Einführung in die Ökonomie

Werbung
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
1
Einführung in die Ökonomie
Wintersemester 2016/17
Prof. Dr. Olaf Winkelhake
RheinAhrCampus Remagen
[email protected]
http://intro.myrac.de
0.
Vorbemerkungen .................................................................................................................................2
1.
Wirtschaften auf Märkten ...................................................................................................................4
1.1
Ressourcenknappheit und Effizienz ........................................................................................ 4
1.2
Eine Geschichte der Arbeitsteilung ......................................................................................... 8
1.3
Produktionstheorie ................................................................................................................. 13
1.4
Angebot und Nachfrage ......................................................................................................... 16
1.5
Marktgleichgewichte und Marktformen ................................................................................ 19
2.
Unternehmen .................................................................................................................................... 23
2.1
Gewinnmaximierung ............................................................................................................. 24
2.2
Produktpolitik ........................................................................................................................ 27
2.3
Kostenrechnung ..................................................................................................................... 30
2.4
Logistik .................................................................................................................................. 33
2.5
Investition, Finanzierung und Kapitalmärkte ........................................................................ 36
2.6
Rechtsformen ......................................................................................................................... 41
3.
Wirtschaft und Gesellschaft............................................................................................................. 44
3.1
Arbeitsmarkt .......................................................................................................................... 45
3.2
Gütertypen ............................................................................................................................. 49
3.3
Einkommensverteilung .......................................................................................................... 53
3.4
Steuern ................................................................................................................................... 57
3.5
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung .................................................................................. 62
3.6
Strukturpolitik........................................................................................................................ 66
3.7
Ökonomie und Ethik.............................................................................................................. 69
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
0.
2
Vorbemerkungen
Konzept der Veranstaltung
In dieser Veranstaltung lernen Sie, worum es in Betriebswirtschaftslehre (BWL) und Volkswirtschaftslehre (VWL) im Wesentlichen geht. VWL ist ein eigenes Studium, aber auch als BWL’ler braucht man
Grundkenntnisse in VWL. Diese beiden Fächer werden in der Veranstaltung nicht streng getrennt, weil
sie eng verbunden sind. Daher heißt die Veranstaltung auch Einführung in die Ökonomie, weil Ökonomie der Oberbegriff für BWL und VWL ist.
Die Veranstaltung ist in drei Teile gegliedert.
Im ersten Teil Wirtschaften auf Märkten befassen wir uns mit der Frage, welche Vorteile Arbeitsteilung
gegenüber Selbstversorgung hat und wie Arbeitsteilung zum Entstehen von Märkten führt, auf denen
Produkte ausgetauscht werden.
Die Produkte werden in modernen Wirtschaften im Regelfall in Unternehmen produziert und nicht von
kleinen Handwerksbetrieben. Im zweiten Teil Unternehmen befassen wir uns mit der Frage, welche
Probleme und Aufgaben in Unternehmen typischerweise anfallen und mit welchen Instrumenten diese
Probleme gelöst werden.
Wir werden sehen, dass nicht alle ökonomischen Probleme auf der Ebene der Unternehmen gelöst werden können, sondern dass es sinnvoll ist, mit dem Staat noch eine übergeordnete Organisationsebene zu
haben. Das ist Inhalt des dritten Teils Wirtschaft und Gesellschaft, in dem wir uns mit der Frage befassen, welche Probleme auf der Ebene des Staats gelöst werden sollen und wie der Staat seine Aufgaben
finanziert.
Spielregeln
Die Veranstaltung wird im Audimax mit mehr als 100 Personen stattfinden, also einer Gruppengröße,
mit der Sie wahrscheinlich keine Erfahrungen haben. Solche Großgruppen sind leider seit Jahrzehnten
der Regelfall in vielen Studiengängen.
Um aus diesen nicht optimalen Bedingungen das Beste zu machen, gelten in dieser Veranstaltung einige Spielregeln.



Smartphones werden in die Tasche unter dem Tisch gelegt. Es wird Ihnen nicht gelingen, dem
Stoff zu folgen und parallel WhatsApp zu checken. Sie verlieren den Faden, langweilen sich
und beginnen, Ihre Nachbarn abzulenken.
Die Veranstaltung beginnt pünktlich. Am Anfang einer Sitzung wiederhole ich kurz die Inhalte
der letzten Sitzung. Dann schließe ich die Türen. Geschlossene Türen bedeuten, dass jetzt nicht
mehr gestört wird und Sie den Raum jetzt nicht mehr betreten können. Planen Sie also so, dass
Sie im Zweifelsfall etwas zu früh da sind. Zur Hälfte jeder Sitzung gibt es eine kurze Pause, in
der Sie dann wieder in den Raum kommen können. Vorher nicht, weil ein Hereintröpfeln Verspäteter die Pünktlichen stört. Aus diesem Grund ist es auch unangebracht, zwischendurch den
Raum zu verlassen.
Die große Gruppe verleitet dazu, mit dem Nachbarn zu schwatzen. Die Akustik im Saal ist gut
und stört alle, die zuhören wollen. Wenn Sie etwas nicht verstanden haben, fragen Sie nicht Ihren Nachbarn, sondern mich. Erstens kann Ihr Nachbar selbst der Veranstaltung nicht folgen,
während er Ihnen Dinge erklärt, zweitens können Sie davon ausgehen, dass Dinge, die Sie nicht
verstanden haben, auch anderen unklar geblieben sind.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17

3
Sie haben das Recht, die Veranstaltung, das Studium oder den Dozenten blöd oder langweilig
zu finden. In diesem Fall sollten Sie zu Hause bleiben. Es gibt keine Anwesenheitspflicht. Sie
müssen sich nicht langweilen und anfangen andere abzulenken und zu stören. Bleiben Sie zu
Hause. Organisieren sich sich in einer Arbeitsgruppe, nutzen Sie die Materialien, die ich zur
Verfügung stelle, aber stören Sie nicht.
Materialien
Begleitend zu dieser Veranstaltung finden Sie Materialien auf http://intro.myrac.de.
Neben diesem Skript finden Sie dort die Seiten, die ich in der Veranstaltung auf den Visualizer lege
und beschrifte, als PDF zum Herunterladen.
Zu einigen Themen, die wir in der Veranstaltung anschneiden habe ich Tipps zum Weiterlesen, die
Ihnen vielleicht dabei helfen, einen größeren Praxisbezug in Ihrem Studium zu gewinnen.
Klausur
Diese Veranstaltung ist Teil des Moduls Einführung in Ökonomie und Recht. Am Ende des Semesters
können Sie sich für eine 90 minütige Klausur anmelden, die 50% der Modulnote ausmacht. Sie müssen
diese Teilklausur nicht bestehen, aber in beiden Klausuren zusammen mindestens 50/100 Punkten erreichen.
Zu dieser Klausur dürfen Sie einen zweiseitig beschriebenen (oder bedruckten) DIN A4 „Spickzettel“
mitnehmen. Auf diesem Zettel müssen Ihr Name und Ihre Matrikelnummer stehen. Desweiteren dürfen
Sie einen Taschenrechner mitnehmen.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
1.
4
Wirtschaften auf Märkten
Bis auf wenige Ausnahmen organisieren die meisten Länder die Produktion und Verteilung von Gütern
und Dienstleistungen über Märkte, d.h. über das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. In diesem Teil der Veranstaltung lernen wir, wie Märkte funktionieren und wieso es vielleicht keine gute
Idee wäre, auf Märkte zu verzichten und alle Güter, die man haben möchte, selbst herzustellen.
1.1 Ressourcenknappheit und Effizienz
Knappheit
Der Ausgangspunkt jeder Form von Ökonomie ist, dass die Ressourcen unserer Welt knapp sind. Der
größte Teil der Berichte in den Fernsehnachrichten oder der Zeitung handelt direkt oder indirekt davon,
dass Personen oder Gruppen mit den Ressourcen, die ihnen derzeit zur Verfügung stehen, nicht zufrieden sind, sondern gern mehr hätten. Arbeitnehmer wollen mehr Lohn, Unternehmen wollen mehr Gewinn, Milizen wollen die Kontrolle über Bodenschätze usw.
Dieses „mehr“ hat Grenzen. Am Beispiel der fossilen Brennstoffe kann man das gut erkennen. Über
lange Zeit hat man sich gesorgt, dass Öl und Kohle irgendwann Ende dieses Jahrhunderts komplett abgebaut sein werden. Diese Sorge hat man jetzt nicht mehr, weil deutlich wird, dass ein kompletter Abbau zu einer noch stärkeren Klimaveränderung führen würde. Öl und Kohle als Ressource sind insofern
nicht mehr knapp, als dass eine andere Ressource (das Klima) noch knapper ist.
Diese Ressourcenknappheit springt uns im Alltag nicht ins Gesicht. Wenn wir in den Supermarkt gehen, sind alle Produkte, die wir kaufen wollen, im Regelfall da. Es sind sogar so viele Produkte da, dass
essbare Dinge weggeworfen oder an Tafeln verschenkt werden. Diesen Eindruck des Überflusses haben
wir aber nur, weil unser Wirtschaftssystem ziemlich gut funktioniert. In Ländern, deren Wirtschaftssystem nicht gut funktioniert, wie derzeit z.B. Venezuela (weil man dort eine Reihe unkluger Entscheidungen getroffen hat) sind die Supermärkte leer und es mangelt auch an Grundnahrungsmitteln.
Steinzeitökonomie
In seinem Buch Stone Age Economics hat der Anthropologe Marshall Sahlins die Menschen in der
Steinzeit als die erste Überflussgesellschaft bezeichnet, weil sie mehr Ressourcen hatten als sie verbrauchen konnten. Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die Menschen damals 4-5 Stunden am Tag
arbeiten mussten.
Das klingt, als hätten es die Steinzeitmenschen besser als wir gehabt. Diese sehr entspannte Lebensweise hat aber einen Preis gehabt. Die Menschen waren nomadische Jäger und Sammler. Das bedeutet,
dass sie keine nennenswerten Vorräte anlegen konnten und eine umfangreiche Güterproduktion keinen
Sinn machte, weil man die Güter hätte transportieren müssen. Unter diesen Bedingungen ist der Lebensstandard sehr bescheiden und schwankend, denn ohne nennenswerte Vorratshaltung kann man in
Zeiten von Nahrungsüberschuss kaum Rücklagen für Zeiten von Nahrungsmangel anlegen. Man muss
hungern und, wenn man Pech hat, verhungern. Bei einem so niedrigen Lebensstandard im Überfluss zu
leben, ist keine ganz große Kunst.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
5
Effizienz und ökonomisches Prinzip
Effizienz ist eine Kennzahl, die in der Ökonomie von ganz grundlegender Bedeutung ist. Sie ist defi𝐸𝑟𝑔𝑒𝑏𝑛𝑖𝑠
niert als 𝐸𝑓𝑓𝑖𝑧𝑖𝑒𝑛𝑧 = 𝐴𝑢𝑓𝑤𝑎𝑛𝑑. Man könnte meinen, dass bei den Steinzeitmenschen, die im Überfluss
leben, Effizienz keine Rolle spielt, weil es mehr Früchte gibt, als man pflücken und mehr Wild als man
erlegen kann. Das ist aber zu kurz gedacht. Auch der Steinzeitmensch pflückt als erstes die Früchte, die
unten am Baum hängen. Nur wenn insgesamt nicht genügend Früchte da sind, klettert er in den Baum.
Die Früchte ganz weit oben lässt er hängen und gräbt stattdessen lieber ein paar Wurzeln aus.
Der Grund ist, dass auch in der Steinzeit Dinge knapp waren: Zumindest die Zeit der Menschen war
knapp. Wenn wir davon ausgehen, dass die Menschen damals lieber um das Feuer saßen und sich Geschichten erzählten, als Früchte zu sammeln, dann hatten die Menschen das Ziel, mit dem Früchtesammeln möglichst schnell fertig zu sein.
Wir haben zwei mögliche Strategien unseres Steinzeitmenschen beim Früchtesammeln beschrieben:
-
Ernte einen Baum komplett ab, dann beginne mit dem nächsten.
Pflücke erst die vom Boden erreichbaren Früchte aller Bäume, ehe Du anfängst zu klettern.
Unser Steinzeitmensch muss sich nun entscheiden, welche der beiden Strategien er anwenden soll. Um
das zu tun, wird er das sogenannte ökonomische Prinzip anwenden, das in zwei Varianten existiert:
-
Minmalprinzip: Wähle die Alternative, bei der Du ein gegebenes Ziel mit minimalem
Aufwand erreichst
Maximalprinzip: Wähle die Alternative, bei der Du mit den Dir zur Verfügung stehenden Ressourcen das Ziel bestmöglich erreichst.
Wenn man näher hinschaut, erkennt man, dass diese beiden Varianten die Kennzahl Effizienz nutzen
und einmal das Ziel (den Ertrag) fixieren und einmal die Ressourcen (den Aufwand).
Die beiden Varianten stehen häufig gleichberechtig nebeneinander. In Deutschland wird die Effizienz
eines Automotors in Verbrauch (in Litern) je 100 km. gemessen, d.h. man verwendet das Minimalprinzip. Ein gegebenes Ziel (100 km. fahren) mit möglichst wenig Aufwand (Benzin) erreichen. In den
USA wird das Maximalprinzip verwendet, indem man die Kennzahl miles per gallon (mpg) verwendet,
d.h. misst, wie viele Meilen ein Auto mit einer Gallone Benzin fährt.
Wertfreiheit und Normativität des ökonomischen Prinzips
Nehmen wir an, wir beobachten einen Steinzeitmenschen dabei, wie er in einen Baum klettert und ganz
oben im Baum Früchte pflückt, obwohl unten noch Früchte hängen. Das wäre ineffizient. Wir fragen
ihn, warum er das tut. Er erklärt uns, dass die Früchte weiter oben mehr Sonne bekommen und mehr
Energie liefern, weil sie mehr Fruchtzucker haben. Das macht Sinn. Es sah also nur für uns so aus, als
würde sich der Steinzeitmensch ineffizient verhalten. Tatsächlich haben wir uns nur über sein Ziel getäuscht. Er wollte nicht in möglichst kurzer Zeit eine bestimmte Anzahl Früchte pflücken, sondern in
möglichst kurzer Zeit möglichst viel Fruchtzucker sammeln. Wenn der Steinzeitmensch einfach nur
Freude daran hat, in Bäume zu klettern und er die Zeit dazu hat, klettert er auch in Bäume, wenn die
Früchte oben gar nicht süßer sind. In jedem Fall können wir davon ausgehen, dass er sein Ziel (worin
das auch immer bestehen mag) effizient erreichen will.
Das bedeutet, dass das ökonomische Prinzip in gewisser Hinsicht inhaltsleer ist. Wir können nicht im
Voraus sagen, ob es für einen Steinzeitmenschen effizient ist, zuerst die Früchte unten am Baum zu
pflücken und dann oben (oder umgekehrt) so lange wir nicht wissen, was sein Ziel ist.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
6
Das ökonomische Prinzip ist normativ. Das bedeutet, wenn wir das Ziel und die Rahmenbedingungen
kennen, bestimmt das Effizienzprinzip, wie wir uns verhalten. Der Philosoph Immanuel Kant hat den
Begriff des hypothetischen Imperativs geprägt1: „Wenn Du x willst, tue y“. Das ökonomische Prinzip
ist ein solcher hypothetischer Imperativ.
Das ökonomische Prinzip ist wertfrei. Wieso das? Es ist doch normativ? „Normativ“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Ziele möglichst effizient erreicht werden sollen. Es bedeutet aber nicht, dass
es vorschreibt, worin diese Ziele bestehen sollen. Das ist das, was Kant mit „hypothetisch“ meint.
Wenn du x willst. Wenn man etwas anderes will, folgen daraus andere Handlungen. Das Effizienzprinzip sagt nichts über die Werte und Ziele, die man verfolgt und bewertet Ziele nicht.
Messbarkeit von Zielen
Effizienz als Kennzahl ist nur messbar, wenn man die Bestandteile, aus denen Effizienz besteht, messen kann. Man muss sowohl Aufwand wie Ertrag messen können. Das ist umso schwieriger, je immaterieller das Ziel ist. Wenn das Ziel ist, in einer Stunde möglichst viele Früchte zu pflücken, dann kann
man die Früchte zählen. Beim nächsten Mal wendet man eine andere Technik an und vergleicht die Effizienz. In vielen Fällen ist das Messen aber nicht so einfach. Die Wikipedia listet mehr als zwei Dutzend verschiedene Verfahren in der Psychotherapie auf. Ziel der Psychotherapie ist die Linderung oder
Heilung psychischer Störungen. Es ist viel schwerer, dieses Ziel zu messen als die Anzahl von Früchten
oder die vergangene Zeit. Der Patient möchte, dass ihm in seiner Therapiezeit möglichst gut geholfen
wird (Maximalprinzip) bzw. dass er eine bestimmte psychische Lebensqualität möglichst schnell erreicht (Minimalprinzip). Die Existenz so vieler verschiedener Verfahren ist ein Hinweis darauf, dass
verschiedene Verfahren bei verschiedenen Menschen mit verschiedenen Problemen unterschiedlich gut
wirken. Sonst bräuchte man nur ein Verfahren. Man muss also eine Auswahl treffen und diese Auswahl
muss dem ökonomischen Prinzip genügen. Dann muss man aber das Ergebnis, d.h. die psychische Gesundung messen können, damit Regeln entwickelt werden können. Bei Problem x eines Menschen vom
Typ y hilft Methode z am besten. Wenn es nicht möglich ist, solche Regeln zu entwickeln, macht der
Aufwand keinen Sinn, weil unklar ist, ob es einen Ertrag gibt.
In solchen Fällen gibt es zwei sinnvolle Vorgehensweisen:
(1) man unterlässt die Handlungen, weil sie sinnlos sind, da man den Ertrag nicht messen
kann.
(2) man versucht, den schwer zu messenden Faktor so gut zu messen, wie das möglich ist.
Zielkonflikte und Opportunitätskosten
Das ökonomische Prinzip soll uns dabei helfen, unter mehreren Alternativen diejenige auszuwählen, mit der wir unser
Ziel am besten erreichen. Was ist aber das Ziel? Das klingt
ein wenig nach Sinn des Lebens und ist tatsächlich letztlich
eine philosophische Frage. Nehmen wir an, das Ziel einer
Person ist es, eine möglichst hohe Lebensqualität zu erreichen. Das ist sehr allgemein und muss konkretisiert werden.
Das nebenstehende Lebensqualitätsmodell ist sehr einfach
und unvollständig. Man kann aber einige Dinge daran lernen.
Freizeit,
soziale
Kontakte
materieller
Wohlstand
Lebensqualität
Das abstrakte Ziel „Lebensqualität“ zerfällt in ein Zielbündel
aus den Unterzielen „materieller Wohlstand“ und „Freizeit, soziale Kontakte“. Man kann schnell erkennen, dass es einen Zielkonflikt zwischen den beiden Unterzielen gibt. Den materiellen Wohlstand
1
Bitte nicht mit dem kategorischen Imperativ verwechseln. Der stammt auch von Kant.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
7
kann man erreichen, indem man Arbeitseinkommen erzielt. Die Zeit, die man dafür hergeben muss, ist
Zeit, die man als Freizeit mit sozialen Kontakten nicht mehr zur Verfügung hat. Anders herum gibt es
maximale Freizeit nur bei geringem materiellen Wohlstand.
In der Ökonomie spricht man in diesem Zusammenhang von Opportunitätskosten. Das bedeutet, dass
man, wenn man etwas haben will, etwas anderes dafür aufgeben muss. Das, was man aufgeben muss,
ist der Preis dessen, was man haben will. Die Opportunitätskosten des Porsches sind der Kinoabend mit
den Freunden. Das Denken in Opportunitätskosten ist hilfreich, da es deutlich macht, dass alle Dinge
einen Preis haben, den man manchmal leicht übersieht. Im Kapitel über den Arbeitsmarkt werden wir
diese Denkweise aufgreifen.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
8
1.2 Eine Geschichte der Arbeitsteilung
Steinzeitökonomie
Arbeitsteilung ist ein Weg, Effizienz zu steigern. Das ist keine Erfindung der Menschen, sondern findet
sich auch in Form arbeitsteiliger Brutpflege im Tierreich. Auch bei den Steinzeitmenschen können wir
eine biologisch bedingte Arbeitsteilung rekonstruieren. Ausgrabungen zeigen, dass Steinzeitmenschen
in Sippen von drei Generationen gelebt haben, d.h. es gab Kleinkinder, Erwachsene und Alte (auch gebrechliche Alte). Wir wissen auch dass Phasen guter Nahrungsversorgung (Überflussgesellschaft) sich
mit Hungerphasen abgewechselt haben. Unser Körper legt heute noch Fettvorräte für schlechte Zeiten
an, die nicht kommen. Unter diesen Bedingungen können die Alten keine „Rente“ beziehen, d.h. komplett von den Erwerbstätigen versorgt werden, sondern müssen im Rahmen ihrer (abnehmenden) körperlichen Möglichkeiten produktiv bleiben. Sie sammeln, passen auf das Feuer auf, hüten Kinder usw.
Sie gehen aber nicht mehr auf Jagd, weil sie das körperlich nicht mehr können. Es ist unklar, ob Frauen
überhaupt gejagt haben, es ist aber ziemlich klar, dass sie das nicht in den letzten Wochen der Schwangerschaft und auch nicht während der Stillzeit getan haben. Aber auch hier hat es keinen Mutterschutz
und keine Elternzeit gegeben. Diese rein biologischen Faktoren führen also in sehr einfach strukturierten Sippen-Ökonomien schon zu einer Arbeitsteilung, die aus dem Motiv entspringt, in Hungerphasen
nicht zu verhungern, weil Arbeitsteilung die Effizienz steigert.
Die Lebensweise der Steinzeitmenschen setzt der Arbeitsteilung enge Grenzen. Als nomadische Jäger
und Sammler können sie nur in Sippen von 30-50 Individuen leben. Größere Gruppen müssten sich für
die Nahrungsbeschaffung zu weit vom Lager entfernen. Sie müssen anderen Sippen möglichst aus dem
Weg gehen, weil sie sonst Gebiete absammeln, die eine andere Sippe bereits abgesammelt hat. Bei seltenen Treffen mit anderen Sippen tauscht man eher Gene aus als Güter, die man im Hinblick auf solche
Treffen lange herumschleppen müsste. Die Sippe produziert ihren unmittelbaren Bedarf selbst. Lagerhaltung gibt es nicht.
Neolithische Revolution
Die Lebensbedingungen ändern sich, als die Menschen sesshaft werden. Sesshaftigkeit funktioniert nur
in Kombination mit Lagerhaltung, weil man dauerhaft vom Ertrag einer Fläche lebt und nicht zur
nächsten Fläche weiterzieht. Das bedeutet auch, dass die Effizienz der Landwirtschaft viel höher sein
muss als die des Jägers und Sammlers. Das bedeutet, dass der Flächenbedarf je Person viel kleiner ist
und so höhere Bevölkerungsdichten möglich sind. Die Steinzeitsippen mussten sich gegenseitig aus
dem Weg gehen, um nicht zu verhungern. Die Bauern können viel dichter aneinanderrücken, da die
Anbaufläche, die sie brauchen, relativ klein ist.
Das bedeutet, dass es viel mehr Austauschbeziehungen zwischen den Menschen gibt und die Gelegenheiten, Güter zu tauschen, häufiger werden. Das bietet die Möglichkeit zu weiterer Arbeitsteilung. In
landwirtschaftlich geprägten Ökonomien arbeiten typischerweise 95 % der Bevölkerung direkt in der
Landwirtschaft. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Nahrung insgesamt ausreicht, damit 5 % der
Bevölkerung etwas anderes als Landwirtschaft betreiben können. Sie können z.B. nach Metallen graben
und diese Metalle dann verarbeiten. Die Ötzi genannte Gletschermumie trug schon vor 5.000 Jahren ein
Beil mit Kupferschneide, mit dem man Bäume fällen konnte. Wenn sich Gesellschaften Metallspezialisten leisten können und diese Spezialisten genügend Zeit haben, optimieren sie die Verarbeitungstechniken und finden dann Möglichkeiten, härtere Produkte (Bronze, Eisen) herzustellen.
Manufakturen
Manufakturen haben sich im Zeitalter des Absolutismus entwickelt. Die Grundidee der Manufaktur
war, verschiedene Handwerker, die bisher selbständig und isoliert in eigenen Werkstätten gearbeitet
hatten, räumlich zusammenzufassen und so zu organisieren, dass sie komplexe Produkte herstellen
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
9
konnten, die die Koordination mehrerer Gewerke umfasste. An der Produktion z.B. einer Pferdekutsche waren etwa ein halbes Dutzend Handwerker beteiligt. Diese Handwerker stellten nun Kutschen in
Serienproduktion her. Der Kunde konnte eine fertige Kutsche bestellen und musste nicht selbst die einzelnen Gewerke koordinieren. Die Koordination in der Manufaktur machte die Herstellung einiger
komplexer Produkte überhaupt erst möglich und führte bei anderen Produkten zu einer starken Effizienzsteigerung. Die Arbeit war aber weitgehend noch handwerkliche Handarbeit.
Dampfmaschine
Der nächste große Effizienzschub ist die Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jhr. Sie ist deswegen
wichtig, weil sie die verfügbare Energiemenge je Person vervielfacht hat. Vor dem Einsatz der
Dampfmaschine war Energie nur als Wasser- und Windenergie (Mühlen) und tierische bzw. menschliche Energie verfügbar. Mit Mühlen ist man an die Standorte gebunden, an denen Wind/Wasser vorhanden ist und tierische/menschliche Energie ist nicht sehr effizient. Man kann einen Ochsen vor den Pflug
spannen. Der Ochse bringt eine höhere Ernte, als wenn der Bauer den Pflug selbst zieht. Der Ochse
muss aber gefüttert werden. Das bedeutet, der Ochse verbraucht einen großen Teil der Mehrernte gleich
selbst wieder in Form von Futter. Als „Futter“ der Dampfmaschine konnte man Kohle verwenden, die
in sehr großem Umfang verfügbar war.
Der Einfluss der Dampfmaschine auf die Landwirtschaft war nicht so groß, denn man konnte die
Dampfmaschinen aufgrund ihres Gewichts nicht gut als Zugtierersatz verwenden. Der Anteil der Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiteten, änderte sich kaum. Die Menschen, die nicht in der Landwirtschaft arbeiteten, konnten aber mit Hilfe der Dampfmaschinen viel effizienter arbeiten. Historisch
sprechen wir vom Übergang von der Manufaktur zur Fabrik, weil jetzt Maschinen eingesetzt werden,
die menschliche Arbeit ersetzen.
Gleichzeitig kam man auf die Idee, Dampfmaschinen mit Rädern zu versehen und in Form von Eisenbahnen als Transportmittel für Personen und Güter zu verwenden. Dadurch wurde der Personenkreis,
der miteinander in arbeitsteiligen Austauschbeziehungen treten konnte, noch größer und die Möglichkeit der Spezialisierung noch umfangreicher, da die Zahl potentieller Kunden durch die vereinfachte
Logistik viel größer wurde.
