Sonderausgabe AUSSTELLUNG ‹ 2 GRAD › MERCATOR 03 / 2010 Ausstellung ‹ 2 GRAD › Wetter, Mensch und Klima stehen im Mittelpunkt der grossen Themenausstellung in Basel Klimaforscher im Interview Professor Thomas Stocker spricht über den Klimawandel und das ‹ 2-Grad-Ziel › Wettervorhersagen Seit 125 Jahren beobachtet MeteoSchweiz das Wetter im Alpenraum Wissenschaftliche Beiträge Neun Professoren beleuchten Klima-Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven Klimatipps Jeder einzelne kann das Klima mit einfachen Massnahmen Schützen NEWS V O R W O R T ⁄ S o n d e r a u s g a b e M e r c at o r N e w s Liebe Leserinnen und Leser Der Klimawandel fordert unsere Gesellschaft heraus: Schaffen wir es nicht, die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu beschränken, so wird der Klimawandel verheerende Auswirkungen auf unsere Welt haben, warnen Klimawissenschaftler. Der Wert ‹ 2 Grad › ist damit eine entscheidende Zukunftsfrage – und der Name der Ausstellung, die die Stiftung Mercator Schweiz als Mitglied eines Trägervereins sechs Monate lang in Basel zeigt. Die Ausstellung möchte wissenschaftlich fundierte Fakten zu Fragen rund um Wetter, Klima und Klimawandel verständlich machen. Sie möchte generationenübergreifende Diskussionen fördern und einen Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ermöglichen. Genau diese Ziele verfolgt auch unsere Sonderausgabe der Mercator News: Wir geben darin nicht nur Einblicke in die Ausstellung, wir lassen Wissenschaftler zu Wort kommen, die sich in ihrem Forschungsalltag intensiv mit Fragen des Klimawandels auseinandersetzen. So spricht Professor Thomas Stocker, Leiter des Nationalen Forschungsschwerpunkts Klima der Universität Bern, im Interview über das gesellschaftlich wichtige Thema. Neun Professorinnen und Professoren, die zum grössten Teil auch im Rahmenprogramm der Ausstellung mitwirken, beleuchten in ihren Artikeln Klima-Fragen aus verschiedenen Perspektiven. So unterschiedlich ihre Ansätze auch sind, in einem sind sich die Autoren einig: Wir müssen handeln, wir müssen das Klima schützen. Möglichst schnell. Deshalb informieren Sie sich über das Thema, diskutieren Sie mit. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre unseres Magazins. Albert Kesseli Geschäftsführer inhalt Ausstellung S. 4 – 15 ‹ 2 Grad › Wetter, Mensch und Klima stehen im Mittelpunkt der grossen Themenausstellung in Basel s. 38 – 39 K l i m a d at e n Historische Klimadaten helfen in der aktuellen Klimaforschung s. 40 – 41 Biodiversität Der Klimawandel hat Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen s. 42 – 43 Gesundheit Der Mensch muss sich an neue gesundheitliche Herausforderungen anpassen s. 44 – 45 L a n d w i rt s c h a ft Ökologischer Landbau bietet Vorteile mit Blick auf den Klimawandel s. 46 – 47 W i rt s c h a ft Für Unternehmen ist es sinnvoll, bereits heute Investitionen zu tätigen s. 48 – 49 Auswirkungen Mit zunehmender globaler Erwärmung wächst die Zahl der Verlierer des Klimawandels HINTERGRUND s. 16 – 23 Fa k t e n z u m K l i m a w a n d e l s. 50 I n t e r n at i o n a l e Z u s a m m e n a rb e i t Eine ‹ Koalition der Willigen › kann in der Klimapolitik Impulse setzen Die Folgen der globalen Erderwärmung sind alarmierend s. 51 – 52 s. 24 – 31 W ISSENSCHA F T UND Ö F F EN T LICHKEI T K l i m a for s c h e r i m I n t e rv i e w Der Dialog zwischen Forschung und Gesellschaft ist wichtig Professor Thomas Stocker spricht über den Klimawandel und das ‹ 2-Grad-Ziel › s. 53 – 54 s. 32 – 35 Klimapolitik der Schweiz W e tt e rvor h e r s a g e n Die Schweiz hat das international formulierte ‹ 2-Grad-Ziel › fest im Blick Seit 125 Jahren beobachtet MeteoSchweiz das Wetter im Alpenraum s. 55 – 58 s. 36 – 37 K l i m at i p p s Klimamodelle Moderne Computer können Klimaentwicklungen voraussagen Jeder Einzelne kann das Klima mit einfachen Massnahmen schützen Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad › Das Wetter, der Mensch und sein Klima Alle reden vom Wetter. doch rund um die Diskussionen zum Klimawandel verunsichern Wetterkapriolen die Menschen: Ist der angekündigte schwere Sturm bereits ein Zeichen für den Klimawandel oder bloss eine Laune der Natur? Wie Wetter und Klima funktionieren, wie sie unser Leben beeinflussen, und welche Auswirkungen der Mensch auf das Klima hat, zeigt die Ausstellung ‹ 2 Grad – Das Wetter, der Mensch und sein Klima › auf dem Dreispitzareal in Basel. text ⁄ Nadine Fieke 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 5 Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad › Die Ausstellung ‹ 2 Grad › ist ein Ort zum Lernen, zum Verstehen, zum Austausch. Sie möchte wissenschaftlich fundierte Fakten zu Wetter und Klima verständlich machen. A l be rt K e s s e li ⁄ Ge s ch ä f tsf ü h r er Sti ftu n g M er cato r Sch weiz Das Licht ist blau und kühl. Fast bedrohlich. Es passt zum Titel des ersten Raums: ‹ Die Macht der Atmosphäre ›. In der Ecke steht ein vom Blitz zerborstener Baum. An der anderen Seite eine Skulptur von Maria und dem Jesuskind. Nichts ist mehr von ihrer ursprünglichen Form erkennbar, so sehr haben Wind und Wetter ihre Spuren hinterlassen. Der Blick wandert zu einem Boot, von einem Sturm komplett zerstört. Und dann zeigt Ausstellungsgestalter Peter Kuntner in die Mitte des Raums: « Genau dieses Treppenstück wird wahrscheinlich schon im nächsten Jahr die Treppe vom Aletschgletscher zur Konkordiahütte in den Berner Alpen verlängern. » Es sind diese acht einfachen Stahl-Stufen, die wie kaum ein anderes Exponat die gravierenden Folgen des Klimawandels veranschaulichen. « Die Treppe ist ein Gradmesser für den Gletscherschwund », erklärt Kaspar Meuli. Als Vertreter des Nationalen Forschungsschwerpunkts Klima hat er die Ausstellungsmacher zusammen mit Forschern der Universität Bern wissenschaftlich beraten. Schon im ersten Teil wird deutlich, was das Besondere an der Ausstellung ‹ 2 Grad › ist: Nicht allein die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema stehen im Mittelpunkt, sondern die Menschen. Dieser Ansatz wird in den folgenden drei Bereichen – ‹ Beobachten und Berechnen ›, ‹ Abwehr und Anpassung › 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 und ‹ Wetter machen › – weiter verfolgt und vertieft. Die Besucher erfahren, wie der Mensch mit den Naturgewalten lebt, wie er zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten der Welt versucht hat, das Wetter zu verstehen, aufzuzeichnen, vorherzusagen und zu beeinflussen. « Die Ausstellung behandelt nicht nur die historische und aktuelle Klimaforschung », betont Kaspar Meuli. « Sie erzählt, wie die Kulturgeschichte vom Klima geprägt wurde. » Dabei fokussiert ‹ 2 Grad › auf eine der grössten Herausforderungen der Menschheit, den Klimawandel. Vom 21. August 2010 bis zum 2. Februar 2011 präsentiert die Stiftung Mercator Schweiz zusammen mit der Christoph Merian Stiftung, mit den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft, mit der Avina Stiftung, dem Nationalen Forschungsschwerpunkt Klima, der Museumsdirektorenkonferenz Basel und der Universität Basel die Ausstellung ‹ 2 Grad › auf dem Basler Dreispitzareal. « Wir möchten mit der Ausstellung nicht nur Hintergründe zu den Themen Wetter und Klima aufzeigen », betont Albert Kesseli, Geschäftsführer der Stiftung Mercator Schweiz. « Das Kunstfreilager soll ein Ort sein zum Lernen, ein Ort des Austauschs, an dem über den Klimawandel und seine Konsequenzen diskutiert wird. » Ein abwechsV o n Dr e s d e n na c h B a s e l ⁄ lungsreiches Rahmenprogramm mit über 30 Veranstaltungen, an denen sich auch viele namhafte Wissenschaftler beteiligen, unterstützt diese Ziele. Für Schulklassen gibt es besondere Angebote wie Führungen, Workshops und Schulreisen. Konzipiert wurde die Ausstellung ‹ 2 Grad › vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden (DHMD), einem der renommiertesten Häuser für Themenausstellungen in Deutschland. Von Juli 2008 bis April 2009 hat das DHMD die Ausstellung mit grossem Erfolg gezeigt. Fast 100 000 Menschen haben ‹ 2 Grad › gesehen – darunter auch Vertreter der Stiftung Mercator Schweiz, die daraufhin das Gastspiel in Basel initiiert haben. « Einen Museumsdirektor freut es natürlich sehr, wenn eines seiner Ausstellungsprojekte auf solch ein Interesse stösst und auf Wanderschaft geht », erklärt Prof. Klaus Vogel, Direktor des DHMD. Gerne hat das Dresdner Museum dem Verein ‹ Ausstellung 2 Grad › die Ausstellungsarchitektur, professionelles Fachwissen und wertvolle Kontakte zur Verfügung gestellt. Von