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DAS COPYRIGHT LIEGT BEIM JEWEILIGEN AUTOR.
Emmelkamp, P.; Bouman, T. & Scholing, A. (1993)
Angst, Phobien und
Zwang
1
1.
Phänomenologie
1.1 Was sind Angststörungen
Wenn Menschen mit Angststörungen geholfen werden soll, muss zuerst eine
Problemanalyse durchgeführt werden: Worin bestehen die Beschwerden, wovor hat
jemand Angst, was erlebt, denkt und tut jemand mit Angst?
Im Laufe der Jahre wurden verschiedene Versuche unternommen, Ordnung zu
schaffen in der oft unklaren Namensgebung dieser Erscheinungen. Das führte zur
Aufstellung von diagnostischen Kriterien. Zur Zeit wird am meisten Gebrauch
gemacht vom DSM-IV der American Psychiatric Association (1994) (Anmerkung: Die
Autoren des Buches gehen noch vom DSM-III-R aus. In der Zusammenfassung
werden ihre Angaben durch die aktuellen des DSM-IV ersetzt). Die Autoren des
DSM-IV gehen dabei von einer atheoretischen Zugangsweise aus, in der manifeste
Symptome als Kriterien aufgenommen werden. Ausgangspunkt ist eine multiaxiale
Betrachtungsweise:
1. Achse I:
Klinische Störungen
andere klinisch relevante Probleme
2. Achse II:
Persönlichkeitsstörungen
geistige Behinderung
3. Achse III:
Medizinische Krankheitsfaktoren
4. Achse IV:
Psychosoziale oder umgebungsbedingte Probleme
5. Achse V:
Globale Beurteilung des Funktionsniveaus
Folgende Überlegungen zum DSM-IV müssen berücksichtigt werden:
Es geht darum, Störungen einzuteilen, nicht primär Personen
Die einzelnen Störungen und so auch Angst können oft nicht so kategorisch
von anderen Störungen abgegrenzt werden, wie durch dieses
Klassifikationssystem vermittelt wird.
Angststörungen werden zur Achse I gezählt und werden folgerndermassen unterteilt:
• Panikattacke
• Agoraphobie
• Panikstörung mit Agoraphobie
• Agoraphobie ohne Panikstörung in der Vorgeschichte
• Spezifische Phobie
• Soziale Phobie
• Zwangsstörung
• Posttraumatische Belastungsstörung
• Akute Belastungsstörung
• Generalisierte Angststörung
• Angststörung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors
• Substanzinduzierte Angststörung
• Nicht näher bezeichnete Angststörung
In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels wird für jede Angststörung eine
Übersicht der diagnostischen Kriterien des DSM-IV gegeben. Zusätzlich wird das
klinische Bild besprochen. Die Falldarstellungen, durch die im Buch jeweils noch
ergänzt wird, nehme ich in der Zusammenfassung nicht auf.
2
1.2 Panikstörung
DSM-IV Kriterien:
Das zentrale Kennzeichen der Panikstörung ist der Panikanfall, d.h. eine besondere
Periode von intensiver Angst und Spannung, die oft unerwartet auftritt. In der Rubrik
„Angststörungen“ des DSM-III-R bzw. –IV nimmt die Panikattacke einen wichtigen
Platz ein. Im DSM-IV wird sie sogar gesondert aufgeführt und besprochen. Im DSMIV werden folgende Kriterien genannt für eine Panikattacke (mind. 4 müssen erfüllt
sein):
1. Palpitationen, Herzklopfen oder beschleunigter Herzschlag
2. Schwitzen
3. Zittern oder Beben
4. Gefühl der Kurzatmigkeit oder Atemnot
5. Erstickungsgefühle
6. Schmerzen oder Beklemmungsgefühle in der Brust
7. Übelkeit oder Magen-Darm-Beschwerden
8. Schwindel, Unsicherheit, Benommenheit oder der Ohnmacht nahe sein
9. Derealisation und Depersonalisation
10. Angst, die Kontrolle zu verlieren oder verrückt zu werden
11. Angst zu sterben
12. Parästhesien (Taubheit oder Kribbelgefühle)
13. Hitzewallungen oder Kälteschauer
Bei der Panikstörung wird zwischen solcher ohne bzw. mit Agoraphobie
unterschieden (s. nächster Abschnitt).
Klinisches Bild:
• Typisch ist die unerwartete Art des Panikanfalls (spontaner Anfall)
• Körperliche Symptome des Panikanfalls sind ähnlich derer, die bei
Hyperventilation auftreten. Hyperventilation: Durch verstärktes Atemholen wird
mehr O2 im Körper aufgenommen als nötig wäre. Dadurch wird mehr CO2
ausgestoßen als gewöhnlich. Nun sinkt der CO2-Gehalt im Blut und der pHWert steigt an. Wegen dieser Respiratorischen Alkalose können nun
körperliche Beschwerden eintreten, die als Hyperventilationssyndrom
bezeichnet werden:
 Atembeschwerden
 Parästhesien
 Neuromuskuläre Beschwerden
 Zerebrovaskuläre Beschwerden (Schwindel, unscharfes Sehen,…)
 Kardinale Beschwerden
 Temperaturempfindungen
 Gastrointestinale Beschwerden
 Psychische Beschwerden
 Müdigkeit und Schwächegefühl
So kann Hyperventilation als körperliche Komponente eines Panikanfalls
beschrieben werden.
Als psychologische Komponente des Panikanfalls wird das akute und intensive
Erleben von Angst angesehen. Diese Angst ist verantwortlich für das
Fluchtverhalten, das zum Ziel hat, den Anfall zu beenden, was erst nach einiger Zeit
gelingt.
3
Kognitionen von Angstpatienten haben oft den Charakter von Antizipationen
gefürchteter Situationen (Antizipationsangst). Dadurch entsteht an sich bereits eine
erhöhte Aktivierung, noch bevor der Betroffene sich wirklich in die Situation begibt.
Menschen mit Panikattacken befürchten irgendwie die Kontrolle über einen Teil ihres
Funktionierens zu verlieren. Hier können 4 Themen unterschieden werden:
Die Angst vor somatischem, psychischem, verhaltensmässigem und sozialem
Kontrollverlust:
1.
somatischer Kontrollverlust: Angst vor einem Herzinfarkt, einer Hirnblutung
oder einer Ohnmacht, oder allgemein Angst davor, dass sie der Körper im
Stich lässt.
2.
psychischer Kontrollverlust: Die Angst ist zentriert auf die als
wahrscheinlich erlebte Möglichkeit, verrückt zu werden.
3.
Verhaltensmässiger Kontrollverlust: Es wird eine totale Enthemmung
befürchtet, wie z.B. mit etwas werfen, kreischen und schreien.
4.
Sozialer Kontrollverlust: Manche schämen sich für die vermeintlichen
Hinweise auf die zugenommene Aktivierung, wie z.B. Zittern, Weglaufen
wollen, ohnmächtig werden und wie andere darauf reagieren.
Bei einem Erstgespräch ist es sehr wichtig einen Eindruck darüber zu erhalten, wie
der Patient einen Kontrollverlust erlebt.
Viele Patienten mit Panikanfällen beginnen sehr rasch nach ihrem ersten Panikanfall
die Situationen oder Aktivitäten zu vermeiden, von denen sie denken, dass diese
einen Panikanfall auslösen könnten. Extremes Vermeidungsverhalten kann
bewirken, dass jemand keine Panikanfälle mehr hat aber z.B. seine Wohnung nicht
mehr verlässt. Die Diagnose „Panikstörung mit Agoraphobie“ wird gestellt, wenn die
Beschwerden den Kriterien der Panikstörung und denen der Agoraphobie
entsprechen.
Garssen
et
al.
(1983)
konnten
bei
60%
der
Agoraphobikern
Hyperventilationsbeschwerden nachweisen, die allerdings teilweise nur sehr selten
auftreten.
Turner et al. (1986) suggerieren einen zeitlichen Zusammenhang zwischen
Panikstörung und Agoraphobie: agoraphobische Symptome entwickeln sich später
und als Funktion des Panikanfalls. Damit wird Panik als Vorstadium der Agoraphobie
aufgefasst. Thyer und Himle (1985) hingegen sehen Agoraphobie als sekundäre
Manifestation von Panik. Für Williams (1985) widerspricht die Tatsache, dass
agoraphobisches Verhalten auch in langen Perioden, in denen keine Panikanfälle
auftreten, aufrechterhalten bleibt, gegen das Argument, dass Panik die primäre
Ursache von agoraphobischer Vermeidung sei.
Differentielle Diagnostik:
Die Panikstörung muss u.a. unterschieden werden von:
1. generalisierter Angststörung
2. Hypochondrie
3. sozialer Phobie
4. organische Ursachen von Aktivierungserhöhungen (z.B. substanzinduziert)
Die generalisierte Angststörung ist gekennzeichnet von einer umfangreichen
Aktivierungserhöhung, die sich über eine Vielfalt von Situationen erstreckt.
Bei der Panikstörung ist die Krankheitsüberzeugung hauptsächlich beschränkt auf
die Periode der Anfälle selbst. Dazwischen ist der Patient im Stande, seine
Besorgtheit zu relativieren, was bei hypochondrischem Verhalten nicht der Fall ist.
4
Organische Ursachen der Aktivierungserhöhung müssen ausgeschlossen werden.
Unmäßiger Konsum oder Missbrauch von bestimmten Substanzen (z.B. Kaffee) führt
zu Symptomen wie Rastlosigkeit, Nervosität und beschleunigtem Herzschlag,
ebenso wie Entzugserscheinungen oder ein Kater nach Alkoholkonsum zu
Symptomen wie Angst, autonomer Hyperaktivität wie z.B. Herzklopfen, Schwitzen
und erhöhter Blutdruck. Auch der Reboundeffekt (s. Kapitel 2) von Tranquillizern darf
nicht unerwähnt bleiben.
1.3 Agoraphobie
DSM-IV Kriterien:
Im neuen DSM-IV wird im Gegensatz zum DSM-III-R die Agoraphobie einzeln auch
noch beschrieben, allerdings nicht als kodierbare Störung. Es wird weiter
unterschieden zwischen (wie schon bei DSM-III-R) Panikstörung mit Agoraphobie
und Agoraphobie ohne Panikstörung in der Vorgeschichte. Dieser Unterschied
bezieht sich vor allem auf die Ursachen, warum jemand Situationen vermeidet.
Bei der Agoraphobie mit Panikattacken wird die Angst beschrieben, sich auf Plätzen
oder in Situationen zu befinden, aus denen man schwierig flüchten kann, oder wo im
Fall einer Panikattacke nur schwer Hilfe verfügbar wäre.
Bei Agoraphobie ohne Panikstörung geht es dagegen um die Angst vor plötzlich
auftretenden Symptomen, die jemanden in Verlegenheit bringen oder hilfsbedürftig
machen können (z.B. Verlust der Blasen- oder Darmkontrolle).
Bei beiden Störungsbildern treten Verhaltensveränderungen auf (Einschränkung des
Handlungsraumes, Verzicht auf größere Reisen etc.).
Klinisches Bild:
Das Vermeidungsverhalten ist eines der auffälligsten Merkmale der Agoraphobie.
Dabei können ganz unterschiedliche Situationen gemieden werden, nicht nur wie oft
angenommen wird weite Plätze.
Das zentrale Thema ist meistens das „nicht weglaufen können“. Der Wunsch schnell
wegkommen zu können bewirkt, dass manche Leute entsprechende
Vorsorgemaßnahmen treffen (Auto, Fahrrad mitnehmen).
Viele Autoren haben argumentiert, dass Agoraphobie vor allem eine Angst vor der
Angst ist und nicht unbedingt vor bestimmten Orten.