Massenproduktion, Mass Customization
1908 begann Ford mit der Fertigung des Modells T. Bis dahin waren Autos ein Luxusprodukt, da sie in
aufwändiger Handarbeit durch Spezialisten in Einzelfertigung hergestellt wurden. Das war auch notwendig, da die Teile, die man mit der bisherigen Metallverarbeitungstechnik herstellen konnte, relativ
unpräzise waren und per Hand nachbearbeitet werden mussten, damit sie passten. Ford setzte ein neues
technisches Verfahren ein, mit dem große Stückzahlen in bisher unbekannter Präzision zu niedrigen
Kosten hergestellt werden konnten. Die Bauteile mussten nicht mehr nachbearbeitet werden, sondern
konnten gleich zusammenmontiert werden. Dazu waren keine Spezialisten mehr notwendig. Ford konnte ungelernte Landarbeiter einstellen. Gleichzeitig zerlegte er den Arbeitsprozess so stark, dass ein Arbeiter im Extremfall nur noch einen einzigen Handgriff erledigen musste.2 Durch die Kombination
neue Technologie + Arbeitsteilung konnte Ford den Preis eines Autos auf einen Bruchteil des bisherigen Preises drücken. Auf diesen Punkt kommen wir im Kapitel Angebot und Nachfrage noch einmal
zurück.
Die möglichst starke Arbeitsteilung, wie Ford sie betrieben hat, kann zu sehr monotonen Arbeitsplätzen
führen. Tatsächlich war die Verweildauer der Arbeiter bei Ford nicht sehr hoch. Die meisten kündigten
nach ein paar Monaten. Diesen Punkt greifen wir im Kapitel Arbeitsmarkt noch einmal auf.
2
Dieses Konzept ist auch unter dem Namen Taylorismus bekannt und wird vorwiegend abwertend benutzt.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
10
Der Vorteil der hohen Effizienz in der Massenproduktion wird auch durch die Standardisierung erkauft,
d.h. mit einem Verlust des Kunden an Einflussnahme auf die Produktgestaltung. Mass Customization
stellt das Konzept dar, Elemente der Einzelfertigung, bei der der Kunde die Produkteigenschaften seines Produkts festlegen kann mit Elementen der effizienten Massenproduktion zu verknüpfen. Wieder
ist die Automobilindustrie Vorreiter gewesen. In einer Art Baukastensystem hat der Kunde die Wahl
zwischen verschiedenen Ausstattungsvarianten. Das ist durch eine enorme Flexibilisierung des Produktionsprozesses möglich geworden. Mit dem Model T wäre das nicht möglich gewesen. Individualisierte
Autos können nicht auf Lager produziert werden und sind teurer als standardisierte Autos.
Internationale Arbeitsteilung
Bisher haben wir angenommen, dass Arbeitsteilung zu mehr Effizienz führt, weil Spezialisierung dazu
führt, dass jeder Anbieter irgendetwas besonders gut kann. Der Töpfer kann besser töpfern als der
Schmied und der Schmied besser schmieden als der Töpfer. Also töpfert der Töpfer für den Schmied
mit und der Schmied schmiedet auch für den Töpfer. Anfang des 19. Jhr. hat sich David Ricardo, ein
englischer Ökonom, die Frage gestellt, ob internationale Arbeitsteilung zwischen zwei Ländern auch
dann Sinn macht, wenn das eine Land nichts wirklich gut kann, bzw. das andere Land in allen Branchen überlegen ist. Spontan würde man sagen, dass Arbeitsteilung keinen Sinn macht. Das ist aber
falsch. Ich möchte Ihnen das an zwei fiktiven Ländern A und B verdeutlichen.
Beide Länder sind gleich groß und stellen jeweils zwei Güter her. TShirts und Maschinen. Land A ist
sowohl bei der Produktion von TShirts als auch bei Maschinen effizienter, d.h. der Input ist bei beiden
Gütern geringer. Beide Länder haben anfangs auch die gleiche Wirtschaftsstruktur.
Ohne Arbeitsteilung werden in beiden Ländern zusammen 5,4 Mrd. TShirts und 2,592 Mio. Maschinen
produziert.
Nun einigen sich die beiden Länder darauf, dass jedes Land sich auf die Produktion eines Gutes spezialisiert. Land B ist weder bei der Produktion von TShirts, noch von Maschinen sonderlich gut. Vergleicht man aber die Effizienzniveaus beider Länder, sieht man, dass Land B bei der Produktion von
TShirts schlecht ist. B braucht zwei statt einer Minute Arbeitszeit. Bei der Produktion von Maschinen
braucht B fünfmal so lange. TShirts können also vergleichsweise effizient hergestellt werden. Auf dieses Produkt, in dem B relativ wenig schlecht ist, spezialisiert sich das Land. Land A spezialisiert sich
auf das andere Produkt.
Die gesamten Kapazitäten der Länder werden jetzt auf jeweils nur ein Produkt verwendet. Nach der
Arbeitsteilung ist sowohl die Gesamtmenge der produzierten TShirts als auch die Menge der Maschi-
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
11
nen gestiegen. B schließt die Maschinenbauunternehmen, A die Textilindustrie und kauft die nicht
mehr selbst hergestellten Produkte beim jeweils anderen. Das Kapitel Strukturpolitik wird auf diesen
Aspekt noch einmal eingehen.
Diese Mehrproduktion ist Verhandlungsmasse, die zwischen den beiden Ländern verteilt werden kann.
Das bedeutet, dass es für beide Länder einen Vorteil bieten kann, Arbeitsteilung zu betreiben, selbst
wenn eines der Länder dem anderen ökonomisch unterlegen ist. Im Kapitel Ethik werden wir uns mit
der Frage befassen, wie eine „faire“ Aufteilung dieser Verhandlungsmasse aussehen könnte.
Internationaler Handel führt auch dazu, dass Arbeitsplätze in den inländischen Branchen verloren gehen, auf die sich ausländische Anbieter spezialisiert haben. Die Textilindustrie in Land A geht verloren,
obwohl sie effizienter ist als die in Land B. Die Kapitel Arbeitsmarkt und Strukturpolitik werden auf
diesen Punkt eingehen.
Standardisierung und Lagerhaltung
Der kurze historische Abriss hat gezeigt, dass die Arbeitsteilung immer größere Ausmaße angenommen
hat und dass die Gruppe von Menschen, die arbeitsteilig arbeitet, sich von der Steinzeitsippe bis hin zur
globalisierten Wirtschaft ausgedehnt hat. Transportmittel und die Möglichkeit der Lagerung spielten
eine ganz zentrale Rolle.
Betrachtet man den letzten großen Effizienzsprung der Massenfertigung, dann wird deutlich, dass der
Motor dieser Entwicklung die Veränderung eines Produkts von der Einzelfertigung individualisierter
Produkte hin zur Produktion standardisierter Produkte ist, die alle gleich sind. Bei diesen Massenprodukten kann und muss auf die Wünsche der Kunden keine Rücksicht genommen werden. Daher können
die Produkte auch auf Lager produziert werden. In der klassischen Einzelfertigung fand der Produktionsprozess immer im Dialog mit dem Kunden statt. Hier nicht.
Exkurs: BWL und VWL
Die immer stärkere Arbeitsteilung hat zu immer komplexeren Produktionsprozessen und Austauschbeziehungen zwischen den Menschen geführt. Das wird in den Kapiteln Produktionstheorie und Märkte
noch näher betrachtet werden. Diese Prozesse funktionieren nur, weil sie geplant werden. Der Steinzeitmensch konnte sich auf sein Hungergefühl als Planungsinstrument verlassen, aber so kann eine Autofabrik mit tausenden Arbeitern nicht funktionieren.
Diese Planung findet auf mehreren Ebenen statt. Die Wirtschaftswissenschaften unterscheiden hier
grob zwischen einer volkswirtschaftlichen (VWL) und einer betriebswirtschaftlichen (BWL) Ebene.
Die BWL befasst sich mit den inneren Planungsvorgängen in einem Unternehmen und der unmittelba-
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
12
ren wirtschaftlichen Umwelt des Unternehmens, d.h. Kunden und Lieferanten. Gegenstand der VWL
ist die Funktionsweise des gesamten Wirtschaftssystems. Dabei ist klar, dass beide Teilgebiete aufeinander angewiesen sind, denn wenn die VWL keine Vorstellung hat, wie ein Unternehmen funktioniert, dann kann kann sie das Verhalten der Unternehmen schlecht prognostizieren und die Prognosen
für das gesamte Wirtschaftssystem sind entsprechend schlecht. Andersherum kann ein Unternehmen
kaum dauerhaft überleben, wenn es die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht versteht und
sich diese Rahmenbedingungen absehbar verändern werden.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
13
1.3 Produktionstheorie
Produktivität
Eine weitere zentrale Kennzahl der Ökonomie ist die Produktivität. Sie ist definiert als
𝐴𝑢𝑠𝑏𝑟𝑖𝑛𝑔𝑢𝑛𝑔𝑠𝑚𝑒𝑛𝑔𝑒
𝑂𝑢𝑡𝑝𝑢𝑡
𝑏𝑧𝑤. 𝐼𝑛𝑝𝑢𝑡 .
𝐸𝑖𝑛𝑠𝑎𝑡𝑧𝑚𝑒𝑛𝑔𝑒
𝐸𝑟𝑡𝑟𝑎𝑔
Auf den ersten Blick unterscheidet sich diese Kennzahl nicht von der Effizienz, die als 𝐴𝑢𝑓𝑤𝑎𝑛𝑑 definiert war. Der Fokus dieser Kennzahl liegt auf dem Umstand, dass wir, wenn wir etwas herstellen, im
Regelfall mehrere „Dinge“ einsetzen müssen. Im Früchtebeispiel aus der Steinzeit und im Beispiel der
beiden Länder die TShirts und Maschinen handeln, haben wir nur die Arbeitszeit betrachtet, die in das
Sammeln bzw. die Produktion der Güter gesteckt wird.
Produktionsfaktoren
Die „Dinge“, die man braucht, um etwas herzustellen werden traditionell in die groben Kategorien Arbeit, Boden und Kapital aufgeteilt und Produktionsfaktoren genannt.
Bei Fords Model T sind Arbeit und Kapital relativ einleuchtend. Arbeit ist das Volumen an Arbeitszeit,
das in die Produktion einfließt, Kapital das Volumen an Maschinen und Werkzeugen. Boden ist bei einem Industrieprozess in erster Linie der Standort, d.h. die Lage und Größe der Produktionsstätte.
Diese Aufteilung stammt noch aus der Zeit, als 90 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeitete.
Heute sind dies unter 5 %. Trotzdem ist „Boden“ weiter relevant, sei es unter dem Aspekt „Standort“,
sei es unter dem Aspekt „Umwelt“.
Fallbeispiel Photovoltaik
Photovoltaik ist die Technologie, mit der Strom aus Sonnenlicht produziert wird.3 Mit der Produktion
dieses Stroms kann man Geld verdienen. Auch hier spielen Arbeit, Boden und Kapital als Produktionsfaktoren eine Rolle. Die Solarpanels sind in der Anschaffung ziemlich teuer. Sie spielen ihre Kosten
erst nach Jahren wieder ein. Um die Panels aufzustellen, braucht man Fläche, die auch noch in möglichst sonnigen Gegenden liegen soll. Die Panels müssen regelmäßig gewartet und gereinigt werden.
Unterlässt man das, sinkt die Stromausbeute. Damit haben wir einen technologisch sehr komplexen,
hochmodernen Produktionsvorgang mit sehr einfachen Bausteinen (Arbeit, Boden, Kapital) beschrieben.
Im Folgenden wollen wir uns ein Unternehmen anschauen, das einen Solarpark betreiben will, d.h. eine
größere Fläche mit Solarpanels bestücken und möglichst viel Strom produzieren möchte.
Faktorproduktivität
Der Betreiber kann die Strommenge auf verschiedene Weisen erhöhen:
-
Er kann die Fläche vergrößern, auf der Panels aufgestellt werden. (Produktionfaktor Boden)
Er kann leistungsfähigere Panels aufstellen (Produktionsfaktor Kapital)
Er kann die Panels intensiver warten und pflegen (Produktionsfaktor Arbeit)
Das sind drei ganz unterschiedliche Strategien. Der Betreiber muss sich fragen, welche der drei Strategien die beste ist oder ob er eine Kombination aus mehreren Strategien wählen soll. Dazu macht es
Sinn, sich zuerst den Einfluss eines Produktionsfaktors auf die Produktionsmenge anzuschauen.
3
Das Erzeugen von heißem Wasser mit Sonnenlicht wird als Solarthermie bezeichnet.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
Strommenge
14
In der Abbildung links ist der für Produktionsprozesse
typische Zusammenhang zwischen der Inputmenge eines
Faktors und dem Output grafisch dargestellt. Diesen Zusammenhang nennt man auch Faktorproduktivität oder
partielle Produktionsfunktion Sie ist definiert als
𝑂𝑢𝑡𝑝𝑢𝑡
.
𝐼𝑛𝑝𝑢𝑡 𝑑𝑒𝑠 𝐹𝑎𝑘𝑡𝑜𝑟𝑠 𝑥
Der Zusammenhang zwischen Wartungsintensität und
Strommenge ist nicht konstant. Das bedeutet, dass eine
Verdoppelung der Intensität nicht zu einer Verdoppelung
der Stommenge führt, sondern die Strommenge weniger
Wartungsintensität
stark steigt. Die Kurve flacht immer mehr ab. Am rechten Ende der Kurve kann man sehen, dass ein weiterer
Einsatz des Produktionsfaktors die Strommenge so gut wie gar nicht mehr erhöht. Dieses Phänomen
wird Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses genannt. Es ist kein Naturgesetz, das immer gilt, aber
eine Regel, die nur sehr wenige Ausnahmen hat, so dass sich der Begriff „Gesetz“ eingebürgert hat.
Dieses Gesetz gilt auch für die Faktoren Kapital und Boden. Die Kurven hätten einen ähnlichen Verlauf.
Kostenfunktion
€ für Arbeitskräfte
Der Betreiber weiß zwar nun, mit welchem Einsatz an
Arbeit, Boden und und Kapital er die Strommenge steigern kann, aber er weiß noch nicht, ob er intensiver
warten soll, leistungsfähigere Panels aufstellen soll oder die Fläche vergrößern. Um das zu entscheiden,
wechselt er die Perspektive und „übersetzt“ den Input
eines Faktors in die Kosten, die dieser Input verursacht.
Nehmen wir an, die Arbeiter, die die Panels warten, erhalten einen Stundenlohn von 10 €. Dann kann er die
Faktorproduktivität in eine Kostenfunktion umrechnen.
Eine solche Umrechnung finden Sie in der nebenste-
henden Tabelle. Die Zah- Arbeitsstunden
10,0
30,0
90,0
270,0
810,0
len passen nicht besonStommenge (MWh)
3,0
6,0
12,0
24,0
48,0
ders gut zu Solarstom,
Kosten (insg.)
100,0
300,0
900,0
2.700,0
8.100,0
sondern sind so gewählt,
Kosten (je MWh)
33,3
50,0
75,0
112,5
168,8
dass sie leicht zu rechnen
sind. Die Regel, die in der partiellen Kostenfunktion steckt ist um die Strommenge zu verdoppeln, muss
jeweils der Arbeitseinsatz verdreifacht werden.
Fixkosten und variable Kosten
Als Fixkosten bezeichnet man Kosten, die von der Produktionsmenge unabhängig sind. Variable Kosten steigen mit der produzierten Menge.
Beim Solaranlagenbetreiber gibt es einen Zusammenhang zwischen der Produktionsmenge und den
Arbeitsstunden. Will der Betreiber mehr Strom produzieren, muss er die Solarmodule besser in Schuss
halten und mehr Arbeitsstunden in der Wartung einsetzen. Die Arbeitsstunden würden hier unter die
variablen Kosten fallen.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
15
Die Solarpanels selbst fallen unter die Fixkosten. Der
Betreiber hat sie gekauft. Sie haben Geld gekostet.
Unabhängig davon, ob sie Strom produzieren oder
nicht.
Kosten
In der nebenstehenden Abbildung sind fixe und variable Kosten zusammen eingezeichnet. Die Fixkosten sind
die Kosten, die auch bei einer Produktionsmenge von
Null anfallen.
Fixkosten
Strommenge
Die Kombination von fixen und variablen Kosten wird
uns im Kapitel Unternehmenstheorie wieder beschäftigen.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
16
1.4 Angebot und Nachfrage
Umsatz
Nehmen wir an, der Betreiber der großen Solaranlage aus dem letzten Kapitel bekommt 10 cent je
kW/h bzw. 100 € je MW/h produzierten Strom. Wir können dann die Kostenfunktion etwas erweitern
und die ProduktionsArbeitsstunden
10,0
30,0
90,0
270,0
810,0
menge mit dem Preis
Stommenge (MWh)
3,0
6,0
12,0
24,0
48,0
multiplizieren. Die
Kosten (insg.)
100,0
300,0
900,0
2.700,0
8.100,0
Zahl, die wir so erhalUmsatz (p=100)
300,0
600,0
1.200,0
2.400,0
4.800,0
ten, wird Umsatz genannt.
Differenz
200,0
300,0
300,0 - 300,0 - 3.300,0
In der letzten Zeile finden Sie die Differenz zwischen dem Umsatz und den Arbeitskosten. Diesen Wert habe ich erst einmal
nur Differenz genannt. Wir werden später darüber nachdenken, wie man die Rechnung erweitern muss,
um zum Gewinn zu kommen, denn in unserer Rechnung fehlen die Kosten für die anderen Produktionsfaktoren. Wir werden das, was hier noch Differenz heißt, als Deckungsbeitrag wiedersehen. An dieser
Stelle reicht es aus, wenn wir annehmen, dass der Betreiber das Ziel hat, diese Differenz zu maximieren.
Da unsere Tabelle große Sprünge zwischen den einzelnen Spalten aufweist, können wir nur sagen, dass
die größte Differenz zwischen Umsatz und Arbeitskosten bei einer Produktionsmenge irgendwo zwischen 6 und 12 MW/h liegt. Das ist die Menge, die das Unternehmen bei einem Preis p=100 anbieten
wird.
Preisvariation
Die nebenstehende Tabelle ist die gleiche wie
im vorangegangenen
Abschnitt, mit dem Unterschied, dass hier der
Preis p=150 durchgerechnet wird, also ein höherer Preis. Wir können sehen, dass die Differenz zwischen Umsatz und Kosten jetzt irgendwo zwischen 12 und 24 MW/h maximal ist, also bei einer höheren Strommenge. Auch
hier können wir die genaue Menge nicht angeben, weil unsere Regel Verdreifachung der Arbeitsstunden verdoppelt die Strommenge sehr grob ist. Wir werden das später aber noch genauer angehen.
Arbeitsstunden
Stommenge (MWh)
Kosten (insg.)
Umsatz (p=150)
Differenz
10,0
3,0
100,0
450,0
350,0
30,0
6,0
300,0
900,0
600,0
90,0
12,0
900,0
1.800,0
900,0
270,0
24,0
2.700,0
3.600,0
900,0
810,0
48,0
8.100,0
7.200,0
- 900,0
Verlauf der Angebotskurve
Strompreis
Angebot
Menge
Die beiden Tabellen, die wir für zwei Preise durchgerechnet
haben, liefern uns folgendes Ergebnis: Bei einem höheren
Preis ist es für das Unternehmen attraktiv, eine größere Menge
anzubieten, auch wenn das Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses gilt. Das Ergebnis mag nicht so überraschend sein,
aber wir haben es aus dem betriebswirtschaftlichen Kalkül des
Unternehmens ableiten können und mussten nicht auf unser
Bauchgefühl hören.
Diesen Zusammenhang bei einem höheren Preis ist die angebotene Menge höher als bei einem niedrigeren Preis kann
man grafisch wie nebenstehend darstellen.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
17
Nachfrage
Der Betreiber der Solaranlage produziert Strom, weil er Geld dafür bekommt, d.h. es gibt Kunden, die
bereit sind, Strom zu bezahlen. Bei einem sehr niedrigen Strompreis wird die Nachfrage nach Strom relativ hoch sein. Die Menschen bauen sich einen Swimmingpool in den Garten, der auch im Winter 28
Grad Wassertemperatur hat. Sie heizen ihr Haus mit Strom usw. Bei einem höheren Strompreis wird
die Wassertemperatur gesenkt, der Pool abends abgedeckt und im
Winter nicht betrieben. Ist der Preis noch höher, wird der Pool
Preis
komplett stillgelegt und die Raumtemperatur im Haus heruntergeregelt und das Haus isoliert.
Der Grund ist, dass der Haushalt ein bestimmtes Einkommen hat.
Bei einem niedrigen Preis ist die Stromrechnung zu vernachlässigen. Bei einem hohen Preis hat der Haushalt die Wahl, seinen
Stromkonsum einzuschränken oder seine Ausgaben für andere
Konsumgüter zu senken. Je höher der Preis, umso eher wird der
Haushalt seinen Stromkonsum einschränken.
Menge
Auch diesen Zusammenhang zwischen Preis und Menge kann
man für die Nachfrage graphisch darstellen.
Preiselastizität der Nachfrage
Grundsätzlich können wir festhalten, dass eine Preiserhöhung zu einem Rückgang der Nachfrage führt.
Die Frage ist, wie stark die Nachfrage auf eine Preisänderung reagiert. Diese Reaktionsstärke wird
Preiselastizität genannt.
Preis
Menge
Auf der linken Seite ist eine
sehr preisunelastische Nachfrage dargestellt. Die Nachfrage reagiert kaum auf
Preisänderungen. Von einer
vollkommen preisunelastischen Nachfrage würde man
sprechen, wenn die Kurve
senkrecht verläuft. Ein Beispiel für Produkte, bei denen
die Preiselastizität gering ist,
sind z.B. Zigaretten.
Preis
Menge
Auf der rechten Seite ist eine sehr preiselastische Nachfragekurve abgebildet. Die Nachfrage reagiert
sehr stark auf Preisänderungen. Sinkt der Preis auch nur leicht, wird eine deutlich größere Menge nachgefragt. Anders herum gilt auch, dass die Nachfrage schlagartig sinkt, wenn sich der Preis auch nur ein
wenig erhöht. Der theoretische Fall einer vollkommenen Preiselastizität würde vorliegen, wenn die
Kurve waagerecht verläuft. Ein Beispiel für ein preiselastisches Produkt sind die ersten Automobile.
Wir haben im Kapitel über Arbeitsteilung ein paar Details über das Modell T kennengelernt. Ford
konnte durch technologische Innovationen und extreme Arbeitsteilung den Preis eines Autos stark senken. Das funktioniert aber nur in sehr großen Fabriken, die eine hohe Produktionskapazität haben. Diese Kapazität muss aber auch nachgefragt werden. Die Geschäftsidee von Ford ging also nur auf, weil
die Nachfrage nach Automobilen sehr preiselastisch war. Er konnte damit rechnen, dass er seine billi-
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
18
gen Autos in viel höherer Stückzahl verkaufen konnte als die bisherigen teueren, handwerklich gefertigten Autos.
Kreuzpreiselastizität, substitutive und komplementäre Güter
Preis eines Autos
Mit Kreuzpreiselastizität bezeichnet man die Reaktion der Nachfrage nach Gut x, wenn der Preis von Gut y sich ändert.
Um das Jahr 1900 gab es in New York eine Umfrage, worin in Zukunft das größte Problem der Stadt bestehen würde. Spitzenreiter bei
den Problemen war Pferdeapfel. Vor dem Modell T wurden innerstädtische Transportleistungen vorwiegen von Pferdekarren erbracht. Jeden Tag fielen daher tonnenweise Pferdeäpfel an, die stanken und irgendwie entsorgt werden mussten.
Teure, handwerklich gefertigte Autos waren keine Alternative zu
Pferden, weil sie einfach zu teuer waren. Bei billigeren Autos konnten die Unternehmen darüber nachdenken, Pferde durch Autos zu
ersetzen. Wenn man ein Gut durch ein anderes ersetzen kann, spricht man auch von substitutiven Gütern. Das Auto ist ein Substitut für das Pferd.
Nachfrage nach Pferden
Bei solchen Substitutionsbeziehungen ist es klar, dass der Preis des einen Gutes einen Einfluss auf die
Nachfrage des anderen Gutes hat. Bei billigeren Autos ist die Nachfrage bei den Pferdezüchtern niedriger. Die Stärke der Reaktion ist, wie gesagt, die KreuzpreiselastiziNachfrage nach Hafer
tät. Bei Gütern, die in keiner Substitutionsbeziehung stehen, ist die
Kreuzpreiselastizität gering, z.B. die Nachfrage nach Glühbirnen in
Abhängigkeit vom Autopreis. Diese Überlegungen werden wir im
Kapitel Strukturpolitik wieder aufgreifen.
Nachfrage nach Pferden
Von komplementären Gütern spricht man, wenn die Nachfrage nach
Gut x sehr eng mit der Nachfrage nach Gut y zusammenhängt. Im
Pferdebeispiel wäre das z.B. die Nachfrage nach Hafer in Abhängigkeit von der Nachfrage nach Pferden, weil Hafer zum Füttern
braucht, wenn man Pferde als Transportmittel einsetzt. Dann gilt
umgekehrt, dass ein Nachfrageeinbruch bei den Pferdezüchtern auch
zu einem Nachfrageeinbruch bei den Getreidehändlern führen wird.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
19
1.5 Marktgleichgewichte und Marktformen
Das Marktdiagramm
Im letzten Kapitel hatten wir uns am Beispiel des Betreibers einer Photovoltaikanlage angesehen, nach
welchen Kriterien der Betreiber seine Produktionsmenge festlegt. Wir hatten gesehen, dass der Preis,
den er für sein Produkt (den Strom) bekommt, entscheidend ist. Liegt der Preis höher, ist er bereit,
mehr Aufwand in die Produktion zu stecken als bei einem niedrigeren Preis.
Preis
Angebot
Nachfrage
Menge
Auf der anderen Seite hatten wir gesehen, dass der Betreiber nur
dann Strom verkaufen kann, wenn jemand bereit ist, Geld für Strom
zu zahlen, also Strom nachfragt. Wir hatten gesehen, dass auch hier
der Preis entscheidend ist. Das bedeutet, dass sowohl auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite der Preis eine entscheidende Rolle
spielt.
Angebot und Nachfrage hatten wir in einem Koordinatenkreuz dargestellt. Wenn wir diese Darstellungen vergleichen, sehen wir, dass die
Achsenbezeichnungen (Preis und Menge) in beiden Fällen identisch
sind. Daher können wir beide Kurven in ein gemeinsames Diagramm
einzeichnen, so wie nebenstehend.
Der Preismechanismus
Strompreis
Angebot
Der Vorteil dieser Darstellung ist, dass wir anhand dieses Diagramms überlegen können, wie Angebot und Nachfrage auf
verschiedene Preise reagieren.
Nehmen wir an, der Strompreis liegt auf dem (relativ hohen)
Niveau von p1. An den gestrichelten Linien können wir erkennen, dass bei diesem Preis das Angebot an Strom relativ
hoch ist, aber die Nachfrage geringer ist als das Angebot. Der
Nachfrage
Betreiber wird bei diesem Preis nur einen Teil seines Stroms
p2
verkaufen können. Er hat einen starken Anreiz, seinen Strom
billiger anzubieten, weil er weiß, dass die Nachfrage mehr
Menge nachfragen werden, wenn der Preis sinkt. Natürlich würde er
gern die gesamte Strommenge zum Preis von p1 verkaufen,
aber das geht eben nicht. Wenn der Betreiber aber seinen Preis senkt, dann wird er anschließend die
Angebotsmenge reduzieren. Das haben wir aus dem betriebswirtschaftlichen Kalkül des Unternehmers
ableiten können.
p1
Nehmen wir alternativ an, der Strompreis liegt auf dem (relativ niedrigen) Niveau von p2. An den gepunkteten Linien können wir erkennen, dass bei diesem Preis die Nachfrage nach Strom größer ist als
das Angebot. Der Betreiber kann die produzierte Strommenge komplett verkaufen. Die Haushalte würden gern noch mehr Strom nachfragen, aber der ist nicht vorhanden. Der Betreiber merkt nun, dass er
die (relativ geringe) Strommenge, die er bisher anbietet, auch zu einem höheren Preis verkaufen kann.
