Expose über System und Geschichte bei Hegel von Kai Schmidt-Soltau Buckstr.3a 4400 Münster für das Seminar "Geschichtsphilosophie nach Hegel" Seminarleiter: Dr. Herold Philosophisches Seminar WWU Münster WS 91/92 Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 3.1. 3.2. 4. 5. 6. Bemerkungen zur Methode und zum Gegenstand Einbindung der Weltgeschichte in das Gesamtsystem Hegels Die Weltgeschichte Die Weltgeschichte in den P.341-360 der Rechtsphilosophie Die Weltgeschichte in der Enzyklopädie Vergleich der beiden Texte Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis 1. Bemerkungen zur Methode und zum Gegenstand Bei der Betrachtung der Begriffsfelder System und Geschichte bei Hegel sind wir in der glücklichen Lage, auf Texte aus der Feder Hegels zurückgreifen zu können und nicht, wie bei einem Großteil anderer Probleme, auf Nachschriften zu Vorlesungen. Hier sei nur auf den Unterschied zwischen der Meiner und der Suhrkamp Ausgabe der Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte verwiesen. 2. Einbindung der Weltgeschichte in das Gesamtsystem Hegels Die Begriffe, die ich hier bearbeiten möchte, sind zentrale Punkte im "PhilosophieSystem" Hegels. Er hat sich mit diesen fast in jedem seiner Manuskripte auseinandergesetzt und sie konkretisiert. So wird eine aufsteigende Tiefe in der Betrachtung deutlich, wenn man seine Darlegungen von 1808, 1817 und 1830 betrachtet. Diese lassen sich gut miteinander vergleichen, da alle im Rahmen der Enzyklopädie stehen; vor allem zwischen der Version von 1817 und 1830 sieht man Hegel regelrecht arbeiten. Hier korrigiert er unsaubere Begriffe, vertieft die Begründungen, bringt neue Beispiele hinein und kritisiert falsche Auslegungen dieser Stellen durch andere Autoren. Die Darstellung in der Rechtsphilosophie unterscheidet sich zwar von der in der Enzyklopädie, paßt sich aber in das Gesamtkonzept ein. Die Rechtsphilosophie ist schließlich nichts anderes als eine ausführlichere Betrachtung des Kapitels über den objektiven Geist in der Enzyklopädie. Auffällig ist hier, daß Hegel fast über seine volle Schöpfungsspanne eine fast gleiche Aufteilung seiner Weltsicht beibehält. So ist die Abteilung, in der sich die Weltgeschichte befindet, immer die des objektiven Geistes (1817+1830), also des Geistes in seiner Realisierung (1808) und somit der Gegenstand der Rechtsphilosophie (1821). Hier gibt es stets die Unterabteilungen: Recht ("Das Recht ist zuerst das unmittelbare Dasein, welches sich die Freiheit auf unmittelbare Weise gibt" 1820 P.40) Moralität ("Der moralische Standpunkt ist der Standpunkt des Willens, insofern er nicht bloß an sich, sondern für sich unendlich ist." 1820 P.105) und Sittlichkeit ("Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit" 1820 P.142), wobei die Weltgeschichte natürlich unter der Sittlichkeit angeordnet ist. Man sieht den hierarchischen Aufbau vom Einzelnen zum Absoluten, also vom "einfachen" Dasein, über den Willen, zur Idee der Freiheit, wobei man hier den Begriff der Idee bei Hegel (" Die Idee ist eben das, was wir Wahrheit nennen" siehe ausführlich Geschichte der Philosophie Einleitungen S.98-100) von dem umgangsprachlichen scharf trennen muß. Die Sittlichkeit zerfällt wiederum in die drei Teile: Familie ("Der sittliche Geist als in seiner Unmittelbarkeit enthält das natürliche Moment, daß das Individuum in seiner natürlichen Allgemeinheit, der Gattung, sein substantielles Dasein hat" 1831 P.518) bürgerliche Gesellschaft ("Die konkrete Person, ... ist das eine Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft - aber die besondere Person als wesentlich in Beziehung auf andere (...), so daß jede durch die andere und zugleich schlechthin nur als durch die Form der Allgemeinheit (...), vermittelt sich geltend macht und befriedigt." 