all dem hat das Projektteam in Basel profitiert: Es hat die Ausstellung aus Dresden nicht einfach übernommen, es war ihm wichtig, ihr ein besonderes Schweizer Gesicht zu verleihen. So haben die Experten rund ein Drittel der 365 Exponate speziell für das Schweizer Gastspiel zusammengestellt. Der Direktor des DHMD hat die Ausstellung in Basel besucht und ist voll des Lobes: « Die Schweizer Version von ‹ 2 Grad › ist ein faszinierendes Projekt geworden », schwärmt Prof. Klaus Vogel. « Frisch präsentiert, sorgfältig und kreativ gemacht. Es zeigt sich in seiner eigenen Gestaltung und mit einer eigenen Mission. » In for m at ive T h em en i n s eln ⁄ Eine glühende Sonne empfängt die Besucher im zweiten Raum. Das Licht ist auch hier gedämpft. Filigrane Metallstangen bilden zwölf aufwändig gestaltete, multimediale Inseln zum Thema ‹ Beobachten und Berechnen ›. Sie symbolisieren mit ihren dünnen, verschachtelten Streben das enge und zerbrechliche Verhältnis zwischen Mensch und Klima. « Man kommt in diesen zweiten Raum und kennt hinterher die Grundlagen zum Thema Wetter und Klima », sagt Peter Kuntner. Von der Sonne über Niederschlag, Wolken, Blitz, Luft und Wind bis hin zu Wettervorhersagen, Klimaarchiven und Klimaforschung erklären die sorgfältig ausgewählten Exponate interessante Fakten. Filme und Animationen liefern weiterführende Informationen. Je weiter man dem Rundgang durch die Ausstellung folgt, desto mehr wird deutlich: Der Mensch ist durch seine Treibhausgasemissionen mitverantwortlich für den Klimawandel. Das zeigt die Ausstellung, ohne den moralischen Bilder Vorsichtig stellen die Restauratoren die Exponate an ihren Platz. Museen und private Sammler aus aller Welt haben ihre Objekte für die Klima-Ausstellung in Basel zur Verfügung gestellt. Obe n ⁄ Un t e n ⁄ In nur 6 Monaten haben das 2-GradProjektteam und die Handwerker das alte Zollfreilager auf dem Dreispitzareal in eine Ausstellungshalle verwandelt. 7 Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad › Zeigefinger zu heben, ohne Schuldzuweisungen, ohne Weltuntergangsszenarien. ‹ 2 Grad › möchte vor allem informieren, dokumentieren und den Besuchern wissenschaftlich fundierte Fakten verständlich machen. N a c hha lt ige Nu tzu ng ⁄ In den hinteren Räumlichkeiten bricht die Basler Ausstellung ganz bewusst mit dem Konzept aus Dresden: Die Szenografen wollten baulich an den Ausstellungsräumen im alten Zollfreilager nichts verändern. So haben sie sich im Sinne einer nachhaltigen Nutzung entschlossen, die Büros der Zöllner zu erhalten. Die Sprossenscheiben sind noch da. Die Türrahmen. Die einzelnen Büroräume. Diese sind bunt gestrichen, passend zu den Exponaten zum Thema ‹ Abwehr und Anpassung ›. Der Besucher findet in diesem Teil der Ausstellung nicht nur eine australische Sonnencremedusche und eine US-amerikanische Klimaanlage aus den 1950er Jahren. Er erfährt, wie die Bewohner des Berner Mattequartiers die grosse Überschwemmung im Jahr 2005 erlebt haben. Er liest eine Postkarte an Kyrill Genow, den unglücklichen Namensgeber des heftigen Sturms, der 2007 über Europa fegte und Millionenschäden verursacht hat. Er schmunzelt im Schatten des Zürcher Bööggs über Reporter, die in kurzen Videosequenzen gegen das Wetter ankämpfen. Und er schreitet 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 vorbei an Wettergöttern wie dem aztekischen Tlaloc, dem nordischen Thor oder dem griechischen Zeus hinein in den vierten Bereich der Ausstellung: ‹ Wetter machen ›. « Der letzte Raum ist für die Ausstellung ein ganz zentraler », erklärt Kaspar Meuli. Dort geht es vor allem um Klimapolitik, um das internationale Klimaziel ‹ 2 Grad › und um die Frage, wie wir das Klima schützen und die globale Erwärmung begrenzen können. Einige Wissenschaftler schlagen zur Eindämmung des Klimawandels Massnahmen des Geo-Engineering vor. Sie sehen in der Zukunft künstliche Bäume, wollen die Ozeane düngen oder ein riesiges Schutzschild im All schaffen. Doch vor allem sind politische, international abgestimmte Massnahmen und persönliche Anstrengungen gefragt. « Wenn sich diese zwei Seiten ergänzen, können wir etwas erreichen », betont Kaspar Meuli. Doch das wird ein äusserst schwieriger Weg sein. Dies merkt der Besucher spätestens, wenn er bei seinem Rundgang kurz innehält und den ernüchternden Nachrichtenbeitrag zur Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen anschaut. H e raus for d e r u n g Kli m a p ol i t i k ⁄ Ausstellung ‹ 2 Grad › Die Ausstellung ‹ 2 Grad – Das Wetter, der Mensch und sein Klima › wirft einen vielschichtigen Blick auf die Beziehung zwischen Wetter, Mensch und Klima. 365 Exponate aus aller Welt, darunter auch Filme und interaktive Installationen, sind zu einer spannenden Ausstellung zusammengefügt. Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden, eines der renommiertesten Häuser für Themenausstellungen in Deutschland, hat ‹ 2 Grad › konzipiert und mit grossem Erfolg von Juli 2008 bis April 2009 gezeigt. Ein namhafter Trägerverein zeigt die Ausstellung mit einem Schweizer Fokus in Basel: Stiftung Mercator Schweiz, Christoph Merian Stiftung, Kanton Basel-Stadt, Kanton Basel-Landschaft, Avina Stiftung, NFS Klima, Museumsdirektorenkonferenz Basel, Universität Basel. W e i t e r e I n for m at i o n e n Ausstellungsdauer 21. August 2010 bis 20. Februar 2011 O rt Kunstfreilager Dreispitz, Florenzstrasse 1, Tor 13, 4023 Basel Ö ff n u n g s z e i t e n Besondere Angebote Schulen Der Eintritt ist für Schulen gratis. Daneben bietet ‹ 2 Grad › für Schulklassen jeder Altersstufe thematische Führungen, Workshops und Schulreisen zu einem günstigen Preis. Firmen/Gruppen/Vereine Für Gruppen organisiert ‹ 2 Grad › Führungen, auch kombiniert mit einem Apéro. Den 200 Quadratmeter grossen ‹ Klimasaal › kann man für Veranstaltungen mieten. W e tt e rw e r k s tatt Die kostenlose Wetterwerkstatt ist sonntags von 13 bis 16 Uhr für Kinder und Jugendliche geöffnet. Führungen Samstags werden um 14 Uhr und sonntags um 11 Uhr kostenlose Führungen durch die Ausstellung angeboten. Einmal im Monat werden diese von einem Gebärdensprachdolmetscher begleitet. Interessierte können private Gruppenführungen buchen, diese sind während der Öffnungszeiten möglich. V e r a n s ta lt u n g e n Ein Rahmenprogramm mit über 30 Veranstaltungen vertieft die Themen der Ausstellung. Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Do bis 19.30 Uhr Ko n ta k t +41 ( 0 ) 61 222 22 12 [email protected] IN T E R NE T www.2grad.ch Bilder Mit Licht und Farben spielt die Ausstellung ‹ 2 Grad ›: So werden die Exponate ausdrucksstark in Szene gesetzt. Die zahlreichen Videoinstallationen lassen Klimazeugen zu Wort kommen, Animationen erläutern Wetter- und Klimaphänomene im Detail. 9 1 0 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Bilder Schulklassen können in Workshops die Ausstellungsthemen vertiefen – zum Beispiel in der Wetterwerkstatt, die sonntags auch kostenlos für Familien geöffnet ist. Obe n l ink s / Mi tt e l ink s / Die Ausstellungsmacher haben ‹ 2 Grad › einen besonderen Schweizer Fokus verliehen: Ein Drittel der Exponate wurde speziell für das Gastspiel in Basel zusammengestellt. So können die Besucher unter anderem den Zürcher Böögg aus der Nähe betrachten. Un t e n l ink s / Noch nie in den vergangenen 800 000 Jahren war die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre so hoch wie heute, noch nie verlief ihr Anstieg so schnell. Das macht diese Kurve deutlich. Mi tt e / Entspannen und lernen: Neben zahlreichen Exponaten aus aller Welt bringen Filme den Besuchern die Themen Wetter, Klima und Klimawandel näher. Ob e n re c h t s / «…und wo stehen wir?»: Schweizer Prominente nehmen am Ende des Rundgangs Stellung zu den Herausforderungen des Klimawandels. Mi tt e r e c h t s / Eine riesige Sonne empfängt die Besucher im zweiten Raum. Un t e n r e c h ts / Mit Experimenten gehen Schüler in Workshops Wetterphänomenen auf die Spur. 11 Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad › Eine Ausstellung – vier Teile A u s g e w ä h lt e E x p o n at e i m Üb e rb l i c k Wetter und Klima sind Urgewalten: Sie beeinflussen nicht nur das Leben des Menschen, sie prägen und verändern ganze Landschaften. Schon immer hat der Mensch das Wetter beobachtet, versucht es zu verstehen und zu beeinflussen. Der Mensch passt sich dem Wetter an und schützt sich. In der Vergangenheit hat er Wettergötter verehrt und gefürchtet. Heute fordert ihn der Klimawandel heraus: Der Mensch muss Lösungen finden, die globale Erwärmung einzudämmen. Wie eng Wetter, Mensch und Klima verbunden sind, zeigt die Ausstellung ‹ 2 Grad › in vier Teilen. 