Komorbidität bei Suchterkrankungen – Was wissen wir? Was sollten wir tun? Selbsthilfegruppentagung 2016 Oliver Kreh Leitender Psychologe AHG-Klinik Tönisstein AHG Klinik Tönisstein Profil: Gründung 1974 erste von über 40 Einrichtungen der AHG Hauptindikation: Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit Zielgruppe: sozial und beruflich relativ gut integrierte Patienten Besonderheit: ausschließlich Kurzzeitbehandlung von 8 Wochen 1 Gliederung • Psychische Komorbidität in der stationären Suchtrehabilitation – Daten aus der Basisdokumentation des Fachverbandes Sucht • Was sollten wir tun? Schlüsselempfehlungen aus den Leitlinien • Henne oder Ei? Einige Fallbeispiele • Therapieplanung bei psychischer Komorbidität • Schlussfolgerungen für die Praxis Daten aus der Basisdokumentation Weissinger, V., Bachmeier, R. & Missel, P. (2013). Sucht und Komorbidität im Bereich der stationären Entwöhnungsbehandlung – Eine Erhebung des Fachverbandes Sucht e.V. Sucht Aktuell, 20 (1), 65-69. • Daten aus 34 Fachkliniken • 17.029 Patienten • 91,6% der Patienten mit der Hauptdiagnose Alkoholabhängigkeit 2 Daten aus der Basisdokumentation Daten aus der Basisdokumentation 3 Daten aus der Basisdokumentation Daten aus der Basisdokumentation 4 Daten aus der Basisdokumentation Daten aus der Basisdokumentation 5 Daten aus der Basisdokumentation Zusammenfassung: • 45,2% der Patienten haben mindestens eine Diagnose zur psychischen Komorbidität. • Die häufigsten komorbiden Störungen sind Depressionen, Persönlichkeitsstörungen und Angststörungen. • Patienten mit komorbiden psychischen Störungen werden länger behandelt. • Patienten mit Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen brechen die Behandlungen häufiger ab, Patienten mit Depressionen eher weniger häufig. • Patienten mit komorbiden psychischen Störungen werden häufiger arbeitsunfähig entlassen. Gliederung • Psychische Komorbidität in der stationären Suchtrehabilitation – Daten aus der Basisdokumentation des Fachverbandes Sucht • Was sollten wir tun? Schlüsselempfehlungen aus den Leitlinien • Henne oder Ei? Einige Fallbeispiele • Therapieplanung bei psychischer Komorbidität • Schlussfolgerungen für die Praxis 6 Empfehlungen aus der Leitlinie S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“: Kapitel 3.6 Komorbide psychische Störungen 3.6.1.3.2 Intensität der Intervention bei Alkoholabhängigkeit und Depression Eine intensivere Intervention sollte bei Personen mit komorbiden depressiven Störungen vorgesehen werden, da die Betroffenen üblicherweise schwerer gesundheitlich betroffen sind und eine ungünstigere Prognose aufweisen als Personen mit einer einzelnen Erkrankung. Empfehlungsgrad B LoE: 1 Empfehlungen aus der Leitlinie S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“: Kapitel 3.6 Komorbide psychische Störungen 3.6.1.3.4 Integrierte/gleichzeitige Therapie bei Depression und alkoholbezogenen Störungen Bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit und einer komorbiden depressiven Störung sollte die Behandlung für die beiden Störungen integriert in einem Setting bzw. durch ein Therapeutenteam erfolgen. Wenn das nicht möglich ist, sollte eine Koordination der Behandlung, z.B. durch ein Case-Management gewährleistet sein. Empfehlungsgrad: KKP LoE: nicht anwendbar 7 Empfehlungen aus der Leitlinie S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“: Kapitel 3.6 Komorbide psychische Störungen 3.6.3.2.1 Diagnostik von