Ausstellung ‹ 2 grAD › - Stiftung Mercator Schweiz

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Sonderausgabe
AUSSTELLUNG ‹ 2 GRAD ›
MERCATOR
03 / 2010
Ausstellung
‹ 2 GRAD ›
Wetter, Mensch und Klima stehen im Mittelpunkt
der grossen Themenausstellung in Basel
Klimaforscher im Interview
Professor Thomas Stocker spricht über den
Klimawandel und das ‹ 2-Grad-Ziel ›
Wettervorhersagen
Seit 125 Jahren beobachtet MeteoSchweiz das
Wetter im Alpenraum
Wissenschaftliche Beiträge
Neun Professoren beleuchten Klima-Fragen aus
unterschiedlichen Perspektiven
Klimatipps
Jeder einzelne kann das Klima mit einfachen
Massnahmen Schützen
NEWS
V O R W O R T ⁄ S o n d e r a u s g a b e M e r c at o r N e w s
Liebe Leserinnen und Leser
Der Klimawandel fordert unsere Gesellschaft heraus: Schaffen wir es nicht,
die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius
zu beschränken, so wird der Klimawandel verheerende Auswirkungen auf
unsere Welt haben, warnen Klimawissenschaftler. Der Wert ‹ 2 Grad › ist damit
eine entscheidende Zukunftsfrage – und
der Name der Ausstellung, die die Stiftung Mercator Schweiz als Mitglied eines
Trägervereins sechs Monate lang in
Basel zeigt. Die Ausstellung möchte wissenschaftlich fundierte Fakten zu Fragen
rund um Wetter, Klima und Klimawandel
verständlich machen. Sie möchte generationenübergreifende Diskussionen fördern und einen Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ermöglichen.
Genau diese Ziele verfolgt auch unsere Sonderausgabe der Mercator News:
Wir geben darin nicht nur Einblicke in
die Ausstellung, wir lassen Wissenschaftler zu Wort kommen, die sich in ihrem
Forschungsalltag intensiv mit Fragen des
Klimawandels auseinandersetzen. So
spricht Professor Thomas Stocker, Leiter
des Nationalen Forschungsschwerpunkts
Klima der Universität Bern, im Interview über das gesellschaftlich wichtige
Thema. Neun Professorinnen und Professoren, die zum grössten Teil auch im
Rahmenprogramm der Ausstellung mitwirken, beleuchten in ihren Artikeln
Klima-Fragen aus verschiedenen Perspektiven. So unterschiedlich ihre Ansätze
auch sind, in einem sind sich die Autoren
einig: Wir müssen handeln, wir müssen
das Klima schützen. Möglichst schnell.
Deshalb informieren Sie sich über das
Thema, diskutieren Sie mit.
Wir wünschen Ihnen eine interessante
Lektüre unseres Magazins.
Albert Kesseli
Geschäftsführer
inhalt
Ausstellung
S. 4 – 15
‹ 2 Grad ›
Wetter, Mensch und Klima stehen im Mittelpunkt der grossen Themenausstellung in Basel
s. 38 – 39
K l i m a d at e n
Historische Klimadaten helfen in der aktuellen
Klimaforschung
s. 40 – 41
Biodiversität
Der Klimawandel hat Auswirkungen auf Tiere
und Pflanzen
s. 42 – 43
Gesundheit
Der Mensch muss sich an neue
gesundheitliche Herausforderungen anpassen
s. 44 – 45
L a n d w i rt s c h a ft
Ökologischer Landbau bietet Vorteile mit Blick
auf den Klimawandel
s. 46 – 47
W i rt s c h a ft
Für Unternehmen ist es sinnvoll, bereits heute
Investitionen zu tätigen
s. 48 – 49
Auswirkungen
Mit zunehmender globaler Erwärmung wächst
die Zahl der Verlierer des Klimawandels
HINTERGRUND
s. 16 – 23
Fa k t e n z u m K l i m a w a n d e l
s. 50
I n t e r n at i o n a l e Z u s a m m e n a rb e i t
Eine ‹ Koalition der Willigen › kann in der
Klimapolitik Impulse setzen
Die Folgen der globalen Erderwärmung sind
alarmierend
s. 51 – 52
s. 24 – 31
W ISSENSCHA F T UND Ö F F EN T LICHKEI T
K l i m a for s c h e r i m I n t e rv i e w
Der Dialog zwischen Forschung und
Gesellschaft ist wichtig
Professor Thomas Stocker spricht über den
Klimawandel und das ‹ 2-Grad-Ziel ›
s. 53 – 54
s. 32 – 35
Klimapolitik der Schweiz
W e tt e rvor h e r s a g e n
Die Schweiz hat das international formulierte
‹ 2-Grad-Ziel › fest im Blick
Seit 125 Jahren beobachtet MeteoSchweiz das
Wetter im Alpenraum
s. 55 – 58
s. 36 – 37
K l i m at i p p s
Klimamodelle
Moderne Computer können Klimaentwicklungen voraussagen
Jeder Einzelne kann das Klima mit einfachen
Massnahmen schützen
Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad ›
Das Wetter,
der Mensch
und sein Klima
Alle reden vom Wetter. doch rund um die Diskussionen zum Klimawandel
verunsichern Wetterkapriolen die Menschen: Ist der angekündigte schwere
Sturm bereits ein Zeichen für den Klimawandel oder bloss eine Laune der
Natur? Wie Wetter und Klima funktionieren, wie sie unser Leben beeinflussen,
und welche Auswirkungen der Mensch auf das Klima hat, zeigt die Ausstellung ‹ 2 Grad – Das Wetter, der Mensch und sein Klima › auf dem Dreispitzareal in Basel. text ⁄ Nadine Fieke
4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
5
Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad ›
Die Ausstellung ‹ 2 Grad › ist ein Ort zum Lernen, zum Verstehen, zum Austausch. Sie
möchte wissenschaftlich fundierte Fakten zu
Wetter und Klima verständlich machen.
A l be rt K e s s e li ⁄ Ge s ch ä f tsf ü h r er Sti ftu n g M er cato r Sch weiz
Das Licht ist blau und kühl. Fast bedrohlich. Es passt zum Titel des ersten
Raums: ‹ Die Macht der Atmosphäre ›. In
der Ecke steht ein vom Blitz zerborstener
Baum. An der anderen Seite eine Skulptur von Maria und dem Jesuskind. Nichts
ist mehr von ihrer ursprünglichen Form
erkennbar, so sehr haben Wind und Wetter ihre Spuren hinterlassen. Der Blick
wandert zu einem Boot, von einem
Sturm komplett zerstört. Und dann zeigt
Ausstellungsgestalter Peter Kuntner in
die Mitte des Raums: « Genau dieses Treppenstück wird wahrscheinlich schon im
nächsten Jahr die Treppe vom Aletschgletscher zur Konkordiahütte in den
Berner Alpen verlängern. » Es sind diese
acht einfachen Stahl-Stufen, die wie
kaum ein anderes Exponat die gravierenden Folgen des Klimawandels veranschaulichen. « Die Treppe ist ein Gradmesser für den Gletscherschwund », erklärt Kaspar Meuli. Als Vertreter des
Nationalen Forschungsschwerpunkts
Klima hat er die Ausstellungsmacher zusammen mit Forschern der Universität
Bern wissenschaftlich beraten.
Schon im ersten Teil wird deutlich,
was das Besondere an der Ausstellung
‹ 2 Grad › ist: Nicht allein die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema
stehen im Mittelpunkt, sondern die Menschen. Dieser Ansatz wird in den folgenden drei Bereichen – ‹ Beobachten und
Berechnen ›, ‹ Abwehr und Anpassung ›
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und ‹ Wetter machen › – weiter verfolgt
und vertieft. Die Besucher erfahren,
wie der Mensch mit den Naturgewalten
lebt, wie er zu verschiedenen Zeiten an
verschiedenen Orten der Welt versucht
hat, das Wetter zu verstehen, aufzuzeichnen, vorherzusagen und zu beeinflussen.
« Die Ausstellung behandelt nicht nur die
historische und aktuelle Klimaforschung », betont Kaspar Meuli. « Sie erzählt, wie die Kulturgeschichte vom
Klima geprägt wurde. » Dabei fokussiert
‹ 2 Grad › auf eine der grössten Herausforderungen der Menschheit, den Klimawandel.
Vom 21. August 2010 bis zum 2. Februar 2011 präsentiert die Stiftung Mercator Schweiz
zusammen mit der Christoph Merian
Stiftung, mit den Kantonen Basel-Stadt
und Basel-Landschaft, mit der Avina Stiftung, dem Nationalen Forschungsschwerpunkt Klima, der Museumsdirektorenkonferenz Basel und der Universität Basel
die Ausstellung ‹ 2 Grad › auf dem Basler Dreispitzareal. « Wir möchten mit der
Ausstellung nicht nur Hintergründe
zu den Themen Wetter und Klima aufzeigen », betont Albert Kesseli, Geschäftsführer der Stiftung Mercator Schweiz.
« Das Kunstfreilager soll ein Ort sein zum
Lernen, ein Ort des Austauschs, an dem
über den Klimawandel und seine Konsequenzen diskutiert wird. » Ein abwechsV o n Dr e s d e n na c h B a s e l ⁄
lungsreiches Rahmenprogramm mit über
30 Veranstaltungen, an denen sich auch
viele namhafte Wissenschaftler beteiligen, unterstützt diese Ziele. Für Schulklassen gibt es besondere Angebote wie
Führungen, Workshops und Schulreisen.
Konzipiert wurde die Ausstellung
‹ 2 Grad › vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden (DHMD), einem der renommiertesten Häuser für Themenausstellungen in Deutschland. Von Juli 2008
bis April 2009 hat das DHMD die Ausstellung mit grossem Erfolg gezeigt. Fast
100 000 Menschen haben ‹ 2 Grad ›
gesehen – darunter auch Vertreter der
Stiftung Mercator Schweiz, die daraufhin
das Gastspiel in Basel initiiert haben.
« Einen Museumsdirektor freut es
natürlich sehr, wenn eines seiner Ausstellungsprojekte auf solch ein Interesse
stösst und auf Wanderschaft geht », erklärt Prof. Klaus Vogel, Direktor des
DHMD. Gerne hat das Dresdner Museum
dem Verein ‹ Ausstellung 2 Grad › die
Ausstellungsarchitektur, professionelles
Fachwissen und wertvolle Kontakte zur
Verfügung gestellt.
Von all dem hat das Projektteam in
Basel profitiert: Es hat die Ausstellung
aus Dresden nicht einfach übernommen,
es war ihm wichtig, ihr ein besonderes
Schweizer Gesicht zu verleihen. So
haben die Experten rund ein Drittel der
365 Exponate speziell für das Schweizer
Gastspiel zusammengestellt. Der
Direktor des DHMD hat die Ausstellung
in Basel besucht und ist voll des Lobes:
« Die Schweizer Version von ‹ 2 Grad › ist
ein faszinierendes Projekt geworden »,
schwärmt Prof. Klaus Vogel. « Frisch präsentiert, sorgfältig und kreativ gemacht.
Es zeigt sich in seiner eigenen Gestaltung und mit einer eigenen Mission. »
In for m at ive T h em en i n s eln ⁄ Eine
glühende Sonne empfängt die Besucher
im zweiten Raum. Das Licht ist auch
hier gedämpft. Filigrane Metallstangen
bilden zwölf aufwändig gestaltete, multimediale Inseln zum Thema ‹ Beobachten
und Berechnen ›. Sie symbolisieren
mit ihren dünnen, verschachtelten Streben das enge und zerbrechliche Verhältnis zwischen Mensch und Klima. « Man
kommt in diesen zweiten Raum und
kennt hinterher die Grundlagen zum Thema Wetter und Klima », sagt Peter
Kuntner. Von der Sonne über Niederschlag, Wolken, Blitz, Luft und Wind bis
hin zu Wettervorhersagen, Klimaarchiven und Klimaforschung erklären die
sorgfältig ausgewählten Exponate interessante Fakten. Filme und Animationen
liefern weiterführende Informationen.
Je weiter man dem Rundgang durch
die Ausstellung folgt, desto mehr wird
deutlich: Der Mensch ist durch seine
Treibhausgasemissionen mitverantwortlich für den Klimawandel. Das zeigt die
Ausstellung, ohne den moralischen
Bilder
Vorsichtig stellen die Restauratoren die
Exponate an ihren Platz. Museen und private
Sammler aus aller Welt haben ihre Objekte für
die Klima-Ausstellung in Basel zur
Verfügung gestellt.
Obe n ⁄
Un t e n ⁄ In nur 6 Monaten haben das 2-GradProjektteam und die Handwerker das alte
Zollfreilager auf dem Dreispitzareal in eine
Ausstellungshalle verwandelt.
7
Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad ›
Zeigefinger zu heben, ohne Schuldzuweisungen, ohne Weltuntergangsszenarien.
‹ 2 Grad › möchte vor allem informieren,
dokumentieren und den Besuchern wissenschaftlich fundierte Fakten verständlich machen.
N a c hha lt ige Nu tzu ng ⁄ In den hinteren
Räumlichkeiten bricht die Basler Ausstellung ganz bewusst mit dem Konzept
aus Dresden: Die Szenografen wollten
baulich an den Ausstellungsräumen im
alten Zollfreilager nichts verändern.
So haben sie sich im Sinne einer nachhaltigen Nutzung entschlossen, die
Büros der Zöllner zu erhalten. Die Sprossenscheiben sind noch da. Die Türrahmen. Die einzelnen Büroräume. Diese
sind bunt gestrichen, passend zu den
Exponaten zum Thema ‹ Abwehr und Anpassung ›. Der Besucher findet in diesem
Teil der Ausstellung nicht nur eine
australische Sonnencremedusche und
eine US-amerikanische Klimaanlage aus
den 1950er Jahren. Er erfährt, wie die
Bewohner des Berner Mattequartiers die
grosse Überschwemmung im Jahr 2005
erlebt haben. Er liest eine Postkarte an
Kyrill Genow, den unglücklichen Namensgeber des heftigen Sturms, der 2007
über Europa fegte und Millionenschäden
verursacht hat. Er schmunzelt im
Schatten des Zürcher Bööggs über Reporter, die in kurzen Videosequenzen gegen
das Wetter ankämpfen. Und er schreitet
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vorbei an Wettergöttern wie dem aztekischen Tlaloc, dem nordischen Thor
oder dem griechischen Zeus hinein
in den vierten Bereich der Ausstellung:
‹ Wetter machen ›.
« Der
letzte Raum ist für die Ausstellung
ein ganz zentraler », erklärt Kaspar Meuli.
Dort geht es vor allem um Klimapolitik,
um das internationale Klimaziel ‹ 2 Grad ›
und um die Frage, wie wir das Klima
schützen und die globale Erwärmung begrenzen können. Einige Wissenschaftler
schlagen zur Eindämmung des Klimawandels Massnahmen des Geo-Engineering vor. Sie sehen in der Zukunft künstliche Bäume, wollen die Ozeane düngen
oder ein riesiges Schutzschild im All
schaffen. Doch vor allem sind politische,
international abgestimmte Massnahmen
und persönliche Anstrengungen gefragt.
« Wenn sich diese zwei Seiten ergänzen,
können wir etwas erreichen », betont
Kaspar Meuli. Doch das wird ein äusserst
schwieriger Weg sein. Dies merkt der
Besucher spätestens, wenn er bei seinem
Rundgang kurz innehält und den
ernüchternden Nachrichtenbeitrag zur
Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen
anschaut.
H e raus for d e r u n g Kli m a p ol i t i k ⁄
Ausstellung ‹ 2 Grad ›
Die Ausstellung ‹ 2 Grad – Das Wetter, der
Mensch und sein Klima › wirft einen vielschichtigen Blick auf die Beziehung zwischen
Wetter, Mensch und Klima. 365 Exponate aus
aller Welt, darunter auch Filme und interaktive Installationen, sind zu einer spannenden
Ausstellung zusammengefügt. Das Deutsche
Hygiene-Museum Dresden, eines der renommiertesten Häuser für Themenausstellungen in
Deutschland, hat ‹ 2 Grad › konzipiert und mit
grossem Erfolg von Juli 2008 bis April 2009
gezeigt. Ein namhafter Trägerverein zeigt die
Ausstellung mit einem Schweizer Fokus in
Basel: Stiftung Mercator Schweiz, Christoph
Merian Stiftung, Kanton Basel-Stadt, Kanton
Basel-Landschaft, Avina Stiftung, NFS Klima,
Museumsdirektorenkonferenz Basel, Universität Basel.
W e i t e r e I n for m at i o n e n
Ausstellungsdauer
21. August 2010 bis 20. Februar 2011
O rt
Kunstfreilager Dreispitz, Florenzstrasse 1,
Tor 13, 4023 Basel
Ö ff n u n g s z e i t e n
Besondere Angebote
Schulen
Der Eintritt ist für Schulen gratis. Daneben
bietet ‹ 2 Grad › für Schulklassen jeder Altersstufe thematische Führungen, Workshops und
Schulreisen zu einem günstigen Preis.
Firmen/Gruppen/Vereine
Für Gruppen organisiert ‹ 2 Grad › Führungen,
auch kombiniert mit einem Apéro. Den 200
Quadratmeter grossen ‹ Klimasaal › kann man
für Veranstaltungen mieten.
W e tt e rw e r k s tatt
Die kostenlose Wetterwerkstatt ist sonntags
von 13 bis 16 Uhr für Kinder und Jugendliche
geöffnet.
Führungen
Samstags werden um 14 Uhr und sonntags
um 11 Uhr kostenlose Führungen durch die
Ausstellung angeboten. Einmal im Monat
werden diese von einem Gebärdensprachdolmetscher begleitet. Interessierte können
private Gruppenführungen buchen, diese sind
während der Öffnungszeiten möglich.
V e r a n s ta lt u n g e n
Ein Rahmenprogramm mit über 30 Veranstaltungen vertieft die Themen der Ausstellung.
Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Do bis 19.30 Uhr
Ko n ta k t
+41 ( 0 ) 61 222 22 12
[email protected]
IN T E R NE T
www.2grad.ch
Bilder
Mit Licht und Farben spielt die Ausstellung
‹ 2 Grad ›: So werden die Exponate ausdrucksstark in Szene gesetzt. Die zahlreichen Videoinstallationen lassen Klimazeugen zu Wort
kommen, Animationen erläutern Wetter- und
Klimaphänomene im Detail.
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1 0 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Bilder
Schulklassen können in Workshops die Ausstellungsthemen vertiefen – zum
Beispiel in der Wetterwerkstatt, die sonntags
auch kostenlos für Familien geöffnet ist.
Obe n l ink s /
Mi tt e l ink s / Die Ausstellungsmacher haben
‹ 2 Grad › einen besonderen Schweizer Fokus
verliehen: Ein Drittel der Exponate wurde speziell für das Gastspiel in Basel zusammengestellt. So können die Besucher unter anderem
den Zürcher Böögg aus der Nähe betrachten.
Un t e n l ink s / Noch nie in den vergangenen
800 000 Jahren war die Konzentration von
CO2 in der Atmosphäre so hoch wie heute,
noch nie verlief ihr Anstieg so schnell. Das
macht diese Kurve deutlich.
Mi tt e / Entspannen und lernen: Neben
zahlreichen Exponaten aus aller Welt bringen
Filme den Besuchern die Themen Wetter,
Klima und Klimawandel näher.
