Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen Verhaltenstherapie und Kognitive Therapie Die Verhaltenstherapie hat sich aus Untersuchungen zu Lernprozessen und der Steuerung „normalen“ Verhaltens entwickelt (z. B. Pawlowscher Hund). Es geht dabei um die Behandlung problematischer bzw. unerwünschter Verhaltensweisen sowie um das Erkennen der Bedingungen und Reize, die dieses Verhalten hervorrufen bzw. aufrechterhalten. Die Kognitive Therapie befasst sich insbesondere mit innerpsychischen Aspekten menschlichen Verhaltens. Äußerlich sichtbares Handeln wird in Beziehung gesetzt zu der damit verbundenen Wahrnehmung, Bewertung und Verarbeitung der aufgenommenen Reize. Beide Verfahren werden heute unter dem Begriff „Verhaltenstherapie“ zusammengefasst. Bei der Verhaltenstherapie geht man davon aus, dass Verhalten durch seine Konsequenzen bestimmt wird, also durch positive oder negative Folgen. Grundprinzipien der Verhaltenstherapie Verhaltenstherapeutische Methoden haben Folgendes gemeinsam: • Orientierung an wissenschaftlicher Überprüfung theoretischer Konzepte und therapeutischer Methoden. Sie entwickeln sich stetig weiter. • Problemorientierung, d.h. Ausrichtung auf das aktuelle Problemverhalten. Fokus auf die auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen eines Problembereichs. • Transparenz, d.h. umfassende Aufklärung des Patienten und Motivierung zur aktiven Teilnahme am therapeutischen Prozess. • Ziel- und Handlungsorientierung, d.h. zwischen Therapeut und Patient besteht Einigkeit über das Ziel, das mit der Behandlung erreicht werden soll. • Hilfe zur Selbsthilfe, d.h. Förderung von Auf- und Ausbau aktiver Bewältigungsstrategien. 1 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen Methoden der Verhaltenstherapie (1) Diagnostik (2) Gesprächsführung und Psychoedukation (3) Entspannungsverfahren (4) Expositions- bzw. (Konfrontation)- und Bewältigungsverfahren (5) Operante Methoden (6) Verhaltensübungen, Rollenspiele (7) Apparative Verfahren 1. Diagnostik • Verhaltens- und Problemanalyse: Problemanalyse (Was ist das Problem?), Situationsanalyse (Wo tritt das Verhalten auf?), Verhaltensanalyse (Welche Reaktionen treten auf?), Bedingungsanalyse (Was geht dem Verhalten voraus bzw. folgt ihm?), Funktionsanalyse (Wozu dient das Verhalten?) • Mit dem S-O-R-K-C-Modell (Kanfer) erfasst man u.a. die o. g. Zusammenhänge (Stimulus-Organismusvariable-Reaktionen-KontingenzConsequences) • Die Mikroanalyse erfasst das Problemverhalten in einer konkreten Situation • Die Makroanalyse untersucht die Entwicklung des Problems im lebensgeschichtlichen Kontext des Patienten 2 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen • Zielplanung: Die Ziele werden vom Patienten und Therapeuten gemeinsam erarbeitet. Sie müssen realistisch, offen und konkret formuliert werden. • Therapieplanung: nach Erstellung des psychopathologischen Befundes → Verhaltensanalyse (auslösende und aufrechterhaltende Bedingungen für die Störung werden gemeinsam erarbeitet) → Therapieziele → Therapieplanung 2. Gesprächsführung und Psychoedukation • Merkmale der Akzeptanz, Offenheit (Aufrichtigkeit) und Konkretheit bei der verhaltenstherapeutischen Gesprächsführung • die Beziehung bleibt jedoch komplementär (einander ergänzend) bzw. motivorientiert • Verstärkung → z.B. Lob, Kopfnicken, paraverbale Äußerungen oder Gesten • Strukturiertheit und Direktivität unter Berücksichtigung der jeweiligen Bedürfnisse des Patienten → systematische Planung der Sitzungen und aktive Lenkung des Gesprächs • Informationsvermittlung und Psychoedukation → Patienten über Ätiologie, Symptomatik, Verlauf von Störungen sowie Behandlungsmöglichkeiten informieren und ein lerntheoretisches Erklärungsmodell vermitteln • Sokratischer Dialog und geleitetes Entdecken als verhaltenstherapeutische Gesprächsführung → Patient soll in die Lage versetzt werden, selbst zu