Depression bei alkoholbezogenen Störungen Komorbide psychische Störungen (Depressionen) sollen bei Alkoholabhängigen 3-4 Wochen nach dem Entzug auf ihre Behandlungsindikation überprüft werden. Empfehlungsgrad A LoE: 2 Empfehlungen aus der Leitlinie S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“: Kapitel 3.6 Komorbide psychische Störungen - Angststörungen: integrierte Behandlung, kognitive Verhaltenstherapie - Posttraumatische Belastungsstörungen: integrierte Behandlung, kognitive Verhaltenstherapie - Tabakabhängigkeit: Beratung und Unterstützung zum Rauchstop 8 Empfehlungen aus der Leitlinie S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“: Kapitel 3.6 Komorbide psychische Störungen Zusammenfassung: • Diagnose einer komorbiden Störung 3-4 Wochen nach dem Entzug • Wenn möglich integrierte Behandlung von Alkoholabhängigkeit und komorbider Störung • Kognitive Verhaltenstherapie am besten überprüft in ihrer Wirksamkeit Gliederung • Psychische Komorbidität in der stationären Suchtrehabilitation – Daten aus der Basisdokumentation des Fachverbandes Sucht • Was sollten wir tun? Schlüsselempfehlungen aus den Leitlinien • Henne oder Ei? Einige Fallbeispiele • Therapieplanung bei psychischer Komorbidität • Schlussfolgerungen für die Praxis 9 Henne oder Ei? Einige Fallbeispiele Henne oder Ei? Einige Fallbeispiele Herr S., 56 Jahre, F10.2 2010 stationäre psychosomatische Reha wegen F32.1 mittelgradiger depressiver Episode und Burnout Alkoholkonsum zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei ca. 0,75l Wein und 0,75l Spirituosen / Tag 10 Henne oder Ei? Einige Fallbeispiele Frau D., 56 Jahre, F10.2 und F11.2 Auszug aus dem Versicherungsverlauf der KK: • • • • • 14.11.2000 11.09.2001 11.09.2001 12.02.2005 05.09.2005 F48.0 F41.0 F45.3 F32.9 F31.3 • • • • • 13.01.2006 17.06.2008 01.12.2008 18.01.2010 25.01.2010 F43.8 F32.8 F51.0 F45.9 F32.9 Neurasthenie Panikstörung Somatoforme autonome Funktionsst. Depressive Episode nnb Bipolar affektive St., ggw. leichte depressive Episode sonst. Reaktion auf schwere Belastung sonstige depressive Episoden Nichtorganische Insomnie Somatoforme Störung nnb Depressive Episode nnB Differentialdiagnostik nach Moggi (2006) 11 Henne oder Ei? Hypothesen zu funktionalen Zusammenhängen (Moggi, 2006) • Selbstmedikation: „Behandlung“ psychotischer Symptome • Sensitivitätsmodell: Veränderung des dopaminergen Systems durch Suchtmittelkonsum, insbesondere Cannabis • Affektregulationsmodell: Verringerung von Dysphorie • Hypothese des sozialen Abstiegs • Psychoseinduktion: Cannabis, Halluzinogene und Stimulanzien • Gemeinsame Ätiologie: Dysfunktion des zentralen dopaminergen Systems Gliederung • Psychische Komorbidität in der stationären Suchtrehabilitation – Daten aus der Basisdokumentation des Fachverbandes Sucht • Was sollten wir tun? Schlüsselempfehlungen aus den Leitlinien • Henne oder Ei? Einige Fallbeispiele • Therapieplanung bei psychischer Komorbidität • Schlussfolgerungen für die Praxis 12 Henne oder Ei? Abhängigkeit Psychiatrische Störung Psychiatrische Störung Abhängigkeit Abhängigkeit Psychiatrische Störung Therapieplanung bei psychischer Komorbidität aus Vogelgesang, Monika (2009). Die Behandlungspraxis zwischen Individualisierung und Standardisierung – unter besonderer Berücksichtigung der Komorbidität. Sucht Aktuell, 16/1, 12-15. 