Verbands-Management (VM)

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Verbands-Management (VM)
Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
VM 3/02
Hardmeier, Sibylle/Milic, Thomas
NPO aus der Sicht politikwissenschaftlicher Theorien
Verbands-Mangement, 28. Jahrgang, Ausgabe 3 (2002), S. 16-29.
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Verbandsmanagement Institut (VMI) www.vmi.ch,
Universität Freiburg/CH
Bettina Kaufmann/Guido Kaufmann
Bettina Kaufmann/Maxomedia, Bern
Peter Leuenberger, Bern
1424-9189
[email protected]
Die Zeitschrift VM erscheint dreimal jährlich in den Monaten April, August und
November.
Abdruck und Vervielfältigung von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in
Abschnitten, nur mit Genehmigung des Herausgebers.
Fachartikel
Politikwissenschaft
sengruppen – zumeist Verbänden – bei der Formulierung und Implementation staatlicher Politiken.
Forschungspraktisch ist die Korporatismustheorie
daher häufig mit Verbändeforschung gleichzusetzen. Kennzeichnend für Korporatismustheorien
ist zudem auch die Prämisse der Austauschlogik,8
wonach allen beteiligten Akteuren durch Kooperation Vorteile erwachsen. Dies wiederum setzt
Kooperationsfähigkeit und -willen mit anderen
Akteuren voraus und bedingt die verbindliche
Durchsetzung der von Verbandsspitzen und Staat
ausgehandelten Kompromisse innerhalb der Mitgliedschaft der Verbände.
NPO aus der Sicht politikwissenschaftlicher Theorien
Sibylle Hardmeier / Thomas Milic
Wer in wissenschaftlichen Bibliotheken
und einschlägigen Büchern der Politikwissenschaft eine Stichwort-Recherche zu «NPO»
vornimmt, wird nicht sehr erfolgreich sein.
Daraus den Schluss zu ziehen, die Politikwissenschaft interessiere sich weder für
NPO noch für den Dritten Sektor, wäre aber
mehr als verfehlt. NPO stellen in der politikwissenschaftlichen Disziplin lediglich keinen
eigenständigen Forschungsbereich dar
und werden zuweilen unter anderen Stichworten behandelt. Der vorliegende Beitrag
setzt sich daher zum Ziel, dem fachfremden
Publikum etwas Einstiegshilfe zu bieten.
Es werden Theorien und Begrifflichkeiten
vorgestellt, unter welchen NPO in der Politikwissenschaft behandelt werden, und es wird
versucht, den Beitrag der jeweiligen Theorien
zum Verständnis von NPO darzustellen.
1. NPO in der Politikwissenschaft:
Zwischen Bewegungs- und Korporatismusforschung
NPO zeichnen sich bekanntlich durch zwei zentrale
Charakteristika aus. Sie sind erstens im so genannten
Dritten Sektor zwischen Staat und Privatwirtschaft
anzusiedeln1 und zeichnen sich zweitens dadurch
aus, dass ihr Organisationsziel und –zweck «not for
profit» ist.2 NPO sind daher von rein profitorientierten Wirtschaftsunternehmen klar zu unterscheiden
und lassen sich in so genannte EigenleistungsNPO und Fremdleistungs-NPO unterteilen. Erstere
erbringen einen Output, der vorwiegend oder gar
ausschliesslich der eigenen Klientel zugute kommt
(Bsp. Berufsverbände, TCS), letztere stellen hingegen
ihre erbrachten Leistungen allen zur Verfügung (z.B.
Rotes Kreuz, WWF).
16
Vor dem Hintergrund dieser ersten definitorischen
Eingrenzung lässt sich unschwer erkennen, wie die
Politikwissenschaft NPO verortet und welche Organisationen im Mittelpunkt des Interesses stehen:
Zum einen wird ersichtlich, dass NPO weder dem Regierungs- noch dem Wirtschaftssystem zuzuordnen
sind, sondern sich im so genannten intermediären,
Dritten Sektor bewegen. Zum anderen lässt sich in
Bezug auf die Arbeitsinhalte von NPO idealtypisch
zwischen den politischen Verbänden (Eigenleistung)
und den (neuen) sozialen Bewegungen (Fremdleistung) unterscheiden. Damit sind bereits
zwei politikwissenschaftliche Theorierichtungen
identifiziert, welche sich per definitionem mit NPO
auseinander setzen: die Bewegungsforschung auf der
einen und die Verbändeforschung oder Korporatismustheorie auf der anderen Seite. Da NPO aber
immer auch ihre Interessen durchsetzen wollen, sich
notgedrungen in politischen Systemen bewegen
und in einem Beziehungsgeflecht von unterschiedlichen politikwissenschaftlichen Akteuren anzusiedeln sind, liefern darüber hinaus auch die politikwissenschaftlichen Elite- und Machttheorien, die
Systemtheorie sowie Theorien zu so genannten
Policy-Netzwerken einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von NPO. Die nachfolgenden Abschnitte
sind deshalb diesen fünf politikwissenschaftlichen
Theorierichtungen gewidmet. Es werden jeweils zentrale Definitionen und Zugänge vorgestellt, welche
zum Verständnis und zur Analyse von NPO beitragen. In einem abschliessenden Kapitel schliesslich
sollen diese fünf Theorieansätze resümierend miteinander verglichen werden.
2. Korporatismustheorien
Wie der Sammelbegriff dieser politikwissenschaftlichen Theorierichtungen bereits andeutet, handelt
es sich beim Korporatismus um eine der ältesten und
am stärksten verankerten Bereichstheorien der politikwissenschaftlichen Disziplin. Dabei umschreibt
Korporatismus ein Muster der Interessenvermittlung, das sich durch die Formierung und Inkorporierung von gesellschaftlichen Interessengruppen in
die staatliche Politik seit dem mittelalterlichen
Ständestaat ergeben hat.
