Die Weltwirtschaft Neue Zinsanhebung steht bevor Die EZB und die Nationalbank Dänemarks werden am 7. Dezember die Zinsen erneut anheben. Die Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung ist groß, wir halten aber eine weitere Zinserhöhung im Jahre 2007 für am wahrscheinlichsten. Von Jacob Graven Alles deutet auf eine weitere Zinserhöhung hin. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird voraussichtlich am 7. Dezember eine Leitzinsanhebung um 25 Basispunkte beschließen, die die Nationalbank Dänemarks kopieren dürfte. Der dänische Ausleihesatz wird daraufhin die Marke von 3,75 % erreichen, d. h. der höchste Stand seit dem Herbst 2001. Die Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung ist groß. Die EZB war sehr wortkarg im Hinblick auf die Zinsaussichten für 2007. Einen wesentlichen Bestandteil der Entscheidungsgrundlage bilden die Inflationsschätzungen für 2008, die nach der Zinssitzung am 7. Dezember veröffentlicht werden. Bisher hat die EZB nur die Schätzungen für 2007 veröffentlicht. Die Inflationsprognose von 2,4 % beruhte auf einem durchschnittlichen Ölpreis von 77,6 USD pro Barrel. Diese Zahl wird höchstwahrscheinlich bei der kommenden Neubewertung erhöht, dürfte aber nach wie vor die obere Zielmarke der EZB von 2 % überschreiten. Unseres Erachtens dürfte die Prognose für 2008 nahe an 2 % liegen. Das spricht dafür, dass die EZB nach der Zinserhöhung im Dezember harte Töne anschlagen und somit bekannt geben wird, dass die Inflation weiterhin überwacht werden muss. Bisher haben wir die Meinung vertreten, dass die EZB im Falle einer kräftigen Stärkung des EUR gegenüber dem USD im Jahre 2007 auf weitere Zinsanhebungen verzichten würde. Da die Stärkung bisher nicht eingetreten ist, halten wir nun eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte im 1. Quartal für am wahrscheinlichsten. Diese Erwartung wird zudem dadurch gestützt, dass das Geldmengenwachstum infolge der steigenden Kreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte wieder zunimmt, vgl. Abb. 1. Diesem Umstand wird von der EZB große Bedeutung beigemessen, zumal die EZB schätzt, dass eine hohe, sich im Umlauf befindliche Geldmenge einen Aufwärtsdruck auf die Inflation ausüben könnte. Eine entsprechende Erhöhung in 2007 halten wir für unwahrscheinlich – obwohl diese Möglichkeit selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden kann. Kräftige Zinserhöhungen unwahrscheinlich Wir sind jedoch nach wie vor der Überzeugung, dass die Zinserhöhungen größtenteils hinter uns liegen. Einschließlich der voraussichtlich im Dezember erfolgenden Zinserhöhung sind die Leitzinsen 2006 insgesamt um 1,50 Prozentpunkte angehoben worden. Die wichtigsten Ursachen dafür, dass der Zinserhöhungszyklus voraussichtlich bald zu Ende geht, sind: ß Die Zinsen sind jetzt fast auf Normalniveau zurückgekehrt, nachdem sie während der letzten Jahre auf einem ungewöhnlich niedrigen Niveau verharrten. • Die deutsche Mehrwertsteuererhöhnung und die Konjunkturabkühlung in den USA werden 2007 einen Abwärtsdruck auf das Wirtschaftswachstum ausüben. • Es bestehen nach wie vor ein beherrschter, zugrunde liegender Preisdruck und daraus folgende bescheidene Lohnsteigerungen. • Kräftige Zinserhöhungen können zur unerwünschten