entdecken, dass seine gewohnte (z.B. depressive) Art zu denken nur eine Möglichkeit unter vielen darstellt und andere Interpretationen realitätsgerechter sind • Kooperatives Arbeitsbündnis → Patient muss selbst aktiv werden und Verantwortung übernehmen 3. Entspannungsverfahren 3 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson → z.B. bei Angststörungen, Depressionen, Schmerzzustände, Hypertonie, onkologische Erkrankungen und Schlafstörungen; eher ungeeignet bei Konzentrationsstörungen, Zwangserkrankungen und neurologische Erkrankungen Autogenes Training (AT) nach Schultz → v.a. bei einer Vielzahl psychosomatischer Störungen (z.B. Asthma, Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerz, Hypertonie), bei Schlafstörungen, bei Schmerzsyndromen und bei Angststörungen; Kontraindikationen bei Psychose, Demenz, schwerer Depression, Zwang, Hypochondrie und Borderline-Störung, bei Migränepatienten muss die Stirnkühleübung mit Vorsicht eingesetzt werden Atemtechniken → z.B. bei Schmerzzuständen (auch in der Geburtsvorbereitung), bei Angsterkrankungen, Schlafstörungen oder bei der Behandlung von Lungenerkrankungen wie Asthma bronchiale, Bronchitis oder Mukoviszidose Diplom-Psychologin & Dozentin für Methoden der KVT 4. Expositions-­‐ bzw. (Konfrontation)-­‐ und Bewältigungsverfahren − Mittel der Wahl bei Phobien, Panikstörung, generalisierter Angststörung, posttraumatischer Belastungsstörung und Zwangsstörung − aber auch bei pathologischer Trauer, Sexualstörungen, Suchterkrankungen oder Essstörungen Grundprinzip und Anwendungsbereiche der systematischen Desensibilisierung in sensu: nach Wolpe (1958): basierend auf dem Prinzip der reziproken Hemmung 4 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen • Einübung einer Entspannungstechnik (meist PMR) • Erstellen einer individuellen Angsthierarchie (Skala 0 bis 100) • Vorstellen der Angstreize gemäß der Hierarchie von „wenig“ zu „stark belastend“ Grundprinzip und Anwendungsbereiche der Exposition in sensu bzw. in vivo: • der Patient setzt sich den angstauslösenden Reizen in der Vorstellung (in sensu) oder in der Realität (in vivo) aus, • in-­‐sensu-­‐Exposition wird graduiert, z.B. bei der systematischen Desensibilisierung oder massiert bei der Reizüberflutung in sensu eingesetzt; Implosion ist eine umstrittene Extremform der massierten Reizüberflutung in sensu, bei der extrem ängstigende Reize in einer übertriebenen Weise fantasiert werden • in-­‐vivo-­‐Exposition wird graduiert bei Habituationstraining (vom hohen zum höchsten Angstreiz) oder massiert bei Flooding (Reizüberflutung) verwendet, • bei den massierten Konfrontationsverfahren erlernen die Patienten kein Entspannungsverfahren → nach anfänglicher Angststeigerung erfolgt Habituation und Angstreduktion Exposition und Reaktionsverhinderung beruht auf dem Prinzip der Löschung, dient dazu, dem Vermeidungsverhalten vorzubeugen, ermöglicht den Realitätstest und beweist, dass die Angst mit der Zeit nachlässt, Einsatz hauptsächlich bei der Behandlung von Angst und Zwängen. Exposition in vivo liefert bessere Ergebnisse als in sensu! zwei Herangehensweisen, entweder wie bei der systematischen Desensibilisierung eine Angsthierarchie erstellen und graduiert vorgehen oder aber Flooding Angstbewältigungstraining 5 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen bei nicht situativ gebundenen Ängsten, z.B. bei generalisierter Angststörung, Panikstörung und Posttraumatische Belastungsstörung es geht nicht um eine "Beseitigung" der Angst, sondern um eine bessere Bewältigung 1. Wahrnehmungs-­‐ bzw. Diskriminationsübungen → frühzeitig Spannung bemerken und die aufkommende Angst, z.B. durch PMR möglichst rasch kontrollieren. 2. Einüben von Strategien zur Angstbewältigung → Methoden der Selbstverbalisation, Umattribuierungen; (Provokation von Angst, z.B. durch selbst herbeigeführte Hyperventilation bei Panikattacken → ermöglicht den Abbau der erlebten Hilflosigkeit) . 