Wenn seine Kapazitäten bei fünf cent je Kilowattstunde komplett ausgelastet werden, wird er versuchen, sieben cent zu verlangen. Die Nachfrage der Haushalte wird kleiner werden, aber wenn sie immer
noch größer ist als die vorhandene Angebotsmenge, war die Preiserhöhung eine gute Idee. Der steigende Preis bedeutet aber, dass der Betreiber einen Anreiz hat, seine Angebotsmenge auszuweiten und
mehr Ressourcen in die Stromproduktion zu stecken. Mit dem steigenden Preis geht also gleichzeitig
auch die Angebotsmenge nach oben.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
20
Marktgleichgewicht
Wenn bei hohen Preisen eine Tendenz zu Preissenkungen existiert und bei niedrigen Preisen eine Tendenz zur Preiserhöhung, dann muss es irgendwo einen Preis geben, bei dem es diese Tendenzen nicht
gibt. Dieser Preis liegt dort, wo Angebots- und Nachfragekurve sich schneiden.
Strompreis
Angebot
pG
Diesen Schnittpunkt nennt man auch Marktgleichgewicht.
Den Preis pG, der im Gleichgewicht vorliegt, wird Gleichgewichtspreis genannt und die Strommenge xG die Gleichgewichtsmenge.
Nachfrage
xG
Der Schnittpunkt stellt den Punkt dar, an dem Angebot und
Nachfrage exakt gleich groß sind. Der Anbieter hat weder einen Anreiz, den Preis zu senken, weil zu viel produziert hat
und seine Produkte loswerden möchte. Noch hat er einen Anreiz, den Preis anzuheben, weil die Nachfrager ihm seine Produkte aus den Händen reißen, weil zu wenig hergestellt wird.
Menge
Der Preismechanismus führt also dazu, dass die Reaktion von
Angebot und Nachfrage sich in Richtung eines Gleichgewichts bewegen. Niemand muss eine Preis und eine Produktionsmenge planen, wie das in Planwirtschaften passiert, sondern der Markt reguliert sich selbst.
Mit dem Strommarkt haben wir nun ein Produkt erwischt, auf das das Marktmodell in der Praxis nur
mäßig gut passt, weil der Strommarkt einige Besonderheiten aufweist, die der Markt für Eiscreme oder
Schuhe nicht hat. Diese Besonderheiten werden wir im Folgenden herausarbeiten und überlegen, welche Konsequenzen das hat.
Marktformen
Anbieter
viele
Monopson
Oligopson
bilaterales
Polypol
wenige
monopsonistisches Oligopol
bilaterales Oligopol
Oligopol
einer
bilaterales
Monopol
monopolistisches Oligopson
Monopol
einer
wenige
viele
Nachfrager
Ein wichtiges Unterscheidungskriterium bei Märkten ist die Anzahl der Marktteilnehmer auf der
Angebots- bzw. Nachfrageseite.
Die nebenstehende Klassifizierung hat sich etabliert.
Das Marktmodell passt am besten
auf Märkte, bei denen es auf beiden Marktseiten sehr viele Teilnehmer gibt, d.h. auf das bilaterale Polypol. Der Grund ist, dass in
dieser Marktform kein Marktteilnehmer Marktmacht hat, die er
gegenüber der anderen Marktseite
einsetzen könnte. Es gibt das
Konzept des sogenannten vollkommenen Marktes. Ein wesentliche Bedingung für Marktvoll-
kommenheit ist die Marktform des bilateralen Polypols.
Mit dem Strommarkt haben wir uns einen Markt ausgesucht, bei dem wir an mehreren Stellen erkennen
können, was passiert, wenn der Markt unvollkommen ist. Wir werden auch sehen, warum das so ist.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
21
Marktunvollkommenheiten auf dem Strommarkt
Die klassische Art, Strom herzustellen besteht darin, in Kraftwerken Wasser zu erhitzen und mit dem
Wasserdampf Turbinen anzutreiben. Diese Turbinen sind an Generatoren, d.h. große Fahrraddynamos
angeschlossen, die Strom produzieren. Das Wasser kann man erhitzen, indem man fossile Brennstoffe
(Öl, Gas, Kohle) verbrennt oder mit Kernspaltung, die ebenfalls Hitze produziert. Diese Produktionsweise macht nur in sehr großem Maßstab ökonomisch Sinn, d.h. die Kraftwerke sind sehr groß und
produzieren jeweils Strom für ganze Städte. Das bedeutet, dass es in einer Region nur einen Anbieter
gibt, der Strom herstellt. Dem gegenüber stehen viele Nachfrager. Wir haben es also mit einem Monopol zu tun. Dieses Monopol ist zwar nur regional, aber trotzdem ein Monopol, weil die Nachfrager
nicht auf einen anderen Anbieter ausweichen können. Dieser Monopolist hat nun die Marktmacht, den
Preis so festzulegen, wie es ihm passt. Wir werden im Kapitel über Unternehmenstheorie auf diesen
Punkt zurückkommen. An dieser Stelle können wir aber festhalten, dass der Markt vielleicht nicht gut
funktioniert, wenn der Anbieter seine Marktmacht missbraucht. Aus diesem Grund ist der Strommarkt
stark durch Gesetze reglementiert.
Photovoltaik stellt nun die klassische Marktstruktur der großen Energieversorger grundlegend in Frage.
Windkraftanlagen und Wasserkraftwerke folgen dem alten Geschäftsmodell des große Anlagen produzieren viel Strom für viele Nachfrager. Dieses Geschäftsmodell führt tendenziell zu Monopolen oder
Oligopolen, bei denen die Anbieter große Marktmacht haben. Photovoltaik kann auch in ganz kleinem
Maßstab betrieben werden, indem sich eine Familie ein paar Solarpanels auf das Dach ihres Hauses
montiert. Über die Technologie der Photovoltaik könnte sich der Markt also in Richtung eines bilateralen Polypols entwickeln. Viele kleine Anbieter produzieren ihren Strom selbst und verkaufen die überschüssige Menge an andere Nachfrager.
Das Problem ist nun, dass Photovoltaik nur dann Strom liefert, wenn die Sonne scheint. Man weiß sicher, dass nachts kein Strom produziert wird. Man weiß auch, dass die Produktion bei Bewölkung niedriger ist, aber bei der Frage, wie lange und intensiv Bewölkung vorliegen wird, herrscht Unsicherheit.
Sehr gut planbare Produktionsmengen sind der große Vorteil der klassischen Kraftwerke. Derzeit sind
die klassischen Kraftwerke also nicht verzichtbar. Wenn man auf sie verzichten will, muss man entweder die Nachfrage stärker an die Wetterlage anpassen, d.h. nachts keinen Strom verbrauchen oder man
muss bei guter Wetterlage viel Strom produzieren, diesen Strom speichern und nachts/bei Bewölkung
verbrauchen. Technisch gibt es dafür Lösungen. Die sind aber relativ ineffizient. Die Existenz der großen Energieversorger und der großen Kraftwerke hängt also in starkem Maße davon ab, wie sich die
Effizienz der Solarpanels und der Stromspeichertechnik entwickelt.
Eine weitere Komplikation besteht darin, dass es gute Gründe gibt, die Großkraftwerke alten Typs
überflüssig zu machen, weil sie entweder mit fossilen Brennstoffen oder Kernkraft arbeiten. Beide Methoden haben unter Umweltgesichtspunkten Nachteile. Das bedeutet, dass es sinnvoll sein könnte, diese
Veränderung auf dem Strommarkt zu beschleunigen. Diesen Punkt werden wir in den Kapiteln über
Strukturpolitik und Steuern aufgreifen.
Strompreis
Sättigungsmenge und Prohibitivpreis
Im Marktdiagramm ist die Nachfragekurve bis an die beiden Achsen
durchgezogen. In den meisten Abbildungen macht man das nicht,
weil diese Extrembereiche für das praktische Marktgeschehen im
Regelfall irrelevant sind. Der erste Extrempunkt ist die Sättigungsmenge, d.h. die nachgefragte Menge bei einem Preis von Null. Der
andere Extrempunkt ist der Prohibitivpreis, der so hoch ist, dass die
Nachfrage Null ist.
Angebot
Nachfrage
Menge
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
22
Algebraische Bestimmung des Marktgleichgewichts
Bisher haben wir das Marktgleichgewicht über Zeichnungen in Koordinatenkreuzen bestimmt, d.h.
über sogenannte geometrische Darstellungen. Diese Technik hat Vor- und Nachteile, weshalb es auch
Alternativtechniken gibt. Eine Alternativtechnik ist die Bestimmung über Gleichungen und Funktionen,
die algebraische Methode genannt wird.
Um diese Methode zu verstehen, verwenden wir ganz einfache Funktionen, die nicht zum Strombeispiel passen. Das Angebot A ist abhängig vom Preis p. Die Angebotsfunktion sei
𝐴(𝑝) = 3𝑝
Die Nachfrage N ist ebenfalls vom Preis p abhängig. Sie sei
𝑁(𝑝) = 100 − 2𝑝
Für das Gleichgewicht gilt, dass A=N ist, also
3𝑝 = 100 − 2𝑝
mit p=20.
Wenn wir diesen Preis in die Angebotsfunktion einsetzen, erhalten wir eine Menge von 60. Als Probe
setzen wir diesen Preis in die Nachfragefunktion ein und erhalten eine Menge von 60. Angebotsmenge
und Nachfragemenge sind also gleich hoch. Das ist die Definition eines Marktgleichgewichts. Unsere
Rechnung war also richtig.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
2.
23
Unternehmen
In diesem Teil der Veranstaltung werfen wir einen genaueren Blick auf die Aufgaben, die in einem Unternehmen anfallen und die Entscheidungen, die zu treffen sind.
Im Kapitel Produktionstheorie haben wir uns einen ersten Überblick verschafft, uns aber damit zufriedengegeben, dass wir zeigen konnten, dass Unternehmen einen Anreiz haben, die Produktionsmenge
auszuweiten, wenn der Preis steigt. Mehr brauchten wir an der Stelle nicht, um den Preismechanismus
des Marktes zu verstehen. Jetzt geht es darum, näher hinzuschauen.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
24
2.1 Gewinnmaximierung
Gewinnmaximierung als Ziel
Die ökonomische Unternehmenstheorie geht von der Annahme aus, dass das Ziel eines Unternehmens
darin besteht, den Gewinn zu maximieren. Der Gewinn G ist definiert als Differenz zwischen Umsatz
und Kosten. Diese beiden Kennzahlen haben Sie in den Kapiteln über Produktionstheorie und Angebot/Nachfrage schon kennengelernt. Der Umsatz U ist das Produkt aus Preis p und Menge x. Die Kosten K setzen sich aus variablen Kosten Kv und Fixkosten Kf zusammen.
Als Gleichung schreibt sich das
𝐺 =𝑈−𝐾
𝐺 = 𝑝𝑥 − (𝐾𝑓 + 𝐾𝑣 )
Mit diesem sehr einfachen Modell kommt man ziemlich weit. Am Ende dieses Kapitels werden wir uns
fragen, ob wir Unternehmen, die dezidiert nicht Gewinnmaximierung als ihr Ziel angeben, zumindest
teilweise ebenfalls mit diesem Modell erklären können.
Die folgenden Werte sollen dieses Zahlenbeispiel illustrieren. Im Kapitel über Märkte sind die verschiedenen Marktformen aufgelistet worden. Es sei angenommen, dass die Marktform ein bilaterales
Polypol ist. Weder die Anbieter noch die Nachfrager haben Marktmacht, so dass der Preis für alle
Marktteilnehmer gegeben ist.
p=11.500
Kf=100.000
Kv=x2
Als Wertetabelle sehen die Kennzahlen folgendermaßen aus:
x
1.000
2.000
3.000
4.000
5.000
6.000
7.000
U
11.500.000
23.000.000
34.500.000
46.000.000
57.500.000
69.000.000
80.500.000
Kf
100.000
100.000
100.000
100.000
100.000
100.000
100.000
Kv
1.000.000
4.000.000
9.000.000
16.000.000
25.000.000
36.000.000
49.000.000
10.400.000
18.900.000
25.400.000
29.900.000
32.400.000
32.900.000
31.400.000
G
Berechnung der optimalen Produktionsmenge
Das Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses führt dazu, dass die variablen Kosten überproportional
mit der Produktionsmenge steigen. Dieses Gesetz haben Sie im Kapitel Produktion schon kennengelernt. Die Wertetabelle zeigt, dass der Gewinn des Unternehmens mit zunehmender Produktionsmenge
erst steigt und dann wieder fällt. Der Grund ist, dass bei niedrigen Produktionsmengen die Fixkosten
schwer wiegen, bei hohen die variablen Kosten. Anhand der Tabelle würde das Unternehmen, sich für
eine Produktionsmenge von 6.000 entscheiden, da der Gewinn bei dieser Menge maximal ist. Die Tabelle hat aber jeweils Sprünge von 1.000 Einheiten in der Produktionsmenge. Daher ist es ratsam, die
Lösung über die Differentialrechnung zu ermitteln. Diese Technik ist Inhalt der Mathematikvorlesung.4
Setzt man die Werte in die Gewinngleichung ein, erhält man
4
Langenbahn, Claus-Michael. Quantitative Methoden der Wirtschaftswissenschaften. München:
Oldenbourg, 2009, S. 39ff.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
25
𝐺(𝑥) = 11.500𝑥 − 𝑥 2 − 100.000
Aus der Gleichung kann man erkennen, dass G nur von x abhängt. Gesucht ist der Extremwert von G,
d.h. die Menge x, bei der G maximal ist. Diesen Punkt kann man berechnen, indem man die erste Ableitung von G mit Null gleichsetzt und nach x auflöst.
𝐺 ′ (𝑥) = 11.500 − 2𝑥 = 0
𝑥 = 5.750
Eine dritte Möglichkeit, die optimale
Produktionsmenge zu bestimmen ist der
Einsatz von Software, wie Microsoft
Excel. Mit dem Solver kann man solche
Optimierungsprobleme lösen.
Die Tabellenmethode ist sehr umständlich und ungenau. Sie ist aber gut, um das
Grundprinzip zu verstehen. Ob man in
der Praxis nun die Differentialrechnung
per Hand durchführt, oder Software einsetzt, hängt von der Komplexität der Gewinnfunktion ab.
In allen Fällen kommt man zu der optimalen Produktionsmenge von 5.750 Stück. Setzen man diesen
Wert in die Gewinnfunktion ein, erhält man 32.962.500 als Gewinn. Mehr ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Das Unternehmen könnte darüber nachdenken, die Menge zu verändern. Dann würde der Gewinn sinken. Das Unternehmen könnte darüber nachdenken, den Preis zu ändern. Erhöht das
Unternehmen den Preis, wandern alle Kunden zur Konkurrenz ab. Senkt das Unternehmen den Preis,
sinkt der Umsatz bei gleicher Produktionsmenge.
Preispolitik im Monopol
In einem Monopol kann der Anbieter aber den Preis selbst bestimmen, weil er die entsprechende
Marktmacht hat. Das Unternehmen weiß, dass die Nachfrage auf eine Preisänderung reagieren wird.
Die Nachfragefunktion N sei
𝑁(𝑝) = 17.250 − 𝑝
Für den Fall p=11.500 ist x=5.750. Das ist das Szenario, das wir bereits ausgerechnet haben.
Jetzt sei der Fall untersucht, dass der Monopolist den Preis auf 12.000 anhebt. Die Nachfrage sinkt auf
5.250. Setzt man diese Menge in die Gewinnfunktion ein, erhält man
𝐺(5.250) = 12.000 ∗ 5.250 − 5.2502 − 100.000 = 35.337.500.
Angenommen, der Monopolist senkt den Preis auf 11.000. Dann ist die Nachfrage 6.250.
𝐺(6.250) = 11.000 ∗ 6.250 − 6.2502 − 100.000 = 29.587.500.
Durch diese zwei Varianten kann man erkennen, dass ein Unternehmen, das genügend Marktmacht hat,
den Preis festzulegen, einen Anreiz hat, den Preis relativ hoch zu wählen. Es lässt sich mit den vorhandenen Informationen aus ausrechnen, wie hoch der gewinnmaximierende Preis ist, aber das führt an
dieser Stelle zu weit. Es reicht, festzuhalten, dass es für einen Monopolisten attraktiv ist, den Preis über
den Gleichgewichtspreis anzuheben, auch wenn er dadurch weniger verkauft.
Sichtweisen von Wettbewerb
Der Vergleich von bilateralem Polypol und Monopol zeigt, dass Marktmacht auf der Seite des Unternehmens zu höheren Preisen bei niedrigerer Menge führt. Das Unternehmen maximiert so seinen Gewinn. Aus Sicht der Kunden ist dieses Szenario negativ, da die Kunden mehr zahlen müssen als im Po-
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
26
lypol und einige potentielle Kunden das Gut nicht nachfragen, weil es ihnen zu teuer ist. Die Versorgung mit dem Gut ist also schlechter als im Polypol.
Das bedeutet, dass Unternehmen eine ganz andere Sicht auf Wettbewerb haben als die Verbraucher.
Aus Sicht des Verbrauchers ist Wettbewerb gut, weil er für niedrige Preise sorgt. Aus Sicht des Unternehmens ist Wettbewerb schädlich für den Gewinn. Unternehmen haben daher einen Anreiz, Wettbewerb zu vermeiden. Zwei wichtige Strategien sehen in diesem Zusammenhang so aus:
-
Ein Anbieter senkt die Preise und verzichtet auf Gewinn. Er hofft, so Konkurrenten zu vertreiben und später als Monopolist die Preise anheben zu können.
Die Anbieter sprechen die Preise miteinander ab. Ein solcher Zusammenschluss wird Kartell
genannt.
Sozialunternehmen
Sozialunternehmen oder Non-Profit-Unternehmen (die Begriffe sind nicht sehr scharf definiert) haben
nicht das Ziel, möglichst viel Gewinn zu erzielen. Trotzdem ist die Gewinnfunktion
𝐺 = 𝑝𝑥 − (𝐾𝑓 + 𝐾𝑣 ) = 0
gut geeignet, um das Verhalten dieser Unternehmen zu beschreiben und zu analysieren. Auch für Sozialunternehmen gilt, dass der Umsatz die Kosten decken muss, d.h. dass 𝑝𝑥 = (𝐾𝑓 + 𝐾𝑣 ) sein muss. Sozialunternehmen verfolgen in der Regel eines der folgenden Ziele
a) sie wollen ein Produkt zu einem Preis anbieten, der unter dem Gleichgewichtspreis eines freien
Marktes liegt, da die Zahlungsfähigkeit oder Zahlungsbereitschaft der Zielgruppe relativ gering
ist.
b) das angebotene Produkt soll auf eine Weise hergestellt werden, die höhere Kosten verursacht
als die Standard-Produktionsweise.
Im ersten Fall ist p geringer und damit der Umsatz, im zweiten Fall ist K höher. Beides führt zu einem
Sinken von G. Das Unternehmen kann nun p soweit senken bzw. K soweit erhöhen, bis G=0 ist. Eine
Kombination beider Effekte liegt dann vor, wenn die Kunden eine Zahlungsbereitschaft für die besondere Herstellungsweise haben.
Non-Profit-Unternehmen definieren sich selbst als Unternehmen, die keine Gewinne erzielen wollen,
sondern gemeinnützige Ziele verwirklichen wollen. Unter Begriffen wie CSR (corporate social responsibility) wird die Frage gestellt, ob Unternehmen grundsätzlich eine solche gemeinnützige Verantwortung haben. Im Kapitel Ethik wird diese Frage noch einmal aufgegriffen.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
27
2.2 Produktpolitik
Pioniergewinne
Unternehmen, die erfolgreich neue Produkte auf den Markt bringen, sind erst einmal Monopolisten.
Wir haben im letzten Kapitel gesehen, dass die Preise in Monopolen tendenziell eher hoch sind, da
dies, trotz des Verzichts auf mögliche Zusatznachfrage, den Unternehmensgewinn erhöht. Diese hohen
Gewinne werden Pioniergewinne genannt, weil sie von den Unternehmen eingestrichen werden, die die
Pioniere, d.h. die ersten sind.
Rendite und Nachahmer
Sie haben einige Aspekte der Automobil-Massenproduktion durch Fords Model T bereits kennengelernt. In dem folgenden fiktiven Zahlenbeispiel kann man sehen, dass Ford absolut viel weniger an einem Auto verdient als der Luxushersteller.
Luxus
Model T
Kosten
35.000
8.000
Verkaufspreis
40.000
10.000
Gewinn/Stück
5.000
2.000
Menge
1.000
100.000
Gewinn insgesamt 5.000.000
200.000.000
Rendite
14,3%
25,0%
Ford macht aber viel mehr Gewinn. Zum einen,
weil die produzierte Menge viel größer ist, zum
anderen, weil der relative Gewinn je Auto bei
Ford höher ist. Dieser relative Gewinn wird auch
Rendite genannt. Die allgemeine Definition von
𝐺𝑒𝑤𝑖𝑛𝑛
Rendite ist 𝑒𝑖𝑛𝑔𝑒𝑠𝑒𝑡𝑧𝑡𝑒𝑠 𝐾𝑎𝑝𝑖𝑡𝑎𝑙 bzw. in unserer
𝐺𝑒𝑤𝑖𝑛𝑛
Rechnung 𝐾𝑜𝑠𝑡𝑒𝑛 . Diese hohe Rentabilität billiger Autos stellt einen Anreiz für andere Unternehmen dar, das Geschäftsmodell von Ford nachzuahmen. In der Modellrechnung kommt schon zum Ausdruck, dass das Geschäftsmodell nur mit großen
Stückzahlen funktioniert, daher dauerte es eine Reihe von Jahren, bis die Marke Chevrolet von General
Motors zu einem ernsthaften Konkurrenten geworden war.
Produktlebenszyklus
Das Model T wurde von 1914-1927 mit nur leichten Variationen hergestellt. In den 1920er Jahren sank
die Verkaufszahlen bei Ford, weil die Konkurrenz qualitativ und preislich aufholte. 1927 brachte Ford
das Nachfolgeprodukt Model A auf den Markt, das aber den Erfolg von Model T nicht wiederholen
konnte.
Die meisten Produkte unterliegen einem sogenannten
Produktlebenszyklus, der typischerweise so aussieht,
wie nebenstehend abgebildet. In einer Einführungsphase ist der Gewinn negativ (d.h. das Produkt macht Verluste). Dann folgt eine Wachstumsphase, eine Reifephase und eine Degenerationsphase. Wie lang der Zyklus
insgesamt dauert und wie groß die relativen Anteile der
Zeit
einzelnen Phasen sind, ist von Produkt zu Produkt verschieden. Es gibt auch sehr wenige Produkte, die einen
extrem langen Produktlebenszyklus haben, wie Coca
Cola oder Aspirin, aber im Regelfall muss ein Unternehmen davon ausgehen, dass erfolgreiche Produkte irgendwann nicht mehr erfolgreich sein werden.
Gewinn
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
28
Verdrängungswettbewerb
Wenn Massenproduktion Effizienzvorteile bringt, dann bringt jeder neue Anbieter auf einem Markt
große zusätzliche Kapazitäten ein. Jahrelang konnte Ford bei der Produktion des Model T die Strategie
fahren, keine Modellvarianten anzubieten. Das Auto war z.B. nur in der Farbe schwarz verfügbar, weil
die am schnellsten trocknete. Das war eine sinnvolle Strategie, so lange es keine Konkurrenz mit vergleichbaren Preisen gab und Ford den Markt allein abdecken konnte. Chevrolet kam nun mit ähnlichen
Produktionskapazitäten auf den Markt. Die Nachfrage konnte aber nicht verdoppelt werden. Das bedeutete, dass Chevrolet seinen Erfolg zum Teil über eine Marktausweitung, zum Teil aber durch Verdrängung von Ford erreichen musste. Im Kapitel Gewinnmaximierung ist gezeigt worden, dass es für
Unternehmen im Regelfall keinen Sinn macht, ihre theoretische Produktionskapazität voll auszuschöpfen und dass es eine optimale Produktionsmenge gibt. Wenn nun über Pioniergewinne Nachahmer angelockt werden, die große Zusatzkapazitäten einbringen, führt das dazu, dass die Unternehmen tendenziell einen suboptimalen Auslastungsgrad haben. Das erhöht den Druck auf die Unternehmen, ihre Absatzmenge zu erhöhen, was sie häufig nur über die Verdrängung von Konkurrenzprodukten erreichen
können. Dieser Druck wirkt beschleunigend auf die Produktlebenszyklen. Im Kapitel Strukturpolitik
werden wir diese Idee noch einmal aufgreifen.
Produktportfolio
In der nebenstehenden Abbildung
sind drei Produktgenerationen (A,
3
B und C) eines Unternehmens
2,5
dargestellt. Die zweite Produktgeneration wird in Q4 eingeführt,
2
obwohl Produkt A in Q3 so viel
1,5
Gewinn abgeworfen hat, wie
1
noch nie. In Q6 wird Produkt A
vom Markt genommen und in Q7
0,5
wird Produkt C eingeführt, ob0
wohl B im Vorquartal die bisher
Q1
Q2
Q3
Q4
Q5
Q6
Q7
Q8
Q9
höchsten Gewinne eingefahren
Produkt A
Produkt B
Produkt C
hat. Die Reihenfolge der Einführung ist so gewählt, dass der Unternehmensgewinn im Zeitablauf möglichst konstant bleibt. In der zweiten Abbildung ist der Fall dargestellt, dass das Unternehmen zu spät reagiert.
GEWINN
3,5
Das Produkt B wird erst in Q5
eingeführt, da in Q4 der Gewinn
von A eingebrochen ist. Das
gleiche passiert in Q9 eine Produktgeneration später.
3,5
3
Gewinn
2,5
2
Die Konsequenz dieser verzögerten Produkteinführung ist ein
schwankender Gewinn des Unternehmens.
1,5
1
0,5
0
Es ist für Unternehmen also ratsam, mehrere Produkte gleichProdukt A
Produkt B
Produkt C
zeitig im Angebot zu haben.
Zum einen, weil die Nachfolgegeneration nicht schlagartig Gewinneinbrüche auffangen kann, sondern typischerweise Anlaufzeit
Q1
Q2
Q3
Q4
Q5
Q6
Q7
Q8
Q9
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
29
braucht, zum anderen, weil ein Unternehmen bei der Einführung eines neuen Produkts noch nicht weiß,
ob dieses Produkt überhaupt ein Erfolg wird. Die Abbildung des Produktlebenszyklus suggeriert, dass
man das schon vorher weiß. Das ist aber nicht so. Tatsächlich floppen die meisten Produkte noch in der
Phase der Markteinführung. In der Praxis kann sich das Unternehmen also nicht darauf verlassen, dass
es ausreicht, Produkt B in Q4 einzuführen, um den Gewinn zu verstetigen, da das Unternehmen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen muss, dass B floppen wird. Das Unternehmen braucht
also zur gleichen Zeit noch die Produkte C, D, … und hofft, dass eines dieser Produkte ein Erfolg wird.
Berry – Index
Der Berry-Index ist eine Kennzahl, mit der sich die Breite der Produktportfolios eines Unternehmens
messen lässt. Er ist definiert als 1 − ∑𝑛𝑖=1 𝑢𝑖2 mit ui als dem Umsatzanteil des Produktes i.
