Eine andere Versuchung der Politik ist das Abtreten ihrer Zuständigkeit an Therapeuten,
Seelsorger, Sozialarbeiter, die Rat und Hilfe bieten, wo Einzelne und Gruppen sich
überfordert oder vernachlässigt fühlen. Das Ernstnehmen der konkreten Situationen und
Personen ist nicht als Verwässerung des Rechts zu diffamieren. Es muss vielmehr der
Verbesserung des Rechts im Namen der Gerechtigkeit dienen, weil Gesetze wegen
ihrer Allgemeingültigkeit dem Einzelnen nie völlig gerecht werden können. Ich denke
etwa an das „Fringsen―, das laut Kardinal Frings nicht Diebstahl, sondern Mundraub
gestattet.
Ich selbst sehe mich in dieser dritten Rolle als Vertreter von donum vitae mit dem Auftrag, Paaren in einer tragischen Situation zielorientiert und ergebnisoffen zur Seite zu
stehen. Ich verstehe mich aber auch in der Rolle eines Experten für Ethik. Das Hauptunterscheidungsmerkmal christlicher bzw. biblischer Ethik von anderen Konzeptionen ist
das Menschenbild. Während die großen Kunstwerke der Antike den starken, gesunden,
intelligenten Menschen ins Bild setzen, ist es in den Schriften des Alten und Neuen
Testaments vor allem der sterbliche, kranke, sündige Mensch, sind es die Hilfs- und
Schutzbedürftigen, für die biblisch die Armen, Waisen, Witwen und Fremden stehen. Sie
sind nicht Randfiguren, sondern ihnen gebührt die bevorzugte Liebe Gottes und darum
auch im Volk Gottes. Und was ist schutzloser als menschliches Leben in der Petrischale
und vor der Geburt?
3. Der einzig vertretbare Kinderwusch ist ein gesundes Kind.
Verantwortete
Elternschaft
ein gesundes Kind —
um welchen Preis?
15
Verantwortete Elternschaft ist ein ethisches Gebot. Diese Freiheit ist zugleich die Pflicht
zu wählen. Dieses Selbstbestimmungsrecht bezieht sich auf die zeitliche Abfolge und
Zahl der Kinder ebenso wie auf die Sorge für das Kindeswohl, etwa für Gesundheit und
Erziehung. Es wäre pervers, sich ein krankes oder behindertes Kind zu wünschen. Es
wäre ebenso pervers, einen Lebenspartner bzw. eine Partnerin zu wählen und gemeinsam Kinder zeugen zu wollen, wenn der oder die andere etwa HIV-infiziert oder durch
Inzucht geschädigt ist. In der Partnerwahl muss man wählerisch sein, an sich und an
einander Ansprüche stellen. Das ist zugleich die beste Voraussetzung, sich großzügig
für Hilfsbedürftige und Unterprivilegierte zu öffnen.
Wenn Eltern bislang nach schlimmen Erfahrungen von Fehl- und Totgeburten dazu
„verurteilt“ waren,
kinderlos zu bleiben, bietet ihnen PID nunmehr die Chance, auf ein
gesundes Kind hoffen zu dürfen. Dieser Kinderwunsch ist zweifellos berechtigt. Doch –
das ist die ethische Frage – um welchen Preis dieses Ziel verfolgen? Ist der Weg, sind
die Mittel ethisch verantwortbar, kann das Paar mit diesen „Kosten― leben, wenn es
weiß, was es tut?
4. Ethisch umstritten ist der Umgang mit überzähligen Embryonen
Die in Deutschland ernsthaft und engagiert geführte Debatte um die Zulassung der PID
zeugt von einer hohen politischen Kultur. Sie wird jedoch durch einige Entgleisungen
gestört und emotional aufgeladen. Zum einen ist es die Unterstellung, die Befürworter
plädierten für die Auswahl von Designerkindern, z.B. blauäugiges blondes Mädchen.
Zum anderen irritieren verletzende Vergleiche. Das Sterbenlassen überzähliger Embryonen ist nicht „Selektion― nach der Art des Auschwitzarztes Dr. Mengele, auch nicht
Vernichtung „lebensunwerten Lebens― wie der Nazimord an Behinderten. Noch dümmlicher ist der Vergleich mit dem Kindermord des Königs Herodes zu Bethlehem. Derartige
Vergleiche sind böswillige, zumindest gedankenlose Diffamierung von Paaren, Ärzten
und Politikern, die sich auf die PID einlassen wollen.