Ob e n re c h t s / «…und wo stehen wir?»:
Schweizer Prominente nehmen am Ende des
Rundgangs Stellung zu den Herausforderungen des Klimawandels.
Mi tt e r e c h t s / Eine riesige Sonne empfängt
die Besucher im zweiten Raum.
Un t e n r e c h ts / Mit Experimenten gehen
Schüler in Workshops Wetterphänomenen auf
die Spur.
11
Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad ›
Eine
Ausstellung –
vier Teile
A u s g e w ä h lt e E x p o n at e i m Üb e rb l i c k
Wetter und Klima sind Urgewalten: Sie
beeinflussen nicht nur das Leben
des Menschen, sie prägen und verändern
ganze Landschaften. Schon immer hat
der Mensch das Wetter beobachtet, versucht es zu verstehen und zu beeinflussen. Der Mensch passt sich dem Wetter an und schützt sich. In der Vergangenheit hat er Wettergötter verehrt und
gefürchtet. Heute fordert ihn der Klimawandel heraus: Der Mensch muss Lösungen finden, die globale Erwärmung
einzudämmen. Wie eng Wetter, Mensch
und Klima verbunden sind, zeigt die
Ausstellung ‹ 2 Grad › in vier Teilen. 365
Exponate, darunter auch Filme und
interaktive Elemente, sind zu einer spannenden Themenausstellung zusammengefügt. Wie unterschiedlich die Ausstellungsstücke sind, zeigen unsere
acht Beispiele.
1 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Teil I
Teil II
D i e M a c h t d e r At m o s p h ä r e
B e ob a c h t e n u n d B e r e c h n e n
[ 1 ] Ei n vom B lit z Ze rs törte r B a u m ⁄
Sie ist eine der ältesten ununterbrochenen Messreihen der
Welt – und in der Ausstellung ‹ 2 Grad › zu sehen: die Basler Klimareihe. Die ersten Messungen hielt der Basler Juraprofessor Johann
Jakob d’Annone (1728–1804) im Januar 1755
am Heuberg fest. Bis zu seinem Tod führte er
beinahe 50 Jahre lang mit grosser Sorgfalt
am selben Standort das meteorologische Tagebuch. Er notierte Temperatur, Luftdruck,
Windrichtung und schilderte knapp den Witterungsverlauf. Bis 1929 wurden die Messungen
an wechselnden Standorten in der Stadt Basel
durchgeführt. Dann übernahm diese das Observatorium Basel-Binningen. Die Ablesung der
Messgeräte erfolgt noch heute dreimal täglich.
Welche Kraft ein Blitz hat, zeigt in der Ausstellung eine über 100 Jahre alte Weisstanne,
die 2008 auf dem Gebiet der Gemeinde Oberdorf im Kanton Aargau vom Blitz getroffen
wurde. Schlägt ein Blitz in einen Baum ein,
fliesst dieser meist einseitig von der Krone bis
in den Stammfuss ab. Dabei wird der Saft
des Baumes unter der Rinde so stark aufgeheizt, dass diese häufig auf ganzer Länge aufreisst – das ist die Blitzrinne. Ein starker Blitzschlag kann den Baumstamm aber auch völlig
zerstören, wie das Ausstellungsstück zeigt.
[ 2 ] Tr e p p e z ur Konk or dia hü tte ⁄ Sie
hat 433 Stufen, ist 150 Meter lang – und sie
wächst immer weiter: Die Treppe zur Konkordiahütte muss alle paar Jahre verlängert
werden, weil der Aletschgletscher um
durchschnittlich 0,6 Meter pro Jahr schmilzt.
Wollen Wanderer zur Hütte des Schweizer
Alpenclubs (SAC) gelangen, müssen sie auf
den luftigen Stufen erst einmal Schwindelfreiheit beweisen. So wird eine Treppe zum
Gradmesser für den Gletscherschwund. Schon
nach Ende der Ausstellung könnte das
Treppenstück, das vom Erbauer der Originalleiter für ‹ 2 Grad › angefertigt wurde, den
Wanderern den Weg durch die Berner Alpen
zur Konkordiahütte ebnen.
[3] B a s l er Kl imar e ihe ⁄
[4] Fl a s c he n von Cha rl e s Ke e l in g ⁄ Es ist
ein unscheinbarer Behälter – doch mit einem
unschätzbaren Wert für die moderne Klimaforschung: Mit dieser und etwa 600 weiteren
Flaschen aus Pyrexglas hat der US-amerikanische Chemiker Charles David Keeling (1928–
2005) auf dem Vulkan Mauna Loa auf Hawaii
Luft gesammelt. Die Proben untersuchte er auf
ihren CO2‑Gehalt und legte damit einen unersetzlichen Datensatz für die Wissenschaft an.
Nur durch die Messungen von Charles Keeling,
die er oft gegen Mittelkürzungen verteidigen
musste, wissen wir heute, dass der CO2‑Anteil
in der Atmosphäre in den vergangenen 50
Jahren von 315,71 Molekülen pro Million Luftmoleküle auf 385,76 gestiegen ist.
6
4
1
Teil III
Abwehr und Anpassung
[5 ] D er Zür ch e r B öögg ⁄ Er ist 3,40 Meter
gross, 80 Kilo schwer und er kennt sich
mit dem Wetter bestens aus: Bevor der Böögg
beim Zürcher Frühlingsfest Sechseläuten
verbrannt wird, um den Sommer 2011 vorauszusagen, ist sein Kopf in Basel zu sehen. Dieser
hat einen Umfang von 1,80 Metern, ist 1,50
Meter hoch und mit vielen liebevollen Details
verziert. Beim Sechseläuten thront der Böögg
auf einem zehn Meter hohen Holzstoss. Um
Punkt 18 Uhr wird der riesige Schneemann
angezündet – und damit symbolisch auch der
Winter. Während der Böögg brennt, galoppieren Reitergruppen verschiedener Zünfte je
dreimal um die Figur. Je schneller der Böögg
seinen mit unzähligen Krachern gefüllten Kopf
verliert, desto länger und sonniger wird der
Sommer, sagt der Volksmund.
[6] Gum m ien te a u s Ala s ka ⁄ Eine Gummiente schwamm Ende 1992 Dean Orbison aus
Sitka (Alaska) entgegen, als er wie so oft
die Strände seines Heimatortes nach Treibgut
durchkämmte. Er freute sich und packte sie
ein. Die Ente war weit gereist: Ein Frachtschiff
hatte sie Monate zuvor in Hongkong abgeholt.
Auf dem Nordpazifik war das Schiff in einen
Sturm geraten und hatte einen Container mit
29 000 Gummitieren verloren. Getrieben von
der Meeresströmung schwamm die besagte
Ente auf dem Ozean bis zur Küste Alaskas.
Noch heute findet Dean Orbison ab und
zu eine Ente aus der verlorenen Ladung. In der
Erforschung der Meeresströmungen spielen
Plastikobjekte heute eine wichtige Rolle.
2
3
5
13
Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad ›
Teil IV
Wetter machen
[7] India nis c he ‹ K a c hina s › ⁄ Kachinas sind
übernatürliche Wesen, Vermittler zwischen
Menschen und Göttern. Sie leiten die Bitten
der Hopi, eines amerikanischen IndianerStamms, um Regen und Fruchtbarkeit weiter.
Nach Auffassung der Hopi lebten die Kachinas
früher in Gemeinschaft mit den Menschen –
bis diese Fehler machten, und sich die Kachinas
in die Berge zurückzogen. Doch zwei Mal im
Jahr, immer zwischen der Wintersonnenwende
und Mitte Juli, kehren sie zu den Menschen
zurück. In dieser Zeit finden die Kachinatänze
statt: mehrtägige Rituale, bei denen die Kachi­nas Besitz von maskierten Männern ergreifen,
so dass diese selbst zu diesen Wesen werden.
7
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1 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
[8] Do nne rgott Th or ⁄ Blitz und Donner
verkünden in der nordischen Mythologie
das Nahen Thors. Donnernd fährt er mit seinen
von Ziegenböcken gezogenen Wagen über
den Himmel. Wenn der Himmelsgott seinen
Hammer ‹ Mjölnir › wirft, blitzt es am Himmel.
Vor allem in Island, Norwegen und Schweden wurde Thor als wichtigster Gott verehrt.
Er lenkt Blitz und Donner, macht Wind und
Regen und ist damit nicht nur für schönes Wetter, sondern auch für die Fruchtbarkeit des
Landes verantwortlich.
Zeugen des
Klimawandels
M e n s c h e n b e r i c h t e n vo n i h r e n ​
Erfa h r u n g e n
Ist der Klimawandel bereits spürbar? Wie
äussert er sich im Alltag der Menschen?
Wie beeinflusst er ihr Leben? ‹ Klimazeugen › aus aller Welt berichten im Rahmen der Ausstellung ‹ 2 Grad › über
ihre Erfahrungen mit dem Klimawandel
und geben Einblicke in ihre ganz persönlichen Sichtweisen. Sie sprechen von
Fluten, von Dürren, von schmelzendem
Meereis, auf das sie für die Jagd angewiesen sind. Die Klimaveränderungen
bedrohen die Menschen in ihrer Exis­tenz. Deshalb fordern die Betroffenen ein
Umdenken, ein Handeln. Die Videoaufzeichnungen mit den Aussagen der zahlreichen ‹ Klimazeugen › geben dem
Klimawandel ein Gesicht. Sie machen
für den Ausstellungsbesucher die Folgen
der globalen Erwärmung nachvollzieh­bar. Auszugsweise haben wir einige Aus­sagen zusammengestellt.
Vicente Rivero
Fischer ⁄ Belize
Graham Game
U m w e lta k t i v i s t ⁄ G r o ss - B r i ta n n i e n
« Das Wetter hat sich verändert, es ist wärmer
geworden, heiss. Es ist anders als früher. Im
Mai war es hier schon immer heiss, aber nicht
so unerträglich heiss wie jetzt. Und den Juni
kannten wir als Regenmonat. Jetzt regnet
es sogar im Mai. Dagegen kann es sein, dass
der Regen nächsten Monat einfach ausbleibt,
obwohl man damit rechnet. »
« Das Klima verändert sich. Die Leute, die hier
in den Küstenorten leben und arbeiten,
merken das jeden Tag. Zum Beispiel gibt es
mehr Sturmfluten. Der Meeresspiegel steigt.
Wir erleben diese Veränderungen ganz unmittelbar. Das zu leugnen – das ist eine Sache.
Aber die Leute, die hier Tag für Tag leben, sind
diesen Einflüssen unmittelbar ausgeliefert.
Nichts zu tun, ist einfach keine Option. »
Mbiwa Constantine Isevahasa
Lehrer und Bauer ⁄ Kenia
Simon Kunak
« Bis weit in die sechziger Jahre hinein hatten
wir immer gute Ernten. Seit 1975 haben
wir Dürren. Die Staatsoberhäupter müssen mit
allen Ländern reden. Die Länder müssen mit
ihren Bezirken reden. Und die müssen dann
mit den Menschen in den einzelnen Regionen
reden. So könnten wir es vielleicht schaffen,
dass alles wieder wird wie früher. »
Jäger ⁄ Grönland
« Als ich im April südlich unseres Dorfes unterwegs war, sah alles aus wie im Mai. Und Anfang Mai war es, als ob wir Anfang Juni hätten.
Es ist schwieriger geworden, mit dem Schlitten zu fahren, weil es wärmer geworden ist. Es
ist einfach unglaublich, wie warm es geworden ist. »
15
H i n t e rgr u n d ⁄ Fa k t e n z u m K l i m a w a n d e l
1 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Klimawandel –
Die Zeichen sind
alarmierend.
SCHMELZENDE GLETSCHER, STEIGENDE
TEMPERATUREN,
EXTREMEREIGNISSE
« Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig. » Das
ist eine der Hauptaussagen des aktuellen Sachstandsberichts des ‹ Intergovernmental Panel on Climate Change ›
(IPCC) der UNO. Die Wissenschaftler stellen darin seit
1750 einen markanten Anstieg der Treibhausgase in der
Atmosphäre fest. Diese sind nach ihrer Überzeugung
zu einem grossen Teil menschgemacht. Bleiben die Treibhausgasemissionen so hoch wie heute oder steigen
sie gar weiter, würde die weitere Klimaerwärmung grosse Änderungen im globalen Klimasystem bewirken.
Diese wären laut IPPC sehr wahrscheinlich grösser als
diejenigen, die im 20. Jahrhundert bereits beobachtet
wurden.
TEMPERATUR ⁄ Gletscher
Die globale Durchschnittstemperatur ist in den
vergangenen 100 Jahren um 0,74 Grad Celsius
gestiegen.
Elf der letzten zwölf Jahre (1995–2006) gehören
zu den zwölf wärmsten Jahren seit Beginn der
instrumentellen Messung der globalen Erdoberflächentemperatur im Jahr 1850.
Die Temperaturen sind in den vergangenen 50
Jahren fast doppelt so schnell angestiegen wie
über die letzten 100 Jahre.
Gebirgsgletscher und Schneebedeckung haben
weltweit abgenommen. Die Abnahme der Gletscher und Eiskappen hat zum Meeresspiegelanstieg beigetragen.
17
H i n t e rgr u n d ⁄ Fa k t e n z u m K l i m a w a n d e l
1 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Niederschlag ⁄ Ozean
Signifikante Niederschlagszunahmen wurden
zwischen 1900 und 2005 im Norden Europas,
in östlichen Teilen von Nord- und Südamerika
und in Nord- und Zentralasien beobachtet.
Die durchschnittliche Temperatur des Weltozeans ist bis in Tiefen von mindestens 3000
Metern angestiegen. Diese Erwärmung trägt
zu einer Ausdehnung des Meerwassers und
einem Anstieg des Meeresspiegels bei.
Der Meeresspiegel ist von 1961 bis 2003 um
durchschnittlich etwa 1,8 Millimeter pro Jahr
gestiegen. Der gesamte Anstieg im 20. Jahrhundert beträgt 17 Zentimeter.
19
WIND ⁄ STURM
Beobachtungen belegen eine zunehmende
Aktivität starker tropischer Wirbelstürme im
Nordatlantik seit 1970, verbunden mit
einem Anstieg der tropischen Meeresoberflächentemperaturen.
Die Westwinde in den mittleren Breiten sind
in beiden Hemisphären seit den 1960er Jahren
stärker geworden.
21
H i n t e rgr u n d ⁄ Fa k t e n z u m K l i m a w a n d e l
Starkregen ⁄ PERMAFROSTBoden
Die Häufigkeit von Starkniederschlägen hat über
den meisten Landflächen zugenommen.
Die Temperaturen in den oberen Schichten des
Permafrostbodens sind in der Arktis seit den 1980er
Jahren um bis zu 3 Grad Celsius gestiegen.
Die maximale Ausdehnung der Fläche mit saisonal
gefrorenem Boden hat auf der Nordhalbkugel seit
1990 um etwa 7 Prozent abgenommen.
2 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
23
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a f o r s c h e r i m I n t e r v i e w
« Die Zeit drängt »
Prof. Thomas Stocker ist überzeugt: Die internationale Gemeinschaft sollte den
Klimawandel so schnell wie möglich eindämmen und die Ursachen bekämpfen. Seit über
zehn Jahren macht der renommierte Klimawissenschaftler der Universität Bern als
Mitglied des ‹ Intergovernmental Panel on Climate Change › der UNO ( IPCC/ Weltklimarat ) auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam. Im Gespräch verrät er, was ihm die
Arbeit für diese Organisation bedeutet, was er sich für die internationale Klimapolitik
wünscht und was es mit dem ‹ 2-Grad-Ziel › auf sich hat. Interview ⁄ NAdine Fieke
Alle Welt spricht vom Klimaziel ‹ 2 Grad ›. Auch die Ausstellung in Basel
trägt diesen Namen. Warum darf sich das Klima nicht um mehr als zwei Grad erwärmen?
Prof. T ho mas Sto c k e r ⁄ ‹ 2 Grad › ist nie eine
fixe Grenze gewesen, die die Wissenschaft festgelegt oder bestimmt hat. Es ist nicht so,
dass das Klimasystem bei 2,05 Grad kippt und
bei 1,95 Grad nicht. In dem Sinn sind die
‹ 2 Grad › ein politisch vereinbartes mögliches
Ziel. Ebenso das Ziel, bis zum Jahr 2020 die
CO2-Emissionen um 20 Prozent zu verringern.
Das alles sind Zahlen, die relativ einfach zu
kommunizieren und darum attraktiv sind für
die politischen Entscheidungsträger. Die Wissenschaft hat sich nicht dazu geäussert, ob das
‹ 2-Grad-Ziel › sinnvoll ist. Eines ist klar: Selbst
mit einem ‹ 2-Grad-Ziel › werden massive Klimaänderungen zu verzeichnen sein. So wird
beispielsweise der Meeresspiegel über mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte ansteigen,
selbst wenn die Erwärmung 2 Grad nicht überschreitet. Für gewisse Gebiete heisst das, dass
diese aufgegeben werden müssen.
M e r cator N ew s ⁄
M e r cator N ew s ⁄ Die Wissenschaft hätte
demnach gerne ein noch ehrgeizigeres
Klimaziel gesehen?
Prof. T ho mas Sto c k er ⁄ Selbstverständlich.
Am Ende lautet die Frage jedoch, was ist der
Mensch bereit, an Klimaschäden und Klimaeffekten zu ertragen. Und was ist er bereit, an
Emissionsreduktionen zu unternehmen.
Das ist eine Abwägung, die die Gesellschaft
machen muss.
2 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Und die ‹ 2 Grad › sind der
entsprechende Kompromiss.
Prof. Thoma s Stoc k er ⁄ Die ‹ 2 Grad › sind erst
einmal nur vorgeschlagen. Wir dürfen uns
keine Illusionen machen: Im Moment handelt
es sich dabei nur um ein formuliertes Ziel,
das überhaupt nicht bindend ist.
Me rc ator N e ws ⁄
Im Sommer 2010 bestimmten extreme Wetterereignisse die Nachrichten: In Pakistan haben die Menschen unter
einer verheerenden Flut gelitten, Waldbrände
hatten Russland im Griff, wo der heisseste
Sommer seit 130 Jahren herrschte. Sind das
bereits Folgen des Klimawandels?
Prof. Thoma s Stoc k er ⁄ Bei jedem Extremereignis kommt diese Frage auf. Und unsere
Antwort ist immer dieselbe: Ein einzelnes Ereignis kann nicht dem Klimawandel zugeordnet werden. Wir können nicht beweisen,
dass dieses Ereignis nicht aufgetreten wäre,
wenn die CO2-Konzentration noch vorindustriell wäre. Aber eines gilt es festzuhalten:
Die Hitzewellen folgen dem Muster, das von
den Klimamodellen vorausgesagt wird. Wir
hatten in Europa im Jahr 2003 eine grosse
Hitzewelle. Eine solche ist in dieser Stärke in
den letzten 500 Jahren nicht aufgetreten. Die
Modellprojektionen sagen uns, dass solche
Hitzewellen gegen Ende des 21. Jahrhunderts
häufiger werden und etwa zwei bis drei Mal
pro Jahrzehnt auftreten könnten. Was wir mit
den Fluten und mit den Hitzewellen sehen,
steht im Einklang mit dem, was die Modelle
uns sagen.
Me rc ator N e ws ⁄
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a f o r s c h e r i m I n t e r v i e w
Wir sollten den Klimawandel so schnell
wie möglich eindämmen und die Ursache
bekämpfen.