Eine Einproduktunternehmung hat einen Berry-Index von 1-1²=0. Eine Unternehmung mit zwei Produkten, die einen Umsatzanteil von 60 % und 40 % haben ist 1- 0,4² - 0,6² = 0,48. Eine Unternehmung,
die 10 Produkte mit einem Umsatzanteil von jeweils 10 % hat 1 – 10*0,1² = 0,9. Je höher der BerryIndex, umso diversifizierter, d.h. breiter aufgestellt ist ein Unternehmen. Ein Unternehmen mit einem
hohen Berry-Index kann den Ausfall eines Produkts, das (überraschend) das Ende seines Produktlebenszyklus erreicht hat, besser verkraften als ein Unternehmen mit niedrigem Berry-Index.
Ein Beispiel für ein Unternehmen, das bezüglich der Breite seines Produktportfolios eine negative
Entwicklung gemacht hat, ist Apple.
Vergleicht man die ersten
Quartale 2011 und 2016
lässt sich einerseits eine
Verdreifachung der Umsätze beobachten. Andererseits beruht dieses
Wachstum fast ausschließlich auf dem Erfolg eines einzigen Produkts – dem iPhone.
Apple Umsatz (Mrd. USD)
Q1 '16
Q1 '11
Vergleicht man die Berry-Indices der beiden
iPhone
Mac
iTunes/Software/Services
iPad
andere Produkte, Zubehör
Quartale, hat sich der
Wert von 0,75 auf 0,51
verringert. Das bedeutet, dass die zukünftige Entwicklung von Apple extrem vom Erfolg des iPhones
abhängt. Wenn sich das iPhone nicht mehr so gut verkauft wie bisher, weil andere Produkte bevorzugt
werden oder Smartphones insgesamt in die Degenerationsphase ihres Produktlebenszyklus gelangen,
hat Apple ein massives Problem.
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Markt- und Trendforschung
In der Einführungsphase des Produktlebenszyklus ist der Gewinn typischerweise negativ. Unternehmen
haben daher einen Anreiz, Produkte, die eine hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns haben, gar nicht
erst einzuführen, sondern den Zyklus so früh wie möglich zu beenden.
Markt- und Trendforschung sind Ansätze, mit denen man die Akzeptanz neuer Produkte prognostizieren kann, bzw. Märkte, die sich erst in Zukunft bilden werden, schon heute zu erkennen, um frühzeitig
Produkte für diese Märkte entwickeln zu können.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
30
2.3 Kostenrechnung
Mehrproduktunternehmen
Die Unterscheidung zwischen Fixkosten und variablen Kosten ist für eine Gesamtbetrachtung eines
Unternehmens ein gutes Instrument. Das Ergebnis des Kapitels Produktpolitik war aber, dass es für Unternehmen sinnvoll ist, sich zu diversifizieren, d.h. mehrere Produkte herzustellen. In der Abbildung
mit den drei Produktgenerationen A, B und C im letzten Kapitel war die vertikale Achsenbezeichnung
Gewinn. Wir haben also angenommen, dass wir den gesamten Unternehmensgewinn einzelnen Produkten zuordnen können. Das ist weniger trivial, als es scheint. Die Kostenrechnung ist ein betriebswirtschaftliches Instrument, das genau das leisten soll. Die Kostenrechnung soll bei der Preisgestaltung helfen, denn wenn das Unternehmen nicht weiß, wie hoch die Kosten eines Produkts zu veranschlagen
sind, ist die Kalkulation von Preisen schwer. Kostenrechnung soll auch helfen, unrentable Produkte zu
identifizieren um das Produktportfolio zu bereinigen, denn es macht wenig Sinn, sich mit Produkten zu
diversifizieren, die keinen Gewinn abwerfen.
Einzel- und Gemeinkosten bei Grotrian-Steinweg
Während die Kostenbegriffe fix/variabel danach unterscheiden, ob die Kosten von der produzierten
Menge abhängen oder nicht, verwendet die Kostenrechnung die Begriffe Einzelkosten (EK) für Kosten,
die sich einem Produkt zuordnen lassen und Gemeinkosten (GK), bei denen das nicht geht. Beide Begriffspaare haben Schnittmengen zueinander, sind aber nicht identisch.
Grotrian-Steinweg ist ein Klavierbauunternehmen aus Braunschweig, dessen Instrumente zur Oberklasse zählen. Etwa 60 Mitarbeiter fertigen etwa 600 Instrumente und erzielt einen Umsatz von etwa 4,5
Mio. €. Das entspricht einem Herstellerabgabepreis von durchschnittlich 7.500€ je Instrument. Der
Endkundenpreis liegt bei mehr als dem Doppelten. Insgesamt bietet das Unternehmen 15 verschiedene
Klavier- und Flügelmodelle an.
Das Unternehmen stellt die Instrumente in einer großen fensterlosen Halle her, da das für die Klimatisierung vorteilhaft ist. Die Beleuchtungskosten der Halle fallen unter die Gemeinkosten, weil das Licht
für die gesamte Produktion leuchtet. Es sind aber keine Fixkosten, da man die Halle nicht beleuchten
müsste, wenn es keine Produktion gibt.
Einige der 60 Mitarbeiter stellen die Klaviermechanik ein, andere stimmen die Saiten usw. Die Personalkosten dieser Mitarbeiter sind Fixkosten, weil sie ihr Gehalt unabhängig von der Produktionsmenge
bekommen. Gleichzeitig sind diese Kosten aber Einzelkosten, da sie für jedes Klaviermodell und sogar
jedes einzelne Exemplar jedes Modells erhoben werden können.
Als unechte Gemeinkosten werden Kosten bezeichnet, die man mit großem Aufwand als Einzelkosten
berechnen könnte, aber aus praktischen Gründen den Gemeinkosten zuschlägt. Bei Grotrian-Steinweg
werden viele Holzteile verarbeitet. Das Holz kann man gut als Einzelkosten ermitteln, aber für die
Werkzeuge, die verschleißen, ist das nicht sinnvoll.
Teilkostenrechnung und Deckungsbeiträge
Die Grundidee der Teilkostenrechnung ist, dem Kostenträger (bei Grotrian-Steinweg wäre das das einzelne Instrument) nur die Einzelkosten zuzurechnen. Die Gemeinkosten bleiben als Block bestehen.
Eine zentrale Größe der Teilkostenrechnung sind die Deckungsbeiträge DB, die als U-EK definiert
sind.
Die Gewinngleichung aus der Unternehmenstheorie
𝐺 =𝑈−𝐾
kann man aus Sicht der Teilkostenrechnung umformulieren:
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
31
𝐺 = 𝑈 − 𝐸𝐾 − 𝐺𝐾
bzw.
𝐺 = 𝐷𝐵 − 𝐺𝐾
Das bedeutet, dass der Gewinn die Differenz zwischen Deckungsbeiträgen und Gemeinkosten ist. Die
Teilkostenrechnung modifiziert das Ziel der Gewinnmaximierung hin zu einer Deckungsbeitragsmaximierung.
Vollkostenrechnung
Die Vollkostenrechnung geht bei den Gemeinkosten einen anderen Weg. Sie versucht, die GK auf die
einzelnen Produkte umzulegen, um das Problem zu umgehen, einen großen Kostenblock aufzuhäufen
und zu hoffen, dass die Deckungsbeiträge größer als dieser Block sind.
Zielkostenrechnung
Voll- und Teilkostenrechnung versuchen, die Kosten der Herstellung eines Produkts in einem Mehrproduktunternehmen möglichst gut zu ermitteln. Die Zielkostenrechnung stellt diesen Ansatz auf den
Kopf und fragt, wie ein Produkt konzipiert sein muss, wenn es Kosten in festgelegter Höhe verursachen
soll.
Das kleinste Instrument bei Grotrian-Steinweg kostete etwa 13.000€ (Endkundenpreis). In Deutschland
hergestellte Instrumente liegen sämtlich im Hochpreissegment. Einige Hersteller haben Produktlinien,
die im Ausland und/oder mit weniger hochwertigen Komponenten aus Asien gefertigt werden. Grotrian-Steinweg wollte nun ein Instrument unter 10.000€ anbieten, ohne die eigene Marke zu verwässern
und das Instrument weiterhin in Deutschland mit deutschen Komponenten bauen. Also musste die
Konstruktion so vereinfacht werden, dass das Instrument für diesen Preis herstellbar war.
Prozesskostenrechnung und Benchmarking
Ein weiterer Zugang ist die Prozesskostenrechnung. Die Grundidee ist, den Produktionsprozess jedes
Produkts in möglichst keine Schritte zu zerlegen und die Kosten für jeden Schritt zu berechnen. Durch
Vergleiche mit anderen Anbietern, Benchmarking genannt, kann das Unternehmen erkennen, ob es bei
einzelnen Prozessschritten noch Einsparmöglichkeiten gibt. Das Finden eines Benchmarkingpartners ist
allerdings schwierig, da die Unternehmen einerseits möglichst ähnlich sein sollen, andererseits aber
keine Konkurrenten sein dürfen.
kurzfristige Preisuntergrenzen in der Deckungsbeitragsrechnung
Greifen wir das Klavier-Beispiel aus der Zielkostenrechnung noch einmal auf. In der Tabelle sind zwei Instrumente aufgelistet. Das kleinste und billigste und ein
mittleres. Die mit * versehenen Zahlen sind „echt“, die
anderen geschätzt/erfunden. Das Beispiel handelt also
nicht vom echten Klavierhersteller Grotrian-Steinweg,
sondern einem fiktiven, für das wir ein paar Zahlen geborgt haben.
Bauhöhe (cm)*
Endkundenpreis*
Händlereinkaufspreis
Einzelkosten
Deckungsbeitrag
111
8.700
4.350
3.600
750
114
14.300
7.150
4.000
3.150
Es sei angenommen, der Händlereinkaufspreis, d.h. der Preis, den der Hersteller für das Instrument bekommt, liegt bei 50% des Listenpreises. Es sei angenommen, dass die kleinere Bauhöhe und die einfachere Konstruktion des kleinen Instruments die EK um 400€ senken. Der Löwenanteil des Preisunterschieds stammt dann von einem Verzicht auf Deckungsbeiträge. Anders herum: Das 114er Instrument
ist vergleichsweise teuer, weil der Deckungsbeitrag je Instrument dreimal so hoch ist wie bei dem kleinen Instrument. Warum macht der Hersteller das?
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
32
In der nebenstehenden Tabelle
sind zwei Szenarien abgebildet.
Summe
In Szenario A gibt es das
Kleinklavier nicht. Der DB beträgt 315.000€. Das Szenario B
351.750
geht davon aus, dass die Einführung des Kleinklaviers die Verkaufszahlen des 114er Instruments nur leicht senkt, d.h. das Kleinklavier nicht die eigenen Produkte kannibalisiert, sondern zu Lasten anderer Hersteller geht. In Summe
steigen die Deckungsbeiträge. Bei Unterauslastung wäre der Hersteller sogar bereit, einen Stück-DB
von einem Euro zu akzeptieren, selbst wenn am Ende kein Gewinn herauskommt. Das bedeutet, dass er
im Extremfall das Kleinklavier für 3.601€ an die Händler verkaufen würde.
Szenario A
Bauhöhe
114
StückDB
3.150
Absatzmenge
100
GesamtDB
315.000
Szenario B
114
111
3.150
750
95
70
299.250
52.500
Wir werden Grotrian-Steinweg in den Kapiteln Rechtsformen und Strukturpolitik wiedertreffen.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
33
2.4 Logistik
Fallbeispiel Bavaria Yachtbau
Bavaria Yachtbau ist der größte Hersteller von Segelyachten in Europa. Pro Jahr werden etwa 1.200
Boote hergestellt, was einen Umsatz von ca. 120 Mio. € darstellt. Der Umsatz ist definiert als
Preis*Menge. Das bedeutet, dass der Verkaufspreis einer Yacht bei durchschnittlich 100.000 € liegt.
Fertigungstiefe
Obwohl Bavaria eine relativ große Werft ist, wird ein Teil der Bestandteile einer Yacht zugekauft.
Bavaria produziert z.B. die Motoren nicht selbst, sondern kauft sie u.a. von Volvo zu. Für die Entwicklung von Motoren ist Bavaria zu klein. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der Fertigungstiefe. Darunter versteht man den Anteil am Produkt, den das Unternehmen selbst herstellt und
nicht zukauft.
Lagerhaltung
Die Produktion der Yachten bei Bavaria ist genau durchgeplant. Das bedeutet, dass es einen genau definierten Zeitpunkt gibt, an dem die Motoren in das Boot eingebaut werden. Wenn kein Motor da ist,
stockt die Produktion. Aus diesem Grund gibt es ein Lager, in dem immer einige Motoren auf Vorrat
liegen, falls die Lieferung der Motoren sich verzögert. Die Organisation von Transport und Lagerhaltung wird Logistik genannt.
Durchschnittlicher Lagerbestand
Nehmen wir an, dass in jeder Woche an jeweils fünf Arbeitstagen insgesamt 25 Boote hergestellt werden. Jeden Tag also fünf. Nehmen wir an, der Volvo-Lieferant kommt einmal die Woche, am Montagmorgen, kurz bevor die Produktion um 9.00 anläuft. Er liefert die 25 Motoren an, die im Laufe der
Woche verbaut werden. Dazu reicht ein 7,5t LKW.
Dieser Lagerbestand wird kontinuierlich abgebaut,
weil ständig Motoren in Yachten eingebaut werden
und diese Yachten dann verkauft werden. Wenn wir
jeden Morgen kurz vor Produktionsbeginn nachschauen, sind an den folgenden Tagen jeweils fünf
Motoren weniger im Lager. Das kann man als Säulendiagramm wie nebenstehend darstellen.
Aus diesen Säulen kann man den durchschnittlichen
Lagerbestand ermitteln. Einen Tag waren 25 Motoren
auf Lager, einen Tag 20, einen 15 usw. das sind im
25+20+15+10+5
Durchschnitt
=15 Wenn man den La5
gerbestand häufiger misst, bekommt man mehr Säulen, die aber genauso kontinuierlich kleiner werden.
Der Verlauf des Lagerbestands nähert sich dann immer weiter einem Dreieck an. Daher verwendet man
als Faustformel für den durchschnittlichen Lagerbestand die Formel
𝐴𝑛𝑓𝑎𝑛𝑔𝑠𝑏𝑒𝑠𝑡𝑎𝑛𝑑
2
+ 𝑒𝑖𝑠𝑒𝑟𝑛𝑒 𝑅𝑒𝑠𝑒𝑟𝑣𝑒
Als eiserne Reserve wird der Lagerbestand bezeichnet, der noch vorhanden sein soll, wenn die nächste
Lieferung kommt. Er dient dazu, verzögerte Lieferungen auszugleichen. In unserer Rechnung gab es
diese eiserne Reserve nicht. Der durchschnittliche Lagerbestand wäre nach dieser Formel 12,5.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
34
Viele Unternehmen lassen sich aber nicht wöchentlich sondern täglich oder sogar mehrmals täglich beliefern. Auch Bavaria könnte darüber nachdenken, sich statt einmal die Woche 25 Motoren liefern zu
lassen, jeden Tag fünf Motoren. Das würde den durchschnittlichen Lagerbestand auf 2,5 Motoren senken. Klar ist, dass der Lieferant diese Extrafahrten in Rechnung stellen würde. Trotzdem macht es Sinn
für Bavaria, diese Variante durchzurechnen.
Kapitalbindungskosten
Gehen wir davon aus, dass Bavaria die gelieferten Volvo-Motoren umgehend bezahlt. Nehmen wir an,
ein Motor kostet 10.000€. Dann muss Bavaria am Montagmorgen 250.000 € überweisen. Dieses Geld
steckt jetzt in den Motoren. Am Dienstag stecken noch 200.000€ in den Motoren usw. Das bedeutet,
dass im Durchschnitt 125.000€ Geld in den Motoren, die im Lager liegen, gebunden ist. Dieses Geld
könnte an anderer Stelle im Unternehmen investiert werden. Es ist aber nicht verfügbar, sondern liegt
eben in den Motoren. Die Investition im Unternehmen würde Gewinne bringen. Also bedeutet ein großes Lager einen Verzicht auf Gewinn. Um diesen Gewinnverzicht zu messen, setzen Unternehmen einen kalkulatorischen Zinssatz an. Nehmen wir an, dieser Zinssatz ist 10 %. Das bedeutet, dass angenommen wird, dass die 125.000€, die im Durchschnitt in Motoren gebunden sind, 12.500€ Gewinn
bringen könnten. Diesen fiktiven verlorenen Gewinn bezeichnet man als die Kapitalbindungskosten.
Bei einer täglichen Lieferung sind nur 25.000€ Kapital gebunden und die Kapitalbindungskosten betragen 2.500€. Das bedeutet, dass die Kapitalbindungskosten bei täglicher Lieferung um 10.000€ gesenkt
werden können. Die Zusatzkosten des Spediteurs muss man noch gegenrechnen. Kostet die tägliche
Lieferung pro Jahr 8.000€ mehr, könnte man so 2.000€ sparen.
Just in Time
Aus dieser Überlegung wird deutlich, dass Unternehmen ein Interesse daran haben, die Lager möglichst
klein zu halten und Lieferungen punktgenau dann zu erhalten, wenn die Lagerbestände Null sind. Dieses Konzept wird JiT (just in time) genannt. JiT erfordert eine sehr ausgeklügelte Transportlogistik, da
das Rundlaufen des Produktionsprozesses davon abhängt, dass die Lieferanten die Teile extrem pünktlich zustellen.
Unternehmen wie Toyota, die dieses Konzept sehr früh eingeführt haben, achten darauf, dass auch ihre
Lieferanten ihrerseits JiT betreiben. Der Grund ist, dass JiT Kapitalbindungskosten einsparen soll.
Wenn der Lieferant große Lager aufbaut aus denen er JiT liefert, dann gibt es die großen Lager, die
Kapital binden, ja immer noch. Nicht bei Toyota, sondern beim Zulieferer. Diese vermeidbaren Kosten
schlagen sich dann für Toyota in höheren Lieferantenpreisen nieder. Wenn die Lieferanten aber eine effiziente Lagerhaltung betreiben, können sie die Preise senken.
Fallbeispiel LIBRI
Buchhandlungen haben in ihren Regalen viele Bücher stehen aber bei weitem nicht alle verfügbaren
Bücher. Wenn Sie ein Buch kaufen wollen, das nicht sehr häufig nachgefragt wird, muss dieses Buch
bestellt werden. Im Regelfall kann man es am nächsten Tag abholen. Der Buchhandel vor Ort bestellt
das Buch bei einem Buchgroßhändler. Der größte Anbieter ist LIBRI. LIBRI ist darauf spezialisiert,
weitgehend jedes Buch, das sich noch im Druck befindet, innerhalb eines halben Tages an jede Buchhandlung in Deutschland liefern zu können.
Das Kalkül hinter dieser Aufteilung zwischen dem Einzelhandel vor Ort und dem Großhandel folgt genau der Kapitalbindungslogik, die wir bei Bavaria kennengelernt haben. Würde der Einzelhandel auch
die Bücher führen, die nur einmal im Jahr gekauft werden, müsste er den Bestand an Büchern verdoppelt, also auch das gebundene Kapital. Er lässt sich daher die exotischen Bücher vom Großhandel liefern. Der Großhandel beliefert viele Buchhandlungen. Es gibt insgesamt 6.000 Buchhandlungen. Nehmen wir an, LIBRI beliefert 3650 dieser Buchhandlungen. Jede dieser Buchhandlungen verkauft den
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
35
Titel x einmal pro Jahr. Aus der Sicht von LIBRI ist der Titel x ein Renner, weil jeden Tag 10 Exemplare nachgefragt werden.
ABC-Analyse
Im Kapitel Produktpolitik war das Thema, dass es klug für Unternehmen ist, mehrere Produkte herzustellen. Das Thema in Kostenrechnung war, wie man ermitteln kann, welche Produkte wie viel zum
Unternehmensgewinn beitragen. Die ABC-Analyse, um die es jetzt geht, stellt die Frage, welche Produkte der Handel in sein Sortiment aufnehmen und vor Ort verfügbar haben soll. Sie wird nach dem
gleichnamigen Ökonmen und Soziologen auch Pareto-Analyse genannt.
Die ABC-Analyse teilt ein Sortiment in drei Kategorien auf:
Diese Werte sind nur als grobe Orientierung zu verstehen. Die Botschaft ist aber, dass der überwiegende
Anteil des Umsatzes mit einem relativ kleinen Teil
des Sortiments erzielt (A-Produkte) wird und ein
Großteil des Sortiments kaum verkauft wird (C-Produkte). Eine Standardstrategie, die aus dieser Analyse folgt, ist, die C-Produkte aus dem Sortiment zu nehmen. Auf diese Weise halbiert sich das Sortiment und die Kapitalbindung des Sortiments, während der Umsatz nur um 5 % sinkt. Wenn die Kunden
statt der nicht vorhandenen C-Produkte dann auch noch ein A- oder B-Produkt kaufen, ist dieser Verlust noch geringer.
Produkttyp
Anteil am Sortiment
Anteil am Umsatz
A
20%
80%
B
30%
15%
C
50%
5%
Schnell liefernde Großhändler wie LIBRI sind eine Option, sich der C-Produkte zu entledigen, aber
trotzdem das ganze Sortiment anzubieten.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
36
2.5 Investition, Finanzierung und Kapitalmärkte
Fallbeispiel Ford
Henry Ford hat Ford nicht allein gegründet sondern mit 11 weiteren Kapitalgebern. Die Idee zur Massenproduktion stammte von Ford, aber ihm fehlte das notwendige Kapital, um das Investitionsprojekt
allein zu finanzieren. Vielleicht scheute er auch ein wenig das Risiko, denn es war ja nicht von Anfang
an ausgemacht, dass die Massenproduktion von Autos ein Erfolg werden würde.
Es galt also zwei Probleme zu lösen. Zum ersten musste er durchrechnen, ob seine Idee sich überhaupt
rechnen können würde. Das betriebswirtschaftliche Instrument hierzu ist die Investitionsrechnung. Das
zweite Problem war, Geldgeber für das Investitionsprojekt zu finden. Diese Aufgabe fällt in den Bereich der Finanzierung. Beide Bereiche hängen eng zusammen, denn spätestens, wenn andere Leute
Geld für eine Idee geben sollen, möchten diese Leute belastbare Rechnungen sehen, aus denen sie ableiten können, ob sie ihr Geld wirklich für diese Idee geben wollen.
Eigen- vs. Fremdkapital
Für ein Unternehmen gibt es zwei verschiedene Quellen von Kapital. Das eine ist das Fremdkapital,
d.h. Geld, das das Unternehmen sich von externen Geldgebern leiht. Die Konditionen, zu denen das
Geld geliehen wird, werden vorher vereinbart. Die einfachste Form von Fremdkapital ist der Kredit.
Eine Summe x wird für y Jahre zum Zinssatz von z an das Unternehmen verliehen und muss dann zurückgezahlt werden.
Eigenkapital stammt von den Eigentümern des Unternehmens. Es gibt keine Rückzahlungspflicht des
Unternehmens und auch die Konditionen, zu denen das Eigenkapital überlassen wird, können nicht
vorher festgelegt werden.
Fallbeispiel Midas Touch
2015 brachte Apple die Apple Watch auf den Markt. Das Standardmodell in Edelstahl kostet 750€. Die
Goldversion kostet 11.000€. Das in der Goldversion enthaltene Gold hat einen Materialwert von etwa
800€. Die Preisdifferenz ist also in erster Linie ein Luxusaufschlag.
Ein Chemiker aus den USA kam auf die Idee, dass man die Edelstahlversion auch mit einem elektrochemischen Galvanisierungsverfahren vergolden könnte. Er entwickelte einen do it yourself Bausatz
und verkauft diesen Bausatz unter dem Namen Midas Touch für 100 Euro über das Internet. Der Bausatz enthält alle „Zutaten“. Auch das Gold. Dieses Projekt soll durchkalkuliert werden. Bis auf den
Verkaufspreis sind die Zahlen grobe Schätzungen.
Ende 2015 sieht der Plan folgendermaßen aus:
(1) 2016 soll der Bausatz entwickelt werden. Das wird 35.000€ kosten. 5.000€ kann der
Chemiker aus eigener Tasche beisteuern. Den Rest wird er sich von seiner Bank für 10%
p.a. leihen müssen.
(2) Anfang 2017 wird er 500 Bausätze fertig haben und für 100€ verkaufen.
Der Umsatz 2017 wird 50.000€ betragen. Die 30.000€ Kredit + 3.000€ Zinsen müssen zurückgezahlt
werden. Es bleiben 17.000€. Von diesen 17.000€ müssen noch die 5.000€ eigenes Kapital abgezogen
werden. Damit bleibt ein Gewinn von 12.000€. Im Kapitel Produktpolitik haben Sie die Kennzahl Ren𝐺𝑒𝑤𝑖𝑛𝑛
12.000€
dite = 𝑒𝑖𝑛𝑔𝑒𝑠𝑒𝑡𝑧𝑡𝑒𝑠 𝐾𝑎𝑝𝑖𝑡𝑎𝑙 kennengelernt. Die Rendite beträgt in diesem Fall 5.000€ = 2,4 = 240%.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
37
Kapitalmarkt
Der Kapitalmarkt lässt sich zunächst einmal wie jeder andere Markt auch betrachten. Der Unterschied
ist, dass es auf diesem Markt nicht um den Verkauf eines Gutes geht, sondern um den Preis für das einjährige Ausleihen von Geld (den Zins) und die Menge des so verliehenen Geldes (Kapital).
Zinssatz
Die Nachfrageseite des Marktes lässt sich relativ einfach erklären.
Das Midas Touch Investitionsprojekt warf eine Rendite von 240% ab.
Stellen wir eine andere Rechnung an: Der Bausatz wird nicht für 100€
verkauft, sondern nur für 76.50€. Die restlichen Zahlen bleiben
gleich. Dann beträgt der Gewinn G=U-K = 38.250€ - 38.000€ = 250
250
€. Die Rendite beträgt dann 5.000€ = 0,05 = 5%. Diese 5 % verNachfrage gleicht der (potentielle) Investor mit der Summe, die er für eine Spareinlage erhält. Wenn der Zinssatz bei 10% liegt, wird er das Geld aber
lieber der Bank leihen als sich selbst Geld von der Bank zu leihen um
Kapital
das Vergoldungsprojekt durchzuziehen. Das bedeutet, dass Investitionsprojekte nur dann realisiert werden, wenn die Rendite dieser Projekte oberhalb des Marktzinssatzes
liegt. Je höher der Marktzins ist, umso weniger Projekte rentieren sich. Also steigt die Nachfrage nach
Kapital wenn der Zinssatz sinkt.
Angebot
Diese Überlegung gilt auch für die Angebotsseite. Je höher der Zinssatz, den ein potentieller Investor
für Spareinlagen bekommt, umso mehr Investitionsprojekte rechnen sich dann nicht mehr und umso
mehr Investoren verleihen ihr Geld lieber als dass sie es selbst anlegen. Das gilt aber nur für die Frage
selber investieren oder andere investieren lassen, die noch rentablere Ideen haben. Die Hauptquelle
des Kapitalangebots sind allerdings nicht Investoren, deren Idee nicht rentabel genug ist, sondern
Haushalte, die nicht das gesamte Haushaltseinkommen für Konsumzwecke ausgeben, sondern einen
Teil sparen.
Zinstheorien
Es gibt eine Reihe von Zinstheorien, die zu erklären versuchen, welche Rolle der Zins für die Sparentscheidung der Menschen hat.
Sowohl im Christentum als auch im Islam hat es ein religiös begründetet Zinsverbot gegeben, weil man
der Auffassung war, dass Zinsen Einkommen ohne Arbeit sind und somit den Kreditnehmer ausbeuten
und ungerecht sind, weil man für Einkommen auch etwas tun muss. Im Islam gilt dieses Verbot noch
immer und islamischen Banken sind sehr innovativ, Modelle zu entwickeln, die einer Zinszahlung
gleichkommen ohne direkt Zinsen genannt werden zu müssen.