365 Exponate, darunter auch Filme und interaktive Elemente, sind zu einer spannenden Themenausstellung zusammengefügt. Wie unterschiedlich die Ausstellungsstücke sind, zeigen unsere acht Beispiele. 1 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Teil I Teil II D i e M a c h t d e r At m o s p h ä r e B e ob a c h t e n u n d B e r e c h n e n [ 1 ] Ei n vom B lit z Ze rs törte r B a u m ⁄ Sie ist eine der ältesten ununterbrochenen Messreihen der Welt – und in der Ausstellung ‹ 2 Grad › zu sehen: die Basler Klimareihe. Die ersten Messungen hielt der Basler Juraprofessor Johann Jakob d’Annone (1728–1804) im Januar 1755 am Heuberg fest. Bis zu seinem Tod führte er beinahe 50 Jahre lang mit grosser Sorgfalt am selben Standort das meteorologische Tagebuch. Er notierte Temperatur, Luftdruck, Windrichtung und schilderte knapp den Witterungsverlauf. Bis 1929 wurden die Messungen an wechselnden Standorten in der Stadt Basel durchgeführt. Dann übernahm diese das Observatorium Basel-Binningen. Die Ablesung der Messgeräte erfolgt noch heute dreimal täglich. Welche Kraft ein Blitz hat, zeigt in der Ausstellung eine über 100 Jahre alte Weisstanne, die 2008 auf dem Gebiet der Gemeinde Oberdorf im Kanton Aargau vom Blitz getroffen wurde. Schlägt ein Blitz in einen Baum ein, fliesst dieser meist einseitig von der Krone bis in den Stammfuss ab. Dabei wird der Saft des Baumes unter der Rinde so stark aufgeheizt, dass diese häufig auf ganzer Länge aufreisst – das ist die Blitzrinne. Ein starker Blitzschlag kann den Baumstamm aber auch völlig zerstören, wie das Ausstellungsstück zeigt. [ 2 ] Tr e p p e z ur Konk or dia hü tte ⁄ Sie hat 433 Stufen, ist 150 Meter lang – und sie wächst immer weiter: Die Treppe zur Konkordiahütte muss alle paar Jahre verlängert werden, weil der Aletschgletscher um durchschnittlich 0,6 Meter pro Jahr schmilzt. Wollen Wanderer zur Hütte des Schweizer Alpenclubs (SAC) gelangen, müssen sie auf den luftigen Stufen erst einmal Schwindelfreiheit beweisen. So wird eine Treppe zum Gradmesser für den Gletscherschwund. Schon nach Ende der Ausstellung könnte das Treppenstück, das vom Erbauer der Originalleiter für ‹ 2 Grad › angefertigt wurde, den Wanderern den Weg durch die Berner Alpen zur Konkordiahütte ebnen. [3] B a s l er Kl imar e ihe ⁄ [4] Fl a s c he n von Cha rl e s Ke e l in g ⁄ Es ist ein unscheinbarer Behälter – doch mit einem unschätzbaren Wert für die moderne Klimaforschung: Mit dieser und etwa 600 weiteren Flaschen aus Pyrexglas hat der US-amerikanische Chemiker Charles David Keeling (1928– 2005) auf dem Vulkan Mauna Loa auf Hawaii Luft gesammelt. Die Proben untersuchte er auf ihren CO2‑Gehalt und legte damit einen unersetzlichen Datensatz für die Wissenschaft an. Nur durch die Messungen von Charles Keeling, die er oft gegen Mittelkürzungen verteidigen musste, wissen wir heute, dass der CO2‑Anteil in der Atmosphäre in den vergangenen 50 Jahren von 315,71 Molekülen pro Million Luftmoleküle auf 385,76 gestiegen ist. 6 4 1 Teil III Abwehr und Anpassung [5 ] D er Zür ch e r B öögg ⁄ Er ist 3,40 Meter gross, 80 Kilo schwer und er kennt sich mit dem Wetter bestens aus: Bevor der Böögg beim Zürcher Frühlingsfest Sechseläuten verbrannt wird, um den Sommer 2011 vorauszusagen, ist sein Kopf in Basel zu sehen. Dieser hat einen Umfang von 1,80 Metern, ist 1,50 Meter hoch und mit vielen liebevollen Details verziert. Beim Sechseläuten thront der Böögg auf einem zehn Meter hohen Holzstoss. Um Punkt 18 Uhr wird der riesige Schneemann angezündet – und damit symbolisch auch der Winter. Während der Böögg brennt, galoppieren Reitergruppen verschiedener Zünfte je dreimal um die Figur. Je schneller der Böögg seinen mit unzähligen Krachern gefüllten Kopf verliert, desto länger und sonniger wird der Sommer, sagt der Volksmund. [6] Gum m ien te a u s Ala s ka ⁄ Eine Gummiente schwamm Ende 1992 Dean Orbison aus Sitka (Alaska) entgegen, als er wie so oft die Strände seines Heimatortes nach Treibgut durchkämmte. Er freute sich und packte sie ein. Die Ente war weit gereist: Ein Frachtschiff hatte sie Monate zuvor in Hongkong abgeholt. Auf dem Nordpazifik war das Schiff in einen Sturm geraten und hatte einen Container mit 29 000 Gummitieren verloren. Getrieben von der Meeresströmung schwamm die besagte Ente auf dem Ozean bis zur Küste Alaskas. Noch heute findet Dean Orbison ab und zu eine Ente aus der verlorenen Ladung. In der Erforschung der Meeresströmungen spielen Plastikobjekte heute eine wichtige Rolle. 2 3 5 13 Ausstellung ⁄ ‹ 2 Grad › Teil IV Wetter machen [7] India nis c he ‹ K a c hina s › ⁄ Kachinas sind übernatürliche Wesen, Vermittler zwischen Menschen und Göttern. Sie leiten die Bitten der Hopi, eines amerikanischen IndianerStamms, um Regen und Fruchtbarkeit weiter. Nach Auffassung der Hopi lebten die Kachinas früher in Gemeinschaft mit den Menschen – bis diese Fehler machten, und sich die Kachinas in die Berge zurückzogen. Doch zwei Mal im Jahr, immer zwischen der Wintersonnenwende und Mitte Juli, kehren sie zu den Menschen zurück. In dieser Zeit finden die Kachinatänze statt: mehrtägige Rituale, bei denen die Kachi­nas Besitz von maskierten Männern ergreifen, so dass diese selbst zu diesen Wesen werden. 7 8 1 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 [8] Do nne rgott Th or ⁄ Blitz und Donner verkünden in der nordischen Mythologie das Nahen Thors. Donnernd fährt er mit seinen von Ziegenböcken gezogenen Wagen über den Himmel. Wenn der Himmelsgott seinen Hammer ‹ Mjölnir › wirft, blitzt es am Himmel. Vor allem in Island, Norwegen und Schweden wurde Thor als wichtigster Gott verehrt. Er lenkt Blitz und Donner, macht Wind und Regen und ist damit nicht nur für schönes Wetter, sondern auch für die Fruchtbarkeit des Landes verantwortlich. Zeugen des Klimawandels M e n s c h e n b e r i c h t e n vo n i h r e n Erfa h r u n g e n Ist der Klimawandel bereits spürbar? Wie äussert er sich im Alltag der Menschen? Wie beeinflusst er ihr Leben? ‹ Klimazeugen › aus aller Welt berichten im Rahmen der Ausstellung ‹ 2 Grad › über ihre Erfahrungen mit dem Klimawandel und geben Einblicke in ihre ganz persönlichen Sichtweisen. Sie sprechen von Fluten, von Dürren, von schmelzendem Meereis, auf das sie für die Jagd angewiesen sind. Die Klimaveränderungen bedrohen die Menschen in ihrer Exis­tenz. Deshalb fordern die Betroffenen ein Umdenken, ein Handeln. Die Videoaufzeichnungen mit den Aussagen der zahlreichen ‹ Klimazeugen › geben dem Klimawandel ein Gesicht. Sie machen für den Ausstellungsbesucher die Folgen der globalen Erwärmung nachvollzieh­bar. Auszugsweise haben wir einige Aus­sagen zusammengestellt. Vicente Rivero Fischer ⁄ Belize Graham Game U m w e lta k t i v i s t ⁄ G r o ss - B r i ta n n i e n « Das Wetter hat sich verändert, es ist wärmer geworden, heiss. Es ist anders als früher. Im Mai war es hier schon immer heiss, aber nicht so unerträglich heiss wie jetzt. Und den Juni kannten wir als Regenmonat. Jetzt regnet es sogar im Mai. Dagegen kann es sein, dass der Regen nächsten Monat einfach ausbleibt, obwohl man damit rechnet. » « Das Klima verändert sich. Die Leute, die hier in den Küstenorten leben und arbeiten, merken das jeden Tag. Zum Beispiel gibt es mehr Sturmfluten. Der Meeresspiegel steigt. Wir erleben diese Veränderungen ganz unmittelbar. Das zu leugnen – das ist eine Sache. Aber die Leute, die hier Tag für Tag leben, sind diesen Einflüssen unmittelbar ausgeliefert. Nichts zu tun, ist einfach keine Option. » Mbiwa Constantine Isevahasa Lehrer und Bauer ⁄ Kenia Simon Kunak « Bis weit in die sechziger Jahre hinein hatten wir immer gute Ernten. Seit 1975 haben wir Dürren. Die Staatsoberhäupter müssen mit allen Ländern reden. Die Länder müssen mit ihren Bezirken reden. Und die müssen dann mit den Menschen in den einzelnen Regionen reden. So könnten wir es vielleicht schaffen, dass alles wieder wird wie früher. » Jäger ⁄ Grönland « Als ich im April südlich unseres Dorfes unterwegs war, sah alles aus wie im Mai. Und Anfang Mai war es, als ob wir Anfang Juni hätten. Es ist schwieriger geworden, mit dem Schlitten zu fahren, weil es wärmer geworden ist. Es ist einfach unglaublich, wie warm es geworden ist. » 15 H i n t e rgr u n d ⁄ Fa k t e n z u m K l i m a w a n d e l 1 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Klimawandel – Die Zeichen sind alarmierend. SCHMELZENDE GLETSCHER, STEIGENDE TEMPERATUREN, EXTREMEREIGNISSE « Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig. » Das ist eine der Hauptaussagen des aktuellen Sachstandsberichts des ‹ Intergovernmental Panel on Climate Change › (IPCC) der UNO. Die Wissenschaftler stellen darin seit 1750 einen markanten Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre fest. Diese sind nach ihrer Überzeugung zu einem grossen Teil menschgemacht. Bleiben die Treibhausgasemissionen so hoch wie heute oder steigen sie gar weiter, würde die weitere Klimaerwärmung grosse Änderungen im globalen Klimasystem bewirken. Diese wären laut IPPC sehr wahrscheinlich grösser als diejenigen, die im 20. Jahrhundert bereits beobachtet wurden. TEMPERATUR ⁄ Gletscher Die globale Durchschnittstemperatur ist in den vergangenen 100 Jahren um 0,74 Grad Celsius gestiegen. Elf der letzten zwölf Jahre (1995–2006) gehören zu den zwölf wärmsten Jahren seit Beginn der instrumentellen Messung der globalen Erdoberflächentemperatur im Jahr 1850. Die Temperaturen sind in den vergangenen 50 Jahren fast doppelt so schnell angestiegen wie über die letzten 100 Jahre. Gebirgsgletscher und Schneebedeckung haben weltweit abgenommen. Die Abnahme der Gletscher und Eiskappen hat zum Meeresspiegelanstieg beigetragen. 