Korporatismusforschung selbst ist hingegen eine
jüngere Disziplin. Sie entstand insbesondere aus der
Kritik an den in den fünfziger und sechziger Jahren
dominanten Pluralismusansätzen heraus, welche
das in den europäischen Staaten wirkende «nichtkompetitive Muster der Konfliktsteuerung»3 nur
unzureichend zu erklären vermochten. Just aus
dieser Beobachtung einer korporatistischen Interessenvermittlung entwickelten Schmitter4 und Lehmbruch5 in den siebziger Jahren den (Neo-)Korporatismusbegriff6, welcher in den danach folgenden
Jahren zu einer «sozialwissenschaftlichen Wachstumsindustrie»7 geführt hat. Im Mittelpunkt der
Betrachtung steht die Inkorporierung von Interes-
Verbandsspitzen handeln also nicht mehr wie in der
Pluralismustheorie als Sprachrohr und Exekutive
ihrer Mitgliedschaft, sondern müssen auf staatlicher
Ebene ausgehandelte Kompromisse auch gegenüber
ihrer eigenen Mitgliedschaft durchsetzen. Verbände,
welche in ein solches korporatistisches Entscheidungs- und Verhandlungsnetzwerk eingebunden sind, befinden sich demnach in einem «Spannungsfeld von Interessenvertretung und Verhandlungszwängen».9 Sie sind zwei Logiken ausgesetzt:
Einerseits der Mitgliedschaftslogik, d.h. der Verpflichtung, Interessen der Mitgliedschaft gegen
aussen zu vertreten und durchzusetzen und andererseits der Einflusslogik, d.h. dem Zwang, mit
dem Staat und anderen Verbänden Kompromisse
auszuhandeln und diese danach innerhalb der Verbandsmitgliedschaft durchzusetzen. Diese einem
korporatistischen Arrangement inhärente Situation
zweier Logiken erfordert von den darin involvierten
Verbänden einen Drahtseilakt zwischen Mitgliederinteressen und Kompromisszwang. Dieser ist aber
nur dann möglich, wenn genügend Ressourcen
vorhanden sind, um alle beteiligten Akteure (Austauschlogik) zufriedenzustellen.
Zwei auf konzeptuelle Elemente des Neokorporatismus aufbauende, jedoch stark eigenständige
Ansätze sollen kurz vorgestellt werden:
Der erste Ansatz ist Wolfgang Seibels10 «Funktionaler Dilettantismus». Mit spitzer Feder geht der
Autor der Frage nach, warum der Dritte Sektor trotz
offenkundigem Versagen gegenüber den Massstäben
norm- und zweckrationaler Kontrolle überlebt. Zur
Beantwortung dieser Frage bedient sich Seibel der
17
Fachartikel
Erkenntnisse der funktional-strukturellen Systemtheorie: Die Funktion des Dritten Sektors besteht
darin, – so Seibel in seinen dezidierten Aussagen –
den Staat vor wirtschaftlich bedingten Legitimationskrisen, die sich in einer spätkapitalistischen
Gesellschaft zwangsläufig ergeben, zu entlasten.
Ähnlich wie bei Panitchs eher pessimistischem Neokorporatismus-Ansatz11 dienen die NPO dem Staat
als ideale Junior-Partner bei der Inszenierung einer
symbolischen Quasi-Politik. Diese besteht darin, «in
Form hinnehmbarer Nicht-Leistung» seitens des
Nonprofit-Sektors die Wucht der von aussen an das
politische System dringende, durch wirtschaftliche
Krisensituationen herauf beschwörte Unzufriedenheit abzufedern. Diese Funktion einer Trägheitszone12 kann in einer streng zweck- und normrational-orientierten Welt nach Seibel nur durch eine
dilettantische Organisationsstruktur gewährleistet
werden. Das drückt sich auch darin aus, dass NPO
weder Wähler- noch Käuferentscheidungen unterworfen sind. Ressourcenzufuhr in Form von Spenden oder ehrenamtlicher Arbeit sind nicht an die
Erwartung spezieller Organisationsleistungen, sondern an das Erringen eines guten Gewissens und «die
lebensweltliche Geborgenheit einer Ingroup-Mentalität»13 geknüpft. Demnach ist auch keine an Effizienz orientierte Organisationsstruktur innerhalb
des Dritten Sektors zu erwarten. Die Wahl zwischen
«Bürokratisierung und Dilettantisierung der Verwaltung» – gemäss Max Weber 14 die einzigen
Organisationsalternativen der Moderne – fällt im
Nonprofit-Sektor zugunsten des letztgenannten aus.
Auch der zweite hier vorzustellende Ansatz – Lester
M. Salamons15 Third-Party-Government-Konzept – ist
dem Neokorporatismus zuzuordnen. Aufgrund empirischer Studien kam Salamon zum Schluss, dass
nicht etwa private Zuwendungen den Löwenanteil
der finanziellen Mittel von Fremdleistungs-NPO
(in den USA) ausmachen, sondern staatliche Subventionen. Der Staat knüpft gewisse Rahmenbedingungen an seine Subventionen, überlässt die dezentrale Dienstleistungserstellung jedoch dem Dritten
Sektor. Was zuvor nur für die politischen Verbände
(Eigenleistungs-NPO) geschildert wurde, hat gemäss
Salamon auch für Fremdleistungs-NPO Geltung: Sie
sind in einem korporatistischen Arrangement ein-
18
mittlung deutlich unterscheiden: FremdleistungsNPO, die Dienstleistungen für die Gesamtheit
erbringen oder anwaltschaftlich die Interessen
Dritter vertreten, sind der Mitgliedschaftslogik
weniger stark unterworfen als Interessenverbände.
Sie entsprechen vielmehr dem Idealbild einer
pressure group, die unabhängig von ihrer kaum
sichtbaren Mitgliedschaft autonom pressure politics
betreiben können.17 Umgekehrt sind Eigenleistungs-NPO dem oben erwähnten Spannungsfeld
zwischen Mitgliedschafts- und Einflusslogik weitaus stärker ausgesetzt und haben ihre Handlungsstrategie auch danach auszurichten.
gebunden und haben ihre Handlungslogik auch
danach auszurichten.16
Allein dieser kurze Abriss illustriert, dass die politikwissenschaftlichen Korporatismustheorien wichtige
Erkenntnisse zum Verstehen von Funktionieren und
Handeln des Dritten Sektors leisten:
Sie beleuchten auf makrotheoretischer Ebene Muster der Interessenvermittlung zwischen Staat und
NPO. Dabei erinnern pikanterweise nicht zuletzt
Seibels Überlegungen zum Dilettantismus im Dritten Sektor daran, welche Funktionen NPO für den
Staat übernehmen. Auf der Meso-Ebene wiederum
bietet die Korporatismustheorie das Instrumentarium an, die Wirkung von widersprüchlichen
Handlungslogiken auf die Verhandlungsposition
von politischen Verbänden in den Blick zu nehmen. Dabei wird ersichtlich, dass sich Eigenleistungs-NPO (auch «verwaltungsnahe NPO» genannt)
und Fremdleistungs-NPO (auch «basisnahe NPO»
genannt) hinsichtlich der Art der Interessenver-
Zudem lassen sich aus den Erkenntnissen der Korporatismus-Forschung die Fragen ableiten, inwiefern NPO für staatliche Steuerungsleistungen
instrumentalisiert werden und welche Gegenleistungen die NPO hierfür erhalten. Schliesslich lässt
sich in Bezug auf neuere Untersuchungen, welche
neokorporatistische Regelungen auf jegliche StaatVerbände-Beziehungen anwenden und somit die
klassisch tripartistisch formulierten Ansätze von
Staat, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverband ausdehnen, auch ganz grundsätzlich fragen, unter
welchen Voraussetzungen und Bedingungen Verbände gemeinwohlnützliche Interessen und
Lösungen hervorbringen können, denen sie per se
nicht nacheifern.18
3. Bewegungsforschung
Im Zentrum der Bewegungsforschung stehen die seit
1960 entstandenen neuen sozialen Bewegungen
und deren Themen. Soziale Bewegungen zeichnen
sich insbesondere durch ihre Struktur und ihre Ziele
aus:
Hinsichtlich der Struktur unterscheiden sich soziale Bewegungen vor allem von den Parteien oder
herkömmlichen Interessengruppen. Sie sind aber
auch von spontanen Protestaktionen abzugrenzen, welchen eine organisatorische Basis völlig
abgeht und welche zeitlich begrenzt agieren.