Hier tut sachliche Unterscheidung not! Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) geht es
(zunächst) um eine Überbrückung bei Unfruchtbarkeit. Bei der Pränataldiagnostik (PND)
ging es dem Gesetzgeber – die Praxis weicht davon leider ab und muss gesetzlich
korrigiert werden – ebenfalls um ein therapeutisches Ziel: die Wahrung der physischen
und psychischen Gesundheit der Mutter, die mit der Fortsetzung der Schwangerschaft
kollidiert. Bei der PID – mit Hilfe der IVF – ist hingegen keinerlei therapeutische Absicht
im Spiel. Das macht einen wesentlichen Unterschied aus. Vielmehr zielt diese Methode
darauf, nur lebensfähige und nicht erblich schwer geschädigte Embryonen in den Uterus
zu implantieren und die anderen Embryonen sterben zu lassen. Ich würde hier nicht
Worte wie töten oder vernichten gebrauchen, weil sie zur sachlichen Beschreibung
fragwürdige Motive hinzufügen. Auch ist es nicht zutreffend zu sagen, dass etliche
Embryonen mit der Absicht erzeugt werden, sie sterben zu lassen. Dies wird in Kauf
genommen, ist aber nicht Mittel zur Erreichung des Zieles der erstrebten Schwangerschaft.
Jetzt endlich stoßen wir auf das umstrittenste medizinische und ethische Problem: Was
ist der Achtzeller in der Petrischale? Unstrittig steht fest, es ist ein neues menschliches
Leben. Verfolgt man nämlich die eigene Entstehungsgeschichte kontinuierlich zurück,
dann beginnt sie exakt mit der Verschmelzung von
Ei- und Samenzelle, die das
vollständige Genom eines neuen Menschen enthält.
hohe politische Kultur
in aktueller Debatte
Unterscheidung IVF - PND
das umstrittenste Problem
Doch in umgekehrter Richtung, nämlich von der Zeugung bis zur Geburt vorwärts
gelesen, ist der Prozess keineswegs eine selbstverständliche, kontinuierliche Entwicklung ohne Überraschungen. Die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ist nur
eine notwendige, aber keineswegs eine hinreichende Bedingung zur Entstehung eines
neuen Menschen. Dazukommen muss die Empfängnis, das Einnisten im Mutterschoß
und auch die soziale Seite der Empfängnis, das Ja der Mutter, die ihre Schwangerschaft
wahrnimmt und annimmt, jetzt erst das Kind „empfängt―. In den ersten zwei Wochen der
Schwangerschaft ist zudem offen, ob es sich um einen oder zwei Menschen handelt,
weil sich eineiige Zwillinge bilden können. Die Nichteinnistung vieler Embryonen und die
natürliche Abstoßung vieler eingenisteter Embryonen im frühen Stadium der Schwangerschaft ist ein weiterer Beleg, dass eine befruchtete Eizelle keineswegs die hinreichende Voraussetzung zur Entstehung eines Kindes ist. Dass eine Frau, wenn sie ihre
Schwangerschaft wahrnimmt, sagt: „Ich erwarte ein Kind―, dasselbe aber nicht zu sagen
pflegt zum Embryo in der Petrischale, obwohl sie auch dazu schon eine emotionale Beziehung haben kann, ist ein weiteres Indiz für die angesprochene Problematik.
16
ab wann Rechtsschutz?
Diese naturwissenschaftlichen Erkenntnisse beeinflussen auch die theologische Frage
in den drei monotheistischen Religionen, ab wann und in welchem Maß die Menschenwürde eines Embryos Rechtsschutz verdienen soll. Darauf geben sie keine einhellige
Antwort. Die katholische Lehrmeinung, dass die befruchtete Eizelle denselben unbedingten Rechtsschutz wie eine geborene Person verdient, wird von anderen Glaubensgemeinschaften nicht geteilt. Aber wo sonst die Grenze ziehen? Mehr als über das
Ende des Lebens, worüber sich ein weitgehender Konsens abzeichnet, muss über den
Anfang des Lebens das interreligiöse und interdisziplinäre Gespräch mit Naturwissenschaftlern und Juristen unbedingt weiter geführt werden.