3. Übertragung ins Alltagsleben mit Selbstverstärkung → erlernte Veränderungen in immer schwierigeren Alltagssituationen durchführen und Selbstbelohnung Training der Selbstkontrolle (Selbstregulation) bei Exposition − Menschen mit ausgeprägter Selbstkontrolle tun entweder zugunsten einer erst langfristig zu erwartenden positiven Konsequenz kurzfristig etwas Unangenehmes oder − verzichten kurzfristig auf etwas Angenehmes, um langfristig negative Konsequenzen zu vermeiden − daher können Expositionsübungen auch als Selbstkontrollübungen angesehen werden. Wirkmechanismen und Erklärungsmodelle der Exposition − Patienten machen die Erfahrung, dass die angstauslösende Situation erträglich ist, weil die befürchteten katastrophalen Folgen ausbleiben − allen Expositionsverfahren ist gemeinsam, dass die Betroffenen sich bis zum Rückgang der Angst in der zuvor angstauslösenden Situation aufhalten − Flucht und Vermeidung werden nicht zugelassen 6 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen − wenn Entspannungsverfahren eingesetzt werden, wird eine mit Angst nicht vereinbare Reaktion ausgeübt − als Wirkprinzipien der Exposition gelten Gegenkonditionierung, reziproke Hemmung, Habituation oder Löschung 5. Operante Methoden (zum Verhaltensaufbau u. -­‐abbau) Einsatz: Die Verwendung operanter Methoden als hauptsächliche Behandlungsmethode findet sich v.a. − bei der Erziehung von Kindern im Alltag (nicht erkrankte Kinder)) − bei Bezugspersonen von Patienten, um z.B. Schonverhalten nicht zu verstärken; hierbei wird die Bezugsperson (als „Co-­‐Therapeut“) z.B. bei jeder Annäherung an das gewünschte Zielverhalten vom Therapeuten verstärkt (z.B. gelobt) − bei Kindern und Jugendlichen mit Strukturierungsschwächen, z.B. ADHS, Heime für dissoziale Jugendliche − bei Erwachsenen mit gravierenden kognitiven Einschränkungen, z.B. geistig Behinderte, chronisch Schizophrene oder Demenzkranke Methoden zum Erwerb einer Fertigkeit: Shaping (Ausformung) → Ausgehend vom ersten Lernschritt wird über aufeinander folgende Stadien des Verhaltens bis zum Zielverhalten aufgebaut. Zunächst wird jeder kleine Schritt in Richtung auf das erwünschte Zielverhalten, später wird nur noch das Endverhalten verstärkt. Der Verhaltensaufbau erfolgt also „von unten nach oben“. Beispiel: Sie möchten Ihrem 3-­‐jährigen Sohn das selbständige Anziehen eines Anoraks beibringen. Sie zeigen ihm, wie er den linken Arm in den Ärmel steckt. Tut er dies, loben Sie Ihren Sohn. Dann loben Sie Ihn auch, wenn er den rechten Arm in den Ärmel steckt. Später erhält er nur noch Verstärkung, wenn er beide Arme in die Ärmel steckt. Wenn er es schließlich schafft, auch den Reißverschluss einzufädeln und dann die letzten 5 cm des Reißverschlusses hochzieht, haben sie es beide geschafft. Das Zielverhalten ist erreicht, und Sie loben ihren Sohn nur noch, wenn er den Anorak selbständig angezogen 7 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen hat. Chaining (Verkettung) → Der Ablauf entspricht dem shaping, wobei allerdings zunächst das Zielverhalten, dann die jeweils vorherigen Schritte verstärkt werden. Umgekehrt wie beim shaping erfolgt beim Chaining der Verhaltensaufbau von „oben nach unten“. Beispiel: Sie ziehen Ihrem Sohn den Anorak vollständig an bis auf das Zuziehen der letzten 5 cm des Reißverschlusses. Dann zeigen Sie ihm, wie er die letzten 5 cm hochzieht und loben Ihn dafür. Beim nächsten Mal lassen Sie 10 cm des Reißverschlusses auf und loben Ihn dafür usw. Prompting → Durch Hilfestellung des Therapeuten wird die Aufmerksamkeit des Patienten auf das erwünschte Verhalten gelenkt. Beispiel: Sie haben Ihrem Sohn im Rahmen des Chaining den Anorak bis auf die letzten 5 cm des Reißverschlusses angezogen. Dann nehmen Sie seine Hand, ziehen mit ihm zusammen den Reißverschluss hoch und sagen dabei: „Zieh dich jetzt an!