95% der Agoraphobiker sind viel ängstlicher, wenn sie alleine unterwegs sind. Es
kann sogar soweit kommen, dass sie in Begleitung von einer (bestimmten) Person in
allen Situationen gehen, die sie alleine vermeiden würden. Einige hingegen berichten
genau das Gegenteil: sie fühlen sich noch am sichersten alleine und sind ängstlicher
in Begleitung. Darin ist der Unterschied, zwischen einem befürchteten Kontrollverlust
somatischer Art bzw. sozialer Art zu finden.






Differentielle Diagnostik:
Vermeidung von Situationen kann andere Ursachen haben als eine Agoraphobie.
Die Agoraphobie muss deshalb von folgenden Störungen unterschieden werden:
Depression: Wegen Apathie&Energieverlust verlässt Person das Haus nicht mehr.
Soziale Phobie: Personen vermeiden soziale oder Leistungssituationen, in denen sie
Angst haben, sie könnten sich beschämend verhalten.
Spezifische Phobie: Eine Person vermeidet bestimmte Objekte oder Situationen.
Wahnhafte Störung: Wegen Verfolgungsängsten wird das Haus nicht verlassen.
Zwangsstörung: Angst vor Kontamination kann zu Vermeidungsverhalten führen.
Realistische Befürchtungen: Aufgrund tatsächlicher medizinischer Krankheitsfaktoren
werden Situationen vermieden (z.B. Allergie).
5
1.4
Soziale Phobie
DSM-IV Kriterien:
Soziale Phobie wird umschrieben als eine anhaltende und hartnäckige Angst vor
einer oder mehreren Situationen, in der die betroffene Person einer möglichen
kritischen
Beurteilung
durch
andere
ausgesetzt
ist
(soziale
oder
Leistungssituationen), und in der sie Angst hat, sich lächerlich zu machen.
Befindet sich eine Person in der gefürchteten Situation, löst dies fast immer eine
Angstreaktion aus. Meistens werden deshalb diese Situationen vermieden oder
können nur mit sehr viel Angst durchgestanden werden.
Klinisches Bild:
Merkmale, die häufig mit Sozialer Phobie einhergehen sind:
 Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, negativer Bewertung oder Ablehnung
 Schwierigkeiten, sich selber zu behaupten
 Geringes Selbstbewusstsein
 Minderwertigkeitsgefühle
 Mangelnde soziale Fertigkeiten
 Beobachtbare Zeichen von Angst
 Wegen Prüfungsangst schlechteres Abscheiden an Prüfungen
 Vermeidung der aktiven Teilnahme am Unterricht
 Kleines soziales Netz
 In Extremfällen verlassen Sozialphobiker die Schule früher, sind eher
arbeitslos, hängen an unbefriedigenden Beziehungen fest, verzichten auf
Verabredungen und ziehen sich in ihre Herkunftsfamilie zurück.
Über Vermeidungsverhalten sind nur wenige Forschungsergebnisse bekannt.
Hingegen wurde die kognitive Komponente der sozialen Phobie untersucht.
Zusammenfassend können folgende Punkte genannt werden:
1. Viel mehr negative Selbstbeschreibungen in sozialen Kontakten als Personen
ohne soziale Angst
2. Übertrieben negative Evaluation des eigenen sozialen Verhaltens
3. Sehr hohe Anforderungen an das eigene Verhalten, im allgemeinen höher als
an das Verhalten anderer (=>Perfektionismus)
4. Selektive Erinnerung: Angenehme oder positive Erinnerungen werden eher
vergessen als unangenehme
5. Ursachen für guten Verlauf von sozialen Kontakten werden external attribuiert.
Bei Untersuchungen wird immer wieder versucht bei der sozialen Phobie Subtypen
zu definieren. Im DSM-IV werden solche Subtypen nicht erwähnt. Die einzige
Zusatzdiagnose ist die „generalisierte soziale Phobie“. Damit ist gemeint, dass eine
breite Skala von sozialen Situationen Angst auslösen kann.
Die Autoren schlagen indes folgende Subtypen vor:
1. Erytrophobie (Angst vor Erröten)
2. Tremophobie (Angst vor Zittern)
Die Autoren zeigen, dass viele Sozialphobiker (> andere Phobiker/Vergleichsgruppe)
Alkoholprobleme aufweisen. Anfangs kann Alkohol ein vermehrtes Aufsuchen von
vorher gemiedenen Situationen unterstützen. Erhöhter Alkoholkonsum verstärkt aber
oft soziale Angst, da man sich schämt, getrunken zu haben.
Differentielle Diagnostik:
Hier ist vor allem die Abgrenzung der sozialen Phobie von den anderen
Angststörungen und von der vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung
schwierig.
6
1.5 Spezifische Phobie
DSM-IV Kriterien:
Die einfache oder spezifische Phobie wird gekennzeichnet als anhaltende und
irrationale Angst vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation. Es
besteht ein zwingendes Verlangen, das betreffende Objekt oder die Situation zu
vermeiden. Wird der Betroffene mit der schwierigen Situation konfrontiert, erfolgt
eine Angstreaktion. Der Betroffene sieht übrigens meistens ein, dass seine Angst
überproportional und nicht gerechtfertigt ist.
Klinisches Bild:
Bei einer einfachen Phobie ist der gefürchtete Stimulus oft leicht zu vermeiden.
Deshalb sind Patienten mit einer einfachen Phobie in den seltensten Fällen in
Behandlung. Im DSM-IV werden folgenden Subtypen unterschieden:
 Tiertypus
 Umwelttypus (Höhen, Stürme, Wasser…)
 Blut-Spritzen-Verletzungstypus
 Situativer Typus (Flugzeuge, Fahrstühle…)
 Anderer Typus
In der klinischen Praxis treten am häufigsten die Phobien vor bestimmten Tiersorten,
vor kleinen geschlossenen Räumen, vor Höhe, vor Blut und ärztlichen
Behandlungen, vor Unwetter und vor dem Essen von bestimmten Lebensmitteln auf.
Bei der Tierphobie werden am häufigsten Spinnen, Mäuse, Katzen, Hunde und
Pferde genannt, wobei vor allem die Bewegung des Tieres Angst auslöst.
Sehen von Blut/Körperverletzungen löst bei vielen Menschen ein unangenehmes
Gefühl aus, meistens Übelkeit. Eine echte Blutphobie aber kommt nur bei 2-3% der
Population vor, womit dies allerdings eine der häufigsten Phobien bei Erwachsenen
ist. Im Gegensatz zu anderen spezifischen Phobien kann bei Blutphobie eine
Ohnmacht eintreten, da der Herzschlag nicht zunimmt, sondern sinkt.
Differentielle Diagnostik:
Die Diagnose einfache Phobie soll in Betracht gezogen werden, wenn die anderen
Angststörungen ausgeschlossen worden sind. Schwierig ist vor allem die
Abgrenzung von einer Agoraphobie mit Panikanfällen und der sozialen Phobie.
Das Nicht-Berühren von bestimmten Gegenständen aus Angst vor Ansteckung fällt
nicht unter die einfache Phobie, sondern unter Zwangsstörungen.
1.6 Zwangsstörung
DSM-IV Kriterien:
Bei
der
Zwangsstörung
stehen
Zwangsgedanken
(obsessions)
oder
Zwangshandlungen (compulsions) im Mittelpunkt.
Zwangsgedanken sind anhaltende Ideen, Gedanken, Impulse und Vorstellungen, die
als aufdringlich und unangemessen wahrgenommen werden und ausgeprägte Angst
oder Leiden verursachen.
Zwangshandlungen sind sich wiederholende Verhaltensweisen, deren Ziel es ist,
Wohlbefinden oder Befriedigung hervorzurufen.
Beides wird von der betroffenen Person als nicht kontrollierbar erlebt, die Person
sieht aber ein, dass die Zwangsgedanken und –handlungen ein Produkt ihres
Geistes sind und ihr nicht von außen aufgezwungen werden. Ist wenig Einsicht
vorhanden, kann die Zusatzkodierung „mit wenig Einsicht“ erwogen werden.
Die Zwangsgedanken und –handlungen provozieren beträchtliche Schwierigkeiten
und beanspruchen im Tagesablauf viel Zeit (mind. mehr als eine Stunde am Tag).
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Klinisches Bild:
Rituelle Zwangshandlungen und –gedanken hängen oft eng zusammen. Meistens
gehen die Gedanken den Handlungen voraus, aber es kann auch umgekehrt sein.
Die häufigsten Zwangsgedanken betreffen Angst vor Schmutz und Ansteckung. 25%
der Patienten haben Gedanken über Gewalt oder dazu, jemandem etwas antun zu
wollen. Häufige Zwangshandlungen sind zählen, putzen oder (Hände) waschen,
kontrollieren und berühren.
 Putzzwang: wird meistens in Zusammenhang gebracht mit der Angst vor
Ansteckung, gewaschen bzw. geputzt werden die Wohnung oder der Körper.
 Kontrollzwang: der Betroffene geht etliche Male zurück, um z.B. zu
überprüfen, ob das Haus abgeschlossen, das Gas zugedreht etc. ist. Geht er
nicht zurück, führt dies zu großer Anspannung, das Kontrollieren kann die
Spannung reduzieren.
Epidemiologie: Der Waschzwang wird häufiger bei Frauen diagnostiziert, der
Kontrollzwang vorwiegend bei Männern.
Die Situationen und Stimuli, die die Zwangshandlungen bzw. –gedanken auslösen
können, werden häufig gemieden. Diese Komponente der Vermeidung wird als
passiv bezeichnet, mit aktiver Vermeidung meint man hingegen die motorische
Komponente der Zwangsstörung, wie kontrollieren und putzen.
Differentielle Diagnose:
Zur Abgrenzung von Agoraphobie: Der Unterschied zwischen einer Zwangsstörung
und einer Agoraphobie liegt vor allem im Motiv für die Vermeidung von bestimmten
Situationen. So haben Agoraphobiker Angst, einen Panikanfall zu bekommen,
während die Zwangspatienten z.B. vor einer Ansteckung Angst haben.
Sind Zwangsgedanken als Folge eines traumatischen Ereignisses zu sehen, spricht
man eher von einer posttraumatischen Belastungsstörung als von einer
Zwangsstörung.
Bei einer Zwangsstörung kommt sekundär oft eine Depression vor. Verschwinden
hingegen Zwangsgedanken, wenn die Depression vorbei ist, so muss eher die
Diagnose Depression gestellt werden.
Exzessive Besorgtheit um die eigene Gesundheit fällt unter die Diagnose
Hypochondrie.
Ticks unterscheiden sich von Zwangshandlungen darin, dass sie unwillkürlich
auftreten.
1.7 Posttraumatische Belastungsstörungen
DSM-IV Kriterien:
Das traumatische Ereignis beinhaltet direktes persönliches Erleben oder Beobachten
einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren
Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun.
Das traumatische Erlebnis wird hartnäckig wiedererlebt auf mind. eine folgende Art:
1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die
Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können.
2. Wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis.
3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (Ereignis
wiedererleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden,
einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikation auftreten.)
4. Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder
externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses
symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.
8
Stimuli, die mit dem Trauma in Verbindung gebracht werden, werden vermieden.
Drei der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen und Gesprächen, die mit dem
Trauma in Verbindung stehen
2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen
an das Trauma wachrufen
3. Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern
4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen
Aktivitäten
5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen
6. Eingeschränkte Bandbreite des Affekts
7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft
Von den folgenden Symptomen erhöhten Arousals müssen mindestens zwei
vorliegen:
1. Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen
2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche
3. Konzentrationsschwierigkeiten
4. Übermäßige Wachsamkeit (Vigilanz)
5. Übertriebene Schreckreaktion
Das Störungsbild muss mindestens einen Monat vorliegen. Im DSM-IV werden
zudem noch folgende Subkriterien katalogisiert:
1. Akut: Wenn die Symptome weniger als 3 Monate dauern
2. Chronisch: Wenn die Symptome mehr als 3 Monate dauern
3. Mit verzögertem Beginn: Der Beginn der Symptome erfolgt mindestens 6 Monate
nach dem Belastungsfaktor
Klinisches Bild:
Bei vielen Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung treten vermehrt
auf:
1. Schlafstörungen
2. Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch
3. Verstärktes Rauchen
4. Beschränkte Responsivität
5. Ein schweres Trauma kann sogar zu dissoziativen Störungen wie der multiplen
Persönlichkeit führen
6. Depression
7. Selbstmordhandlungen und –gedanken
8. Phobische Ängste
9. Unerwartete aggressive Ausbrüche
Im Allgemeinen muss jedoch festgehalten werden, dass diese Störung nicht sehr gut
untersucht ist.