Einige Theorien unterstellen eine Gegenwartspräferenz der Sparer, d.h. wenn ein Haushalt die Wahl
zwischen Konsum „heute“ und Konsum „morgen“ hat, dann bevorzugt er „heute“. Die Existenz von
Konsumkrediten ist ein Beleg für diese These. Wenn es diese Präferenz gibt, muss man einen Geldgeber dafür kompensieren, dass er auf Gegenwartskonsum verzichtet.
Andere Theorien unterstellen eine Liquiditätspräferenz. Geld ist die flexibelste Form von Vermögen.
Wertgegenstände und Wertpapiere muss man erst verkaufen, um Geld zu erhalten. Geld ist schon Geld.
Um einen Sparer zu motivieren, auf diese Flexibilität zu verzichten, muss man ihm Zinsen zahlen.
Kredite haben ein Ausfallrisiko. Es kann sein, dass das Investitionsprojekt misslingt und man den Kredit nicht zuückbekommt. Dieses Ausfallrisiko muss man in den Zinssatz einpreisen. Angenommen,
zwei Länder geben Staatsanleihen aus, die eine Laufzeit von einem Jahr haben. Land A wird als sicherer Hafen angesehen, d.h. die Anleger gehen davon aus, dass sie ihr Geld mit Sicherheit verzins zurückbekommen werden. Der Zinssatz soll 5 % betragen. Land B wird als Wackelkandidat gesehen und
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
38
muss für Staatsanleihen mit gleicher Laufzeit 10 % Zinsen zahlen. Aus dieser Differenz kann man die
angenommene Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls berechnen.
Solche Modelle unterstellen im Regelfall Risikoneutralität, d.h. die Investoren lassen zwar das Risiko
in ihre Zinsforderungen einfließen, haben aber darüber hinaus keine „Angst“ vor Risiken. Wir werden
das im Kontext des Risikokapitals gleich näher beleuchten.
In unserem Zahlenbeispiel kommen wir bei den
gewählten Zahlen auf eine Wahrscheinlichkeit für
Land B
eine Staatspleite von 4,55 %. Die Rechnung der InStaatspleite
vestoren sieht folgendermaßen aus: Land A bietet
0€
(4,55%)
für 100€ eine sichere Rückzahlung von 105€ an.
Der Investor ist nun bereit, ein Ausfallrisiko zu tragen, wenn die Rückzahlung (d.h. der Zinssatz) höher ist. Der Erwartungswert der Verzinsung beider
Länder muss gleich sein. Der Erwartungswert hängt von der Rückzahlungswahrscheinlichkeit RW ab
und berechnet sich in diesem Fall so:
Rückzahlung
(95,45%)
110€
𝑅𝑊 ∗ 110€ + (1 − 𝑅𝑊) ∗ 0€ = 105
Hierbei wird unterstellt, dass die gesamten 100€ verloren sind, wenn es zu einer Staatspleite kommt. In
der Praxis bieten die Staaten dann eine geringere Summe an. Aber wir unterstellen, um die Rechnung
einfach zu halten, einen Totalausfall. Der zweite Summand fällt dann komplett weg, so dass
𝑅𝑊 ∗ 110€ = 105€
gilt, bzw
105€
= 0,9545 = 95,45%
110€
Diese Rechnung kann man natürlich auch anders herum aufziehen. Wenn die Erwartungen sind, dass
das Land mit einer Wahrscheinlichkeit von 6 % im nächsten Jahr insolvent ist und die Schulden nicht
mehr bedienen kann, dann kann man die gleiche Gleichung benutzen, sucht aber den Kurs X, der dem
Erwartungswert entspricht und hat dann damit den Zinssatz, also
𝑅𝑊 =
0,94 ∗ 𝑋€ + 0,06 ∗ 0€ = 105
mit
𝑋=
105
= 111,70€
0,94
Risikokapital am Beispiel WhatsApp
2014 kaufte Facebook die Firma WhatApp für 19 Mrd. USD. Fünf Jahre vorher wurde WhatsApp von
zwei Personen gegründet. Unternehmen wie WhatsApp finanzieren sich in der Startphase über sogenanntes Risikokapital. Aus der Sicht von 2009 war es sehr unwahrscheinlich, dass WhatsApp einmal so
viel wert sein würde. Die Geschäftsidee war nicht sonderlich innovativ und leicht nachbaubar.
Da die internen Daten nicht veröffentlicht werden, müssen wir sie schätzen und stellen eine Modellrechnung aus der Sicht des Jahres 2009 für einen internetbasierten SMS-Dienst namens AppsWhat an.
Angenommen, die Gründer brauchen 10 Mio. USD Kapital für die nächsten fünf Jahre. Dann würde
sich herausgestellt haben, ob AppsWhat ein Erfolg ist oder nicht. Angenommen, die Wahrscheinlichkeit, das WhatsApp floppt, liegt bei 99%. Mit einem Prozent Wahrscheinlichkeit wird AppsWhat an einen großen Spieler (Google, Microsoft, Facebook) für 10 Mrd. USD verkauft. Die beiden Gründer
gründen eine Aktiengesellschaft und bieten 50% der Aktien für 10 Mio. USD an (über Aktiengesellschaften lernen Sie im nächsten Kapitel mehr). 1 % der Aktien kosten dann 200.000 USD. Auf diese
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
39
Weise finden die Gründer 50 Investoren, die jeweils 1 % der Aktien kaufen. Das Kalkül dieser Investoren ist das gleiche wie bei den Staatsanleihen. Im Erfolgsfall bekommt der Anleger 1 % der 10 Mrd.
Verkaufspreis, d.h. 100 Mio. USD, im Flopfall ist das Geld weg.
Erfolg (1%)
AppsWhat
Flop(99%)
Der Erwartungswert dieser Anlage ist
100 Mio.
USD
0,01 ∗ 100 𝑀𝑖𝑜. 𝑈𝑆𝐷 + 0,99 ∗ 0 𝑈𝑆𝐷 = 1 𝑀𝑖𝑜. 𝑈𝑆𝐷
0 USD
Die Erwartungsrendite ist
800.000 𝑈𝑆𝐷
200.000 𝑈𝑆𝐷
= 4 = 400%.
Diese Anlage sieht nach russischem Roulette aus. Mit 1
% Wahrscheinlichkeit ist man unvorstellbar reich (100 Mio.) mit 99% ist das Geld weg. Die Idee von
Risikokapital ist anders.
Ein Risikoinvestor investiert große Summen. Nehmen wir an 20 Mio. USD. Diese 20 Mio. investiert er
in 100 verschiedene Startups wie AppsWhat. Er investiert in Startups, die eine ganz ähnliche Idee haben, aber er investiert auch in Elektromobilität, Spiele-Apps usw. Wir nehmen an, dass alle Investments 200.000 USD kosten, 99% Flopwahrscheinlichkeit haben und im Erfolgsfall 100 Mio. USD wert
sind, also die gleiche Struktur haben wie AppsWhat. Wenn 99 dieser Investments, wie erwartet, scheitern, sieht der Investor 19.800.000 USD nie wieder. Eines der 100 Investments floppt aber nicht, sondern ist 100 Mio. wert. Auf diese Weise hat der Investor aus 20 Mio. Einsatz 100 Mio. gemacht, was
der oben berechneten Rendite von 400% entspricht. Das große Risiko wird für den Investor durch die
große Zahl an Investments, mit der er das Risiko streut, beherrschbar.
Crowdfunding
Eine andere nicht-klassische Finanzierungsform ist Crowdfunding. Midas Touch hat diesen Weg gewählt und nicht den Bankkredit, wie in der Modellrechnung. Die Grundidee ist, eine überschaubare
Projektfinanzierung internetbasiert über Kleinstanleger zu bewerkstelligen. Kickstarter.com ist eine
solche Plattform, die die Möglichkeit bietet, Projekte über Texte und Videos vorzustellen und so um
Investoren zu werben, die kleine Beträge investieren und dann entweder das Produkt selbst oder einem
Teil des Gewinns erhalten.
Zinsstrukturen
Auf den Kapitalmärkten gibt es Anlagemöglichkeiten mit unterschiedlichen Laufzeiten. Die Verzinsung dieser Anlagemöglichkeiten unterscheidet sich häufig. Diese Unterschiede werden Zinsstruktur
genannt. An den unterschiedlichen Zinsen kann man die Erwartung der Marktteilnehmer über die Entwicklung der Zinsen ablesen. Das sei an zwei Staatsanleihen erläutert, die ein, bzw. zwei Jahre Laufzeit
haben.
Die einjährige Anleihe hat einen Zins von 5 %. Angenommen, die Marktteilnehmer erwarten, dass der
Zinssatz für einjährige Anleihen in einem Jahr bei 10% liegt. d.h. die Anleger erwarten steigende Zinsen. In diesem Fall wäre eine Möglichkeit für den Anleger, heute eine Anleihe zu 5 % und in 12 Monaten zu 10 % zu kaufen. Wenn er heute 100€ anlegt, hat er in 12 Monaten 105€ und in 24 Monaten
115,5€ (105*1,1).
Eine Anleihe mit einer Laufzeit von 2 Jahren muss bei diesen Erwartungen 100€ ebenfalls mit 115,5€
zurückzahlen, damit sie Abnehmer findet. Der Zinssatz i ist dann
100 ∗ (1 + 𝑖)2 = 115,5
(1 + 𝑖)2 = 1,155
2
1 + 𝑖 = √1,155 = 1,0747
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
40
Das bedeutet, dass eine zweijährige Anleihe bei der Erwartung, dass sich der Zinssatz von derzeit 5 %
auf 10 % in einem Jahr erhöht, eine Verzinsung von 7,47 % über die gesamte Laufzeit anbieten muss.
Derzeit sind sowohl die Zinsen für kurzfristige Anlagemöglichkeiten als auch die langfristiger Anlagemöglichkeiten nahe Null. Das bedeutet, dass der Kapitalmarkt davon ausgeht, dass die derzeitige
Niedrigzinsphase auch mittelfristig nicht beendet sein wird.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
41
2.6 Rechtsformen
Je komplexer die arbeitsteiligen Unternehmen sind, umso klarer muss geregelt werden, wer welche
Rechte und Pflichten hat. Es gibt eine Reihe von gesetzlichen „Standardtypen“ für Unternehmen, die
vertraglich noch differenziert werden können, aber eine bestimmte Grundstruktur haben, die verbindlich ist. Die Wahl der Rechtsform steht am Anfang einer Unternehmensgründung. Eine unkluge Wahl
kann die Erfolgschancen mindern. Eine spätere Änderung kann mit größerem Aufwand verbunden sein.
Diese Fragen fallen in den juristischen Bereich. In Ihrem Studium befassen sie sich daher auch mit diesem Aspekt unternehmerischen Tuns. Für einen ersten Überblick reicht es, einige wichtige Aspekte und
Rechtsformen kurz anzureißen.
Haftung
Eine zentrale Frage bei der Wahl der Rechtsform ist, in welchem Umfang die Eigentümer bei Unternehmensverlusten haften. Diese Frage ist auch bei kleineren Projekten relevant. Wenn die Bausätze von
Midas Touch keine Abnehmer finden oder sich Personen bei der Galvanisierung verletzen, Uhren beschädigt werden, … dann könnte der Verlust größer sein als die Kreditsumme. Der Chemiker, der die
Projektidee hatte, muss also überlegen, ob und wie er sein (finanzielles) Risiko begrenzen kann.
Kapitalbeschaffung
Mit Risikokapital und Crowdfunding haben Sie am Beispiel von Midas Touch und WhatsApp zwei
neuere Finanzierungsformen kennengelernt. Es gibt eine ganze Reihe anderer Formen für Eigen- und
Fremdkapitalbeschaffung, die auf bestimmte Konstellationen zugeschnitten sind. Die einzelnen Rechtsformen erleichtern bzw. erschweren bestimmte Formen der Kapitalbeschaffung. Häufig hängt das mit
der Haftungsfrage zusammen. Die Investoren im Risikokapital müssen davon ausgehen, dass die meisten Projekte scheitern und irgendwann zahlungsunfähig sind. Sie haben zwar einerseits ein Interesse
daran, Miteigentümer des Unternehmens zu werden, weil sie im Erfolgsfall einen Teil der Verkaufssummer erhalte, andererseits möchten sie aber für mögliche Verluste nicht über ihr Investment hinaus
haften. Darüber hinaus müssen die Risikokapitalgeber ihr Geld so breit streuen, das sie jeweils nur einen kleinen Teil eines Unternehmens kaufen wollen. Das bedeutet, dass eine Rechtsform, bei der es
sehr viele Eigentümer geben kann, vorteilhaft ist.
Eigentümerwechsel
Die Risikokapitalgeber haben kein langfristiges Interesse an dem Investment. Sie stellen ihr Kapital für
wenige Jahre zur Verfügung. Im Regelfall ist das Kapital verloren. In wenigen Fällen ist das Unternehmen dann aber extrem viel wert und die Eigentümer verkaufen es. Das ist von Anfang an der Plan.
Es gibt sogar innerhalb der Risikokapitalgeber Spezialisierungen, d.h. Investoren, die die Startups in
verschiedenen Phasen auch im Management unterstützen. In unserem Beispiel hatten die Investoren einen Horizont von fünf Jahre. Einige Risikokapitalgeber spezialisieren sich auf das erste Jahr und verkaufen dann ihre Anteil an andere Risikokapitalgeber. Solche Konzepte sind nur möglich, wenn es sehr
einfach ist, Eigentum an einem Unternehmen zu verkaufen.
Einzelunternehmen
Etwa 70 % aller Unternehmen sind Einzelunternehmen. Diese Unternehmen machen etwa 10 % des gesamten Umsatzes aus. Einzelunternehmen sind also sehr klein. Einzelunternehmen bedeutet, dass es nur
einen Eigentümer, der eine natürliche Person ist (jemand, den man anfassen kann), gibt. Dieser Eigentümer haftet für Verluste dieses Unternehmens mit seinem gesamten Vermögen. Diese Unternehmensform könnte auf Midas Touch passen. Der Chemiker, der die Idee hatte, kann dieses Projekt allein, am
Feierabend in seiner Küche durchziehen. Er braucht 30.000€ und 500 Kunden. Wenn er davon ausge-
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
42
hen kann, dass in diesem Projekt überschaubare Risiken stecken, die er selbst tragen kann, könnte er
eine Einzelunternehmung gründen. Wenn es aber ein erkennbares Risiko gibt, dass bei der Galvanisierung etwas schiefgehen kann und sich Leute verletzen oder Uhren beschädigt werden, will er vielleicht
die Haftung begrenzen.
Einzelunternehmer bedeutet nicht, das der Unternehmer die einzige Person im Unternehmen ist. Der
Einzelunternehmer kann Arbeitnehmer einstellen. Viele Handwerksbetriebe sind so organisiert. Der
Meister ist der Einzelunternehmer, dem der Betrieb gehört. Er hat eine Handvoll Mitarbeiter, denen das
Unternehmen gehört, die aber (bis auf die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte) keinen Anteil an der
Unternehmensführung haben.
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
Der wesentliche Unterschied zum Einzelunternehmen ist, dass es mehr als einen Eigentümer gibt.
Wenn der Chemiker gut im Basteln ist, aber neben seinem eigentlichen Job keine Zeit hat, Videos für
Kickstarter zu drehen, Marketing zu betreiben und die Bausätze zu verschicken, dann könnte er einen
Bekannten mit an Bord nehmen. Der Bekannte macht das auch aus Freundschaft, aber auch wegen des
Geldes. In einem Gesellschaftervertrag werden die Rechte und Pflichten der beiden geregelt, damit es
keinen Streit gibt. Beide Gesellschafter haften mit dem gesamten Vermögen.
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
Wenn es relativ unwahrscheinliche, aber denkbare Szenarien mit großen Verlusten gibt, wird der Chemiker versuchen, seine Haftung zu begrenzen, denn sonst könnte das Haus, das er gerade gekauft hat,
weg sein. Die GmbH hat ein gesetzlich vorgeschriebenes Gesellschaftsvermögen. Die Haftung der Gesellschaft beschränkt sich auf dieses Vermögen. Das Mindestvermögen beträgt in Deutschland 25.000€,
also zu viel für unsere Midas Touch Rechnung. Die Unternehmergesellschaft, eine Variante der GmbH
erfordert aber nur 1€ Gesellschaftsvermögen. Diese Variante wurde geschaffen, da deutsche Kleinunternehmen auf die britische Rechtsform der Ltd. (limited company) auswichen, die kein Mindestkapital
erfordern. Eine GmbH wird von einem Geschäftsführer geleitet. Im Fall von Midas Touch wäre das der
Chemiker wohl selbst gewesen, da es keine weiteren Personen in der GmbH gegeben hätte.
Die 1€ GmbH sieht bisher wie geschaffen für Midas Touch aus. In der Modellrechnung von Midas
Touch haben wir das Projekt mit einem Bankkredit finanziert und nicht (wie tatsächlich geschehen)
über Crowdfunding. Die Bank hätte kurz die Risiken überschlagen und festgestellt, dass das Projekt
scheitern und das Geld verloren sein könnte. Bei einer 1€ GmbH hätte es keine Vermögenswerte gegegen, auf die die Bank hätte zurückgreifen können. Sie hätte einer 1€ GmbH des Chemikers daher keinen Kredit gegeben. Wäre der Chemiker als Einzelunternehmer angetreten, hätte die Bank überschlagen, welches Vermögen der Chemiker noch besitzt und ihm (bei positivem Ergebnis) den Kredit bewilligt.
Aktiengesellschaft (AG)
Bei der Finanzierung von Startups haben wir schon gesehen, wie wichtig es ist, ein Unternehmen eigentümermäßig in kleinste Teile zerlegen zu können und diese Teile einfach kaufen und verkaufen zu
können. Bevor die Kapitalgeber einsteigen, müssen die Startup-Gründer also eine AG gründen.
Die Aktienbesitzer haben kein Eigentum an bestimmten Gegenständen, sondern Eigentum an einem
prozentualen Anteil des Unternehmens. Aktiengesellschaften haben ein Grundkapital und der Nenn𝐺𝑟𝑢𝑛𝑑𝑘𝑎𝑝𝑖𝑡𝑎𝑙
wert einer Aktie ist 𝑍𝑎ℎ𝑙 𝑑𝑒𝑟 𝐴𝑘𝑡𝑖𝑒𝑛. Manche Aktien haben einen Nennwert von 1 cent. Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Varianten ob und zu welchen Bedingungen Aktien verkauft werden dürfen.
Nicht alle Aktien werden an der Börse gehandelt. Das macht nur Sinn, wenn das Konzept darin besteht,
sehr viele Aktionäre mit jeweils kleinem Aktienpaket zu haben. Bei Großaktionären in überschaubarer
Zahl ist das nicht notwendig. AppsWhat muß als AG nur 1-2 Dutzend Aktionäre haben und dann 100
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
43
% der Aktien an Facebook verkaufen. Dazu braucht man keinen Börsengang. Am anderen Ende der
börsennotierten Aktie steht die vinkulierte Namensaktie, die nur mit Zustimmung der anderen Aktionäre verkauft werden darf.
Externe Rechnungslegung
Mit der Wahl der Rechtsform sind auch Dokumentationsauflagen verbunden, die das wirtschaftliche
Geschehen des Unternehmens darstellen sollen. Je nachdem, wie komplex die Außenbeziehungen der
Rechtsform typischerweise sind, sind diese Dokumentationsauflagen (die externe Rechnungslegung)
umfangreicher.
Selbst in der einfachst vorstellbaren Variante von Midas Touch ist das Ziel des Projekts, Gewinn zu erzielen. Dieser Gewinn muss versteuert werden. Wenn G=U-K ist, muss der Chemiker nachweisen, dass
er keine Umsätze unterschlagen hat und er muss nachweisen, wie hoch seine Kosten waren.
Wenn AppsWhat Risikokapitalgeber einwerben will, wollen die Einblick in die wirtschaftliche Lage
des Unternehmens haben. Gibt es schon andere Kapitalgeber, gibt es Schulden, …
Auch Lieferanten könnten Informationsbedarf haben. In den vergangenen Jahren sind einige deutsche
Klavierbauunternehmen in die Insolvenz gegangen. Im Kapitel Kostenrechnung haben wir uns Grotrian-Steinweg, einen der verbliebenen, etwa 10 Hersteller in Deutschland, angesehen, ein Unternehmen
in einer schrumpfenden Branche, bei der nicht klar ist, ob alle Anbieter dauerhaft überleben werden.
Wenn ein Klavierbauunternehmen finanziell angeschlagen ist und eine größere Bestellung bei einem
Zulieferer macht, könnte es sein, dass dieser Zulieferer nur auf Rechnung liefert, wenn er sich einen
Einblick in die ökonomische Lage des Kunden verschaffen kann.
Die Spitzenmodelle deutscher Klavierbauer kosten deutlich über 100.000 € Ein Kunde will eine Spezialausführung, die extra angefertigt wird. Der Hersteller will 50.000€ Anzahlung. Die wird es leichter
bekommen, wenn das Unternehmen dem Kunden zuverlässige Zahlen vorlegen kann, die den Rückschluss erlauben, dass der Klavierbauer den Flügel auch liefern wird und nicht vorher insolvent ist.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
3.
44
Wirtschaft und Gesellschaft
Der Stand der Dinge ist, dass es effizient ist, Güter arbeitsteilig in großen Stückzahlen herzustellen.
Dazu braucht man Märkte und Unternehmen.
Man könnte nun denken, dass damit das Thema „Ökonomie“ abgeschlossen ist, weil der Gegenstand
Produktion von Gütern klar ist. Das ist nicht so. In diesem dritten Abschnitt der Veranstaltung werden
wir sehen, dass es ökonomische Probleme gibt, die auf der Ebene der Unternehmen nicht gelöst werden
können, sondern eine übergeordnete gesellschaftliche Organisationsebene, den Staat, erfordern.
Warum „Staat“ eine gute Idee ist, welche Aufgaben man dem Staat zuweisen sollte und wie der Staat
diese Aufgaben finanzieren kann ist Gegenstand dieses letzten Teils der Veranstaltung.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
45
3.1 Arbeitsmarkt
Im Kapitel Produktionstheorie sind die drei Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital vorgestellt
worden. Im Kapitel über Investition und Finanzierung haben wir die Besonderheiten des Kapitalmarkts
betrachtet. In diesem Abschnitt werfen wir einen Blick auf den Arbeitsmarkt als den Markt, auf dem
der Faktor Arbeit ausgetauscht wird.
Arbeitsnachfrage am Beispiel Der Gerät
Umgangssprachlich ist nicht ganz eindeutig, welche Marktseite die Nachfrageseite ist. Man könnte
vermuten, dass ein Arbeitsloser, der nach einer Beschäftigung fragt, der Nachfrager ist. Das ist nicht so.
In der Ökonomie ist der Nachfrager nach Arbeit der, der Arbeitszeit von dem Anbieter von Arbeitszeit
nachfragt. Das Unternehmen fragt die Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach.
Der Gerät ist ein vollautomatischer Dönerschneider, der von der Firma Alkadur Robotsystems GmbH
angeboten wird und etwa 20.000€ kostet. Dieses Beispiel macht deutlich, dass es (zumindest teilweise)
möglich ist, Arbeit durch Kapital zu ersetzen. Der Besitzer einer Dönerbude kann nun die Rechnung
aufmachen, ob ein Mitarbeiter oder ein Roboter die günstigere Lösung ist. Die zentrale Frage ist, wie
hoch der Lohnsatz des menschlichen Dönerschneiders ist. Je niedriger er ist, umso weniger rechnet sich
der Roboter.
Es ist also davon auszugehen, dass die Arbeitsnachfragekurve einen fallenden Verlauf hat. Diesen Aspekt werden wir im weiteren Lauf des Kapitels wieder aufgreifen, wenn es um die Analyse des Mindestlohns geht.
Arbeitsangebot und Work Life Balance
Die klassische Arbeitsmarkttheorie geht davon aus, dass Arbeit etwas ist, das Menschen nur ungern
tun. Die Idee einer „Selbstverwirklichung im Beruf“ spielt in dieser Theorie keine Rolle. Wenn man
Menschen dazu bewegen will, ihre Arbeitskraft anzubieten, dann muss man ihnen dafür Geld zahlen. Je
mehr Geld, umso eher sind sie geneigt, die Lästigkeit der Arbeit zu ertragen. Man kann den Stundenlohn als die Opportunitätskosten einer Stunde Arbeit sehen. Bei einem höheren Lohnsatz steigen die
Opportunitätskosten und die Entscheidung fällt eher zugunsten einer Ausweitung des Arbeitsangebots.
Das Problem des Haushalts an dieser Stelle ist es, die Vorteile einer langen Arbeitszeit (hohes Einkommen) mit den Nachteilen der knappen Freizeit ins Gleichgewicht zu bringen.
Es ist also davon auszugehen, dass die Arbeitsangebotskurve einen steigenden Verlauf hat.
Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt
Wenn Angebots- und Nachfragekurven dem typischen Verlauf auf anderen Märkten folgen, dann kann man zunächst einmal das StandardMarktmodell verwenden.
Auch hier gibt es einen Gleichgewichtspreis und eine Gleichgewichtsmenge und eine Tendenz des Marktes hin zum Gleichgewicht.
Lohnsatz
Angebot
Nachfrage
Arbeitszeit
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
46
Besonderheiten des Arbeitsmarkts
Ein zentraler Punkt in der Analyse des Frühkapitalismus durch Karl Marx war, dass die wirtschaftliche
Entwicklung der Gesellschaften eine Gruppe von Personen geschaffen hatte, die kein Eigentum an
Produktionsmitteln hat, sondern ausschließlich vom Verkauf der ArLohnsatz
beitskraft lebt. Dem mittelalterlichen Schmiedemeister gehörte
Hammer und Amboss. Dem Gesellen nicht, aber dessen Ziel war es,
Angebot ebenfalls Meister zu werden. Den Arbeitern in der Ford-Fabrik gehörte gar nichts. Wenn Sie ihre Arbeit nicht verkaufen konnten, hatten sie kein Einkommen. In solchen Situationen kann es passieren,
dass bei sehr niedrigen Lohnsätzen das Arbeitsangebot ausgeweitet
wird, weil die Arbeiter mehr arbeiten müssen, um nicht zu verhungern. Gleichzeitig ist es bei sehr hohen Löhnen denkbar, dass noch
Nachfrage
höhere Löhne zu einem Rückgang des Angebots führen, weil die Arbeiter schon so viel verdienen, dass sie sich mehr Freizeit leisten
Arbeitszeit
können. Diese Überlegungen führen zu einem möglicherweise etwas
seltsamen Verlauf der Angebotskurve in den Extrembereichen. In
diesen Bereichen führt ein Sinken des Lohns nicht nur zu einer Ausweitung der Nachfrage, sondern
auch zu einer Ausweitung des Angebots.
Weil Arbeitseinkommen für viele Personen die Haupteinkommensquelle ist und somit ein großer
Druck für viele Menschen besteht, ihre Arbeitskraft erfolgreich anzubieten, bekommt der Arbeitsmarkt
in der Ökonomie besonderes Interesse.