Prof e s s or Th o ma s Stoc k er ⁄ Un iver s ität Ber n
Wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen,
müssen wir also öfter mit solchen Extremsituationen rechnen?
Prof. T ho m a s Sto cker ⁄ Ich sage immer,
2003 war ein Fenster in die Zukunft.
Was wir in dem Sommer in Europa erlebt
haben, sind Dinge, an die wir uns
anpassen müssen.
Me rc ator N ew s ⁄
Me rc ator N ew s ⁄ Wissenschaftler sind
der Meinung, dass der Mensch für die Klimaerwärmung verantwortlich ist.
Prof. T ho m a s Sto cker ⁄ Ganz genau. An
diesen Extremereignissen können wir das
natürlich nicht einzeln aufhängen. Wir
können Statistiken untersuchen, ihre
Änderungen und die Ursachen für diese.
Aber die langfristigen Trends sprechen
eine klare Sprache. So konnte der globale
Temperaturanstieg wissenschaftlich in
einer kausalen Kette dem Anstieg von
CO2 zugeordnet werden. Das heisst, wenn
das CO2 in den letzten 250 Jahren in der
Atmosphäre nicht angestiegen wäre,
würden wir die globale Erwärmung heute
nicht erleben.
Me rc ator N ew s ⁄ Woher weiss man, dass
der Mensch für den CO2-Anstieg verantwortlich ist?
Prof. T ho m a s Sto cker ⁄ Mit dieser Frage
musste sich die Klimaforschung über
viele Jahre auseinandersetzen. Inzwischen ist die Vermutung zu einem Fakt
2 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
geworden. Der Anstieg von CO2 in der Atmosphäre wird zu einem Grossteil durch
die Verbrennung fossiler Brennstoffe
verursacht und zu etwa 20 Prozent durch
die Abholzung der Regenwälder. Das
kann man auf verschiedene unabhängige
Arten beweisen. Eine erste Methode ist,
dass man sich die Inventarmeldungen der
Fördermengen von fossilen Brennstoffen
anschaut und dann berechnet, wie viel
CO2 daraus in die Atmosphäre entlassen
worden ist. Das ist eine buchhalterische
Übung. Dann gibt es eine physikalische
Untersuchung, bei der wir den so genannten ‹ Fingerabdruck › des CO2 messen können. CO2 aus fossilen Brennstoffen hat eine andere isotopische Zusammensetzung als der Kohlenstoff, der
auf natürliche Weise in der Atmosphäre
oder im Ozean vorkommt, nämlich etwas
weniger 13 C und kein 14 C, die beiden
leicht schwereren Sorten des Kohlenstoffatoms. Eine weitere Beobachtung ist,
dass durch die Verbrennung der fossilen
Brennstoffe der Sauerstoffgehalt in der
Atmosphäre in einem bestimmten
Verhältnis abnimmt. All das können wir
messen.
M e rc ator N e ws ⁄ Wie dringend ist es,
gegen den Klimawandel zu handeln?
Wird die Zeit knapp?
Prof. Th o ma s Stoc k er ⁄ Die Frage muss
man herunterbrechen auf die einzelnen
Regionen. Wenn Sie jemanden in einer
Küstenregion fragen, wo der Meeresspiegel steigt, dann ist die Antwort klar.
Wenn Sie jemanden in alpinen Bereichen
fragen, wo die Gletscher zurückgehen,
ist die Antwort auch klar. Wir sollten den
Klimawandel so schnell wie möglich
eindämmen und die Ursache bekämpfen.
Es macht auch ökonomisch Sinn, sich
von der einseitigen Abhängigkeit fossiler
Brennstoffe, die endlich sind, zu lösen.
M e rc ator Ne ws ⁄ Wir sprechen immer
nur von ‹ eindämmen ›. Auch das ‹ 2-GradZiel › ist keine absolute Verhinderung des
Klimawandels. Wäre es theoretisch
möglich, die ganze Entwicklung umzukehren?
Prof. Thoma s Stoc k er ⁄ Theoretisch
kann man das immer tun. Wir haben Modellsimulationen gemacht, wo wir im
Jahr 2100 die Emissionen von einem Tag
auf den anderen abgestellt haben. Doch
wir mussten feststellen, dass zum Beispiel der Meeresspiegel noch viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte weiter ansteigt.
Das bedeutet, wir haben zu einem gewissen Grad bereits einen unumkehrbaren Klimawandel erreicht. Es kommt
hinzu, dass das CO2 in der Atmosphäre
keinen natürlichen Abbauprozess kennt
wie zum Beispiel das Treibhausgas
Methan. Wenn man heute die Methanemissionen auf null setzen würde, wären
in zehn Jahren nur noch 50 Prozent
der Methankonzentrationen in der At-
mosphäre vorhanden. Während das
Methan abnimmt, bleibt das CO2 sehr
lange in der Atmosphäre.
M e rc ator N ew s ⁄ Was kann man gegen
den Klimawandel tun? Welche Massnahmen schlagen Sie vor?
Prof. T hom a s Sto cke r ⁄ Zunächst einmal
ist es wichtig, den Ressourcenverbrauch
und die CO2-Emissionen vernünftiger zu
gestalten. Das bedeutet, dass man nur
noch die effizientesten Geräte und die effizientesten Fahrzeuge nutzt. Man müss­
te technologische Entwicklungen und
den Übergang in erneuerbare Energieträger massiv beschleunigen. Überall dort,
wo man die Energie lokal gewinnen kann,
zum Beispiel bei der Erwärmung des
Hauses oder bei der Mobilität, müsste
man die Energie direkt lokal zur Verfügung stellen. Ein Beispiel: Sie haben auf
Ihrem Haus Kollektoren, laden tagsüber
ein Speichermedium auf, kommen am
Abend mit Ihrem kleinen Fahrzeug nach
Hause, übertragen die Ladung auf das
Fahrzeug und am nächsten Tag können
Sie wieder 20, 30, 100 Kilometer fahren
– aber eben nicht mehr. Für längere Strecken müsste ein konsequenterer Umstieg
auf die öffentlichen Verkehrsmittel erreicht werden. Es wird in einer industriellen modernen Gesellschaft immer
individuelle Mobilität geben, das will
auch niemand abstellen. Aber man kann
diese viel effizienter gestalten.
Bilder
Eisbohrkerne aus der Antarktis liefern wertvolle Daten für die Klimaforschung: Die Abteilung
für Klima- und Umweltphysik der Universität
Bern, die Professor Thomas Stocker ( im Bild
auf Seite 25 ) leitet, ist weltweit führend in der
Bestimmung von Treibhausgaskonzentrationen aus antarktischem Eis. Die Wissenschaftler
können mit ihren Untersuchungen vergangene
Klimaänderungen rekonstruieren und Vorhersagen für zukünftige Klimaentwicklungen
machen.
27
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a f o r s c h e r i m I n t e r v i e w
Bilder
Wie gewinnt man wertvolle Klimadaten aus
einem Stückchen Eis? Der Doktorand Bernhard
Bereiter ( Foto oben ) von der Universität Bern
legt das Eis in das so genannte Luftextraktionsgerät. Darin wird es von einem Nadelhammer pulverisiert, die in vielen kleinen Bläschen
eingeschlossene Luft entweicht. Mit Hilfe von
Gasanalyse-Techniken kann man schliesslich die
Konzentration der CO2-Moleküle in der entwichenen Luft bestimmen.
2 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Seit 1997 engagieren
Sie sich als Klimawissenschaftler im IPCC
und machen auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam. Was bedeutet Ihnen
die Arbeit für diese Weltorganisation?
Prof. Th o mas Sto c k er ⁄ Für mich war
die Hauptmotivation immer, unseren Forschungsresultaten einen Mehrwert zu
geben. Die Sachstandsberichte des IPCC
sind an der Schnittstelle zwischen Wissenschaftlern und den politischen Entscheidungsträgern. Es ist etwas Besonderes, an
einem Produkt mit einer so grossen
Breitenwirkung zu arbeiten. So konnten
wir beim dritten Bericht von 2001 einige
ganz wesentliche Dinge in die KlimaDiskussion einbringen. Das war vor allem
die Aussage, dass der Klimawandel durch
den Menschen verursacht ist. Die Hauptaussage beim letzten Bericht 2007 war,
dass die Erwärmung und verschiedene andere Klimaveränderungen eindeutig
sind. Wir konnten detailliertere Voraussagen machen, insbesondere haben wir
erstmals auch Aussagen zur Veränderung
im Wasserkreislauf gemacht. Das war
sehr wichtig. Im nächsten Bericht 2013
werden wir sehen, was die Hauptmeldungen aus der Wissenschaft sind.
M e rc ator N e w s ⁄
M e rc ator N e w s ⁄ An Ihrer Motivation hat
auch die Kritik, die Anfang 2010 über das
IPCC hereinbrach, nichts geändert?
Prof. Th o mas Sto c k er ⁄ Absolut nicht,
im Gegenteil. Wenn wir ganz genau
hinschauen, dann ist kein einziger Punkt
im Bericht der Arbeitsgruppe 1 ‹ Wissenschaftliche Grundlagen ›, in der ich
tätig bin, kritisiert worden. Es ist enorm
wichtig, dass die Wissenschaft auch nach
diesen Druckversuchen weitermacht.
Die Fehler, die im Bericht der Arbeitsgruppe 2 aufgetaucht sind, ändern nichts
an der Grundaussage des IPCC: Der
Klimawandel findet statt und ist menschgemacht. Der gröbste Fehler war die
Aussage, dass die Himalaya-Gletscher bis
zum Jahr 2035 verschwinden werden.
Dieser und weitere Fehler sind jedoch
nicht bis in die Top-Level-Dokumente für
die politischen Entscheidungsträger
gekommen. Trotzdem gab es diese Fehler.
Trotzdem muss man klar festhalten, dass
das IPCC mit den Fehlern nicht richtig
umgegangen ist. Zurzeit arbeiten wir daran, diese Probleme aufzugreifen und
eine Art Krisenplan zu definieren, wie wir
genau vorgehen, falls noch einmal solche
Fehler auftreten sollten.
Me r c ator N e ws ⁄ Was erhoffen Sie sich
für die internationale Klimapolitik? Wie
sollte es weitergehen?
Prof. Thoma s Stoc k er ⁄ Die Vereinbarung eines verbindlichen Klimaziels ist
für mich die oberste Priorität. Aus dem
definierten Ziel leitet sich dann ab, wie
viele fossile Brennstoffe in Zukunft noch
in die Atmosphäre entlassen werden
dürfen. Das wiederum kann man dann
29
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a f o r s c h e r i m I n t e r v i e w
Es ist wirklich in unserer Hand, die Konsequenzen des Klimawandels nicht zur Realität
werden zu lassen.
Prof ess or T h o m a s Sto c k e r ⁄ Un i v ers i t ä t B ern
übersetzen in einen Fahrplan, wer wie
viel wann ausstossen darf. Man muss sich
auch Gedanken machen über Sanktionen für Länder, die ihre Vorgaben nicht
erfüllen wollen oder können. Zu all dem
muss man aber sagen: Klimaziele können
nur in bestimmten Zeitfenstern definiert
werden. Wenn wir jetzt über das Klimaziel ‹ 2 Grad › reden und die Emissionen
schreiten fort wie bisher, dann wird
dieses Klimaziel bis zum Jahr 2020 nicht
mehr erreichbar sein. Je nach Definition
des Klimaziels haben wir nur gewisse
Handlungsoptionen und diese Handlungsoptionen verschwinden mit der Zeit.
Wie zuversichtlich sind
Sie, dass sich in der internationalen
Klimapolitik bald etwas bewegt?
Prof. T ho m a s Sto cke r ⁄ Ich bin grundsätzlich immer ein Optimist. Aber beim
‹ 2-Grad-Ziel › drängt die Zeit langsam.
Mit dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls,
was 2012 der Fall sein wird, muss ein
neues verbindliches Vertragswerk da sein.
Kopenhagen ist ein erster Schritt in diese
Richtung gewesen. Aber die Grundvoraussetzung, um das Klimaziel zu erreichen, nämlich dass dieses Dokument
verbindlich ist, und dass alle an diesem
Tisch sitzen inklusive China und Indien,
ist noch nicht erfüllt.
Me rc ator Ne w s ⁄
3 0 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Was muss passieren,
damit die notwendigen Schritte
getan werden?
Prof. Th o mas Stoc k er ⁄ Man hofft
eigentlich immer auf die Vernunft. Aber
gerade in diesem Thema scheint diese
Vernunft nicht zu greifen, nicht weltweit.
Im Wesentlichen wusste man bereits
vor 30 Jahren um die Zusammenhänge im
Klimasystem. Man wusste um die Emissionen. Man wusste, was passiert, wenn
sie sich in diesem Masse weiterentwickeln.
Die Voraussagen des IPCC, die 1990
gemacht wurden, sind für die wesentlichen Grössen wie beispielsweise die global
gemittelte Temperatur effektiv eingetroffen. Was muss geschehen? Man kann sich
vorstellen, dass mit der Häufung der Extremwetterereignisse – denken wir an
Wirbelstürme, Hitzewellen oder Überflutungen – der Druck von der lokalen
Ebene auf die Politik so gross wird, dass
effektiv Aktionen folgen müssen. Aber
das wäre ein sehr hoher Preis. Es ist wirklich in unserer Hand, die Konsequenzen
des Klimawandels nicht zur Realität
werden zu lassen.
M e r c ator N e ws ⁄
Prof. Thomas Stocker
Thomas Stocker hat an der ETH Zürich
Umweltphysik studiert und 1987 mit dem
Doktorat abgeschlossen. Nach Forschungsaufenthalten am University College (London), an
der McGill University (Montreal) und an der
Columbia University (New York) wurde er 1993
als Professor an das Physikalische Institut der
Universität Bern berufen, wo er die Abteilung
für Klima- und Umweltphysik leitet. Die Forschungsabteilung ist weltweit führend in der
Bestimmung der Treibhausgaskonzentrationen
anhand von Eisbohrkernen aus der Antarktis
und der Modellierung von vergangenen und
zukünftigen Klimaänderungen. Thomas Stocker hat mehr als 150 wissenschaftliche Artikel
publiziert und durfte verschiedene wissenschaftliche Auszeichnungen entgegennehmen.
Für seine Arbeiten erhielt er den Nationalen Latsis Preis, den Dr. h.c. der Universität
Versailles und die Hans Oeschger Medaille der
European Geosciences Union. Nach zehn Jahren Engagement im ‹ Intergovernmental Panel
on Climate Change › (IPCC) der UNO wurde
er im September 2008 zum Vorsitzenden der
Arbeitsgruppe 1 ‹ Wissenschaftliche Grundlagen › gewählt.
IPCC
Das ‹ Intergovernmental Panel on Climate
Change › (IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss
für Klimaänderungen) ist die führende wissenschaftliche Institution für die Beurteilung
der globalen Klimaänderung. Das Fachgremium, das oft auch Weltklimarat genannt wird,
wurde 1988 vom Umweltprogramm der UNO
und der Weltorganisation für Meteorologie
(WMO) gegründet. Es liefert wissenschaftliche
Grundlagen über den aktuellen Wissensstand
zum Klimawandel sowie seine möglichen
Auswirkungen auf Gesellschaft, Umwelt und
Wirtschaft. Im Jahr 2007 wurde das IPCC mit
dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Bilder
Bohrprojekte in der Antarktis sind sehr aufwändig und teuer, deshalb ist internationale
Zusammenarbeit gefragt: Im Bild rechts oben
ist ein Tiefbohrprojekt in Grönland zu sehen,
das unter der Leitung von Dänemark steht und
an dem 15 Nationen beteiligt sind. Die Bohrkerne, die auf Seite 27 zu sehen sind, wurden
bei der Station Dome Concordia (Foto oben
links) gewonnen, die unter französisch-italienischer Leitung steht.
31
Bilder
Wie entwickelt sich das Wetter? Die
Meteorologen Urs Sutter (rechts) und Felix
Schacher betrachten die zahlreichen Wetterkarten, die täglich in der Wetterzentrale
einlaufen.
O be n ⁄
Un te n ⁄ Die rund 700 Messstationen in der
Schweiz reichen nicht aus, um das Wetter zuverlässig vorherzusagen. « Unser Wetter
kommt häufig aus Frankreich », erklärt Bärbel
Zierl. Internationale Zusammenarbeit ist in
der Meteorologie unerlässlich.
Nä c hs te Se i t e ⁄ Teamarbeit ist gefragt,
wenn es um Wettervorhersagen geht. Die
Meteorologen müssen die zahlreichen Daten
in einen Zusammenhang setzen, analysieren
und interpretieren.
3 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
HIN T E R G R UND ⁄ W e t t e r v o r h e r s a g e n
Daten-Künstler und Wetterfeen
Ohne ihre Vorhersagen kann kein Flugzeug starten. Wanderer verlassen sich auf ihre
Prognosen, Bauleiter sichern die Baustelle, sobald sie eine Unwetterwarnung herausgeben. Die Meteorologen von MeteoSchweiz beobachten im Auftrag des Bundes das
Wetter über der Schweiz. Jeden Tag. 24 Stunden lang. Sie wissen, wann es stürmt,
wann es schneit und wann die Sonne scheint. Aber woher eigentlich? Ein Besuch in der
Wetterzentrale in Zürich. text ⁄ Nadine Fieke
Die ganze Wand ist voll mit Zetteln. Linien
sind darauf. Zahlen. Europa kann man erkennen. Hier und da sind Bereiche eingefärbt.
Grün. Oder gelb. Zweimal täglich spucken die
Computer in der Wetterzentrale von MeteoSchweiz in Zürich die Wetterkarten aus – und
diese landen an der Wand; den Tagen Montag
bis Sonntag zugeordnet. « Die Kunst ist, aus
all diesen Daten die richtige Auswahl zu
treffen », erklärt der Meteorologe Urs Sutter.
Trotz aller Technik, trotz all der Computermodelle: Für eine gute Wettervorhersage
sind nach wie vor das Wissen und die Erfahrungen der Meteorologen gefragt. Sie müssen
die Daten in einen Zusammenhang setzen,
sie müssen sie interpretieren. « Das ergibt oft
spannende Diskussionen im Team », sagt
Urs Sutter. Teamarbeit ist sehr wichtig, vor
allem bei extremen Wetterereignissen unentbehrlich. Wie entwickelt sich der Sturm?
Ist mit Überflutungen zu rechnen? Drohen Gefahren für Menschen? Für Gebäude? Für
Strassen? « Da haben wir schliesslich eine
grosse Verantwortung », weiss der Meteorologe. Ist erst einmal eine Unwetterwarnung an
Behörden und Bevölkerung gegangen, wird
die Situation ununterbrochen beobachtet,
um entsprechend zu reagieren. Kann Entwarnung gegeben werden? Oder muss man die
Gefahrenstufe gar erhöhen?
Bärbel Zierl steht auf
der grossen Dachterrasse der MeteoSchweizZentrale in der Krähbühlstrasse 58. Der Blick
auf den Zürichsee ist wunderschön. Sie zeigt
7 00 M es s s tat i o ne n ⁄
darüber hinweg, in die Ferne: « Dort hinten
auf dem Albis haben wir einen Niederschlagsradar », erzählt die Meteorologin und
Mediensprecherin von MeteoSchweiz. Es ist
einer von dreien im Land. Die anderen stehen
auf dem Monte Lema (Tessin) und dem La
Dôle (Jura). An insgesamt 700 Standorten
überwacht das Bundesamt für Meteorologie
und Klimatologie die Entwicklung des Wetters.