Differentielle Diagnostik:
Hier muss vor allem unterschieden werden zwischen einfachen Phobien,
Zwangsverhalten und Agoraphobie.
Depressive Störungen können als sekundäre Störungen auftreten. Bei Depressiven
ist es daher oftmals sinnvoll nach tiefer liegenden Gründen für ihre Depression zu
fragen.
9
Neu im DSM-IV: Akute Belastungsstörung (ICD: Belastungsreaktion)
Im Gegensatz zum DSM-III-R wird im DSM-IV noch die akute Belastungsstörung
aufgenommen.
Das traumatische Ereignis muss auch selbst erlebt oder beobachtet worden sein (s.
oben). Unterschiedlich zu den Kriterien der posttraumatischen Belastungsstörung
sind die dissoziativen Symptome, die als Folge des extrem traumatischen
Erlebnisses eintreten können, wobei auch drei davon erfüllt sein müssen:
1. Subjektives Gefühl von emotionaler Taubheit, von Losgelöstsein oder Fehlen
emotionaler Reaktionsfähigkeit
2. Beeinträchtigung der bewussten Wahrnehmung der Umwelt
3. Derealisationserleben
4. Depersonalisationserleben
5. Dissoziative Amnesie
Die Störung dauert mindestens 2 Tage und höchstens 4 Wochen (ansonsten ist es
eine PTBS) und tritt innerhalb von 4 Wochen nach dem traumatischen Ereignis auf.
1.8 Generalisierte Angststörung
DSM-IV Kriterien:
Die Diagnose wird gestellt, wenn es um eine unrealistische oder außergewöhnliche
Angst oder Besorgtheit bezüglich mehrerer Lebensbereiche geht (z.B. Unglücksfälle
der Kinder, Geldangelegenheiten).
Diese Sorgen dauern länger als sechs Monate und treten häufig auf. Die Angst muss
mit mindestens drei der folgenden Symptome verbunden sein:
1. Ruhelosigkeit
2. Leichte Ermüdbarkeit
3. Konzentrationsschwierigkeiten Reizbarkeit
4. Muskelspannung
5. Schlafstörungen
Zudem kann kein organischer Faktor festgestellt werden, der die Störung verursacht
oder aufrechterhält.
Klinisches Bild:
Erhöhtes Arousal ist das deutlichste Merkmal dieser Störung. Andere Symptome
sind: sich sorgen und grübeln über Dinge, die möglicherweise geschehen könnten,
für deren Auftreten aber kein Grund vorhanden ist.
Bei 64% der Patienten mit einer generalisierten Angststörung liegt eine phobische
Vermeidung vor, die aber keinen spezifischen Fokus hatte wie bei einer einfachen
Phobie oder der Agoraphobie.
Häufig kann zudem ein übermäßiger Medikamentenkonsum, vor allem Tranquilizer,
und bei 15% vermehrter Alkoholkonsum beobachtet werden.
Differentielle Diagnostik:
Die generalisierte Angststörung und die Panikstörung ähneln sich in gewisser Weise.
Der Unterschied zwischen den beiden Störungsbildern besteht jedoch darin, dass die
Angst bei der Panikstörung von einem drohenden neuen Anfall verursacht wird,
während das bei der generalisierten Angststörung nicht der Fall ist.
Bei Depression tritt ebenfalls eine verstärkte Neigung zum Grübeln auf. Der Inhalt ist
jedoch eher düster als angstvoll gefärbt.
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1.9 Schlusswort
Schwierigkeiten bei der Verwendung von diagnostischen Kriterien:
1. Die Einordnung der Beschwerden verlangt vom Kliniker eine genaue
Inventarisierung ihrer Art und Umstände, unter denen sie auftreten.
2. Die diagnostischen Kriterien sind relativ undeutlich und erhöhen deshalb die
Schwierigkeit der Zuordnung.
2. Epidemiologie und Ätiologie von Angststörungen
2.1 Epidemiologie
Bei Kindern:
Angst, die nach dem 6. Lebensjahr entsteht, bleibt im Allgemeinen bis zur
Adoleszenz bestehen. Bei Kindern sind echte Phobien wenig verbreitet (0.7%), wie
Rutter et al. (1970) an einer Stichprobe von 2000 Kindern zwischen 10-11 Jahren
feststellen konnten. Schulphobie gehört dabei zur wichtigsten phobischen Störung.
In der Adoleszenz tritt vor allem soziale Angst häufig auf, und zwar bei Mädchen
meistens einige Jahre früher als bei Jungen.
Bei Erwachsenen:
Die Lebenszeit-Prävalenz von Panikstörungen kann auf 2.3% und von Phobien auf
13% geschätzt werden. Phobien sind bei Frauen die häufigste psychopathologische
Erkrankung, bei Männern die zweite nach Alkoholismus. Zudem scheint Agoraphobie
häufiger aufzutreten als soziale Phobie.
Das Durchschnittsalter beim ersten Auftreten einer sozialen Phobie beträgt zwischen
16-21 Jahre, bei der Agoraphobie tritt die erste Erkrankung zwischen dem 24.-32.
Lebensjahr auf, bei der einfachen Phobie bereits zwischen 13-16 Jahren.
Im Gegensatz zur Agoraphobie, die viel häufiger bei Frauen vorkommt, als bei
Männern, scheint soziale Phobie bei beiden etwa gleichmässig aufzutreten.
Sozialphobiker sind durchschnittlich besser ausgebildet als Agoraphobiker, gehören
einer höheren sozialen Schicht an und haben weniger finanzielle Probleme.
2.2 Ätiologie der Angststörungen
Nachfolgend werden zuerst einige Erklärungsmodelle dargestellt, dann wird
spezifisch auf die Ätiologie der einfachen Phobie, Agoraphobie und Panikstörung,
sozialen Phobie und Zwangsstörung eingegangen.
2.2.1 Lerntheoretisches Modell
Die lerntheoretische Auffassung über die Entstehung von Phobien und Zwang beruht
auf Mower´s Zwei-Faktoren-Theorie von Angst und Vermeidung.
Dabei ist die klassische Konditionierung für das Lernen von Angst, die operante
Konditionierung für das Lernen von Vermeidungsverhalten verantwortlich.
Die Erlernung von Phobien durch klassische Konditionierung wurde in verschiedenen
Experimenten bewiesen. Ein klassisches und oft zitiertes ist das Experiment von
Watson und Rayner (1920), die den kleinen Albert auf eine Ratte klassisch
konditionierten mit Hilfe eines aversiven Tons.
Allerdings erinnern sich nicht alle Phobiker an ein traumatisches Ereignis, das ihre
Phobie im Sinne einer klassischen Konditionierung erklären würde. Das Paradigma
der klassischen Konditionierung bietet auch keine Erklärung in Fällen, wo sich eine
Phobie graduell entwickelt.
Mehr Evidenz gibt es dafür, dass die Konditionierung bei der Entwicklung von
einfachen Phobien eine Rolle spielt.
11
2.2.2 Biologische Faktoren
Erhöhtes Arousal:
Patienten mit Panikstörung, Agoraphobie und Sozialphobiker haben ein erhöhtes
Arousal. Die Autoren schlagen deshalb eine Interaktion zwischen Arousalniveau und
Konditionierung vor. Es ist allerdings fragwürdig, ob das erhöhte Arousal bei
Agoraphobikern und Sozialphobikern Ursache oder Folge phobischer Symptome ist.
Beech et al. schlugen vor, ein erhöhtes Arousal beeinflusse die Effektivität des
Konditionierungsprozesses. Diese Annahme konnte sie in Untersuchungen belegen.
Genetische Faktoren:
Bis jetzt gibt es nur wenige Studien. McGuffin und Reich (1984) fanden bei
Sozialphobikern eine höhere Inzidenz sozialphobischer Familienmitglieder als bei
Panikpatienten und „Normalen“. Genauso wie genetische Faktoren können aber
auch Lernmodelle (z.B. Modelllernen) oder Umgebungseinflüsse diesen
Zusammenhang erklären. In Zwillingsstudien konnten zudem nur beschränkt
genetische Anteile bei der Entstehung von sozialer Angst nachgewiesen werden.
Bei Zwangsstörungen liegen ähnliche Befunde vor wie bei der sozialen Phobie oben.
Bei der generalisierten Angststörung und der posttraumatischen Belastungsstörung
scheinen die Zusammenhänge noch schwächer zu sein.
Bei einfachen Phobien scheinen genetische Faktoren ebenfalls keine guten
Prädiktoren zu sein, außer bei Blutphobikern, wo 68% von Familienmitgliedern
ähnliche Symptome aufweisen wie der Patient. Diese außerordentlich hohe
Korrelation spricht dafür, dass tatsächlich eine genetische Komponente im Spiel ist,
z.B. erblich bestimmte, äusserst starke Reaktion des autonomen Nervensystems.
Neurotransmission:
Angststörungen sollen mit folgenden Neurotransmittersystemen zusammenhängen:
• Benzodiazepin-GABA-System
• Noradrenergisches System
• Serotonergisches System
Annahmen beruhen auf Tierexperimenten, Angstprovokationstests und selektiver
Wirkung diverser Medikamente. Es gibt nur sehr wenige Experimente bis heute.
2.2.3
Psychodynamische Sicht
Die Abwehrmechanismen Verdrängung und Verschiebung sind bei der
psychodynamischen Interpretation von Phobien wichtig. Dies bedeutet, dass die
ursprüngliche Quelle der Angst verdrängt und die Angst auf einen anderen
Gegenstand verschoben wird. Scheitern die Abwehrmechanismen, wird die Angst
erlebt, entweder als eine frei flottierende Angst oder in Form von Panikanfällen.
Phobien werden dabei als eine Art Abwehr der zweiten Linie aufgefasst.
Manche Psychoanalytiker sind der Ansicht, dass ein direkter Zusammenhang
zwischen der Art der Phobie und dem Inhalte der abgewehrten Ängste besteht. So
wurde die Spinnenphobie aufgefasst als Äußerung der unbewussten Angst auf
sexuellem Gebiet. Die Angst vor Flugzeugen wird teilweise als Angst vor Sexualität
aufgefasst, wobei das Flugzeug die Gebärmutter darstellt.
Über die soziale Phobie ist in der Psychoanalyse nur wenig geschrieben worden. Nur
einer speziellen Form der sozialen Phobie der „Errötungsangst“ wurde einiges
Forschungsinteresse zuteil. So wurde Errötung anfänglich als ein hysterisches
Konversionssymptom aufgefasst (Verlagerung der unterdrückten genitalen Erregung
auf das Gesicht), aber auch als Angst vor unbewussten exhibitionistischen
Tendenzen.
12
2.2.4
Kognitive Aspekte
In den letzten Jahren nahm das Interesse für kognitive Mechanismen besonders bei
Angst und Depression zu. Beck und Emery (1985) sehen generalisierte Angst und
Panik als Ergebnis von sogenannten Gefahren-Schemata. Diese Schemata
enthalten wichtige Informationen über Erfahrungen in vergleichbaren Situationen in
der Vergangenheit, und über Regeln, Ideen und Erwartungen bezüglich der
zukünftigen Ereignisse. Weiter sorgen die Schemata dafür, dass eine ängstliche
Person Informationen aus der Umgebung selektiv verarbeitet und als gefährlich
interpretiert.