Humankapitaltheorie und Personalwesen
Ein Grund, warum das Konzept der Massenproduktion bei Ford so gut funktioniert hat, war, dass Ford
den Arbeitsprozess so zerlegt und vereinfacht hat, dass ungelernte Landarbeiter ihren Job am Fließband
innerhalb weniger Minuten perfekt ausüben konnten. Somit waren sie schnell austauschbar und es war
kein Problem, wenn die Landarbeiter nach ein paar Monaten wieder kündigten, weil der Job zwar relativ gut bezahlt, aber langweilig war. Das ist heute ganz anders. Der Begriff Humankapital bringt das
zum Ausdruck. Er will nicht zum Ausdruck bringen, dass Menschen nur Maschinen sind, sondern das
das Wissen und die Ausbildung der Menschen das Pfund sind, mit dem sie wuchern können und das
ihnen Einkommen bringt. Früher war es ausreichend, kräftig zu sein und Säcke schleppen zu können.
Diese Arbeitsplätze sind weitgehend verschwunden, bzw. von Maschinen übernommen worden.
Der Begriff Humankapital deutet auch noch zwei andere Aspekte an: Erstens sind Wissen und Ausbildung eine Investition. So wie ein Unternehmen in Maschinen investiert, investieren Menschen in ihre
Ausbildung. Zweitens gibt es, wie bei Maschinen, auch bei Wissen eine Art Verschleiß. Wissen nutzt
sich nicht ab, aber es veraltet. In der „guten alten Zeit“ konnte der Sohn des Schmieds davon ausgehen,
dass er sein Handwerk vom Vater lernen würde und es genauso an seinen eigenen Sohn weitergeben
würde. Das ist heute nicht mehr realistisch, was durch den Begriff des lifelong learnings zum Ausdruck
gebracht wird.
Für die Arbeitnehmer bedeutet dass, dass sie immer wieder in ihr eigenes Humankapital investieren
müssen, weil es langsam veraltet. Für die Arbeitgeber bedeutet das, dass sie nicht davon ausgehen können, dass die Arbeitnehmer bei der Einstellung bereits alles können, was sie können müssen. Die Arbeitgeber müssen bei Neueinstellungen investieren. Daher haben sie ein Interesse daran, dass (gute)
Arbeitnehmer lange im Unternehmen bleiben. Weil Unternehmen das nicht dem Zufall überlassen wollen, sondern sich systematisch um die Personalentwicklung kümmern, haben bereits kleinere Unternehmen eine eigene Personalabteilung.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
47
Wirkungen eines Mindestlohns
An dieser Stelle haben wir das Werkzeug, um die Wirkung eines Mindestlohns zu analysieren. Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland beträgt ab 1.1.2017 8,84€ je Stunde. Die Idee hinter diesem Konzept ist, dass Arbeitnehmer, die einen geringen Stundenlohn erhalten, mehr verdienen sollen. Das ist
ein Aspekt, der in den Kapiteln Einkommensverteilung und Steuern vertieft wird.
Aus den Überlegungen zum Begriff Humankapital folgt, dass es nicht (mehr) „den“ Arbeitsmarkt gibt,
auf dem die Arbeitnehmer beliebig austauschbar sind, sondern viele (Teil-)Arbeitsmärkte, bei denen
die Qualifikation der Arbeitnehmer unterschiedlich ist. Der Germanist und der Maschinenbauer bieten
ihre Arbeit nicht auf dem gleichen Arbeitsmarkt an. Um die Analyse einfach zu halten, soll aber nur
zwischen geringer und hoher Qualifikation unterschieden werden. Es gibt also zwei Arbeitsmärkte. Der
linke Quadrant stellt den Arbeitsmarkt für geringe Qualifikation dar, der rechte den für hohe Qualifikation.
Der Gleichgewichtslohn
auf dem Arbeitsmarkt für
Angebot
hohe Qualifikationen liegt
Angebot
oberhalb des Mindestlohns. Das gesetzliche MiMindestlohn
nimum ist wirkungslos,
weil die Arbeitnehmer auf
Nachfrage
diesem Teilarbeitsmarktdeutlich mehr als den
Nachfrage
Mindestlohn verdienen.
Auf dem Arbeitsmarkt für
N
A Arbeitszeit
Arbeitszeit
niedrige Qualifikation
liegt der Mindestlohn
oberhalb des Gleichgewichtslohns. Bei diesem Lohn fragen die Unternehmen die Menge N nach, die
Arbeitnehmer bieten aber die Menge A an. Der Preismechanismus würde nun dazu führen, dass der
Lohn sinkt, bis das Gleichgewicht erreicht ist. Der Mindestlohn verhindert aber das Sinken des Lohns.
Daher entsteht eine Mindestlohnarbeitslosigkeit in Höhe der Differenz von A und N.
Lohnsatz
Lohnsatz
Greifen wir die Überlegungen zu Der Gerät, dem Dönerroboter, noch einmal auf. Angenommen, der
Dönerbudenbesitzer hat dem (menschlichen) Dönerschneider bisher weniger als den Mindestlohn gezahlt. Das darf er jetzt nicht mehr. Aus seiner Sicht steigt der Preis des Produktionsfaktors Arbeit.
Auf diesen Preisanstieg kann er reagieren, indem er den Preis des
Döners anhebt. Aus der Analyse der Nachfrageseite wissen wir, dass
bei einer Preissteigerung die Nachfrage zurückgehen wird.
Dönerpreis
Die Döner-Unternehmen kalkulieren nun die Alternativen
(1) weiter mit menschlichem (jetzt teureren) Dönerschneider
Nachfrage
Menge
(2) Kauf von Der Gerät und Entlassung von Mitarbeitern
(3) Schließen des ganzen Unternehmens
durch. Das tun sie mit den Instrumenten der Investitions- und Finanzierungslehre. Die zweite und dritte Variante führt zu Arbeitsplatzverlusten.
Das bedeutet, dass die Idee, Schlechtverdiener über Mindestlöhne besser zu stellen, dazu führt, dass einige Schlechtverdiener tatsächlich besser verdienen, viele Schlechtverdiener aber ihren Arbeitsplatz
verlieren. Aus diesem Grund halten die meisten Ökonomen den Mindestlohn für keine gute Idee. Im
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
Kapitel Einkommensverteilung werden wir uns mit der Frage befassen, ob es bessere Möglichkeiten
gibt, das Einkommen von Geringverdienern zu erhöhen.
48
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
49
3.2 Gütertypen
Wenn wir bisher über Güter gesprochen haben, waren die Beispiele Konsumgüter wie Autos oder Investitionsgüter wie Der Gerät. In diesem Kapitel lernen wir andere Gütertypen kennen und analysieren,
wie gut der Marktmechanismus geeignet ist, solche Güter bereitzustellen.
Eine Systematik
Es gibt eine Reihe von Systematiken, mit denen man Güter klassifizieren kann, z.B. die Nutzungsdauer, der Preis, die Verbreitung usw.
An dieser Stelle interessiert uns die Frage, ob es eine Rivalität im
Konsum gibt und ob es eine Möglichkeit zum Ausschluss vom Konsum
gibt. Mit diesem Raster lassen sich vier Gütertypen identifizieren, die
nebenstehend abgebildet sind.
Private Güter
Private Güter sind dadurch gekennzeichnet, dass es eine Rivalität im Konsum gibt, andere aber vom
Konsum ausgeschlossen werden können. Bisher fielen alle Güter, die wir betrachtet haben, in diese Kategorie. Wenn Person x auf einem Klavier spielt, kann Person y nicht gleichzeitig auf dem gleichen
Klavier spielen (es sei denn vierhändig ;) Es herrscht also Rivalität im Konsum des Gutes. Person x
kann aber andere Personen vom Konsum dieses Gutes ausschließen, indem sie das Klavier in ihre
Wohnung stellt und die Tür abschließt.
Die meisten Güter, mit denen sich die Betriebswirtschaft befasst, sind solche privaten Güter, weil der
Markt (wie wir gesehen haben) gut in der Lage ist, solche Güter bereitzustellen und sich Angebot und
Nachfrage über den Preismechanismus auf ein Gleichgewicht einpendeln. Aus Sicht der Ökonomen
sind diese Güter relativ unproblematisch, weil man sich nicht groß um sie „kümmern“ muss, sondern
den Markt machen lassen kann. Das ist bei den anderen Gütertypen anders.
Clubgüter
Clubgüter ähneln privaten Gütern, indem es eine Möglichkeit zum Ausschluss vom Konsum gibt. Sie
unterscheiden sich, weil es keine Konsumrivalität gibt. Ein Beispiel für ein solches Gut ist Pay-TV.
Wenn ein Fußballfan ein Sky-Abo kauft und Bundesligaspiele schaut, beeinträchtigt er damit nicht den
Konsum eines anderen Abonnenten, der vor seinem eigenen Fernseher das gleiche Spiel anschaut.
Gleichzeitig gibt es die Möglichkeit, Personen vom Konsum auszuschließen. Sky tut dies, indem die
Sendungen verschlüsselt werden und nur die Personen, die Geld bezahlten, ein Gerät bekommen, mit
dem die Sendungen entschlüsselt werden können.
Durch diesen Mechanismus können Clubgüter ähnlich bereitgestellt werden wie private Güter, d.h. wer
zahlt, bekommt das Gut. Weil es keine Konsumrivalität gibt, können Clubgüter zu relativ niedrigen
Preisen angeboten werden, weil das Unternehmen die Kosten auf viele Kunden verteilen kann und potentiellen Kunden klar machen kann, dass sie das Gut nicht erhalten werden, wenn sie nicht zahlen.
Es gibt nur relativ wenige „echte“ Clubgüter. Sobald es um ein physisches Gut geht, entstehen im Regelfall Agglomerationskosten. Man könnte das Angebot eines Golfclubs als Clubgut bezeichnen. Die
(zahlenden) Mitglieder des Clubs haben das Recht, den Golfplatz zu benutzen. Wenn Spieler x am 5.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
50
Loch spielt und Spieler y am 7. Loch stören sie sich nicht in ihrem Konsum. Weil es einen Zaun um
den Golfplatz gibt und die Mitglieder ihren Ausweis zeigen müssen, gibt es auch die Möglichkeit,
Nichtmitglieder am Spielen zu hindern. Das Problem ist, dass die Nichtrivalität Grenzen hat. Golfclubs
haben typischerweise Obergrenzen für die Zahl ihrer Mitglieder, die häufig bei etwa 800 aktiven Mitgliedern liegt. So lange die Zahl der Mitglieder nicht zu groß ist, stören sich die Mitglieder nicht, aber
irgendwann gibt es zu viele Mitglieder und die Mitglieder beginnen, sich gegenseitig zu stören. Solche
Agglomerationseffekte gibt es beim PayTV nicht. Jeder Haushalt könnte ein Sky-Abo haben ohne die
anderen Haushalte beim Fernsehen zu stören.
Allmende
Bei Allmendegütern gibt es Konsumrivalität aber keine Ausschlussmöglichkeiten. Beispiele für diesen
Gütertyp sind schwer zu finden. Der Grund ist, das das Angebot von Allmendegütern häufig nur kurzfristig funktioniert. Der Begriff Allmende stammt von den mittelalterlichen Gemeindeweiden ab. Die
Weideflächen befanden sich im Besitz der Gemeinde und jedes Gemeindemitglied hatte das Recht, sein
Vieh auf der Allmende zu weiden. Damit gab es Konsumrivalität. Das Gras, das die Kuh von Bauer x
fraß, konnte die Kuh von Bauer y nicht mehr fressen. Gleichzeitig konnte x den y nicht daran hindern,
sein Vieh auf die Weide zu treiben, weil alle das Recht dazu hatten. Diese Konstellation führt typischerweise zum Zusammenbruch des Angebots, weil das Gut zu intensiv genutzt wird, d.h. zu viele
Kühe auf der Weide stehen und alle Kühe mager und hungrig sind. Für diese Entwicklung hat sich der
Begriff der Tragödie der Allmende eingebürgert.
Die typische Entwicklung eines Allmendeguts besteht darin, dass eine Übernutzung stattfindet und das
Gut dann in ein privates Gut umgewandelt wird. Im Beispiel der Gemeindeweiden würde die Gemeinde
die Weidefläche verkaufen und den Gemeindemitgliedern das Recht nehmen, ihr Vieh auf diese Fläche
zu treiben.
Weil es keine Ausschlussmöglichkeiten gibt, gibt es auch keine Unternehmen, die solche Güter anbieten, denn jeder könnte das Gut konsumieren, ohne dafür zu zahlen.
Öffentliche Güter
Bei öffentlichen Gütern gibt es weder Konsumrivalität noch die Möglichkeit, Personen vom Konsum
auszuschließen. Auch bei diesem Typ gibt es sehr wenig „echte“ Beispiele. Bei den meisten Güter, die
als öffentliche Güter bezeichnet werden, gibt es Ausschlussmöglichkeiten, die aber nicht angewendet
werden, weil sie nicht praktikabel sind.
Das Standardbeispiel für öffentliche Güter ist die Landesverteidigung. Die Armee verteidigt alle Einwohner eines Landes. Sie kann nicht einzelne Einwohner von dieser Verteidigung ausnehmen und die
Verteidigung von Haus a beeinträchtigt die Verteidigung von Haus b, das direkt danebensteht, nicht.
Da es, wie bei den Allmenden, keine Ausschlussmöglichkeiten gibt, gibt es keine Unternehmen, die
solche Güter von sich aus anbieten.
Logik des kollektiven Handelns
Die fehlende Ausschlussmöglichkeit bei Allmende- und öffentlichen Gütern führt typischerweise zu
Trittbrettfahrerverhalten. Personen nehmen das Gut in Anspruch, beteiligen sich aber nicht an der Finanzierung. Aus Sicht des Einzelnen ist das völlig vernünftig. Nehmen wir an, es gäbe öffentliche Verkehrsmittel, aber keine Fahrscheinkontrollen. Ein Fahrgast hat zwei Alternativen: Ein Fahrschein kaufen oder schwarzfahren. Für den Betrieb des Verkehrsmittels ist es völlig irrelevant, wie er sich verhält.
Der Betrieb kostet Millionen und sein Fahrpreis spielt keine Rolle. Wenn alle anderen Fahrgäste einen
Fahrschein kaufen, kann er schwarzfahren, ohne dass das einen Einfluss auf das Angebot hat. Wenn alle anderen Fahrgäste schwarzfahren, macht es keinen Sinn, wenn er als einziger einen Fahrschein löst,
denn sein Beitrat reicht nicht aus, das Gut bereitzustellen. In beiden Fällen ist Schwarzfahren vernünf-
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
51
tig. Weil die Interessenlage für alle Fahrgäste gleich ist, würde man erwarten, dass (ohne Kontrolle) alle Fahrgäste schwarzfahren. Das bedeutet aber, dass alle Fahrgäste den individuellen Wunsch haben,
dass es ein Angebot gibt, sich aber so verhalten, dass das Angebot nicht zustandekommt. Diesen Mechanismus nennt man auch Logik des kollektiven Handelns. Weil jede Person individuell rational handelt, kommt ein kollektiv schlechtes Ergebnis zustande.
Es gibt im Wesentlichen zwei Strategien, solche Situationen zu vermeiden.
Die erste Strategie besteht darin, das Angebot über Kleingruppen zu organisieren. Das Kalkül des
Schwarzfahrers geht auf, weil er nur ein Fahrgast unter Tausenden ist. Wenn es aber um das Angebot
eines öffentlichen Gutes für eine kleine Gruppe geht, z.B. von 10 Personen, dann ist jeder Person klar,
dass sein Trittbrettfahrerverhalten einen spürbaren Effekt auf die Finanzierung hätte. Weil er das Gut
aber haben möchte, und sein eigenes Verhalten finanzierungsrelevant ist, hat er ein Interesse, seinen
Beitrag zu leisten.
Die zweite Strategie besteht darin, das Gut kostenlos anzubieten und die Bereitstellung über Steuern zu
finanzieren. Wenn man das will, braucht man aber einen Staat, der Steuern eintreibt. Anders herum:
Das schlechte Funktionieren von Märkten bei der Bereitstellung von Allmendegütern und öffentlichen
Gütern ist einer der wesentlichen ökonomischen Begründungen für die Existenz des Staates. Man
könnte sich in einer Welt, in der es nur private Güter und Clubgüter gibt, auch vorstellen, dass es gar
keinen Staat gibt. Man bräuchte ihn nicht, weil man alle Güter über Märkte anbieten könnte.
Meritorische Güter, Nudging
Ein weiterer Grund, mit dem man die Existenz eines Staates begründen kann sind sogenannte meritorische Güter. Im Marktmodell unterstellt man, dass die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager dem Nutzen
entsprechen, den ein Gut dem Nachfrager spendet. Man unterstellt dem Nachfrager, dass er diesen Nutzen kompetent einschätzen kann. Bei meritorischen Gütern ist das nicht so. Der Nachfrager unterschätzt den Nutzen, den ein Gut hat.
Kartenpreis
Angebot ohne
Subvention
Angebot mit
Subvention
Ein Beispiel für ein meritorisches Gut sind Opernhäuser.
Würde man Opernaufführungen über einen freien Markt anbieten, müssten die Karten etwa fünfmal so teuer sein. Bei diesem
Kartenpreis würde die Nachfrage nach Opernkarten extrem gering sein (a), weil den Bürgern nicht klar ist, wie groß der Nutzen ist, den ein Opernbesuch stiftet. Aus diesem Grund werden
Opernhäuser so lange subventioniert, bis die gesellschaftlich
richtige Nachfrage (b) erfolgt.
Etwa die Hälfte aller Opernhäuser weltweit befinden sich in
Deutschland. Das könnte bedeuten, dass die Deutschen ganz
extreme Vorlieben für Opern haben, aber nicht verstehen würa
b Karten
den, warum die Karten so teuer sind oder es könnte bedeuten,
dass alle anderen Länder zwar genauso opernbegeistert sind,
aber die Idee der meritorischen Güter noch nicht kennen, oder es könnte sein, dass Opernhäuser und
Opernliebhaber in Deutschland ihre Interessen gut vertreten und sich ihr exotisches Hobby vom Steuerzahler finanzieren lassen.
Nachfrage
Das Konzept des meritorischen Gutes setzt nicht nur voraus, dass die breite Masse den Nutzen eines
Gutes unterschätzt, sondern auch, dass es ein paar Menschen gibt, die den wahren Nutzen des Gutes
richtig erkennen und die Steuergelder entsprechend umleiten. Wie diese Menschen zu ihrer Einsicht gelangt sind und was sie dazu befähigt, ist unklar. Die Idee, dass es ein paar Weise gibt, die die richtigen
Werte kennen und umsetzen, wird Paternalismus genannt. Aus diesem Grund sind meritorische Güter
kein sehr belastbares Argument.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
52
Eine weniger drastische (weil billigere) Umgangsweise mit meritorischen Gütern ist Nudging (engl. für
Anstupsen). Die Idee hinter diesem Konzept ist, dass Entscheidungen nicht immer rational sind und
man Entscheidungen beeinflussen kann. Nudging ist ein positiv gemeintes Anstupsen, dass eine Entscheidung in die gewünschte Richtung beeinflussen soll. Ein Beispiel für Nudging ist die Reihenfolge
und Platzierung von Essen in Kantinen. Wenn man die Kunden dazu bewegen will, mehr Salat und weniger Fleisch zu essen, kann man Erfolge verzeichnen, wenn man den Salat vor den Fleischgerichten
platziert und in mittlerer Griffhöhe präsentiert. Diese Einflussnahme ist einerseits subtiler, andererseits
weniger drastisch als ein Verbot, wie der Veggie Day oder eine Besteuerung oder Subventionierung.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
53
3.3 Einkommensverteilung
Im Kapitel Arbeitsmarkt haben wir das Konzept des gesetzlichen Mindestlohns analysiert. Die Begründung für einen Mindestlohn ist, dass Arbeitnehmer mit geringem Humankapital im Vergleich mit anderen Arbeitnehmern sehr wenig verdienen. Das bedeutet, dass man mit der Verteilung des Einkommens
auf die Arbeitnehmer, das durch Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt entsteht, nicht zufrieden ist und Armut verhindern möchte. In diesem Kapitel geht es um die Frage, welche Ansätze es gibt,
Armut zu definieren und wie man Ungleichverteilung messen kann. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen lernen Sie ein Konzept kennen, das zurzeit größere Aufmerksamkeit erhält.
Äquivalenzeinkommen
Der Arbeitsmarkt bestimmt das Einkommen einer Person, aber in vielen Fällen leben mehrere Personen
in einem Haushalt zusammen und teilen sich das/die Einkommen. Hierbei lässt sich beobachten, dass
größere Haushalte besser wirtschaften können als kleinere (Single-)Haushalte, weil sie Ressourcen
(Badezimmer, Küche,…) teilen und viele Tätigkeiten fixkostenlastig sind (kochen, …). Das bedeutet,
dass zwei Personen, die zusammen ein Einkommen von 3.000€ haben, einen höheren Lebensstandard
haben als eine Person mit einem Einkommen von 1.500€. Um solche Größenvorteile zu berücksichtigen, wird das gesamte Einkommen eines Haushalts berechnet und durch eine sogenannte Äquivalenzgröße geteilt. Hierfür gibt es mehrere Schemata. Das OECD-Schema ordnet dem Haushaltsvorstand ein
Personengewicht von 1,0 zu, jeder weiteren Person ab 14 Jahren 0,5 und Personen unter 14 Jahren 0,3.
Eine Familie mit zwei kleineren Kindern hätte dann eine Äquivalenzgröße von 1,0+0,5+0,3+0,3=2,1.
Angenommen, das Haushaltseinkommen (nach Steuern) beträgt 4,200 €, dann wird jeder Person in die4.200€
sem Haushalt ein Äquivalenzeinkommen von 2,1 = 2.000€ zugeordnet. Das bedeutet, dass unterstellt wird, dass der Lebensstandard jeder Person in diesem Haushalt so hoch ist wie der eines Singles,
der 2.000€ Einkommen hat.
absolute und relative Armut
Unter absoluter Armut versteht man ein Einkommen, das so gering ist, dass Menschen ihre physischen
Grundbedürfnisse nicht oder nur sehr schlecht befriedigen können, d.h. hungern und frieren. Es gibt
verschiedene Kennzahlen und Grenzen, mit denen man diese Form von Armut misst. Ein wichtiger Indikator ist das Tageseinkommen. Liegt es unter 2 US$, bezeichnen manche Organisationen die Person
als arm. Andere Organisationen verwenden 1,25 US$ als Grenze. Etwa 10 % der Weltbevölkerung sind
nach dieser Definition absolut arm. Vor 25 Jahren waren es noch knapp 30 %.
Für entwickelte Industrieländer ist dieser Armutsbegriff irrelevant. Der Hartz IV Regelsatz beträgt das
Zehnfache dieser absoluten Armutsdefinition. Wenn man diesen Armutsbegriff verwendet, gibt es in
Deutschland keine Armut.
Wenn von Armut in Industrie- oder Schwellenländern gesprochen wird, wird ein anderer Begriff von
Armut verwendet. Arm ist dann jemand, wenn er im Vergleich zum „typischen“ Einwohner seines
Landes ein relativ niedriges Einkommen hat. Es handelt sich also um relative Armut. Die Kennzahlen,
mit denen man vergleicht, lernen Sie gleich kennen. Wichtig ist aber, festzuhalten, dass es bei dieser
Form von Armut nicht um physische Bedürfnisse geht, sondern um soziale. Menschen sind (relativ)
arm, weil ihr Lebensstandard spürbar niedriger ist als der der Anderen.
Die relevante Vergleichsgröße ist das mediane Nettoäquivalenzeinkommen. Das Verfahren der Äquivalenzierung haben Sie kennengelernt. Es bezieht sich auf das Nettoeinkommen, d.h. das Einkommen
nach Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Der Median bezeichnet das mittlere Einkommen. Es
bezeichnet das Einkommen, das genau in der Mitte liegt, d.h. genau so viele Personen haben ein höheres Einkommen, wie ein niedrigeres. Die Armutsgefährdungsgrenze liegt bei 60% des Medianeinkommens, die Armutsgrenze bei 40%. Das mediane Nettoäquivalenzeinkommen in Deutschland liegt bei
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
54
etwa 1.700€ monatlich. Somit liegt die Armutsgefährdungsgrenze nach dieser Definition bei etwa
1.000€ und die Armutsgrenze bei knapp 700€. Nach dieser Definition sind etwa 15 % der deutschen
Bevölkerung arm.
Lorenzkurve
Die Lorenzkurve ist ein anderer Ansatz, ungleiche Einkommensverteilungen zu untersuchen. Die verwendeten Werte stammen aus der Einkommensteuerstatistik 2003. Als erster Schritt werden die Personen nach ihrem Einkommen sortiert. Die Person mit dem niedrigsten Einkommen kommt zuerst, dann die mit dem zweitniedrigsten Einkommen usw. bis zur reichsten Person.
Aus dieser Zahlenreihe kann man die Anteilswerte berechnen.
Zuerst berechnet man die Summe aller Personen. 100 % aller
Personen haben immer 100 % des Einkommens. Aus der nebenstehenden Grafik können Sie sehen, dass die ärmeren 50 %
der Personen 21,7 % des gesamten Einkommens haben. Sie
können auch sehen, dass der Anteil der reichsten 10 % 31,6 %
des Einkommens haben (die Differenz zwischen 68,4 % und
100 %).
Die gestrichelte Diagonale stellt den Fall dar, dass alle Personen das gleiche Einkommen haben. Dann hätten die „ärmsten“
50 % auch 50 % des Einkommens.
Die Darstellung der Lorenzkurve ist sehr grob, weil es nur drei Gruppen gibt. Die ärmsten 50 %, die
reichsten 10 % und die Gruppe dazwischen. In der Praxis kann man das viel differenzierter machen.
Für unsere Zwecke reichen die drei Gruppen.
Gini-Koeffizient
Der Gini-Koeffizient ist eine Kennzahl, die auf der Lorenzkurve aufbaut. Die Lorenzkurve stellt die
Ungleichverteilung graphisch dar. Der Gini-Koeffizient fasst sie in eine Zahl.
Zwischen der gestrichelten Diagonale und der Lorenzkuve gibt es eine Fläche. Je größer diese Fläche
ist, umso ungleicher ist die Einkommensverteilung. Hierzu zwei fiktive Beispiele.
In der linken Kurve ist die Fläche sehr klein, weil die Einkommensunterschiede zwischen den Personen
nicht groß sind. Die rechte Verteilung ist viel ungleicher, weil 20 % der Bevölkerung fast das gesamte
Einkommen haben.
Der Gini-Koeffizient wird über diese Fläche berechnet. Je größer die Fläche (und damit der Gini) umso
ungleicher ist die Verteilung. Um zu zeigen, wie diese Fläche berechnet wird, habe ich sie einmal grob
mit der Hand nachgezeichnet. Das ist der Hauptgrund, warum es nur drei Gruppen gibt ;)
Zunächst berechnet man die Fläche unterhalb der Lorenzkurve. Das kann man tun, indem man die
Kurve in Rechtecke und Dreiecke aufteilt. In der Zeichnung sind das die Flächen A-E.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
A hat eine Fläche von
55
0,5∗0,217
2
= 0,054.
B hat eine Fläche von 0,4 ∗ 0,217 = 0,0868
Die anderen Flächen werden analog berechnet. Die Summe aller
Flächen unterhalb der Lorenzkurve ist 0,317. Das ist noch nicht
die gesuchte Zahl. Gesucht ist die Fläche zwischen der Kurve und
der Diagonale. Die Fläche unterhalb der Diagonale ist ein Dreieck
mit der Länge und Breite von 1, also einer Fläche von 0,5. Die
Fläche zwischen Diagonale und Lorenzkurve muss dann die Differenz zwischen 0,5 und der Fläche unterhalb der Lorenzkurve sein.
d.h. 0,5-0,317=0,183.