Stärkung des EUR führen. Der größte Risikofaktor ist mit der Lohnentwicklung verbunden. Das Risiko einer Beschleunigung der Lohnsteigerungen ist nicht unbedeutend, zumal die Arbeitslosigkeit während der letzten 12 Monate gefallen ist. Wir Abbildung 1 Geldmengenwachstum, %, YoY, Euroland Abbildung 2 Globale Leitzinsen Abbildung 3 Arbeitslosigkeit, %, USA 9 7 6,50 8 6 6,00 Großbritannien 5 7 5,50 4 6 3 5 2 4 3 Euroland 5,00 USA 4,50 4,00 1 00 01 02 03 04 Anlageinfo – November 2006 05 06 0 Japan 01 02 03 04 05 06 07 3,50 98 99 00 01 02 03 04 05 06 Die Weltwirtschaft erwarten, dass die gesamten Arbeitskosten 2007 um etwa 3,5 % von ca. 2,5 % im Jahr 2006 steigen werden. Fällt der Anstieg höher aus, wird die EZB sicherlich die Leitzinsen kräftig anheben. Gegebenenfalls könnten die Zinsen etwa 5 % erreichen; vorläufig halten wir aber eine solche Entwicklung nicht für sehr wahrscheinlich. Hohe Unsicherheit Es wird natürlich immer Unsicherheit über die künftige wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung herrschen. Derzeit ist diese Unsicherheit aber größer als im Normalfall – insbesondere in den USA. Da die USA mit Abstand die weltweit größte Volkswirtschaft sind, hat die Entwicklung dort hohe Bedeutung für die gesamte Weltwirtschaft. Die Unsicherheit über die Entwicklung in den USA lässt sich anhand der Erwartungen der größten internationalen Banken an das BIP-Wachstum und an die Entwicklung der US-Leitzinsen 2007 darstellen: Leitzinsen BIPWachstum ABN Amro 6,0 2,6 Morgan Stanley 5,5 3,3 Goldman Sachs 4,0 2,2 HSBC 4,0 1,7 Sydbank 4,5 2,0 Somit erwarten einige Banken, dass ein neuer Zinserhöhungszyklus eingeleitet wird, während andere Banken ziemlich aggressive Zinssenkungen vom derzeitigen Stand von 5,25 % aus erwarten. Der Unterschied beruht nicht überra- schenderweise auf unterschiedlichen Erwartungen an das Wirtschaftswachstum. Unsere Prognosen sind unverändert. Wir erwarten nach wie vor eine verhältnismäßig weiche Landung der US-Wirtschaft und somit ein BIP-Wachstum für 2007 von ca. 2 %. Das dürfte im Laufe des Jahres Raum für bescheidene Zinssenkungen lassen, weil die langfristige durchschnittliche Wachstumsrate der US-Wirtschaft etwa 3 % beträgt. Eine anhaltend hohe Inflation könnte jedoch dazu führen, dass der Zinserhöhungszyklus wieder eingeleitet wird. Der jüngste Rückgang der Arbeitslosigkeit auf 4,4 %, vgl. Abb. 3, bedeutet ein erhöhtes Risiko dafür, dass sich die Inflation wegen steigender Löhne beschleunigen könnte. Vorläufig betrachten wir diese Gefahr allerdings nicht als dringend. Konjunkturabkühlung in 2007 Bemerkenswert ist, dass sich fast alle darüber einig sind, dass die US-Wirtschaft im Vergleich zu den letzten Jahren, in denen das Wachstum bei etwa 3,25 – 3,50 % lag, 2007 an Tempo verlieren wird. Die Frage ist nur, wie umfassend die Konjunkturabkühlung ausfällt. Die Frühindikatoren vermitteln das Bild eines anhaltend mäßigen Wachstums im 4. Quartal. Die Geschäftsklimaindizes des verarbeitenden Gewerbes und Dienstleistungssektors setzten den rückläufigen Trend fort, obwohl der ISM-Services-Index im Oktober überraschenderweise zulegte, vgl. Abb. 4. Der Index des verarbeitenden Gewerbes befindet sich derzeit auf dem niedrigsten Niveau, seitdem der Aufschwung Mitte 