2.2.5
Die Ätiologie einfacher Phobien
Entwicklungsfaktoren:
Manche Stimuli haben für ein bestimmtes Lebewesen einen bestimmten Angstwert.
Dies scheint die Folge der Tatsache zu sein, dass jeder Organismus eine bestimmte
Umgebung nötig hat zum Überleben. Stimuli, die diese Umgebung und deren
Sicherheit gefährden, werden, wenn möglich, vermieden.
So sind Höhenangst und z.B. Angst vor neuen Situationen oder unbekannten
Objekten bei Menschen und Tieren ein bekanntes Phänomen. Auch die Angst,
angeschaut zu werden, tritt nicht nur bei Sozialphobikern auf.
Verschiedene Ängste treten in der normalen Kinderentwicklung auf. Viele Ängste
entstehen zwischen dem 2.-4. Lebensjahr und verschwinden mit der Zeit wieder.
Lerntheoretische Erklärung:
Die klassische Konditionierung spielt hier eine wichtige Rolle. Allerdings konnte in
einer
2.2.6
Agoraphobie und Panikstörung
Trennungsangst:
Verschiedene Autoren sehen einen Zusammenhang zwischen Trennungsangst bei
einem Kind und der späteren Entwicklung einer Agoraphobie. So sind nach Bowlby
Angststörungen bei Erwachsenen das Ergebnis langer und vielfältiger Trennung
während der Jugend bzw. der Drohung mit so einer Trennung. Diese
Trennungsangst kann sich nach Bowlby bei Kindern als Schulphobie, bei
Erwachsenen in Form einer Agoraphobie äußern. Seiner Ansicht nach, handelt es
sich in beiden Fällen um die Angst, das Haus zu verlassen, und dies sind wiederum
Beispiele für Trennungsangst.
Einfluss belastender Ereignisse (life events):
Eine Agoraphobie scheint oft nach dem Auftreten eines sehr belastenden
Ereignisses zu entstehen. Beispiele sind der Tod einer geliebten Person, Krankheit,
die Geburt eines Kindes, zunehmende Verantwortung und Beziehungsprobleme.
Life events scheinen aber nicht nur prädiktiv für die Entwicklung von Agoraphobie,
sondern auch für die Entwicklung von Depression, psychosomatischen
Erkrankungen und Schizophrenie (Rückfall).
Weiter spielen auch Persönlichkeitsfaktoren eine wichtige Rolle. Einer davon ist die
subjektive Kontrollüberzeugung. So scheinen negative Effekte eines negativen
Ereignisses eine stärkere Wirkung auf Personen zu haben, die über vorwiegend
externale Kontrollüberzeugung verfügen.
13
Rolle von Panik und Hyperventilation bei der Ätiologie der Agoraphobie:
Panikanfälle sind nicht das direkte Ergebnis körperlicher Prozesse, sondern der
katastrophalen Interpretation dieser körperlichen Zeichen der Hyperventilation. Erst
durch die Überinterpretation entsteht ein Panikanfall.
Systemtheoretische Sicht der Agoraphobie:
Die Annahme von verschiedenen Autoren, dass die Partner von phobischen
Patienten selber psychopathologisch auffällig waren und durch die Krankheit ihrer
Partner ihre eigene Störung zu verstecken wussten, konnte von Arrindell und
Emmelkamp nicht nachgewiesen werden.
2.2.7
Soziale Phobie
Lerntheoretische Erklärung:
Bei 58% der Sozialphobiker scheint ein traumatisches soziales Erlebnis
voranzugehen. Eine andere Erklärung könnte das Modelllernen sein, wo Kinder
ähnliche phobische Veranlagungen zeigten wie ihre Mütter. Wobei hier auch
genetische Faktoren eine Rolle spielen könnten.
Mangel an sozialen Fertigkeiten:
In Untersuchungen konnte die Annahme nicht bestätigt werden, dass Sozialphobiker
grundsätzlich
über
weniger
soziale
Fertigkeiten
verfügten
als
die
Vergleichspopulation. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die
Sozialphobiker glauben, dass sie diese Fertigkeiten nicht besitzen.
Allerdings können soziale Phobiker in der Interaktion tatsächlich so wirken, als
würden sie beschränkt über soziale Skills verfügen. Dies könnte daher kommen,
dass sie während der Interaktion mehr mit sich beschäftigt sind („sie finden mich
sicher komisch“; „ich werde erröten“…) und deshalb dem Gegenüber zu wenig
Aufmerksamkeit schenken, was den Eindruck machen kann, dass sie eben keine
sozialen Fertigkeiten besitzen.
Kognitive Faktoren:
Irrationale Ideen könnten als Ursache von sozialer Angst gesehen werden. Und
obwohl verschiedene Untersuchungen einen solchen Zusammenhang zeigen
konnten, ist die Relevanz dieser Resultate in verschiedener Hinsicht eingeschränkt.
(Kleine Stichproben, keine sozialen Phobiker untersucht, etc.).
Erziehungsstile:
Negative Erfahrungen, in denen die Beurteilung durch andere eine wichtige Rolle
spielte, könnten soziale Angst erklären. Auch scheinen Erziehungsstile der Eltern
wichtig zu sein. Sozialphobiker beschrieben ihre Eltern oft als wenig affektiv,
überfürsorglich. Zudem scheinen Sozialphobiker in der Kindheit wenig Freunde
gehabt zu haben, und ihre Eltern haben sie von sozialen Ereignissen ferngehalten.
14
2.2.8
Zwangsstörung
Lerntheoretische Erklärung:
Die lerntheoretische Erklärung beruht auf der Mowrerschen Zwei-Faktoren-Theorie.
Für den ersten Teil der Theorie, der auf der klassischen Konditionierung beruht,
konnten nur wenige Nachweise gefunden werden.
Mehr Beweise wurden für die zweite Phase (operante Konditionierung) von
Mowerers Theorie gefunden. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass
Zwangsrituale Angst und Spannung reduzieren.
Kognitive Störungen:
Zwangspatienten können nur schwer doppeldeutige Situationen ertragen.
Zwangspatienten scheinen zudem das größere Bedürfnis nach Entscheidungen zu
haben als „Normale“, wollen aber anderseits eine Entscheidung aufschieben, wenn
sie noch mehr Informationen sammeln können. Carr (1974) erklärte dies damit, dass
Zwangspatienten die Wahrscheinlichkeit, dass eine Entscheidung negative Folgen
haben könnte, abnormal hoch einschätzen.
Prämorbide Persönlichkeit und Erziehung:
Nach der psychoanalytischen Theorie haben Zwangspatienten prämorbid eine
zwanghafte Persönlichkeit. Teilweise konnte diese Annahme nachgewiesen werden
(71%).
Zudem hatten die Zwangspatienten prämorbid weniger kritische Lebensereignisse
erlebt, als Patienten ohne eine solche Persönlichkeit.
Rachman (1976) schlug vor, dass Unterschiede im Zwangsverhalten durch
Kontrollzwang in Familien, in denen die Eltern hohe Anforderungen stellen und sehr
kritisch sind. Patienten mit Kontrollzwang versuchen, Fehler zu vermeiden aus Angst
vor Kritik und Schuldgefühlen. Andererseits soll Putzzwang in Familien entstehen, in
denen die Eltern überbeschützend sind.
In der empirischen Überprüfung konnte schließlich nur belegt werden, dass
Zwangspatienten ihre Eltern tatsächlich ablehnender und weniger zärtlich erlebten.
Der Unterschied bezüglich der Typen Kontrollzwang bzw. Putzzwang konnte jedoch
im Erziehungsstil nicht nachgewiesen werden.
Der gefundene prädiktive Erziehungsstil wurde allerdings auch im Zusammenhang
mit anderen psychopathologischen Störungen gefunden und lässt die Aussage zu,
dass solche negativen Erziehungsstile ganz allgemein für Psychopathologie
anfälliger machen.
3.
3.1
Allgemeine Ausgangspunkte bei der Behandlung
Funktionsanalyse und Assessment (Bewertung)
Nach der Feststellung der Diagnose folgt bei der VT eine weitere
Inventarisierungsrunde. Es wird eine Funktionsanalyse erstellt. So können nämlich
Störungen, die unter ein und denselben Nenner fallen im DSM-IV, durch
verschiedene Faktoren verursacht oder aufrechterhalten werden.
Im Folgenden soll nun die Funktionsanalyse kurz besprochen werden. Ich werde
diese Zusammenfassung nicht allzu ausführlich halten, weil die Funktionsanalyse im
Fliegel ausführlicher besprochen wird.
15
Funktionsanalyse:
Bei der Funktionsanalyse, dem Kernstück der VT, sollen die funktionellen Relationen
zwischen der Angststörung und anderen Beschwerdebereichen (Makroanalyse) bzw.
innerhalb einer spezifischen Angststörung (Mikroanalyse) erklärt werden.
Mikro-Analyse:
Die von einem Patienten vorgetragenen Beschwerden müssen genauer analysiert
werden. In den ersten Sitzungen wird sich das Gespräch hauptsächlich auf
• Entstehung
• Verlauf (Hat es Perioden gegeben, in denen die Beschwerden zu- bzw.
abnahmen?)
• heutigen Zustand der Beschwerden konzentrieren:
o Unter welchen Umständen tritt die Angst auf?
o Sind unterstützende Faktoren im Spiel?
o Wie reagiert der Patient, wenn Angst aufkommt?
o Was unternimmt der Patient darüber hinaus, um die Angst zu
reduzieren oder zu vermeiden?
o Welche physischen Empfindungen gehen mit dem Erlebnis der
Angst einher?
o Welche Gedanken hat der Patient während, vor und nach der
Angstepisode?
o Welches
sind
die
kurzfristigen
Konsequenzen
des
Vermeidungsverhaltens?
o Welches
sind
die
langfristigen
Konsequenzen
des
Vermeidungsverhaltens?
Makroanalyse:
Oft stehen die Beschwerden, wegen derer sich ein Patient anmeldet, nicht isoliert. In
den meisten Fällen findet sich eine Verbindung mit anderen Problemgebieten. In der
Makroanalyse werden diese Beziehungen schematisch dargestellt.
Wird eine Behandlung auf der Grundlage einer Makro-Analyse des
Problemverhaltens aufgebaut, wird die Gefahr einer Symptomverschiebung
unweigerlich abnehmen.
Methoden zum Einholen von Informationen:
1. Verhaltensmessungen: Der Patient führt eine Serie von Handlungen aus, bei
denen er vom Verhaltenstherapeut angeleitet wird.
2. In-vivo-Messungen: Der Patient legt eine bestimmte Route zurück. Dabei wird
die Zeit gemessen, die er benötigt, um die Route zu bewältigen.
3. Hyperventilationsprovokation: Die Symptome einer Hyperventilation werden
künstlich provoziert. Weitere Informationen dazu im Kapitel 5.
4. Selbstregistrierung: Der Patient soll ein bestimmtes Verhalten in gewissen
Abständen erfassen. Möglichkeiten sind:
o Strichlisten
o Fragebögen
o Gedanken notieren
Ein Anwendungsbeispiel, wo mehrere Möglichkeiten kombiniert werden, ist auf der
Seite 81 beschrieben (Emmelkamp, 1993).
16
3.2 Beschreibung einiger VT-Strategien
Im Zusammenhang mit der Therapie von Phobikern wurden verschiedene
Therapieformen angewendet. Bis heute hat sich vor allem die VT (vor allem in-vivoExposition) als überzeugend erwiesen. In diesem Kapitel werden deshalb
schwerpunktmäßig VT-Methoden diskutiert.
Die einzelnen klassischen VT-Methoden werde ich hier nicht besprechen, da sie im
Fliegel (1994) ausführlicher beschrieben sind.