5. Mangelnde Wertschätzung von Kranken und Behinderten ist keine notwendige
Konsequenz
Zu Recht besteht der Verdacht, dass in der Gesellschaft etwas, das nicht unter Strafe
steht, oft schon bald als erlaubt und ethisch unbedenklich gilt. Rechtsetzung beeinflusst
nachweislich das Rechtsempfinden. Deshalb besteht durchaus die Gefahr, dass selbst
bei einer eng begrenzten Zulassung der PID Behinderte und von einer schlimmen
Erbkrankheit Gezeichnete als „überflüssig― und störend angesehen werden. So etwas
hätte man doch vermeiden können!
Wertschätzung von
Menschen mit
Behinderung / Krankheit
Aber das ist nicht eine notwendige Folgerung, der Politik und Gesellschaft wehrlos gegenüberstünden. Solch menschenverachtenden Tendenzen kann man gegensteuern.
Zum einen müssen die Stimmen von Kranken und Behinderten, die ihr Leben durchaus
als sinnvoll und keineswegs als unerträglich empfinden, verstärkt in der Öffentlichkeit
hörbar gemacht werden. Ihre Selbstwahrnehmung widerspricht oft der Fremdwahrnehmung, weil Außenstehenden das Schicksal der anderen unerträglich scheint. Nicht die
Kranken, sondern die Gesellschaft ist krank! Zum anderen muss sich die Wertschätzung
von Kranken und Behinderten daran zeigen, dass genügend Finanzmittel, Gesundheitsdienste und soziale Berufe zur Verfügung gestellt werden. Denn was nicht Geld, Nerven
und Zeit kostet, ist uns nichts wert.
6. Normen festlegen und den Umgang mit Normen lernen
Für gesellschaftlich wichtige Lebensbereiche muss Politik verbindliche Normen festlegen. Im Grundsätzlichen erfolgt das durch die Verfassung, im Konkreten durch Gesetze,
besonders durch das ständig fortzuschreibende Strafgesetzbuch. Gesetze müssen klar
und durchsetzbar sein wie etwa die Straßenverkehrsordnung. Ein eminent wichtiger
Lebensbereich ist die Sexualität, die in allen Kulturen durch ethische und gesetzliche
Normen geordnet wird.
Gesetzlicher Handlungsbedarf besteht laut dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
bezüglich der PID, damit der Rechtsfrieden erhalten bleibt. Paare und Ärzte müssen
wissen, wann sie sich strafbar machen. Im Unterschied zu den offiziellen Stellungnahmen der katholischen und evangelischen Kirche sehe ich selbst mich zurzeit nicht in
der Lage, aus ethischer Sicht ein eindeutiges Votum für einen der ins Parlament eingebrachten Gesetzesentwürfe abzugeben. Doch muss zumindest besser als bei der PND
geregelt werden, dass die gesetzliche Norm nicht straffrei ausgehöhlt wird.
Doch wo auch immer die gesetzliche Grenze gezogen wird, es wird Grenzfälle geben, in
denen die Härte des Gesetzes an ihre Grenze kommt, weil die rigorose Durchsetzung
17
der gesetzlich geforderten Gerechtigkeit gegen die Tugend der Gerechtigkeit verstieße.
Auf Latein heißt dieser Grundsatz prägnant: „Summum ius summa iniuria.― Auf Deutsch
könnte man sagen: Strengstes Recht ist schlimmstes Unrecht. In der Dauerdiskussion
über den § 218 StGB ging es vor Jahrzehnten um folgenden Grenzfall: Nur bei einer
medizinischen Indikation ist Abtreibung straffrei. Aber kann man einer Frau unter Strafe
zumuten, nach einer Vergewaltigung das Kind auszutragen? Entweder konnte man darauf verzichten, die Härte des Gesetzes in diesem Extremfall anzuwenden oder das
Gesetz erweitern durch die neue „Notlagenindikation―. Doch jede neue Grenzziehung
wird wieder an das Problem von Grenzfällen stoßen. Rein rechtlich ist dieses Dilemma
nicht lösbar.