2003 Fahrt aufnahm, und nähert sich jetzt die Marke von 50 – die Grenze zwischen steigenden und fallenden Aktivitäten. Über ihre Verhältnisse leben Eine der wichtigsten Ursachen für die Erwartungen eines rückläufigen Wirtschaftswachstums ist, dass die US-Verbraucher seit Jahren über ihre Verhältnisse leben. Die historisch niedrigen Ersparnisse der Verbraucher sind ein deutliches Zeichen dafür, dass für den Privatverbrauch die Steigerungsraten der letzten Jahre nicht fortsetzen können. Da der Privatverbrauch ca. 70 % des BIP ausmacht, wird das gesamte Wirtschaftswachstum auch nachgeben. Abb. 5 zeigt, dass die Sparquote seit Anfang der 90er Jahre zurückgefallen und sogar im jüngsten Jahr negativ gewesen ist – d. h. die privaten Haushalte geben mehr Geld aus als sie verdienen. Dass dies überhaupt möglich war, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die hohen Vermögensgewinne bei Immobilien für Verbrauch ausgegeben worden sind. Wie in den jüngsten Ausgaben von ”Anlageinfo” erläutert, hat sich der US-Immobilienmarkt bedeutend abgeschwächt. Das bedeutet, dass die Verbrauchsmöglichkeiten der Haushalte in Zukunft durch diesen Faktor nicht mehr unterstützt werden. Im bildlichen Sinne kann die US-Wirtschaft als ein Gummiband, das weit ausgedehnt worden ist, betrachtet werden. Eine Zeitlang lässt sich das Band weiter ausdehnen; es besteht jedoch kein Zweifel, dass sich das Band zu irgendeinem Zeitpunkt wieder zusammenzieht. Die Frage ist nur, ob dies Abbildung 4 ISM-Geschäftsklimaindex, USA Abbildung 5 Sparquote der Haushalte, % des verfügbaren Einkommens, USA Abbildung 6 EUR/USD 70 10 1.4 8 1.3 65 Dienstleistungen 6 60 1.2 4 55 1.1 2 Industrie 50 45 40 1.0 0 0.9 -2 00 01 02 03 04 05 06 -4 90 92 94 96 98 00 02 04 06 0.8 00 01 02 03 04 05 06 07 Anlageinfo – November 2006 Die Weltwirtschaft Abbildung 4 Globale Leitzinsen Anlageinfo – November 2006 Abbildung 5 Geschäftsklima-Index, Deutschland Die Weltwirtschaft unter kontrollierten Bedingungen erfolgen kann, oder ob das Gummiband zerreißt – d. h. dass die Wirtschaft in eine Rezession abrutscht. Wir halten nach wie vor eine verhältnismäßig kontrollierte Abkühlung mit einer sanften Landung der Wirtschaft für am wahrscheinlichsten. Mehrere Faktoren dürften weiterhin den Verbrauch stützen: • Steigende Beschäftigung • Steigende Löhne • Erhöhte Kaufkraft wegen des nachlassenden Ölpreises • Weiterhin verhältnismäßig niedrige Langfristzinsen Aussicht auf USD-Abschwächung Die fehlenden Ersparnisse der privaten Haushalte sind wie bereits erwähnt u. a. ein Zeichen dafür, dass die US-Verbraucher während der letzten Jahre über ihre Verhältnisse gelebt haben. Ein anderes Zeichen ist das anhaltend anziehende Leistungsbilanzdefizit, das in diesem Jahr die riesige Summe von 850 Mrd. USD erreichen könnte. Um dem großen weltweiten Ungleichgewicht entgegenzutreten, bedarf es einer Reihe von Jahren, in denen der binnenländische Nachfragezuwachs in den USA gegenüber der restlichen Weltwirtschaft auf einem relativ niedrigeren Niveau verharrt. Darüber hinaus dürfte das Defizit eine abgeschwächte USD bewirken. Auf 12-monatige Sicht erwarten wir nach wie vor eine Abschwächung des USD auf etwa 1,40 gegenüber dem Euro, vgl. Abbildung 6. seitens der EZB dürfte in Europa zu