17 H i n t e rgr u n d ⁄ Fa k t e n z u m K l i m a w a n d e l 1 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Niederschlag ⁄ Ozean Signifikante Niederschlagszunahmen wurden zwischen 1900 und 2005 im Norden Europas, in östlichen Teilen von Nord- und Südamerika und in Nord- und Zentralasien beobachtet. Die durchschnittliche Temperatur des Weltozeans ist bis in Tiefen von mindestens 3000 Metern angestiegen. Diese Erwärmung trägt zu einer Ausdehnung des Meerwassers und einem Anstieg des Meeresspiegels bei. Der Meeresspiegel ist von 1961 bis 2003 um durchschnittlich etwa 1,8 Millimeter pro Jahr gestiegen. Der gesamte Anstieg im 20. Jahrhundert beträgt 17 Zentimeter. 19 WIND ⁄ STURM Beobachtungen belegen eine zunehmende Aktivität starker tropischer Wirbelstürme im Nordatlantik seit 1970, verbunden mit einem Anstieg der tropischen Meeresoberflächentemperaturen. Die Westwinde in den mittleren Breiten sind in beiden Hemisphären seit den 1960er Jahren stärker geworden. 21 H i n t e rgr u n d ⁄ Fa k t e n z u m K l i m a w a n d e l Starkregen ⁄ PERMAFROSTBoden Die Häufigkeit von Starkniederschlägen hat über den meisten Landflächen zugenommen. Die Temperaturen in den oberen Schichten des Permafrostbodens sind in der Arktis seit den 1980er Jahren um bis zu 3 Grad Celsius gestiegen. Die maximale Ausdehnung der Fläche mit saisonal gefrorenem Boden hat auf der Nordhalbkugel seit 1990 um etwa 7 Prozent abgenommen. 2 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 23 HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a f o r s c h e r i m I n t e r v i e w « Die Zeit drängt » Prof. Thomas Stocker ist überzeugt: Die internationale Gemeinschaft sollte den Klimawandel so schnell wie möglich eindämmen und die Ursachen bekämpfen. Seit über zehn Jahren macht der renommierte Klimawissenschaftler der Universität Bern als Mitglied des ‹ Intergovernmental Panel on Climate Change › der UNO ( IPCC/ Weltklimarat ) auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam. Im Gespräch verrät er, was ihm die Arbeit für diese Organisation bedeutet, was er sich für die internationale Klimapolitik wünscht und was es mit dem ‹ 2-Grad-Ziel › auf sich hat. Interview ⁄ NAdine Fieke Alle Welt spricht vom Klimaziel ‹ 2 Grad ›. Auch die Ausstellung in Basel trägt diesen Namen. Warum darf sich das Klima nicht um mehr als zwei Grad erwärmen? Prof. T ho mas Sto c k e r ⁄ ‹ 2 Grad › ist nie eine fixe Grenze gewesen, die die Wissenschaft festgelegt oder bestimmt hat. Es ist nicht so, dass das Klimasystem bei 2,05 Grad kippt und bei 1,95 Grad nicht. In dem Sinn sind die ‹ 2 Grad › ein politisch vereinbartes mögliches Ziel. Ebenso das Ziel, bis zum Jahr 2020 die CO2-Emissionen um 20 Prozent zu verringern. Das alles sind Zahlen, die relativ einfach zu kommunizieren und darum attraktiv sind für die politischen Entscheidungsträger. Die Wissenschaft hat sich nicht dazu geäussert, ob das ‹ 2-Grad-Ziel › sinnvoll ist. Eines ist klar: Selbst mit einem ‹ 2-Grad-Ziel › werden massive Klimaänderungen zu verzeichnen sein. So wird beispielsweise der Meeresspiegel über mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte ansteigen, selbst wenn die Erwärmung 2 Grad nicht überschreitet. Für gewisse Gebiete heisst das, dass diese aufgegeben werden müssen. M e r cator N ew s ⁄ M e r cator N ew s ⁄ Die Wissenschaft hätte demnach gerne ein noch ehrgeizigeres Klimaziel gesehen? Prof. T ho mas Sto c k er ⁄ Selbstverständlich. Am Ende lautet die Frage jedoch, was ist der Mensch bereit, an Klimaschäden und Klimaeffekten zu ertragen. Und was ist er bereit, an Emissionsreduktionen zu unternehmen. Das ist eine Abwägung, die die Gesellschaft machen muss. 2 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Und die ‹ 2 Grad › sind der entsprechende Kompromiss. Prof. Thoma s Stoc k er ⁄ Die ‹ 2 Grad › sind erst einmal nur vorgeschlagen. Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Im Moment handelt es sich dabei nur um ein formuliertes Ziel, das überhaupt nicht bindend ist. Me rc ator N e ws ⁄ Im Sommer 2010 bestimmten extreme Wetterereignisse die Nachrichten: In Pakistan haben die Menschen unter einer verheerenden Flut gelitten, Waldbrände hatten Russland im Griff, wo der heisseste Sommer seit 130 Jahren herrschte. Sind das bereits Folgen des Klimawandels? Prof. Thoma s Stoc k er ⁄ Bei jedem Extremereignis kommt diese Frage auf. Und unsere Antwort ist immer dieselbe: Ein einzelnes Ereignis kann nicht dem Klimawandel zugeordnet werden. Wir können nicht beweisen, dass dieses Ereignis nicht aufgetreten wäre, wenn die CO2-Konzentration noch vorindustriell wäre. Aber eines gilt es festzuhalten: Die Hitzewellen folgen dem Muster, das von den Klimamodellen vorausgesagt wird. Wir hatten in Europa im Jahr 2003 eine grosse Hitzewelle. Eine solche ist in dieser Stärke in den letzten 500 Jahren nicht aufgetreten. Die Modellprojektionen sagen uns, dass solche Hitzewellen gegen Ende des 21. Jahrhunderts häufiger werden und etwa zwei bis drei Mal pro Jahrzehnt auftreten könnten. Was wir mit den Fluten und mit den Hitzewellen sehen, steht im Einklang mit dem, was die Modelle uns sagen. Me rc ator N e ws ⁄ HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a f o r s c h e r i m I n t e r v i e w Wir sollten den Klimawandel so schnell wie möglich eindämmen und die Ursache bekämpfen. Prof e s s or Th o ma s Stoc k er ⁄ Un iver s ität Ber n Wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, müssen wir also öfter mit solchen Extremsituationen rechnen? Prof. T ho m a s Sto cker ⁄ Ich sage immer, 2003 war ein Fenster in die Zukunft. Was wir in dem Sommer in Europa erlebt haben, sind Dinge, an die wir uns anpassen müssen. Me rc ator N ew s ⁄ Me rc ator N ew s ⁄ Wissenschaftler sind der Meinung, dass der Mensch für die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Prof. T ho m a s Sto cker ⁄ Ganz genau. An diesen Extremereignissen können wir das natürlich nicht einzeln aufhängen. Wir können Statistiken untersuchen, ihre Änderungen und die Ursachen für diese. Aber die langfristigen Trends sprechen eine klare Sprache. So konnte der globale Temperaturanstieg wissenschaftlich in einer kausalen Kette dem Anstieg von CO2 zugeordnet werden. Das heisst, wenn das CO2 in den letzten 250 Jahren in der Atmosphäre nicht angestiegen wäre, würden wir die globale Erwärmung heute nicht erleben. Me rc ator N ew s ⁄ Woher weiss man, dass der Mensch für den CO2-Anstieg verantwortlich ist? Prof. T ho m a s Sto cker ⁄ Mit dieser Frage musste sich die Klimaforschung über viele Jahre auseinandersetzen. Inzwischen ist die Vermutung zu einem Fakt 2 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 geworden. Der Anstieg von CO2 in der Atmosphäre wird zu einem Grossteil durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht und zu etwa 20 Prozent durch die Abholzung der Regenwälder. Das kann man auf verschiedene unabhängige Arten beweisen. Eine erste Methode ist, dass man sich die Inventarmeldungen der Fördermengen von fossilen Brennstoffen anschaut und dann berechnet, wie viel CO2 daraus in die Atmosphäre entlassen worden ist. Das ist eine buchhalterische Übung. Dann gibt es eine physikalische Untersuchung, bei der wir den so genannten ‹ Fingerabdruck › des CO2 messen können. CO2 aus fossilen Brennstoffen hat eine andere isotopische Zusammensetzung