Deshalb braucht es in der Gesellschaft nicht nur den Erlass rechtlicher Normen,
sondern darüber hinaus auch einen verantworteten Umgang mit den geltenden Normen.
Man könnte auch sagen, wir brauchen Normen für den Umgang mit Normen. Ein
simples Beispiel: Ein Autofahrer muss den weißen Strich auf der Straße überfahren,
wenn unversehens eine alte Frau die Fahrbahn überquert. Weit schwieriger ist ein
verantwortetes Verhalten in einer so komplexen und tragischen Lebenssituation wie
einem nur mit Hilfe der PID erfüllbaren starken Kinderwunsch. Deshalb ist über die
ärztliche Beratung hinaus unbedingt eine qualifizierte sozialpädagogische Beratung
notwendig und vom Gesetzgeber verpflichtend vorzuschreiben. Die Beraterinnen und
Berater von donum vitae sind auf diese Aufgabe bestens vorbereitet, brauchen dafür
aber ein zusätzlich zu finanzierendes Zeitbudget. Ärzte und Paare sollten für ihre
verantwortete Entscheidung zudem unterstützt werden durch einen Expertenausschuss,
der ebenfalls gesetzlich vorzuschreiben ist.
Beratung muss immer zielgerichtet und ergebnisoffen sein. Für diesen Balanceakt gilt in
der ethischen Tradition der Kirchen von alters her der Grundsatz: „Ultra posse nemo
tenetur―; frei übersetzt: Was ich beim besten Willen nicht verstehen und unmöglich
leben kann, dazu bin ich im Gewissen nicht verpflichtet. Als verantwortet ist eine Entscheidung noch nicht zu bezeichnen, wenn man das Bauchgefühl hat: Das verstehe ich
nicht und kann ich nicht! Unterstützend zur eigenen Reflexion kann fachkundige Beratung helfen, Sachgründe, plausible Argumente herauszuarbeiten, warum in einer individuellen Situation diese Grenze erreicht ist und wann das Drängen auf weitere Klärung
eine unzumutbare Forderung bedeutet. Doch bis an diese Grenze muss Beratung führen, weil die Betroffenen auf Dauer nur mit einer verantworteten Entscheidung leben
können,
wissend, dass sie alles überlegt und getan haben, was ihnen in ihrer Situation möglich war.
Normen erlassen mit Normen verantwortlich umgehen
Beratung zielgerichtet
und ergebnisoffen
Ich habe übrigens den Eindruck, in Deutschland fordern wir einseitig die immer weitere
Perfektion der Gesetzgebung, vernachlässigen aber die personale Ertüchtigung zu
einem geregelten Umgang mit Regeln.
7. Keine Pfirsiche im Angebot, nur noch Zwiebeln
Zum Schluss sei nochmals der Bogen zum Anfang geschlagen, zur Neuheit unserer
modernen Epoche gegenüber Antike und Mittelalter. 1964 stellte der Konzilspapst Paul
VI. in seiner Antrittsenzyklika „Ecclesiam suam― fest, die Grenzlinien zwischen Licht und
Finsternis, zwischen Kirche und Welt, zwischen dem Heiligen und dem Profanen seien
in unserer Epoche fließend geworden, so dass eine krasse Entgegensetzung überholt
sei. Gesellschaft und Natur seien von einer so vehementen Dynamik erfasst worden,
18
dass statische Formen der sich schnell ändernden Wirklichkeit nicht mehr gerecht
würden. Deshalb, so folgert der Papst, nimmt die Kirche mehr und mehr davon
Abstand, ein fertiges Lehrgebäude errichten zu wollen, um nicht durch die bloße
Wiederholung „ewiger Wahrheiten― an der sich wandelnden Zeit vorbeizureden.
