Dokumentation Jahrestagung 2011 Inhalt Seite Begrüßung .................. 01 Dr. med. J. Luckhaus.. 02 Auszüge aus der Stellungnahme des Dt. Ethikrats zur PID ... 07 Prof. Dr. H. Heinz ....... 14 C. Schmidt-Herterich .. 20 Podiumsdiskussion ..... 23 Schlusswort ................ 27 Eindrücke .................... 28 Landesverband donum vitae NRW e.V. Markmannsgasse 7 50667 Köln Tel. (0221) 222 543-0 Fax. (0221) 222 543-40 Email: [email protected] www.nrw-donumvitae.de „Fortschritt oder Dammbruch – Herausforderung PID“ Liebe Beraterinnen, liebe Vorstandsmitglieder unserer Orts- und Regionalverbände, sehr geehrte Damen und Herren, Brisanz des Themas im Namen des Landesverbandes donum vitae NRW begrüße ich Sie sehr herzlich zu unserer Fachtagung „Fortschritt oder Dammbruch – Herausforderung PID―. Ich freue mich, dass neben Mitgliedern unseres eigenen Verbandes, Vertreter aus zahlreichen mit Präimplantationsdiagnostik befassten Fachbereichen - aus Medizin und Geburtshilfe, aus Beratung und von Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, aus Wissenschaft, Politik und Theologie unserer Einladung gefolgt sind. Das bestätigt die Brisanz des Themas. In der kommenden Zeit wird der Bundestag um eine gesetzliche Neuregelung in diesem Kontext debattieren. Und donum vitae mischt sich ein in die politische Diskussion. Es geht uns mit dieser Tagung um die ernste Auseinandersetzung mit den medizinischen Abläufen, ethischen Grundsatzfragen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Einschätzung der „Erlaubtheit― medizinischer Verfahren sowie deren Auswirkungen auf das Wertebewusstsein in unserer Gesellschaft. unser fachlicher Beitrag Dabei sehen wir uns, wie der Name „donum vitae― sagt, dem „Geschenk des Lebens― besonders verpflichtet. Aus unserer Beratungserfahrung, besonders im Schwangerschaftskonflikt und bei Pränataldiagnostik, möchten wir unseren fachlichen Beitrag zur Diskussion und Meinungsbildung leisten. Wir tun dies in großer zeitlicher Nähe zur geplanten ersten Lesung der drei Gesetzentwürfe zur Präimplantationsdiagnostik, die noch im April im Deutschen Bundestag vorgesehen ist. Ich begrüße dazu alle Referenten, die aus medizinischer, ethischer, behindertenpolitischer Sicht dazu Stellung nehmen. Ich freue mich, dass heute Nachmittag drei Bundestagsabgeordnete und ein Mediziner unter fachkundiger Moderation über die Entwürfe diskutieren. Als Gäste begrüße ich besonders Frau Dr. Katrin Kaufmann, Leiterin des Referats Soziale Familiendienste und Familienbildung im - kurz gesagt -Familienministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und Frau Ursula Monheim vom donum vitae Bundesvorstand. Ein besonderes Dankeschön gilt unserem Kooperationspartner, der Konrad-AdenauerStiftung. Ich wünsche uns allen einen interessanten und aufschlussreichen Tag und anregende Diskussionen. Ingrid Schürholz-Schmidt (Vorsitzende Landesverband donum vitae NRW) 1 IVF—Behandlung (Dr. med. Johannes Luckhaus) 2 3 4 5 6 Ergänzend zu den Tagungsbeiträgen dokumentieren wir Auszüge aus: Deutscher Ethikrat: Präimplantationsdiagnostik. Stellungnahme. Berlin, 2011 [...] 2 Wissenschaftlich-medizinische Grundlagen der Embryonalentwicklung und präimplantativer Untersuchungen Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ermöglicht eine Beurteilung der Entwicklungsfähigkeit und genetischen Ausstattung von künstlich befruchteten Embryonen, noch bevor sie in den Körper der Frau übertragen werden. Ein Sonderfall der PID ist die Polkörperdiagnostik, die vor Abschluss der Befruchtung erfolgt. Im Rahmen einer medizinisch assistierten Fortpflanzung (Assistierte Reproduktionstechnik, ART) werden in der Regel durch hormonelle Behandlung der Frau mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung gebracht und operativ dem Körper entnommen. Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) dringt eine Samenzelle eigenständig in die Eizelle ein; bei der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) wird ein einzelnes Spermium unter dem Mikroskop direkt in die Eizelle injiziert. Die Vorstufen der Eizellen ebenso wie der Spermien sind zunächst diploid (von diploos [griech.] = doppelt), enthalten also alle 23 menschlichen Chromosomen in doppelter Ausführung. Die reife Eizelle und das Spermium hingegen enthalten jedes Chromosom nur einmal; sie sind haploid (von haplos [griech.] = einfach). Den haploiden Zustand erreichen Eizelle und Spermium, indem sie ihren doppelten Chromosomensatz zunächst noch einmal kopieren und ihn dann in zwei Reifeteilungen auf den einfachen Satz reduzieren. Vor der ersten Reifeteilung tauschen die verdoppelten Chromosomen miteinander entsprechende Abschnitte aus, sodass jeder Chromosomensatz nach den Reifeteilungen eine einzigartige Kombination von Genvarianten enthält. Bei den beiden Reifeteilungen der Eizell-Vorläuferzelle entstehen eine reife Eizelle sowie zwei an ihr haftende Polkörper, die an der weiteren Entwicklung nicht teilnehmen und schließlich abgebaut werden. Die zweite Reifeteilung erfolgt erst nach Eindringen des Spermiums in die Eizelle, aber bevor sich die jeweiligen Membranen um die beiden Zellkerne von Ei- und Samenzelle auflösen. Erst der letzte Schritt – in § 8 ESchG als „Kernverschmelzung― bezeichnet – markiert gemäß der Definition des Embryonenschutzgesetzes den Abschluss der Befruchtung und den Beginn des menschlichen Embryos als Schutzobjekt. Die Reifeteilungen der Spermienvorläuferzelle erzeugen keine Polkörper; alle vier Teilungsprodukte können zu funktionsfähigen Spermien heranreifen. Nach der Befruchtung bilden die Zellen des Embryos während der sogenannten Furchungsteilungen etwa alle zwölf bis 36 Stunden je zwei Tochterzellen, genannt Blastomeren. Bis etwa zum Acht-Zell-Stadium geht man davon aus, dass sich eine einzelne, dem Embryo entnommene Zelle unter geeigneten Umständen als eigener, genetisch identischer Embryo weiterentwickeln kann. Deshalb gelten embryonale Zellen in diesem Stadium als totipotent und haben rechtlich den gleichen Status wie ein Embryo (§ 8 ESchG). In weiteren Zellteilungen entsteht die Blastozyste, ein Bläschen aus ca. 120 Zellen, das einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum enthält. Die äußeren Zellen bezeichnet man als Trophoblast; sie bilden später ausschließlich das embryonale Hüll- und Nährgewebe (u. a. als Teil der Plazenta). Der Embryo selbst entwickelt sich aus einer kleinen Gruppe von inneren Zellen, dem Embryoblasten. Etwa vom sechsten Tag nach der Befruchtung bis zum 14. Tag nistet sich die Blastozyste im Uterus ein. Die erste Phase der Embryonalentwicklung, von der Befruchtung bis zur Blastozystenbildung, kann auch außerhalb des mütterlichen Organismus ablaufen und eröffnet dadurch Gelegenheiten für präimplantative Untersuchungen. Dafür ist eine extrakorporale Befruchtung erforderlich. Die Embryonen werden üblicherweise am zweiten oder 7 dritten Tag nach der Befruchtung in die Gebärmutter der Frau übertragen, wo sie sich nach erfolgreicher Implantation normal entwickeln können. Es ist jedoch auch möglich, Embryonen als Blastozysten erst am fünften oder sechsten Tag in den Körper der Frau zu übertragen, zum selben Zeitpunkt, zu dem auch nach natürlicher Zeugung die Nidation beginnt. Eine spätere Übertragung ist wegen der notwendigen hormonellen Synchronisierung zwischen Uterusschleimhaut und Embryonalentwicklung nicht möglich. Präimplantative Untersuchungen lassen sich morphologisch durch die Bewertung von Aussehen und Entwicklungspotenzial des Embryos und genetisch durch die Analyse der Polkörper oder einiger embryonaler Zellen durchführen. Bei der genetischen Untersuchung werden die entnommenen Zellen zerstört. In dieser Stellungnahme befasst sich der