1820 P.182) und Staat ("Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee" 1820 P.257), wobei auch hier klar ist, daß die Weltgeschichte zu letzterem gehört. Der hierarchische Aufbau von der kleinen Familie über die Form der bürgerlichen Gesellschaft zum Staat als die Verwirklichung der Sittlichkeit ist sehr deutlich: vom Einzelnen zum Absoluten. Gleichsam argumentiert Hegel noch historisch für diesen Aufbau. 1808 hat Hegel diesen ganzen Bereich der Sittlichkeit noch unter Staat (Realer Geist) eingeordnet. Erst 1817 erscheint der Abschnitt die Sittlichkeit mit drei Unterabschnitten, wobei der Abschnitt "Das einzelne Volk" die späteren Abschnitte "Familie", "bürgerliche Gesellschaft" und den Teil "inneres Staatsrecht" des Abschnittes "Staat" enthält. Hegels Ansatz ist hier wohl die Zusammenfassung der untergeordneten Verbindungen innerhalb eines Staates. Er verzichtete auf die Aufteilung, da sich seine Trennschärfe wohl erst mit der Zeit herausbildete. Da er die Gesellschaft als Ganzes aufgreift, muß er zwangsläufig das innere Staatsrecht auch hier einfließen lassen. Somit ist der Aufbau bis auf diese noch nicht vollzogene Trennung der inneren Strukturen der Gesellschaft von 1817 an konstant. 1808 hat Hegel hier noch gar keine Trennung vorgenommen und hat den ganzen Abschnitt Sittlichkeit unter dem Begriff Staat zusammen gelassen. Der Abschnitt Staat zerfällt in die Unterabschnitte: inneres Staatsrecht ( "Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit; die konkrete Freiheit aber besteht darin, daß die persönliche Einzelnheit und deren besondere Interessen sowohl ihre vollständige Entwickelung und die Anerkennung ihres Recht für sich (...) haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils übergehen, teils mit Wissen und Willen dasselbe (...) anerkennen und für das selbe als ihren Endzweck tätig sind;" 1820 P.260), äußeres Staatsrecht ("Das äußere Staatsrecht geht von dem Verhältnisse selbstständiger Staaten aus; was an und für sich in dem selben ist, erhält daher die Form des Sollens, weil daß es wirklich ist, auf unterschiedenen suveränen Willen beruht." 1820 P.330) und schließlich die Weltgeschichte ("Das Element des Daseins des allgemeinen Geistes, (...) ist in der Weltgeschichte die geistige Wirklichkeit in ihrem ganzen Umfange von Innerlichkeit und Äußerlichkeit." 1820 P.341). Wir haben also das Ziel unserer Betrachtung erreicht. Auch hier hatten wir wieder den hierarchischen Aufstieg vom Recht innerhalb eines Staates über das Recht der Staaten unter sich bis zum Recht der Vernunft in der Betrachtung der Staatengemeinschaften in ihrem historischen Verlauf. Wir haben gesehen, daß die Weltgeschichte der Kulminationspunkt des objektiven Geistes ist. Es ist beachtlich, mit welcher Zielstrebigkeit Hegel von der niedrigsten Stufe -dem Recht des Individums- zum Absoluten -der Durchsetzung der Vernunft durch und in der Geschichte- gelangt. Dieses Darstellung hat natürlich ihre Grenzen dort, wo man die Trennlinien ausmachen möchte. Die Weltsicht von Hegel ist die eines Systems und somit sind alle Trennungen willkürlich, wenn auch in sich logisch. Aber wie will man zwischen dem Recht der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft trennen? Es gibt das eine nicht ohne das andere und ohne beide gibt es keinen Staat. "Die Wissenschaft (des Absoluten; also die Philosophie) ist wesentlich System, weil das Wahre (...) als Totalität ist, und nur durch Unterscheidung und Bestimmung seiner Unterschiede die Notwendigkeit derselben und die Freiheit des Ganzen sein kann. Eine Philosophie ohne System kann nichts Wissenschaftliches sein;" (1830 P.14). Die Weltgeschichte ist wie "jeder der Teile der Philosophie (...) ein philosophisches Ganzes, ein in sich selbst schließender Kreis;" aber "der einzelne Kreis durchbricht darum, weil er in sich Totalität ist, auch die Schranken seines Elements und begründet eine weitere