Bei den Themen sozialer Bewegungen handelt es
sich um die von der klassischen Politik während
langer Zeit vernachlässigten gesellschaftspolitischen Probleme (Gleichstellung der Frau, Um-
weltpolitik, regionale Autonomie, Bürger- und
Zivilrechte u.ä.).
Die Bewegungsforschung hat nicht nur zum Ziel,
soziale Bewegungen gesellschaftlich zu verorten,
sondern fokussiert auch auf organisationssoziologische Aspekte, beleuchtet Fragen der politischen
Kommunikation und untersucht Entstehungsund Entfaltungsmöglichkeiten. Dabei lässt sich die
breite Palette der theoretischen und inhaltlichen
Ausrichtungen am besten entlang der von Raschke eingeführten Unterteilung vornehmen und
folglich zwischen strukturanalytischen, sozialpsychologischen und interaktionistischen Ansätzen unterscheiden:19
Strukturanalytische Ansätze fokussieren auf
die strukturellen Widersprüche der Moderne als
auslösender Faktor für die Entstehung von sozialen Bewegungen. Mit dem Ende des Fortschrittglaubens, dem Übergang zu einer am Paradigma
der Lebensweise20 orientierten Postmoderne, die
den Drang steten Wachstums nicht mehr hinnimmt und dessen Grenzen aufzeigt, entstanden
ideologische Freiräume, welche durch die von den
neuen sozialen Bewegungen propagierten Inhalte
aufgefüllt wurden. Diese forderten eine thematische Entgrenzung der Politik und neue Vermittlungsformen der Politik, weil die alten Strukturen
von den traditionellen Eliten vermachtet worden
sind. Die «basisnahen NPO» fungieren innerhalb
dieses Ansatzes als Träger der so genannten «Neuen
Politik».21
Sozialpsychologische Ansätze operieren mit dem
Deprivationsbegriff: Ursache für Protest ist die
individuelle Erfahrung relativer Deprivation. Intensität und Umfang der Entbehrungserfahrung
stehen gemäss diesem Ansatz in direktem kausalem Zusammenhang zum Mobilisierungspotenzial. Dieses etwas einseitige soziostrukturelle
Erklärungsmuster darf zurecht angezweifelt werden,22 da es – wie dies auch der geistige Vater des
historischen Materialismus, Karl Marx, scharf
beobachtet hat – oftmals nicht die unterprivilegierten Schichten selbst sind, welche sich gegen
strukturelle Unterdrückung auflehnen, sondern
hierzu – siehe Marx – eines advokatorisch tätigen
Akteurs bedürfen.
19
Fachartikel
Interaktionistische Ansätze verweisen auf die
Kommunikation und Interaktion mit anderen Akteuren und rücken somit Aspekte der Aktion und
die Diskussion von Handlungsalternativen in den
Vordergrund. Innerhalb dieses Ansatzes lassen sich
folgende Theoriestränge unterscheiden: Ressourcenmobilisierungstheorien richten ihr Augenmerk auf die Organisierungsfähigkeit von Protest.
Wie es einen Markt für Güter gibt, so gibt es auch
einen Markt für sozialen Wandel. Dieser unterliegt
dem Gebot der Organisierungs- und Allianzfähigkeit. Framing-Konzepte betonen die Rolle von
«Deutungsstrategien, mittels welcher eine Frage
überhaupt als Problem bestimmbar, mit ihren
Ursachen und Verursachern näher bezeichnet und
mit Angeboten einer Abhilfe oder Linderung
versehen wird».23 Political Opportunity-StructureAnsätze verorten den wesentlichen Einflussfaktor
für Entstehung und Wirkung neuer sozialer Bewegungen bewegungsextern: Nicht allein die Erfahrung der Deprivation oder die Entwicklung neuer
Wertorientierungen ermöglichen Protest und lassen ihn manifest werden, sondern erst politische
Gelegenheitsstrukturen.
Bewegungsforschung und Dritte-Sektor-Forschung
weisen viele Überschneidungen auf. Versteht man
soziale Bewegungen als «inszenierte Gemeinschaften»24, die hauptsächlich auf Vergemeinschaftung
mit moralischer Grundlage basieren, so lassen sie
sich forschungspraktisch mit basisnahen NPO
gleichsetzen. Beide unterscheiden sich allenfalls in
ihrem Organisationsgrad, nicht aber hinsichtlich
Thema und Funktion. Die Bewegungsforschung hat
konstatiert, dass trotz Deprivationserfahrungen,
dem Gefühl einer nicht angemessenen politischen
Repräsentation und gleichzeitig steigenden Aktionsmöglichkeiten und Ressourcen die Zahl der sozialen
Bewegungen in der jüngsten Vergangenheit – entgegen den Prognosen einer nahenden Bewegungsgesellschaft25 – stagniert. Ein Grund hierfür ist die
Institutionalisierung und damit zusammenhängend
«die Formalisierung sozialer Bewegungen in Gestalt
von Organisationen, die man gemeinhin dem so
genannten Dritten Sektor zurechnet».26 Bode spricht
deshalb auch von der «Bewegung des Dritten Sektors». Dies zeigt die Parallelität von Bewegungs- und
20
Dritte-Sektor-Forschung. Für basisnahe NPO in der
Schweiz gilt aufgrund der hohen institutionellen Zugänglichkeit des politischen Systems Besonderes: Da
sozialer Protest mittels direktdemokratischer Einrichtungen (Volksinitiative) an das politische System
herangetragen werden kann, nehmen soziale Bewegungen oft die Gestalt von «Initiativbewegungen»
an. Damit – so zeigt Epple-Gass auf 27 – stützen soziale
Bewegungen durch den Gebrauch der direktdemokratischen Elemente das politische System und
verpassen es unter Umständen, eine Strukturreform
einzuleiten. Basisnahe NPO in der Schweiz sind
gemäss Epple-Gass keine Herausforderung für die
etablierte Politik wie etwa in anderen Ländern,
sondern (indirekt) Stützen des Systems. Vor allem
die Geschichte des Frauenstimmrechtskampfes
illustriert, dass das institutionell offene System
der Schweiz keineswegs genügt, um politische
Mobilisation und Erfolgsaussichten von sozialen
Bewegungen zu erklären.28
Daneben liefert die Bewegungsforschung auch Einsichten in die Mobilisierungspotenziale und Handlungsstrukturen von basisnahen NPO 29, und sie
weist auf die enorme Bedeutung der Medien für
solche Organisationen hin. Bezüglich Medienabhängigkeit hat die Bewegungsforschung zusammen
mit dem politikwissenschaftlichen Teilbereich der
politischen Kommunikation zentrale Existenzaussagen für basisnahe NPO formuliert: «Eine Bewegung,
über die nicht berichtet wird, findet nicht statt»,
lautet diesbezüglich Raschkes vielzitierte Einschätzung.30 Dies bedeutet aber auch, dass Anpassungsleistungen an das Mediensystem zu erfüllen sind.