Deutsche Ethikrat ausschließlich mit genetischen Untersuchungen. Unabhängig von den Details der Untersuchungsmethoden ist es wichtig, zunächst zwischen den unterschiedlichen Anwendungskontexten und diagnostischen Ebenen der verschiedenen präimplantativen Untersuchungen zu unterscheiden. Von einer präimplantativen genetischen Diagnostik (PID) spricht man, wenn bei einem Embryo gezielt nach einem genetischen Merkmal oder Chromosomenbild gesucht wird, für das bei der betroffenen Familie ein erhöhtes Risiko vorliegt und das zu einer Fehlgeburt oder zu einer Krankheit oder Behinderung des Kindes führen würde. Von PID spricht man aber auch, wenn nach erwünschten Merkmalen gesucht wird, wie zum Beispiel nach einem bestimmten Geschlecht des Embryos oder nach Genen des Immunsystems, die Auskunft darüber geben können, ob der Embryo sich zu einem geeigneten Gewebespender für ein erkranktes Familienmitglied entwickeln könnte. Von einem präimplantativen genetischen Screening (PGS) spricht man, wenn nach chromosomalen Veränderungen beim Embryo gesucht wird, ohne dass ein spezifisches Risiko bekannt ist. Es kann im Rahmen von Unfruchtbarkeitsbehandlungen vorgenommen werden, um im Falle eines unspezifisch erhöhten Risikos von Chromosomenstörungen (z. B. aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Frau) oder nach wiederholten Fehlgeburten oder erfolglosen Versuchen künstlicher Befruchtung die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft zu erhöhen oder auch nicht erbliche chromosomale Schäden zu erkennen, die zu einer Krankheit oder Behinderung führen. 2.1 Möglichkeiten der Gewinnung von genetischem Material für eine PID Polkörperbiopsie Die Polkörper der Eizelle können vor Abschluss der Befruchtung gewonnen werden. Sie enthalten jeweils einen mütterlichen Chromosomensatz. Durch eine genetische Untersuchung der Polkörper kann man Rückschlüsse auf das in der Eizelle verbliebene genetische Material ziehen, also indirekt Informationen über eventuelle genetische oder chromosomale Schäden im von der Frau an den Embryo weitergegebenen Erbmaterial gewinnen, jedoch keine Information über das vom Mann vererbte Genom. Bei der Polkörperdiagnostik fehlt zudem die Möglichkeit, chromosomale Veränderungen zu diagnostizieren, die erst nach der Polkörperbildung auftreten. In Deutschland besteht zudem aufgrund § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG12 bei der Polkörperdiagnostik das Problem des kleinen Zeitfensters von ca. 18 Stunden zwischen der Gewinnung der Polkörper im sogenannten Vorkernstadium und der Entstehung des Embryos durch Auflösen der Kernmembranen. Blastomerenbiopsie Bei der Blastomerenbiopsie werden einem Embryo etwa am dritten Tag, ungefähr im Acht-Zell-Stadium, ein bis zwei Zellen entnommen. Weltweit ist die Blastomerenbiopsie bisher die in fast allen Fällen verwendete Methode. Diese Art von Untersuchung ist aufgrund der möglichen Totipotenz dieser Zellen in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz und auch nach der Entscheidung des BGH verboten. 8 Blastozystenbiopsie Bei einer Blastozystenbiopsie werden einem etwa fünf Tage alten Embryo, der bereits das Blastozystenstadium erreicht hat, mehrere Zellen aus der äußeren Zellschicht (Trophoblast) entnommen. Da diese Zellen nicht mehr totipotent sind, ist ihre Verwendung für eine Diagnostik nach der vorerwähnten Entscheidung des BGH nicht vom Embryonenschutzgesetz verboten. In den letzten Jahren haben sich unter anderem durch eine Verbesserung der Kulturmedien die Erfolgschancen der Entwicklung von Blastozysten deutlich verbessert. Dennoch liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Embryo in vitro das Blastozystenstadium erreicht, derzeit nur bei ca. 50 %. Da bei einer Blastozystenbiopsie mehrere Zellen entnommen werden können, steigt die Diagnosesicherheit bei einem Screening nach numerischen Chromosomenstörungen (vgl. 2.2, iii), sodass das Interesse an genetischer Diagnostik an Blastozysten auch international wächst (vgl. 2.4). Allerdings besteht auch bei der Blastozystenbiopsie ein kurzes Zeitfenster für die Diagnostik, da ein bis zwei Tage nach der Zellentnahme der Embryo in den Uterus transferiert oder ansonsten eingefroren werden muss. Zu berücksichtigen wäre bei einer vermehrten Anwendung des Blastozystentransfers außerdem, dass dieses Verfahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 1,64 % zu monozygoten Zwillingen führt im Vergleich zu 0,41 % beim Transfer von Embryonen im Furchungsstadium. [...] 2.3 Diagnostische Methoden Zur Ermittlung der genannten genetischen Auffälligkeiten stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Die molekulargenetische und zytogenetische (chromosomale) Diagnostik erfolgt bei vorliegender Indikation je nach Fragestellung auf der Basis verschiedener Varianten der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). PCR ist eine Methode, mit deren Hilfe einzelne Gene oder Genabschnitte vervielfältigt und so der Analyse zugänglich werden. Durch die FISH-Technik können bestimmte Gene eines Chromosoms mithilfe eines fluoreszierenden Farbstoffes markiert werden. Durch den Einsatz verschiedener Fluoreszenzfarbstoffe ist es möglich, gleichzeitig mehrere Chromosomen sichtbar zu machen. Die FISH-Technik wird für die Chromosomenanalyse im Rahmen der Abklärung geschlechtsgebundener Erkrankungen (x-chromosomale Erkrankungen), für chromosomale Strukturstörungen wie Translokationen und zur Diagnostik von Aneuploidien eingesetzt. Wird die FISH jedoch, wie bisher häufig üblich, zur Diagnostik an Blastomerenzellen eingesetzt, ist problematisch, dass verschiedene Zellen eines Embryos gerade in diesem Stadium unterschiedliche Chromosomenmuster aufweisen können (Mosaikbildung). Bei etwa 40 % der Embryonen liegt ein solches Mosaik vor. In solchen Fällen lässt die Diagnose einer einzelnen Zelle einen Schluss auf die Konstitution der übrigen Zellen nicht zu. Zu Verfahren, die sich derzeit noch in der klinischen Prüfung oder Entwicklung befinden, gehören die vergleichende Genomhybridisierung (comparative genome hybridization, CGH), der Einsatz von DNA-Chips sowie verfeinerte morphologische Analysemethoden. Die CGH ermöglicht einen Vergleich des Chromosomenmusters einer Zelle mit dem einer anderen Zelle, von der bekannt ist, dass sie einen normalen Chromosomensatz aufweist. Anders als bei der FISH können auf diese Weise Abweichungen in der Anzahl aller Chromosomen festgestellt werden. DNA-Chips enthalten viele Sequenzmuster, mit denen man ganz bestimmte Chromosomenabschnitte mit hoher Auflösung untersuchen und dabei Varianten identifizieren kann. Ist die Auflösung groß genug, wie beim Einsatz von Chips, die Veränderungen in Hunderttausenden einzelnen Nukleotiden aufzeigen (Einzelnukleotid-Polymorphismen 9 bzw. Single Nucleotide Polymorphism, SNP), kann man durch einen Vergleich der embryonalen DNA mit der DNA der Eltern und anderer Familienmitglieder sogar Defekte in einzelnen Genen diagnostizieren, ohne wie bei der PCR-Analyse erst die genaue Sequenz der Mutation finden und dafür einen spezifischen Test entwickeln zu müssen. DNA-Chips haben das Potenzial, ein gesamtes Genom auf Veränderungen zu untersuchen. Sie haben deshalb eine Anwendungsperspektive für das AneuploidieScreening. DNA-Chips lassen sich aber auch gezielt für den Nachweis einzelner genetischer Veränderungen designen. Gegenwärtig wird beispielsweise an der Entwicklung eines DNA-Chips gearbeitet, der die Gruppe unterschiedlicher Mutationen an einem Gen, die für die Entstehung von Zystischer Fibrose relevant sind, erfassen soll. 2.4 Künstliche Befruchtung und PID in der klinischen Praxis Die Bewertung der PID erfordert nicht nur eine Überprüfung und Reflexion ihrer grundlegenden Charakteristika und Potenziale, sondern auch der Voraussetzungen und möglichen Konsequenzen ihres Einsatzes. Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Rahmenbedingungen für die Durchführung einer PID sowie auf ihre Implikationen für die Gesundheit der betroffenen Frauen und die aus solchen Behandlungen entstandenen Kinder. IVF oder ICSI als Voraussetzung der PID Eine konstitutive Voraussetzung für die PID ist die In-vitro- Fertilisation; deshalb sollen zunächst deren Ergebnisse und Konsequenzen im Blick auf die PID diskutiert werden. Die Daten, auf die im Folgenden Bezug genommen wird, entstammen dem Deutschen IVF-Register (DIR), das seit ca. 1999 geführt wird und jährlich über die Behandlungsergebnisse in deutschen reproduktionsmedizinischen Zentren berichtet. Für die Gewinnung einer höheren Zahl von reifen Eizellen muss die Frau sich zunächst einer hormonellen Stimulationsbehandlung unterziehen. Anschließend werden die Eizellen zumeist unter Narkose aus den Follikeln (Eibläschen) des Eierstocks abgesaugt. Sowohl Hormonbehandlung als auch Eizellentnahme sind mit Risiken für die Frau verbunden. Zu den Komplikationen bei der Eizellentnahme gehören mögliche Verletzungen, Blutungen und Infektionen. Laut DIR kam es im Jahr 2009 in 285 Fällen (0,66 %) zu solchen Komplikationen. Eine mögliche Nebenwirkung der Hormonbehandlung ist das ovarielle Überstimulationssyndrom (OHS), das in drei Schweregrade eingeteilt wird. 2009 kam es in 115 Fällen (0,27 %) zu einem OHS der Stufe III, das lebensbedrohlich sein kann und einen mehrtägigen Klinikaufenthalt erforderlich macht. Im Jahr 2009 wurde in Deutschland eine Stimulation zur Eizellentnahme in 54.239 Fällen eingeleitet; in 50.993 Fällen wurden reife Follikel punktiert und Eizellen entnommen. Das heißt, in 3.246 Fällen war die Stimulation entweder erfolglos oder es kam zu Komplikationen während der hormonellen Behandlung, die einen Abbruch der Behandlung erforderlich machten. Eine Befruchtung mittels IVF oder ICSI wurde 49.604-mal durchgeführt. In 47.379 Fällen war die Befruchtung erfolgreich, das heißt, es entstanden Embryonen, deren Transfer in 45.671 Fällen erfolgte. Daraus entstanden 13.175 klinische Schwangerschaften (28,8 %). Die Geburtenrate pro Embryotransfer war geringer, sie lag bei ca. 19 %. Dies ist dadurch bedingt, dass es in einer Reihe von Fällen auch nach der Etablierung einer klinischen Schwangerschaft zu deren Verlust kommt. Über die methodenimmanenten Risiken der Behandlung hinaus existieren sowohl für Frauen als auch für die nach ART geborenen Kinder Risiken, die bei der Anwendung der PID ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Dabei handelt es sich in erster Linie um solche Risiken, die mit den nach künstlicher Befruchtung besonders häufig auftretenden Mehrlingsschwangerschaften verbunden sind. Laut DIR betrug die Mehrlingsrate im Jahr 2009 ca. 21 % für Zwillinge und ca. 0,9 % für Drillinge. Die 10 natürliche Mehrlingsrate beträgt insgesamt ungefähr 1,5 %. Bei den nach ART entstandenen Zwillingen handelt es sich zumeist um zweieiige Zwillinge. Allerdings ist auch die Rate der eineiigen Zwillinge erhöht, was ein zusätzliches Risiko für die Schwangerschaft darstellt. Die betreffenden Mehrlingsschwangerschaften entstanden nur teilweise durch künstliche Befruchtung, teilweise aufgrund hormoneller Stimulation ohne nachfolgende künstliche Befruchtung. Mehrlingsschwangerschaften sind immer Risikoschwangerschaften. Zu den Risiken einer Zwillingsschwangerschaft für Frauen gehören Bluthochdruck (ca. 2,5fache Erhöhung gegenüber einer Einlingsschwangerschaft), Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung, ca. 2,5-fach), postpartale Nachblutung (ca. 2-fach), Kaiserschnitt (ca. 3-fach), intensivmedizinische Betreuung (ca. 15-fach) und nachgeburtliche Depression (ca. 3-fach). Insbesondere bei höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften wird teilweise – auch aufgrund des erhöhten Risikos für die Schwangere – eine Mehrlingsreduktion durch Fetozid vorgenommen. In Deutschland sind dies schätzungsweise 150 Fälle pro Jahr. Das Risiko für Kinder aus Mehrlingsschwangerschaften bzw. -geburten ist gegenüber dem von Einlingen ebenfalls erhöht. Zu den Risiken gehören Frühgeburtlichkeit (vor Vollendung der 37. Woche, ca. 10-fach), niedriges Geburtsgewicht (unter 2.500 g, ca. 7- bis 10-fach), Zerebralparese (3- bis 10-fach), Atemnotsyndrom des Neugeborenen (5- bis 7-fach), Sepsis (3-fach) sowie eine bleibende, schwere Behinderung (1,5- bis 2-fach). Die Risikosteigerung betrifft jedoch nicht nur Zwillinge oder höhergradige Mehrlinge. Durch ART gezeugte Einlinge haben – verglichen mit natürlich gezeugten Einlingen – je nach Untersuchung ebenfalls ein 1,3- bis 4,3-faches Risiko, zu früh geboren zu werden und die mit einem zu geringen Geburtsgewicht assoziierten neurologischen und körperlichen Beeinträchtigungen zu erleiden. Bisher ist allerdings nicht geklärt, worauf die beschriebene Risikoerhöhung für die Kinder zurückzuführen ist, ob sie also durch die ART verursacht werden oder durch physiologische oder andere Faktoren der Frau oder des Mannes, die der Unfruchtbarkeit des Paares zugrunde liegen. Allerdings ist die insgesamt zwar geringe, aber im Vergleich mit natürlichen Zeugungen erhöhte Zahl von Krankheiten, die auf Imprintingfehler zurückgeführt werden, möglicherweise eine Konsequenz der ART. Wichtig für die Bewertung der PID sind vor allem auch die Erfahrungen, die im Ausland bisher damit gemacht wurden. Die European Society for Human Reproduction and Embryology (ESHRE) veröffentlicht seit 1999 Berichte zur PID. Sie beruhen auf der Meldung der Behandlungsergebnisse von derzeit 57 Zentren, die überwiegend, aber nicht ausschließlich in Europa lokalisiert sind. Insgesamt liegen durch die derzeit vorhandenen zehn Erhebungen der ESHRE Daten zu 27.630 Behandlungszyklen und 4.047 Kindern vor, die in diesen Zentren nach PID geboren wurden. Der derzeit aktuellste Bericht Nr. X umfasst das Behandlungsjahr 2007 und alle bis Oktober 2008 aus diesen Behandlungen entstandenen Kinder. Im Jahr 2007 wurden nach einer PID 1.516 Schwangerschaften eingeleitet, die zu 995 Geburten und – da eine Reihe von Mehrlingsgeburten darunter waren – insgesamt zu 1.206 Kindern führten. Von den im Jahr 2007 bis zur Eizellentnahme durchgeführten 5.887 Behandlungszyklen mit PID erfolgten 729 zur Ermittlung chromosomaler Anomalien; 110 zur Geschlechtsbestimmung für x-chromosomal vererbte Erkrankungen, 1.203 für monogen bedingte Erkrankungen, 3.753 zum Zweck des genetischen Präimplantationsscreenings und 92 für die Geschlechtsbestimmung aus sozialen Gründen. Ein Aspekt der PID, den es insbesondere im Blick auf das deutsche Embryonenschutzgesetz zu reflektieren gilt, ist ihr relativ hoher Bedarf an Embryonen. In den 5.887 im letzten ESHRE-Bericht dokumentierten Behandlungszyklen wurden insgesamt 56.325 Eizellen inseminiert, aus denen sich 40.713 Embryonen entwickelten. 