Stattdessen strenge sie sich an, die Grundlinien der dynamischen Entwicklung unseres
Zeitalters und jedes Menschen geduldig und behutsam aufzudecken, sie im Lichte der
biblischen und kirchlichen Glaubenserfahrung zu deuten und Handlungsanweisungen
zu geben.
fließende Übergänge am
Anfang und Ende des
Lebens
Für unsere Thematik bedeutet dies: Die Übergänge am Anfang und Ende des menschlichen Lebens sind fließend geworden. Deshalb sind eindeutige und indiskutable
Grenzsetzungen nicht möglich. Bildlich gesprochen, haben wir es nicht länger mit
Pfirsichen zu tun, bei denen Kern, Fleisch und Haut eindeutig und klar unterscheidbar
sind. Vielmehr ähnelt die Wirklichkeit einer Zwiebel, bei der wir Haut um Haut abschälen können, ohne in der Mitte auf einen Kern zu stoßen. Die Notwendigkeit,
sinnvolle Grenzen zu ziehen, macht die Aufgabe von Politikern und anderen Entscheidungsträgern anspruchsvoller, aber nicht weniger notwendig als in früheren Zeiten.
Verwendete Literatur
19
■
Klaus Hemmerle, Unterscheidung des Politischen, in: Ders., Unterscheidungen. Gedanken und Entwürfe zur Sache des Christentums heute,
Freiburg i. Br. 1972, 112-127
■
Dirk Lanzerath, Präimplantationsdiagnostik – Zentrale Fakten und
Argumente, in: Analysen & Argumente, Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.),
Ausgabe 85, November 2010
■
Michael Schrom, Wann ist der Mensch Person?, in: Christ in der Gegenwart 63 (2011), Heft 3
Präimplantationsdiagnostik aus Sicht eines Menschen mit Behinderung
Gedanken, Anregungen, Eindrücke (Dipl. Psychologin Claudia Schmidt-Herterich)
20
21
22
Podiumsdiskussion
Moderiert von Dr. Ulrich Harbecke, diskutierten drei Bundestagsabgeordnete, die
jeweils einen der drei Gesetzentwürfe vertraten, miteinander und mit einem Mediziner
über die angestrebte zukünftige Regelung der Präimplantationsdiagnostik.
Die Teilnehmenden waren
■
Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser, Köln, CDU-Bundestagsabgeordnete
■
René Röspel, Hagen, SPD-Bundestagsabgeordneter
■
Prof. Dr. Patrick Sensburg, Meschede, CDU-Bundestagsabgeordneter
■
Dr. med. Johannes Luckhaus, Remscheid, Gynäkologe, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Remscheid
Zusammenfassend wurden folgende Positionen vertreten:
Prof. Dr. Sensburg: Verbot der PID
Der BGH hat allgemein die PID nur bei schwerwiegenden genetischen Schäden für
zulässig erklärt. Die konkrete Bestimmung dieses Begriffs hat er aber nicht vorgenommen. Diese unklare Umgrenzung hat zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt, so
dass in jedem Fall auch insoweit eine gesetzliche Neuregelung erforderlich ist.
gleiche Würde
allen menschlichen
Lebens gefährdet
Die Anwendung der PID gefährdet die Akzeptanz gesellschaftlicher Vielfalt und erhöht
den sozialen Druck auf Eltern, ein gesundes Kind haben zu müssen. Dem liegt der
Anspruch zugrunde, zwischen lebenswertem und -unwertem Leben unterscheiden zu
können. Die Werteordnung des Grundgesetzes bestimmt ausdrücklich, dass jeder
Mensch den gleichen Anspruch auf Würde und die gleichen und unveräußerlichen
Rechte auf Teilhabe besitzt. Dieses Wertegefüge würde durch die Zulassung der PID
nachhaltig beschädigt werden. Aus ethischen und gesellschaftspolitischen Gründen ist
die PID daher abzulehnen.
Alle Regelungen mit dem Ziel einer beschränkten Zulassung der PID entgehen nicht
dem Grundproblem der Entscheidung, welches Leben gelebt werden darf und welches
nicht. Darüber hinaus ist eine Beschränkung auf einzelne Fälle faktisch unmöglich: Zum
einen zeigen internationale Erfahrungen die ständige Ausweitung der Indikationen. Zum
anderen ist der Umgang mit den bei der Untersuchung von Chromosomenanomalien zu
erwartenden Nebenbefunden ungeregelt. Bereits wegen etwaiger Haftungsrisiken des
Arztes wird es die Tendenz geben, alle vorhandenen Informationen zu nutzen.