“. Dann loben Sie ihn: „Toll gemacht!“. Fading out → Die Hilfestellungen werden vom Therapeuten nach und nach ausgeblendet. Beispiel: Nachdem Ihr Sohn mit Ihrer vollen Unterstützung bereits mehrmals den Anorak angezogen hat, reduzieren Sie die Hilfestellungen, z.B. sagen Sie nur noch: „Links, rechts und Schluss“. Methoden zur Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens: Stimuluskontrolle → Für erwünschtes Verhalten werden Schlüsselreize aus der Umwelt eingesetzt (z.B. STOPP-­‐Bild) und für unerwünschtes Verhalten (z.B. Zigarettenschachtel) entfernt. Negative Verstärkung → Verhalten wird wahrscheinlicher, wenn es einen negativen Ausgangszustand beendet. 8 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen Beispiel: Sie stellen sich vor, wie absolut schrecklich ein Durchfallen durch die Heilpraktiker-­‐Prüfung wäre, wie mitleidig Ihre Freunde sie ansehen würden, weil sie so viel Zeit und Geld „in den Sand gesetzt“ haben und wie schlecht es Ihnen danach ginge. Um dieser vorgestellten Katastrophe zu entgehen, zeigen Sie nun das erwünschte Verhalten: Sie lernen! Wenn Sie nun die Heilpraktiker-­‐Prüfung oder eine andere Prüfung bestehen, wird die vorausgehende Verhaltenskette: „Erst katastrophisieren -­‐ dann lernen -­‐ dann bestehen!“ negativ verstärkt und damit in ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit erhöht. Positive Verstärkung → Verhaltensweisen, die belohnt werden, werden häufiger gezeigt, z.B. Lob, Geschenke, Zuwendung, aber auch: interessierter Gesichtsausdruck oder zugewandte Haltung. Methoden zum Verhaltensabbau: Direkte Bestrafung → Unerwünschtes Verhalten führt zu *aversiven Konsequenzen. Typischerweise führt dies nur zu einer vorübergehenden Unterdrückung eines Verhaltens und ist in der ist i.d.R. nicht geeignet ein Verhalten langfristig abzubauen. Auch wird dadurch ein neues Verhalten kaum gelernt. Indirekte Bestrafung → Das Verhalten wird gelöscht, indem Verstärker entzogen werden. Beim so genannten response cost werden vorher erworbene generalisierte Verstärker wie Geld oder Tokens (Objekte mit Tauschwert) entfernt. Beim Time-­‐out werden alle potenziellen Verstärker unerreichbar gemacht, z.B. im Heim für geistig behinderte Kinder wird ein 8-­‐jähriges Mädchen für 10 min auf sein Zimmer gebracht. Verstärkung zum Aufbau und zur Stabilisierung von Verhalten: positive Verstärkung: angenehme Konsequenz, z.B. Lob, Kinobesuch, gutes Essen negative Verstärkung: Ende einer unangenehmen Konsequenz, z.B. das Vermeiden von Referaten und damit die Vermeidung vor der Bewertung 9 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen durch andere → verstärkt die Bewertungsangst negativ. Bestrafung zum Abbau von Verhalten: direkte Bestrafung: unangenehme Konsequenz (s.o.), z.B. Hausarrest, Beschimpfen, Nachsitzen, Strafarbeiten. indirekte Bestrafung: Ende einer angenehmen Konsequenz (s.o.), z.B. Fernsehentzug, Führerscheinentzug Wie die jeweiligen Konsequenzen beim Patienten wirken, muss individuell erfasst werden. *Aversiv = Widerwillen hervorrufend Definition und Verständnis von Verstärkung Man unterscheidet: primäre Verstärker → die die Grundbedürfnisse des Menschen nach Essen, Trinken, Zärtlichkeit usw. befriedigen sekundäre Verstärker → z.B. Geld oder Tokens (Objekte mit Tauschwert, z.B. Münzen, Chips, Aufkleber) übernehmen die Eigenschaft primärer Verstärker durch zeitliche oder räumliche Kopplung mit ihnen positive Verstärker → erhöhen die Reaktionsbereitschaft durch positive Konsequenzen negative Verstärker → erhöhen die Reaktionsbereitschaft durch Wegfall von negativen Konsequenzen Definition und Verständnis von Bestrafung bei direkter Bestrafung werden negative Konsequenzen (z.B. Hausarrest) 10 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen eingesetzt die indirekte Bestrafung entspricht dem Wegfall von positiven Konsequenzen (z.B. kein Lob, Taschengeld mehr) Bei beiden Formen der Bestrafung nimmt die Reaktionshäufigkeit ab. Ethische Gesichtspunkte sind zu berücksichtigen! 