Sphäre; das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von Kreisen das, deren jeder ein notwendiges Moment ist, so daß das System ihrer eigentümlichen Elemente die ganze Idee ausmacht, die ebenso in jedem einzelnen erscheint." (1830 P.15) Hegel zeigt hier, daß keine Darstellung eines Teilsystems möglich ist, ohne die Totalität mit hinein zu nehmen, denn in jedem Teil seines Systems steckt wieder die Totalität, da diese Totalität untrennbar ist. Sie ist nicht eine Summe von Einzelsystemen, sondern ein homogenes Ganzes, in dem es zwar Untersysteme gibt, diese aber keine selbstständige Existenz haben. Hegel teilt aber selbst Elemente aus seiner Enzyklopädie ab, um sie näher zu betrachten (z.B. Logik; Phänomenologie des Geistes und Rechtsphilosophie). An sich verletzt er hier sein Prinzip. Ein Argument zur Rettung von Hegel wäre, daß er aus der Kenntnis der Totalität auch einzelne Elemente betrachten darf. Wir wollen uns hier anschließen und dergleichen mit der Weltgeschichte tun. 3. Die Weltgeschichte Für die Interpretation der Weltgeschichte im System Hegels gibt es, wie oben gezeigt, zwei zentrale Texte. A) Das Kapitel "Weltgeschichte" in der Enzyklopädie, bzw. die Vorarbeiten dazu; und B) Den Abschnitt "Weltgeschichte" in der Rechtsphilosophie. Da der logische Aufbau der beiden Texte unterschiedlich ist, wollen wir erst die zentralen Aussagen der jeweiligen Texte herausarbeiten und analysieren, um sie anschließend in Beziehung zu setzen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und so das Gesamtkonzept von Hegel für diesen Bereich darzustellen. 3.1. Die Weltgeschichte in den P.341-360 der Rechtsphilosophie P.341 "Das Element des Daseins des Allgemeinen Geistes, (...) ist in der Weltgeschichte die geistige Wirklichkeit in ihrem ganzen Umfange von Innerlichkeit und Äußerlichkeit." Wenn man also die Weltgeschichte analysieren will, darf man nicht auf Teile schauen, sondern auf die Totalität. P.342 "Die Weltgeschichte ist (...) die Auslegung und Verwirklichung des allgemeinen Geistes." Man kann durch die Weltgeschichte zum allgemeinen Geist vorstoßen, wobei der Geist der "Beweger" ist und die Weltgeschichte das Resultat. P.343 "Die Geschichte des Geistes ist seine Tat, denn er ist nur, was er tut, und seine Tat ist, sich, und zwar hier, als Geist sich zum Gegenstande seines Bewußtseins zu machen, sich für sich selbst auslegend zu erfassen. Dies Erfassen ist sein Sein und Prinzip, und die Vollendung eines Erfassens ist zugleich seine Entäußerung und sein Übergang. Der formell ausgedrückt, von neuem dies Erfassen erfassende, und was dasselbe ist, aus der Entäußerung in sich gehende Geist, ist der Geist der höheren Stufe gegen sich, wie er in jenem ersten Erfassen stand." Hier liegt nun das dialektische Prinzip offen. Der Geist wird sich über sich selbst bewußt und erlangt dadurch eine neue, höhere Qualität. Der Beweger ist in dem zu Bewegenden, also anders als Aristoteles (Buch Lambda). Der Beweger des Geistes ist der Geist selbst. Der Geist ist Bewegung seiner selbst. P.344 "Die Staaten, Völker und Individuen (...sind) bewußtlose Werkzeuge und Glieder jenes inneren Geschäfts (des Bewußtwerdens über sich) worin diese Gestalten vergehen, der Geist an und für sich aber sich den Übergang in seine nächst höhere Stufe vorbereitet und erarbeitet." Die Staaten etc. durchlaufen die gleiche Bewegung wie der Geist. Sie werden sich bewußt über sich. Ihre Bewegung endet dann aber. Sie kommen zu Sich und vergehen. Sie sind nur Elemente der großen Bewegung. Kleine Kreise im Kreise der Bewegung des Geistes. P.345 "In (der Weltgeschichte) erhält dasjenige (...) Moment der Idee des Weltgeistes, welches gegenwärtig seine Stufe ist, sein absolutes Recht". Also kann die Bewegung der Völker nur auf derjenigen Stufe des Geistes bleiben, wo der Geist ist. Keinesfalls kann also ein Unterkreis eine eigene Dynamik