Auch der Versuch, die Anwendung der PID auf Fälle erwarteter Totgeburten oder früher
Kindersterblichkeit zu begrenzen, wird aus diesem Grund kaum gelingen. Jede Abgrenzung des „Lebenswertes― aufgrund einer prognostizierten Lebenserwartung wäre willkürlich und daher ethisch nicht tragbar. Ein Verzicht auf eine gesetzliche Regelung der
PID ist ebenfalls keine Alternative.
Roespel: Verbot der PID; erlaubt nur in Ausnahmefällen
Die PID zur Selektion von Embryonen nach einem bestimmten Krankheitsbild wird
abgelehnt. Dementsprechend sieht der Gesetzentwurf auch keinen „Krankheitskatalog―
vor. Erfahrungen bei der Anwendung der PID im Ausland haben gezeigt, dass einschränkende rechtliche Zulassungskriterien zur Einstufung von Krankheitsmerkmalen
23
wie „heilbar―, „therapierbar― oder „schwerwiegend― eine Ausweitung der Indikation auf
immer mehr Krankheiten wie zum Beispiel Chorea Huntington, Mukoviszidose oder
einer Brustkrebs-Disposition oder gar Behinderungen wie Trisomie 21 (Down-Syndrom)
nicht verhindern können.
Die PID wird ausnahmsweise zugelassen für Paare, die eine genetische Vorbelastung
dafür haben, dass Schwangerschaften in der Regel mit einer Fehl- oder Totgeburt oder
dem sehr frühem Tod des Kindes innerhalb des ersten Lebensjahres enden.
Folgende Kriterien müssen dafür erfüllt sein:
Bei den Eltern oder einem Elternteil liegt eine humangenetisch diagnostizierte Disposition vor; diese Disposition muss mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung des EmbKriterien für
ryos, Fötus oder Kindes zur Folge haben, die zur Tot- oder Fehlgeburt oder zum Tod im
ersten Lebensjahr führen kann; die Eltern müssen auf ein Beratungsangebot hingewie- ausnahmsweise Zulassung
sen werden und eine Ethikkommission muss die Durchführung der Präimplantationsdiagnostik in jedem Einzelfall befürworten. Die Durchführung der Untersuchung ist nur an
einem lizensierten Zentrum zulässig.
Das Gesetz macht damit die Lebensfähigkeit des Embryos zum zentralen Maßstab und
nicht etwa seinen „Lebenswert― oder den Grad einer (mehr oder weniger wahrscheinlichen) Erkrankung oder Behinderung. Eine Untersuchung auf genetische oder chromosomale Defekte, die die Lebensfähigkeit des Embryos gefährden, wird erlaubt; eine
Untersuchung etwa auf spät manifestierende Krankheiten wie Chorea Huntington oder
Brustkrebs oder gar Behinderungen wie Down Syndrom wird hingegen verboten. Ebenfalls verboten ist die Durchführung der PID, um spontane - also nicht auf Grundlage
einer genetischen Disposition der Eltern basierende - Chromosomenstörungen festzustellen (Aneuploidie-Screening). Damit wird einer Ausweitung der PID – wie sie im Ausland zu beobachten ist – wirksam ein Riegel vorgeschoben.
Eine Zulassung der PID analog zur vorgeburtlichen genetischen Untersuchung
(Pränataldiagnostik - PND) ist nicht vertretbar.
Heinen-Esser: Zulassung der PID in engen Grenzen
Die Präimplantationsdiagnostik soll in Ausnahmefällen zulässig sein. Um Rechtssicherheit für die betroffenen Paare und die Ärzte herzustellen, ist das Embryonenschutzgesetz um eine Regelung zu ergänzen, die die Voraussetzungen und das Verfahren einer
PID festlegt. Zur Vermeidung von Missbräuchen soll die PID nach verpflichtender
Aufklärung und Beratung sowie einem positiven Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten Ethik-Kommission in den Fällen zulässig sein, in denen ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit
einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist. Im Vorfeld der PID soll eine sorgfältige
Diagnostik bei beiden Partnern nach strengen Kriterien erfolgen. Zur Gewährleistung
eines hohen medizinischen Standards soll die PID an lizensierten Zentren vorgenommen werden.
begrenzte Zulassung
nach verpflichtender
Aufklärung und Beratung
und Ethik-Kommission
Daraus ergibt sich folgender Vorschlag zur Ergänzung des Embryonenschutzgesetzes:
Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht (Präimplantationsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit
Geldstrafe bestraft.