Dabei helfen zahlreiche Bodenstationen,
Webcams sowie Spezialmessgeräte an Flughäfen. Temperatur- und Niederschlagsmessungen, Windmessungen, Messungen der Luftfeuchtigkeit und der Globalstrahlung, sogar
Pollenmessungen werden regelmässig
gemacht. Viermal täglich startet am Standort
in Payerne ein Wetterballon, der meteorologische Daten aus über 30 Kilometern
Höhe liefert.
Trotz all dieser Datensammlungen sind
zuverlässige Wettervorhersagen ohne internationale Zusammenarbeit nicht möglich.
« Unser Wetter kommt häufig aus Frankreich »,
erklärt Bärbel Zierl. Weil Wind und Wolken
keine Grenzen kennen, gab es schon im frühen 19. Jahrhundert internationale Konferenzen, wie man die Wetterdaten austauschen
könnte. Heute ist MeteoSchweiz an den
Wettersatelliten Meteosat der Europäischen
Union beteiligt. Ebenso am Europäischen
Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage
(EZMW) in England, das das weltweit führende Wettervorhersagemodell betreibt. « Das
Zentrum berechnet mit Daten aus allen
Ländern der Welt eine globale Wetterprogno-
33
se », weiss Bärbel Ziel. Daneben liefert
das Wettervorhersagemodell COSMO von
MeteoSchweiz alle drei Stunden lokale
Vorhersagen für die Schweiz. All diese
Daten fliessen täglich im Rechenzentrum
des nationalen Wetterdienstes zusammen, werden verarbeitet und von den
Experten ausgewertet.
Gesc hic h t e g i bt A u fs ch l u s S ⁄ Seit über
125 Jahren beobachtet MeteoSchweiz das
Wetter über dem Alpenland. Über die
Jahre sind da viele Daten erfasst, viele
Wetterkarten gezeichnet worden. Sie alle
stehen in Jahresbänden gebunden ordentlich sortiert in einem Bücherregal in
der Wetterzentrale. Und auf diese historischen Daten können die Meteorologen
von heute bei Bedarf zurückgreifen. « Wir
können nachsehen, wann es bereits
ähnliche Wetterlagen gab und wie sich
das Wetter damals entwickelt hat », sagt
Urs Sutter. « Das hilft bei Prognosen
für heutige Wetterentwicklungen. » Alle
alten Wetterkarten sind in einer Datenbank erfasst, so lassen sich die entsprechenden Seiten in den Jahresbänden
schnell finden. Auch Statistiken sind für
Wetterprognosen sehr hilfreich: « Gerade
im Herbst ist es zum Beispiel für die
Flughäfen wichtig zu wissen, wann die
Bildung von Nebel anfängt », betont Urs
Sutter. Durch die Auswertung vergangener Beobachtungen kann MeteoSchweiz
hier Vorhersagen machen.
3 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Die Basisprognosen werden im Internet veröffentlicht, viele Daten den Kunden direkt
zugestellt. Dazu zählen auch die privaten
Wetterdienste, die den Service von
MeteoSchweiz abonniert haben. So werden zwar Informationen der Bundesstelle
für die Wettervorhersage im Schweizer
Fernsehen genutzt – « doch mit den Wetterfeen haben wir nichts zu tun »,
betont Bärbel Zierl und räumt ein häufiges Missverständnis aus dem Weg. Denn
auch wenn die Namen ganz ähnlich
klingen, stehen hinter den Meteo-Sendungen im Fernsehen private Wetterdienste wie SF Meteo oder MeteoNews
mit eigenem Personal.
Vor rund 30 Jahren war das noch anders: Damals liefen die ersten von
Meteorologen präsentierten Wettervorhersagen im Schweizer Fernsehen,
zuständig war seinerzeit noch der nationale Wetterdienst des Bundes. « Felix
Schacher war einer der ersten FernsehWetterfrösche », sagt Bärbel Zierl.
Der Meteorologe lächelt, blickt von seinen vier Bildschirmen auf und nickt.
« Das war Anfang der 1980er Jahre in der
Feierabend-Familiensendung Karussell »,
erzählt er. Damals gab es noch keine
täglichen Wetterberichte im Fernsehen.
Nur am Freitag wurde das Wochenendwetter vorhergesagt – live vor einer
Filzwand, auf der handgemalte Wetterkarten befestigt waren. « Je nach
D ate n für We tte rdie ns te ⁄
Wetter haben wir dann ein Pferd mit
Wanderschuhen oder mit Regenschirm
bei der entsprechenden Region platziert », erinnert sich Felix Schacher und
schmunzelt. « Der Höhepunkt war immer,
wenn die Pferdchen runtergefallen sind. »
Viel hat sich seit den ersten Wettervorhersagen im Fernsehen verändert:
Die Technik wurde immer moderner, der
Service ging von staatlicher in private
Hand über und wird mittlerweile mehrmals täglich ausgestrahlt. Auch die
Prognosen wurden immer genauer: Fünf
Tage kann man das Wetter heute relativ zuverlässig vorhersagen. Bis zu zehn
Tage ist ein guter Trend möglich. Und
noch eine Beobachtung hat Urs Sutter gemacht: « Bei den Menschen ist eine
immer grössere Erwartungshaltung zu
beobachten. Sie wollen ganz genau
wissen, wie bei ihnen vor Ort das Wetter
wird. » Lohnt es sich, ein Wochenende
in den Bergen zu planen? Muss das Lokal
sein Personal aufstocken, weil man die
nächsten Tage Stühle und Tische rausstellen kann? « Leider stossen wir irgendwo an die Grenzen der Natur », betont
der Meteorologe. « Eine 100-prozentig
richtige Vorhersage ist nicht möglich. »
Regenreiche
Sommer sind
ganz normal
D e r At l a n t i k u n d d i e A l p e n p r ä g e n
das Klima der Schweiz
text ⁄ Nadine Fieke
« Das war doch gar kein richtiger Sommer in diesem Jahr. » Wie oft hat Stephan
Das Bundesamt für Meteorologie und KlimatoBader diesen Satz schon gehört. Auch die
logie überwacht als nationaler Wetterund Klimadienst der Schweiz die gesamte AtSommermonate 2010 waren für manch
mosphäre über der Schweiz, erstellt Wettereinen Sonnenhungrigen enttäuschend:
prognosen, warnt Behörden und Bevölkerung
Zu
viel Regen, klagen sie, recht frische
vor gefährlichen Unwettern und analysiert
Klimadaten. Es gibt drei Regionalzentren in
Temperaturen – bis auf eine kurze
Zürich, Genf und Locarno, das Zentrum für me- Hitzephase von Mitte Juni bis Mitte Juli.
teorologische Messtechnik in Payerne, die
« Doch gerade diese Hitzeperiode war
Ozonmessungen in Arosa sowie die Flugwetterdienste an den Flughäfen Zürich und Genf.
ungewöhnlich », erklärt der Klimatologe
Bodenmessstationen, Wetterradars, Satelliten,
von MeteoSchweiz.
Radiosonden und andere FernerkundungsSchweizer Sommer sind wechselhaft,
instrumente erfassen das Wetter in drei Dimensionen. Nationale und internationale
eher kühl und feucht. Schuld daran ist
Forschungsprojekte tragen zum besseren Verder Atlantik. « Er ist die Wetterküche der
ständnis des Wetters und Klimas im AlpenSchweiz »,
sagt Stephan Bader. Dort
raum bei. MeteoSchweiz ist beim Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) angesieentsteht die feucht-milde Meeresluft, die
delt und offizielle Vertreterin der Schweiz in
die vorherrschenden Strömungen aus
der Weltorganisation für Meteorologie in Genf
und in anderen internationalen Organisationen. westlichen Richtungen in die Schweiz tragen. Im Sommer wirkt die Meeresluft
W e i t e r e I n for m at i o n e n
kühlend, im Winter wärmt sie und das
www.meteoschweiz.admin.ch
ganze Jahr über fällt in den meisten Gebieten ausreichend Niederschlag. Tatsächlich regnet es in den Sommermonaten sogar mehr als im Winter.
MeteoSchweiz
W i r k s ame K l i ma s c hra nk e ⁄ « Die Alpen
wirken als markante Klimaschranke
zwischen der Nord- und Südschweiz »,
erklärt Stephan Bader. Und davon
profitiert der Süden. Die Wolken regnen
vor allem im Norden ab, so bleibt die
Südschweiz oft trocken. Wenn es dort
regnet, dann durch südwestliche
oder südliche Windströmungen oder im
Sommer aufgrund von Gewittern.
Die Alpen verriegeln auch den kühlen
nördlichen Luftmassen den Weg.
Damit ist der Sommer wärmer und der
Winter deutlich milder als im Norden
des Landes.
Doch bei den Diskussionen um gute
und schlechte Sommer fällt auf: Die
langjährige Durchschnittstemperatur des
Sommers ist in der Schweiz seit den
1980er Jahren um knapp 2 Grad angestiegen. Lag sie im Mittelland früher bei
rund 17 Grad, bewegt sie sich dort heute
bei knapp 19 Grad. « Mit dieser markanten Temperaturzunahme innerhalb
weniger Jahre kommt der Klimawandel
klar zum Ausdruck », betont Stephan
Bader.
Wie de r s c hne e re ic he Win te r ⁄ Und wie
wird der Winter 2010 / 2011? « Eine Vorhersage über einen so langen Zeitraum
ist leider nicht möglich », bedauert
Stephan Bader. Aber als Winterfreund
hofft er auf einen schönen, schneereichen Winter – und die Statistiken unterstützen seine Wünsche: Die Zeiten der
extrem schneearmen Winter der 1990er
Jahre scheinen mit Beginn des neuen
Jahrtausends vorbei zu sein. « Die Luftströmungen im globalen Kreislauf
haben sich geändert. Damit haben in den
letzten Jahren wieder schneereichere
Winter Einzug gehalten », freut sich der
Klimawissenschaftler.
35
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a m o d e l l e
Computermodelle erlauben einen
Blick in die Zukunft
Auch die Schweiz wird den Klimawandel zu spüren bekommen: Die Temperaturen werden
steigen, im Winter wird es mehr regnen, die Gletscher werden weiter schmelzen, der
Permafrostboden auftauen. Das sagen computergestützte Klimamodelle und aufwändige Berechnungen der Klimawissenschaftler voraus. TEXT / Prof. Reto Knutti, ETH Zürich
Die Konzentrationen von Treibhausgasen wie
Kohlendioxid (CO2) in der Luft sind heute
wesentlich höher als jemals zuvor in den letzten 800 000 Jahren. Die Ursache dafür ist
der hohe Verbrauch von Energie und die
Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Die
Folgen sind bereits heute deutlich sichtbar:
Seit einem Jahrhundert steigen die globalen
Temperaturen, der Wasserkreislauf ändert sich,
Extremereignisse nehmen zu, der Meeresspiegel steigt und die Gletscher schmelzen.
Ko m p le x e B e r e c h nu n gs m od e l l e ⁄ Das Klimasystem ist komplex und wird von vielen
Faktoren beeinflusst. So zum Beispiel durch
Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre
und dem Ozean, den Wolken, dem Meereis
und den Prozessen, die auf dem Land stattfinden. Mit detaillierten Computerprogrammen,
die alle diese Faktoren, also alle relevanten
Teile des Klimas, beschreiben, können die
Klimaforscher Prozesse verstehen, die Vergangenheit analysieren und in die Zukunft blicken. Die Erde wird dabei mit einem Gitter
überzogen, und für jedes dieser Gitterelemente wird berechnet, wie warm es wird, wieviel
Wasser verdunstet oder wieviel Energie von
der Sonnenstrahlung ankommt. Die Grundidee ist ähnlich wie bei einer Wettervorhersage – nur dass die Klimaszenarien vor dem
Jahr 1900 starten und mindestens 100 Jahre in
die Zukunft blicken.
Die Berechnungen der Klimamodelle für
das vergangene Jahrhundert belegen den
Einfluss des Menschen auf die Temperaturän-
3 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
derungen deutlich. Für die Zukunft zeigen
sie, dass die Entwicklung stark von der
Frage abhängt, wieviel und welche Art von
Energie künftig verbraucht wird. Ohne massive Intervention und ohne Massnahmen
zur Reduktion des Treibhausgasaustosses, vor
allem in den Bereichen Transport, Industrie,
Energieproduktion und im Bausektor, werden sich die beobachteten Klimaänderungen
mit Sicherheit fortsetzen und verstärken.
Die von vielen Ländern und Wissenschaftlern als gefährlich betrachtete globale Erwärmung von 1 Grad Celsius im Vergleich
zu heute (oder 2 Grad gegenüber der Zeit vor
1900) wird in weniger als 50 Jahren überschritten sein.
Kl ima w a nde l in de r Sc hwe iz ⁄ In allen Szenarien der künftigen Emissionsentwicklung
wird für die Schweiz bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung vorhergesagt. Mit starker Intervention und einem globalen Klimaabkommen könnte diese bei rund 2 Grad, in
einem pessimistischen Fall mit hohen Treibhausgasemissionen jedoch bei bis zu 5 Grad
gegenüber 1900 liegen. Für den Sommer
sagen die Modelle für die Schweiz tendenziell
eine Abnahme, für den Winter eine Zunahme
der Niederschläge voraus. Permafrostböden
tauen auf, viele Gletscher werden bis zum Jahr
2100 fast oder ganz verschwunden sein. Ein
verändertes Landschaftsbild und Auswirkungen auf den Tourismus sind mit den Folgen
des Klimawandels zu erwarten. Zwar werden
wir wohl weiterhin genügend Wasser in der
Jede Tonne CO2 ist eine Tonne CO2 , ob heute
ausgestossen oder in 20 Jahren, ob bei uns
oder in China. Und sie wird über sehr lange
Zeit Schaden anrichten.
Prof e s s or R e to Knu tt i ⁄ ETH Zü r ich
Schweiz haben, aber eine frühere
Schneeschmelze wird zu höheren Abflüssen führen – mit der Gefahr von Hochwasser im Frühling und Trockenheit im
Sommer. Dies wiederum betrifft die
Landwirtschaft besonders stark. Die grossen Muster der Klimaveränderung sind
klar, diese können dank der Klimamodelle mit hoher Sicherheit vorausgesagt
werden. Zuverlässige Voraussagen auf
lokaler Ebene sind jedoch sehr schwierig.
In einem Alpental ist zum Beispiel der
Einfluss der Topographie auf das Wetter
entscheidend. Dieser Einfluss kann in
den wissenschaftlichen Modellen wegen
der zu groben Auflösung der genannten
Gitter nur ungenügend dargestellt
werden. Damit sind Veränderungen in
Extremereignissen wie Starkniederschlägen nicht präzise vorauszusagen. Die
relevanten Prozesse sind zu kleinräumig
und komplex. Eines kann man jedoch
festhalten: Generell wird eine Zunahme
von Extremereignissen, insbesondere von
Hitzewellen und Trockenperioden, tendenziell aber auch von Starkniederschlägen vorausgesagt. Die Hochwasser in den
Jahren 2005 und 2007 oder der Hitzesommer 2003 könnten also Vorboten dieser
Entwicklung sein. Solche Ereignisse verursachen oft Schäden in Millionenoder sogar Milliardenhöhe. Die Herausforderung für die Klimaforschung ist es,
ihre Modelle so weiterzuentwickeln, dass
auch für lokale Voraussagen eine hohe
Zuverlässigkeit garantiert werden
kann. Die steigenden Rechenkapazitäten
der Computer sowie bessere Beobachtungsnetze werden in Zukunft helfen, die
verbleibenden Unsicherheiten zu
reduzieren.
U md e nk e n i s t ge fr a gt ⁄ Ohne massives
Umdenken der Menschen wird sich
die Klimaproblematik weiter verstärken.
Eine Anpassung an erwartete oder
beobachtete Folgen des Klimawandels allein kann keine nachhaltige Strategie
sein; obwohl eine gewisse Anpassung unvermeidlich ist und zum Beispiel mit vermehrtem Fokus auf Sommer- statt Wintertourismus oder dem Einsatz von
Schneekanonen zweifellos heute schon
im Gang ist. Nur ein Umdenken und
die Entscheidung für ein anderes Verhalten, also für eine massive Reduktion der
Treibhausgasemissionen, können die globale Erwärmung stoppen. Um diese
weltweit auf unter 2 Grad zu begrenzen,
müssten die Emissionen von CO2 und
anderen Treibhausgasen bis zum Jahr
2050 mindestens halbiert, in der Schweiz
wohl um 80 bis 95 Prozent reduziert
werden. Das Problem: Die heute von den
verschiedenen Ländern bei den Klimaverhandlungen vorgeschlagenen Zahlen
sind weit davon entfernt.
Bild
Hitzewellen nehmen zu: Die Grafik zeigt, dass
der Temperaturanstieg der drei wärmsten aufeinanderfolgenden Sommertage in den Jahren
2021 bis 2050 im Vergleich zu 1961 bis 1990
rund 2 Grad betragen wird.
0.5
1
1.5
2
2.5
Prof. Reto Knutti
Reto Knutti ist Assistenzprofessor für Klimaphysik am Institut für Atmosphäre und Klima
der ETH Zürich. In seiner Forschung befasst
sich Reto Knutti mit den Veränderungen im
globalen Klimasystem, die durch den steigenden menschlichen Ausstoss von Treibhausgasen verursacht werden. Aus seiner Arbeit
sind zahlreiche Publikationen hervorgegangen,
die entscheidend zu einem besseren Verständnis der Unsicherheiten von Klimaprognosen
beigetragen haben. Reto Knutti ist Mitautor
des neusten Klimaberichts des ‹ Intergovernmental Panel on Climate Change › (IPCC).
37
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a d at e n
Lernen aus der Vergangenheit
Wer extreme Wetterereignisse verstehen möchte, muss in die Vergangenheit
blicken: Historische Daten helfen Klimawissenschaftlern dabei, aktuelle
Ereignisse einzuordnen und zu beurteilen. Mit modernster Technik ist es heute
möglich, das globale Wetter zurück bis ins 19. Jahrhundert zu rekonstruieren.
text ⁄ Prof. Stefan Brönnimann, Universität Bern
Die Extremereignisse des vergangenen
Sommers – Hitzewelle in Russland,
starke Monsunniederschläge und Überflutungen in Pakistan – haben uns einmal
mehr vor Augen geführt, wie verletzlich
die Menschen gegenüber Wetterextremen
sind. Die Ereignisse in beiden Ländern
sind besonders beängstigend vor dem
Hintergrund, dass Wetterextreme wie diese in Zukunft häufiger vorkommen
werden. Die Folgen der beiden Ereignisse
für die betroffene Bevölkerung sind verheerend, die internationale Solidarität ist
gefordert, und Langzeitstrategien müssen entwickelt werden, damit bessere
Vorkehrungen getroffen werden können.
200 Jah r e a lt e K li m a d at e n ⁄ Dabei spielen auch Klimadaten eine Rolle. Einerseits braucht es die aktuellen meteorologischen Daten; diese müssen genauestens
analysiert werden, um die Ereignisse
dieses Sommers zu verstehen. Es ist ein
zukunftsgerichtetes Überwachungssystem nötig – und dazu gehören Klimadaten. Genauso wichtig sind aber auch
Informationen über die Klimavergangenheit. Mit diesen ist es möglich, die aktuellen und zukünftigen Ereignisse
einzuordnen und zu beurteilen. Wichtig
sind insbesondere die Daten der vergangenen 100 bis 200 Jahre. Diese Periode markiert den Übergang eines Klimasystems, das kaum durch den Menschen beeinflusst wurde, zu einem
3 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
System, das der Mensch stark mitprägt.