• Systematische Desensibilisierung (Fliegel, S. 152ff)
• Flooding (Fliegel, S. 213ff, 233)
• Graduelle in-vivo-Exposition (Fliegel, S. 154, 157, 171, 217)
• Kognitive Therapie und Anxiety-Management: hier gibt es verschiedene
Ansätze zu unterscheiden:
o Rational Emotive Therapy (RET): Ellis (1962) geht davon aus, dass
irrationale Gedanken die Angst verursachen. In der Therapie gilt es,
diese Gedanken zu korrigieren.
o Störungen in kognitiven Prozessen: Beck und Emery (1985) sehen
in der Angst die Schlussfolgerungen aus einer gestörten
Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. Der Patient soll in der
Therapie seine Gedanken auf ihre Richtigkeit überprüfen (mehr
dazu im Kapitel 5).
o Selbstinstruktionstraining: Meichenbaum (1975) geht davon aus,
dass die Angst die Patienten erleben durch negative
Selbstinstruktionen verursacht wird. In der Therapie sollen die
negativen Instruktionen durch positive ersetzt werden.
o Anxiety Management: Wichtige Elemente dieser Methode sind
Entspannung und Selbstinstruktion.
• Andere Interventionen: oft ist es auch sinnvoll indirekt auf die
Angststörungen einzuwirken, indem z.B. soziale Fertigkeiten trainiert
werden, Beziehungsprobleme betrachtet werden etc.
Die kognitive Therapie hat bei phobischen Stichproben in Untersuchungen
schlechter abgeschnitten als die klassische VT-Methoden.
3.3 Die Durchführung der Behandlung
Kurz zusammengefasst sind die erfolgreichsten Expositionsprogramme diejenigen,
die in vivo während einer längeren, ununterbrochenen Periode durchgeführt werden
und bei denen die Flucht verhindert wird.
Allerdings trägt nicht nur die Auswahl des Verfahrens zum Therapieerfolg bei. Auch
andere Variablen beeinflussen die Therapie nachhaltig:
• Therapeutische Beziehung: Einige Psychotherapeuten haben die Vorstellung,
dass die therapeutische Beziehung in der VT bzw. der kognitiven Therapie
weniger wichtig sei als in anderen Therapierichtungen. Dies ist aber nicht so.
• Bei der Exposition muss die Haltung des Therapeuten warm und energisch
sein. Nur leistungsorientierte Therapeuten werden als gefühllos erlebt, was oft
zum Misslingen der Therapie führt.
• Die ersten Sitzungen sind ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der
Therapie. Die wichtigste Dimension scheint „Unterstützung“ zu sein, ein
Sammelausdruck für Variablen wie „positives Feedback geben“, Vertrauen,
Ermutigung und positives Neubenennen.
17
Der Therapeut soll zudem einen fachkundigen Eindruck machen:
Kompetentes Auftreten, angemessene, nicht zu legere Kleidung,
Pünktlichkeit, Respekt etc.
• Widerstand kann auftreten, wenn
o der Therapeut die Therapie ungenügend erkläret hat
o der Patient selbst bestimmte Ideen bezüglich der Entstehung seiner
Beschwerden hat und diese nicht äußern konnte
o er nicht bereit ist für eine Therapie
o er aus den Symptomen einen sekundären Krankheitsgewinn zieht
• Umgang mit Schwierigkeiten während der Behandlung:
o Rückfall: der Therapeut sollte versuchen, den Rückfall umzubenennen
in eine Möglichkeit, das Gelernte in die Praxis umzusetzen.
o Frühzeitiger Therapieabbruch: teilweise kann ein zu Beginn
abgeschlossener Vertrag zwischen Therapeuten und Patienten, den
Patienten bewahren in einem schwierigen Moment abzuspringen.
o Psychopharmaka sollten während der Therapie nicht eingenommen
werden, damit die Gefahr nicht besteht, dass nach Absetzen des
Medikaments und Beenden der Therapie sofort ein Rückfall erlebt wird.
o Den Patienten darauf aufmerksam machen, dass bei Absetzen vom
Medikament (vor allem bei Benzodiazepinen) die Ängste kurzfristig
stark zunehmen können (Rebound-Effekt).
o Funktionsanalyse immer wieder überprüfen, vor allem wenn die
Behandlung zuerst wenig erfolgreich ist.
•
4. Die Behandlung einfacher Phobien
4.1 Forschungsergebnisse
Einfache Phobien sind sehr häufig, gelangen aber selten zur Behandlung, da sie oft
das alltägliche Leben nicht beeinträchtigen. Viele Untersuchungen mussten sich
deshalb mit Versuchspersonen begnügen, die eine einfache Phobie mehr als
sekundäre Störung aufwiesen. Diese Resultate aus solchen Studien sind nur bedingt
auf echte phobische Patienten generalisierbar.
Anfänglich wurden einfache Phobien durch Systematische Desensibilisierung und
imaginäre Reizüberflutung behandelt, wobei beide Verfahren gleich erfolgreich
waren. Zu Beginn der 70er Jahre wurden die ersten in-vivo-Behandlungen
durchgeführt. Die Ergebnisse bezüglich der einfachen Phobien waren eindeutig: in
allen Untersuchungen waren in-vivo-Verfahren effektiver als imaginäre Verfahren.
Bei in-vivo-Verfahren wurde untersucht, welchen Effekt das Therapeutenverhalten
hatte: Einerseits machte der Therapeut das gewünschte Verhalten vor (modeling),
andererseits assistierte der Therapeut. Resultate dazu sind widersprüchlich.
Das zusätzliche Erlernen von kognitiven Bewältigungsstrategien nebst der in-vivoExposition scheint zur Behandlung nichts beizutragen. Nur im Zusammenhang mit
Höhenangst konnten in einer Studie kognitive Strategien als Unterstützung dienen.
Untersucht wurden auch Zusammenhänge zwischen Behandlungsfaktoren und
individuellen Eigenschaften der Patienten. Klaustrophobiker wurden in zwei Gruppen
eingeteilt: „behavioral reactors“ und „physiological reactors“. In jeder Gruppe erhielt
die Hälfte der Patienten eine mehr physiologisch orientierte Methode (Entspannung)
oder eine mehr verhaltenstherapeutisch orientierte Methode (in-vivo-Exposition).
Resultate: die in-vivo-Exposition war bei den „Behavioral reactors“ erfolgreicher und
die Entspannung bei den „Physiological rectors“. So kann es vernünftig sein einem
Patienten Entspannungsmethoden lernen zu lassen und diese während der in-vivoExposition anzuwenden.
18
4.2 Die Durchführung der Behandlung
Wie bei anderen in-vivo-Expositionen, gilt auch bei der einfachen Phobie,
• dass eine langfristige Exposition besser ist als eine kurzfristige
• dass eine hohe Expositionshäufigkeit (täglich) besser ist als eine niedrige
(1x pro Woche)
• dass die Behandlung zu einem beträchtlichen Teil vom Patienten selbst
durchgeführt werden kann.
Als erstes muss die funktionale Analyse gemacht werden: Darin werden
Informationen gesammelt, die Auskunft darüber geben, wann das Problemverhalten
auftritt, wie es genau aussieht, welche Stimuli eine Rolle spielen, welche
Konsequenzen dies für das alltägliche Leben hat und welche Kognitionen eine Rolle
spielen. Es soll auch geklärt werden, welche Faktoren zur Entstehung beigetragen
haben und welche das Verhalten aufrechterhalten.
Während der Funktionsanalyse sollen auch die Ziele der Therapie festgelegt werden.
Die Zielsetzungen sollen angemessen sein: Der Hundephobiker soll nicht lernen
spontan alle Hunde auf der Strasse streicheln zu können, sondern an fremden
Hunden vorbeigehen oder den bekannten Hund eines Nachbarn streicheln zu
können. Allerdings ist es oft erwünscht, dass sich der Patient in der Therapiephase
Situationen ausliefert, die viel schwieriger sind, als diejenigen, die in Wirklichkeit
auftreten werden oder der höchsten Zielsetzung entsprechen.
Zu Beginn der Behandlung erklärt der Therapeut, wie die Phobie aufrechterhalten
wird, wobei auch die Rolle von Vermeidungsverhalten und Kognitionen erläutert
werden soll. Die Grundlagen der in-vivo-Exposition sollen ebenfalls dargelegt
werden. Wichtig sind auch die Instruktionen am Ende einer Therapiesitzung, wo der
Patient darauf hingewiesen werden muss, dass er in seinem Alltag, die gefürchtete
Situation nicht mehr vermeiden darf, im Gegenteil er soll sie sogar aufsuchen. Die
Patienten können auch mit Hausaufgaben zur Konfrontation aufgefordert werden.
Nach Öst (1989) kommen im Prinzip alle Phobien für eine in-vivo-Exposition in
Frage, vor allem
• Tierphobien
• Angst vor dem Arzt
• Höhenangst
• Blut- bzw. Verwundungsphobien
Dabei konnte er nachweisen, dass Tierphobiker meist mehr Behandlungszeit
benötigen als Insektenphobiker. Die durchschnittliche Dauer einer Expositionssitzung
beläuft sich auf 2 Stunden.
Vorbehalte zum Gelingen der Therapie macht Öst (1989) bei Flugangst und
Klaustrophobie. Allgemein die wichtigsten Kriterien zum Gelingen einer Therapie
sind:
• Phobie als einzige Störung
• Gut umschriebener phobischer Stimulus (monosymptomatische Phobie)
• Ausreichende Motivation des Klienten
• Bereitschaft des Klienten sich kurzfristig großer Angst auszusetzen.
Zur Erreichung einer Gewöhnung sind oft mehrere Expositionssitzungen notwendig.
Dies gilt vor allem bei Patienten mit einer
• Sturm- und Gewitterphobie
• Lärmphobie
• starken Klaustrophobie
• Blut- und Verwundungsphobie
• Schluckangst
19
Die Behandlung von Blutphobie:
Blutphobiker haben ein diphasisches Reaktionsmuster. Nach einer kurzen Zunahme
von Blutdruck und Herzschlag bei der Konfrontation mit einem blutigen Stimulus,
folgt eine drastische Abnahme von Blutdruck und Herzschlag. Deshalb fragt sich, ob
die in-vivo-Exposition in diesem Falle geeignet ist.
Bis anhin wurde allerdings auf diesem Gebiet nur wenig geforscht, obwohl die
Blutphobie eine der häufigsten einfachen Phobien ist.
In einer Studie von Öst (1984) war die in-vivo-Exposition effektiver als eine aktive
Form von Entspannung (applied relaxation, Kapitel 8).
Bei der Durchführung einer in-vivo-Exposition bei Blutphobiker müssen folgende
Punkte beachtet werden:
• Das Behandlungsziel soll hier nicht die Abnahme eines Erregungsniveaus
sein, sondern gerade die Zunahme (bis zum normalen Niveau)
• Durch den drastischen Abfall der Herztätigkeit am Anfang der
Konfrontation ist ein Herzstillstand möglich. Deshalb ist es notwendig,
einige Sicherheitsvorkehrungen zu treffen vor der Durchführung.
• Entspannungstechniken sollten nicht angewendet werden, da diese den
Herzrhythmus und den Blutdruck zusätzlich senken.
Kozak und Montgomery (1981) verwendeten sogar eine Anspannungstechnik, um
den Blutdruck und den Herzschlag zu erhöhen (applied tension). Diese
Anspannungstechnik kann in mehreren Sitzungen erlernt werden und anschließend
vom Patienten bei Feststellen einer Blutdruckabnahme, bzw. Verlangsamung des
Herzrhythmus, angewendet werden.
Als Expositionsmöglichkeit haben sich folgende bewährt:
• Betrachten von blutigen Videos (Operationen)
• Zuschauen beim Blutspenden bzw. eigenes Blutspenden
• Über blutige Themen sprechen
• Teilnahme an Operationen im Spital
5. Die Behandlung von Panikstörung und Agoraphobie
5.1 Forschungsergebnisse
Zuerst wird die Literatur zur Behandlung von Agoraphobie besprochen, vor allem
Exposition und kognitive Ansätze, danach werden Modelle zur Behandlung von
Panikattacken vorgestellt.