6. Verhaltensübungen/Rollenspiele Grundprinzip und Anwendungsbereiche des Selbstsicherheitstrainings: • Sozialphobiker leiden meist unter einer Störung der narzisstischen Regulation, meist aufgrund einer unsicheren Bindung in der Kindheit. Selbstsicherheitstrainings (assertive trainings) helfen ihnen, Hemmungen und Ängste im sozialen Umgang mit anderen zu überwinden. • Hierbei wird beispielsweise folgendes geübt: Äußern von Gefühlen, adäquate Mimik, berechtigte Forderungen stellen, sich Fehler erlauben oder soziale Kontakte herstellen. • Eingesetzte Verfahren: Rollenspiele, Modelllernen, Entspannungsübungen, Video-­‐ Feedback und Hausaufgaben Training der sozialen Kompetenz, z.B. Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK) von Hinsch und Pfingsten Einsatz v.a. bei Patienten mit Depressionen, Essstörungen, Substanzmissbrauch oder psychosomatische Störungen Die Patienten lernen zwischen unsicher, selbstsicher und aggressiv zu 11 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen unterscheiden. Die konkreten Übungen werden aus individuellen Belastungssituationen zusammengestellt. Beim Training werden kognitive (z.B. Informationsvermittlung), emotionale (z.B. PMR) und motorische (z.B. Rollenspiel, In-­‐vivo-­‐Übungen) Elemente eingesetzt. 7. Apparative Verfahren Technische Voraussetzungen und Vorgehen bei Biofeedback − Die Biofeedback-­‐Methode basiert auf der Erfassung physiologischer Prozesse, die durch technische Apparate gemessen, verstärkt, umgewandelt und kontinuierlich rückgemeldet (visuell, akustisch oder taktil) werden. − Grundsätzlich lassen sich muskuläre, zentralnervöse und autonome Prozesse durch Biofeedback beeinflussen. Gute Erfolge wurden u.a. nachgewiesen bei: • Spannungskopfschmerz, Tachykardie (Bluthochdruck) • Migräne, Obstipation (Verstopfung), Raynaud-­‐Krankheit • Epilepsie, Inkontinenz, Asthma, Insomnia (Schlaflosigkeit) • Torticollis (Schiefhals), Tinnitus 12 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen 8. Kognitive Verfahren Kognitionen [lateinisch „das Erkennen“, „Kennenlernen“] Sammelbezeichnung für alle Prozesse und Strukturen, die mit dem Wahrnehmen und Erkennen zusammenhängen. à im weiteren Sinne ist damit das Denken gemeint. zu den kognitiven Fähigkeiten gehören z.B. die Aufmerksamkeit, die Erinnerung, das Lernen, die Kreativität, das Planen, die Orientierung, die Imagination, die Argumentation, die Introspektion, der Wille, das Glauben und einige mehr . kognitive Prozesse können auch unbewusst sein (z.B. das unbewusste Lernen) Kernaussage Die Kernaussage der kognitiven VT findet sich im Satz des römischen Stoikers Epiktet (50-­‐138 n.Chr.) wieder: "Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Vorstellungen von den Dingen". Demnach kann der Mensch über seine „Vorstellungen“ (Kognitionen) sein Erleben und Verhalten in entscheidendem Maße selbst bestimmen. Er ist also -­‐ im Gegensatz zu klassisch-­‐ behavioristischen Auffassungen -­‐ Umwelteinflüssen (bestimmten Stimuli, Verstärkern) nicht hilflos ausgeliefert und -­‐ im Gegensatz zu klassisch-­‐ psychoanalytischen Auffassungen -­‐ nicht passives Opfer seiner vergangenen Erfahrungen. Sondern er kann, durch die Art und Weise, wie er die Ereignisse und Situationen in seinem Leben »kognitiv verarbeitet«, wie er sie interpretiert und bewertet, sein aktuelles Erleben und Verhalten selbst steuern bzw. zumindest beeinflussen. Diese Auffassung wurde so explizit zuerst von Vertretern Kognitiver Therapieverfahren formuliert, obwohl inzwischen sowohl die moderne Verhaltenstherapie wie auch die moderne Psychoanalyse weitgehend zustimmen dürften. Sogenannte „dysfunktionale“ Kognitionen tragen dabei aus Sicht der Kognitiven Therapien zu psychischen Störungen (emotionalen und Verhaltensstörungen) bei. In