Stress und Psoriasis – Psychosomatische Zusammenhänge

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HS · 3/2016
Medizin
Stress und Psoriasis –
Psychosomatische
Zusammenhänge
Für Betroffene geht Psoriasis oft mit einer
jahrzehntelangen Leidensgeschichte mit
grossem, persönlichem Aufwand und Einschränkungen einher, teilweise bis zu Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung.
Daher sind neben der medikamentösen
Behandlung auch Patientenschulungen
zur Krankheitsbewältigung, Stressmanagement und manchmal psychologische
Unterstützung von Bedeutung. Studien
bestätigen die Wahrnehmung vieler Betroffener, dass Psoriasis durch psychische
Faktoren ausgelöst, verschlechtert und unterhalten werden kann. Andererseits kann
die psychische Verfassung der Betroffenen
durch die Krankheitssymptomatik selbst,
die Therapie-Nebenwirkungen, soziale
Ängste oder durch ein negatives Körperbild
stark leiden.
In Querschnittsstudien wurde bei Psoriasis-Betroffenen im Vergleich zu Gesunden
eine bis zu doppelt so hohe Häufigkeit für
Depression, Angst und Suizidgedanken
festgestellt. Umgekehrt gehen psychologische Interventionen oft mit einer klinischen Verbesserung einher. Allerdings gilt
dies nicht für alle Psoriasis-Betroffenen
und es wird zwischen sogenannten
«Stress-Respondern» und «Stress-NonRespondern» unterschieden.
Ungefähr die Hälfte (39–61%) der Psoriasis-Betroffenen gehört zu den «StressRespondern», was sich in Blutuntersu-
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Marc Fouradoulas
Marc Fouradoulas.
chungen auch durch eine unterschiedliche
Stresshormon-Ausschüttung zeigt. In einer weiteren Untersuchung sind bei den
«Stress Respondern» signifikant erhöhte
Werte für Depression und Persönlichkeitszüge wie Ängstlichkeit, Misstrauen und
Mangel an Durchsetzungsfähigkeit festgestellt worden. Es scheint sich also um psychisch vulnerablere Personen zu handeln,
welche dementsprechend von einem verbessertem Stressmanagement profitieren
können.
Stress – Begriffsklärung
Was aber als Stress empfunden wird, ist
individuell sehr unterschiedlich und der
Begriff wird breit verwendet. Der Begriff
Stress (engl. für ‹Druck, Anspannung›; lat.
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stringere ‹anspannen›) ist ursprünglich in
Tierexperimenten als körperlich-hormonelle Alarm- und Anpassungsreaktion auf
äussere Anforderungen definiert worden.
Dabei kommt es zeitabhängig auch zu
weitreichenden Auswirkungen auf das
Nerven- und das Immunsystem. Hier sollte
daher zwischen akutem und chronischem
sowie gutem und schlechtem Stress (Euund Dysstress) unterschieden werden.
In der Psychologie des Menschen wird
Stress weiter gefasst und es werden grob
die drei Kategorien Alltagsstressoren (z.B.
Zeitdruck, Terminstress), psychosozialer
Stress (berufliche, familiäre, psychische
«Chronischer Stress
wirkt entzündungs­
fördernd.»
Belastungen) und kritische Lebensereignisse (Psychische Traumata, Verlust von
nahestehenden Personen) unterschieden.
Körperliche Auswirkungen von Stress
Überdauern Stressbelastungen längere
Zeit, so können sich bei fehlender Erholung weitreichende körperliche Folgen
einstellen wie Schlafstörungen, MagenDarm-Beschwerden, Muskelverspannungen, Appetitlosigkeit, Infektanfälligkeit
und eben eine erhöhte Entzündungsbereitschaft. Bei Psoriasis verstärkt Stress
die Ausschüttung von entzündungsfördernden Botenstoffen in der Haut. So
konnte beobachtet werden, dass ein psychisches Trauma häufig im letzten halben
Jahr vor einer dermatologischen Erkrankung aufgetreten und mit hohen Werten
entzündlicher Botenstoffe im Blut assoziiert ist. Bei immunologisch vermittelten
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Hauterkrankungen wie Psoriasis ist dies
besonders zu beachten, da das Immunsystem bei Stressreaktionen immer mit-
«Was aber als Stress
empfunden wird, ist
individuell sehr unter­
schiedlich.»
reagiert und es über die Zeit zu einer
stressbedingten Verschiebungen in der
Immunbalance kommt. Rezeptoren von
Stress-Botenstoffen sind nämlich in jeder
Hautzelle und Haut-infiltrierenden Zelle
zu finden. Chronischer Stress wirkt also
entzündungsfördernd und ausserdem
pro-allergen und pro-autoimmun.