Der Gini-Koeffizient ist der verdoppelte Wert dieser Zahl, also
0,366. Die Zahl wird verdoppelt, da der Gini so die (theoretischen) Grenzen von 0 (absolute Gleichverteilung) und 1 (eine Person hat 100% des Einkommens) hat.
Aussagekraft des Ginis
Die meisten ökonomischen
Kennzahlen sagen nur dann
etwas aus, wenn man sie mit
etwas vergleicht. Ob ein Gini
von 0,366 eine starke oder
schwache Ungleichverteilung
darstellt, kann man nur einschätzen, indem man entweder die Entwicklung des Ginis in Deutschland über eine
Reihe von Jahren beobachtet,
oder den Gini aus einem Jahr
aber aus verschiedenen Ländern.
Nebenstehend sehen Sie einen Vergleich der Ginis verschiedener OECD-Staaten.
Der Wert von Deutschland
liegt bei 0,3, also einem anderen Wert als dem, den wir
berechnet haben. Das liegt
daran, dass unsere Rechnung
sehr grob war (weil wir sie „per Hand“ gerechnet haben) und weil die Einkommensdefinitionen etwas
verschieden sind. Es lässt sich aber erkennen, dass die Einkommensverteilung in Deutschland zu den
eher gleichmäßigen gehört. Die skandinavischen Länder haben eine noch gleichmäßigere Einkommensverteilung und die angelsächsischen Länder eine deutlich ungleichere.
Primär und Sekundärverteilung
Als Primärverteilung wird die Einkommensverteilung bezeichnet, die durch Angebot und Nachfrage
auf den Märkten zustandekommt. Wenn die Gesellschaft sich darauf geeinigt hat, dass diese Verteilung
nicht die „richtige“ ist, kann Einkommen umverteilt werden. Die Verteilung, die nach der Umverteilung vorliegt, wird Sekundärverteilung genannt.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
56
Bedingungsloses Grundeinkommen – Das Konzept
Ein Konzept der Einkommensumverteilung ist das bedingungslose Grundeinkommen. Häufig wird eine
Summe von 1.000€ pro Person diskutiert. Dieser Wert entspricht etwa der Armutsgefährdungsgrenze.
Dieser Betrag ist bedingungslos, d.h. nicht an Voraussetzungen gebunden, wie z.B. Hartz IV. Jeder
Einwohner würde diesen Betrag erhalten, unabhängig davon, wie viel er sonst verdient und wie viel
Vermögen er hat. Dieses Konzept wird aus ganz unterschiedlichen politischen Richtungen unterstützt.
Viele Vertreter sehen in einem bedingungslosen Grundeinkommen eine Möglichkeit, die Menschen
vom Zwang zu Erwerbsarbeit zu befreien. Sie erhoffen sich davon, dass die Menschen die so gewonnenen Spielräume nicht für intensiveren Fernsehkonsum nutzen, sondern dazu, kreative und gemeinnützige Dinge zu tun und sich selbst mehr zu entfalten. Schlecht bezahlte Jobs würden entweder verschwinden oder besser bezahlt werden, weil niemand mehr auf das Geld aus diesen schlecht bezahlten Jobs
angewiesen wäre.
Andere Vertreter sehen eher Einspareffekte. Der Bezug des Grundeinkommens muss nicht mehr geprüft werden und alle Sozialtransfers und Einkommensumverteilungen würden in dem Grundeinkommen gebündelt werden. Das würde die öffentliche Verwaltung, die zu einem großen Teil mit solchen
Aufgaben befasst ist, entlasten.
Eine dritte Gruppe sieht im Grundeinkommen eine Möglichkeit, eine künftige Rationalisierungswelle
abzufedern. Im Kapitel Arbeitsmarkt haben wir uns kurz mit technischem Fortschritt befasst, der in der
Vergangenheit Arbeitsplätze mit niedrigen Qualifikationsanforderungen wegrationalisiert hat. Wir habe
uns die Frage gestellt, ob intelligente Maschinen in Zukunft auch höher Qualifizierte arbeitslos machen
könnten. Wenn das der Fall wäre, würde ein großer Teil der Arbeit wegfallen und Erwerbstätigkeit
würde als Einkommensquelle an Bedeutung verlieren. Das Grundeinkommen könnte eine Möglichkeit
sein, in solchen Szenarien Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden.
Ein Problem, das viele Vorschläge zum bedingungslosen Grundeinkommen vernachlässigen, ist die
Frage, wie dieses Konzept finanziert werden soll. Mit dieser Frage werden wir uns auseinandersetzen,
wenn wir im nächsten Kapitel über Steuern nachgedacht haben, denn öffentliche Güter und Einkommensumverteilungen müssen ja irgendwie finanziert werden.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
57
3.4 Steuern
In den letzten Kapiteln haben wir uns mit Themen befasst, die uns gezeigt haben, dass Märkte gut geeignet sind, private Güter bereitzustellen, aber für öffentliche Güter oder Änderungen an der Einkommensverteilung keine guten Ergebnisse liefern. Diese Schwachstellen sind eine starke Begründung für
einen Staat, der die Marktwirtschaft ergänzt. Um öffentliche Güter bereitzustellen und die Einkommensverteilung über Transfers zu verändern braucht der Staat aber Einnahmen. Die Haupteinnahmequelle des Staates sind Steuern, die wir uns in diesem Kapitel näher anschauen werden.
Steuern, Gebühren und Sozialversicherungsbeiträge
Die meisten Menschen unterscheiden nicht zwischen Steuern, Gebühren und Sozialversicherungsbeiträgen, sondern fassen sie als „Abgaben“ zusammen. Das ist etwas unpräzise.
Gebühren werden erhoben, wenn ein Bürger eine bestimmte Leistung des Staats in Anspruch nimmt.
Diese Gebühr kann kostendeckend sein oder nicht. Sie kann sogar höher sein als die Kosten, die die
Leistung verursacht. Wichtig ist, dass nur der Gebühren zahlen muss, der die Leistung auch in Anspruch nimmt.
Steuern sind Zahlungen, bei denen es keine Gegenleistung gibt. Die Steuern wandern in einen großen
Steuertopf, aus dem dann die Staatsleistungen finanziert werden. Hierbei gibt es keine Zweckbindung,
d.h. eine Steuer, die in Bereich x erhoben wird, muss nicht für diesen Bereich ausgegeben werden. Das
ist sinnvoll, weil der Staat seine Ausgaben nach Dringlichkeit und Nutzen für die Allgemeinheit ausrichten sollte und nicht danach, aus welcher Quelle das Geld stammt.
Sozialversicherungsbeiträge fallen in der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Pflegeversicherung an. Sie sind eine Art Mischung
aus Steuern und Gebühren. Zum einen gibt es eine Gegenleistung in Form sozialer Absicherung im Alter, im Krankheitsfall, bei Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit usw. Darin ähneln sie Gebühren. Zum
anderen ähneln sie Steuern, weil die Bürger sich nicht aussuchen können, ob sie diese Beiträge zahlen
wollen oder nicht, da es sich um Pflichtversicherungen handelt. Von Gebühren und Steuern unterscheiden sich diese Beiträge, indem es eine Zweckbindung gibt. Die Sozialversicherungen sind nicht Teil
des Steuerhaushalts und Einnahmen aus der Krankenversicherung können z.B. nicht dafür verwendet
werden, Autobahnbrücken zu sanieren, sondern sind an die Zwecke der Krankenversicherung gebunden.
Leistungsfähigkeitsprinzip
Eine Frage, die ganz am Anfang der Auseinandersetzung mit Steuern steht, ist die Frage, ob eine Steuer
für alle Steuerpflichtigen gleich hoch sein soll oder nicht.
Wenn eine Steuer für alle Bürger gleich hoch ist, spricht man von einer Kopfsteuer. In Deutschland
sind solche Steuern ungebräuchlich. Im Regelfall werden Steuern in irgendeiner Form differenziert.
Die Kfz-Steuer ist zwar für alle Halter des gleichen Autotyps gleich, aber für verschiedene Motorstärken verschieden.
Im Regelfall folgen Steuern dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Die Idee dieses Prinzips ist, dass die Steuern, die Bürger zahlen, sich nach ihrer (ökonomischen) Leistungsfähigkeit richten sollen. Wer viel Geld
hat soll mehr in den Steuertopf zahlen als jemand mit wenig Geld.
Mehrwertsteuer
Die Mehrwertsteuer, auch Umsatzsteuer genannt, folgt diesem Prinzip. In Deutschland fallen auf die
meisten Güter 19 % MwSt. an. Wenn Sie ein Handy für 299€ kaufen, dann steckt in diesem Preis eine
Mehrwertsteuer von 19%. Die Steuer kann man über die Formel 𝑁𝑒𝑡𝑡𝑜𝑝𝑟𝑒𝑖𝑠 ∗ 1,19 = 𝐵𝑟𝑢𝑡𝑡𝑜𝑝𝑟𝑒𝑖𝑠
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
58
berechnen. In diesem Fall ist 𝑁𝑒𝑡𝑡𝑜𝑝𝑟𝑒𝑖𝑠 ∗ 1,19 = 299€ bzw.
299€
1,19
= 𝑁𝑒𝑡𝑡𝑜𝑝𝑟𝑒𝑖𝑠 = 251,26€ Die
Differenz zwischen Brutto- und Nettopreis ist die MwSt. also 47,74€. Ein beliebter Fehler ist, 19% vom
Bruttopreis zu berechnen. Das sind 56,81€ und somit nicht der richtige Wert.
Die Mehrwertsteuer ist eine Proportional- oder Linearsteuer. Darunter versteht man Steuern, bei denen
sich bei einer Verdoppelung der Steuerbemessungsgrundlage auch die Steuerzahlung verdoppelt. Bei
einem Handy, das im Laden 598€ kostet, beträgt der Nettopreis 502,51€ und die Steuer 95,48€. Die
Zahlen haben sich also alle verdoppelt.
Mit diesem Steuerverlauf wird das Leistungsfähigkeitsprinzip umgesetzt. Wer mehr Geld ausgeben
kann, kann auch mehr Geld in den gemeinsamen Steuertopf zahlen.
Einkommensteuer
Ein wesentlicher Bestimmungsgrund der ökonomischen Leistungsfähigkeit ist die Höhe des Einkommens. Im Kapitel Einkommensverteilung haben wir gelernt, dass die absolute Höhe des Einkommens
weniger entscheidend ist als die Äquivalenzeinkommen. Die Einkommensteuer greift die Idee, dass
man die Lebensumstände einer Person bei der Besteuerung des Einkommens berücksichtigen muss, intensiv auf. Aus diesem Grund gibt es Ehegattensplitting, Kinderfreibeträge, Pendlerpauschalen usw.
Aus diesem Grund sind Einkommensteuerformulare lang und kompliziert. Eine Vereinfachung des
Steuersystems ist an dieser Stelle aber nur um den Preis zu haben, dass man Abstriche beim Leistungsfähigkeitsprinzip macht.
Die Einkommensteuer ist eine progressive Steuer. Darunter versteht man Steuertarife, bei denen die
Steuerzahlung überproportional mit der Besteuerungsgrundlage wächst. Etwas grob gesagt: Wenn x ein
doppelt so hohes Einkommen hat wie y, dann
Einkommensteuertarif 2016
zahlt x nicht doppelt so viel Steuern, sondern
mehr als doppelt so viel.
160000
Nebenstehend finden Sie den Einkommensteuertarif für das Jahr 2016. Am Verlauf dieser Kurve können Sie erkennen, dass eine
Verdoppelung des zu versteuernden Einkommens die Steuerzahlung mehr als verdoppelt.
Mit einem Einkommen von 40.000€ sind gut
9.000€ Einkommensteuer zu zahlen. Beim
doppelten Einkommen von 80.000€ aber
knapp 27.000€ als fast das Dreifache. Bei einem Einkommen von 160.000€ fallen über
60.000€ Einkommensteuer an.
140000
Steuerzahlung
120000
100000
80000
60000
40000
20000
0
0
40000
80000
120000
zu versteuerndes Einkommen
160000
Dieser Verlauf basiert auf der Annahme, dass
die ökonomisch Leistungsfähigkeit mit der
Höhe des Einkommens überproportional
steigt.
Verbrauchssteuern
Neben der MwSt. gibt es noch eine Reihe weiterer Steuern, die auf einzelne Güter erhoben werden.
Solche Steuern werden auch Verbrauchssteuern genannt. Die bekanntesten Beispiele sind die Tabakund Mineralölsteuer. Sie fallen beim Kauf dieser Güter an. Die nachfolgende Rechnung stellt den Fall
dar, dass ein Autofahrer für 65€ tankt.
Wenn Sie genau nachrechnen, sehen Sie, dass der Autofahrer nicht nur „doppelt“ Steuern bezahlt, d.h.
zwei verschiedene Formen von Steuern (MwSt. und Mineralölsteuer), sondern eigentlich „dreifach“,
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
59
weil er auf die Mineralölsteuer auch noch MwSt. zahlt, denn die MwSt. wird auf den Nettopreis plus
die Mineralölsteuer erhoben.
Benzinpreis je Liter
1,30€
getankte Liter
50
Rechnung
65€
Mineralölsteuer
32,98€
Autofahrer und Raucher beklagen sich, dass die Steuern auf diese
Güter so hoch sind. Es gibt im Wesentlichen drei Gründe für solche
hohen Steuern.
Der erste Grund ist ein gesellschaftspolitischer. Im Kapitel über die
Gütertypen haben Sie das Konzept der meritorischen Güter kennengelernt, also von Gütern, bei denen die Bürger den Nutzen der Güter
MwSt.
10,38€
unterschätzen. Wenn man sich dieses Konzept zu Eigen macht, kann
man darüber nachdenken, diese Güter zu subventionieren. Wenn es meritorische Güter gibt, dann kann
es auch demeritorische Güter geben, also Güter, deren Nutzen die Bürger überschätzen. Solche Güter
sind dann eigentlich zu billig. Über Steuern kann man versuchen, diese Überschätzung ausgleichen.
Wenn Jugendliche den Nutzen aus dem Konsum von Tabak überschätzen, weil sie die langfristigen
Konsequenzen einer Nikotinabhängigkeit nicht überblicken, könnte es sinnvoll sein, Tabak künstlich zu
verteuern.
Der zweite Grund für hohe Verbrauchssteuern sind sogenannte negative externe Effekte. Der Verbrauch
von Benzin spendet dem Käufer Nutzen, schädigt aber andere Menschen, die die Abgase einatmen
müssen. Wenn nun der Autofahrer viele Steuern zahlt, muss der Radfahrer weniger Steuern zahlen, um
den Staatshaushalt zu finanzieren. Auf diese Weise entschädigt der Autofahrer den Radfahrer indirekt.
Im Beispiel der Mineralölsteuer kommt an dieser Stelle noch ein Anreiz für die Automobilhersteller
hinzu, sparsame Autos zu entwickeln, die weniger Steuern kosten, weil sie weniger Benzin verbrauchen.
Der dritte Grund ist, dass die Nachfrage bei diesen Gütern sehr preisunelastisch ist. Diesen Begriff haben Sie im Kapitel Angebot und Nachfrage kennengelernt. Die Nachfrage nach Tabak oder Benzin reagiert kaum auf eine Veränderung des Preises. Die sogenannte Ramsey-Regel besagt, dass Verbrauchssteuern nur bei relativ preisunelastischer Nachfrage sinnvoll sind. Bei sehr preiselastischen Gütern führt
eine Steuer- (und damit Preiserhöhung) zu einem starken Rückgang der Nachfrage. Das bedeutet aber,
dass die bisherigen Kunden einen Schaden haben, weil ihr Produkt teurer geworden ist und sie ihr
Budget nun für andere Dinge ausgeben, die ihnen aber weniger wert sind als das besteuerte Gut (zum
alten Preis). Diesem Schaden steht aber kein nennenswerter Ertrag gegenüber, weil die Nachfrage so
stark sinkt. Bei sehr preiselastischen Gütern haben die Käufer einen Schaden, weil sie Steuern zahlen
müssen, was wenige Leute gern tun. Diesem Schaden steht aber ein großes Steueraufkommen gegenüber, weil die Nachfrage kaum zurückgeht. Die Besteuerung preisunelastischer Güter ist daher bei Verbrauchssteuern die bessere Wahl.
Steuerinzidenz
Die Sektsteuer ist eine kuriose Steuer, die vor dem ersten Weltkrieg zur Finanzierung der kaiserlichen
Flotte eingeführt wurde und seitdem nicht mehr abgeschafft wurde. Sie hat jährlich ein Aufkommen
von etwa einer halben Milliarde €. Jede jede Flasche Sekt enthält 1,02€ Sektsteuer enthält. Diese Steuer
zahlt erst einmal der Käufer. Die Frage ist aber, ob er in der Lage ist, die Steuer auf einen anderen Beteiligten abzuwälzen. Nehmen wir an, die Steuer würde auf 2,02€ angehoben. Nehmen wir an, die Supermärkte gehen davon aus, dass die Nachfrage sehr stark zurückgehen würde, wenn sie diese Preissteigerung auf die Kunden durchschlägt. Sie entscheiden sich, den Endpreis nicht anzuheben. Das bedeutet dann aber, dass eine andere „Partei“ die höhere Steuer zahlen muss. In der nachfolgenden Rechnung finden Sie den Fall, dass die formale Steuerlast in beiden Fällen beim Käufer liegt, die materielle
Steuerlast aber beim Hersteller.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
60
Wie genau die Verteilung der materiellen
Last aussieht, hängt vom Einzelfall ab. Es
Einkaufspreis des Supermarkts
3,00€
2,00€
könnte auch sein, dass der Sekt etwas teurer
wird und Kunde, Supermarkt und Hersteller
Sektsteuer
1,02€
2,02€
jeweils einen Teil der materiellen Steuerlast
MwSt.
0,76€
0,76€
zahlen, indem der Hersteller etwas billiger
an den Supermarkt verkauft, der Supermarkt
Verkaufspreis des Supermarkts
7,99€
7,99€
etwas weniger Deckungsbeitrag mit einer
Deckungsbeitrag
3,21€
3,21€
Flasche Sekt erzielt und der Kunde etwas
mehr zahlt. Die Verteilung der materiellen Steuerlast ist eine Frage von Nachfrageelastizität und
Marktmacht. Wichtig ist aber, zu sehen, dass nicht notwendigerweise derjenige belastet wird, der die
Steuer zahlt, sondern jemand anderes in der Wertschöpfungskette.
bisher
jetzt
Bedingungsloses Grundeinkommen – Die Analyse
Nachdem wir einige Grundideen der Steuerlehre kennengelernt haben, wenden wir uns wieder dem
Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens zu, das wir im Kapitel Einkommensverteilung kennengelernt haben.Wenn man ernsthaft über dieses Konzept nachdenken will, muss man eine Vorstellung haben, wie das Grundeinkommen finanziert werden soll. Das bisher am detailliertesten ausgearbeitete Finanzierungskonzept ist die negative Einkommensteuer.
Das Konzept besteht darin, Grundeinkommen und (mögliche) Einkommensteuerzahlungen zu verrechnen. Ist die
Steuerzahlung geringer als das Grundeinkommen, erhält die Person Geld
vom Finanzamt. Andernfalls zahlt sie
Geld an das Finanzamt.
negative (lineare) Einkommensteuer
1500
Steuerzahlung
1000
500
0
0
-500
1000
2000
3000
4000
In der nebenstehenden Abbildung ist
der Fall dargestellt, dass das Grundeinkommen 1.000€ beträgt und der Einkommensteuersatz konstant bei 50 %
liegt.
-1000
Person A hat kein Einkommen und bekommt 1.000€ vom Finanzamt als
-1500
Grundeinkommen. Person B hat ein
Einkommen
Einkommen von 500€. Auf dieses Einkommen entfallen 250€ Steuern.
Gleichzeitig bekommt die Person aber
1.000€ Grundeinkommen. Beide Zahlungen werden saldiert, so dass die Person eine Summe von 750€
vom Finanzamt erhält. Person C verdient 4.000€, ist also definitiv nicht als arm zu bezeichnen. Auch
diese Person erhält das Grundeinkommen, da es bedingungslos ist. Auf die 4.000€ müssen 2.000€
Steuern gezahlt werden, die mit dem Grundeinkommen verrechnet werden, so dass diese Person 1.000€
an das Finanzamt zahlen muss.
Die Abbildung macht deutlich, dass bei diesen Parametern alle Personen, die weniger als 2.000€ Einkommen haben, einen Transfer vom Finanzamt bekommen. Im Kapitel Einkommensverteilung haben
wir gesehen, dass das mediane Äquivalenzeinkommen unter 2.000€ liegt und dass das Äquivalenzeinkommen das Einkommen von Mehrpersonenhaushalten höher ausweist, als es nominell ist. Das bedeutet, dass bei 1.000€ Grundeinkommen und 50% Steuersatz mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung eine Zahlung vom Finanzamt erhalten würde. Auch Personen, die gar nicht arm oder armutsge-
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
61
fährdet sind, würden Geld erhalten. Dieses Geld muss aus den Steuerzahlungen der Menschen bestehen, die über 2.000€ verdienen.
Diese Überlegungen machen deutlich, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass ein Grundeinkommen finanzierbar ist. Man könnte den Steuersatz anheben, damit weniger Personen einen Transfer vom Finanzamt erhalten. Dann wäre man aber bei einem Steuersatz von 70% oder mehr. Bei einem so hohen
Steuersatz würden viele Menschen nicht mehr arbeiten, sondern lieber vom Grundeinkommen leben
oder ihr Arbeitsangebot deutlich reduzieren. Da dann aber die Nettozahler fehlen, die das Grundeinkommen finanzieren, bricht das System zusammen. Aus diesem Grund halten die meisten Ökonomen
das garantierte Grundeinkommen für eine schöne Idee, die aber nicht finanzierbar ist und eine Volkswirtschaft ins Chaos treiben würde.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
62
3.5 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
In anderen Erstsemesterveranstaltungen haben Sie die Grundstruktur von Bilanzen kennengelernt. Bilanzen sollen den Zustand eines Unternehmens für Geldgeber und den Staat (wegen der Besteuerung
von Unternehmen) möglichst übersichtlich darstellen. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist das
Instrument mit dem man Bilanzen für eine gesamte Volkswirtschaft erstellen kann.
Bruttoinlandsprodukt
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in den geographischen Grenzen eines Landes (dem Inland) in einem Jahr hergestellt werden. Hierbei ist nicht entscheidend, wo die Menschen wohnen, die die Produkte herstellen, sondern wo sie hergestellt werden. Das
bedeutet, dass Pendler, die in Deutschland wohnen und deutsche Staatsangehörige sind und in der
Schweiz arbeiten, zum Inlandsprodukt der Schweiz beitragen und nicht zum deutschen BIP.
Entwicklung des deutschen BIP
Die nachfolgende Grafik mit Daten des Statistischen Bundesamts stellt die Entwicklung des deutschen
BIP von 1970-2015 dar. Diese Rechnung ist kniffelig, da es 1970 noch zwei deutsche Staaten gab und
die Währung eine andere war. Das Umrechnen ist nicht trivial.
Im Jahr 1970 betrug das BIP 450 Mrd €,
2015 2.900 Mrd. Es hat sich also in 45 Jahren mehr als versechsfacht (6,44facht)
Bei solchen Langfristbetrachtungen macht
es Sinn, eine durchschnittliche Wachstumsrate zu berechnen.
Diese Wachstumsrate kann man mit Instrumenten der Zinsrechnung ermitteln.
Gesucht ist die Wachstumsrate wr, für die
gilt
450 ∗ (1 + 𝑤𝑟)45 = 2.900
Die Gleichung kann man umformen
(1 + 𝑤𝑟)45 =
2.900
= 6,44
450
(1 + 𝑤𝑟) = 45√6,44
𝑤𝑟 = 0,0423 = 4,23%
Das bedeutet, dass die deutsche Volkswirtschaft in den letzten 45 Jahren im Durchschnitt jedes Jahr um
4,23% gewachsen ist.
Inflation
Unter Inflation versteht man einen Anstieg des „allgemeinen Preisniveaus“. Um das Preisniveau zu
messen, hat das Statistische Bundesamt einen Warenkorb mit hunderten von Gütern (Lebensmittel,
Benzin, Kleidung, Computer,…) entwickelt. Die Preise der Güter dieses Warenkorbs werden jedes Jahr
ermittelt. Manche Güter haben sich verbilligt, manche sind teurer geworden. Ist der Warenkorb insgesamt teurer geworden, spricht man von Inflation. Ein Teil der Steigerung des BIP in den letzten Jahrzehnten ist darauf zurückzuführen, dass die Güter teurer geworden sind.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
63
In der nebenstehenden Grafik mit Daten des
Statistischen Bundesamts sind die jährlichen
Inflationsraten von 1970-2015 aufgeführt.
Rechnet man diese Inflationsraten zusammen, ergibt sich ein Faktor von 3,44.
Das bedeutet, dass das BIP 2015 zwar nominell (d.h. in Euro gemessen) bei 2,9 Bio. €
lag – im Vergleich zu 450 Mrd. € im Jahr
1970, dass aber real nicht 6,44 mal so viele
Güter produziert worden sind, sondern die Preise sich mehr als verdreifacht haben. Um die Inflation
aus dem Vergleich der BIPs verschiedener Länder herauszurechnen, dividiert man das nominelle BIP
2.900 𝑀𝑟𝑑.€
durch die Inflationsrate, d.h.
= 853 𝑀𝑟𝑑. Das bedeutet, dass sich das reale BIP in diesem
3,44
Zeitraum knapp verdoppelt hat.
Analog zur (nominellen) Wachstumsrate des BIP berechnet man auch die durchschnittliche Inflationsrate ir über (1 + 𝑖𝑟) = 45√3,44 = 1,0278 bzw. 2,78%. Zieht man die Inflationsrate von der nominalen
Wachstumsrate ab, erhält man die reale Wachstumsrate, d.h. die Rate, mit der die Produktion von Gütern gewachsen ist, d.h. 4,23 % - 2,78 % = 1,45 %.
Inflation wird allgemein als negativ eingeschätzt. Der Grund ist, dass schwankende Inflationsraten die
Funktionsweise des Kapitalmarkts, den wir schon betrachtet haben, beeinträchtigt. Kredite haben im
Regelfall einen festen Zinssatz. Wenn die Kreditgeber aber unsicher sind, wie hoch das Preisniveau bei
Rückzahlung des Kredites ist, funktioniert der Kapitalmarkt nicht gut.
Kaufkraftparität
Die Inflation wird über den Vergleich der Kosten eines Warenkorbs in verschiedenen Jahren gemessen.
Etwas Ähnliches braucht man auch für den Vergleich zwischen verschiedenen Ländern. Die Kosten des
identischen Warenkorbs unterscheiden sich zwischen Deutschland und den Niederlanden, Italien usw.
obwohl diese Länder die gleiche Währung haben. Für Länder mit unterschiedlichen Währungen gibt es
zwar einen Wechselkurs, doch der spiegelt häufig nicht die Preisunterschiede wider.
Aus diesem Grund berechnet man Kaufkraftparitäten. Für einen Euro bekommt man etwa 1,10 Schweizer Franken. Das ist der Wechselkurs. Angenommen, der Warenkorb in Deutschland kostet 1.000€.
Dann müsste dieser Warenkorb, wenn der Wechselkurs den Preisunterschieden entspricht, in der
Schweiz 1.100 Franken kostet. Tatsächlich kostet er aber etwa 1.800 Franken. Das bedeutet, dass der
Wechselkurs, wenn er dem Preisverhältnis entsprechen würde, bei 1,80 Franken je Euro liegen müsste.