Wenn auf Grund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteiles für deren
Nachkommen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit be24
steht, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach
dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik einen
Embryo in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit untersucht. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplantationsdiagnostik zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu einer Tot– oder Fehlgeburt führen wird.
Eine Präimplantationsdiagnostik nach Absatz 2 darf nur nach einer medizinischen und
psychosozialen Beratung und schriftlichen Einwilligung der Mutter von fachlich geschulten Ärzten nach einem positiven Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten
Ethikkommission und in für die Präimplantationsdiagnostik lizenzierten Zentren vorgenommen werden.
Dr. med. Luckhaus:
die Entwürfe aus der
Sicht eines Mediziners
Das von einer Gruppe der Bundestagsabgeordneten, hier vertreten durch Herrn Prof.
Sensburg, geforderte generelle Verbot der Präimplantationsdiagnostik ist gedanklich
konsequent und sicherlich nicht eine Position, die man vollkommen verwerfen kann.
Allerdings berücksichtigt es nicht das große Leid der Frauen und Paare, das ich in
meiner täglichen Berufserfahrung erlebe. Das Prinzip erscheint hier als zu hoch und
lässt Menschen alleine. Vor allem sehe ich einen eklatanten Wertungswiderspruch
zwischen der geltenden Abtreibungsregelung einerseits und dem geforderten PIDVerbot andererseits. Ein Embryo, bestehend aus einer geringen Zahl von Zellen kann
nicht schützenswerter sein als ein Kind in der achten oder zehnten Schwangerschaftswoche.
Der Entwurf, den Herr Röspel auf dem Podium vertritt, sieht auch die Gefahr des
„Dammbruchs“, versucht aber durch klare Grenzen die Ausnahmen, bei denen eine PID
erlaubt ist, festzulegen. Dieser Entwurf sieht das Leid der Betroffenen, dem ein generelles Verbot nicht Rechnung tragen würde. Allerdings ist eine Festlegung auf eine zu
erwartende Lebensspanne problematisch, weil sich hier im medizinischen Feld immer
wieder Neues ergibt, z.B. durch verbesserte Behandlungsmöglichkeiten. Des Weiteren
ergibt sich eine Problematik dahingehend, dass es einerseits eine Wahrscheinlichkeit
von 25 % für eine tödliche autosomal-rezessive Erkrankung gibt, andererseits aber jede
Frau, die mit 38 Jahren schwanger wird, ein genau gleich hohes IVF-Abortrisiko hat.
Dies kann juristische Verwerfungen zur Folge haben.
Frau Heinen-Esser steht für den Entwurf, der die PID bei zu erwartender schwerer
Behinderung erlauben will und zugleich deutlich ablehnt, dass man etwa „DesignerBabys― oder Geschlechterauswahl ermöglicht. Dieser Entwurf ist am praktikabelsten
und wird vor allem den betroffenen Paaren am ehesten gerecht. Man darf nie vergessen, dass diese Paare oft schon eine Odyssee hinter sich haben und für sich einen
Ausweg suchen.
Anders als bei Frauen oder Paaren, die im Rahmen der Pränataldiagnostik von einem
auffälligen Befund erfahren, sind diese Paare schon mit dem Leben mit einem kranken
bzw. behinderten Kind vertraut und kennen die Probleme oder Hilfsmöglichkeiten.
Deshalb sehe ich auch bei PID und PND unterschiedliche Beratungsbedarfe. Darüber
hinaus sehe ich Unterschiede in Bezug auf eine bestehende Bindung zwischen der
Frau und dem Kind: Zweifelsohne ist diese in der 18. oder 20. Schwangerschaftswoche
zum Teil schon sehr deutlich und stark, wovon im Zusammenhang von In-VitroFertilisation und PID keine Rede sein kann.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass ethische Grundfragen, wie sie z.B. im Umfeld
von PID auftreten, niemals durch gesetzliche Regelungen allein gelöst werden können.