Exposition bei Agoraphobie:
Die Effektivität von Expositionsbehandlungen wurde ausführlich untersucht. Die
Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:
1. in-vivo-Exposition ist effektiver als imaginäre Exposition
2. Langfristige Exposition ist effektiver als kurzfristige Exposition
3. schnelle Exposition ist effektiver als langsam durchgeführte
4. häufiges Üben ist effektiver als Üben mit großen Pausen
5. Exposition in der Gruppe ist in etwa genauso effektiv wie individuell
durchgeführte Exposition
6. die Behandlung kann als Selbsthilfeprogramm durchgeführt werden
7. die Effekte von Expositionsprogrammen sind dauerhaft
8. individuelle Reaktionsmuster spielen keine Rolle bei der Effektivität der invivo-Exposition
20
Kognitive Therapie bei Agoraphobie:
Kognitive Verfahren haben das Ziel, die angstauslösenden Gedanken in produktive
Gedanken umzuwandeln.
1. in-vivo-Exposition ist effektiver als rational-emotive Therapie und
Selbstinstruktionstraining
2. Behandlung, deren Ziel eine Verbesserung des Problemlösevermögens ist,
verbessern den Expositionseffekt, allein sind sie aber nicht effektiv.
Partner und die Behandlung von Agoraphobie:
Die Hilfe eines Partners oder Freundes erhöht die Effektivität von
Expositionsbehandlungen nicht. In Kapitel 2 wurde schon auf den fehlenden
ursächlichen Zusammenhang zwischen der Qualität der (ehelichen) Beziehung und
der Agoraphobie eingegangen. Ehezufriedenheit scheint kein Prädiktor für den Erfolg
einer Behandlung mit in-vivo-Exposition zu sein.
Kognitive Therapie bei Panikstörung:
Clark (1986) schlägt vor, dass ein Panikanfall als Folge einer falschen Interpretation
von an sich harmlosen körperlichen Empfindungen, die z.B. durch Hyperventilation
verursacht werden, verstanden werden kann.
Die Behandlung, die Clark vorschlägt, besteht aus einer Erklärung und Diskussion
der Rolle der Hyperventilation bei Panikanfällen, dem Verschreiben von
Atemübungen und der Neubenennung von den körperlichen Symptomen.
In zwei Untersuchungen (allerdings ohne Kontrollgruppe) konnten dadurch die
Panikanfälle reduziert werden.
5.2 Die Durchführung der Behandlung
In diesem Kapitel werden zwei Behandlungsstrategien ausführlich besprochen; die
eine richtet sich auf das Vermeidungsverhalten des Agoraphobikers, die andere auf
den Umgang mit Panikanfällen.
Eine Expositionsbehandlung bei Agoraphobie:
Das Verfahren besteht aus den folgenden 3 Elementen:
1. Erklärung des Behandlungskonzepts: In diesem Teil soll der Patient mit der
Behandlungsart, dem Ziel der Behandlung und möglichen auftretenden
Problemen während der Behandlung vertraut gemacht werden. Der Patient
soll wissen, dass viel von ihm erwartet wird, er selbst eine große
Verantwortung trägt.
2. Aufstellen der Angsthierarchie: Es wird ein Angstthermometer erstellt, das
hierarchisch geordnet Situationen enthält, die gar keine Angst auslösen (0)
bzw. die maximale Angst auslösen (100). Die Hierarchieliste kann in der
Therapie oder als Hausaufgabe erstellt werden. In dieser Phase soll auch das
Therapieziel definiert werden. Das Ziel soll so gefasst werden, dass es auch
tatsächlich realistisch ist, bis dahin zu gelangen.
3. Durchführen und Besprechen der Expositionsaufgaben: Die Hausaufgaben
werden notiert und in Form eines strukturierten Tagebuchs können die
durchgeführten Hausaufgaben notiert werden. Jeder Aufgabe sollten 1 ½-2
Stunden gewidmet werden, damit eine Abnahme der Angst in der Situation
auch tatsächlich erlebt werden kann. In der Therapiesitzung ist es dann
jeweils wichtig die gemachten Erfahrungen zu besprechen und Teilerfolge zu
betonen, um erneute Frusterlebnisse zu vermeiden und negativen
Bewertungen vorzubeugen.
21
In-vivo-Exposition als Hausaufgabe hat mehrere Vorteile gegenüber einer
Exposition zusammen mit dem Therapeuten: Der Patient ist
selbstverantwortlich, kann die Erfolge besser generalisieren und in der
Therapie kann die Zeit für die Aufarbeitung des Erlebten verwendet werden
und nicht nur für die zeitaufwendigen Expositionsaufgaben. Die Häufigkeit von
gemeinsam durchgeführten Expositionsübungen hängt von Faktoren ab, wie
Art und Ausprägung der Störung, dem Motivationsgrad des Patienten.
Kognitive Therapie bei Panikstörung:
Auslöser
Katastrophale
Interpretation
Angst
Überatmen
Abnahme CO2
Zunahme pH
Wahrnehmung
Körperliche Symptome
Das Ziel der Behandlung ist, die katastrophalen Gedanken durch realistischere oder
rationalere zu ersetzen. Interventionen, die sich auf die Verbesserung der Atmung
konzentrieren, haben in diesem Rahmen eine therapeutische Funktion.
Beim Verfahren von Clark geht es um das Durchbrechen eines zirkulären Prozesses
(s. nächste Abbildung):
1. ein externer oder interner Stimulus wird als bedrohlich wahrgenommen (1)
2. dies löst eine gewisse Angst aus (2)
3. es wird nun zu stark eingeatmet (CO2-Gehalt des Blutes sinkt, pH-Wert steigt)
4. als Folge treten verschiedene körperliche Symptome auf
5. der Patient nimmt diese Symptome wahr und interpretiert sie als katastrophal
6. dadurch nimmt die Angst noch zu und der Kreis beginnt neu
In der Behandlung sind die folgenden Schritte zu unterscheiden:
1. Inventarisierung von körperlichen Symptomen und Kognitionen: Der Patient
beschreibt, wie er sich während eines Panikanfalls fühlt, was er denkt etc.
2. Hyperventilationsprovokation: Die obige Inventarisierung kann oft verzerrt
sein, deshalb kann es sinnvoll sein, beim Patienten durch eine provozierte
Hyperventilation eine Panikattacke mitzuerleben. Für den Patienten kann dies
auch der erste Lernschritt bedeuten.
3. Nachbesprechung der Provokation: Nach dem Test müssen Ähnlichkeiten und
Unterschiede zu einer richtigen Panikattacke besprochen werden. Dieser
Vergleich kann mittels eines Fragebogens geschehen, der jeweils für die
echte Panikattacke bzw. die provozierte ausgefüllt wird.
4. Diskussion über die Rolle der Hyperventilation: Dem Patienten kann durch
das Prinzip der Hyperventilation erklärt werden und das Schema wie es oben
dargestellt ist.
5. Training von Bauchatmung: Eine der Schlussfolgerungen aus der Darstellung
der Hyperventilation ist, dass eine andere Atmung erlernt werden muss: die
tiefe Atmung in den Bauch und nicht mehr wie bei der Hyperventilation
typische in den oberen Brustkorb
22
6. Erlernen nicht-katastrophaler kognitiver Reaktionen: Das Hauptziel ist das
Erlernen adäquater nicht-katastrophaler Kognitionen. Der Patient soll lernen,
dass er mit seinen Gedanken den Teufelskreis immer mehr beschleunigt,
ohne dass tatsächlich ein objektiver Grund dazu da wäre.
7. Verhaltensexperimente: Auch in der kognitiven Therapie müssen bestimmte
Aktivitäten ausgeführt werden, die zur Verifikation bzw. Falsifikation von
katastrophalen Interpretationen führen. Eigentlich ist dies ähnlich wie bei einer
Expositionsbehandlung.
8. Identifikation und Modifikation der Panikauslöser: Personen mit Panikattacken
haben meistens den Eindruck, dass der Anfall wie aus heiterem Himmel
kommt. Deshalb ist es wichtig, immer wieder zu erarbeiten, was alles vor dem
Panikanfall getan, gedacht wurde, um die Stimuli zu eruieren und für den
Patienten die Situation kontrollierbarer zu gestalten.
6. Die Behandlung von sozialer Phobie
6.1 Forschungsergebnisse
In den 60er und 70er Jahren lag die Betonung auf einem Mangel an sozialen
Fertigkeiten, der vor allem durch inadäquate Sozialisationsprozesse entstanden ist.
Hier müssen neue soziale Fertigkeiten gelernt werden.
Im zweiten Modell, in dem die konditionierte Angst im Mittelpunkt steht, liegt die
Betonung daher auf der Angst, die durch eines oder mehrere unangenehme
Erlebnisse entstanden ist und sich auf alle möglichen sozialen Situationen
ausgeweitet hat. Hier ist das Ziel einer Behandlung, die Reduktion der Angst.
Erst in den 80er Jahren kam mehr Interesse auf für mögliche kognitive Prozesse, die
Angst auslösen oder verstärken können. In diesem Modell der kognitiven Inhibition,
wird angenommen, dass vor allem irrationale, unrealistische Erwartungen und
Einstellungen des Betroffenen für die Entstehung und Aufrechterhaltung von sozialer
Angst verantwortlich sind.
Ausgehend von den verschiedenen theoretischen Modellen, wurden im Lauf der
Jahre diverse therapeutische Strategien entwickelt.
Nachfolgend sollen die wichtigsten kurz erwähnt werden, zusammen mit den
Ergebnissen aus der Therapieforschung:
1. Systematische Desensibilisierung zeigt bei Sozialphobikern fast keine
Wirkung (z.B. Hall&Goldber, 1977)
2. Reizüberflutung ist bei Sozialphobikern wenig brauchbar (Shaw, 1979)
3. Entspannung ist vor allem bei den Sozialphobikern von Nutzen, die in sozialen
Situationen eine erhöhte körperliche Aktivität zeigen.
4. Training von sozialen Fertigkeiten kann oft zu einer andauernden
Verbesserung führen als Systematische Desensibilisierung.
5. in-vivo-Exposition gilt als Behandlung effektiv
6. Kognitive Verfahren sind ebenso effektiv wie in-vivo-Exposition
7. Kombinierte Verfahren zeigten sich effektiver als die reine Anwendung von
kognitiven Verfahren bzw. in-vivo-Exposition
8. es scheint effizienter zu sein, verschiedene Verfahren hintereinander zu
verwenden, als mehrere parallel
9. individuelle Behandlung ist genauso effektiv wie Gruppenbehandlung
23
6.2 Die Durchführung der Behandlung
Zuerst sollen hier verschiedene häufige angewendete Verfahren besprochen
werden. Anschließend wird noch kurz die Behandlung von speziellen Formen der
sozialen Phobie angesprochen.
Verschiedene Behandlungsformen:
In allen Fällen ist immer zuerst eine genaue Funktionsanalyse notwendig.
1. Training sozialer Fertigkeiten: pro Sitzung wird eine bestimmte Fertigkeit
behandelt. Das tatsächliche Verhalten des Patienten wird in einem
rekonstruierenden Rollenspiel dem Therapeuten gezeigt. Danach soll der
Patient sagen, wie er sich gerne verhalten hätte und welches Verhalten
effektiver wäre. Dann erfolgt das Einüben angestrebten Verhaltens. Mögliche
Probleme beim sozialen Kompetenztraining: soziale Phobie kann sich im
Kontakt mit dem Therapeuten äußern. Darauf muss eingegangen werden.
2. Kognitive Therapie: hier geht es wieder darum, irrationale Gedanken zu
erkennen und umzubenennen. Bei der rational-emotiven Therapie von Ellis
wird vom ABCDE-Schema ausgegangen, wobei es folgendes bedeutet:
o A: Activation event: die objektive Beschreibung des Ereignisses
o B: Beliefs: die irrationalen, spannungsauslösenden Gedanken
o C: Consequence: die emotionalen Folgen (Gefühle) der Gedanken
o D: Discussion: die Fragen, die gestellt werden, um Gedanken unter B
an der Wirklichkeit zu testen
o E: Evaluation: die rationaleren Gedanken, die die Folge der
Herausforderung unter D sind.