erhalten. P.346 "Weil die Geschichte die Gestaltung des Geistes in Form des Geschehens, der unmittelbaren natürlichen Wirklichkeit ist, so sind sie Stufen der Entwickelung als unmittelbare natürliche Prinzipien vorhanden"; Der Geist formt die Geschichte, wobei er nicht absolut ist, sondern sich genauso von Stufe zu Stufe bewegt wie die Geschichte, die ja nicht mehr als sein Abbild ist. P.347 "Dem Volke dem solches Moment als natürliches Prinzip (Träger des Geistes auf dem Weg zu einer neuen Stufe des Geistes) zukommt, ist die Vollstreckung desselben in dem Fortgange des sich entwickelnden Selbstbewußtseins des Weltgeistes übertragen. Dieses Volk ist in der Weltgeschichte, für diese Epoche, (...) das herrschende." Und somit ist es klar, daß" gegen dies sein absolutes Recht, Träger der gegenwärtigen Entwicklungsstufe des Weltgeistes zu sein, (...) die Geister der anderen Völker rechtlos sind". Hier offenbart Hegel nun seine ganze Sicht der Weltgeschichte: Der Geist ist der sich selbst bewegende Beweger (s.o.) und er setzt Völker ein, um seine Bewegung zu erreichen. Diese Völker, oder besser diese Volksgeister kommen durch einen Zufall (ihre "geographische und anthropologische Existenz" P.346) in den Genuß, eine neue Stufe des Geistes als Ziel zu erhalten. Dabei wird nicht ganz klar, ob hier der Volksgeist bewußt das Ziel in Angriff nimmt oder ob das Ziel nur für den Weltgeist erkennbar ist, ob also diese Entwicklung auch für das Volk erkennbar ist und es somit erkennt, wenn es sein Ziel erreicht hat und der Weltgeist auf ein neues Volk übergeht. Daß gegen dieses Prinzip der Bewegung des Geistes und damit der Welt auf dem Wege zu sich selbst und damit zur Vernunft kein Widerspruch möglich ist, ist nur logisch. P.348 "An der Spitze aller Handlungen, somit auch der welthistorischen, stehen Individuen als die das Substantielle verwirklichenden Subjektivitäten. Als diesen Lebendigkeiten der substantiellen Tat des Weltgeistes und somit identisch mit derselben, ist sie ihnen selbst verborgen und nicht Objekt und Zweck". Hier zeigt sich Hegels Idealismus. Der Geist ist alles, der Mensch und die Materie nichts. Nicht der Mensch formt die Welt auf dem Weg zur Vernunft, sondern er ist nur Werkzeug des Geistes. Der Mensch tut es, aber er weiß es nicht. P.352 "Die konkreten Ideen, die Völkergeister, haben ihre Wahrheit und Bestimmung in der konkreten Idee (...) dem Weltgeist, um dessen Thron sie als die Vollbringer seiner Verwirklichung, und als Zeugen und Zieraten seiner Herrlichkeit stehen. Indem er als Geist nur die Bewegung seiner Tätigkeit ist, sich absolut zu wissen (...), so sind die Prinzipien der Gestaltungen dieses Selbstbewußtseins in dem Gange seiner Befreiung - der welthistorischen Reiche, vier." Hier geht Hegel wieder auf die Bewegung des Geistes ein. Die Völkergeister sind ihm absolut untergeordnet. Die nun folgenden Paragraphen korrespondieren miteinander. So gibt Hegel in P.353 eine Beschreibung der Gestaltungen des Selbstbewußtsein des Geistes. Im P.354 führt er aus, daß zu diesen vier Gestaltungen auch seine vier welthistorischen Reiche gehören. Und so gehören zu jedem Absatz von P.353 spätere Paragraphen über das jeweilige Weltreich, wo sich die Gestaltung verwirklicht hat. Also gab es erst das Prinzip der Gestaltung des Geistes und dann konnte ein Volksgeist dieses Prinzip verwirklichen, oder besser gesagt, er konnte sich dessen bewußt werden. P.353 "In der ersten (Gestaltung des Selbstbewußtsein des Geistes) als unmittelbare Offenbarung hat (der Geist) zum Prinzip die Gestalt des substantiellen Geistes als der Identität, in welcher die Einzelheit in ihr Wesen versenkt und für sich unberechtigt bleibt." Die Verwirklichung dieses Prinzip erfolgte im "orientalischen Reich" (P.355), wo "in der Pracht dieses Ganzen (...) die individuelle Persönlichkeit rechtlos untergeht". Es herrscht