25
Weitere Diskussion:
Im Verlauf der Diskussion, in die alle Anwesenden einbezogen wurden, wurde vor allem
deutlich, wie notwendig bei einer begrenzten Zulassung der PID eine Verankerung der
psychosozialen Beratung ist. Diese soll in der Hand einer staatlichen anerkannten
Beratungsstelle liegen und ist ein wichtiger Beitrag zu einer umfassenden, multiprofessionellen Begleitung und Beratung der Betroffenen.
Mehrheitlich wurde die Auffassung geteilt, dass eine begrenzte Zulassung der PID, die
in einen andauernd zu führenden gesellschaftlichen Dialog über ethische Grundwerte
und Maßstäbe eingebunden ist, am ehesten der vielfältigen Not der Betroffenen gerecht
werde.
PID und psychosoziale
Beratung
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Bundestag stimmt für begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik
Der Deutsche Bundestag hat am 7. Juli 2011 für die begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik gestimmt.
In unserem Landesverband hat es auf verschiedenen Ebenen Gespräche und
Meinungsbildungen zur PID gegeben. Die verschiedenen Einschätzungen der PID und
der Frage, ob sie zuzulassen sei oder nicht, spiegelte sich in der Gestaltung der Fachtagung wider, die alle relevanten Einschätzungen zu Wort kommen ließ. In der landesverbandlichen Diskussion war eine mehrheitliche Positionierung zugunsten einer
begrenzten Zulassung der PID sichtbar.
In Deutschland haben wir mit der Beratungsregelung im Umfeld von Schwangerschaft,
Schwangerschaftsabbruch und Pränataldiagnostik eine gesetzliche Basis, die einen
hohen Standard des Schutzes von Frau und Kind sichert.
Ein Verbot der PID hätte einen Wertungswiderspruch bedeutet: Es wäre nicht logisch
gewesen, einerseits den Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Beratungsregelung
zu ermöglichen, die Vermeidung einer Schwangerschaft durch die „Pille danach― nicht
zu verbieten und den Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik bei medizinischer Indikation zu erlauben und andererseits die PID mit der Begründung, es gehe um
den Schutz des Embryo, zu verbieten.
Durch die begrenzte Zulassung der PID ist nunmehr die Grundlage dafür geschaffen,
den Schutz von Frauen und beginnendem Leben durch die medizinische und psychosoziale Beratung zu gewährleisten. Ein PID-Verbot hätte betroffene Paare bewogen,
sich ins Ausland zu orientieren, wo dieser Schutz, der durch die in Deutschland vorhandenen Beratungsregelungen existiert, nicht in gleicher Weise gegeben ist.
So klar es ist, dass es kein Recht auf ein gesundes Kind gibt, so verständlich ist der
Wunsch nach einem sinnhaften Leben mit Kindern. Durch die PID gibt es die medizinische Möglichkeit, bei befürchteten schwersten Schädigungen diese an künstlich
erzeugten Embryonen zu erkennen. Schwere Belastungen für das Kind und für die
Familie können dadurch vermieden werden.
Die im Bereich der Pränataldiagnostik bereits vielfach praktizierte und bewährte Kooperation zwischen ärztlicher und medizinischer Beratung kann unserer Ansicht nach auch
bei PID helfen, bei denjenigen Paaren, die in aller Regel emotional schwerste Vorerfahrungen (z.B. schwerste Behinderungen in der Familie, Fehl- u. Totgeburten etc.)
hinter sich haben, die Situation zu klären und zu einer tragfähigen Entscheidung zum
Umgang mit IVF und PID zu kommen. In jedem Fall ist bei einer begrenzten
PID-Zulassung jede Einzelsituation mit einem individuellen Auseinandersetzungsprozess verbunden.
donum vitae NRW tritt weiterhin für die ressourcenorientierte Beratung von Frauen und
Paaren zur Überwindung der Notlage ein und wird sich auch zukünftig an gesellschaftlichen Debatten beteiligen und sich dabei im Sinne der doppelten Anwaltschaft für
Frau /Paar und Kind einsetzen.
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Eindrücke
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