als der Kohlenstoff, der auf natürliche Weise in der Atmosphäre oder im Ozean vorkommt, nämlich etwas weniger 13 C und kein 14 C, die beiden leicht schwereren Sorten des Kohlenstoffatoms. Eine weitere Beobachtung ist, dass durch die Verbrennung der fossilen Brennstoffe der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre in einem bestimmten Verhältnis abnimmt. All das können wir messen. M e rc ator N e ws ⁄ Wie dringend ist es, gegen den Klimawandel zu handeln? Wird die Zeit knapp? Prof. Th o ma s Stoc k er ⁄ Die Frage muss man herunterbrechen auf die einzelnen Regionen. Wenn Sie jemanden in einer Küstenregion fragen, wo der Meeresspiegel steigt, dann ist die Antwort klar. Wenn Sie jemanden in alpinen Bereichen fragen, wo die Gletscher zurückgehen, ist die Antwort auch klar. Wir sollten den Klimawandel so schnell wie möglich eindämmen und die Ursache bekämpfen. Es macht auch ökonomisch Sinn, sich von der einseitigen Abhängigkeit fossiler Brennstoffe, die endlich sind, zu lösen. M e rc ator Ne ws ⁄ Wir sprechen immer nur von ‹ eindämmen ›. Auch das ‹ 2-GradZiel › ist keine absolute Verhinderung des Klimawandels. Wäre es theoretisch möglich, die ganze Entwicklung umzukehren? Prof. Thoma s Stoc k er ⁄ Theoretisch kann man das immer tun. Wir haben Modellsimulationen gemacht, wo wir im Jahr 2100 die Emissionen von einem Tag auf den anderen abgestellt haben. Doch wir mussten feststellen, dass zum Beispiel der Meeresspiegel noch viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte weiter ansteigt. Das bedeutet, wir haben zu einem gewissen Grad bereits einen unumkehrbaren Klimawandel erreicht. Es kommt hinzu, dass das CO2 in der Atmosphäre keinen natürlichen Abbauprozess kennt wie zum Beispiel das Treibhausgas Methan. Wenn man heute die Methanemissionen auf null setzen würde, wären in zehn Jahren nur noch 50 Prozent der Methankonzentrationen in der At- mosphäre vorhanden. Während das Methan abnimmt, bleibt das CO2 sehr lange in der Atmosphäre. M e rc ator N ew s ⁄ Was kann man gegen den Klimawandel tun? Welche Massnahmen schlagen Sie vor? Prof. T hom a s Sto cke r ⁄ Zunächst einmal ist es wichtig, den Ressourcenverbrauch und die CO2-Emissionen vernünftiger zu gestalten. Das bedeutet, dass man nur noch die effizientesten Geräte und die effizientesten Fahrzeuge nutzt. Man müss­ te technologische Entwicklungen und den Übergang in erneuerbare Energieträger massiv beschleunigen. Überall dort, wo man die Energie lokal gewinnen kann, zum Beispiel bei der Erwärmung des Hauses oder bei der Mobilität, müsste man die Energie direkt lokal zur Verfügung stellen. Ein Beispiel: Sie haben auf Ihrem Haus Kollektoren, laden tagsüber ein Speichermedium auf, kommen am Abend mit Ihrem kleinen Fahrzeug nach Hause, übertragen die Ladung auf das Fahrzeug und am nächsten Tag können Sie wieder 20, 30, 100 Kilometer fahren – aber eben nicht mehr. Für längere Strecken müsste ein konsequenterer Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel erreicht werden. Es wird in einer industriellen modernen Gesellschaft immer individuelle Mobilität geben, das will auch niemand abstellen. Aber man kann diese viel effizienter gestalten. Bilder Eisbohrkerne aus der Antarktis liefern wertvolle Daten für die Klimaforschung: Die Abteilung für Klima- und Umweltphysik der Universität Bern, die Professor Thomas Stocker ( im Bild auf Seite 25 ) leitet, ist weltweit führend in der Bestimmung von Treibhausgaskonzentrationen aus antarktischem Eis. Die Wissenschaftler können mit ihren Untersuchungen vergangene Klimaänderungen rekonstruieren und Vorhersagen für zukünftige Klimaentwicklungen machen. 27 HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a f o r s c h e r i m I n t e r v i e w Bilder Wie gewinnt man wertvolle Klimadaten aus einem Stückchen Eis? Der Doktorand Bernhard Bereiter ( Foto oben ) von der Universität Bern legt das Eis in das so genannte Luftextraktionsgerät. Darin wird es von einem Nadelhammer pulverisiert, die in vielen kleinen Bläschen eingeschlossene Luft entweicht. Mit Hilfe von Gasanalyse-Techniken kann man schliesslich die Konzentration der CO2-Moleküle in der entwichenen Luft bestimmen. 2 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Seit 1997 engagieren Sie sich als Klimawissenschaftler im IPCC und machen auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam. Was bedeutet Ihnen die Arbeit für diese Weltorganisation? Prof. Th o mas Sto c k er ⁄ Für mich war die Hauptmotivation immer, unseren Forschungsresultaten einen Mehrwert zu geben. Die Sachstandsberichte des IPCC sind an der Schnittstelle zwischen Wissenschaftlern und den politischen Entscheidungsträgern. Es ist etwas Besonderes, an einem Produkt mit einer so grossen Breitenwirkung zu arbeiten. So konnten wir beim dritten Bericht von 2001 einige ganz wesentliche Dinge in die KlimaDiskussion einbringen. Das war vor allem die Aussage, dass der Klimawandel durch den Menschen verursacht ist. Die Hauptaussage beim letzten Bericht 2007 war, dass die Erwärmung und verschiedene andere Klimaveränderungen eindeutig sind. Wir konnten detailliertere Voraussagen machen, insbesondere haben wir erstmals auch Aussagen zur Veränderung im Wasserkreislauf gemacht. Das war sehr wichtig. Im nächsten Bericht 2013 werden wir sehen, was die Hauptmeldungen aus der Wissenschaft sind. M e rc ator N e w s ⁄ M e rc ator N e w s ⁄ An Ihrer Motivation hat auch die Kritik, die Anfang 2010 über das IPCC hereinbrach, nichts geändert? Prof. Th o mas Sto c k er ⁄ Absolut nicht, im Gegenteil. Wenn wir ganz genau hinschauen, dann ist kein einziger Punkt im Bericht der Arbeitsgruppe 1 ‹ Wissenschaftliche Grundlagen ›, in der ich tätig bin, kritisiert worden. Es ist enorm wichtig, dass die Wissenschaft auch nach diesen Druckversuchen weitermacht. Die Fehler, die im Bericht der Arbeitsgruppe 2 aufgetaucht sind, ändern nichts an der Grundaussage des IPCC: Der Klimawandel findet statt und ist menschgemacht. Der gröbste Fehler war die Aussage, dass die Himalaya-Gletscher bis zum Jahr 2035 verschwinden werden. Dieser und weitere Fehler sind jedoch nicht bis in die Top-Level-Dokumente für die politischen Entscheidungsträger gekommen. Trotzdem gab es diese Fehler. Trotzdem muss man klar festhalten, dass das IPCC mit den Fehlern nicht richtig umgegangen ist. Zurzeit arbeiten wir daran, diese Probleme aufzugreifen und eine Art Krisenplan zu definieren, wie wir genau vorgehen, falls noch einmal solche Fehler auftreten sollten. Me r c ator N e ws ⁄ Was erhoffen Sie sich für die internationale Klimapolitik? Wie sollte es weitergehen? Prof. Thoma s Stoc k er ⁄ Die Vereinbarung eines verbindlichen Klimaziels ist für mich die oberste Priorität. Aus dem definierten Ziel leitet sich dann ab, wie viele fossile Brennstoffe in Zukunft noch in die Atmosphäre entlassen werden dürfen. Das wiederum kann man dann 29 HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a f o r s c h e r i m I n t e r v i e w Es ist wirklich in unserer Hand, die Konsequenzen des Klimawandels nicht zur Realität werden zu lassen. Prof ess or T h o m a s Sto c k e r ⁄ Un i v ers i t ä t B ern übersetzen in einen Fahrplan, wer wie viel wann ausstossen darf. Man muss sich auch Gedanken machen über Sanktionen für Länder, die ihre Vorgaben nicht erfüllen wollen oder können. Zu all dem muss man aber sagen: Klimaziele können nur in bestimmten Zeitfenstern definiert werden. Wenn wir jetzt über das Klimaziel ‹ 2 Grad › reden und die Emissionen schreiten fort wie bisher, dann wird dieses Klimaziel bis zum Jahr 2020 nicht mehr erreichbar sein. Je nach Definition des Klimaziels haben wir nur gewisse Handlungsoptionen und diese Handlungsoptionen verschwinden mit der Zeit. Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich in der internationalen Klimapolitik bald etwas bewegt? Prof. T ho m a s Sto cke r ⁄ Ich bin grundsätzlich immer ein Optimist. Aber beim ‹ 2-Grad-Ziel › drängt die Zeit langsam. Mit dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls, was 2012 der Fall sein wird, muss ein neues verbindliches Vertragswerk da sein. Kopenhagen ist ein erster Schritt in diese Richtung gewesen. Aber die Grundvoraussetzung, um das Klimaziel zu erreichen, nämlich dass dieses Dokument verbindlich ist, und dass alle an diesem Tisch sitzen inklusive China und Indien, ist noch nicht erfüllt. Me rc ator Ne w s ⁄ 3 0 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Was muss passieren, damit die notwendigen Schritte getan werden? Prof. Th o mas Stoc k er ⁄ Man hofft eigentlich immer auf die Vernunft. Aber gerade in diesem Thema scheint diese Vernunft nicht zu greifen, nicht weltweit. Im Wesentlichen wusste man bereits vor 30 Jahren um die Zusammenhänge im Klimasystem. Man wusste um die Emissionen. Man wusste, was passiert, wenn sie sich in diesem Masse weiterentwickeln. Die Voraussagen des IPCC, die 1990 gemacht wurden, sind für die wesentlichen Grössen wie beispielsweise die global gemittelte Temperatur effektiv eingetroffen. Was muss geschehen? Man kann sich vorstellen, dass mit der Häufung der Extremwetterereignisse – denken wir an Wirbelstürme, Hitzewellen oder Überflutungen – der Druck von der lokalen Ebene auf die Politik so gross wird, dass effektiv Aktionen folgen müssen. Aber das wäre ein sehr hoher Preis. Es ist wirklich in unserer Hand, die Konsequenzen des Klimawandels nicht zur Realität werden zu lassen. M e r c ator N e ws ⁄ Prof. Thomas Stocker Thomas Stocker hat an der ETH Zürich Umweltphysik studiert und 1987 mit dem Doktorat abgeschlossen. Nach Forschungsaufenthalten am University College (London), an der McGill University (Montreal) und an der Columbia University (New York) wurde er 1993 als Professor an das Physikalische Institut der Universität Bern berufen, wo er die Abteilung für Klima- und Umweltphysik leitet. Die Forschungsabteilung ist weltweit führend in der Bestimmung der Treibhausgaskonzentrationen anhand von Eisbohrkernen aus der Antarktis und der Modellierung von vergangenen und zukünftigen Klimaänderungen. Thomas Stocker hat mehr als 150 wissenschaftliche Artikel publiziert und durfte verschiedene wissenschaftliche Auszeichnungen entgegennehmen. Für seine Arbeiten erhielt er den Nationalen Latsis Preis, den Dr. h.c. der Universität Versailles und die Hans Oeschger Medaille der European Geosciences Union. Nach zehn Jahren Engagement im ‹ Intergovernmental Panel on Climate Change › (IPCC) der UNO wurde er im September 2008 zum Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 1 ‹ Wissenschaftliche Grundlagen › gewählt. IPCC Das ‹ Intergovernmental Panel on Climate Change › (IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) ist die führende wissenschaftliche Institution für die Beurteilung der globalen Klimaänderung. Das Fachgremium, das oft auch Weltklimarat genannt wird, wurde 1988 vom Umweltprogramm der UNO und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet. Es liefert wissenschaftliche Grundlagen über den aktuellen Wissensstand zum Klimawandel sowie seine möglichen Auswirkungen auf Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft. Im Jahr 2007 wurde das IPCC mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Bilder Bohrprojekte in der Antarktis sind sehr aufwändig und teuer, deshalb ist internationale Zusammenarbeit gefragt: Im Bild rechts oben ist ein Tiefbohrprojekt in Grönland zu sehen, das unter der Leitung von Dänemark steht und an dem 15 Nationen beteiligt sind. Die Bohrkerne, die auf Seite 27 zu sehen sind, wurden bei der Station Dome Concordia (Foto oben links) gewonnen, die unter französisch-italienischer Leitung steht. 31 Bilder Wie entwickelt sich das Wetter? Die Meteorologen Urs Sutter (rechts) und Felix Schacher betrachten die zahlreichen Wetterkarten, die täglich in der Wetterzentrale einlaufen. O be n ⁄ Un te n ⁄ Die rund 700 Messstationen in der Schweiz reichen nicht aus, um das Wetter zuverlässig vorherzusagen. « Unser Wetter kommt häufig aus Frankreich », erklärt Bärbel Zierl. Internationale Zusammenarbeit ist in der Meteorologie unerlässlich. Nä c hs te Se i t e ⁄ Teamarbeit ist gefragt, wenn es um Wettervorhersagen geht. Die Meteorologen müssen die zahlreichen Daten in einen Zusammenhang setzen, analysieren und interpretieren. 3 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 HIN T E R G R UND ⁄ W e t t e r v o r h e r s a g e n Daten-Künstler und Wetterfeen Ohne ihre Vorhersagen kann kein Flugzeug starten. Wanderer verlassen sich auf ihre Prognosen, Bauleiter sichern die Baustelle, sobald sie eine Unwetterwarnung herausgeben. Die Meteorologen von MeteoSchweiz beobachten im Auftrag des Bundes das Wetter über der Schweiz. Jeden Tag. 24 Stunden lang. Sie wissen, wann es stürmt, wann es schneit und wann die Sonne scheint. Aber woher eigentlich? Ein Besuch in der Wetterzentrale in Zürich. text ⁄ Nadine Fieke Die ganze Wand ist voll mit Zetteln. Linien sind darauf. Zahlen. Europa kann man erkennen. Hier und da sind Bereiche eingefärbt. Grün. Oder gelb. Zweimal täglich spucken die Computer in der Wetterzentrale von MeteoSchweiz in Zürich die Wetterkarten aus – und diese landen an der Wand; den Tagen Montag bis Sonntag zugeordnet. « Die Kunst ist, aus all diesen Daten die richtige Auswahl zu treffen », erklärt der Meteorologe Urs Sutter. Trotz aller Technik, trotz all der Computermodelle: Für eine gute Wettervorhersage sind nach wie vor das Wissen und die Erfahrungen der Meteorologen gefragt. Sie müssen die Daten in einen Zusammenhang setzen, sie müssen sie interpretieren. « Das ergibt oft spannende Diskussionen im Team », sagt Urs Sutter. Teamarbeit ist sehr wichtig, vor allem bei extremen Wetterereignissen unentbehrlich. Wie entwickelt sich der Sturm? Ist mit Überflutungen zu rechnen? Drohen Gefahren für Menschen? Für Gebäude? Für Strassen? « Da haben wir schliesslich eine grosse Verantwortung », weiss der Meteorologe. Ist erst einmal eine Unwetterwarnung an Behörden und Bevölkerung gegangen, wird die Situation ununterbrochen beobachtet, um entsprechend zu reagieren. Kann Entwarnung gegeben werden? Oder muss man die Gefahrenstufe gar erhöhen? Bärbel Zierl steht auf der grossen Dachterrasse der MeteoSchweizZentrale in der Krähbühlstrasse 58. Der Blick auf den Zürichsee ist wunderschön. Sie zeigt 7 00 M es s s tat i o ne n ⁄ darüber hinweg, in die Ferne: « Dort hinten auf dem Albis haben wir einen Niederschlagsradar », erzählt die Meteorologin und Mediensprecherin von MeteoSchweiz. Es ist einer von dreien im Land. Die anderen stehen auf dem Monte Lema (Tessin) und dem La Dôle (Jura). An insgesamt 700 Standorten überwacht das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie die Entwicklung des Wetters. Dabei helfen zahlreiche Bodenstationen, Webcams sowie Spezialmessgeräte an Flughäfen. Temperatur- und Niederschlagsmessungen, Windmessungen, Messungen der Luftfeuchtigkeit und der Globalstrahlung, sogar Pollenmessungen werden regelmässig gemacht. Viermal täglich startet am Standort in Payerne ein Wetterballon, der meteorologische Daten aus über 30 Kilometern Höhe liefert. Trotz all dieser Datensammlungen sind zuverlässige Wettervorhersagen ohne internationale Zusammenarbeit nicht möglich. « Unser Wetter kommt häufig aus Frankreich », erklärt Bärbel Zierl. Weil Wind und Wolken keine Grenzen kennen, gab es schon im frühen 19. Jahrhundert internationale Konferenzen, wie man die Wetterdaten austauschen könnte. Heute ist MeteoSchweiz an den Wettersatelliten Meteosat der Europäischen Union beteiligt. Ebenso am Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) in England, das das weltweit führende Wettervorhersagemodell betreibt. « Das Zentrum berechnet mit Daten aus allen Ländern der Welt eine globale Wetterprogno- 33 se », weiss Bärbel Ziel. Daneben liefert das Wettervorhersagemodell COSMO von MeteoSchweiz alle drei Stunden lokale Vorhersagen für die Schweiz. All diese Daten fliessen täglich im Rechenzentrum des nationalen Wetterdienstes zusammen, werden verarbeitet und von den Experten ausgewertet. Gesc hic h t e g i bt A u fs ch l u s S ⁄ Seit über 125 Jahren beobachtet MeteoSchweiz das Wetter über dem Alpenland. Über die Jahre sind da viele Daten erfasst, viele Wetterkarten gezeichnet worden. Sie alle stehen in Jahresbänden gebunden ordentlich sortiert in einem Bücherregal in der Wetterzentrale. Und auf diese historischen Daten können die Meteorologen von heute bei Bedarf zurückgreifen. « Wir können nachsehen, wann es bereits ähnliche Wetterlagen gab und wie sich das Wetter damals entwickelt hat », sagt Urs Sutter. « Das hilft bei Prognosen für heutige Wetterentwicklungen. » Alle alten Wetterkarten sind in einer Datenbank erfasst, so lassen sich die entsprechenden Seiten in den Jahresbänden schnell finden. Auch Statistiken sind für Wetterprognosen sehr hilfreich: « Gerade im Herbst ist es zum Beispiel für die Flughäfen wichtig zu wissen, wann die Bildung von Nebel anfängt », betont Urs Sutter. Durch die Auswertung vergangener Beobachtungen kann MeteoSchweiz hier Vorhersagen machen. 