31.867 Embryonen wurden Zellen für die genetische Untersuchung entnommen. In 28.998 Fällen kam es zu einer verwertbaren Diagnose. Von den erfolgreich diagnostizierten Embryonen waren 10.084 transferierbar, das heißt, die getesteten genetischen oder chro11 mosomalen Veränderungen waren nicht vorhanden oder die Embryonen wiesen – wie im Fall der Feststellung des Geschlechts – die erwünschte Eigenschaft auf. Aus den von der ESHRE dokumentierten Befunden geht demzufolge hervor, dass in der internationalen Behandlungspraxis in einem Behandlungszyklus im Mittel 9,6 Eizellen befruchtet wurden, aus denen 6,9 als entwicklungsfähig klassifizierte Embryonen entstanden. Im Mittel wurden bei 6,6 Embryonen Zellen für eine PID entnommen; zu einer verwertbaren Diagnose kam es bei durchschnittlich 4,9 Embryonen, von denen 1,7 als übertragbar eingestuft wurden. Laut ESHRE-Bericht beträgt die klinische Schwangerschaftsrate 32 % pro Embryotransfer (23 % pro Eizellentnahme) und die Geburtenrate 26 % pro Embryotransfer (19 % pro Eizellentnahme). Damit es zu einer Geburt kommt, muss sich also eine Frau bis zu fünf Mal einer Behandlung unterziehen (Hormonbehandlung bis zur Eizellentnahme). Dennoch bekommen auch nach wiederholter Behandlung nicht alle Frauen Kinder; die Gründe dafür liegen teilweise in den physiologischen Bedingungen der Frau, teilweise sind sie unbekannt. Insofern bewegen sich die Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer nach PID in der gleichen Größenordnung wie nach IVF ohne PID. International wird daran gearbeitet, die Zahl der Mehrlingsgeburten zu verringern und die Geburtenrate zu erhöhen. Der derzeit im Rahmen der ART am intensivsten verfolgte Weg besteht darin, die Embryonen bis zum Blastozystenstadium zu kultivieren und dann nur einen oder zwei Embryonen zu übertragen. Im Rahmen der ART lassen sich damit höhere Schwangerschaftsraten erzielen als nach dem Transfer von Embryonen im Furchungsstadium. Auch im Zusammenhang mit der PID wird diskutiert, die genetisch zu untersuchenden Zellen aus der Blastozyste anstatt aus dem sechs bis acht Blastomeren umfassenden Embryo im Furchungsstadium zu entnehmen. Zwar wurde die Blastozystenbiopsie 2007 nur in 20 von den 5.814 im ESHRE-Bericht verzeichneten Fällen durchgeführt und die Blastomerenbiopsie in 4.535 Fällen; verschiedene Experten gehen jedoch davon aus, dass die Zahl der Untersuchungen im Blastozystenstadium in Zukunft steigen wird. Zum einen gibt es Hinweise darauf, dass die Embryonen im Furchungsstadium durch die Entnahme von ein oder zwei Zellen geschädigt bzw. in ihrer Entwicklungsfähigkeit eingeschränkt werden. Zum anderen scheint die Analyse von Trophoblastenzellen besonders bei einer Untersuchung auf numerische Chromosomenanomalien eine bessere Prognose der Entwicklungsfähigkeit von Embryonen zu erlauben als die Untersuchung im Furchungsstadium, da die Blastomeren eines Embryos teilweise unterschiedliche Karyotypen (Chromosomenbilder) tragen. Solche „Mosaik―Embryonen sterben bei der Entwicklung zum Blastozystenstadium teilweise ab, sodass bei Blastozysten weniger Aneuploidien und weniger Mosaike zu finden sind. Die Untersuchung im Blastozystenstadium hat jedoch auch Nachteile. Zum einen entwickeln sich nur ca. 50 % der Embryonen in vitro aus dem Furchungsstadium bis zum Blastozystenstadium. Das heißt, die Zahl der Embryonen, die für eine eventuelle PID zur Verfügung stehen, verringert sich dabei um die Hälfte. Dies liegt nach aktueller Einschätzung teilweise daran, dass grundsätzlich nicht entwicklungsfähige Embryonen bis zum fünften Tag bereits abgestorben sind, teilweise jedoch auch an der längeren Verweildauer im Kulturmedium, insbesondere wenn die Bedingungen des Kulturmediums nicht bereits für die Blastozystenentwicklung optimiert sind. Darüber hinaus ist auch das Zeitfenster, das für die genetische Analyse im Blastozystenstadium zur Verfügung steht, bevor die Embryonen in den weiblichen Körper transferiert werden müssen, knapp bemessen. Bei schwierigen Diagnosen oder logistischen Problemen müssten die Embryonen demzufolge eingefroren und im nächsten Zyklus der Frau übertragen werden. Dies hätte – neben der psychischen Belastung der Frau – den Nachteil, dass gegenwärtig ca. 20 % der Blastozysten die Prozedur des Einfrierens und Auftauens nicht lebend überstehen würden. Es gibt jedoch auch beim Einfrieren von Blastozysten aktuelle Fortschritte aufgrund neuer, schonenderer Schnellgefriermethoden (Vitrifikation). Hinsichtlich der Risiken für die nach PID geborenen Kinder gibt es bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren selbst, also die Entnahme von Zellen im frühen Embryonalstadium, beim späteren Kind Spuren hinterlässt und zu PID-spezifischen 12 Schädigungen oder Beeinträchtigungen führt. Bei nach PID geborenen Kindern treten offensichtlich im gleichen Maße Fehlbildungen auf wie bei Kindern, die nach Anwendung von ART, speziell ICSI, ohne PID geboren werden. Deshalb müssen sich auch fruchtbare Paare, die eine PID in Anspruch nehmen wollen, mit dem ART-spezifischen Risiko einer Fehlbildung oder Entwicklungsstörung bei ihrem Kind auseinandersetzen. Die überwiegende Zahl der präimplantativen genetischen Untersuchungen wird derzeit als Aneuploidie-Screening (PGS) durchgeführt, um den Erfolg von IVF- Behandlungen zu erhöhen – knapp zwei Drittel laut ESHRE-Bericht. Es hat sich allerdings inzwischen in mehreren großen Studien gezeigt, dass PGS entgegen früheren Erwartungen zumindest unter Verwendung von Blastomerbiopsien und FISH-Analyse nicht zu einer Verbesserung der Geburtenrate führt. Nach aktueller Einschätzung der ESHRE liegt dies an der begrenzten Aussagekraft und Genauigkeit der FISH-Technik und den hohen chromosomalen Mosaikbildungsraten von Embryonen im Furchungsstadium. Eine PGS-Untersuchung mittels FISH an Blastomeren kann demnach nur einen Teil der möglichen Aneuploidien nachweisen und ist zudem mit der Unsicherheit verbunden, dass die untersuchte Zelle aufgrund der Mosaikbildung nicht repräsentativ für den gesamten Embryo ist. Es gibt erste Hinweise darauf, dass PGSUntersuchungen, die mithilfe von Chiptechnologien alle Chromosomen untersuchen und an Polkörpern oder Blastozystenzellen durchgeführt werden, die weniger von der Mosaikbildung betroffen sind, künftig bessere PGS-Ergebnisse bringen. [...] (Unterstreichungen zur besseren Lesbarkeit finden sich nicht im Originaltext) Die gesamte Stellungnahme steht unter http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/ stellungnahme-praeimplantationsdiagnostik.pdf zur Verfügung. Wir danken dem Deutschen Ethikrat für die Genehmigung der auszugsweisen Wiedergabe. 13 Verantworteter Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik Thesen eines katholischen Theologen (Prof. Dr. Hanspeter Heinz) Die Thesen sollen ein Beitrag zur kontroversen ethischen Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID) sein. Thesen sind nicht Behauptungen, sondern Diskussionsbeiträge. Mit Hilfe von Argumenten formulieren sie Anfragen, u.a. an die lehramtliche Position der katholischen Kirche, die als bekannt vorausgesetzt wird. 1. Freiheit ist unausrottbar Papst Pius XII. hat einmal festgestellt, es sei unmöglich, die Freiheit wieder aus einem Bereich zu verdrängen, in dem sie einmal Platz gegriffen, in dem sie sich konstituiert hat. Seit Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, ist ihnen das Tor zum Paradies versperrt, sie haben für immer die Unschuld der kindlichen Naivität verloren. Ähnlich verhält es sich mit der PID. Diese Entdeckung lässt sich nie mehr ungeschehen machen. Mit ihr ist Paaren, Ärzten und Politikern die Freiheit eröffnet, in bisher aussichtslosen Situationen die Hoffnung auf ein gesundes Kind zu ermöglichen. Die stufenweise Entdeckung der Freiheit im Verlauf der letzten vier Jahrhunderte ist das entscheidende Charakteristikum einer neuen Epoche der Menschheit, die wir die Neuzeit oder die Moderne nennen. Der Mensch versteht sich nicht länger der vorgegebenen Ordnung der Natur und der Gesellschaft verpflichtet, die er auszuführen hat, will er sich ethisch verhalten. Er sieht seine Aufgabe vielmehr darin, alle vorgegebenen Ordnungen schöpferisch zu gestalten. Diese Ethik der Freiheit weiß sich dem Maßstab der Vernunft verpflichtet. Nicht Willkür, sondern Verantwortung lautet ihre Maxime. Deshalb ist das naturrechtliche Konzept des römisch-katholischen Lehramtes fragwürdig geworden: Ist es nicht ein Fehlschluss, die Ordnung der