Leider stehen meteorologische
Daten aus der Vergangenheit aber nicht
einfach so zur Verfügung. Zwar wurde
vielerorts das Wetter beobachtet oder
gemessen, die Messdaten der Stationen
wurden meist auch an zentrale Stellen
weitergeleitet und dort beispielsweise in
Form von Jahrbüchern publiziert. Aber
nur ein Teil dieser Daten hat den Sprung
ins elektronische Zeitalter geschafft.
Viele wertvolle Beobachtungen existieren
immer noch ausschliesslich auf Papier.
Ein Problem ist ausserdem, dass über
lange Zeit nur Monatsmittelwerte erfasst
wurden, weil diese für die meisten
klimatologischen Fragestellungen der
damaligen Zeit genügten.
V e r änd e rt e Anforder u nge n ⁄ In den
vergangenen Jahren haben sich die
Anforderungen an historische Klimadaten jedoch stark verändert. Immer
mehr stehen Extremereignisse im
Zentrum des Interesses. Dazu benötigt
man Einzelwerte und keine Monatsmittelwerte; und diese über eine möglichst lange Zeit. Heute gibt es immer
bessere numerische Verfahren, um
die verstreuten Messdaten in sinnvolle
Produkte umzusetzen. Aus verhältnismässig wenigen historischen Messungen kann man mittlerweile mit Hilfe
eines Wettermodells das globale Wetter
dreidimensional und zeitlich hochaufge-
löst rekonstruieren – zurück bis ins
19. Jahrhundert. Solche Datenprodukte
werden insbesondere auch für die
Beurteilung von Extremereignissen von
grossem Nutzen sein.
Mit diesen Entwicklungen erhalten
alte, verstaubte Wetterdaten auf einmal
wieder eine sehr grosse Bedeutung.
Diverse Projekte befassen sich zurzeit
damit, historische Wetterdaten zu finden,
zu fotografieren, zu digitalisieren, zu
korrigieren und damit der Wissenschaft
und der Allgemeinheit zugänglich zu
machen. Der erste Schritt gleicht oft
mühsamer Detektivarbeit. Gute Kontakte
und behutsames Vorgehen sind entscheidend, um überhaupt Zugang zu den
Archiven zu erhalten. Der zweite Schritt
kommt einer Rettung von Kulturgut
gleich, denn oft ist das Papier zersetzt
und das Wissen um die Daten geht
verloren. Die Daten werden in einem
digitalen Format gespeichert, aber noch
nicht als Zahlenwerte. Die Zahlen auf
den Fotos müssen erst digitalisiert
werden, meistens durch Abtippen. Erst
dann sind die Messungen als Zahlenwerte greifbar. Bis Klimawissenschaftler
diese nutzen können, sind noch viele
weitere Schritte der Qualitätskontrolle
und Korrekturen nötig.
Die
meteorologischen Daten, die unsere
Vorfahren mit viel Fleiss und Einsatz
Gr u ndl a ge de r F or s c hu n g ⁄
gemessen haben, bilden somit die Grundlage der meteorologischen Datensätze
des 21. Jahrhunderts, auf denen beispielsweise Vorkehrungen gegen Folgen von
Wetterextremen beruhen werden. Diese
Daten nutzbar zu machen, ist ein grosses,
breit abgestütztes Unternehmen und
erfordert weltweite Koordination. Jeder
Einzelne kann übrigens selbst zu diesem
Unternehmen beitragen. Wenn die
immense Arbeit der Datendigitalisierung
auf möglichst viele Personen verteilt
wird, lässt sich mehr erreichen. Auf den
unten stehenden Websites kann jeder
Interessierte Hand anlegen – und dabei
auch ein Stück Wissenschaft erfahren.
Prof. Stefan Brönnimann
Stefan Brönnimann ist Klimatologe am
Oeschger Zentrum für Klimaforschung und
am Geografischen Institut der Universität Bern.
In seiner Forschung beschäftigt er sich mit
grossräumigen Klimaschwankungen in den
vergangenen 150 Jahren – mit Phänomenen
wie El Niño, Dürren oder Vulkanausbrüchen.
Die Arbeiten beruhen zu einem grossen Teil
auf der Aufarbeitung historischer Daten und
dem Vergleich mit Klimamodellen.
W e i t e r e I n for m at i o n e n
www.data-rescue-at-home.org
www.oldweather.org
39
HIN T E R G R UND ⁄ B i o d i v e r s i t ä t
Suche nach neuen
Lebensräumen
Der Klimawandel fordert Tiere und Pflanzen heraus: Wenn die Temperaturen
steigen, wenn sich Niederschläge ändern und wenn sich extreme Wetterereignisse häufen, müssen Tiere und Pflanzen reagieren. Entweder sie passen
sich schnell an oder sie suchen sich neue Lebensräume. Doch die Natur setzt
diesem Prozess Grenzen, viele Arten drohen auszusterben.
Text/ Prof. Bruno Baur, Universität Basel
Prof. Bruno Baur
Bruno Baur ist Professor für Naturschutzbiologie und Leiter des Instituts für Natur-, Landschafts- und Umweltschutz an der Universität
Basel. Er ist Mitgründer und Mitglied des
Beirats des Forums Biodiversität der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften.
Seine Forschungsschwerpunkte sind anthropogene Veränderungen der Biodiversität, invasive (gebietsfremde) Arten und die Biologie
von seltenen und gefährdeten Arten.
In erdgeschichtlichen Zeiträumen haben
sich die klimatischen Bedingungen
immer wieder verändert. Das führte dazu,
dass sich die Lebensräume von Tieren
und Pflanzen wandelten – oder dass
verschiedene Arten ausstarben. Dies ist
ein natürlicher Prozess. So wurden auch
nach Ende der Eiszeiten mit dem Rückzug der Gletscher eisfreie Gebiete wiederbesiedelt. Die früheren Temperaturveränderungen fanden aber oft über lange
Zeiträume von 1000 und mehr Jahren
statt. Im Gegensatz dazu verläuft die
derzeitige globale Klimaerwärmung viel
schneller. Die Reaktionen auf die Umweltveränderungen fallen je nach Tier- und
Pflanzenart unterschiedlich aus. Anpassungen durch natürliche Selektion
können von einer Generation zur nächsten auftreten. Da Anpassungen von der
Generationsdauer abhängig sind, vergeht
beispielsweise bei Baumarten mit Generationslängen von mehr als 100 Jahren
viel Zeit, bis sie wirksam werden.
Art e n s i nd zu l a n gs a m ⁄ Wenn sich das
Klima in den nächsten 100 Jahren um
3 Grad Celsius erwärmt, werden sich die
Vegetationszonen auf der Nordhalbkugel um rund 600 Kilometer von Süden
nach Norden und um rund 600 Meter in
die Höhe verschieben. Viele Arten werden
diese Wanderung nicht mitmachen können; sie sind einfach zu langsam. Die
meisten Baumarten können sich mit ei-
4 0 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
ner Geschwindigkeit von etwa 100 Kilometern in 100 Jahren ausbreiten, viele
alpine Pflanzen um 50 Höhenmeter in
100 Jahren. Es können bereits Veränderungen in den Ausbreitungsgebieten
der Arten festgestellt werden: So dehnte
sich in den vergangenen 30 Jahren die
nördliche Ausbreitungsgrenze der Vögel
auf den britischen Inseln um rund 30
Kilometer in Richtung Norden aus, diejenige der Libellen um 80 Kilometer.
Star k e Au sw irk u nge n in de n Alpen ⁄ Im
Alpenraum zeigt sich die Klimaerwärmung besonders deutlich. Der Anstieg
der Temperaturen ist im Vergleich
zum globalen Trend rund doppelt so
hoch, das heisst, die mittleren Temperaturen sind seit 1970 um rund 1,5 Grad
Celsius gestiegen. Bis zum Jahr 2100
muss mit einer Zunahme der Sommertemperaturen von 3,5 bis 7 Grad Celsius
gerechnet werden. Ein Durchschnittssommer wird dann in etwa dem Hitzesommer 2003 entsprechen. Dazu wird
es im Sommer deutlich trockener, im
Winter feuchter. Diese sich rasch verändernden Klimabedingungen haben grosse
Auswirkungen auf alpine Ökosysteme.
Von den knapp 4500 Pflanzenarten in den
Alpen sind etwa 500 endemisch, das
heisst, sie kommen nur in diesem
Gebirge vor. Damit bilden die Alpen die
floristisch reichhaltigste Region Mitteleuropas. Gemäss Modellberechnungen
sind 45 Prozent der Pflanzenarten in
den Alpen bis zum Jahr 2100 vom Aussterben bedroht. Auf dem Rückzug sind
bereits alle extremen Hochlagenarten,
die so genannten Nivalpflanzen, wie etwa
der Gletscher-Hahnenfuss oder der Alpen-Mannsschild. Ihr Lebensraum wird
sich bei weiterer Erwärmung durch
nachrückende konkurrenzstärkere Arten
weiter einengen. Beim Alpen-Mannsschild ist dies umso dramatischer, weil
dieser ausschliesslich in den Alpen
vorkommt.
Grosse Probleme entstehen auch,
wenn die veränderten Temperaturen
Wechselwirkungen zwischen den Arten
beeinflussen. So findet der Austrieb der
Blätter von Laubbäumen immer früher
statt. Dadurch setzt auch die Entwicklung der Raupen, die für Trauerschnäpper,
Meisen und andere Vogelarten die wichtigste Futterquelle zur Aufzucht der
Jungen sind, früher ein. Will der Trauerschnäpper seine Jungen aufziehen, wenn
die meisten Raupen verfügbar sind, muss
er seine Rückkehr aus dem afrikanischen
Winterquartier vorlegen. Gelingt ihm das
nicht, so sinkt sein Bruterfolg.
ab. Sie bestimmt die Menge des Kohlendioxids und anderer Klimagase, die
freigesetzt werden, und damit auch das
Ausmass des Temperaturanstiegs. Klimaschutz und die Erhaltung der Pflanzen- und Tierarten sind eng verknüpft
und gehören zu den vordringlichen
Aufgaben der Gesellschaft. Beide erfordern eine globale Sichtweise und
nationales Handeln.
Bilder
Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die
Natur: Pflanzen blühen früher, die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Tieren verändern sich und ihre Lebensräume verschieben
sich in die Höhe.
Ein f luss faktor Men s ch ⁄ Mit welcher
Wahrscheinlichkeit Pflanzen- und
Tierarten ihre Lebensräume verlieren
und neue finden, hängt vor allem von der
zukünftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit
41
HIN T E R G R UND ⁄ G e s u n d h e i t
Leidet die Gesundheit?
Hitzewellen fordern Todesopfer, Pollen machen Allergikern zu schaffen, Ozonbelastungen in der Luft führen zu Atembeschwerden. Und in Zukunft könnte es in der
Schweiz vielleicht sogar Tropenkrankheiten geben. Der Klimawandel wird Auswirkungen
auf die Gesundheit der Menschen haben. In welchem Ausmass, lässt sich noch schwer
vorhersagen. Doch eins steht fest: Der Mensch wird sich anpassen müssen.
Text/ Prof. Martin Röösli, Schweizerisches TropenInstitut
Am 25. August 2010 war es am frühen Morgen
in Basel 11 Grad warm, einen Tag später am
Nachmittag bereits 30 Grad. Solche Temperaturschwankungen sind in unseren Breitengraden nicht ungewöhnlich. Unser Körper kann
damit umgehen. Es scheint damit auf den
ersten Blick unplausibel, dass eine langfristig
zu erwartende Temperaturerhöhung gesundheitliche Auswirkungen haben kann. Also alles
kein Problem? Ganz so einfach ist es nicht.
Zwischen
der Tagestemperatur und der Sterblichkeit besteht ein Zusammenhang: Sowohl Hitze als
auch Kälte führen zu zusätzlichen Todesfällen.
So starben im heissen Sommer 2003 in der
Schweiz rund 1000 Menschen mehr als sonst
in diesem Zeitraum gestorben wären. Das
Temperaturoptimum, bei der am wenigsten
Leute sterben, ist geografisch unterschiedlich:
In Finnland liegt dieses Optimum bei rund 15
Grad, in London oder Basel bei etwa 20 Grad
und in Griechenland bei 25 Grad. Das zeigt,
dass sich die Menschen an das Klima anpassen
können. Dabei handelt es sich einerseits um
eine biologische Adaption, andererseits um
Verhaltensänderungen. So reduzieren die Menschen in heissen Ländern zur Mittagszeit ihre
Aktivität, in kalten Ländern nutzen sie effizientere Heizsysteme. Das zeigt, dass eine
langsame und kontinuierliche Temperaturerhöhung wahrscheinlich zu einem grossen
Teil mit unterschiedlichen Anpassungsprozessen kompensiert werden kann. Für die Gesundheit problematischer werden die mit dem
T em p e r at ur u nd St erb l i c h k e it ⁄
4 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Klimawandel einhergehenden Zunahmen von
Extremwetterereignissen wie Hitzewellen oder
Überschwemmungen sein.
Hö he re O z on be l a s tu n g ⁄ Neben den direkten Auswirkungen der Temperatur auf die Gesundheit lässt der Klimawandel eine Reihe
von indirekten Wirkungen erwarten. So führen die erhöhte Temperatur und Sonneneinstrahlung zu einer grösseren Ozonbelastung in der Luft. Das hat Folgen für die
Gesundheit: etwa eine akute Abnahme der
Lungenfunktion oder eine Zunahme von Beschwerden bei Menschen, die im Freien
aktiv sind. Zusätzlich erhöht sich durch die
Ozonbelastung sowohl kurz- als auch langfristig die Sterblichkeit. Das Klima bestimmt
auch die Pollenverbreitung, was für Allergiker relevant ist. Gemäss heutigem Kenntnisstand ist zu erwarten, dass sich die Pollensaison für eine bestimmte Pflanzenart, wie
beispielsweise Birke, in Zukunft nicht verlängert. Jedoch wird sich die gesamte Pollensaison für alle Pflanzenarten zusammen verlängern, weil gewisse Pollen bereits früher
im Jahr in der Luft zu finden sein werden.
Personen, die auf mehrere Pollen allergisch
sind, müssen daher mit einer Zunahme der
Beschwerden rechnen.
Ebenfalls vom Klimawandel betroffen
sind Infektions- oder so genannte vektorübertragene Krankheiten. Im Moment scheint es
zwar unwahrscheinlich, dass sich Tropenkrankheiten wie Malaria oder Denguefieber in
unseren Breitengraden ausbreiten. Die
Jede Verschlechterung der Lebensbedingungen beeinträchtigt die
Gesundheit – direkt oder indirekt.
Prof e s s or Ma rtin R öös l i ⁄ Sch weiz er i sch es T r open in stitu t
Situation sollte man jedoch genau
beobachten. Das Auftreten von Tigermücken nördlich der Alpen sowie ein
Chikungunya-Ausbruch in Norditalien im
Jahr 2007 oder in Südfrankreich im
Jahr 2010 zeigen die möglichen gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels
auf die Gesundheit. Höhere Temperaturen verbessern auch die Vermehrungsbedingungen von Bakterien wie Salmonellen oder Coli-Stämmen in Lebensmitteln. Das erhöht die Gefahr von Infektionen durch den Verzehr kontaminierter
Nahrung, wenn der Lebensmittelkühlung
nicht vermehrte Beachtung geschenkt
wird. Studien belegen einen deutlichen
Zusammenhang zwischen Temperatur
und dem Auftreten von nahrungsmittelbedingten Darminfektionen. Auf der
anderen Seite sind auch positive Gesundheitseffekte nicht auszuschliessen: So
wurde prognostiziert, dass bei einer Erwärmung das Verbreitungsgebiet von
Zecken in der Schweiz kleiner werden
könnte. Bei einer Temperaturzunahme von 2 bis 3 Grad könnten tiefe Lagen
in der Schweiz und in Deutschland sogar zeckenfrei werden. Damit wäre ein
Rückgang der Borreliose und der Zeckenencephalitis möglich.
gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels. In unseren Breitengraden
dürften diese eher moderat sein. Global
sieht dies jedoch anders aus. Die Erhöhung des Meeresspiegels und damit
einhergehende Überschwemmungen und
Grundwasserversalzungen führen zu
Bevölkerungsverdrängung. Die weltweite
Nahrungsmittelversorgung wird durch
vermehrte Dürren und Überschwemmungen beeinträchtigt, Nahrungsmittelengpässe mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen sind zu befürchten. All
dies führt zu einer verstärkten Migration,
was schlussendlich auch wieder Auswirkungen in unseren Breitengraden hat.
Die globale Häufung von Extremwetterereignissen im Sommer 2010 – Überschwemmungen in Pakistan, Dürre in
Niger, Hitzewelle und Waldbrände in Russland – geben einen Eindruck von den
Folgen des Klimawandels: Alle diese
Ereignisse wurden von der Weltmeteorologischen Organisation in Genf explizit
mit dem Klimawandel in Zusammenhang
gebracht.
Tropenkrankheiten
Tropenkrankheiten sind Infektionskrankheiten,
die vor allem in den Tropen und Subtropen
vorkommen. Wie Malaria, Leishmaniose oder
Denguefieber werden die meisten dieser
Krankheiten durch Parasiten verursacht, die
von blutsaugenden Insekten wie Stechmücken
auf den Menschen übertragen werden. Diese
Träger nennt man auch Vektoren – daher ist in
Fachkreisen der Begriff ‹ vektorübertragene
Krankheiten › gebräuchlich. Die Verbreitung
der Vektoren und der Parasiten ist stark von einer bestimmten Temperatur und Feuchtigkeit
abhängig, die vor allem in tropischen Breiten
zu finden sind. Ein globaler Temperaturanstieg
könnte die Gefahr der vektorübertragenen
Krankheiten in den Tropen weiter erhöhen.
Auch in Europa könnten diese unter Umständen in Zukunft häufiger vorkommen, wenn
sich die Vektoren ausbreiten und mit den Parasiten infizieren. Im Tierreich wurden bereits
vermehrte Ausbrüche von Krankheiten, die
von exotischen Vektoren übertragen werden,
festgestellt.
Prof. Martin Röösli
Prof. Martin Röösli ist Umweltepidemiologe
mit einem atmosphärenphysikalischen
Hintergrund. Er leitet am Schweizerischen
Tropen- und Public Health Institut in Basel die
Einheit für Umweltepidemiologie und Risikoabschätzung. Seine Forschungsschwerpunkte
sind die gesundheitlichen Auswirkungen von
Umweltfaktoren. Dazu gehören unter anderem elektromagnetische Felder, Luftverschmutzung, Lärm, ionisierende Strahlung und
Passivrauchen.
G l ob ale Au sw i r ku n g en ⁄ Wie die Beispiele veranschaulichen, besteht auch in
Fachkreisen eine grosse Unsicherheit
über die konkret zu erwartenden
43
HIN T E R G R UND ⁄ L a n d w i r t s c h a f t
Biolandbau schützt das Klima
Die Böden sind dank Biolandbau nicht nur Fruchtbarer, sie sind auch widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels: Diese Form der Landwirtschaft schützt
gegen Erosionen und sorgt für eine bessere Wasserspeicherung im Boden. Zudem
ist der ökologische Landbau gut für das Klima, davon sind die Wissenschaftler des
Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) überzeugt.