eine "ungetrennte substantielle Weltanschauung". Am Anfang der Weltgeschichte also steht für Hegel die Form der Einheit von Denken und Handeln, also das unreflektierte Sein. Interessant ist hier, daß der Mensch erst in die Geschichte tritt als er beginnt, Staaten zu bilden. P.353 "Das zweite Prinzip ist das Wissen dieses substantiellen Geistes, (...) die schöne sittliche Individualität." Das dazugehörige Weltreich ist das "griechische Reich" (P.356). Hier hat sich der Geist insoweit weiterentwickelt, als "das Prinzip (der) persönlichen Freiheit (...) in seiner idealen Einheit " gilt. Es herrscht "Schönheit" und "freie heitere Sittlichkeit". Es ist sozusagen das Gegenteil, die Negation des orientalischen Reiches. Dort war der Staat, bzw. der Herrscher alles, der Mensch nichts; hier ist der Mensch alles, nur der Staat hat wenig zu sagen, bzw. der Staat war sehr zersplittert. Hegel meint hier wohl die direkte Demokratie wie sie von den Bürgern Athens ausgeübt wurde. Also war der Staat nicht mehr als die Summe der Einzelinteressen der Bürger. P.353 "Das dritte (Prinzip) ist das in sich Vertiefen des wissenden Fürsichseins zur abstrakten Allgemeinheit" und fand seine Verwirklichung im "römischen Reich" (P.357), denn dort "vollbringt sich die Unterscheidung zur unendlichen Zerreißung des sittlichen Lebens in die Extreme persönlichen privaten Selbstbewußtseins und abstrakter Allgemeinheit." In Rom entwickelte sich eine eigenständige Staatsverwaltung, die nicht mehr nur dem Gutdünken des Senats unterworfen war und somit kam es in Rom zu einer Verbindung der orientalischen und griechischen Gesellschaftsform. Es gab nun nicht mehr nur Staat oder nur Individuum, sondern sowohl als auch. Das Problem hier war nur, daß beide gegeneinander arbeiteten. Dieser hohe Stand des Staats löste sich aber nach und nach auf und es kam zur Anarchie des Mittelalters, "wo alle Einzelne zu Privatpersonen und zu Gleichen mit formellem Rechte herabsinken, welche (...) nur eine abstrakte, ins Ungeheuere sich treibende Willkür zusammenhält" (P.357). Es ist die "absolute Negativität, dem an für sich seienden Wendepunkt" (P.358) des Geistes. P.353D) "Das Prinzip der vierten Gestaltung ist das Umschlagen dieses Gegensatzes des Geistes (...) und weil dieser zur ersten Substantialität zurückgekommene Geist der aus dem unendlichen Gegensatze zurückgekehrte ist, diese seine Wahrheit als Gedanke und als Welt gesetzlicher Wirklichkeit zu erzeugen und zu wissen." Dieses Prinzip sieht Hegel im "germanischen Reich" (P.538) verwirklicht und als Ziel der germanischen Epoche. Dort erreicht der Geist "die unendliche Positivität (...), das Prinzip Einheit der göttlichen und menschlichen Natur, die Versöhnung als der innerhalb des Selbstbewußtseins und der Subjektivität erscheinenden objektiven Wahrheit und Freiheit, welche dem nordischen Prinzip der germanischen Völker zu vollführen übertragen wird". Hegel sieht als Endpunkt der Geschichte den idealen Staat, in dem die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. Ein Staat, in dem das Individuum aufgeht, wo es einsieht, daß es dem Staat zu folgen hat und der Staat die Vernunft vertritt. Warum Hegel die Durchführung diese große Aufgabe gerade dem Volksgeist der Deutschen übertragen sieht, bleibt für mich ein Rätsel. Natürlich ist es möglich, daß er dies aus Angst vor Repressionen getan hat. Aus seinen Briefen geht hervor, daß er das Verbot seiner Rechtsphilosophie befürchtete und so eine Art Vor-Zensur vornahm. Vielleicht meinte er auch, daß der Germanische Volksgeist besonders zur Errichtung des absoluten Staates geeignet sei, da dort ein "intellektuelles Reich" existiert. Also die deutsche Philosophie seiner Zeit. Da der germanische Volksgeist Träger des Weltgeistes ist, haben auch andere Volksgeister nichts zu sagen und somit ist es kein Wunder, daß diese Elemente von Hegel