Ziel der Behandlung soll vor allem sein, dass der Patient lernt, seine
Gedanken kritisch zu betrachten, sie in Frage zu stellen und umzubenennen.
3. in-vivo-Exposition: die Anwendung von in-vivo-Exposition führt bei der
sozialen Phobie zu einigen Problemen:
o Die meisten sozialen Situationen sind vorhersagbar und deshalb ist es
nicht einfach, eine gute Hierarchie aufzustellen.
o Viele soziale Situationen dauern nur kurz und meistens zu kurz, damit eine
Reduktion der Angst erfolgen kann.
o Es herrscht der Eindruck, dass Sozialphobiker bereits im Alltag genügend
Exposition erleben.
o Bei der Agoraphobie steht die Angst im Mittelpunkt, körperliche
Beschwerden zu erleben in der angstauslösenden Situation. Bei
Sozialphobikern steht die Angst vor der kritischen Beurteilung durch
andere im Mittelpunkt. In vielen Fällen kann darüber keine Information
erlangt werden.
Daher ist es oft hilfreicher, bestimmte Themen, die sich in den
angstauslösenden Situationen wiederholen herauszuarbeiten und weniger
eine Angsthierarchie im klassischen Sinne zu erstellen.
4. Gruppen- vs. Einzelbehandlung: Gruppentherapie hat den wichtigen Vorteil
der dauernden Exposition im sozialen Kontakt. Zudem sind viele
Sozialphobiker überzeugt, dass andere das gleiche haben, sehr relativierend
wirken. Im Rollenspiel können zudem die anderen mitspielen. Der große
Nachteil besteht darin, dass oft zu wenig Zeit ist, um auf die individuellen
Probleme einzugehen. Zudem kann die Gruppe auf den Sozialphobiker auch
die gegenteilige Wirkung haben, in dem sie finden, dass sie sogar unter
Leuten mit ähnlichen Problemen noch auffällig sind.
24
7. Die Behandlung von Zwangsstörungen
7.1 Forschungsergebnisse
Exposition und Reaktionsverhinderung:
Für die klinische, stationäre Behandlung von Zwangspatienten entwickelten Meyer et
al. (1974) ein Programm aus einer Kombination von Reaktionsverhinderung,
Modelling und in-vivo-Exposition. Der Ablauf der Behandlung kann folgendermaßen
beschrieben werden:
1. Erstellen der Funktionsanalyse
2. Verhindern am Ausführen der Zwangsrituale durch das Pflegepersonal
3. Nach der Elimination der Zwangsrituale, Konfrontation mit stärkeren
Stressmomenten. Der Therapeut dient als Modell, macht die Handlungen vor,
der Klient soll sie anschließend kopieren.
Die Ergebnisse von Studien, die sich an diesem Modell orientierten werden im
Folgenden besprochen:
1. Graduelle in-vivo-Exposition ist ebenso effektiv wie in-vivo-Flooding
2. Modelling durch den Therapeuten resultiert in der Regel nicht in einem
größeren Behandlungseffekt
3. Selbstkontrollierte Exposition ist genauso effektiv wie durch den Therapeuten
kontrollierte Exposition
4. die Einbeziehung des Partners steigert den Erfolg der Behandlung nicht
5. längere Expositionssitzungen sind effektiver als kürzere
6. Exposition führt im Allgemeinen zu einer stärkeren Verringerung der Angst im
Vergleich zu Reaktionsverhinderung, während Reaktionsverminderung in der
Regel in einer größeren Abnahme der Zwangsrituale resultierte. Die
effektivste Behandlung bestand in der Kombination von beiden Varianten
7. Bei Zwangspatienten ist der Unterschied im Effekt von in-vivo- bzw.
imaginärer Exposition weniger deutlich als dies bei der einfachen Phobie oder
der Agoraphobie war (in-vivo-Exposition war deutlich überlegen)
8. Konzentrierte Exposition (4 Sitzungen pro Woche) ist nicht effektiver als
dekonzentrierte Exposition (2 Sitzungen pro Woche)
9. eine ambulante Behandlung ist oftmals genauso effektiv wie eine stationäre
Behandlung
10. die Behandlungseffekte sind von dauerhafter Natur
11. Folgende Faktoren scheinen mit dem Behandlungserfolg negativ zu
korrelieren:
o Ernst und Dauer der Beschwerden
o Art des Zwangs (Kontrollzwang hat eine schlechtere Prognose als
Waschzwang)
o Wahnartige Zwangsgedanken
o Negative Erziehungserfahrungen
12. Kognitive Therapie ist genauso effektiv wie in-vivo-Exposition
Zwang kann auch der Verdrängung schmerzvoller Emotionen dienen. Hier ist es
dann nicht angebracht, ausschließlich die Zwangshandlungen zu beschreiben, viel
mehr muss nach der Quelle des Zwangs gesucht werden, damit die Behandlung
erfolgreich sein kann.
25
7.2 Durchführung der Behandlung bei Zwangsverhalten
Nach der Erfassung der benötigten Information über den Zwang konstruiert der
Therapeut eine Hierarchie. Dann konstruiert er Aufgaben, zusammen mit dem
Patienten, die jeweils ein Element der Reaktionsverhinderung und ein
Expositionselement umfassen. Der Patient ordnet diese Aufgabe dann auf dem
Kontinuum des Angstthermometers ein.
Wichtig ist, dass der Patient erkennt, dass sein Problem sowohl durch die passive
als auch die aktive Vermeidung (Zwangshandlung) aufrechterhalten wird.
Bei einem Expositionsprogramm für Reinigungszwang besteht die Behandlung z.B.
darin, dass der Patient zuerst mit „verseuchtem“ Material konfrontiert wird uns sich
danach nicht waschen darf. Die Exposition mit diesen Stimuli wird so lange
fortgesetzt, bis Furcht und Spannung des Patienten abnehmen.
Für Patienten mit Kontrollzwang ist es sehr wichtig, dass sie sich für ihr Verhalten
während der Exposition selbst verantwortlich fühlen. Zudem soll die gleiche Übung
pro Sitzung nur einmal durchgeführt werden. Ansonsten kann es dazu kommen,
dass bei der zweiten Durchführung nur noch kontrolliert wird, ob es beim ersten Mal
gut gemacht wurde.
Für eine erfolgreiche Therapie kann es oft notwendig werden, dass die
Familienmitglieder über den Mechanismus des Zwangs instruiert werden. Wenn
jemand z.B. sehr unsicher ist und aus Zwang immer wieder belanglose Fragen
stellen muss, damit er sich beruhigen kann, soll die Familie dies wissen, damit
solche zwanghaften Fragen nicht mehr beantwortet werden.
7.3 Falldarstellung: Die Behandlung von Annette
Die Falldarstellung wird nicht zusammengefasst (s. S. 172-184)
7.4 Durchführung der Behandlung bei Zwangsgedanken
Die VT-Behandlung von Zwangsgedanken wurde in der Forschung weitaus weniger
behandelt als die VT-Behandlung von Zwangshandlungen. Die Ursache dafür liegt in
der Tatsache, dass Zwangsgedanken, zumindest ohne die Erscheinung von
Zwangshandlungen, nur relativ selten vorkommen oder nicht direkt ersichtlich sind.
Grundsätzlich lassen sich folgende Behandlungsformen unterscheiden:
1. Behandlungen, gerichtet auf das Beenden der Zwangsgedanken
(Gedankenstopp und Aversionstherapie)
2. Behandlungen, gerichtet auf Gewöhnung (lang andauernde Exposition und
Saturationstraining)
3. Behandlungen, die nicht direkt auf die Zwangsgedanken gerichtet sind,
sondern auf tiefer liegende Probleme
Gedankenstopp-Methoden:
Wolpe (1958) introduzierte die Gedankenstopp-Methode und beschrieb ihre
erfolgreiche Anwendung bei einer Reihe von Patienten mit Zwangsgedanken.
Danach haben auch andere Autoren über Erfolge mit der Gedankenstopp-Methode
berichtet.
In keiner der 4 auf diesem Gebiet publizierten Studien konnte sich Gedankenstopp
als effektiver als Kontrollmethoden erweisen.
Aversionstherapie (Elektroschock beim Melden eines Zwangsgedanken) ist effektiver
als Nichtbehandlung.
Ein Problem scheint dabei zu sein, dass in der Literatur über GedankenstoppMethoden nicht unterschieden wird zwischen Zwangsgedanken, die Angst
hervorrufen und solchen, die eine Angst reduzierende Wirkung haben.
26
Konfrontation mit den Zwangsgedanken (imaginäre Exposition):
Rachman (1976) wählte als Ausgangspunkt die Hypothese, dass man
Zwangsgedanken als aversive Stimuli betrachten kann, an welche sich Patienten nur
mit Mühe gewöhnen können. Als Behandlungsmethode schlägt Rachman ein
Sättigungstraining vor. Bei dieser Behandlung werden die Patienten aufgefordert,
ihre Zwangsgedanken in allmählich länger werdenden Perioden aufzurufen.
Daneben erhalten sie Instruktionen zur Reaktionsverhinderung, falls den
Zwangsgedanken neutralisierende Gedanken (Handlungen) folgen. Der Effekt dieser
Behandlung ist aber bei Zwangspatienten noch nicht untersucht.
Emmelkamp und Kwee (1977) entwickelten eine Methode, die auf Gewöhnung
beruht. Hier werden die Patienten während mindestens 60 Minuten ununterbrochen
den Zwangsgedanken ausgesetzt und dabei von der spannungslösenden Reaktion
darauf abgehalten. Erst wenn eine bestimmte obsessive Szene keine Angst mehr
weckt, wird sie nicht mehr angeboten. Hier werden von Anfang an die stärksten
Stimuli verwendet. Emmelkamp (1982) konnte den Effekt dieser Behandlung in einer
Untersuchung nachweisen.
Andere Behandlungen:
Bei vielen Zwangsgedanken spielt das Thema, sich selbst oder anderen
Verletzungen zuzuführen eine wichtige Rolle. Diese Patienten zeigen oft
Subassertivität. Emmelkamp&van der Heyden (1980) untersuchten die Hypothese,
ob Zwangsgedanken dadurch entstehen, dass aggressive Gefühle zurückgehalten
und daraus Schuldgefühle resultieren. Nun stellt sich die Frage, ob ein adäquater
Umgang mit Aggression letztendlich zu einer Abnahme derartiger Zwangsgedanken
führen würde. Emmelkamp&van der Heyden führten mit Zwangspatienten ein
Assertivitätstraining durch und stellten fest, dass der Effekt dieser Methode sogar
größer war, als jener bei Patienten mit Gedankenstopp-Behandlung.
7.5 Abschließendes
Die Annahme scheint gerechtfertigt, dass
1. imaginäre Exposition eine gute Behandlungsform ist bei Zwangsgedanken
2. der Effekt von Gedankenstopp weniger deutlich ist
3. bei Zwangsgedanken mit dem Thema Verletzungen andere Personen ein
Assertivitätstraining eine bedeutende Hilfe sein kann
8. Die Behandlung der übrigen Angststörungen
In den vorherigen Abschnitten wurden Störungen behandelt, die bereits seit
geraumer Zeit als solche benannt werden. Wesentlich jüngeren Datums ist die
Aufmerksamkeit für Störungen, die nun hier besprochen werden sollen: die
posttraumatische Belastungsstörung bzw. die generalisierte Angststörung.