Diese bestehen darin, dass man den medialen Nachrichtenfaktoren (Spektakel, disruptive Aktionsformen, Personalisierung, Konzentration auf das
ereignishaft Punktuelle, Verletzung von gesellschaftlichen Normen) Genüge leisten muss. Damit
läuft man aber Gefahr, dass die inhaltlichen Ziele ob
der Inszenierung von Aufmerksamkeit erheischenden Spektakeln in den Hintergrund treten.31
4. Elite- und Machttheorien
Wie aus den bisherigen Ausführungen unschwer
erkennbar ist, beschäftigt sich sowohl die Verbändewie auch die Bewegungsforschung mit einer für Ver-
bände und Bewegungen gleichermassen zentralen
Frage – jene der Interessendurchsetzung. Diese
Frage ungleicher Durchsetzungsfähigkeit von Interessen wiederum ist wie keine andere mit der pluralistischen Gesellschaft verbunden. Daher erstaunt es
kaum, dass sich auch viele andere politikwissenschaftliche Ansätze rund um die Pluralismustheorie
und deren Kritik mit Aspekten der Interessendurchsetzung beschäftigt haben und noch beschäftigen.
Dabei liefert besonders auch die aus der Kritik an der
klassischen Pluralismustheorie abgeleitete Erkenntnis zu Organisations- und Konfliktfähigkeit von
Interessen zum Verständnis von Funktionieren und
Erfolgsaussichten von NPO einen wichtigen Beitrag:
Das Axiom der Organisationsfähigkeit geht nämlich in Anlehnung an die von Mancur Olson postulierte «Logik kollektiven Handelns» davon aus,
dass es in einer nach rationalen Kalkülen funktionierenden Gesellschaft bestimmte Interessen
besonders schwer haben, Individuen überhaupt
für ihre Organisation zu gewinnen. Entweder muss
der Effekt der Mitgliedschaft und des Beitrages für
das rationale Individuum direkt erfahrbar sein (vor
allem in kleinen Gruppen), oder aber es müssen
selektive Anreize (vor allem in grossen Gruppen)
bestehen, die nur den Mitgliedern der Organisation zustehen. Kleine Organisationen, die ihr
Produkt nicht einer spezifischen Klientel zugute
kommen lassen (können), sind folglich nur
schwerlich organisierbar.32
Das Axiom der Konfliktfähigkeit erinnert daran,
dass die Stärke einer Interessengruppe vor allem
davon abhängt, über welche gesellschaftlich
bedeutsamen Ressourcen – wie Produktionsmittel
und kollektive Arbeitskraft – dieselbe verfügt. Es
sind nämlich vor allem diese Ressourcen, welche
der Organisation ein «Drohpotenzial» verleihen
und sie attraktiv für Koalitionspartner machen.
Wer Ressourcen hat, kann auch Leistungen verweigern. Je weiter eine NPO jedoch von solch zentralen Ressourcen entfernt ist, desto beschränkter
ist ihre Konfliktfähigkeit.
Unmittelbar mit diesem Verständnis von organisations- und konfliktfähigen Interessen sind Theorien verknüpft, welche sich mit den Machtstrukturen in politischen Entscheidprozessen und Eliten im
engeren Sinne beschäftigen. Zwei diesbezüglich
bedeutsame Ansätze sollen kurz vorgestellt werden:
In seiner Untersuchung zur Entwicklung westeuropäischer Arbeiterorganisationen33 gelangte Robert
Michels zum Schluss, dass sämtliche Grossorganisationen, gleichgültig ihrer Grösse und Struktur
(auch solche mit freiwilliger Mitgliedschaft), zwangsläufig eine Oligarchie zur Folge haben. Die organisationelle Oligarchie ist dabei weniger das Resultat
individuellen Machtstrebens, sondern die Folge aus
den Funktionsbedingungen aller grossen Sozialverbände. Über die stets zu wiederholende Mobilisierung der Massen entwickelt sich eine an Zahl geringe Führungsgruppe, die sich mit der Zeit abkapselt,
bürokratisiert und tendenziell immobil wird. Diese
These wurde in der Zwischenzeit verfeinert, hat in
ihrer Grundausrichtung jedoch bis heute Bestand.