TEXT ⁄ Dr. Andreas Gattinger, Dr. Andreas Fliessbach und Dr. Eric Wyss, FiBL
Wer über die Ursachen der Treibhausgasemissionen spricht, darf die Landwirtschaft nicht
vergessen: Ihr Anteil an den gesamten klimarelevanten Emissionen beträgt immerhin
14 Prozent. Ursache ist zum einen die Verdauung der Wiederkäuer. Diese erzeugt Methan
und trägt damit einen grossen Teil zu den
Emissionen bei. Auch synthetische Stickstoffdünger sind eine Quelle für Treibhausgasemissionen. Bei ihrer Produktion wird Erdöl
verwendet, und bringt man den Dünger auf
den Feldern aus, wird Lachgas freigesetzt.
Ökologischer Landbau kann Treibhausgase
deutlich verringern. Schliesslich wird bei
dieser Art der Landwirtschaft das Treibhausgas
Kohlendioxid (CO2) durch den Verzicht auf
synthetische Düngemittel nicht nur eingespart, es wird durch den verstärkten Humusaufbau auch im Boden zurückgebunden.
Aufbau und Erhalt von Humus ist ein
Grundprinzip des ökologischen Landbaus. Das
entsprechende Humusmanagement stellt die
langfristige Bodenfruchtbarkeit und die
Ernährung der Kulturpflanzen sicher. Durch
den Anbau von mehrjährigem Kleegras in
ökologischen Fruchtfolgen und durch die
Verwendung von Stallmist und Kompost wird
ein Humusverlust, der durch die Bodenbearbeitung und den Abtransport von Ernteprodukten bedingt ist, nicht nur ausgeglichen,
sondern sogar überkompensiert. Dies bestätigen Vergleichsstudien verschiedener Langzeitfeldversuche aus der Schweiz, Deutschland
und den USA: Die besten ökologischen Anbausysteme binden pro Hektar und Jahr im
4 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Durchschnitt 590 Kilo mehr Kohlenstoff aus
der Atmosphäre als die besten konventionellen
Vergleichsverfahren.
Ko hl e ns toff im B o de n ⁄ In einer umfassenden Literaturstudie hat das Forschungsinstitut
für biologischen Landbau (FiBL) im Rahmen
des Forschungsprojekts CaLas (Carbon
Credits for Sustainable Landuse Systems) die
Kohlenstoffspeicherung im Boden unter
biologischer und konventioneller Bewirtschaftung in der Schweiz und im benachbarten
Ausland genauer betrachtet. Dabei fiel auf: Unter ökologischer Bewirtschaftung waren die
Bodenkohlenstoffgehalte signifikant höher als
unter konventioneller.
Hinsichtlich der Lachgasemissionen
gibt es für Böden unter ökologischer Bewirtschaftung leider noch wenig Daten, auf die das
FiBL für seine aktuelle Studie zurückgreifen
kann.Wahrscheinlich ist, dass der Ökolandbau
mit seinem geringeren Stickstoffeinsatz und
mit seiner oft besseren Bodenstruktur Vorteile
mit Blick auf den Klimawandel hat. Jedoch
geht das FiBL davon aus, dass die umfangreiche organische Düngung günstige Bedingungen für Lachgasemissionen bietet. Das
könnte ein Problem sein: Denn Lachgas ist
300 Mal klimawirksamer als CO2. Aus diesem
Grund sind weitere kritische Studien zu
diesem Thema wichtig.
Trotz dieser
offenen Fragen scheint der Ökolandbau mit
seinem verstärkten Humusaufbau eine der
Gu te A npa s s u n gs s tr at e gie ⁄
besten Anpassungsstrategien an den Klimawandel zu sein: Da humusreiche
Böden mehr Wasser bei Starkniederschlägen aufnehmen, mindern sie den Oberflächenabfluss und die Erosion. Zudem
können diese Böden in Trockenperioden
länger Wasser nachliefern. Mit Blick
auf den Klimawandel ist in der Landwirtschaft ein neuer Ansatz geboten – und
dieser sollte konsequent im Ökolandbau
umgesetzt werden: Nicht Einzelmassnahmen sind gefragt, vielmehr braucht es
aufeinander abgestimmte Massnahmenpakete, die dem landwirtschaftlichen
Betrieb als so genanntes ‹ Tier-PflanzeSystem › die notwendige Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft verleihen.
Dazu zählt auch eine konsequente Risikoverteilung in der landwirtschaftlichen
Produktion mit Blick auf längere Trockenheit oder Wetterextreme im Zuge des
Klimawandels. Der Anbau verschiedener
Arten und Sorten, weite Fruchtfolgen
und Mischkulturen sind ebenso hilfreich
wie der Erosionsschutz durch Bodenbedeckung, eine reduzierte Bodenbearbeitung, eine Nutzung der Biodiversität
(Blühstreifen und Nützlingsstreifen) sowie eine angepasste Züchtung und
effiziente Technik für Standorte mit
schweren Böden.
FiBL
Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) wurde 1973 gegründet und ist seit
1997 in Frick ansässig. Es ist weltweit eine
der führenden Forschungseinrichtungen für
biologische Landwirtschaft und beschäftigt
über 130 Fachleute. Das FiBL ist international
an zahlreichen Projekten beteiligt – sowohl
in Forschung, Beratung und Weiterbildung als
auch in der Entwicklungszusammenarbeit.
Im aktuellen Forschungsprojekt CaLas, das die
Stiftung Mercator Schweiz mit 550 000.­–
Franken fördert, wird das klimaschonende
Potenzial des Ökolandbaus erforscht. Zudem
wird darin eine Methodologie entwickelt,
die die Klimaleistungen des Ökolandbaus
quantifiziert und den Handel mit CO2-Zertifikaten in der Landwirtschaft möglich macht. Dr.
Eric Wyss ist Vizedirektor des FiBL, die zwei
weiteren Autoren des Artikels, Dr. Andreas
Gattinger und Dr. Andreas Fliessbach, sind als
Wissenschaftler im Bereich Bodenwissenschaften tätig.
Bilder
Biolandbau ist eine gute Anpassungsstrategie
an den Klimawandel: Der grössere Humusanteil im Boden verringert bei Starkniederschlägen die Erosion und Verschlammung (Foto
oben). Im Langzeitvergleich des FiBL sind die
Unterschiede zwischen reiner Mineraldüngung
(Foto unten) und ausschliesslich organischer
Düngung gut zu sehen.
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4 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
HIN T E R G R UND ⁄ W i r t s c h a f t
Unternehmen in einer 1-TonneCO2 -Gesellschaft
Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Wirtschaft: Spätestens wenn sich
Ressourcen verknappen und wenn CO 2 -Emissionen nicht mehr kostenlos sind,
müssen Unternehmen nach Alternativen suchen. Aus unternehmerischer Sicht
ist es sinnvoll, dies bereits heute in Investitionen zu berücksichtigen, um sich
Wettbewerbsvorteile zu sichern.TExt ⁄ Prof. Volker Hoffmann, ETH Zürich
Wo fossile Rohstoffe verbrannt werden,
entsteht CO2. Aus dreierlei Gründen fusst
auf diesem einfachen Zusammenhang
eine der zentralen Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts: Erstens führt aus
klimawissenschaftlicher Sicht die
Emission von CO2 zu einer Änderung klimatischer Bedingungen auf der Erde, die
ohne Umdenken zu negativen Auswirkungen für Natur und Mensch führen
wird. Zweitens geht aus ressourcenökonomischer Sicht der Energiehunger der
Welt mit einer Verknappung und Verteuerung fossiler Brennstoffe einher, die
aus heutigen Produktionsprozessen nur
schwer wegzudenken sind. Drittens
werden einzelne Länder unterschiedlich
von den Folgen von Klimawandel und
Ressourcenverknappung betroffen sein,
was geopolitische Instabilitäten und Verschiebungen im internationalen Machtgefüge nach sich zieht. Daraus ergibt
sich die Notwendigkeit, die weltweite Verbrennung fossiler Rohstoffe schnell auf
ein deutlich tieferes Niveau als heute zu
reduzieren und dort langfristig zu
stabilisieren. In diesem Zusammenhang
wird vielfach von einer 1-Tonne-CO2Gesellschaft gesprochen, in der also der
CO2 -Ausstoss pro Kopf und Jahr nicht
mehr als 1 Tonne beträgt.
Ressourcenverknappung und gesellschaftliche
Bestrebungen zur Emissionsreduktion
N e ue R ahm en bed i n g u n g en ⁄
gehen mit einer erheblichen Änderung
der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einher. So hat beispielsweise die
Internationale Energie Agentur (IEA) in
ihrem Bericht von 2008 eingeräumt,
dass die Öl-Preise bis 2030 signifikant
steigen werden. Weiterhin dürfte die Zeit
unbegrenzt kostenloser CO2-Emissionen
in vielen Wirtschaftssektoren zumindest
in Europa der Vergangenheit angehören.
Aber obwohl auf dem Weg zu einer
1-Tonne-CO2-Gesellschaft noch Jahrzehnte vergehen werden, ist die Stossrichtung
heute schon erkennbar. Vor dem Hintergrund oft langer Investitionszyklen ist es
erforderlich, dass sich Unternehmen
bereits heute mit einer solchen Vision
auseinandersetzen.
Dabei sprechen verschiedene Gründe für ein proaktives Vorgehen: Staaten
oder Staatengruppen wie die Schweiz
oder die EU werden ihre Klimagesetzgebung selbst ohne weltweites Abkommen
verschärfen, da sie die Notwendigkeit
zum Handeln sehen und auf diese Weise
ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren können. Zudem wird
sich die öffentliche Wahrnehmung des
Klimawandels mittelfristig auch in Kaufentscheidungen niederschlagen, wenn
Konsumenten weniger klimaschädliche
Produkte nachfragen. Und schliesslich
erkennt auch der Finanzmarkt (langsam)
sein ureigenstes Interesse, Risiken,
denen Unternehmen im Klimakontext
begegnen, aufzudecken und im Zuge von
Anlage- oder Finanzierungsentscheidungen zu bepreisen.
Ke ine Alte rnat ive ⁄ Viele dieser Entwicklungen stehen noch am Anfang, doch
es ergeben sich gerade jetzt Möglichkeiten für Unternehmen, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Zwar müssen sich Investitionen nach wie vor wirtschaftlich lohnen. Aber Unternehmen,
die den Klimawandel proaktiv in ihre strategische Planung integrieren, werden
die langfristig profitableren Investitionen
tätigen. Dabei ist die Politik gefordert,
verlässliche Rahmenbedingungen zu
schaffen. Denn zu schnellen und deutlichen Emissionsreduktionen gibt es
keine Alternative.
Prof. Volker Hoffmann
Volker Hoffmann ist Professor für Nachhaltigkeit und Technologie am Departement Management, Technologie und Ökonomie der
ETH Zürich. In seiner Forschung untersucht
er den Einfluss des Klimawandels und der Klimapolitik auf Unternehmensstrategien. Im
Zentrum steht die Frage, wie Innovation im
Bereich der klimafreundlichen Technologien
gefördert werden kann.
47
HIN T E R G R UND ⁄ A u s w i r k u n g e n
Gewinner und Verlierer des
Klimawandels
Wer sind die Gewinner des Klimawandels? Wer die Verlierer? So einfach diese
Frage klingt, so schwierig ist die Antwort: Der Klimawandel wirkt sich
ganz unterschiedlich auf verschiedene Regionen und Interessen aus. Doch
nehmen wir angesichts des Klimawandels unsere Verantwortung nicht
wahr, werden am Ende alle zu den Verlierern gehören.
Text ⁄ Prof. Andreas Fischlin und Prof. Gertrude Hirsch Hadorn
Der menschgemachte Klimawandel ist da,
ungebremst hätte er fatale Auswirkungen, und
mit weltweit konzertierten Anstrengungen
liesse sich eine katastrophale Entwicklung immer noch abwenden. Das wird im aktuellen
Sachstandsbericht des Weltklimarats deutlich.
Doch was, wenn wir es nicht schaffen, einen
drastischen Klimawandel einzudämmen? Wer
wird Gewinner, wer Verlierer der globalen
Erwärmung sein? Die Frage lässt sich so nicht
beantworten – wie folgende Argumente
verdeutlichen.
Un t e r s c h i e d l i c h e F o lg e n ⁄ Je nach Interesse
kann der gleiche Klimawandel verschieden
bewertet werden. Beispielsweise wird im gleichen Gebirgstal ein geringfügiger Klimawandel von den Sommertourismusbetrieben
als positiv empfunden, während er sich für
den Wintertourismus infolge abnehmender
Schneesicherheit bloss negativ auswirkt. Noch
wichtiger ist das Ausmass der Erwärmung und
die damit verbundenen unterschiedlichen
Folgen: Bei ungebremst fortschreitender Erwärmung verschwinden beispielsweise unsere
Gletscher fast ganz und dadurch können
Hänge zusammenstürzen, wie es zum Beispiel
2005 bei der Stieregghütte geschah. Sowohl
der Sommer- als auch der Wintertourismus
sind nur noch negativ betroffen, wenn die
eindrücklichen Gletscher fehlen, wenn Infrastruktur, Leib und Leben der Touristen durch
Naturgefahren gefährdet sind. Oder wenn
der Klimawandel die Weltwirtschaft so in die
Knie zwingt, dass sich nur noch wenige
4 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Reiche Ferien leisten können. Mit dem Ausmass des Klimawandels nimmt also die
Zahl der Verlierer zu, die Unterschiedlichkeit
bei der Bewertung wie auch die Zahl der
Gewinner ab.
Sink e nde Er nte n ⁄ Ähnliches lässt sich bei der
Landwirtschaft feststellen: Pflanzen wachsen
bei uns durch einen geringfügigen Klimawandel und dank des erhöhten CO2-Gehalts in
der Luft zunächst schneller und liefern höhere
Erträge. Beim Weizen können Bauern dank
Bewässerung die negativen Folgen von Trockenheitsphasen überbrücken und so vorerst
noch Ertragssteigerungen von bis zu 17
Prozent erreichen. Jedoch lässt dieser gleiche,
geringfügige Klimawandel für Entwicklungsländer im Süden schon heute die Erträge bei
Weizen und Mais bis um einen Drittel schwinden. Bei einer globalen Erwärmung ab
etwa 2,5 Grad Celsius würden sich überall auf
der Erde Ertragsminderungen ergeben, in
Entwicklungsländern gäbe es bei Weizen und
Mais sogar einen Rückgang um die Hälfte.
Unzählige ähnliche Beispiele direkter oder indirekter Auswirkungen des Klimawandels
lassen sich in fast allen Bereichen finden: Wasserversorgung, Land- und Forstwirtschaft,
Ökosysteme, Infrastruktur, Wirtschaft und Gesundheit.
Diese Überlegungen zeigen: Je nachdem,
wo wir leben, je nach Interesse und je nach
Ausmass des Klimawandels zählen wir zu den
Gewinnern oder Verlierern. Bei ungebremstem Klimawandel werden wir aber praktisch
Der menschgemachte Klimawandel stellt die grösste Herausforderung dar, der die Menschheit je
zu begegnen hatte.
Prof e s s or Andr e a s Fis c hl in ⁄ ETH Zü r ich
alle nur zu den Verlierern gehören, da
dann die negativen Effekte klar dominieren, wie der aktuelle Bericht des Weltklimarats zeigt.
Et h isc he B r i s a n z ⁄ Um die negativen Folgen des Klimawandels abzuwehren, sind
aufwändige und kostspielige Anpassungsmassnahmen erforderlich. Dass Entwicklungsländer besonders stark durch negative Folgen betroffen sind, ist ethisch äusserst brisant: Die ärmsten Länder verfügen kaum über Mittel zur Anpassung,
sind aber nur zu einem Bruchteil für den
heutigen Klimawandel verantwortlich.
Alleine den USA werden etwa ein Drittel
der bisher aufgelaufenen Treibhausgasemissionen zugeschrieben, wobei der Anteil der 50 ärmsten Länder mit 40 Prozent Weltbevölkerung zusammen unter
1 Prozent liegt. Noch deutlicher sind die
Unterschiede bezüglich den Pro-KopfEmissionen: Im Durchschnitt entlässt
heute ein Nordamerikaner mit 26 Tonnen
Treibhausgasemissionen das 130-fache
eines Bewohners der ärmsten Länder der
Welt, der gerade einmal 0,2 Tonnen CO2
pro Jahr erzeugt.
Mitverantwortlich als Verursacher
des Klimawandels ist, wer den Sachzwängen des modernen Lebensstils folgt
und zum Beispiel Auto fährt; auch wenn
er dies natürlich nicht macht, um das
Klima zu ändern. Er nimmt aber entsprechende negative Folgen in Kauf. Mit
eingespielten Verhaltensweisen tragen
Menschen über lange Zeiträume und weite Distanzen hinweg zum Klimawandel
bei. Verantwortlich im Sinne von ‹ zuständig für Massnahmen › sind wir alle
gemeinsam in verschiedenen Rollen: als
Konsumenten und als Unternehmer dafür, dass wir auch in unserem eigenen
Interesse die Folgen, die unser Handeln
für das Klima hat, berücksichtigen; als
Bürger und Regierungsvertreter dafür,
dass wir im politischen Prozess Rahmenbedingungen für das Handeln von Konsumenten und Unternehmern schaffen und so dafür sorgen, dass sich ein­gespielte Handlungsweisen in der gewünschten Weise ändern.
Die Folgen des Klimawandels verschärfen Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Ressourcen und Gütern. Weil
dadurch das Überleben und die Grundrechte von Menschen gefährdet sind, sind
dies auch moralische Probleme. Zudem
ist die Natur nicht nur eine ökonomische
Ressource. Respekt vor der Natur ist gefordert, auch wegen der gesetzlichen
Verankerung der Würde der Kreatur. Aus
Gründen der Klugheit und der Moral sind
wir für die Folgen des Klimawandels
mitverantwortlich. Diese Verantwortung
wahrnehmen bedeutet, jetzt die Voraussetzungen zu schaffen, so dass Verursacher für entstandene Schäden aufkommen und künftige besser vermieden
werden können.
Bild
Nach einem Erdrutsch im Jahr 2005 stand
die Stieregghütte am Rand des Abgrunds.
Sie wurde daraufhin geräumt und kontrolliert
abgebrannt.
Prof. Andreas Fischlin
Prof. Andreas Fischlin ist Leiter der Gruppe
Terrestrische Systemökologie am Institut für
Integrative Biologie der ETH Zürich. Seine
Forschungsinteressen sind die Modellierung
von Ökosystemen, insbesondere von Wäldern,
in einem sich ändernden Klima, die Ökologie
zyklischer Populationen und die Methodik der
strukturierten Modellierung komplexer ökologischer Systeme.
Prof. Gertrude Hirsch Hadorn
Prof. Gertrude Hirsch Hadorn leitet die Gruppe
Umweltphilosophie am Institut für Umweltentscheidungen der ETH Zürich. Zu ihren
Arbeitsschwerpunkten in Forschung und Lehre
gehören ethische und wissenschaftsphilosophische Fragen der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung.