im Nationalsozialismus gerne verwendet wurden. Das germanische Volk als das vom Weltgeist beauftragte Subjekt zur Durchsetzung der Vernunft und der Freiheit. Es gibt eine Hegel "Frontbuchhandelsausgabe" von Meiner 1944. Hier liegt die Gefahr in der Geschichtsphilosophie von Hegel. Wenn man seine philosophischen Kategorien in die Sprache der Politik überträgt, bekommen sie erschreckende Dimensionen. Wenn wirklich alles, "was wirklich ist, vernünftig ist" (Einleitung), dann stellt man jeder Form der Gesellschaft den Blankoscheck aus. Wenn die Rechtsphilosophie nur als ein "Versuch den Staat als ein in sich Vernünftiges zu begreifen und darzustellen" (Einleitung) verstanden wird, hat man Hegel nicht begriffen. P.360 "Indem (...) das Geistliche die Existenz seines Himmels zum irdischen Diesseits und zur gemeinen Weltlichkeit (...) degradiert, das Weltliche dagegen sein abstraktes Fürsichsein zum Gedanken und dem Prinzipe vernünftigen Seins und Wissens, zur Vernünftigkeit des Rechts und Gesetzes hinaufbildet, ist an sich der Gegensatz zur marklosen Gestalt geschwunden; die Gegenwart hat ihre Barbarei und unrechtliche Willkür, und die Wahrheit hat ihr Jenseits und ihre zufällige Gewalt abgestreift, so daß die wahrhafte Versöhnung objektiv geworden, welche den Staat zum Bilde und zur Wirklichkeit der Vernunft entfaltet;" Also jener ideale Zustand, und damit das Ende der Geschichte, auf den der Geist zustrebt. Der Geist kommt zu sich selbst. Er wird sich seiner bewußt und die Widersprüche zwischen seinem Sein und seinem Bewußtsein lösen sich auf. 3.2. Die Weltgeschichte in der Enzyklopädie Ich werde hier mich hauptsächlich auf die Heidelberger Enzyklopädie von 1817 beziehen und nur bei Unklarheiten auf den sehr viel ausführlicheren Text von 1830 zurückgreifen. P.448 "Als beschränkter Geist(...) geht (der Volksgeist) in die allgemeine Weltgeschichte über, deren Begebenheiten die Dialektik der besonderen Völkergeister, das Weltgericht, darstellt." Hier spielt Hegel wohl auf Schiller an: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Somit bekommt die Weltgeschichte die Aufgabe, über die Geschichte der Volksgeister zu entscheiden und kommt dann zu dem Schluß, welcher Volksgeist nun der herrschende ist und welcher zur Unterordnung verdammt ist. P.449 Diese Bewegung ist die Befreiung der sittlichen Substanz von ihren Besonderheiten, (...) - die Tat wodurch sich der Geist zum allgemeinen (entwickelt), zum Weltgeist wird." Also dadurch, daß die Volksgeister durch die Weltgeschichte gerichtet werden und so ein Volksgeist zum dominierenden wird, erlangt er auch das Recht, in der Epoche, in der er herrscht, Träger des Weltgeistes zu sein und durch dieses Übertragen der allgemeinen Entwicklung auf einen Volksgeist kommt es erst zur Hervorbringung des absoluten Weltgeistes. P.450 "Diese Freiheit und das Geschäft derselben ist das höchste und absolute Recht. (...) Gegen diesen absoluten Willen ist der Willen der anderen besonderen Volksgeister rechtlos; ebenso aber schreitet er über (...) eine besondere Stufe hinaus und übergibt es dann seinem Zufall und Gericht". Gegen den Träger des Weltgeistes auf dem Weg zur nächsten Stufe der Freiheit ist jeder andere Volksgeist rechtlos. Wenn aber der Träger-Volksgeist sein Ziel, seine Stufe erreicht, hat übergibt er sozusagen den Staffelstab der Totalität der Volksgeister, also dem Weltgeist, der nun darüber zu Gericht sitzt, wer der nächste Träger ist. P. 452 "Die geistige Substanz, (...) hat (die Aufhebung der Beschränktheit des Selbstbewußtsein) zur Unendlichkeit erhoben und ist sich darin als allgemeiner Geist Gegenstand, welchen das Selbstbewußtsein als seine Substanz weiß (...) und damit die ihrem Begriffe gemäße Wirklichkeit ist." Hier ist Hegels Gedanke von der Selbstbewegung des Geistes noch in seinem Frühstadium. Der Geist hat sich selbst zum