Ein anderer wichtiger Beitrag stammt von Bachrach
und Baratz.34 Diese beiden Forscher haben die
21
Fachartikel
behavioristischen Analysen zu Machtstrukturen kritisiert und darauf aufmerksam gemacht, dass mit
diesen Studien nur beobachtbare Verhaltensweisen
der am Entscheidprozess Teilnehmenden untersucht
werden. Sie haben ein «zweites Gesicht der Macht»
aufgezeigt, das im Vorfeld von formalen Entscheidungen zum Tragen kommt. Damit haben sie
gezeigt, dass Macht auch beinhalten kann, NichtEntscheidungen (non-decisions) zu fällen und NichtEreignisse (non-issues) zu definieren. In Anlehnung
an diese zentralen Erkenntnisse wird der Blick für die
Zugänge zu Macht und die Definition von Entscheidgegenständen geschärft. Dorff und Steiner
haben einen entsprechenden Fragekatalog entwickelt, der hilft, politische Entscheidprozesse auch
unter dieser Perspektive zu beleuchten.35
Macht- und elitetheoretische Ansätze haben zur
Durchleuchtung der Organisationsstruktur von NPO
einen wesentlichen Beitrag geleistet. Das Robert
Michels zu verdankende «eherne Gesetz» der funktional bedingten Oligarchisierung hat sich auch bei
der Analyse der organisationellen Transformation
von basisnahen NPO als äusserst hilfreich erwiesen:
Neuere Studien zeigen auf, wie eine aus der Spontaneität herausgewachsene Grundstruktur infolge
der Notwendigkeit der Interessenartikulation und
Organisierbarkeit einer Oligarchisierung weichen
musste.36
Daneben gibt es aber auch Beispiele dafür, dass
diese «institutionelle Kristallisierung»37 von sozialen
Bewegungen – zur Freude der zahlenmässig starken
Gemeinde von Bewegungsforschern – ausgeblieben
ist. Aber auch hinsichtlich der Interessendurchsetzung von NPO liefern die in diesem Abschnitt
geschilderten Ansätze wichtige Erkenntnisse und
Analyseinstrumente. Die Begrifflichkeiten der Organisations- und Konfliktfähigkeit relativieren oder
erklären zumindest Seibels funktionalen Dillentatismus, und der Blick auf das zweite Gesicht der
Macht sensibilisiert für Deutungen und Umdefinitionen in Entscheidprozessen. Insofern hat diese
Theorierichtung auch wesentlich dazu beigetragen,
Erfolg von sozialen und Initiativ-Bewegungen diffe38
renziert zu betrachten. Allein die mächtige Blockade des non-issues zu durchbrechen, ist zuweilen als
Erfolg zu werten.
22
5. System Theorie
Die System-Theoretiker entsprechen dem Postulat
Nietzsches nach einer fröhlichen Wissenschaft –
zumindest was ihren heiteren Schreibstil betrifft 39 –
von allen Sozialwissenschaftern wohl am ehesten.
So darf es denn auch wenig überraschen, wenn aus
dieser Ecke die provokantesten Thesen zur Funktion
und Rolle der NPO stammen. Allerdings machen die
eigentümliche Terminologie und die zahlreichen
Wortschöpfungen innerhalb der System-Theorie
eine kurze Einführung in die «System-Welt» unverzichtbar. Dabei möchten wir uns auf den funktionalstrukturellen Ansatz und seinen bedeutendsten Vertreter, dem unlängst verstorbenen Niklas Luhmann,
beschränken.
Im Zentrum von Luhmanns Theorie steht die Prämisse, wonach Systeme Komplexität reduzieren
müssen. Die Systeme selbst werden als eine Menge
von Elementen definiert, die durch Relationen zu
einer von der Umwelt abgegrenzten Einheit verbunden sind. Die Gesamtheit der Beziehungen wird als
Struktur eines Systems bezeichnet. Als Funktion
wiederum wird jeder Beitrag verstanden, den die
Struktur oder ein einzelnes Element zur Aufrechterhaltung des Systems beiträgt. Luhmann liess die
Sub-Systeme ausdifferenzieren. Ein einheitlicher
Gesellschaftsbegriff nahm Abschied zugunsten von
ausdifferenzierten und hochspezialisierten SubSystemen, welche jedes für sich gesellschaftliche
Funktionen erfüllen, und zwar mit Hilfe eines eigenen
Codes (im politischen System beispielsweise ist dies
die Unterscheidung Macht haben / keine Macht
haben) und einem eigenen Kommunikationsmedium (im politischen System ist dies Macht, in
der Wirtschaft Geld, in der Wissenschaft Wissen,
etc.). Die Sub-Systeme sind selbstregulative Systeme,
oder wie es bei Luhmann heisst, autopoietisch. Dies
bedeutet, dass die Selbsterhaltung die Primärfunktion eines jeden Systems ist. Diese Reproduktion
erfolgt stets mit den eigenen Strukturelementen. Die
Umwelt wird dabei stets mit der «Brille» des eigenen
Codes gesehen. Sie existiert aus der Sicht eines SubSystems gar nicht als Umwelt, sondern wird durch
den eigenen Code zur System-Welt gemacht. Das
Wirtschaftssystem beispielsweise nimmt Irritationen
aus der Umwelt aufgrund ihres Kommunikations-
mediums Geld stets als Zahlungsprobleme wahr.
Es ist aussichtslos, einem System eine andere Sichtweise aufzwingen zu wollen (in der systemischen
Terminologie hiesse das, eine andere als die systemimmanente Kommunikationsform zu wählen).
Aus dieser Unmöglichkeit, system-übergreifend
kommunizieren zu können, erwächst auch die Kritik
Luhmanns am Wohlfahrtsstaat der Nachkriegsära.
Dessen Steuerungsprobleme seien die Folge einer
veralteten, «alteuropäischen» Sichtweise vom Staat.
Dieser ist nicht die Spitze der Gesellschaft, sondern
ein Sub-System des sozialen Gesamt-Systems und
vermag deswegen auch den grossangelegten Erwartungen, die nach wie vor an den Staat gestellt werden – die effiziente Steuerung durch verbindliche
Entscheidungen – nicht zu entsprechen. Dies führte
zum geflügelten Wort (in Anlehnung an Max Weber)
von der «Entzauberung des Staates».40
Um den Nutzen der System-Theorie für die DritteSektor-Forschung zu verdeutlichen, soll im Folgenden eine systemtheoretische Sichtweise des Dritten
Sektors, diejenige von Alfred Zauner, vorgestellt werden.41
Als Prämisse steht bei Zauner die Feststellung,
wonach Organisationspraktiken in Systemen nicht
Zufall sind, sondern einer funktionellen Logik unterliegen. Die von betriebswirtschaftlicher Seite häufig
mokierte «betriebliche Untersteuerung» in NPO ist
aus systemtheoretischer Sicht nicht als Rückständigkeit zu werten, sondern als systemeigene Struktur, oder anders formuliert als Rückständigkeit mit
System: «Erfolgreich scheitern» lautet die Devise für
den Dritten Sektor, so Seibel42 mit zynischem Blick
auf die Dominanz des ökonomischen Zweckrationalismus. Die sich auch in der Struktur des Dritten
Sektors niederschlagende «Vermittlungsposition»
zwischen den dominierenden Sub-Systemen der
Politik und der Wirtschaft dient der System-Theorie
als Bezugspunkt für die Einordnung der NPO im
sozialen Gesamt-System. Zauner meint, dass NPO
die Rolle von «intermediären Vermittlungsorganisationen» spielen, welche zwischen den funktionalen
Teil-Systemen der Gesellschaft stehen.43 Das hat gemäss Zauner auch Folgen für die interne Organisationsstruktur: Diese kann nicht wie in anderen SubSystemen zu einer an der System-Logik (im Wirtschaftssystem beispielsweise die Logik des Geldes)
ausgerichteten Professionalisierung führen, sondern
hat die «zentrale Aufgabe einer auf Dauer gestellten
internen Widerspruchsbewahrung und -verarbeitung» zur Folge.44
Zuletzt bleibt die Frage zu beantworten, welches
Steuerungsmedium in NPO wirksam und weshalb
diese Frage denn überhaupt relevant ist? Verhaltenssteuernde Kommunikation ist in Organisationen von enormer Wichtigkeit. Kommunizierte
Entscheidungen müssen innerhalb von Organisationen darauf bauen, dass sie verstanden und
weiter kommuniziert bzw. ausgeführt werden.