3 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Die Basisprognosen werden im Internet veröffentlicht, viele Daten den Kunden direkt zugestellt. Dazu zählen auch die privaten Wetterdienste, die den Service von MeteoSchweiz abonniert haben. So werden zwar Informationen der Bundesstelle für die Wettervorhersage im Schweizer Fernsehen genutzt – « doch mit den Wetterfeen haben wir nichts zu tun », betont Bärbel Zierl und räumt ein häufiges Missverständnis aus dem Weg. Denn auch wenn die Namen ganz ähnlich klingen, stehen hinter den Meteo-Sendungen im Fernsehen private Wetterdienste wie SF Meteo oder MeteoNews mit eigenem Personal. Vor rund 30 Jahren war das noch anders: Damals liefen die ersten von Meteorologen präsentierten Wettervorhersagen im Schweizer Fernsehen, zuständig war seinerzeit noch der nationale Wetterdienst des Bundes. « Felix Schacher war einer der ersten FernsehWetterfrösche », sagt Bärbel Zierl. Der Meteorologe lächelt, blickt von seinen vier Bildschirmen auf und nickt. « Das war Anfang der 1980er Jahre in der Feierabend-Familiensendung Karussell », erzählt er. Damals gab es noch keine täglichen Wetterberichte im Fernsehen. Nur am Freitag wurde das Wochenendwetter vorhergesagt – live vor einer Filzwand, auf der handgemalte Wetterkarten befestigt waren. « Je nach D ate n für We tte rdie ns te ⁄ Wetter haben wir dann ein Pferd mit Wanderschuhen oder mit Regenschirm bei der entsprechenden Region platziert », erinnert sich Felix Schacher und schmunzelt. « Der Höhepunkt war immer, wenn die Pferdchen runtergefallen sind. » Viel hat sich seit den ersten Wettervorhersagen im Fernsehen verändert: Die Technik wurde immer moderner, der Service ging von staatlicher in private Hand über und wird mittlerweile mehrmals täglich ausgestrahlt. Auch die Prognosen wurden immer genauer: Fünf Tage kann man das Wetter heute relativ zuverlässig vorhersagen. Bis zu zehn Tage ist ein guter Trend möglich. Und noch eine Beobachtung hat Urs Sutter gemacht: « Bei den Menschen ist eine immer grössere Erwartungshaltung zu beobachten. Sie wollen ganz genau wissen, wie bei ihnen vor Ort das Wetter wird. » Lohnt es sich, ein Wochenende in den Bergen zu planen? Muss das Lokal sein Personal aufstocken, weil man die nächsten Tage Stühle und Tische rausstellen kann? « Leider stossen wir irgendwo an die Grenzen der Natur », betont der Meteorologe. « Eine 100-prozentig richtige Vorhersage ist nicht möglich. » Regenreiche Sommer sind ganz normal D e r At l a n t i k u n d d i e A l p e n p r ä g e n das Klima der Schweiz text ⁄ Nadine Fieke « Das war doch gar kein richtiger Sommer in diesem Jahr. » Wie oft hat Stephan Das Bundesamt für Meteorologie und KlimatoBader diesen Satz schon gehört. Auch die logie überwacht als nationaler Wetterund Klimadienst der Schweiz die gesamte AtSommermonate 2010 waren für manch mosphäre über der Schweiz, erstellt Wettereinen Sonnenhungrigen enttäuschend: prognosen, warnt Behörden und Bevölkerung Zu viel Regen, klagen sie, recht frische vor gefährlichen Unwettern und analysiert Klimadaten. Es gibt drei Regionalzentren in Temperaturen – bis auf eine kurze Zürich, Genf und Locarno, das Zentrum für me- Hitzephase von Mitte Juni bis Mitte Juli. teorologische Messtechnik in Payerne, die « Doch gerade diese Hitzeperiode war Ozonmessungen in Arosa sowie die Flugwetterdienste an den Flughäfen Zürich und Genf. ungewöhnlich », erklärt der Klimatologe Bodenmessstationen, Wetterradars, Satelliten, von MeteoSchweiz. Radiosonden und andere FernerkundungsSchweizer Sommer sind wechselhaft, instrumente erfassen das Wetter in drei Dimensionen. Nationale und internationale eher kühl und feucht. Schuld daran ist Forschungsprojekte tragen zum besseren Verder Atlantik. « Er ist die Wetterküche der ständnis des Wetters und Klimas im AlpenSchweiz », sagt Stephan Bader. Dort raum bei. MeteoSchweiz ist beim Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) angesieentsteht die feucht-milde Meeresluft, die delt und offizielle Vertreterin der Schweiz in die vorherrschenden Strömungen aus der Weltorganisation für Meteorologie in Genf und in anderen internationalen Organisationen. westlichen Richtungen in die Schweiz tragen. Im Sommer wirkt die Meeresluft W e i t e r e I n for m at i o n e n kühlend, im Winter wärmt sie und das www.meteoschweiz.admin.ch ganze Jahr über fällt in den meisten Gebieten ausreichend Niederschlag. Tatsächlich regnet es in den Sommermonaten sogar mehr als im Winter. MeteoSchweiz W i r k s ame K l i ma s c hra nk e ⁄ « Die Alpen wirken als markante Klimaschranke zwischen der Nord- und Südschweiz », erklärt Stephan Bader. Und davon profitiert der Süden. Die Wolken regnen vor allem im Norden ab, so bleibt die Südschweiz oft trocken. Wenn es dort regnet, dann durch südwestliche oder südliche Windströmungen oder im Sommer aufgrund von Gewittern. Die Alpen verriegeln auch den kühlen nördlichen Luftmassen den Weg. Damit ist der Sommer wärmer und der Winter deutlich milder als im Norden des Landes. Doch bei den Diskussionen um gute und schlechte Sommer fällt auf: Die langjährige Durchschnittstemperatur des Sommers ist in der Schweiz seit den 1980er Jahren um knapp 2 Grad angestiegen. Lag sie im Mittelland früher bei rund 17 Grad, bewegt sie sich dort heute bei knapp 19 Grad. « Mit dieser markanten Temperaturzunahme innerhalb weniger Jahre kommt der Klimawandel klar zum Ausdruck », betont Stephan Bader. Wie de r s c hne e re ic he Win te r ⁄ Und wie wird der Winter 2010 / 2011? « Eine Vorhersage über einen so langen Zeitraum ist leider nicht möglich », bedauert Stephan Bader. Aber als Winterfreund hofft er auf einen schönen, schneereichen Winter – und die Statistiken unterstützen seine Wünsche: Die Zeiten der extrem schneearmen Winter der 1990er Jahre scheinen mit Beginn des neuen Jahrtausends vorbei zu sein. « Die Luftströmungen im globalen Kreislauf haben sich geändert. Damit haben in den letzten Jahren wieder schneereichere Winter Einzug gehalten », freut sich der Klimawissenschaftler. 35 HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a m o d e l l e Computermodelle erlauben einen Blick in die Zukunft Auch die Schweiz wird den Klimawandel zu spüren bekommen: Die Temperaturen werden steigen, im Winter wird es mehr regnen, die Gletscher werden weiter schmelzen, der Permafrostboden auftauen. Das sagen computergestützte Klimamodelle und aufwändige Berechnungen der Klimawissenschaftler voraus. TEXT / Prof. Reto Knutti, ETH Zürich Die Konzentrationen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid (CO2) in der Luft sind heute wesentlich höher als jemals zuvor in den letzten 800 000 Jahren. Die Ursache dafür ist der hohe Verbrauch von Energie und die Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Die Folgen sind bereits heute deutlich sichtbar: Seit einem Jahrhundert steigen die globalen Temperaturen, der Wasserkreislauf ändert sich, Extremereignisse nehmen zu, der Meeresspiegel steigt und die Gletscher schmelzen. Ko m p le x e B e r e c h nu n gs m od e l l e ⁄ Das Klimasystem ist komplex und wird von vielen Faktoren beeinflusst. So zum Beispiel durch Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre und dem Ozean, den Wolken, dem Meereis und den Prozessen, die auf dem Land stattfinden. Mit detaillierten Computerprogrammen, die alle diese Faktoren, also alle relevanten Teile des Klimas, beschreiben, können die Klimaforscher Prozesse verstehen, die Vergangenheit analysieren und in die Zukunft blicken. Die Erde wird dabei mit einem Gitter überzogen, und für jedes dieser Gitterelemente wird berechnet, wie warm es wird, wieviel Wasser verdunstet oder wieviel Energie von der Sonnenstrahlung ankommt. Die Grundidee ist ähnlich wie bei einer Wettervorhersage – nur dass die Klimaszenarien vor dem Jahr 1900 starten und mindestens 100 Jahre in die Zukunft blicken. Die Berechnungen der Klimamodelle für das vergangene Jahrhundert belegen den Einfluss des Menschen auf die Temperaturän- 3 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 derungen deutlich. Für die Zukunft zeigen sie, dass die Entwicklung stark von der Frage abhängt, wieviel und welche Art von Energie künftig verbraucht wird. Ohne massive Intervention und ohne Massnahmen zur Reduktion des Treibhausgasaustosses, vor allem in den Bereichen Transport, Industrie, Energieproduktion und im Bausektor, werden sich die beobachteten Klimaänderungen mit Sicherheit fortsetzen und verstärken. Die von vielen Ländern und Wissenschaftlern als gefährlich betrachtete globale Erwärmung von 1 Grad Celsius im Vergleich zu heute (oder 2 Grad gegenüber der Zeit vor 1900) wird in