49
HIN T E R G R UND ⁄ I n t e r n at i o n a l e Z u s a mm e n a r b e i t
‹ Koalition der Willigen › sollte
Beispiele setzen
Internationale Zusammenarbeit ist gefragt, möchte man das ‹ 2-Grad-Ziel ›
erreichen. Problematisch ist, dass nicht alle Länder zu Eingeständnissen und
Einschränkungen zum Schutz des Klimas bereit sind. Eine ‹ Koalition der
Willigen › könnte mit gutem Beispiel vorangehen, wichtige Impulse setzen – und
am Ende von ihren Klimaschutzmassnahmen profitieren.
TEXT ⁄ Prof. Renate Schubert, ETH Zürich
Eigentlich ist man sich einig: Bis 2050
dürfen weltweit noch höchstens 750 Gigatonnen CO2 emittiert werden. Nur in
diesem Fall können schwerwiegende und
unumkehrbare Schädigungen der Ökosysteme durch die globale Erderwärmung
vermieden werden. Doch schon fangen
die Probleme an: Welche Länder dürfen
wie viele dieser 750 Gigatonnen für sich
beanspruchen? Und welche Länder sollten sich wie stark bemühen, ihre
CO2-Emissionen herunterzufahren?
Naheliegend wäre es, dass man diese
Probleme so löst, wie man es auch in kleinerem Rahmen tut: Man einigt sich auf
einen wirksamen und doch für alle Beteiligten zumutbaren Verteilungsschlüssel, und jeder Einzelne sucht sich dann
die beste Strategie zur Einhaltung
des individuellen Emissionsrahmens.
Leider wird
diese Idylle aber gestört. Es gibt Länder
wie etwa die USA oder China, die aus
unterschiedlichen Gründen nicht bereit
sind, sich an einem solchen Verfahren
zu beteiligen und allfällige Einschränkungen ihrer künftigen Emissionsbudgets zu akzeptieren. Das hat sich bei
den vergangenen Klimakonferenzen
immer wieder gezeigt. Dies wirft für die
anderen Länder die Frage auf, ob sie
dennoch bereit sind, sich nach Kräften
für Emissionsminderungen im eigenen
Land einzusetzen oder ob sie ebenfalls
I n te rn atio n a les D i lem m a ⁄
5 0 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
abtrünnig werden. Dies wäre für die Staatengemeinschaft insgesamt fatal. Wir
würden uns damit wohl ungebremst auf
Temperaturanstiege von 4 Grad Celsius
und mehr zubewegen.
In der Klimapolitik haben wir es mit
einem typischen Kooperations-Dilemma
bei öffentlichen Gütern zu tun: Für ein
einzelnes Land ist es nicht rational, Kosten für die Vermeidung des Klimawandels
aufzuwenden, da von solchen Massnahmen alle Länder profitieren würden, aber
nur das Land selbst die Kosten trägt. Das
vermutete Trittbrettfahren der anderen
erstickt die erforderliche Kooperation im
Keim. Es scheint auf den ersten Blick
günstiger zu sein, einen Franken in Anpassungsmassnahmen an die Folgen des
Klimawandels (etwa Deichbau oder Anpassung von Gebäuden an längere Hitzeperioden) zu stecken als in Emissionsreduktionen.
Dennoch
kann es zur teilweisen Kooperation
kommen, wenn eine ‹ Koalition der Willigen ›, etwa in Europa, die Sache in die
Hand nimmt. Dies macht Sinn, weil
Massnahmen zur Vermeidung vom Klimawandel fast immer mit Sekundärnutzen für die betreffenden Länder verbunden sind, wie etwa Handelsvorteile
aus innovativen Energietechnologien.
Zum anderen sind Vermeidungsmassnahmen Investitionen mit längerem ZeithoZ u s amme na rb e i t ma c h t S inn ⁄
rizont. Es rentiert sich, als Ländergruppe
mit Klimaschutzmassnahmen voranzugehen, solange zu erwarten ist, dass
– im Zuge fortschreitender globaler Erwärmung – andere Länder später nachziehen werden. ‹ First-mover-Vorteile ›
kompensieren dann die kurzfristigen
Nachteile aus dem Klimaschutz. Schliesslich spricht die Schaffung von Vertrauen
auf der politischen Ebene dafür, sich
auch als kleinere Ländergruppe für Emissionsreduktionen zu entscheiden. Es ist
jedenfalls kein überzeugendes Argument
dafür erkennbar, wegen des Trittbrettfahrer-Problems Emissionsreduktionen
zu unterlassen. ‹ Koalitionen von Willigen › geben in diesem Zusammenhang
wichtige Impulse und sind unverzichtbar.
Prof. Renate Schubert
Renate Schubert ist Professorin für Nationalökonomie am Departement für Geistes-, Sozialund Staatswissenschaft und leitet das Institut
für Umweltentscheidungen der ETH Zürich.
Renate Schubert gehört zudem zu den beiden
ETH-Kompetenzzentren Energy Science Center
(ESC) und Environmental Sustainability (CCES).
Die Professorin und ihre Forschungsgruppe
arbeiten auf dem Gebiet der Risikowahrnehmung und der Entscheidungsfindung unter
Unsicherheiten. Sie haben einen Schwerpunkt
im Umwelt- und Klimabereich und untersuchen etwa auch die wirtschaftlichen Aspekte
von Nachhaltigkeitsfragen.
HIN T E R G R UND ⁄ W i ss e n s c h a f t u n d Öff e n t l i c h k e i t
Dialog schafft Vertrauen
Es fehlt in der Gesellschaft an Vertrauen in die Wissenschaft, bedauert Prof.
René Schwarzenbach. Um dieses aufzubauen, sollten Wissenschaftler den
Austausch mit der Öffentlichkeit suchen. Sie sollten sich bemühen, komplexe
Themen wie den Klimawandel verständlich aufzuarbeiten, nur so erreicht man
Akzeptanz und Glaubwürdigkeit. Mit dem Buch ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt die
Zukunft? › verfolgt der ehemalige Vorsteher des Departements Umweltwissenschaften der ETH Zürich als Mitherausgeber genau diese Ziele.
Interview ⁄ Nadine Fieke
Die ETH Zürich diskutiert im Rahmenprogramm der Ausstellung ‹ 2 Grad › mit den Besuchern über
aktuelle Themen der Klimaforschung.
Wie wichtig ist solch ein Dialog zwischen
Wissenschaft und Öffentlichkeit?
Prof. R e né Sc h wa rze nba c h ⁄ Für mich
ist der Dialog zwischen Wissenschaft und
Öffentlichkeit eine absolute Notwendigkeit. Besonders im Umweltbereich ist dies
von immer grösserer Bedeutung. Die Wissenschaft muss dazu beitragen, die wichtigen Probleme dieser Welt zu identifizieren, vor negativen Entwicklungen zu
warnen und Lösungen zu finden. Das gilt
nicht nur für den Klimawandel, sondern
für viele Bereiche, die alle eng miteinander verknüpft sind: Ich denke da zum
Beispiel an den Verlust von Biodiversität
und Bodenfruchtbarkeit, an die Verschmutzung der Gewässer, an Wassermangel oder an die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung.
M e r c ator N e ws ⁄
Bild
Prof. René Schwarzenbach ist Mitherausgeber
des Buches ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt
die Zukunft? ›.
Die Warnungen der Wissenschaftler scheinen nicht immer anzukommen. Das fällt vor allem auch bei
manch einer polemisch geführten
Diskussion über den Klimawandel auf.
Woran liegt das?
Prof. R e né Sc h wa rze nba c h ⁄ Glauben wir
der überwiegenden Mehrheit der Klimawissenschaftler, müssen wir schnell
und konsequent handeln, um den Klimawandel einzudämmen. Das bedeutet tief
M e r c ator N e ws ⁄
einschneidende Veränderungen im Leben
von jedem Einzelnen – und diese zu
akzeptieren und umzusetzen, fällt schwer.
Da ist es wohl am einfachsten, dass man
den Überbringer der schlechten Nachricht zunächst einmal desavouiert und
sagt: « Das stimmt ja gar nicht. » In der
Politik kommt das Problem hinzu, dass
Umweltthemen vor allem durch Linksparteien thematisiert und dadurch oft
nicht wegen des Inhalts, sondern aus rein
politischen Gründen von den Gegnern
bekämpft werden. Für mich als Wissenschaftler nimmt das manchmal etwas
absurde Züge an. Ein weiterer Grund für
gewisse Kontroversen ist auch die
Schwierigkeit, komplexe Sachverhalte
wie den Klimawandel in verständlicher
und glaubwürdiger Form zu kommunizieren. Und schliesslich scheint das
Vertrauen in die Wissenschaft in letzter
Zeit eher ab- als zugenommen zu haben.
Me rc ator N e ws ⁄ Wie konnte das
Vertrauen verloren gehen?
Prof. Re né Sc hwa rze nba c h ⁄ Obwohl
sich die globalisierte Gesellschaft in den
letzten Jahrzehnten grundlegend verändert hat, hat die Wissenschaft in vielen
Gebieten ihren Elfenbeinturm nicht
wirklich verlassen. Innerhalb der akademischen Gemeinschaft hat sich die
Werteskala vor allem darauf fokussiert,
wo man in der wissenschaftlichen
Gemeinschaft steht. Alles, was mit dem
51
Austausch mit der Öffentlichkeit zu tun
hat, wurde und wird leider immer noch
zu wenig belohnt. Es zählen primär
wissenschaftliche Publikationen und die
Teilnahme an wissenschaftlichen Konferenzen. Deshalb konzentrieren sich
viele Wissenschaftler vor allem auf diese
Dinge, aufgrund derer auch der wissenschaftliche Nachwuchs ausgewählt wird.
Mit der Folge, dass sich die Wissenschaft
von der Gesellschaft eher entfernt hat,
statt sich anzunähern.
M e rc ator N ew s ⁄ Wie kann man das
Vertrauen wieder aufbauen?
Prof. Ren é S ch w a rz en ba c h ⁄ Am wichtigsten ist es, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstärkt
persönlich in die Öffentlichkeit einbringen. Nur durch die Personifizierung
wichtiger wissenschaftlicher Sachverhalte und durch den auf diese Weise entstehenden Dialog scheint es möglich zu
sein, das angeschlagene Vertrauen in
die Wissenschaft wieder zurückzugewinnen. Die Wissenschaftler müssen sich
selbst darum bemühen, komplexe Themen verständlich aufzuarbeiten und in
der Gesellschaft zu kommunizieren.
M e rc ator N ew s ⁄ Ist das auch der
Grund, weshalb Sie das Buch ‹ Mensch
– Klima. Wer bestimmt die Zukunft? ›
herausgeben? Es ist ja keine klassische
wissenschaftliche Publikation.
5 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Komplexe
Zusammenhänge kann man ausserhalb
der Wissenschaftsgemeinschaft oft nicht
mit einem konventionellen Ansatz
rüberbringen. Man muss die Menschen
neugierig machen, damit sie sich mit
einem komplexen Thema wie dem Klimawandel auseinandersetzen. Das versuchen wir zusammen mit dem Lars Müller
Verlag mit einer besonderen Form: Wie
bei unserem letzten gemeinsamen Buch
‹ Wem gehört das Wasser? › arbeitet auch
das Buch ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt die Zukunft? › primär mit Bildern.
Der Betrachter soll über die Bilder angesprochen und auf den Text neugierig
gemacht werden. Der Text liefert dann zusammen mit anderen Elementen wie
Grafiken und Tabellen vor allem Fakten
zum Klimawandel. Es ist kein Buch, das
man von vorne bis hinten liest. Der
Betrachter macht es an einer Stelle auf,
schaut hinein, stöbert – und dabei erfasst
er ganz unterschiedliche Aspekte des
Themas, bis sich ein ganzheitliches Bild
ergibt. Lars Müller und sein Verlag sind
weltweit bekannt für diese so genannten
‹ visual reader ›.
Prof. R e né S c hwarze n ba c h ⁄
Publikation ‹ Mensch – Klima. Wer
bestimmt die Zukunft? ›
Vier Autoren sind an der Publikation ‹ Mensch
– Klima. Wer bestimmt die Zukunft? › beteiligt.
Das Buchprojekt unterstützt die Stiftung
Mercator Schweiz mit 60 000.– Franken. Mit
Christian Rentsch, Martin Läubli und Heidi
Blattmann schreiben neben dem Wissenschaftler Klaus Lanz vor allem Journalisten an dem
Werk: Das Autorenteam bringt das Thema
Klimawandel zielgruppengerecht und verständlich auf den Punkt. Sie wagen einen Blick in
die Erdgeschichte, liefern Hintergründe zu
Prozessen des Klimawandels, zeigen Folgen
und Strategien auf, auch die Klimapolitik bildet
einen wichtigen Inhalt des Buches. Professoren der ETH Zürich geben Tipps und kontrollieren die Texte auf wissenschaftliche Richtigkeit. Voraussichtlich ab Februar 2011 ist
die Publikation im Handel erhältlich, der Preis
beträgt rund 60 Franken, ISBN-Nummer:
978-3-03778-244-6.
Prof. René Schwarzenbach
René Schwarzenbach ist Professor für Umweltchemie und war bis Ende Juli 2010 Vorsteher
des Departements Umweltwissenschaften
der ETH Zürich. Zudem ist er Leiter des Kompetenzzentrums ‹ Umwelt und Nachhaltigkeit ›
der ETH sowie Präsident der Abteilung IV,
‹ Orientierte Forschung ›, des Schweizerischen
Nationalfonds.
Bild
Wissenschaftler sollten den Dialog mit der
Gesellschaft suchen, davon ist Professor René
Schwarzenbach überzeugt. Genau das hat die
ETH Zürich beim ‹ Tropentag › im September
2010 angestrebt: Studenten machten als
Reporter in Blog-Beiträgen, auf Facebook und
Twitter die Themen der Veranstaltung für die
breite Öffentlichkeit zugänglich. Die Stiftung
Mercator Schweiz hat die Konferenz und das
Projekt ‹ Student Reporters › unterstützt.
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a p o l i t i k d e r S c h w e i z
CO2 -Gesetz zum Klimaschutz
Die Schweiz steht hinter dem international formulierten ‹ 2-Grad-Ziel ›. Das
Alpenland arbeitet in der Wintersession 2010 auf ein revidiertes CO2 -Gesetz
hin, um seine Treibhausgasemissionen weiter zu senken. Zudem engagiert es
sich für ein neues, faires internationales Abkommen für die Zeit ‹ post Kyoto ›.
Text ⁄ Mike Weibel, Bundesamt für Umwelt
Als kleines Land trägt die Schweiz zwar
wenig zu den globalen Treibhausgasemissionen bei, es ist wegen seiner geografischen Lage aber stärker als andere
von der Klimaerwärmung und ihren
Folgen betroffen: Die Durchschnittstemperaturen stiegen hierzulande deutlich
mehr als im globalen Mittel, der Gletscherschwund in den Alpen ist augenfällig. Die Schweiz setzt sich daher international für das so genannte ‹ Verursacherprinzip › ein. Demnach sollen die
Industrienationen ihre Emissionen markant senken, die Schwellenländer einen
verbindlichen Beitrag leisten. Und für die
kostspielige Finanzierung von Anpassungsmassnahmen an die Folgen des Klimawandels wurde das Modell einer
globalen CO2-Abgabe auf fossile Energien
entwickelt – ein Modell, das die unterschiedliche Verantwortung der Länder
reflektiert.
NEUES R E GELW E RK ⁄ In der nationalen
Klimapolitik konkretisiert die Schweiz
zurzeit ihren Beitrag zum Klimaschutz.
Bundesrat und Parlament revidieren
gegenwärtig das CO2-Gesetz. Das neue
Regelwerk wollen sie der Volksinitiative
‹ für ein gesundes Klima › als indirekten
Vorschlag gegenüberstellen. Darin
fordern Umweltverbände, SP und Grüne
bis zum Jahr 2020 eine Reduktion der
Treibhausgase um 30 Prozent gegenüber
1990. Diese sollte nach ihrer Vorstellung
ausschliesslich im Inland zu leisten sein.
In der Wintersession 2010 berät der
Ständerat das Thema.
G ro s s e s M as s na hme nbü nde l ⁄ Der
Bundesrat orientiert sich am international anerkannten Ziel, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten und
schlägt dem Parlament eine Reduktion
der Treibhausgase um mindestens 20
Prozent bis 2020 vor. Erreichen will der
Bundesrat dies mit einem Bündel von
Massnahmen, die zu einem Drittel im
Ausland und zu zwei Dritteln im Inland
wirken. Wichtigste Sektoren im Inland
sind die Bereiche Gebäude und Verkehr,
denn hier entstehen die meisten CO2Emissionen. Das revidierte CO2-Gesetz
sieht folgende Massnahmen vor:
≥ Eine CO2-Lenkungsabgabe von mindestens 36 Franken pro Tonne CO2 wird
auf Brennstoffen erhoben. Unternehmen
können sich von der Abgabe befreien,
wenn sie sich gegenüber dem Bund zu
CO2-Reduktionen verpflichten. Die
Einnahmen aus der Abgabe fliessen bis
auf den Beitrag ans Gebäudeprogramm
an Bevölkerung und Wirtschaft zurück.
Damit wird der sparsame Verbrauch von
fossilen Energieträgern belohnt.
≥ Ein Gebäudeprogramm von maximal
200 Millionen Franken jährlich trägt zur
Sanierung von Wohn- und Bürogebäuden sowie zur Förderung von erneuerba-
ren Energien bei. Finanziert wird das
Programm aus der CO2-Abgabe.
≥ Es kann eine CO2-Lenkungsabgabe auf
Treibstoffen eingeführt werden, falls dies
zur Zielerreichung nötig ist.
≥ Es gibt Zielwerte für CO2-Emissionen
von neu verkauften Personenwagen.
≥ Importeure von fossilen Treibstoffen
müssen zwischen 5 und 40 Prozent
der verursachten CO2-Emissionen kompensieren, indem sie in Klimaschutzprojekte investieren. Dies entspricht dem
bisherigen Konzept des Klimarappens.
≥ Für energieintensive Unternehmen
gibt es ein Emissionshandelssystem, die
Luftfahrt wird einbezogen.
≥ Der Bund koordiniert die Anpassungsmassnahmen, die durch die Folgen der
Klimaänderung notwendig werden (zum
Beispiel Hochwasserschutz).
« All diese Massnahmen bauen auf bestehenden Instrumenten auf. Mit der
richtigen Ausgestaltung lässt sich so das
Klimaziel des Bundesrates erreichen »,
versichert Andrea Burkhardt, Leiterin der
Abteilung Klima im Bundesamt für Umwelt. Doch der Nationalrat hat im Frühjahr 2010 einige Parameter des Klimagesetzes verändert. Zum einen verlangt
er, dass die Schweiz die 20 Prozent
Reduktion allein im Inland erbringt, und
will auf die Anrechnung von ausländischen Zertifikaten verzichten. Zum
anderen kippte die grosse Kammer die
53
Lenkungsabgabe auf Treibstoffe und
veränderte den Zielwert des CO2-Ausstosses für neue Autos zulasten des Klimas
von 130 Gramm auf 150 Gramm CO2 pro
Kilometer. « Wird der Verkehr geschont,
müssten andere Sektoren mehr für
den Klimaschutz leisten », folgert Andrea
Burkhardt. In Diskussion stehen eine
Sanierungspflicht für energetisch verschwenderische Altbauten, Massnahmen
in der Landwirtschaft sowie die Förderung der Elektromobilität.
Ob das revidierte Schweizer CO2Gesetz in Zukunft einen internationalen
Referenzrahmen erhält, ist ungewiss.