«Lenkungsmassnahmen, Führungsinstrumente und
Entscheidprogramme müssen sich auf die in einer
Organisation wirksamen Steuerungsmedien abstützen lassen, um erfolgreich zu sein, also erwartbare –
nie aber völlig sichere – Anschlusshandlungen etwa
in Form von Ausführungsentscheidungen zu provozieren.»45 Die Vermittlungsfunktion von NPO
erschwert eine Festlegung auf ein Steuerungsmedium, wie sich dies in der widersprüchlichen Entscheidungsorientierung (Ökonomie vs. Sinn- oder
Wertorientierung, Handlungsfähigkeit vs. Mitarbeiterorientierung, etc.)46 widerspiegelt. Zauner sieht im
Wissen – sowohl als Information als auch als
Medium der Sinnstiftung – ein der NPO entsprechendes Steuerungsmedium. Insgesamt ist damit die
systemtheoretische Beschreibung des Dritten Sektors
eindeutig: Er wird aufgrund seiner Vermittlungsposition zwischen ökonomischen Zweck- und staatlichem Normrationalismus nicht etwa als eigenes
Teil-System, sondern als Vermittler zwischen TeilSystemen verstanden – wenngleich auch mit
eigenem Steuerungsmedium.
6. Netzwerktheorien
Netzwerktheorien sind als Fortführung und Weiterentwicklung der so genannten Policy-Analyse zu verstehen. Sie beschäftigen sich mit den formellen und
informellen Interaktionen, welche sich in einem
handlungsspezifischen Raum zwischen Akteuren in
Auseinandersetzung um eine Policy 47 ergeben und
als Policy-Netzwerke beschrieben werden. Der Begriff «Netzwerk» unterstreicht also, dass «policy making includes a large number of public and private
actors from different levels and functional areas of
23
Fachartikel
government and society».48 Wenn auch der Befund,
dass solche Interaktionen stattfinden, keineswegs
neu war, so tragen Netzwerktheorien und ihre methodischen Ansätze (Netzwerkanalysen) wesentlich
zum Verständnis von politischen Entscheid- und
Aushandlungsprozessen bei. So impliziert die Netzwerktheorie ganz grundsätzlich ein anderes, neues
Verständnis vom staatlichem Akteur. Politik, so hält
die Netzwerktheorie49 fest, wird nicht «einfach» von
einer zentralen Autorität – wie der Regierung oder
dem Gesetzgeber – hervorgebracht, sondern entsteht
in einem Prozess, in dem eine Vielzahl von sowohl
öffentlichen als auch privaten Organisationen eingebunden sind.
In Bezug auf das Verständnis sowie die Analyse von
NPO hat diese Theorierichtung durchaus grosse
Wirkung entfaltet. So wird der Staat nicht als monolithischer und geschlossener Block verstanden, sondern gilt als grundsätzlich offenes System. Das zeigt
beispielsweise die Untersuchung von Steiner über
die Drogenpolitik in den Städten Chur, St. Gallen
und Bern, welche die Potenziale für die Einmischung
nicht-staatlicher Akteure anschaulich aufzeigt und
in ihren Wirkungen beleuchtet. Zum anderen wird
mit den Ansätzen, die im Kontext der Netzwerktheorien entwickelt wurden, die Welt des politischen
Entscheidprozesses rekonstruierbar. Denn das methodische Tool der Netzwerkanalyse50 erlaubt es,
24
Zugänge zu Policy-Netzwerken sowie Beziehungsstrukturen innerhalb dieser Netzwerke empirisch genau zu erfassen und mittels Kenngrössen auch für
vergleichende Forschungen zugänglich zu machen.51
So erhalten wir beispielsweise über das Dichtemass
eines Netzwerkes präzise Angaben über die Verbindungsstrukturen im Netzwerk, indem die Dichte die
Relation zwischen möglichen direkten und tatsächlich vorhandenen direkten Verbindungen zwischen
den einzelnen Netzwerkakteuren liefert. Das Mass
der Zentralität wiederum misst bestimmte Eigenschaften eines ausgewählten Knotenpunktes im
Netzwerk. Schliesslich ergibt die Analyse von so genannten Einflussreputationen und Cliquen ein
detailliertes Abbild der informellen Einflussstrukturen in einem Policy-Netzwerk.
7. Politikwissenschaft und DritteSektor-Forschung – ein Resümee
Die Politikwissenschaft – so könnte man aufgrund
einer Stichwort-Recherche in der gängigen Literatur
annehmen – hat zum Themenkomplex «Dritter Sektor» und «NPO» wenig bis kaum etwas zu sagen.
«Weit gefehlt» lautet unsere Replik auf diese Annahme. Während die volks- und betriebswirtschaftliche
Perspektive die NPO aus der Sicht von Wahlentscheidungen bei Knappheit einerseits und innerbetrieblicher Rationalisierung andererseits beschreibt,
liegt der Fokus der sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung auf der Bestimmung der gesamtgesellschaftlichen Funktion von NPO sowie ihrer
Rolle im politischen Machtgefüge und in Entscheidprozessen.
fen, einige Hinweise dafür geliefert zu haben, welche
aufzeigen, dass der Beitrag der Sozialwissenschaft im
Allgemeinen und der Politikwissenschaft im Besonderen zum Verständnis von NPO nicht unwesentlich
ist.
Die System-Theorie dient dazu, den Dritten Sektor
gesamtgesellschaftlich zu verorten sowie Strukturen
und Funktionen des Dritten Sektors analytisch zu
fassen und allfällige Defizite wie die vermeintliche
Rückständigkeit mit strukturellen Faktoren als Rückständigkeit mit System zu erklären. Die Verbändeforschung hilft, die Handlungslogiken unterschiedlicher NPO zu verstehen. Kombiniert mit den in der
Pluralismuskritik entwickelten Analysekonzepten
der Konflikt- und Organisationsfähigkeit haben wir
damit bereits ein wichtiges Instrumentarium in der
Hand, um Entscheidprozesse, Handlungsrestriktionen und Erfolgsaussichten von NPO zu begreifen.