der Therapie geht es entsprechend darum, diese dysfunktionalen Kognitionen in Richtung "funktionaler" Kognitionen zu beeinflussen, um dadurch das damit verbundene psychische Leid zu verringern. Therapieansätze im praktisch-therapeutischen Vorgehen 1. Die Rational-Emotive Therapie nach Ellis 13 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen . älteste der drei kognitiv-psychologischen Behandlungsansätze → in den 50er Jahren von den amerikanischen Psychologen Ellis entwickelt - auch genannt als "Grandfather" der Kognitiven Therapien (kaufmännische Ausbildung, mehrere Jahre als Kaufmann gearbeitet, Promotion mit abgeschlossener psychoanalytischer Ausbildung, 1952 eigene Praxis, 1954 begründete er seinen eigenen psychotherapeutischen Ansatz, 1961 gründete er das Institut für Rational-Emotive Therapie); . inzwischen zählen die kognitiv, stark von Ellis beeinflussten Therapiemethoden, zu den wissenschaftlich in ihrer Wirksamkeit am besten abgesicherten Therapieverfahren unserer Zeit . sogenannte „irrationale Bewertungen“ werden als zentral für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer (emotionaler und Verhaltens-) Störungen angesehen → ABC-Schema A (activating event) - auslösendes Ereignis (äußerlich oder innerpsychisch), wie Tod eines Familienangehörigen, Vorstellung des Scheiterns bei einer bevorstehenden Prüfung B (beliefs, belief systems) - Bewertung des Ereignisses A; erfolgt aufgrund bestimmter bewusster und unbewusster Überzeugungen (Bewertungsmuster, Einstellungen, Lebensregeln) C (consequence) - emotionale Reaktionen und Verhaltensweisen, die auf A folgen, z.B. Trauer, Depression, Sorge, Angst Zentrale Annahmen Emotionale und Verhaltenskonsequenzen des Individuums (C) werden nicht direkt durch auflösende Ereignisse (A) verursacht; sie werden vielmehr in erster Linie durch die Art der Bewertung dieser Ereignisse (B) hervorgerufen. Vier Grundkategorien irrationaler Überzeugungen Absolute Forderungen: (Muss-Gedanken oder "Mussturbationen"): Diese bilden die erste und übergeordnete Kategorie irrationaler Überzeugungen. Eigene Wünsche und Vorlieben werden hier zu absoluten Bedürfnissen und Notwendigkeiten eskaliert ("ich muss...", "die anderen müssen...", "meine Lebensbedingungen müssen ..."). Globale negative Selbst- und Fremdbewertungen: Statt einzelne Verhaltensweisen, Leistungen und Eigenschaften einzuschätzen, wird die ganze Person als unzulänglich und minderwertig bewertet ("ich tauge nichts/bin wertlos/ein Versager ..."; "der andere taugt nichts/ist ein verdammenswertes Subjekt..."). Katastrophendenken: Katastrophengedanken verzerren die Bedeutsamkeit eines negativen (externen oder innerpsychischen) Ereignisses; negative Ereignisse werden in der subjektiven 14 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen Bewertung einer Katastrophe gleichgesetzt ("es ist/wäre absolut schrecklich/fürchterlich, wenn..."). Niedrige Frustrationstoleranz: Negative Ereignisse werden als "nicht aushaltbar /unerträglich" bewertet; die Person sieht sich als unfähig an, den befürchteten oder bereits eingetretenen Zustand zu ertragen ("ich kann/könnte es nicht aushalten/ertragen, wenn..."). Ziel Ideales Ziel ist es dabei, dem Klienten zu einer insgesamt „rationaleren Lebensanschauung“ zu verhelfen, die ihn dazu befähigt, nicht nur mit seinen aktuell belastenden Problemen, sondern auch mit zukünftigen Problemen „angemessen“ (d.h. in einer für ihn nicht selbstschädigenden/zielführenden Art und Weise) umzugehen. Therapeutisches Vorgehen − Vermittlung des ABC-Modells an den Klienten − Exploration der auslösenden Situationen (A) und Exploration seiner emotionalen und/oder Verhaltensstörungen (C) seiner persönlichen Änderungsziele (Z) − Exploration und Bewusstmachung zentraler irrationaler (d.h. selbstschädigender/ nichtzielführender) Überzeugungen (B) − Disputation (Infrage stellen) der als „irrational“ erkannten Überzeugungen − Erarbeitung und das Einüben neuer, „rationalerer“ (d.h. hilfreicher, zielführender) Überzeugungen Therapeutische Methoden „Sokratischer Dialog“- argumentative Gesprächsführung, in der irrationale Bewertungen immer wieder in Frage gestellt werden, z.B. durch Auseinandersetzung mit ihrer Zweckmäßigkeit im Hinblick auf das Erreichen der eigenen Ziele, ihrer Logik, ihrer empirischen Belegbarkeit (v.a. offene Fragen, um den Klienten dazu anzuleiten, eigene Widersprüchlichkeiten selbst zu erkennen) Bibliotherapie - Lesen von Selbsthilfebüchern und Informationsmaterialien Hausaufgaben zum ABC-Schema, Vorstellungsübungen usw. Verhaltenstherapeutische Techniken, wie in-vivo-Verhaltensübungen (insbesondere Reizkonfrontationsverfahren) sowie Rollenspiele, Fertigkeitstrainings, Selbstkontrolltechniken etc. 2. Die Kognitive Therapie nach Beck auch Beck war wie Ellis zunächst selbst Psychoanalytiker in der Forschung tätig als 15 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen Psychiater und späterer Professor für Psychiatrie Erforschung der Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen → „Kognitive Therapie der Depression“ Zentrale Annahmen Eine verzerrte Sicht der Realität (fehlerhafte Wahrnehmungen und Interpretationen der Realität) ist für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen mitverantwortlich. Nach Beck ist das Denken des depressiven Patienten inhaltlich vor allem durch eine verzerrt- negative Sicht seiner selbst, seiner Umwelt und seiner Zukunft gekennzeichnet (sog. „Kognitive Triade der Depression“). Der Depressive sieht sich selbst, die Umwelt und die Zukunft als negativ und hoffnungslos. Die Kognitive Triade der Depression − Negative Sicht der eigenen Person − Negative Sicht der Umwelt − Negative Sicht der Zukunft Diese verzerrte Sicht der Realität bestätigt und festigt sich immer wieder durch eine ganze Reihe von typischen „Denkfehlern“, die depressive Patienten begehen. ·→ „Ich bin ein Versager, minderwertig.“ → „Keiner mag mich, alles richtet sich gegen mich.“ → „Es ist alles hoffnungslos, es wird nie besser werden, Schreckliches wird passieren.“ Typische systematische "Denkfehler" des depressiven Patienten 1. Willkürliches Schlussfolgern Unter „willkürlichen Schlussfolgerungen“ werden Schlussfolgerungen verstanden, die willkürlich, ohne jeden Beweis und oft sogar trotz gegenteiliger Erfahrungen aus alltäglichen Ereignissen gezogen werden. Beispiel: Ein Misserfolg im Leistungsbereich führt zu der Schlussfolgerung „Ich bin ein Versager“, ohne dass überprüft wird, ob die Aufgabe überhaupt lösbar war bzw. ob früher und in Zukunft immer Misserfolge eingetreten sind bzw. eintreten werden. 2. Selektives Verallgemeinern Mit „selektivem Verallgemeinern“ wird die Tendenz bezeichnet, Einzelfakten aus dem Kontext zu nehmen und überzubewerten, wobei andere, bedeutsamere Merkmale der Situation ignoriert werden. Beispiel: Ein Klient interpretiert die Tatsache, dass die Kollegen ihn an einem Tag nicht mit in die Kantine nehmen, dahingehend, dass er denkt „Meine Kollegen mögen mich nicht“, 16 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen obwohl ihn alle regelmäßig grüßen, zu Geburtstagen einladen, an andere Aktivitäten beteiligen. 3. Übergeneralisieren Bei der „Übergeneralisierung“ wird eine allgemeine Regel oder Schlussfolgerung auf der Grundlage eines oder mehrerer isoliert betrachteter Ereignisse gezogen und dann unterschiedslos auf ähnliche oder unähnliche Situationen übertragen. Beispiel: Der Tod eines Familienangehörigen durch einen Unfall führt zu der Befürchtung, dass alle geliebten Personen bald durch Unfälle sterben könnten. 4. Maximieren und Minimieren Beim „Maximieren“ und „Minimieren“ wird die Bedeutung oder Größe eines Ereignisses deutlich über- oder unterschätzt. Beispiel: Das Ausbleiben eines erwarteten Briefes wird als höchst bedeutsam interpretiert, ein beträchtlicher beruflicher Erfolg als bedeutungslos. 