höheren Langfristzinsen führen. Das derzeitige Niveau der Langfristzinsen ist angesichts der verhältnismäßig guten euroländischen Konjunkturaussichten sehr niedrig. Ursächlich für die niedrigen europäischen Zinsen ist u. a. die Sorge, dass eine kräftige Konjunktureintrübung in den USA die europäische Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnte. Dies ist daran zu erkennen, dass sich die Langfristzinsen in den USA und in Europa während der letzten Monate im Großen und Ganzen parallel entwickelt haben – trotz der Aussichten auf weitere Zinserhöhungen seitens der EZB. Ferner hat u. a. die anhaltend hohe Nachfrage nach langfristigen Staatsanleihen seitens asiatischer Zentralbanken, westlicher Pensionskassen und Länder mit hohen Öleinnahmen die niedrigen Langfristzinsen ausgelöst. Diese Faktoren dürften sich in den kommenden 12 Monaten kaum fundamental ändern und wir erwarten daher verhältnismäßig niedrige Langfristzinsen. Anhaltend niedrige Langfristzinsen Die Aussicht auf eine, jedoch wahrscheinlich zwei weitere Zinserhöhungen Japan immer noch am Leben Die japanische Wirtschaft hat während der letzten Monate grundsätzlich enttäuscht, vgl. den Artikel „Monatsrückblick“. Unserer Einschätzung nach handelt es sich eher um eine vorübergehende Abkühlung als um einen Rückfall in eine nachhaltige Rezession. Insbesondere der Privatverbrauch ist schwach gewesen, während sowohl Investitionen und der Export sich kräftig entwickelt haben. Ursächlich für die enttäuschende Konsumentwicklung ist u. a. die anhaltende Deflation (d. h. das rückläufige Abbildung 7 10-jährige Rendite in den USA und Deutschland Abbildung 8 Inflation, Japan 7,0 1,0 6,5 Abbildung 9 Kreditvergabe der Banken, %, YoY, Japan 3 Insgesamt 2 0,5 1 6,0 0 0 5,5 -1 USA 5,0 -2 -0,5 4,5 Ohne Energie und Nahrungsmittel -1,0 -3 -4 4,0 -5 -1,5 3,5 3,0 Preisniveau). Abb. 8 zeigt, dass die Inflation im Oktober zwar mit 0,6 % positiv war, werden aber sowohl Energie als auch Nahrungsmittel abgezogen, ist das Preisniveau nach wie vor rückläufig. Das Problem der nachlassenden Preise ist teilweise darauf zurückzuführen, dass die Verbraucher ihre Käufe verschieben, weil sie künftig niedrigere Preise erwarten. Dennoch sind wir ziemlich optimistisch in Bezug auf Japan, u. a. wegen des hohen Optimismus der Unternehmen. Die Investitionen wachsen stark an und die Kreditvergabe der Banken steigt zum ersten Mal seit 10 Jahren, vgl. Abb. 9. Gleichzeitig ist die Geldpolitik überaus locker mit weiterhin sehr niedrigen Zinsen und einem – historisch gesehen – schwachem JPY. Der schwache JPY ist teilweise darauf zurückzuführen, dass Liberalisierungen jetzt vermehrt Investitionen im Ausland ermöglichen. Das könnte bewirken, dass der JPY auf kurze Sicht schwach bleibt, dass er aber auf längere Sicht eine Stärkung erleben wird. Und die Geschichte zeigt, dass es sehr schnell gehen kann! Trotz der niedrigen Zinsen raten wir daher nach wie vor Investoren von Darlehensaufnahmen in JPY ab. Ferner besteht Aussicht auf leicht steigende Zinsen. Die Bank of Japan dürfte daher im Laufe der kommenden Monate die Zinsen wieder anheben. -6 Deutschland 00 01 02 03 04 05 06 07 -2,0 01 02 03 04 05 06 -7 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 Anlageinfo – November 2006