Darüber hinaus liefert uns die Bewegungsforschung
insbesondere das Rüstzeug, Mobilisierungspotenziale von NPO zu beleuchten und sie erinnert uns daran, die kontextuelle Einbettung der Bewegungen –
Stichwort Political Opportunity Structure – nicht
ausser Acht zu lassen. Ganz ähnlich wie die Netzwerktheorien der Politikfeldanalyse verändern diese
Zugänge zudem auch unsere Sicht und unser
Verständnis von staatlichen Akteuren als die wichtigsten Kontrahenten der NPO. Aus beiden Ansätzen
– der Bewegungs- wie auch der Netzwerkforschung –
können wir folgern, dass das politische System
grundsätzlich offen und der staatliche Akteur kein
monolithischer Block ist. Die Erfolgsaussicht auf
Interessendurchsetzung ist damit aber noch keineswegs gegeben. Denn nicht nur zeigen die Machtelitetheorien die zahlreichen Hürden von non-issues
und non-decisions auf, welche die Anliegen von NPO
zu nehmen haben, sondern sowohl die System-Theorie wie auch der Framing-Ansatz der Bewegungsforschung erinnern daran, dass der politischen Kommunikation und der Mobilisierung öffentlicher
Meinung in unserer ausdifferenzierten und medienzentrierten Gesellschaft eine zentrale Bedeutung
zur Interessendurchsetzung von NPO zukommen.
Solange die politikwissenschaftliche Monographie
zu NPO noch fehlt, bleibt deshalb lediglich die Analyse von Fall zu Fall. Die Autorin und der Autor hof-
Fussnoten
vgl. Seibel, Wolfgang, Funktionaler Dilettantismus.
Erfolgreich scheiternde Organisationen im «Dritten
Sektor» zwischen Markt und Staat, Baden-Baden, 1994.
1
vgl. Badelt, Christoph (Hrsg.), Handbuch der Nonprofit Organisation. Strukturen und Management,
2. Aufl., Stuttgart, 1999.
2
vgl. Lehmbruch, Gerhard, «A Non-competitive Pattern of Conflict Management in Liberal Democracies: The Case of Switzerland, Austria and Lebanon»,
in: McRae, Kenneth (Hrsg.), Consocational Democracy:
Political Accommodation in Segmented Societies,
Toronto, 1974, S. 90–97.
3
vgl. Schmitter, Philippe C., «Still the Century of
Corporatism?», in: Review of Politics 36, 1974.
4
vgl. Lehmbruch, Gerhard, A Non-competitive Pattern,
1974.
5
Wobei der Präfix Neo verwendet wurde, um die in
den 1970er Jahren entstandenen neuen Korporatismusansätze von dem durch den Faschismus diskreditierten Begriff des Korporatismus zu unterscheiden.
6
Panitch, Leo, «Recent Theoretizations of Corporatism: Reflections on a Growth Industrie», in: British
Journal of Sociology 31, 1980, S. 159–187.
7
vgl. Schmitter, Philippe C., «Still the Century of
Corporatism?», 1974.
8
vgl. Czada, Roland, «Konjunkturen des Korporatismus: Zur Geschichte eines Paradigmenwechsels in
der Verbändeforschung», in: PVS, Staat und Verbände,
Sonderheft 25/1994, S. 48.
9
vgl. Seibel, Wolfgang, Funktionaler Dilettantismus,
1994.
10
vgl. Panitch, Leo, «The Tripartite Experience», in:
Banting, K. (Hrsg.), The State and Economic Interest,
Toronto, 1986, S. 37–119.
11
vgl. Cyert, Richard M./March, James G , A Behavioral Theory of the Firm, Englewood Cliffs, 1963.
12
25
Fachartikel
Seibel, Wolfgang, Funktionaler Dilettantismus, 1994,
S. 277.
13
vgl. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. rev. Aufl., Tübingen,
1972, S. 128.
14
vgl. Salamon, Lester M., «The Nonprofit Sector and
Government: The American Experience in Theory
and Practice», in: Anheier, Helmut K./Seibel, Wolfgang (Hrsg.), The Third Sector. Comparative Studies
of Nonprofit-Organizations, Berlin/New York, 1990;
siehe hierzu auch: Pabst, Stefan, «Interessenvermittlung im Wandel. Wohlfahrtsverbände und Staat im
Postkorporatismus», in: Arbeitskreis NPO (Hrsg.),
NPO im Wandel. Das Ende der Besonderheiten ohne
Ende?, Frankfurt a.M., 1998.
15
Pabst, Stefan, «Interessenvermittlung», 1998,
S. 177–197.
16
17 vgl. Czada, Roland, «Konjunkturen des Korporatismus», 1994.
vgl. Czada, Roland, «Regierung und Verwaltung als
Organisatoren gesellschaftlicher Interessen», in:
Hartwich, Hans-Hermann/Wever, Göttrik, Regieren
in der Bundesrepublik 3: Systemsteuerung und «Staatskunst», Opladen, 1991.
18
vgl. Raschke, Joachim, Soziale Bewegungen. Ein
historisch-systematischer Grundriss, Frankfurt, 1985.
19
vgl. Raschke, Joachim, «Politik und Wertewandel
in den westlichen Demokratien», in: Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung «Das Parlament»
36, 1980, S. 23– 45.
20
vgl. Gruner, Erich/Hertig, Hans Peter, Der Stimmbürger und die Neue Politik, Bern/Stuttgart, 1983.
21
vgl. Rucht, Dieter, «Öffentlichkeit als Mobilisierungsfaktor für soziale Bewegungen», in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft
34, Opladen, 1994.
vgl. Bode, Ingo, «Die Bewegung des Dritten Sektors
und ihre Grenzen», in: Forschungsjournal Neue Soziale
Bewegungen, Jg.13, Heft 1, 2000, S. 48 –52.
26
Epple-Gass, Rudolf, «Neue Formen politischer
Mobilisierung: (k)eine Herausforderung der schweizerischen Demokratie?», in: Schweizerisches Jahrbuch
für Politische Wissenschaft, Sonderband Direkte Demokratie, Band 31, 1991, S. 151–172.
27
Hardmeier, Sibylle, Frühe Frauenstimmrechtsbewegung in der Schweiz (1890–1930). Argumente, Strategien, Netzwerk und Gegenbewegung, Zürich, 1997;
Banaszak, Lee Ann, The Influence of the Initiative on
the Swiss and American Women’s Suffrage Movements,
1991.