5. Personalisieren Eine „Personalisierung“ liegt vor, wenn äußere Ereignisse extrem auf die eigene Person bezogen werden, ohne dass es dafür Belege gibt. Beispiel: Die Tatsache, dass der Partner einen Autounfall hatte, wird als Bestrafung für eine eigene unmoralische Tat interpretiert. 6. Verabsolutiertes, dichotomes Denken Bei dieser Art des Denkens (auch als „Schwarz-Weiß-Malerei“ oder „Entweder-OderDenken“ zu bezeichnen) werden alle Erfahrungen in zwei sich gegenseitig ausschließende Kategorien eingeordnet (z.B. makellos vs. mangelhaft, heilig oder sündhaft). Dazwischenliegende Abstufungen werden nicht mehr wahrgenommen. Wenn der depressive Klient sich selbst beschreibt, wählt er die negativen Klassifizierungen. Automatische Gedanken Für das emotionale Befinden und die depressiven Symptome des Patienten von zentraler Bedeutung sind nach Beck die sogenannten „automatischen Gedanken“. Hierunter versteht er „schnell ablaufende, blitzartig auftretende, subjektiv plausibel erscheinende und unfreiwillig sich einstellende Kognitionen, die zwischen einem Ereignis (externaler oder internaler Art) und einem emotionalen Erleben (Konsequenz) liegen“. Bei depressiven Patienten sind diese Gedanken im Sinne der obigen Theorie verzerrt und 17 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen fehlerhaft. Diese sich automatisch aufdrängenden Gedanken sind dem Patienten meist zu Beginn einer Therapie nicht bewusst, können jedoch leicht bewusst gemacht werden und sind dadurch einer therapeutischen Bearbeitung zugänglich. Beispiele für (den automatischen Gedanken zugrundeliegenden) depressogene Grundannahmen 1. Um glücklich zu sein, muss ich bei allem, was ich unternehme, Erfolg haben. 2. Um glücklich zu sein, muss ich immer von allen Menschen akzeptiert werden. 3. Wenn ich Fehler mache, bedeutet das, dass ich unfähig bin. 4. Ich kann ohne dich nicht leben. 5. Wenn jemand anderer Meinung ist als ich, bedeutet das, dass er mich nicht mag. 6. Mein Wert als Mensch hängt davon ab, was andere von mir denken. 3. Das Stressimpfungstraining nach Meichenbaum Wissenschaftler und Verhaltenstherapeut → „Stressimpfungstraining“ problematische, unangepasste „Selbstverbalisationen“ (inneres Sprechen zu sich selbst) sind für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen mitverantwortlich Die Fähigkeit, Stresssituationen zu bewältigen, hängt nach Meichenbaum in entscheidendem Maße von der Art der inneren Selbstgespräche des Klienten in solchen Situationen ab: angemessene „Bewältigungssätze“ (z.B. „Du kannst die Aufgabe bewältigen. Denke über den nächsten Schritt nach!“, „Auch wenn Du einen Fehler machst, ist das nicht das Ende der Welt!“) führen zu einer angemessenen Situationsbewältigung und angemessenen Emotionen, unangemessene innere Selbstgespräche (z.B. „Hilfe - es ist alles viel zu viel! Das schaffst Du nie!“) dagegen zu einer unangemessenen Situationsbewältigung und unangemessen Emotionen. Entsprechend ist das therapeutische Vorgehen darauf ausgerichtet, angemessenere Selbstverbalisationen bzw. „Bewältigungssätze“ aufzubauen. 18 Verhaltenstherapie und kognitive Verfahren – Heilpraktiker-­‐Wissen Quellenangaben: • Beck, J. (1999). Praxis der Kognitiven Therapie. BeltzPVU. • Ellis, A. (2007). Training der Gefühle: Wie Sie sich hartnäckig weigern, unglücklich zu sein. Moderne Verlagsges. Mvg. • Stavemann, H. (2010). Einführung in die KVT: Die Therapie emotionaler Turbulenzen. Beltz Psychologie Verlags Union. • Stavemann, H. (2007). Sokratische Gesprächsführung in Therapie und Beratung: Eine Anleitung für Psychotherapeuten, Berater und Seelsorger. Beltz Psychologie Verlags Union. • Dipl. Psychologin und Verhaltenstherapeutin F. Luschas, Fürth Wilken, B. (2008). Methoden der Kognitiven Umstrukturierung: Ein Leitfaden für die psychotherapeutische Praxis. Kohlhammer. 19