Stress – eine Frage der Wahrnehmung
Stress ist immer ein subjektives Erleben,
«man macht ihn sich selbst», wie der
Volksmund sagt. Genauer betrachtet entsteht Stress dann, wenn eine Anforderung
aus der Umwelt – oder an sich selbst – die
Fähigkeiten zu ihrer Bewältigung übersteigen. Entscheidend ist dabei die persönliche Einschätzung der Anforderung sowie
der eigenen Bewältigungsfähigkeiten.
Überwiegen die Anforderungen oder fehlt
das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten,
kommt es zum Überforderungsgefühl. Die
Gedanken beeinflussen also die Art und
Weise, wie eine Anforderung wahrgenommen wird. Das Überforderungsgefühl
kann emotional unterschiedlich verarbeitet werden und sich beispielsweise in
Form von Ärger, Angst, Sorgen oder Traurigkeit zeigen. Nebst der situativen Einschätzung spielen bei der Bewältigung
weitere Faktoren wie soziale Unterstützung, Persönlichkeitstyp, Lösungsstrategi-
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Graphik: Stangier U: Hautkrankheiten und Körperdysmorphe Störung. Göttingen, Hogrefe, 2002.
en und psychische Gesundheit ebenfalls
eine wesentliche Rolle.
Chronischer Stress – Wann ist Hilfe
angezeigt?
Wenn das Überforderungsgefühl über längere Zeit andauert, dann kann es sich lohnen, professionelle Hilfe beizuziehen, um
jene subjektiven Einschätzungen zu überprüfen. Oft entpuppt sich dann eine Tendenz zu überhöhten Anforderungen an sich
selbst, was sich in Form von Perfektionismus, fehlender Abgrenzung oder geringem
Selbstwertgefühl zeigt. Meist beruhen solche Persönlichkeitszüge auf früheren lebensgeschichtlichen Prägungen. So neigen
Menschen aus belasteten und unsicheren
familiären Beziehungsverhältnissen eher
zu Stressreaktionen und Ängstlichkeit.
Auch hier kann es also hilfreich sein, solchen Ängsten mit professioneller Unterstützung auf den Grund zu gehen.
Häufig lässt sich auch eine Summierung
lang anhaltender psychischer Belastungen beobachten, die einzeln betrachtet
nicht besonders stark ausgeprägt sein
müssen (Sorgen, emotionale Konflikte,
ängstliche Erwartung), die jedoch durch
ein chronisches körperliches Krankheitsgeschehen verschärft werden. Aus der Placebo-Forschung ist bekannt, dass sich eine
ängstliche Erwartungshaltung auch körperlich auswirkt, z.B. durch Ausschüttung
von Entzündungs- und Schmerzbotenstoffen. Was wir denken und fühlen, hat also
«Was wir denken und
fühlen, hat also einen
wesentlichen Einluss auf
körperliche Vorgänge.»
einen wesentlichen Einfluss auf körperliche Vorgänge. Umso wichtiger ist es, sich
über diese inneren Vorgänge im Klaren zu
sein.
Sehr häufig leiden Hauterkrankte auch unter Scham und Unsicherheit im Umgang
mit sichtbaren Hautläsionen und neigen
dadurch zu sozialem Vermeidungsverhalten und negativer Selbstwahrnehmung.
Auch hier kann die eigene Einschätzung
trügen. So hat sich in Studien gezeigt, dass
Hauterkrankte die Wahrnehmung ihrer
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sichtbaren Hautläsion in der Regel als negativer einschätzen, als die Allgemeinbevölkerung dies tut, und sich dadurch abgelehnt fühlen. Man spricht hier von
dysfunktionalen Überzeugungen, welche
sich aber verändern lassen. So kann es sich
beispielsweise lohnen, in solchen Situationen das Gegenüber konkret anzusprechen,
zu sich und seiner Psoriasis zu stehen und
sich dadurch nicht einschränken zu lassen.
Hier bieten auch Psoriasis-Schulungen
weitere Unterstützung an.