8.1 Posttraumatische Stressstörung
Forschungsergebnisse:
Im Rahmen des lerntheoretischen Modells wird die Entwicklung der
posttraumatischen Belastungsstörung anhand klassischer und operanter
Konditionierung erklärt: das traumatische Ereignis fungiert als aversiver
unkonditionierter Stimulus (UCS), welcher in extremer Spannung resultiert. Durch
einen Konditionierungsprozess werden neutrale Stimuli, die mit der traumatischen
Situation assoziiert werden, zu konditionierten Stimuli (CS), die anschließend die
Angstreaktion selbständig hervorrufen können. Dies führt zur Vermeidung dieser
konditionierten Stimuli.
27
Die Behandlung umfasst in den meisten Fällen eine direkte oder imaginäre
Expositionsmethode.
Veronen
und
Kilpatrick
(1983)
untersuchten
den
Effekt
eines
Stressmanagementtrainings
bei
Opfern
von
Vergewaltigungen.
Das
Stressmanagementprogramm wurde verglichen mit den Effekten von einer
systematischen Desensibilisierung. Beide Verfahren zeigten vergleichbare Effekte.
In einer Untersuchung von Defares und Brom (1986) wurden
o Traumadesensibilisierung
o Hypnose und
o psychodynamische Methode verglichen.
Alle drei Behandlungsweisen führten zu gleich großen, deutlichen Besserungen
hinsichtlich der Beschwerden und Verarbeitung, während sich diese in der
Kontrollgruppe nicht änderten.
Frank et al. (1988) verglichen die kognitive Therapie nach Beck mit der
systematischen
Desensibilisierung
bei
Vergewaltigungsopfern.
Beide
Behandlungsformen zeigten sich gleich erfolgreich.
Durchführung der Behandlung:
Bei der Behandlung posttraumatischer Stressstörung kommt der Qualität der
therapeutischen Beziehung großes Gewicht zu, weitaus mehr als bei der
Behandlung anderer Angstbeschwerden. Hier muss auch immer wieder beurteilt
werden, wie die psychische Elastizität der betroffenen Person und die Risiken von
Dekompensation oder Selbstmord aussehen.
Häufig besteht eine posttraumatische Belastungsstörung nicht isoliert, sondern
neben anderen Beschwerden wie anderen Angstsyndromen und Depression. Bei der
Therapie müssen diese anderen Beschwerden auch berücksichtigt werden, damit
der Erfolg erzielt werden kann.
8.2 Generalisierte Angststörung
Forschungsresultate:
Bei vielen Personen, die an einer generalisierten Angststörung leiden, tritt zusätzlich
eine Alkoholsucht oder eine Abhängigkeit von Anciolytica auf. Die
Behandlungsansätze sind vor allem dadurch geprägt.
In der Forschung haben sich vor allem Entspannungstechniken und die Modifikation
angstauslösender Kognitionen als effektiv erwiesen.
Entspannungsübungen:
Der Patient soll lernen, die gelernten Entspannungsübungen in dem Augenblick
durchzuführen, sobald er die somatischen Symptome der Spannung zu erkennen
beginnt.
Weit verbreitete Techniken sind:
o Anxiety Management Training (AMT): Dies ist eine Kombination von
Entspannung,
beruhigendem
Self-Talk
und
dem
Hervorrufen
angstauslösender und beruhigender Vorstellungen (image switching).
Teilweise wird das image switching ersetzt durch eine in-vivo-Exposition,
wodurch noch bessere Resultate erzielt werden konnten, als dies bereits mit
dem ursprünglichen AMT möglich war. AMT wurde auch verglichen mit GT
und einer Kontrollgruppe. Das AMT schnitt am besten ab, aber auch die
Patienten, die mit GT behandelt wurden machten große Fortschritte.
o Applied relaxation (AR): siehe Durchführung der Behandlung
o Cue controlled relaxation: siehe Durchführung der Behandlung
28
Kognitive Therapie:
Kognitive Umstrukturierung allein scheint wenig wirksam zu sein. Eine Kombination
mit anderen Verfahren (Entspannungsübungen, systematische Desensibilisierung)
zeigte sich jedoch als erfolgreich.
Allerdings gibt es nur wenige, methodisch korrekte Studien, die kognitive Verfahren
mit anderen vergleichen und so können keine harten Folgerungen gezogen werden.
Durchführung der Behandlung:
Öst (1986) führte die Applied relaxation ein. Der Patient soll hier lernen, die ersten
Zeichen der Angst zu erkennen und mit ihr umzugehen. Bei der Einübung dieser
Methode durchläuft der Patient folgende Phasen:
1. Phase: Der Patient übt die Progressive Relaxation (an- und entspannen von
verschiedenen Muskelgruppen).
2. Phase: Das Anspannen der Muskeln entfällt, der Patient übt direkt das
Entspannen.
3. Phase: Hier wird die cue controlles relaxation geübt. Das Wort „Entspann“
wird konditioniert mit der tatsächlichen Entspannung. Nach einigem Training
lernt der Patient so, sich innerhalb von etwa 3 Minuten zu entspannen.
4. Phase: Die Entspannung wird auf verschiedene Situationen generalisiert
(Applied relaxation).
5. Phase: Der Patient trainiert eine noch schnellere Relaxation, indem er sich
täglich 15-20 Mal entspannt. Ziel: Entspannung in ca. 30 Sekunden.
Wichtig ist hier vor allem, dass zuerst Medikamente abgesetzt werden oder eine
Alkoholtherapie vorher oder zumindest parallel läuft.
Zu den beiden Syndromen ist allgemein noch nicht viel Forschungsarbeit geleistet
worden, da beide noch nicht lange als Störungsbilder katalogisiert worden sind.
9. Psychopharmakologische Behandlung
An der Regulierung der Angst scheinen 3 Neurotransmittersysteme beteiligt:
1. Benzodiazepin-GABA-System: Gamma Amino Buttersäure (GABA) scheint
bei der Senkung der Arousal eine Rolle zu spielen.
2. Noradrenalinsystem: Die Hyperaktivität dieses Systems kann an der
Entstehung von Panikanfällen eine Rolle spielen.
3. Serotoninsystem: Sowohl das Noradrenalin- als auch das Serotoninsystem
sollen eine Funktion beim Hang zum Grübeln und eine wichtige Rolle bei
Zwangsstörungen haben.
Zudem soll das Serotoninsystem mit dem Vorkommen von Panikanfällen
zusammenhängen.
9.1 Generalisierte Angststörung
Der größte Teil der Forschung untersuchte die Wirkung von Benzodiazepinen. In 3
kontrollierten Studien erwies sich ihr Effekt größer als der eines Placebos.
Benzodiazepine sind nur in geringem Mass toxisch. Der große Nachteil liegt in ihrem
Abhängigkeitspotential. Zudem führen vor allem Benzodiazepine mit einer kurzen
oder mittellangen Halbwertszeit zu ernsthaften Nebenwirkungen wie Zittern, Übelkeit,
Konzentrationsstörungen, Ruhelosigkeit, Schlaflosigkeit, Transpirieren, Ermüdung
und Gereiztheit. Teilweise werden auch trizyklische Antidepressiva bei der
Behandlung des generalisierten Angstsyndroms angewendet.
29
9.2 Panik und Agoraphobie
Benzodiazepine:
Die Effektivität von Benzodiazepinen beim Paniksyndrom ist nicht überzeugend
nachgewiesen. Angesichts der möglichen Abhängigkeit, der Entzugserscheinungen
und Rebound-Panikanfälle, erscheint es nicht sinnvoll, dieses Medikament zu
empfehlen.
Momoaminoxidase-Hemmer (MAOH):
Auch mit dieser Medikamentengruppe konnten nur begrenzt positive Resultate erzielt
werden und wegen der zahlreichen Nachteile, die mit MAOH verbunden sind,
erscheint große Zurückhaltung bei der Verschreibung geboten.
Trizyklische Antidepressiva:
Am deutlichsten nachgewiesen ist der Effekt dieser Medikamente bei Panikanfällen.
Allerdings scheint der Effekt größer zu sein, wenn die Patienten sich in-vivoExposition übten, als wenn sie dies nicht taten.
Der Wirkmechanismus wird so erklärt, dass durch die Einnahme des Medikaments
eine Stimmungsverbesserung auftritt, wodurch die Patienten motivierter sind, die
Situationen aufzusuchen, in denen sie vorher Panikanfälle hatten. Die letztliche
Besserung der Agoraphobie ist dann das Resultat der Gewöhnung, die während der
in-vivo-Exposition auftritt. Nachteilig an trizyklischen Antidepressiva ist, dass bei
Behandlungsbeginn die Angst steigen kann, dass es häufiger zu Nebenwirkungen
kommt und dass ein therapeutischer Effekt erst nach mehreren Wochen erwartet
werden kann. Die Ausstiegsquote liegt bei ca. 30%, die Rückfallquote zwischen 2750%.
Selektive 5HT-Aufnahme-Hemmer:
Diese Stoffe haben einen selektiven Einfluss auf das Serotoninsystem, wirken aber
nicht auf das GABA-System. So kann z.B. Fluvoxamin Angst und Panik verringern,
hingegen
hat
Fluvoxamin
wenig
Einfluss
auf
das
agoraphobische
Vermeidungsverhalten. Nach zweimonatiger Behandlung sind deshalb viele Phobiker
immer noch phobisch. Nach Ablauf einer dreiwöchigen VT bei einer
Vergleichsgruppe waren die Erfolge deutlicher und zahlreicher.
Beta-Rezeptorenblocker:
Beta-Rezeptorenblocker beeinflussen das sympathische System, indem sie die
Übermittlung bestimmter Reize blockieren. Als Folge davon werden eine Reihe
autonomer, somatischer Reaktionen wie Herzklopfen, Zittern und Transpirieren
gedämpft. Diese Medikamente schienen geeignet zur Unterstützung von
Expositionstherapien. Bisher veröffentlichte Studien konnten dies jedoch nicht
bestätigen.
9.3 Soziale Phobie
Bei sozial ängstlichen Personen wurden die Effekte von Benzodiazepinen, MAOH
und Beta-Rezeptorenblocker untersucht. Allerdings wurden nur 3 Studien mit SozialPhobikern durchgeführt, die übrigen Studien bezogen sich auf freiwillige Personen
mit Lampenfieber.
30
Benzodiazepine:
Diese Medikamentengruppe wurde noch nie an Sozial-Phobikern getestet. In
anderen Studien schnitten Benzodiazepine schlechter ab als das Placebo, es gab
nach der Behandlung viele Rückfälle, zudem müssen die Nebenwirkungen und dir
Abhängigkeitsgefahr bedacht werden. Bei der Verschreibung dieser Medikamente ist
große Vorsicht geboten.
Beta-Rezeptorenblocker:
Diese Medikamentengruppe scheint vor allem geeignet, um den somatischen
Symptomen, wie Herzklopfen, Transpirieren etc. vorzubeugen. Bei Untersuchungen
mit Sozialphobikern konnten keine Unterschiede zwischen dem Medikament und
dem Placebo festgestellt werden.
Momoaminoxidase-Hemmer:
Hier gibt es eine Reihe sehr widersprüchlicher Forschungsresultate. Vor dem
Hintergrund der kleinen Zahl von Untersuchungen, der widersprüchlichen Resultate
sowie der Komplikationen, die bei der Verwendung von MAO-Hemmern auftreten
können, scheint eine große Zurückhaltung beim Verschreiben wünschenswert.
9.4 Zwangsstörung
In einer Reihe von Studien wurde der Effekt trizyklischer Antidepressiva bei
Zwangspatienten untersucht. Es wurden vor allem Medikamente getestet, die ins
Serotoninsystem eingreifen. Diese erwiesen sich als wirksamer als ein Placebo, aber
nicht als effektiver als trizyklische Antidepressiva. Diese Erkenntnis entkräftet die
Hypothese einer Störung des Serotoninsystems bei Zwangspatienten.
Eine Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva scheint vor allem von Bedeutung
bei Zwangspatienten, die depressiv sind, als Unterstützung eines Programms,
zusammengesetzt aus in-vivo-Expositionen und Reaktionsverhinderung. Wie bei
Panikpatienten kommt es beim Absetzen der Medikation häufig zu Rückfällen.
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