Die Vorgaben des heute gültigen KyotoProtokolls, im Durchschnitt der Jahre
2008 bis 2012 acht Prozent weniger Treibhausgase als 1990 zu emittieren, wird
die Schweiz voraussichtlich erfüllen. Allerdings nur, weil mehr als die Hälfte
davon über den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland kompensiert werden,
monieren Kritiker.
Hoff n un g a u f F ort s ch r i tt e ⁄ Schafft
die UNO das für die internationale Klimapolitik wichtige Folgeabkommen zum
Kyoto-Protokoll? Gelingt es in Zukunft,
ein noch umfassenderes Abkommen zu
erzielen? Die vergangenen Klimakonferenzen brachten bislang kaum Fortschritte. Ein globales Scheitern an den wissenschaftlich abgestützten Klimazielen
könnte verheerende Folgen haben,
5 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
warnte der langjährige Bundesrat Moritz
Leuenberger am 20. August 2010 in
seiner Rede bei der Eröffnung der Ausstellung ‹ 2 Grad – Das Wetter, der
Mensch und sein Klima ›. Denn eigentlich, gab er zu bedenken, schütze nicht
der Mensch das Klima, sondern das
Klima den Menschen.
Bild
Internationale Klimapolitik
Symbolisch leuchtet das Klimaziel ‹ 2 Grad ›
hinter dem langjährigen Bundesrat Moritz Leuenberger. Bei der Vernissage der Ausstellung
machte er sich in seinem Grusswort für den
Klimaschutz stark.
Internationale Zusammenarbeit ist für einen
erfolgreichen weltweiten Klimaschutz unumgänglich. Ein erster wichtiger Schritt wurde
1992 mit der Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen
(UNFCCC) in Rio de Janeiro getan. Sie schreibt
die allgemeine Zielsetzung des Klimaschutzes
fest und die Erarbeitung eines Instrumentariums bei folgenden UN-Klimakonferenzen.
Ein Meilenstein wurde 1997 bei der Klimakonferenz in Kyoto (Japan) erreicht: Im KyotoProtokoll wurden erstmals völkerrechtlich verbindliche Treibhausgasemissionsziele verankert. Die Vertragsstaaten verpflichten sich
darin, abhängig von ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ihre Treibhausgasemissionen um
durchschnittlich 5,2 Prozent zwischen 2008
und 2012 zu senken. Die EU und die Schweiz
müssen 8 Prozent erreichen. Die USA haben als grösster Emittent von Treibhausgasen
das Protokoll zwar unterschrieben, aber
nie ratifiziert. Auch Schwellenländer wie China,
Indien oder Brasilien, die heute mehr als
ein Drittel der weltweiten Emissionen freisetzen, sind nicht vertraglich eingebunden. Im Jahr
2012 läuft das Kyoto-Protokoll aus. Ziel der
internationalen Klimapolitik ist es zurzeit, eine
international verbindliche Nachfolgeregelung
zu finden. Dabei geht es vor allem auch um die
Frage, auf welche Weise Entwicklungs- und
Schwellenländer eingebunden werden können.
Bei der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen
war dies nicht gelungen.
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m at i pps
Jeder Einzelne kann etwas fürs
Klima tun
Der Klimawandel ist in aller Munde – und in einigen Teilen der Welt bereits
deutlich zu spüren. Da es international zurzeit schwierig scheint, sich im Sinne
des Klimaziels ‹ 2 Grad › auf verbindliche Schritte zur Treibhausgasemission
zu einigen, setzen viele ihre Hoffnungen auf neuartige technologische Lösungen. Trotzdem scheint vor allem ein Ansatz wichtig zu sein: Jeder Einzelne
sollte das Klima schützen. Und das kann er bereits mit einfachen Mitteln tun.
TEXT ⁄ Nadine Fieke
6 Tonnen CO2 produziert laut Bundesamt
für Umwelt im Durchschnitt ein Einwohner der Schweiz pro Jahr. 10 Tonnen sind
es, wenn man die so genannten ‹ grauen
Emissionen › einberechnet, die durch den
Import von Konsumgütern und elektrischem Strom entstehen. Mit diesem ProKopf-Verbrauch liegt die Schweiz im
internationalen Vergleich der Industrienationen zwar relativ gut – doch um das
Klimaziel ‹ 2 Grad › zu erreichen,
müssten die Kohlendioxidemissionen
weltweit auf unter eine Tonne pro Person
und Jahr reduziert werden. Dafür ist
eine internationale Zusammenarbeit unumgänglich. Jedoch haben die vergangenen Klimakonferenzen gezeigt, wie
schwierig es ist, sich international auf
konkrete und verpflichtende Schritte zur
Emissionsreduktion zu einigen.
We g vo n Ö l u n d Ko h le ⁄ «Wir sind an einem Wendepunkt, an dem der Effort
gigantisch erscheint, sich von den fossilen Energieträgern zu lösen », sagt Prof.
Thomas Stocker, Direktor des Nationalen
Forschungsschwerpunkts Klima der
Universität Bern. Doch es sei möglich, davon ist er überzeugt und macht dies an
einem Beispiel deutlich: In den USA liegt
die Pro-Kopf-Emission bei über 22 Tonnen pro Jahr, in Europa im Durchschnitt
bei sechs. « Der Lebensstil dieser zwei
Gesellschaften ist nicht wesentlich unterschiedlich », betont der international
bekannte Wissenschaftler. Das heisse,
dass man die CO2-Emissionen bereits
heute um einen wesentlichen Faktor reduzieren kann, ohne Einschränkungen
im Lebensstil. Doch dafür seien kostspielige Investitionen nötig – in die forcierte Entwicklung moderner Techniken,
in erneuerbare Energien, in effizientere
Geräte.
Ingenieure und Wissenschaft arbeiten nicht nur an modernen Gezeitenkraftwerken, an Geothermieanlagen
oder neuartigen Solarkraftwerken, um
auf möglichst ‹ saubere › Weise Energie gewinnen zu können. Sie sehen die
Möglichkeit, CO2 unterirdisch einzulagern, damit es nicht mehr in die
Atmosphäre entweicht. Umstritten sind
Methoden des Geo-Engineering, an
denen Wissenschaftler arbeiten. So schlagen sie zum Beispiel eine Düngung der
Ozeane vor, die das Planktonwachstum
erhöht und der Atmosphäre durch
Photosynthese CO2 entzieht. Für manche
Wissenschaftler sind auch künstliche
Bäume denkbar, die CO2 aufnehmen, oder
ein Schutzschild aus Billionen von transparenten Scheiben im All, die die Sonnenstrahlen reflektieren. Prof. Thomas
Stocker ist diesen Methoden gegenüber
sehr kritisch: « Die Auswirkungen
von Geo-Engineering sind noch äusserst
ungenügend erforscht und zu wenig
verstanden », gibt er zu bedenken. Vor allem sei das ‹ Abschaltproblem › gewaltig.
Wenn die Massnahmen irgendwann
einmal aufgehoben würden, könnte eine
Erwärmung eintreten, die über zehn Mal
schneller ist als die heutige.
Einige Ökosysteme wären nicht in der
Lage, sich diesem rasanten Wandel
anzupassen.
E ne rg ie s pa r e n ⁄ Sicherer scheint es da
zu sein, sich entschieden für die weltweite Reduktion der Treibhausgasemissionen einzusetzen – und dabei kann jeder
Einzelne helfen: vor allem, indem er
Energie spart. Denn Energie bedeutet die
Produktion von Kohlendioxid. Und der
Kohlendioxidausstoss in die Atmosphäre treibt den Klimawandel voran. « Die
drei grossen Kohlendioxidverursacher
sind der Verkehr, die privaten Haushalte
und der Konsumbereich », erklärt Julia
Hofstetter, Bereichsleiterin Klimabildung
der Schweizer Klimaschutz-Stiftung
myclimate. Jeder dieser Bereiche produziert rund ein Drittel der Schweizer
Treibhausgase. Dass gerade auch der Konsumbereich ein Problem fürs Klima ist,
ist vielen Menschen nicht bewusst. Denn
die Energie, die hier verbraucht wird, ist
oftmals nicht sichtbar. Tatsächlich steckt
in allem, was wir kaufen, Energie – die
so genannte ‹ graue Energie ›. Verbraucht
wird sie bei der Herstellung, dem Transport, der Lagerung, dem Verkauf und der
Entsorgung der Produkte.
E in fa c he MAs s na hme n ⁄ Im Alltag kann
bereits heute jeder Einzelne mit einfachen Massnahmen seine persönlichen
55
HIN T E R G R UND ⁄ K l i m at i pps
Treibhausgasemissionen reduzieren
und damit etwas für den Klimaschutz
tun. « Wer zum Beispiel mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt statt mit
dem Auto, verursacht für die gleiche
Strecke 20 Mal weniger Treibhausgasemissionen », erklärt Julia Hofstetter.
Beeindruckend ist auch das Einsparpotenzial an CO2, wenn man regionale
saisonale Nahrungsmittel kauft: So
verursacht laut myclimate eine
Freiland-Tomate aus der Schweiz fast
100 Mal weniger CO2-Emissionen
als eine Gewächshaus-Tomate. Auch
die Nutzung von Öko-Strom ist
eine wertvolle Massnahme, betont die
Klimaschutz-Stiftung. Und wer mit
dem Zug in die Ferien reist statt
mit dem Flugzeug, reduziert seine
Treibhausgasemissionen zudem um
ein Vielfaches.Wie man im Alltag
ohne grosse Anstrengungen das Klima
schützen kann, zeigen unsere zehn
Klimatipps.
1 . Sta n d - b y
7 . K ü h l e n
Elektronische Geräte verbrauchen auch im
Stand-by-Modus viel Strom. Es ist empfehlenswert, den Stecker rauszuziehen oder
mehrere Geräte an eine Steckerleiste mit Netzschalter anzuschliessen, um sie gemeinsam
auszuschalten.
Der Kühlschrank sollte nicht neben dem Geschirrspüler oder Herd stehen. Die höhere
Umgebungstemperatur steigert den Energieverbrauch. Die optimale Kühltemperatur im
Gerät liegt bei 5 Grad. Speisen sollten abgekühlt in den Kühlschrank gestellt werden.
2. Beleuchtung
8 . Ko c h e n
Energiesparlampen verbrauchen im Vergleich
zu normalen Glühbirnen nur ein Fünftel der
Energie, ihre Lebensdauer ist sechs- bis 15-mal
länger. Die Energieetikette auf der Verpackung
deklariert den Energieverbrauch.
Wer Töpfe und Pfannen benutzt, die zur verwendeten Kochplatte passen, spart Energie.
Gleiches gilt fürs Kochen mit Deckel auf dem
Topf. Es empfiehlt sich nicht nur, das Teewasser
im Wasserkocher zu erhitzen, sondern auch
das Wasser zum Kochen, um dieses dann zur
weiteren Verwendung in den Topf zu füllen.
3 . H e i z e n
Rund sechs Prozent Heizenergie spart, wer
die Heizung um ein Grad herunterdreht. In
Wohnräumen gelten 20 Grad als ausreichend.
Heizkörper sollten nicht mit Vorhängen oder
Möbeln verdeckt sein.
4 . D u s c h e n
Die Warmwasseraufbereitung schluckt nach
dem Heizen im Haushalt die meiste Energie.
Wer duscht statt badet, verbraucht nur rund
ein Viertel so viel Warmwasser. Und wer einen
Sparduschkopf verwendet, senkt den Wasserverbrauch noch mal erheblich.
5 . A u to
Zu Fuss gehen und Fahrradfahren sind nicht
nur CO2-neutral, sondern auch gesund. Für
längere Strecken lohnt sich das Umsteigen auf
öffentliche Verkehrsmittel. Wer mit dem Auto
niedrigtourig und mit dem richtigen Reifendruck fährt, spart Treibstoff.
6 . W a s c h e n u n d tro c k n e n
Wäschetrockner zählen zu den grössten Stromfressern im Haus. Wäsche sollte man möglichst an der frischen Luft trocknen und Waschmaschinen nur anstellen, wenn sie voll sind.
Kochwäsche kann man auch gut bei 60 statt
90 Grad waschen.
5 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
9. Backen
Backen ist im Vergleich zum Kochen auf der
Herdplatte sehr energieintensiv. Wer den Backofen nicht vorheizt, ihn vorzeitig ausstellt und
die Nachwärme nutzt, spart Energie.
1 0 . E R NÄH R UN G
Beim Bioanbau wird nur etwa die Hälfte der
Energie benötigt. Der Kauf von saisonalen und
regionalen Produkten vermeidet zudem Transportmeilen und mindert das energieaufwändige Heizen von Treibhäusern. Wer nicht täglich
Fleisch isst, schont das Klima. Denn die
Fleischproduktion verursacht rund 18 Prozent
der Treibhausgasemissionen.
w e i t e r e i n for m at i o n e n
www.myclimate.org
www.wwf.ch
Bilder
Ob Solar-, Wasser-, Windkraftwerk oder
andere alternative Energiequellen: Wollen die
einzelnen Länder ihre Treibhausgasemissionen
senken, müssen sie Investitionen in die Entwicklung moderner Technologien tätigen.
57
Impressum
M e r c ator n e w s
Ausgabe 03 ⁄ 2010
Nr.07
Herausgeber
Vorbilder und
neue Normen
Stiftung Mercator Schweiz
Gartenstrasse 33 / Postfach 2148
CH – 8022 Zürich
Tel. + 41 ( 0 ) 44 206 55 80
mercator@stiftung - mercator.ch
www.stiftung - mercator.ch
G e s p r ä c h m i t P R O F. H e i n z G u t s c h e r
vo n d e r U n i v e r s i t ä t Z ü r i c h
Interview ⁄ Nadine Fieke
verantwortlich
Beno Baumberger
redaktion
Nadine Fieke
bildnachweis ⁄ fotografie
Die Heizung ein Grad herunterdrehen,
Energiesparlampen nutzen oder nur
saisonales Gemüse geniessen: Obwohl
man das Klima bereits mit einfachen
Massnahmen schützen kann, setzen wir
diese oft nicht um. Noch schwerer fällt
uns der Klimaschutz, wenn wir Abstriche
in der Mobilität machen oder viel Geld
investieren sollen, zum Beispiel in die Gebäudesanierung. Woran das liegt, erklärt
der Sozialpsychologe Professor Heinz
Gutscher von der Universität Zürich.
M e rc ator Ne w s ⁄ Warum fällt es uns so
schwer, unser Verhalten zum Schutz
des Klimas zu ändern?
Prof. H ein z G uts ch e r ⁄ Solange sich unsere Alltagsroutinen einigermassen
bewähren, möchten wir möglichst nichts
an diesen ändern. Verhaltensänderungen
sind aufwändig und erfordern Motivation – wir müssen sie wirklich umsetzen
wollen. Dafür braucht es Einsicht in die
Notwendigkeit der Änderungen und
Wissen über die besten Verhaltensalternativen. Neues Verhalten hat in der Regel
Nach- und Vorteile. Letztere gilt es hervorzuheben. Manchmal kann weniger
tatsächlich mehr sein.
M e rc ator Ne w s ⁄ Nehmen wir das
Klima-Problem nicht ernst genug?
Prof. H ein z G uts ch e r ⁄ Wir haben ein
Problem, dessen Auswirkungen wir noch
nicht sehen und erleben können. Klima-
änderungen geschehen schleichend.
Und ein einziger kalter Winter genügt bei
vielen, die globale Erwärmung als nicht
existent abzuschreiben. Auch das Wissen
über die komplexen Vorgänge ist
ungenügend, was Verunsicherungen
begünstigt. Ausserdem neigen Menschen
oft zu einem unrealistischen Optimismus: « Es wird wohl alles nicht
so schlimm werden, warten wir's ab… »
M e r c ator N e ws ⁄ Was muss geschehen,
damit sich diese Einstellung ändert?
Prof. He i nz G uts c her ⁄ Es braucht Personen, die als weithin sichtbare Vorbilder
dienen und neue Normen propagieren.
Wenn wir Menschen überzeugen wollen,
müssen wir sie bei ihren aktuellen
Motiven abholen. Aber Klimaschutz
gehört einfach nicht zu ihren vordringlichsten Zielen. Die Herausforderung
besteht deshalb darin, die riesigen
notwendigen Anpassungsleistungen an
den Klimawandel einzuleiten und gleichzeitig neue und gangbare Wege zu finden
für ein ‹ gutes Leben ›, global für alle.
Prof. Heinz Gutscher
Heinz Gutscher ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Zürich. Zudem ist
er Präsident der Schweizerischen Akademie
der Geistes- und Sozialwissenschaften und von
Proclim, dem Forum für Klima und globalen
Wandel. Zu seinen Forschungsbereichen
gehören Umwelt- beziehungsweise Nachhaltigkeitsprobleme wie auch die Themen Soziale
Beeinflussung und Vertrauen.
B. Jung ⁄ S.3-15, 54 • Sammlung Gesellschaft
für ökologische Forschung / Schweizerisches
Alpines Museum, Bern ⁄ S.16-17 • Keystone,
S. Tischler ⁄ S.18 • Keystone, G. Bally ⁄ S.19 •
Keystone AP, K. Sanders ⁄ S.20 • Keystone
(royality free) ⁄ S.21 • Keystone, O. Maire ⁄ S.22
• Keystone, Freelance ⁄ S.23 • Universität
Basel, Prof. B. Baur ⁄ S.40-41 • FiBL, A. Fliessbach ⁄ S.45 • Keystone, C. Schnur ⁄ S.45 • Keystone EPA, R. Haid ⁄ S.46 • Keystone, A. Walker
⁄ S.46 • B. Rufer ⁄ Titelseite, S.25, 27-34, 52 •
Universität Bern, P. Kaufmann ⁄ S.28-31 •
L. Augustin ⁄ S.27 • NOAA Photo Library ⁄ S.39
• M. Hubacher ⁄ S.49 • S. Lindig, Zürich ⁄ S.51
• Keystone, J.Bott ⁄ S.56 • Keystone Desair,
H.Leuenberger ⁄ S.57 • Keystone, Lonely Planet
Images, S. Saks ⁄ S.57
gESTALTUNG
Rob & Rose Zürich
Lithografie
Andreas Muster, Basel
druck
Odermatt AG, Dallenwil ⁄ Die Druckerei
Odermatt wurde mit dem FSC-Zertifikat ausgezeichnet und druckt nach FSC-Richtlinien.
papier
PlanoArt 100 gm2 ⁄ PlanoArt ist ein vom Forest
Stewardship Council ( FSC ) zertifiziertes Papier
und stammt aus nachhaltig bewirtschafteten
Wäldern.
Klimaschutz
MyClimate: Diese Drucksache ist klimaneutral
auflage
2500 Exemplare
© Stiftung Mercator Schweiz 2010
5 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0
Über uns
Die Stiftung Mercator Schweiz gehört
zu den grösseren Stiftungen in der
Schweiz. Sie initiiert und unterstützt
Projekte für bessere Bildungsmöglichkeiten an Schulen und Hochschulen. Im
Sinne Gerhard Mercators fördert sie Vorhaben, die den Gedanken der Weltoffenheit und Toleranz durch interkulturelle Begegnungen mit Leben erfüllen
und den Austausch von Wissen und
Kultur anregen. Die Stiftung zeigt neue
Wege auf und gibt Beispiele, damit
Menschen – gleich welcher nationalen,
kulturellen und sozialen Herkunft – ihre
Persönlichkeit entfalten, Engagement
entwickeln und Chancen nutzen können.
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