Stressmanagement
Auf körperlicher Seite führt Stress in der
Regel zu erhöhter Anspannung, sodass es
sich empfiehlt, gezielt auf Entspannung zu
achten. Hier eignen sich besonders sportliche Aktivitäten im Ausdauerbereich, aber
auch Entspannungstechniken wie Autoge-
«In einem erweiterten
Sinne kann Psoriasis
so als Stress­Indikator
dienen.»
nes Training, Muskelrelaxation nach Jacobson oder Achtsamkeitsmeditation. Wichtig
ist dabei Regelmässigkeit und Kontinuität,
da sich die positiven Effekte erst nach einer
Übungsphase über Wochen einstellen.
Im Umgang mit Erwartungsängsten und
nicht veränderlichen Belastungen bleibt
oft nur die Akzeptanz der aktuellen Situation samt ihrer unangenehmen Symptomatik und Sichtbarkeit nach aussen. Als
hilfreiche Unterstützung hat sich hier die
Achtsamkeitsmeditation erwiesen, wobei
die direkte körperliche Wahrnehmung und
Akzeptanz der momentanen Erfahrung
gezielt geübt wird.
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Marc Fouradoulas ist Internist mit Zusatzausbildung in
psychosomatischer Medizin.
Er hat in Basel studiert und
nach der allgemeininternistischen Ausbildung
die letzten drei Jahre in der
Psychosomatik des
Inselspitals in Bern, zuletzt
als Oberarzt, gearbeitet.
Zusammenfassend geht es bei der Stressthematik also stets um das Erkennen von
Überforderungssituationen und der Analyse zwischen eigenen und fremden Anteilen, um so durch gezielte Massnahmen
zurück zu einem Gleichgewicht zu finden.
Dabei kann es sich lohnen, den zeitlichen
Zusammenhang zwischen Auftreten und
Verschlechterung der Psoriasis mit Belastungsphasen für sich festzuhalten und
den Krankheitsverlauf so in den lebensgeschichtlichen Kontext einzuordnen.
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Ist eine klare Abhängigkeit zwischen
Stress und Psoriasis erkennbar, empfiehlt
es sich, professionelle psychologische Unterstützung beizuziehen. Aus jeder vertieften Auseinandersetzung mit sich selbst
kann man letztlich nur lernen. In einem
erweiterten Sinne kann Psoriasis so als
Stress-Indikator dienen und als eine Herausforderung zur Arbeit an der Selbstanalyse, Selbstakzeptanz und Selbstvertrauen,
besonders im sozialen Umgang, gesehen
werden.
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Quellen
1 Dalgard F, et al.: The psychological burden
of skin diseases: a cross-sectional multicenter study among dermatological out-patients in 13 European countries. Journal of Investigative Dermatology 2015; 135(4):
984–991.
2 Fordham B, Griffiths CEM, Bundy C: Can
stress reduction interventions improve psoriasis? A review. Psychology, health & medicine 2013; 18(5): 501–514.
3 Remröd C, Sjöström K, Svensson Å: Subjective stress reactivity in psoriasis – a cross sectional study of associated psychological
traits. BMC dermatology 2015; 15(1): 6.
Interview mit Dr. Reinhard Rüesch
Augen auf – Psoriasis kann
für gewisse Augenerkrankungen
mitverantwortlich sein
Christa Inglin
Psoriasis-Betroffene haben ein leicht höheres Risiko für gewisse Augenerkrankungen. Vitiligo hingegen ist kein Grund für
vermehrte Augenbeschwerden, kann jedoch als Folge eines sehr seltenen Augensyndroms entstehen! Dr. med. Reinhard
Rüesch, Leitender Arzt und Stv. Chefarzt
der Augenklinik des Kantonsspital St. Gallen, erklärt im Interview mit der Hautsache die medizinischen Zusammenhänge.
Hautsache: Herr Dr. Rüesch, Sie sind Ophthalmologe und sehen in die Augen Ihrer
Patientinnen und Patienten. Kann man an
den Augen den Gesundheitszustand eines
Menschen ablesen?
Diese Aussage kann man aus medizinischer Sicht generell nicht machen. Es gibt
jedoch immer wieder Veränderungen am
Augenhintergrund, die auf eine Krankheit
hinweisen, beispielsweise auf Diabetes
oder Bluthochdruck. In diesen Fällen kann
eine Untersuchung der Augen den Eintritt
in eine Diagnose einer anderen Erkrankung darstellen.
Gibt es Augenerkrankungen, an denen Psoriasis-Betroffene häufiger erkranken als
Nicht-Betroffene?
Ja, die gibt es: So sind rund 20–30% der
Psoriasis-Patienten von trockenen Augen
betroffen. Seltener, aber ebenfalls ge-
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