Biologie bzw. der Natur als Schöpfungsordnung und Ausdruck des Willens Gottes auszugeben? Warum also nicht als Politiker die PID zulassen oder als Paare und Ärzte von ihr Gebrauch machen? Ethik der Freiheit 2. Die unterschiedlichen Rollen von Politik, Wissenschaft und Seelsorge ernstnehmen In einem genialen Beitrag aus dem Jahr 1972 „Unterscheidung des Politischen― weist Klaus Hemmerle auf, dass Politiker ihre ureigene Verantwortung nicht abtreten dürfen an die Experten oder, genauso schlimm, an die Therapeuten, Seelsorger und anderen Begleiter von Menschen in ihrer individuellen Lebenssituation. Salopp gesprochen, Politik ist ein viel zu anspruchsvolles Geschäft, als dass man es Bischöfen oder Professoren überlassen dürfte. Politik hat die schöpferische Aufgabe, die hohe Kunst erfordert, eine gesellschaftliche Ordnung zu gestalten, die den Rechtsfrieden ermöglicht. Rechtsfrieden ist etwas anderes als Friedfertigkeit, die durch Erziehung und Selbsterziehung gefördert wird. Politik sorgt sich vielmehr um eine Rechtsordnung, die für ein gedeihliches Miteinander und für die Lösung von Konflikten entsprechende Normen, Sanktionen und Institutionen schafft. Hierzu die freie Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen, erfordert Mut und Überzeugungskraft, eine Absage an populistische Parolen. Ein Beispiel für die Störung des Rechtsfriedens ist das aktuelle Ärztehaftungsgesetz im Kontext der PND, das kaum durch eine Versicherung abzudecken ist. Politik: Rechtsfrieden schaffen 14 Expertenwissen Ernstnehmen konkreter Situationen Die Wissenschaft – in unserem Fall vor allem Medizin, Rechtswissenschaft und Ethik – müssen von der Politik zu Rate gezogen werden, um Gewissheit über Sachgesetzmäßigkeiten und Sicherung von Verfahren zu eruieren. Doch Expertenwissen, selbst wenn sich Experten eines Fachgebiets einmal einig wären, nimmt der Politik nicht ihre ureigene Aufgabe ab, die gesellschaftliche Ordnung zu gestalten. Eine andere Versuchung der Politik ist das Abtreten ihrer Zuständigkeit an Therapeuten, Seelsorger, Sozialarbeiter, die Rat und Hilfe bieten, wo Einzelne und Gruppen sich überfordert oder vernachlässigt fühlen. Das Ernstnehmen der konkreten Situationen und Personen ist nicht als Verwässerung des Rechts zu diffamieren. Es muss vielmehr der Verbesserung des Rechts im Namen der Gerechtigkeit dienen, weil Gesetze wegen ihrer Allgemeingültigkeit dem Einzelnen nie völlig gerecht werden können. Ich denke etwa an das „Fringsen―, das laut Kardinal Frings nicht Diebstahl, sondern Mundraub gestattet. Ich selbst sehe mich in dieser dritten Rolle als Vertreter von donum vitae mit dem Auftrag, Paaren in einer tragischen Situation zielorientiert und ergebnisoffen zur Seite zu stehen. Ich verstehe mich aber auch in der Rolle eines Experten für Ethik. Das Hauptunterscheidungsmerkmal christlicher bzw. biblischer Ethik von anderen Konzeptionen ist das Menschenbild. Während die großen Kunstwerke der Antike den starken, gesunden, intelligenten Menschen ins Bild setzen, ist es in den Schriften des Alten und Neuen Testaments vor allem der sterbliche, kranke, sündige Mensch, sind es die Hilfs- und Schutzbedürftigen, für die biblisch die Armen, Waisen, Witwen und Fremden stehen. Sie sind nicht Randfiguren, sondern ihnen gebührt die bevorzugte Liebe Gottes und darum auch im Volk Gottes. Und was ist schutzloser als menschliches Leben in der Petrischale und vor der Geburt? 3. Der einzig vertretbare Kinderwusch ist ein gesundes Kind. Verantwortete Elternschaft ein gesundes Kind — um welchen Preis? 15 Verantwortete Elternschaft ist ein ethisches Gebot. Diese Freiheit ist zugleich die Pflicht zu wählen. Dieses Selbstbestimmungsrecht bezieht sich auf die zeitliche Abfolge und Zahl der Kinder ebenso wie auf die Sorge für das Kindeswohl, etwa für Gesundheit und Erziehung. Es wäre pervers, sich ein krankes oder behindertes Kind zu wünschen. Es wäre ebenso pervers, einen Lebenspartner bzw. eine Partnerin zu wählen und gemeinsam Kinder zeugen zu wollen, wenn der oder die andere etwa HIV-infiziert oder durch Inzucht geschädigt ist. In der Partnerwahl muss man wählerisch sein, an sich und an einander Ansprüche stellen. Das ist zugleich die beste Voraussetzung, sich großzügig für Hilfsbedürftige und Unterprivilegierte zu öffnen. Wenn Eltern bislang nach schlimmen Erfahrungen von Fehl- und Totgeburten dazu „verurteilt“ waren, kinderlos zu bleiben, bietet ihnen PID nunmehr die Chance, auf ein gesundes Kind hoffen zu dürfen. Dieser Kinderwunsch ist zweifellos berechtigt. Doch – das ist die ethische Frage – um welchen Preis dieses Ziel verfolgen? Ist der Weg, sind die Mittel ethisch verantwortbar, kann das Paar mit diesen „Kosten― leben, wenn es weiß, was es tut? 4. Ethisch umstritten ist der Umgang mit überzähligen Embryonen Die in Deutschland ernsthaft und engagiert geführte Debatte um die Zulassung der PID zeugt von einer hohen politischen Kultur. Sie wird jedoch durch einige Entgleisungen gestört und emotional aufgeladen. Zum einen ist es die Unterstellung, die Befürworter plädierten für die Auswahl von Designerkindern, z.B. blauäugiges blondes Mädchen. Zum anderen irritieren verletzende Vergleiche. Das Sterbenlassen überzähliger Embryonen ist nicht „Selektion― nach der Art des Auschwitzarztes Dr. Mengele, auch nicht Vernichtung „lebensunwerten Lebens― wie der Nazimord an Behinderten. Noch dümmlicher ist der Vergleich mit dem Kindermord des Königs Herodes zu Bethlehem. Derartige Vergleiche sind böswillige, zumindest gedankenlose Diffamierung von Paaren, Ärzten und Politikern, die sich auf die PID einlassen wollen. Hier tut sachliche Unterscheidung not! Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) geht es (zunächst) um eine Überbrückung bei Unfruchtbarkeit. Bei der Pränataldiagnostik (PND) ging es dem Gesetzgeber – die Praxis weicht davon leider ab und muss gesetzlich korrigiert werden – ebenfalls um ein therapeutisches Ziel: die Wahrung der physischen und psychischen Gesundheit der Mutter, die mit der Fortsetzung der Schwangerschaft kollidiert. Bei der PID – mit Hilfe der IVF – ist hingegen keinerlei therapeutische Absicht im Spiel. Das macht einen wesentlichen Unterschied aus. Vielmehr zielt diese Methode darauf, nur lebensfähige und nicht erblich schwer geschädigte Embryonen in den Uterus zu implantieren und die anderen Embryonen sterben zu lassen. Ich würde hier nicht Worte wie töten oder vernichten gebrauchen, weil sie zur sachlichen Beschreibung fragwürdige Motive hinzufügen. Auch ist es nicht zutreffend zu sagen, dass etliche Embryonen mit der Absicht erzeugt werden, sie sterben zu lassen. Dies wird in Kauf genommen, ist aber nicht Mittel zur Erreichung des Zieles der erstrebten Schwangerschaft. Jetzt endlich stoßen wir auf das umstrittenste medizinische und ethische Problem: Was ist der Achtzeller in der Petrischale? Unstrittig steht fest, es ist ein neues menschliches Leben. Verfolgt man nämlich die eigene Entstehungsgeschichte kontinuierlich zurück, dann beginnt sie exakt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, die das vollständige Genom eines neuen Menschen enthält. hohe politische Kultur in aktueller Debatte Unterscheidung IVF - PND das umstrittenste Problem Doch in umgekehrter Richtung, nämlich von der Zeugung bis zur Geburt vorwärts gelesen, ist der Prozess keineswegs eine selbstverständliche, kontinuierliche Entwicklung ohne Überraschungen. Die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ist nur eine notwendige, aber keineswegs eine hinreichende Bedingung zur Entstehung eines neuen Menschen. Dazukommen muss die Empfängnis, das Einnisten im Mutterschoß und auch die soziale Seite der Empfängnis, das Ja der Mutter, die ihre Schwangerschaft wahrnimmt und annimmt, jetzt erst das Kind „empfängt―. In den ersten zwei Wochen der Schwangerschaft ist zudem offen, ob es sich um einen oder zwei Menschen handelt, weil sich eineiige Zwillinge bilden können. Die Nichteinnistung vieler Embryonen und die natürliche Abstoßung vieler eingenisteter Embryonen im frühen Stadium der Schwangerschaft ist ein weiterer Beleg, dass eine befruchtete Eizelle keineswegs die hinreichende Voraussetzung zur Entstehung eines Kindes ist. Dass eine Frau, wenn sie ihre Schwangerschaft wahrnimmt, sagt: „Ich erwarte ein Kind―, dasselbe aber nicht zu sagen pflegt zum Embryo in der Petrischale, obwohl sie auch dazu schon eine emotionale Beziehung haben kann, ist ein weiteres Indiz für die angesprochene Problematik. 