13 Therapieplanung bei psychischer Komorbidität aus Vogelgesang, Monika (2009). Die Behandlungspraxis zwischen Individualisierung und Standardisierung – unter besonderer Berücksichtigung der Komorbidität. Sucht Aktuell, 16/1, 12-15. Therapieplanung bei psychischer Komorbidität Fallbeispiel Frau W., 35 Jahre, Zahnarzthelferin Alkoholabhängigkeit, Z. n. depressiver Episode Bulimia nervosa berichtet einige Tage nach Therapiebeginn Stimmungsschwankungen, gedankl. Auseinandersetzung mit Essverhalten, ca. 2mal / Tag Erbrechen begleitende Einzeltherapie mit Tagebüchern zu Stimmung und Essverhalten, Verhaltensanalysen, Psychoedukation, Erarbeitung eines Krankheitsmodells der Interaktion zwischen Abhängigkeit, Stimmung und Essverhalten, kognitive Therapie zu gewichts- und körperbildbezogenen Kognitionen, Erarbeitung positiver Ernährungs- und Verhaltensziele, Aktivitätsplanung 14 Therapieplanung bei psychischer Komorbidität Frau K., 33 Jahre, Verkäuferin im Einzelhandel F10.2 Alkoholabhängigkeit F12.2 Cannabinoidabhängigkeit F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung von einem drogenabhängigen Partner über zwei Jahre vielfach eingesperrt, verprügelt, die Treppe hinunter gestoßen • Indikative Gruppe „Stabilisierung nach traumat. Erlebnissen“ • begleitende Einzelgespräche mit Psychoedukation, Verhaltensanalysen, kognitiver Therapie bezüglich selbstabwertender Gedanken / Schuldzuweisungen • Reflexion von Strategien der Partnerwahl im sokratischen Dialog Therapieplanung bei psychischer Komorbidität Ziele und Maßnahmen: Basisziele Kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen emotionale Stabilität Stimmungsprotokolle, Verhaltensanalysen, kognitive Therapie … Frustrationstoleranz Konsequenzanalysen, systematisches Problemlösen …. Ressourcenverfügbarkeit Aktivitätsaufbau, Training sozialer Kompetenzen … soziale Kompetenzen / Kommunikation Rollenspiele, Selbstsicherheitstraining, Angehörigenseminare … Selbstwertgefühl kognitive Therapie, Aktivitätsaufbau …. …… …. 15 Gliederung • Psychische Komorbidität in der stationären Suchtrehabilitation – Daten aus der Basisdokumentation des Fachverbandes Sucht • Was sollten wir tun? Schlüsselempfehlungen aus den Leitlinien • Henne oder Ei? Einige Fallbeispiele • Therapieplanung bei psychischer Komorbidität • Schlussfolgerungen für die Praxis Schlussfolgerungen für die Praxis Diagnostik: • hohe Rate psychischer Komorbidität • Komplikationen /schlechtere Behandlungsergebnisse • Schwierigkeiten der konkreten Diagnose • Faustregel „> 4 Wochen“ Abstinenz • Beurteilung im Längsschnitt! (Vorbefunde / Vorbehandler, fremdanamnestische Informationen…) 16 Schlussfolgerungen für die Praxis Behandlung: • Patienten ein integratives Modell vermitteln • wegen der Wechselwirkungen bei Symptomfreiheit bezüglich einer Störung mit Exazerbation der anderen Störungen rechnen • gemeinsam mit dem Patienten grundlegende Problembereiche und Basisziele definieren Schlussfolgerungen für die Praxis Behandlungssystem: • mangelhafte Vernetzung Akutversorgung – Suchthilfe – Rehabilitation • regionale Versorgung vs. spezialisierte Behandler? • Bedarf an spezifischen Konzepten versus Profilierungsdruck… • Wie viele spezialisierte Behandlungsangebote kann eine Einrichtung bieten? • Verbesserung der ambulanten Versorgung Wartezeiten und Berührungsängste bei niedergelassenen Psychotherapeuten 17 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! über Fragen oder Anregungen freut sich Oliver Kreh Leitender Psychologe AHG Klinik Tönisstein [email protected] www.wir-machen-unabhaengig.de 18