Gegenstand, sein Selbstbewußtsein reflektiert über sich und indem das Selbstbewußtsein sich der Totalität des Geistes nähert, kommt es zur Bewegung. Später (1830 P.553) wird Hegel das Ziel dieser Bewegung benennen: "Der Geist, dessen absolute Bestimmung die wirksame Vernunft, d.i. der sich bestimmende und realisierende Begriff selbst - die Freiheit ist." Eine bessere Beschreibung der Selbstbewegung bietet Hegel im P.343 der Rechtsphilosophie (s.o.). In dieser Vorstellung der Weltgeschichte erscheinen eher die Volksgeister, also die Totalität von Bewußtsein und Sein eines Volkes, als Subjekte der Geschichte. Sie korrespondieren untereinander und bilden ihre Totalität, den Weltgeist. Hier erscheint der Weltgeist, also die Totalität aller Seins und Bewußtseins, als Elemente der Welt, mehr noch als Summe dieser Elemente. Hegel geht sehr ausführlich auf den Aufbau des Weltgeistes ein. Er konstruiert ihn von unten nach oben. Hier ist für mich relativ gut verständlich, wie sich die Bewegung vollzieht. Die Menschheit tritt in die Geschichte ein in dem Moment wo sie beginnt, ein Bewußtsein von sich zu entwickeln. Vorher war sie im Urzustand der Identität, dem unreflektierten Sein. Die Menschheit erlangt aber nicht überall gleichzeitig Bewußtsein aus verschiedensten Gründen und somit gibt es verschiedenes Bewußtsein in verschiedenen Regionen. Das jeweils am weitesten entwickelte Volk setzt sich zwangsläufig durch, da es nicht nur am besten über sein Sein reflektieren kann, sondern auch über andere Elemente wie etwa Techniken. Diese Völker erschlaffen irgendwann, weil sie den in ihrem Kulturraum möglichen Entwicklungspunkt erreicht haben. Ihre Entwicklung in allen Teilen des Denken und des Seins verlangsamt sich so, daß sie von einem anderen Volk aus einer anderen Region in der Fähigkeit zu Denken überholt werden. Dieses Volk hat schon unter der alten Ordnung seine Weltanschaung herausgearbeitet und beginnt nun mit der Realisierung bis auch dies in die Phase der Stagnation gerät und von anderen Völkern überholt wird. Der Geist ist also nichts anderes als das Streben nach Vernunft. Es geht darum, eine natürliche Einheit von Sein und Bewußtsein zu erbauen und wenn dies einem Volk gelingen sollte, ist das Ende der Selbstbewegung erreicht. Das Sein des Individuums ist gesellschaftliches Sein geworden. Der Mensch geht in der Gemeinschaft auf. Er ist bewußter Herr über sich und über die Welt. Hier kommt Hegels Idealismus deutlich zum Ausdruck. Das Denken der Menschen bestimmt ihr Sein. 4. Vergleich der beiden Texte In beiden Texten entwickelt Hegel eine ähnliche Vorstellung der Weltgeschichte. Sie ist das Resultat der Selbstbewegung des Geistes. Gegen diese Bewegung ist kein Widerspruch möglich. Es ist die Bewegung zur Freiheit und zur Vernunft. Unterschiedlich ist der Ansatz. In der Enzyklopädie ist der Weltgeist hauptsächlich die Totalität der Volksgeister; in der Rechtsphilosophie erscheint der Weltgeist als Subjekt und die Volksgeister sind nur seine willenlosen Werkzeuge. Der gravierendste Unterschied ist aber, daß Hegel in der Enzyklopädie auf die Aufteilung der vier Weltreiche verzichtet, und so verstärkt sich für mich der Eindruck, daß Hegel dies in die Rechtsphilosophie aus Angst vor Repressionen eingefügt und aus ähnlichem Grund diesen Schematismus auch in seine Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte eingebaut hat. 5. Zusammenfassung und Ausblick Für Hegel ist die Philosophie der Geschichte eng mit der Geschichte der Philosophie verbunden. Die Philosophie ist für ihn Ausdruck der Bewegung des Geistes genauso wie die Weltgeschichte; nur daß die Weltgeschichte sich unbewußt dem Diktat des Weltgeistes unterwirft, die Philosophie aber bewußt darauf reagiert und so aufzeichnet, wie weit das Volk, das momentan Träger des Weltgeistes ist, mit seinem Selbstbewußtsein fortgeschritten