16 ab wann Rechtsschutz? Diese naturwissenschaftlichen Erkenntnisse beeinflussen auch die theologische Frage in den drei monotheistischen Religionen, ab wann und in welchem Maß die Menschenwürde eines Embryos Rechtsschutz verdienen soll. Darauf geben sie keine einhellige Antwort. Die katholische Lehrmeinung, dass die befruchtete Eizelle denselben unbedingten Rechtsschutz wie eine geborene Person verdient, wird von anderen Glaubensgemeinschaften nicht geteilt. Aber wo sonst die Grenze ziehen? Mehr als über das Ende des Lebens, worüber sich ein weitgehender Konsens abzeichnet, muss über den Anfang des Lebens das interreligiöse und interdisziplinäre Gespräch mit Naturwissenschaftlern und Juristen unbedingt weiter geführt werden. 5. Mangelnde Wertschätzung von Kranken und Behinderten ist keine notwendige Konsequenz Zu Recht besteht der Verdacht, dass in der Gesellschaft etwas, das nicht unter Strafe steht, oft schon bald als erlaubt und ethisch unbedenklich gilt. Rechtsetzung beeinflusst nachweislich das Rechtsempfinden. Deshalb besteht durchaus die Gefahr, dass selbst bei einer eng begrenzten Zulassung der PID Behinderte und von einer schlimmen Erbkrankheit Gezeichnete als „überflüssig― und störend angesehen werden. So etwas hätte man doch vermeiden können! Wertschätzung von Menschen mit Behinderung / Krankheit Aber das ist nicht eine notwendige Folgerung, der Politik und Gesellschaft wehrlos gegenüberstünden. Solch menschenverachtenden Tendenzen kann man gegensteuern. Zum einen müssen die Stimmen von Kranken und Behinderten, die ihr Leben durchaus als sinnvoll und keineswegs als unerträglich empfinden, verstärkt in der Öffentlichkeit hörbar gemacht werden. Ihre Selbstwahrnehmung widerspricht oft der Fremdwahrnehmung, weil Außenstehenden das Schicksal der anderen unerträglich scheint. Nicht die Kranken, sondern die Gesellschaft ist krank! Zum anderen muss sich die Wertschätzung von Kranken und Behinderten daran zeigen, dass genügend Finanzmittel, Gesundheitsdienste und soziale Berufe zur Verfügung gestellt werden. Denn was nicht Geld, Nerven und Zeit kostet, ist uns nichts wert. 6. Normen festlegen und den Umgang mit Normen lernen Für gesellschaftlich wichtige Lebensbereiche muss Politik verbindliche Normen festlegen. Im Grundsätzlichen erfolgt das durch die Verfassung, im Konkreten durch Gesetze, besonders durch das ständig fortzuschreibende Strafgesetzbuch. Gesetze müssen klar und durchsetzbar sein wie etwa die Straßenverkehrsordnung. Ein eminent wichtiger Lebensbereich ist die Sexualität, die in allen Kulturen durch ethische und gesetzliche Normen geordnet wird. Gesetzlicher Handlungsbedarf besteht laut dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der PID, damit der Rechtsfrieden erhalten bleibt. Paare und Ärzte müssen wissen, wann sie sich strafbar machen. Im Unterschied zu den offiziellen Stellungnahmen der katholischen und evangelischen Kirche sehe ich selbst mich zurzeit nicht in der Lage, aus ethischer Sicht ein eindeutiges Votum für einen der ins Parlament eingebrachten Gesetzesentwürfe abzugeben. Doch muss zumindest besser als bei der PND geregelt werden, dass die gesetzliche Norm nicht straffrei ausgehöhlt wird. Doch wo auch immer die gesetzliche Grenze gezogen wird, es wird Grenzfälle geben, in denen die Härte des Gesetzes an ihre Grenze kommt, weil die rigorose Durchsetzung 17 der gesetzlich geforderten Gerechtigkeit gegen die Tugend der Gerechtigkeit verstieße. Auf Latein heißt dieser Grundsatz prägnant: „Summum ius summa iniuria.― Auf Deutsch könnte man sagen: Strengstes Recht ist schlimmstes Unrecht. In der Dauerdiskussion über den § 218 StGB ging es vor Jahrzehnten um folgenden Grenzfall: Nur bei einer medizinischen Indikation ist Abtreibung straffrei. Aber kann man einer Frau unter Strafe zumuten, nach einer Vergewaltigung das Kind auszutragen? Entweder konnte man darauf verzichten, die Härte des Gesetzes in diesem Extremfall anzuwenden oder das Gesetz erweitern durch die neue „Notlagenindikation―. Doch jede neue Grenzziehung wird wieder an das Problem von Grenzfällen stoßen. Rein rechtlich ist dieses Dilemma nicht lösbar. Deshalb braucht es in der Gesellschaft nicht nur den Erlass rechtlicher Normen, sondern darüber hinaus auch einen verantworteten Umgang mit den geltenden Normen. Man könnte auch sagen, wir brauchen Normen für den Umgang mit Normen. Ein simples Beispiel: Ein Autofahrer muss den weißen Strich auf der Straße überfahren, wenn unversehens eine alte Frau die Fahrbahn überquert. Weit schwieriger ist ein verantwortetes Verhalten in einer so komplexen und tragischen Lebenssituation wie einem nur mit Hilfe der PID erfüllbaren starken Kinderwunsch. Deshalb ist über die ärztliche Beratung hinaus unbedingt eine qualifizierte sozialpädagogische Beratung notwendig und vom Gesetzgeber verpflichtend vorzuschreiben. Die Beraterinnen und Berater von donum vitae sind auf diese Aufgabe bestens vorbereitet, brauchen dafür aber ein zusätzlich zu finanzierendes Zeitbudget. Ärzte und Paare sollten für ihre verantwortete Entscheidung zudem unterstützt werden durch einen Expertenausschuss, der ebenfalls gesetzlich vorzuschreiben ist. Beratung muss immer zielgerichtet und ergebnisoffen sein. Für diesen Balanceakt gilt in der ethischen Tradition der Kirchen von alters her der Grundsatz: „Ultra posse nemo tenetur―; frei übersetzt: Was ich beim besten Willen nicht verstehen und unmöglich leben kann, dazu bin ich im Gewissen nicht verpflichtet. Als verantwortet ist eine Entscheidung noch nicht zu bezeichnen, wenn man das Bauchgefühl hat: Das verstehe ich nicht und kann ich nicht! Unterstützend zur eigenen Reflexion kann fachkundige Beratung helfen, Sachgründe, plausible Argumente herauszuarbeiten, warum in einer individuellen Situation diese Grenze erreicht ist und wann das Drängen auf weitere Klärung eine unzumutbare Forderung bedeutet. Doch bis an diese Grenze muss Beratung führen, weil die Betroffenen auf Dauer nur mit einer verantworteten Entscheidung leben können, wissend, dass sie alles überlegt und getan haben, was ihnen in ihrer Situation möglich war. Normen erlassen mit Normen verantwortlich umgehen Beratung zielgerichtet und ergebnisoffen Ich habe übrigens den Eindruck, in Deutschland fordern wir einseitig die immer weitere Perfektion der Gesetzgebung, vernachlässigen aber die personale Ertüchtigung zu einem geregelten Umgang mit Regeln. 7. Keine Pfirsiche im Angebot, nur noch Zwiebeln Zum Schluss sei nochmals der Bogen zum Anfang geschlagen, zur Neuheit unserer modernen Epoche gegenüber Antike und Mittelalter. 