28
vgl. Kriesi, Hanspeter et al., The Politics of New
Social Movements in Western Europe. A Comparative
Analysis, Minneapolis, 1995.
29
Rucht, Dieter, Öffentlichkeit als Mobilisierungsfaktor,
S. 343.
vgl. Puch, Hans-Joachim, «Inszenierte Gemeinschaften. Gruppenangebote in der Moderne», in:
Neue Praxis, 21. Jg., 1991, S. 12–25.
24
vgl. Neidhart, Friedhelm/Rucht, Dieter, «Auf dem
Weg in die Bewegungsgesellschaft? Über die Stabilisierbarkeit sozialer Bewegungen», in: Soziale Welt,
Jg. 43, Heft 3, 1993, S. 305 – 326.
25
26
Roth, Roland, «Jenseits von Markt und Staat. Dritter Sektor und neue soziale Bewegungen», in:
Forschungsjournal NSB, Heft 4/92, S. 12–20.
49
vgl. Kummer, Lorenz, Erfolgschancen der Umweltbewegung: Eine empirische Untersuchung anhand von
kantonalen politischen Entscheidprozessen, Bern, 1997.
vgl. Scott, John, Social Network Analysis: A Handbook, London: Sage, 1991.
38
Beyme, Klaus von, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Moderne zur Postmoderne, Frankfurt
a. M., 1991.
39
vgl. Wilke, Helmut, Entzauberung des Staates:
Überlegungen zu einer sozietalen Steuerungstheorie,
Königstein, 1983.
40
vgl. Zauner, Alfred, «Von Solidarität zu Wissen.
Nonprofit-Organisationen in systemtheoretischer
Sicht», in: Badelt, Christoph (Hrsg.), Handbuch der
Nonprofit Organisation. Strukturen und Management,
2. Aufl., Stuttgart, 1999.
Schmitt-Beck, Rüdiger, «Über die Bedeutung der
Massenmedien für soziale Bewegungen», in: Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 42. Jg.,
1990, S. 642–662.
31
vgl. Olson, Mancur, Die Logik des kollektiven Handelns, Tübingen, 1968.
32
vgl. Michels, Robert, Zur Soziologie des Parteiwesens
in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die
oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, Stuttgart,
1911.
33
Bachrach, Peter/Baratz M, «Two faces of power», in:
American Political Science Review, 53, 1972, S. 947– 952.
34
Dorff, Robert H./Steiner, Jürg, «Decision Cases in
Western Democracies. A data Bank», in: Comparative Political Studies, Vol. 20, No. 2, July, 1987,
S. 160 –173.
35
Nullmeier, Frank, «Bewegung in der Institutionalisierungsdebatte?», in: Forschungsjournal Neue Soziale
Bewegungen, Heft 2, 1989, S. 8–18; Roth, Roland,
Demokratie von unten. Neue soziale Bewegungen auf
dem Weg zur politischen Institution, Köln, 1994.
36
Mayntz, Renate, «Policy Netzwerke und die Logik
von Verhandlungssystemen», in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 24, 1993, S. 39 – 56, S. 20.
50
vgl. Serdült, Uwe, Massnahme und Policy-Domain
Netzwerke der Stadt und des Kantons Zürich im Bereich
der Drogenpolitik, Institut für Politikwissenschaft,
Zürich: Universität Zürich, 1996; Sciarini, Pascal, La
Suisse face à la Communauté Européenne et au GATT:
Le cas test de la politique agricole, Genève: Editions
Georg SA, 1994.
51
41
vgl. Seibel, Wolfgang, Funktionaler Dilettantismus,
1994.
42
vgl. Raschke, Joachim, Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriss, Frankfurt a.M., 1985,
S. 343.
30
22
23
37
vgl. Zauner, Alfred, «Von Solidarität», Stuttgart,
1999, S. 131: «Als intermediäre Organisationen fällt
NPO’s in dieser Perspektive die Aufgabe zu, durch
Repräsentanz unterschiedlicher Logiken in sich
selbst Ausgleichsfunktionen zu übernehmen oder
durch Interventionen das Entstehen und die Wirksamkeit von Verhandlungssystemen zu fördern…»
43
44
Zauner, Alfred, «Von Solidarität», 1999, S. 131.
45
Zauner, Alfred, «Von Solidarität», 1999, S. 132.
vgl. Eckhardstein, Dudo von/Simsa, Ruth, «Entscheidungsmanagment in NPO», in: Badelt, Christoph (Hrsg.), Handbuch der Nonprofit Organisation.
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Literaturverzeichnis
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Beyme, Klaus von, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Moderne zur Postmoderne, Frankfurt a. M,
1991.
46
Policy lässt sich am besten mit dem Begriff Politikfeld übersetzen und mit sogenannten BindestrichPolitiken umschreiben. Gemeint sind also die politischen Massnahmen und Programme inhaltlicher
Natur wie sie beispielsweise mit Verkehrs-, Finanzoder Sozial-Politik umschrieben werden.
47
Hanf, Kenneth, und Fritz Scharpf (Hrsg.), Interorganizational Policy Making. Limits to Coordination and
Central Control, Beverly Hills, 1978, S. 12.
48
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ihre Grenzen», in: Forschungsjournal Neue Soziale
Bewegungen, Jg.13, Heft 1, 2000, S. 48 – 52.
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Zur Geschichte eines Paradigmenwechsels in der
Verbändeforschung», in: PVS, Staat und Verbände,
Sonderheft, 25/1994, S. 37–64.
27
Fachartikel
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Die Autorin
Sibylle Hardmeier / shardmei@ pwi.unizh.ch
Professor Dr. Sibylle Hardmeier, Studium an der Universität Bern (Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie). Hilfsassistenzen in Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft; Studienaufenthalt an der George Washington University (Washington DC)
und der Stanford University (CA). Lizentiat 1992, 1996 Promotion. Seit 1996 am Institut
für Politikwissenschaft der Universität Zürich, seit 2000 Assistenzprofessur. Direktoriumsmitglied SwissGIS (Swiss Centre for Studies on the Global Information Society).
© S. Lindig /SNF
Dorff, Robert H./Steiner, Jürg, «Decision Cases in
Western Democracies. A data Bank», in: Comparative Political Studies, Vol. 20, No. 2, July, 1987,
S. 160 – 173.
Der Autor
Thomas Milic / [email protected]
Thomas Milic, Studium an der Universität Zürich (Politikwissenschaft, Allgemeine
Geschichte und Publizistik); verschiedene Semester- und Hilfsassistenzen während des
Studiums, 2001 Lizentiat; seit 2001 Assistent und Doktorand bei Professor Dr. Ulrich Klöti.
29
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