ist. Somit geht die Weltgeschichte paralell mit der Geschichte der Philosophie. Ich meine, daß Hegel die Philosophie der Geschichte in die Geschichte umgeändert hat, nicht weil er an Stelle der Erforschung der Weltgeschichte die philosophischen Systeme analysiert, sondern weil er die Geschichte der Menschheit auf die Entwicklung der menschlichen Selbsterkenntnis zurückführt, deren authentische Form Hegel in der Philosophie erblickt. Deshalb erweisen sich die historischen Ereignisse, von denen in der Philosophie der Geschichte die Rede ist, nur als Äußerungen der inneren Arbeit des Geistes, der das Subjektive im Objektiven sowie das Objektive im Subjektiven erfaßt und dadurch zur Einheit des subjektiven und objektiven Geistes oder zum absoluten Geist wird, dessen adäquate Selbsterkenntnis die Philosophie und letztlich die Philosophie Hegels selbst ist. Der Weg, den der absolute Geist in der Weltgeschichte zurücklegt ist also derselbe Weg, den er in der Geschichte der Philosophie zurücklegt. Hier und da endet der historische Prozeß nach Hegel in der Selbsterkenntnis des Weltgeistes in der Menschheit, mit dem absoluten Wissen, das mit einer unermeßlichen Macht und mit einer absoluten Freiheit identisch ist. Die Verwandlung der Hegelschen Geschichtsphilosophie in die Geschichte der Philosophie ist für mich die zwangsläufige Folge seines absoluten Idealismus und seiner Vergöttlichung der philosophischen Erkenntnis. Hegel schuf das inhaltsreichste und am besten entwickelte enzyklopädische philosophische System. Seine Philosophie offenbart jedoch, daß der Idealismus nicht in der Lage ist, die Geschichte der Menschheit wissenschaftlich zu erklären. In diesem Sinne wurde die Hegelsche Philosophie mit all ihren Einsichten und Irrtümern zum conditio sine qua non der materialistischen Geschichtsauffassung, die Marx und Engels geschaffen haben. 6. Literaturliste 6.1. Texte von Georg Wilhelm Friedrich Hegel 6.1.1. Werke 1808 Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse 1808 ff.; in: Nürnberger und Heidelberger Schriften; Ffm 1986; Paragraph 201+202 S.64/5. 1817 Heidelberger Philosophie; in: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte; Ffm 1986; Paragraph 448-452 S.559-560. 1821 Grundlinien der Philosophie des Rechts; Hamburg 1967; Paragraph 341-360 S.288-297. 1830 Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse; Leipzig 1920; Paragraph 13-16 S.46-48 und Paragraph 548-552 S.457-473. 6.1.2. Vorlesungen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie -Einleitungen-; Hamburg 1944. Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte; Ffm 1986. Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte; Hamburg 1980; Bd.1 Die Vernunft in der Geschichte. 6.2. Sekundärliteratur Ahrweiler; Georg: Hegels Gesellschaftslehre; Darmstadt 1976. Autorenkollektiv: Hegel: Perspektiven seiner Philosophie heute; Köln 1981. Buhr; Manfred/ Dietzsch; Steffen: Geschichtsphilosophie; in: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaft; Hamburg 1990; Bd.2 S.298-307. Fulda; Hans Friedrich: Hegels Dialektik als Begriffsbewegung und Darstellungsweise; in: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels; Ffm 1989; S.124177. Holz; Hanz - Heinz: Dialektik; in: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaft; Hamburg 1990; Bd.1 S.547-568 v.a. S.547-554. Kirn; Michael: Der Begriff der Revolution in Hegels Philosophie der Weltgeschichte; in: HST Beih.11 1974; S.339-363. Lukacs; Georg: Der junge Hegel; Ffm 1973; v.a. S.718-872. Mercier - Josa; Solange: Hegel, Marx und die Geschichte; in: Übergänge von Hegel zu Marx; Köln 1989; S.29-46. Riedel; Manfred: System und Geschichte; Ffm 1973. v.a. S.40-65. Steinbacher; Karl: System/ Systemtheorie; in: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaft; Hamburg 1990 ; Bd.4 S.500-506. Taylor; Charles; Hegel; Ffm 1983; v.a. S.477-607.