Diesen Faktor nennt man auch Kaufkraftparität. Wenn man das berücksichtigt, relativieren sich hohen
Einkommen, die in der Schweiz gezahlt werden. Eine Stelle mit einem Gehalt von 60.000 Franken ist
60.000
60.000
also nicht mit einer Stelle vergleichbar, die 1,1 = 54.545€ entspricht, sondern eher 1,8 =
33.333€.
Pro-Kopf-BIP
Das „rohe“ BIP ist keine gute Kennzahl, um den Wohlstand eines Landes zu messen. Das BIP Chinas
ist viel größer als das BIP Deutschlands. Es gibt aber auch deutlich mehr Chinesen als Deutsche. Aus
diesem Grund ist die relevante Kennzahl das BIP pro Kopf.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
64
In der nebenstehenden Zeichnung finden Sie das Pro-Kopf-BIP
Deutschlands und seiner Nachbarstaaten für das Jahr 2010 in US
Dollar und Kaufkraftparitäten umgerechnet.
Am Beispiel Luxemburgs kann man die Grenzen des BIPKonzepts erkennen. Das Pro-Kopf-BIP dort ist doppelt so hoch wie
in Deutschland und weltweit eines der höchsten. Ein Grund für
diese hohe Zahl ist, dass Luxemburg so klein ist und viele Arbeitnehmer in Luxemburg arbeiten, also zum BIP beitragen, aber nicht
in Luxemburg wohnen, also bei der Pro-Kopf Berechnung nicht
mitzählen. Umgekehrt arbeiten nicht so viele Luxemburger im
Ausland, so dass die Pro-Kopf Zahlen kaum miteinander vergleichbar sind.
Kritik am BIP als Wohlstandsindikator
Das „Brutto“ in BIP bedeutet, dass Abschreibungen und Ersatzinvestitionen in das BIP einfließen.
Wenn in einem deutschen Atomkraftwerk ein Super-GAU stattfinden würde, tausende Quadratkilometer Fläche dekontaminiert und zehntausende Menschen umgesiedelt werden müssten, würde das einen
spürbaren Schub für das BIP darstellen, weil neue Häuser gebaut werden müssten usw. Man würde
aber kaum sagen, dass der Super-GAU zu einem gestiegenen Wohlstand geführt hat.
Eine weitere Kritik ist, dass das BIP nur die Menge an produzierten Gütern misst. Die Frage ist, ob die
Steigerung des BIP ein sinnvolles Ziel ist. Es gibt eine Reihe von Studien, die den Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und Zufriedenheit der Menschen misst. Das sogenannte EasterlinParadox kommt zu dem Ergebnis, dass materieller Wohlstand die Zufriedenheit steigert, aber nur bis
zu einer relativ niedrigen Grenze. Zunehmender Wohlstand steigert die Zufriedenheit nicht. Studien,
die versuchen, Zufriedenheit und Glück der Bevölkerung zu messen, kommen zu dem Ergebnis, dass
die reichsten Länder nicht unbedingt die Länder mit der zufriedensten/glücklichsten Bevölkerung sind.
So kommt der World Happiness Index zu dem Ergebnis, dass die Menschen in Puerto Rico und Costa
Rica insgesamt glücklicher sind als die Deutschen. Länder wie Bhutan haben den Indikator Bruttonationalglück entwickelt.
Unter dem Begriff Postwachstumsökonomie wird der Umstand diskutiert, dass die globalen Ressourcen
endlich sind und dass in einer endlichen Welt jedes Wachstum irgendwann an eine Grenze stoßen
muss. Es ist absehbar, dass diese Grenzen bald erreicht sein werden oder schon erreicht sind, so dass
weiteres Wachstum nicht sinnvoll ist.
Zahlungsbilanz
Ein weiterer Einsatzbereich der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist die Messung der Außenhandelsbeziehungen eines Landes. Diese Beziehungen werden in der Zahlungsbilanz erfasst. Diese Zahlungsbilanz wird in mehrere Teilbilanzen unterteilt, die in der nachfolgenden Grafik, die aus der Wikipedia stammt, aufgelistet.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
65
Wenn von Deutschland als
„Exportweltmeister“ die Rede ist, bedeutet das, dass
Deutschland einen großen
Handelsbilanzüberschuss
aufweist.
Insgesamt ist die Leistungsbilanz Deutschlands positiv.
Global gesehen ist das nicht
positiv, denn wie alle BilanHB=Handelsbilanz, DLB=Dienstleistungsbilanz, ÜB=Übertragungsbilanz,
zen müssen sich auch die
LB=Leistungsbilanz, KB=Kapitalbilanz, DB=Devisenbilanz
Zahlungsbilanzen weltweit
ausgleichen. Dem deutschen Handelsbilanzüberschuss muss also ein Handelsbilanzdefizit irgendwo
anders gegenüberstehen. Das wird an folgendem Beispiel deutlich, in dem es nur drei fiktive Länder
gibt.
Land A exportiert viel mehr als es importiert. Land C hat eine ausgeglichene Handelsbilanz. Es importiert aus A mehr als es
nach A exportiert, hat also gegenüber A einen negativen Handelsbilanzsaldo. Gegenüber B ist der Saldo aber positiv. Der Exportüberschuss von A muss daher irgendwo
„bleiben“. Er bleibt im Land B, das viel
mehr importiert als exportiert.
Das bedeutet, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss, auf den viele Deutsche stolz sind, in den anderen Ländern kritisiert wird, weil sie zu
globalen Ungleichgewichten führt. Vor diesem Hintergrund ist es paradox, wenn aus Deutschland Kritik an Ländern wie Griechenland geübt wird, die ein enormes Leistungsbilanzdefizit haben.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
66
3.6 Strukturpolitik
Schöpferische Zerstörung
Die zunehmende Arbeitsteilung und der Wettbewerb auf Märkten führen zu einer großen Dynamik in
der Wirtschaft.
Technologische Innovationen führen zum Verschwinden bisheriger Produkte. Im Kapitel Angebot und
Nachfrage haben wir unter dem Aspekt der Kreuzpreiselastizität das Beispiel betrachtet, dass die billige Massenproduktion von Autos Unternehmen, die Pferde gezüchtet haben, weitgehend vom Markt gedrängt haben. Wir haben im Kapitel Produktpolitik das Phänomen der Produktlebenszyklen betrachtet.
Innovative Produkte erwirtschaften besonders hohe Pioniergewinne. Diese Gewinne ziehen Nachahmer
an und senken die Pioniergewinne. Die Aussicht auf Pioniergewinne ist aber ein Anreiz, neue Produkte
zu entwickeln, die dann die etablierten Produkte verdrängen.
Ein weiterer Motor wirtschaftlicher Dynamik ist die globalisierte Arbeitsteilung. Im Kapitel Eine Geschichte der Arbeitsteilung haben wir das fiktive Beispiel zweier Länder betrachtet, die sich jeweils auf
die Produktion eines Gutes spezialisieren, obwohl das eine Land in der Produktion beider Güter effizienter ist als das andere. In dem Beispiel führte das dazu, dass das eine Land seine Textilindustrie abbaute, obwohl die Produktion effizienter war als im anderen Land, das sich auf Textilien spezialisierte.
Ein dritter Motor wirtschaftlicher Dynamik, der eng mit der globalisierten Arbeitsteilung zusammenhängt sind gesunkene Transportkosten. Im Kapitel Kostenrechnung haben wir das Klavierbauunternehmen Grotrian-Steinweg kennengelernt. Vor 100 Jahren gab es allein in Berlin etwa 300 Klavierbauunternehmen. Heute gibt es in Deutschland noch 10. Der unwichtigere Grund für das Verschwinden so
vieler Anbieter ist, dass Radios und Fernseher das Klavier als Familienunterhaltung verdrängt haben.
Der wichtigere Grund ist, dass die meisten Instrumente, die heute in Deutschland verkauft werden, aus
Asien stammen. Die Transportkosten sind so stark gesunken, dass bisher irrelevante Anbieter zu Konkurrenten werden. Dies gilt insbesondere für digitalisierbare Güter, bei denen der Standort überhaupt
keine Rolle spielt.
Der Ökonom Joseph Schumpeter hat diese Dynamik den Prozess der schöpferischen Zerstörung genannt. Die neuen, innovativen Dinge zerstören die alten, etablierten. Das bedeutet, dass sich Marktwirtschaften immer „in Bewegung“ befinden. Diese Bewegung nennt man auch Strukturwandel.
Fortschrittsverlierer
„Zerstörung“ bedeutet aber, dass Dinge „kaputt“ gehen und das es Beteiligte gibt, die lieber alles beim
alten lassen würden. Das bedeutet, dass es „Fortschrittsverlierer“ gibt. Gäbe es keine asiatischen Klaviere auf dem deutschen Markt, gäbe es den Hersteller Ibach vermutlich noch. Gäbe es keine asiatischen Klaviere auf dem deutschen Markt, müssten Menschen, die ein qualitativ einfacheres Instrument
suchen, aber auch deutlich mehr Geld bezahlen.
Der einfachste Weg, Fortschrittsverlierer zu vermeiden wäre, die Neuerung zu verbieten oder unattraktiv zu machen, z.B über Einfuhrzölle für chinesische Klaviere. Die Nutznießer wären die deutschen
Klavierbauer, die Geschädigten die Kunden. Da man den Nutzen für die Kunden höher bewertet als den
Schaden für verdrängte Anbieter, werden Zölle meist nicht als Mittel eingesetzt. Im Gegenteil: Wichtige Handelspartner vereinbaren gegenseitige Zollfreiheit.
Fortschrittsverlierer sind nicht nur die Unternehmen, die vom Markt gedrängt werden, sondern auch die
Arbeitnehmer dieser Unternehmen. Das Konzept des komparativen Kostenvorteils, auf dem das TextilMaschinenbau-Beispiel basiert, ist vor 200 Jahren entwickelt worden. Damals hat man über die Verlierer nicht viel nachgedacht. Im Kapitel Arbeitsmarkt haben wir unter dem Stichwort Humankapital darüber nachgedacht, dass die Anforderungen an die meisten Arbeitnehmer früher nicht besonders hoch
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
67
waren. Sie mussten körperliche Arbeit verrichten. Daher liegt es nahe, nicht tief darüber nachzudenken,
was mit den Arbeitnehmern in der stillgelegten Branche passiert. Da sie kein nennenswertes Humankapital haben, können sie einfach in die Branche wechseln, auf die sich das Land spezialisiert. Wenn das
sich aber inzwischen geändert hat und die Arbeitnehmer in der Textilindustrie keine tumben Säckeschlepper sind, sondern Spezialisten, die in ihr Humankapital investiert haben, bedeutet Strukturwandel
für sie einen erheblichen Verlust, weil ihr Humankapital durch den Strukturwandel entwertet wird und
ihre Arbeitsplätze ins Ausland wandern.
Strukturen in der Landwirtschaft
Eine Branche, deren Strukturwandel zurzeit große öffentliche Aufmerksamkeit erhält, ist die Landwirtschaft. Insbesondere die sinkenden Milchpreise führen zu intensiven Diskussionen. Diesen Fall wollen
wir etwas näher betrachten.
Bis weit in die Neuzeit hinein haben mehr als 90% der Bevölkerung in der Landwirtschaft gearbeitet.
Heute sind es in Deutschland etwa 3%. Das bedeutet, dass es in der Landwirtschaft eine extreme Produktivitätssteigerung gegeben hat, da inzwischen 3% die restlichen 97% mit ernähren können. Agrochemie (Kunstdünger) und Maschinisierung (Traktor) sind zwei wesentliche Elemente davon.
Die Nachfrage nach Lebensmitteln ist relativ preisunelastisch, sobald niemand hungert. Wenn sich der
Preis für Milch halbiert, dürfte die Nachfrage nach Milch dadurch kaum steigen.
Nun hat es in der Milchviehhaltung in den letzten Jahren Effizienzsteigerungen gegeben. Kühe können
von Robotern automatisch gemolken werden, Futterautomaten sparen Kosten, indem Kühe über Sender
individuell erkannt werden können und individualisierte Futtermischungen bekommen. Diese Investitionen rechnen sich aber nur bei einem größeren Viehbestand. Wenn ein effizienter Milchhof heute aber
doppelt so groß sein muss wie in der Vergangenheit, sich die Nachfrage aber nicht ändert, wird ein
Prozess in Gang gesetzt, an dessen Ende die Hälfte der Höfe nicht mehr am Markt ist.
Wenn nun kein Milchbauer freiwillig aufgibt, investieren alle Betriebe in eine neue Technologie, die
die Kapazitäten stark erhöht und große Überkapazitäten schafft. Die Bauern können versuchen, diese
Überkapazitäten (in Form von Käse) zu exportieren. Im Kapitel volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
haben wir über das Problem von Leistungsbilanzüberschüssen bereits gesprochen. Deutschland ist der
weltweit größte Käseexporteur. Das hat den Zusammenbruch des Milchmarkts bisher verhindert. Sobald im Ausland aber ebenfalls Kapazitäten aufgebaut werden, oder Auslandsmärkte wie Russland aufgrund von Sanktionen wegen der Annexion der Krim wegbrechen, gibt es keinen Abnehmer für die
Kapazitäten der Milchbauern und die Bauern können nur noch versuchen, sich gegenseitig über Preiskonkurrenz vom Markt zu drängen.
Vor diesem Hintergrund ist die finanzielle Schieflage vieler Milchhöfe nicht überraschend, da die Investitionen häufig kreditfinanziert sind und die Kredite bei sinkenden Milchpreisen, d.h. sinkendem
Umsatz bei gleichen Kosten, nicht bedient werden können. Unter diesem Aspekt sind finanzielle Hilfen
des Staats an Milchbauern kontraproduktiv, weil sie einen Prozess der Kapazitätsbereinigung nur aufschieben, aber nicht verhindern können. Eine Rückkehr zu Milchquoten, die es schon einmal gab, würde bedeuten, dass die Bauern ihre Kapazitäten nicht optimal ausnutzen können. Das würde bedeuten,
dass die Milch weniger effizient produziert würde als das möglich wäre. Das würde bedeuten, dass die
Milch teurer wäre als sie sein könnte und dass die Kunden mehr für Milch zahlen müssen als nötig wäre. Man kann der Auffassung sein, dass man das tun sollte. Das bedeutet aber, dass man die Fortexistenz aller Milchbauern höher bewertet als die Preise der Konsumenten.
Technischer Fortschritt und Rationalisierung
Der Gerät , das wir im Kapitel Arbeitsmarkt kennengelernt haben, ist ein Beispiel dafür, dass technischer Fortschritt dazu führt, dass Arbeitsplätze mit geringer Qualifikation durch Maschinen „wegrationalisiert“ werden, weil die Maschinen die Arbeit billiger erledigen können als Menschen. Wenn der
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
68
Mensch seinen Arbeitsplatz behalten wollen würde, müsste er die Kosten der Maschine unterbieten und
mit jeder technischen Verbesserung der Maschinen seine Lohnforderung senken. Das würde sehr
schnell in die Armut führen.
Die Alternative besteht darin, vom niedrigqualifizierten Arbeitsmarkt auf den höher qualifizierten Arbeitsmarkt zu wechseln, der höhere Einkommen bietet und bei dem ein Mindestlohn keine negativen
Effekte hat, weil er irrelevant ist. Dazu ist aber die Bildung von Humankapital notwendig.
Eine derzeit geführte Diskussion ist, wie technischer Fortschritt und Rationalisierung in Zukunft aussehen werden. In der Vergangenheit wurden monotone, körperlich schwere, einfache Arbeiten automatisiert. Solche Arbeitsplätze existieren kaum noch. Ein Szenario ist, dass die Intelligenz von Computersystemen sich in den kommenden Jahrzehnten erhöhen wird und Arbeiten mit hohem Routineanteil
übernehmen werden, die bisher von Sachbearbeitern erledigt werden. Das bedeutet, dass man einen
großen Rationalisierungsschub bei Büroarbeitsplätzen erwartet. Je nach Schätzung könnten 30-50 %
der Arbeitsplätze in Deutschland betroffen sein. Für die Arbeitnehmer bedeutet dass, das sie sich auf
Arbeiten mit geringem Routineanteil spezialisieren müssen, die schwer automatisierbar sind.
Für Sie als kommende Berufsanfänger bedeutet dass, dass Sie für Ihr Arbeitsleben nicht nur damit
rechnen müssen, dass Sie Ihr Humankapital regelmäßig auf den neuesten Stand bringen müssen, sondern auch, dass Bürojobs, bei denen man ohne viel Nachdenken gut verdienen kann, aussterben könnten.
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
69
3.7 Ökonomie und Ethik
Rückblick
Der Ausgangspunkt der Veranstaltung war die Feststellung, dass Ressourcen knapp sind. Das galt in
der Steinzeit genauso wie in der Postwachstumsökonomie. Ökonomie befasst sich mit der Frage, wie
man mit gegebenen Mitteln die eigenen Ziele bestmöglich erreicht bzw. wie man ein gegebenes Ziel
mit möglichst wenig Aufwand erreicht. Diese beiden Varianten hatten wir als ökonomisches Prinzip
kennengelernt.
Wir hatten dann gesehen, dass Arbeitsteilung ein Mittel ist, mit dem sich das ökonomische Prinzip noch
besser umsetzen lässt. Arbeitsteilung bedeutet aber, dass Güter getauscht werden müssen. Wir haben
den Markt als Instrument des Gütertauschs kennengelernt. Gleichzeitig werden die Produktionsprozesse komplexer und müssen organisiert und koordiniert werden. Das findet in Unternehmen statt und wir
haben einige Probleme angerissen, die Unternehmen dabei lösen müssen.
Einige Probleme, die durch arbeitsteiliges Wirtschaften entstehen, lassen sich auf der Ebene des Unternehmens aber nicht mehr lösen. Wir haben uns daher mit der Frage befasst, welche Rolle der Staat
spielen könnte und wie er seine Aufgaben finanzieren könnte. Die beiden wichtigsten Aufgabenfelder
waren die Bereitstellung öffentlicher Güter und die Umverteilung von Einkommen. Mit diesen beiden
Themenfeldern sind wir bereits mitten in einer ethischen Diskussion. Wir haben uns im Kontext der
meritorischen Güter mit der Frage befasst, woher der Staat besser als die Bürger wissen will, welche
Güter meritorisch oder demeritorisch sind. In der Diskussion über Armut und garantiertes Grundeinkommen haben wir die Konzepte kennengelernt, aber die Frage, ob 1.000€ Grundeinkommen gerecht
sind, oder wie man auf eine „gerechte“ Summe kommt, haben wir nicht gestellt.
Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung haben wir als ein Instrument kennengelernt, das die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft in wenigen Kennzahlen zusammenfassen soll. In der Kritik an diesem Instrument ist schon deutlich geworden, dass Geld allein nicht glücklich macht und eine Ausrichtung der Gesellschaft an rein materiellen Größen wohl am Ziel vorbeigeht.
Wirtschaftsethik und politische Philosophie
Wirtschaftsethik befasst sich mit der Frage, welche ethischen Spielregeln in einer Ökonomie gelten sollen, wer diese Spielregeln festlegt, mit welchen Mitteln man die Einhaltung der Regeln durchsetzt und
wie Regelverstöße bestraft werden. Das ist eine philosophische Frage. Der Bereich der Philosophie, der
sich mit diesen Fragen befasst, wird politische Philosophie genannt. Die Grundideen einiger Ansätze
seien hier kurz angerissen.
Der Libertarismus geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch frei über sich selbst verfügen darf.
Wenn das so ist, sind Steuern und staatliche Regelungen nicht zulässig. Wenn eine Person die Regeln
sinnvoll findet und freiwillig bereit ist, Steuern zu zahlen, soll er das tun. Ein Zwang ist aber illegitim.
Wenn es einen Staat gibt, soll dieser Staat sich auf die absolut notwendigen Dinge beschränken, wie
den Schutz des Eigentums. Dieses Konzept wird auch Minimalstaat genannt.
Der Kommunitarismus geht von der Tatsache aus, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und Wertvorstellungen sich nur in Wertegemeinschaften entwickeln können, in denen moralisches Handeln
durch Einübung entsteht. Die modernen pluralistischen Gesellschaften haben keinen Wertekonsens
mehr und laufen daher Gefahr, dass die Idee, sein Handeln nach Werten auszurichten, verloren geht
und die Bürger eines Staates ihren Bürgersinn verlieren. Abhilfe sehen sie in der Schaffung kleinerer
Teilgesellschaften, in denen es jeweils einen Wertekonsens gibt.
Die Vertragstheorie geht davon aus, dass existierende gesellschaftliche Regelungen dann legitim sind,
wenn sich die Menschen auch freiwillig auf solche Regeln geeinigt hätten. Dazu wird das Gedankenex-
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
70
periment des Gesellschaftsvertrags benutzt. In einem fiktiven Urzustand, in dem nur das Recht des
Stärkeren gilt und in dem es keinerlei Schutz und Rechtssicherheit gibt, ist es plausibel, dass die Menschen sich freiwillig darauf einigen würden, einen Staat zu bilden, der darauf achtet, dass die Menschen
sich nicht gegenseitig totschlagen.
Diese Ansätze gehen von jeweils anderen (plausiblen) Ausgangspunkten aus, argumentieren in sich
selbst konsequent und kommen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Das bedeutet, dass es „die“
Wirtschaftsethik nicht gibt, sondern alternative Konzeptionen, die man für sich selbst bevorzugen oder
ablehnen kann.
Unternehmensethik
Unternehmen müssen sich an die geltenden Gesetze halten. Damit ist ein Minimum an ethischem Verhalten abgedeckt. Unternehmensethik befasst sich mit der Frage, ob Unternehmen über diese gesetzlichen Regelungen hinaus moralische Verpflichtungen haben oder nicht. Auch hier gibt es mehrere
Standpunkte.
Ein Standpunkt ist, dass nur Menschen moralisch oder unmoralisch handeln können. Unternehmen sind
aber keine Menschen. So wenig, wie man von einem Baum erwartet, dass er sich moralisch verhält,
kann man das von Unternehmen erwarten. Unternehmensethik ist nach dieser Sichtweise ein Kategorienfehler, so wie die Frage Wie schmeckt die Farbe Blau ein Kategorienfehler ist.
Ein verwandter Standpunkt ist, dass die einzige Verpflichtung des Unternehmens ist, die Ziele zu verfolgen, die die Eigentümer mit dem Eigentum am Unternehmen verfolgen. Wenn die Eigentümer möglichst viel Gewinn haben wollen, würden die Mitarbeiter gegen die Interessen der Eigentümer des Unternehmens verstoßen, wenn sie eigene moralische Vorstellungen, die zu Lasten des Gewinns gehen,
verfolgen. Wenn die Beteiligten moralische Ziele verfolgen, können sie das als Privatpersonen tun,
aber nicht in ihrer Funktion als Mitarbeiter.
Zurzeit werden unter Begriffen wie good citizenship oder corporate social responsibility Ansätze vertreten, dass Unternehmen sehr wohl ethische Verpflichtungen haben, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen. Das Hauptproblem dieser Ansätze liegt darin, dass diese Verpflichtung nicht letztlich begründet werden kann, bzw. die Begründung auf weil es so ist hinausläuft. Viele Unternehmen
haben sich selbst unternehmerische Leitlinien gesetzt, verfolgen diese Leitlinien aber halbherzig oder
gar nicht. Das ist insofern wenig überraschend, da es einen Interessenkonflikt zwischen den Eigentümern (Gewinn) und der Öffentlichkeit (soziale Verantwortung) gibt.
Konsumentenethik
Ein Versuch, Konflikte zwischen Eigentümern und der Öffentlichkeit in Fragen der Unternehmensethik
zu entschärfen ist die Behauptung, dass Unternehmensethik sich rechnet. Das ist dann der Fall, wenn
ethisches Verhalten der Unternehmen zwar zu höheren Kosten führt, diesen Mehrkosten aber eine höhere Zahlungsbereitschaft der Kunden gegenübersteht. Wenn fairer Öko-Kaffee 1€/kg mehr kostet,
aber für 2€ mehr verkauft werden kann, rechnet sich Öko-Kaffee. Dann handelt es sich aber nicht um
einen Fall von Unternehmensethik, sondern um normale Produktpolitik der Unternehmen. Wenn Kunden eine Zahlungsbereitschaft für bestimmte zusätzliche Produkteigenschaften haben, die die Zusatzkosten dieser Produkteigenschaften übersteigt, macht es rein betriebswirtschaftlich Sinn, diese Produkteigenschaften anzubieten. Dazu bedarf es keiner Unternehmensethik, sondern ethischer Präferenzen der Kunden.
Partikularismus und Universalismus
Moralisches Verhalten bedeutet, dass man sich gegenüber einem anderen gerecht verhält. Aus philosophischer Sicht ist aber unklar, welche Merkmale „der andere“ haben muss. Muss er ein Mensch sein
oder kann er auch ein Tier oder Pflanze sein? Wenn moralisches Verhalten sich auf Menschen bezieht,
Einführung in die Ökonomie WS 16/17
71
müssen diese Menschen im gleichen Land wohnen oder gelten die gleichen Rechte und Pflichten für alle Menschen? Universalismus bezeichnet den Standpunkt, dass es keine Ländergrenzen für Ethik gibt.
Partikularismus bedeutet, dass moralische Verpflichtungen primär innerhalb von Gesellschaften und
nicht zwischen Gesellschaften bestehen. Hinter dieser Frage steht die Frage, ob Werte universal sind,
wie z.B. die Menschenrechte.
Die Antworten, die Gesellschaften auf diese Fragen finden, sind teilweise widersprüchlich. Menschenrechte werden von der Mehrheit als universal angesehen, Wirtschaftsflüchtlinge, die Sozialleistungen in
Deutschland beziehen wollen, sollen wieder nach Hause gehen, weil sie keine Deutschen sind.
Sozialunternehmen
Sozialunternehmen, die wir im Kapitel Gewinnmaximierung bereits kennengelernt haben, sind dadurch
gekennzeichnet, dass sie sich auf Märkte spezialisieren, in denen es um soziale Güter geht und die
durch rein gewinnorientierte Unternehmen nicht bedient werden, weil keine hinreichende Zahlungsbereitschaft der Kunden vorhanden ist. Anders als Non-Profit-Organisationen können Sozialunternehmen
auch Gewinne machen. Die Gewinne sind aber niedriger als bei einer profitorientierten Konkurrenz, da
es sonst keine Notwendigkeit für Sozialunternehmen gäbe. Wenn Sozialunternehmen den Kunden niedrigere Preise bieten als ein profitorientiertes Unternehmen, so geht dies zu Lasten der Gewinne
und/oder der Einkommen der Beschäftigten. Die Beteiligten leisten dann eine Art Spende an ihre Kunden.
Markt und Moral
Eine Kritik die an marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften geübt wird, ist, dass der Markt die
Moral untergräbt. Anstelle von engen sozialen Beziehungen tritt ein anonymer Markt, auf dem moralische Aspekte keine Rolle spielen und so die Frage nach moralischem Verhalten in den Hintergrund
stellen.
Dieses Argument klingt plausibel, aber das genau gegenteilige Argument ist ebenso plausibel. Dadurch,
dass moralische Aspekte auf Märkten keine Rolle spielen, gibt es eine größere Freiheit, Werte zu leben,
die nicht denen der anderen Marktteilnehmer entsprechen. Sobald diese Werte auch Zahlungsbereitschaft beinhalten, gibt es Anreize für Anbieter, entsprechende Produkte anzubieten, wenn die Gruppe
der Personen mit entsprechenden moralischen Vorstellungen groß genug ist. Sobald Werte und Normen
bei Tauschbeziehungen eine Rolle spielen, müssen Minderheiten damit rechnen, diskriminiert zu werden.
Herunterladen