1964 stellte der Konzilspapst Paul VI. in seiner Antrittsenzyklika „Ecclesiam suam― fest, die Grenzlinien zwischen Licht und Finsternis, zwischen Kirche und Welt, zwischen dem Heiligen und dem Profanen seien in unserer Epoche fließend geworden, so dass eine krasse Entgegensetzung überholt sei. Gesellschaft und Natur seien von einer so vehementen Dynamik erfasst worden, 18 dass statische Formen der sich schnell ändernden Wirklichkeit nicht mehr gerecht würden. Deshalb, so folgert der Papst, nimmt die Kirche mehr und mehr davon Abstand, ein fertiges Lehrgebäude errichten zu wollen, um nicht durch die bloße Wiederholung „ewiger Wahrheiten― an der sich wandelnden Zeit vorbeizureden. Stattdessen strenge sie sich an, die Grundlinien der dynamischen Entwicklung unseres Zeitalters und jedes Menschen geduldig und behutsam aufzudecken, sie im Lichte der biblischen und kirchlichen Glaubenserfahrung zu deuten und Handlungsanweisungen zu geben. fließende Übergänge am Anfang und Ende des Lebens Für unsere Thematik bedeutet dies: Die Übergänge am Anfang und Ende des menschlichen Lebens sind fließend geworden. Deshalb sind eindeutige und indiskutable Grenzsetzungen nicht möglich. Bildlich gesprochen, haben wir es nicht länger mit Pfirsichen zu tun, bei denen Kern, Fleisch und Haut eindeutig und klar unterscheidbar sind. Vielmehr ähnelt die Wirklichkeit einer Zwiebel, bei der wir Haut um Haut abschälen können, ohne in der Mitte auf einen Kern zu stoßen. Die Notwendigkeit, sinnvolle Grenzen zu ziehen, macht die Aufgabe von Politikern und anderen Entscheidungsträgern anspruchsvoller, aber nicht weniger notwendig als in früheren Zeiten. Verwendete Literatur 19 ■ Klaus Hemmerle, Unterscheidung des Politischen, in: Ders., Unterscheidungen. Gedanken und Entwürfe zur Sache des Christentums heute, Freiburg i. Br. 1972, 112-127 ■ Dirk Lanzerath, Präimplantationsdiagnostik – Zentrale Fakten und Argumente, in: Analysen & Argumente, Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.), Ausgabe 85, November 2010 ■ Michael Schrom, Wann ist der Mensch Person?, in: Christ in der Gegenwart 63 (2011), Heft 3 Präimplantationsdiagnostik aus Sicht eines Menschen mit Behinderung Gedanken, Anregungen, Eindrücke (Dipl. Psychologin Claudia Schmidt-Herterich) 20 21 22 Podiumsdiskussion Moderiert von Dr. Ulrich Harbecke, diskutierten drei Bundestagsabgeordnete, die jeweils einen der drei Gesetzentwürfe vertraten, miteinander und mit einem Mediziner über die angestrebte zukünftige Regelung der Präimplantationsdiagnostik. Die Teilnehmenden waren ■ Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser, Köln, CDU-Bundestagsabgeordnete ■ René Röspel, Hagen, SPD-Bundestagsabgeordneter ■ Prof. Dr. Patrick Sensburg, Meschede, CDU-Bundestagsabgeordneter ■ Dr. med. Johannes Luckhaus, Remscheid, Gynäkologe, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Remscheid Zusammenfassend wurden folgende Positionen vertreten: Prof. Dr. Sensburg: Verbot der PID Der BGH hat allgemein die PID nur bei schwerwiegenden genetischen Schäden für zulässig erklärt. Die konkrete Bestimmung dieses Begriffs hat er aber nicht vorgenommen. Diese unklare Umgrenzung hat zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt, so dass in jedem Fall auch insoweit eine gesetzliche Neuregelung erforderlich ist. gleiche Würde allen menschlichen Lebens gefährdet Die Anwendung der PID gefährdet die Akzeptanz gesellschaftlicher Vielfalt und erhöht den sozialen Druck auf Eltern, ein gesundes Kind haben zu müssen. Dem liegt der Anspruch zugrunde, zwischen lebenswertem und -unwertem Leben unterscheiden zu können. Die Werteordnung des Grundgesetzes bestimmt ausdrücklich, dass jeder Mensch den gleichen Anspruch auf Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte auf Teilhabe besitzt. Dieses Wertegefüge würde durch die Zulassung der PID nachhaltig beschädigt werden. Aus ethischen und gesellschaftspolitischen Gründen ist die PID daher abzulehnen. Alle Regelungen mit dem Ziel einer beschränkten Zulassung der PID entgehen nicht dem Grundproblem der Entscheidung, welches Leben gelebt werden darf und welches nicht. Darüber hinaus ist eine Beschränkung auf einzelne Fälle faktisch unmöglich: Zum einen zeigen internationale Erfahrungen die ständige Ausweitung der Indikationen. Zum anderen ist der Umgang mit den bei der Untersuchung von Chromosomenanomalien zu erwartenden Nebenbefunden ungeregelt. Bereits wegen etwaiger Haftungsrisiken des Arztes wird es die Tendenz geben, alle vorhandenen Informationen zu nutzen. Auch der Versuch, die Anwendung der PID auf Fälle erwarteter Totgeburten oder früher Kindersterblichkeit zu begrenzen, wird aus diesem Grund kaum gelingen. Jede Abgrenzung des „Lebenswertes― aufgrund einer prognostizierten Lebenserwartung wäre willkürlich und daher ethisch nicht tragbar. Ein Verzicht auf eine gesetzliche Regelung der PID ist ebenfalls keine Alternative. Roespel: Verbot der PID; erlaubt nur in Ausnahmefällen Die PID zur Selektion von Embryonen nach einem bestimmten Krankheitsbild wird abgelehnt. Dementsprechend sieht der Gesetzentwurf auch keinen „Krankheitskatalog― vor. Erfahrungen bei der Anwendung der PID im Ausland haben gezeigt, dass einschränkende rechtliche Zulassungskriterien zur Einstufung von Krankheitsmerkmalen 23 wie „heilbar―, „therapierbar― oder „schwerwiegend― eine Ausweitung der Indikation auf immer mehr Krankheiten wie zum Beispiel Chorea Huntington, Mukoviszidose oder einer Brustkrebs-Disposition oder gar Behinderungen wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) nicht verhindern können. Die PID wird ausnahmsweise zugelassen für Paare, die eine genetische Vorbelastung dafür haben, dass Schwangerschaften in der Regel mit einer Fehl- oder Totgeburt oder dem sehr frühem Tod des Kindes innerhalb des ersten Lebensjahres enden. Folgende Kriterien müssen dafür erfüllt sein: Bei den Eltern oder einem Elternteil liegt eine humangenetisch diagnostizierte Disposition vor; diese Disposition muss mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung des EmbKriterien für ryos, Fötus oder Kindes zur Folge haben, die zur Tot- oder Fehlgeburt oder zum Tod im ersten Lebensjahr führen kann; die Eltern müssen auf ein Beratungsangebot hingewie- ausnahmsweise Zulassung sen werden und eine Ethikkommission muss die Durchführung der Präimplantationsdiagnostik in jedem Einzelfall befürworten. Die Durchführung der Untersuchung ist nur an einem lizensierten Zentrum zulässig. Das Gesetz macht damit die Lebensfähigkeit des Embryos zum zentralen Maßstab und nicht etwa seinen „Lebenswert― oder den Grad einer (mehr oder weniger wahrscheinlichen) Erkrankung oder Behinderung. Eine Untersuchung auf genetische oder chromosomale Defekte, die die Lebensfähigkeit des Embryos gefährden, wird erlaubt; eine Untersuchung etwa auf spät manifestierende Krankheiten wie Chorea Huntington oder Brustkrebs oder gar Behinderungen wie Down Syndrom wird hingegen verboten. Ebenfalls verboten ist die Durchführung der PID, um spontane - also nicht auf Grundlage einer genetischen Disposition der Eltern basierende - Chromosomenstörungen festzustellen (Aneuploidie-Screening). Damit wird einer Ausweitung der PID – wie sie im Ausland zu beobachten ist – wirksam ein Riegel vorgeschoben. Eine Zulassung der PID analog zur vorgeburtlichen genetischen Untersuchung (Pränataldiagnostik - PND) ist nicht vertretbar. Heinen-Esser: Zulassung der PID in engen Grenzen Die Präimplantationsdiagnostik soll in Ausnahmefällen zulässig sein. Um Rechtssicherheit für die betroffenen Paare und die Ärzte herzustellen, ist das Embryonenschutzgesetz um eine Regelung zu ergänzen, die die Voraussetzungen und das Verfahren einer PID festlegt. Zur Vermeidung von Missbräuchen soll die PID nach verpflichtender Aufklärung und Beratung sowie einem positiven Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten Ethik-Kommission in den Fällen zulässig sein, in denen ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist. Im Vorfeld der PID soll eine sorgfältige Diagnostik bei beiden Partnern nach strengen Kriterien erfolgen. Zur Gewährleistung eines hohen medizinischen Standards soll die PID an lizensierten Zentren vorgenommen werden. begrenzte Zulassung nach verpflichtender Aufklärung und Beratung und Ethik-Kommission Daraus ergibt sich folgender Vorschlag zur Ergänzung des Embryonenschutzgesetzes: Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht (Präimplantationsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Wenn auf Grund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteiles für deren Nachkommen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit be24 steht, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik einen Embryo in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit untersucht. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplantationsdiagnostik zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot– oder Fehlgeburt führen wird. Eine Präimplantationsdiagnostik nach Absatz 2 darf nur nach einer medizinischen und psychosozialen Beratung und schriftlichen Einwilligung der Mutter von fachlich geschulten Ärzten nach einem positiven Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten Ethikkommission und in für die Präimplantationsdiagnostik lizenzierten Zentren vorgenommen werden. Dr. med. Luckhaus: die Entwürfe aus der Sicht eines Mediziners Das von einer Gruppe der Bundestagsabgeordneten, hier vertreten durch Herrn Prof. Sensburg, geforderte generelle Verbot der Präimplantationsdiagnostik ist gedanklich konsequent und sicherlich nicht eine Position, die man vollkommen verwerfen kann. Allerdings berücksichtigt es nicht das große Leid der Frauen und Paare, das ich in meiner täglichen Berufserfahrung erlebe. Das Prinzip erscheint hier als zu hoch und lässt Menschen alleine. Vor allem sehe ich einen eklatanten Wertungswiderspruch zwischen der geltenden Abtreibungsregelung einerseits und dem geforderten PIDVerbot andererseits. Ein Embryo, bestehend aus einer geringen Zahl von Zellen kann nicht schützenswerter sein als ein Kind in der achten oder zehnten Schwangerschaftswoche. Der Entwurf, den Herr Röspel auf dem Podium vertritt, sieht auch die Gefahr des „Dammbruchs“, versucht aber durch klare Grenzen die Ausnahmen, bei denen eine PID erlaubt ist, festzulegen. Dieser Entwurf sieht das Leid der Betroffenen, dem ein generelles Verbot nicht Rechnung tragen würde. Allerdings ist eine Festlegung auf eine zu erwartende Lebensspanne problematisch, weil sich hier im medizinischen Feld immer wieder Neues ergibt, z.B. durch verbesserte Behandlungsmöglichkeiten. Des Weiteren ergibt sich eine Problematik dahingehend, dass es einerseits eine Wahrscheinlichkeit von 25 % für eine tödliche autosomal-rezessive Erkrankung gibt, andererseits aber jede Frau, die mit 38 Jahren schwanger wird, ein genau gleich hohes IVF-Abortrisiko hat. Dies kann juristische Verwerfungen zur Folge haben. Frau Heinen-Esser steht für den Entwurf, der die PID bei zu erwartender schwerer Behinderung erlauben will und zugleich deutlich ablehnt, dass man etwa „DesignerBabys― oder Geschlechterauswahl ermöglicht. Dieser Entwurf ist am praktikabelsten und wird vor allem den betroffenen Paaren am ehesten gerecht. Man darf nie vergessen, dass diese Paare oft schon eine Odyssee hinter sich haben und für sich einen Ausweg suchen. Anders als bei Frauen oder Paaren, die im Rahmen der Pränataldiagnostik von einem auffälligen Befund erfahren, sind diese Paare schon mit dem Leben mit einem kranken bzw. behinderten Kind vertraut und kennen die Probleme oder Hilfsmöglichkeiten. Deshalb sehe ich auch bei PID und PND unterschiedliche Beratungsbedarfe. Darüber hinaus sehe ich Unterschiede in Bezug auf eine bestehende Bindung zwischen der Frau und dem Kind: Zweifelsohne ist diese in der 18. oder 20. Schwangerschaftswoche zum Teil schon sehr deutlich und stark, wovon im Zusammenhang von In-VitroFertilisation und PID keine Rede sein kann. Abschließend bleibt festzuhalten, dass ethische Grundfragen, wie sie z.B. im Umfeld von PID auftreten, niemals durch gesetzliche Regelungen allein gelöst werden können. 25 Weitere Diskussion: Im Verlauf der Diskussion, in die alle Anwesenden einbezogen wurden, wurde vor allem deutlich, wie notwendig bei einer begrenzten Zulassung der PID eine Verankerung der psychosozialen Beratung ist. Diese soll in der Hand einer staatlichen anerkannten Beratungsstelle liegen und ist ein wichtiger Beitrag zu einer umfassenden, multiprofessionellen Begleitung und Beratung der Betroffenen. Mehrheitlich wurde die Auffassung geteilt, dass eine begrenzte Zulassung der PID, die in einen andauernd zu führenden gesellschaftlichen Dialog über ethische Grundwerte und Maßstäbe eingebunden ist, am ehesten der vielfältigen Not der Betroffenen gerecht werde. PID und psychosoziale Beratung 26 Bundestag stimmt für begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik Der Deutsche Bundestag hat am 7. Juli 2011 für die begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik gestimmt. In unserem Landesverband hat es auf verschiedenen Ebenen Gespräche und Meinungsbildungen zur PID gegeben. Die verschiedenen Einschätzungen der PID und der Frage, ob sie zuzulassen sei oder nicht, spiegelte sich in der Gestaltung der Fachtagung wider, die alle relevanten Einschätzungen zu Wort kommen ließ. In der landesverbandlichen Diskussion war eine mehrheitliche Positionierung zugunsten einer begrenzten Zulassung der PID sichtbar. In Deutschland haben wir mit der Beratungsregelung im Umfeld von Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch und Pränataldiagnostik eine gesetzliche Basis, die einen hohen Standard des Schutzes von Frau und Kind sichert. Ein Verbot der PID hätte einen Wertungswiderspruch bedeutet: Es wäre nicht logisch gewesen, einerseits den Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Beratungsregelung zu ermöglichen, die Vermeidung einer Schwangerschaft durch die „Pille danach― nicht zu verbieten und den Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik bei medizinischer Indikation zu erlauben und andererseits die PID mit der Begründung, es gehe um den Schutz des Embryo, zu verbieten. Durch die begrenzte Zulassung der PID ist nunmehr die Grundlage dafür geschaffen, den Schutz von Frauen und beginnendem Leben durch die medizinische und psychosoziale Beratung zu gewährleisten. Ein PID-Verbot hätte betroffene Paare bewogen, sich ins Ausland zu orientieren, wo dieser Schutz, der durch die in Deutschland vorhandenen Beratungsregelungen existiert, nicht in gleicher Weise gegeben ist. So klar es ist, dass es kein Recht auf ein gesundes Kind gibt, so verständlich ist der Wunsch nach einem sinnhaften Leben mit Kindern. Durch die PID gibt es die medizinische Möglichkeit, bei befürchteten schwersten Schädigungen diese an künstlich erzeugten Embryonen zu erkennen. Schwere Belastungen für das Kind und für die Familie können dadurch vermieden werden. Die im Bereich der Pränataldiagnostik bereits vielfach praktizierte und bewährte Kooperation zwischen ärztlicher und medizinischer Beratung kann unserer Ansicht nach auch bei PID helfen, bei denjenigen Paaren, die in aller Regel emotional schwerste Vorerfahrungen (z.B. schwerste Behinderungen in der Familie, Fehl- u. Totgeburten etc.) hinter sich haben, die Situation zu klären und zu einer tragfähigen Entscheidung zum Umgang mit IVF und PID zu kommen. In jedem Fall ist bei einer begrenzten PID-Zulassung jede Einzelsituation mit einem individuellen Auseinandersetzungsprozess verbunden. donum vitae NRW tritt weiterhin für die ressourcenorientierte Beratung von Frauen und Paaren zur Überwindung der Notlage ein und wird sich auch zukünftig an gesellschaftlichen Debatten beteiligen und sich dabei im Sinne der doppelten Anwaltschaft für Frau /Paar und Kind einsetzen. 27 Eindrücke 28