weniger als 50 Jahren überschritten sein. Kl ima w a nde l in de r Sc hwe iz ⁄ In allen Szenarien der künftigen Emissionsentwicklung wird für die Schweiz bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung vorhergesagt. Mit starker Intervention und einem globalen Klimaabkommen könnte diese bei rund 2 Grad, in einem pessimistischen Fall mit hohen Treibhausgasemissionen jedoch bei bis zu 5 Grad gegenüber 1900 liegen. Für den Sommer sagen die Modelle für die Schweiz tendenziell eine Abnahme, für den Winter eine Zunahme der Niederschläge voraus. Permafrostböden tauen auf, viele Gletscher werden bis zum Jahr 2100 fast oder ganz verschwunden sein. Ein verändertes Landschaftsbild und Auswirkungen auf den Tourismus sind mit den Folgen des Klimawandels zu erwarten. Zwar werden wir wohl weiterhin genügend Wasser in der Jede Tonne CO2 ist eine Tonne CO2 , ob heute ausgestossen oder in 20 Jahren, ob bei uns oder in China. Und sie wird über sehr lange Zeit Schaden anrichten. Prof e s s or R e to Knu tt i ⁄ ETH Zü r ich Schweiz haben, aber eine frühere Schneeschmelze wird zu höheren Abflüssen führen – mit der Gefahr von Hochwasser im Frühling und Trockenheit im Sommer. Dies wiederum betrifft die Landwirtschaft besonders stark. Die grossen Muster der Klimaveränderung sind klar, diese können dank der Klimamodelle mit hoher Sicherheit vorausgesagt werden. Zuverlässige Voraussagen auf lokaler Ebene sind jedoch sehr schwierig. In einem Alpental ist zum Beispiel der Einfluss der Topographie auf das Wetter entscheidend. Dieser Einfluss kann in den wissenschaftlichen Modellen wegen der zu groben Auflösung der genannten Gitter nur ungenügend dargestellt werden. Damit sind Veränderungen in Extremereignissen wie Starkniederschlägen nicht präzise vorauszusagen. Die relevanten Prozesse sind zu kleinräumig und komplex. Eines kann man jedoch festhalten: Generell wird eine Zunahme von Extremereignissen, insbesondere von Hitzewellen und Trockenperioden, tendenziell aber auch von Starkniederschlägen vorausgesagt. Die Hochwasser in den Jahren 2005 und 2007 oder der Hitzesommer 2003 könnten also Vorboten dieser Entwicklung sein. Solche Ereignisse verursachen oft Schäden in Millionenoder sogar Milliardenhöhe. Die Herausforderung für die Klimaforschung ist es, ihre Modelle so weiterzuentwickeln, dass auch für lokale Voraussagen eine hohe Zuverlässigkeit garantiert werden kann. Die steigenden Rechenkapazitäten der Computer sowie bessere Beobachtungsnetze werden in Zukunft helfen, die verbleibenden Unsicherheiten zu reduzieren. U md e nk e n i s t ge fr a gt ⁄ Ohne massives Umdenken der Menschen wird sich die Klimaproblematik weiter verstärken. Eine Anpassung an erwartete oder beobachtete Folgen des Klimawandels allein kann keine nachhaltige Strategie sein; obwohl eine gewisse Anpassung unvermeidlich ist und zum Beispiel mit vermehrtem Fokus auf Sommer- statt Wintertourismus oder dem Einsatz von Schneekanonen zweifellos heute schon im Gang ist. Nur ein Umdenken und die Entscheidung für ein anderes Verhalten, also für eine massive Reduktion der Treibhausgasemissionen, können die globale Erwärmung stoppen. Um diese weltweit auf unter 2 Grad zu begrenzen, müssten die Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen bis zum Jahr 2050 mindestens halbiert, in der Schweiz wohl um 80 bis 95 Prozent reduziert werden. Das Problem: Die heute von den verschiedenen Ländern bei den Klimaverhandlungen vorgeschlagenen Zahlen sind weit davon entfernt. Bild Hitzewellen nehmen zu: Die Grafik zeigt, dass der Temperaturanstieg der drei wärmsten aufeinanderfolgenden Sommertage in den Jahren 2021 bis 2050 im Vergleich zu 1961 bis 1990 rund 2 Grad betragen wird. 0.5 1 1.5 2 2.5 Prof. Reto Knutti Reto Knutti ist Assistenzprofessor für Klimaphysik am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. In seiner Forschung befasst sich Reto Knutti mit den Veränderungen im globalen Klimasystem, die durch den steigenden menschlichen Ausstoss von Treibhausgasen verursacht werden. Aus seiner Arbeit sind zahlreiche Publikationen hervorgegangen, die entscheidend zu einem besseren Verständnis der Unsicherheiten von Klimaprognosen beigetragen haben. Reto Knutti ist Mitautor des neusten Klimaberichts des ‹ Intergovernmental Panel on Climate Change › (IPCC). 37 HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a d at e n Lernen aus der Vergangenheit Wer extreme Wetterereignisse verstehen möchte, muss in die Vergangenheit blicken: Historische Daten helfen Klimawissenschaftlern dabei, aktuelle Ereignisse einzuordnen und zu beurteilen. Mit modernster Technik ist es heute möglich, das globale Wetter zurück bis ins 19. Jahrhundert zu rekonstruieren. text ⁄ Prof. Stefan Brönnimann, Universität Bern Die Extremereignisse des vergangenen Sommers – Hitzewelle in Russland, starke Monsunniederschläge und Überflutungen in Pakistan – haben uns einmal mehr vor Augen geführt, wie verletzlich die Menschen gegenüber Wetterextremen sind. Die Ereignisse in beiden Ländern sind besonders beängstigend vor dem Hintergrund, dass Wetterextreme wie diese in Zukunft häufiger vorkommen werden. Die Folgen der beiden Ereignisse für die betroffene Bevölkerung sind verheerend, die internationale Solidarität ist gefordert, und Langzeitstrategien müssen entwickelt werden, damit bessere Vorkehrungen getroffen werden können. 200 Jah r e a lt e K li m a d at e n ⁄ Dabei spielen auch Klimadaten eine Rolle. Einerseits braucht es die aktuellen meteorologischen Daten; diese müssen genauestens analysiert werden, um die Ereignisse dieses Sommers zu verstehen. Es ist ein zukunftsgerichtetes Überwachungssystem nötig – und dazu gehören Klimadaten. Genauso wichtig sind aber auch Informationen über die Klimavergangenheit. Mit diesen ist es möglich, die aktuellen und zukünftigen Ereignisse einzuordnen und zu beurteilen. Wichtig sind insbesondere die Daten der vergangenen 100 bis 200 Jahre. Diese Periode markiert den Übergang eines Klimasystems, das kaum durch den Menschen beeinflusst wurde, zu einem 3 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 System, das der Mensch stark mitprägt. Leider stehen meteorologische Daten aus der Vergangenheit aber nicht einfach so zur Verfügung. Zwar wurde vielerorts das Wetter beobachtet oder gemessen, die Messdaten der Stationen wurden meist auch an zentrale Stellen weitergeleitet und dort beispielsweise in Form von Jahrbüchern publiziert. Aber nur ein Teil dieser Daten hat den Sprung ins elektronische Zeitalter geschafft. Viele wertvolle Beobachtungen existieren immer noch ausschliesslich auf Papier. Ein Problem ist ausserdem, dass über lange Zeit nur Monatsmittelwerte erfasst wurden, weil diese für die meisten klimatologischen Fragestellungen der damaligen Zeit genügten. V e r änd e rt e Anforder u nge n ⁄ In den vergangenen Jahren haben sich die Anforderungen an historische Klimadaten jedoch stark verändert. Immer mehr stehen Extremereignisse im Zentrum des Interesses. Dazu benötigt man Einzelwerte und keine Monatsmittelwerte; und diese über eine möglichst lange Zeit. Heute gibt es immer bessere numerische Verfahren, um die verstreuten Messdaten in sinnvolle Produkte umzusetzen. Aus verhältnismässig wenigen historischen Messungen kann man mittlerweile mit Hilfe eines Wettermodells das globale Wetter dreidimensional und zeitlich hochaufge- löst rekonstruieren – zurück bis ins 19. Jahrhundert. Solche Datenprodukte werden insbesondere auch für die Beurteilung von Extremereignissen von grossem Nutzen sein. Mit diesen Entwicklungen erhalten alte, verstaubte Wetterdaten auf einmal wieder eine sehr grosse Bedeutung. Diverse Projekte befassen sich zurzeit damit, historische Wetterdaten zu finden, zu fotografieren, zu digitalisieren, zu korrigieren und damit der Wissenschaft und der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Der erste Schritt gleicht oft mühsamer Detektivarbeit. Gute Kontakte und behutsames Vorgehen sind entscheidend, um überhaupt Zugang zu den Archiven zu erhalten. Der zweite Schritt kommt einer Rettung von Kulturgut gleich, denn oft ist das Papier zersetzt und das Wissen um die Daten geht verloren. Die Daten werden in einem digitalen Format gespeichert, aber noch nicht als Zahlenwerte. Die Zahlen auf den Fotos müssen erst digitalisiert werden, meistens durch Abtippen. Erst dann sind die Messungen als Zahlenwerte greifbar. Bis Klimawissenschaftler diese nutzen können, sind noch viele weitere Schritte der Qualitätskontrolle und Korrekturen nötig. Die meteorologischen Daten, die unsere Vorfahren mit viel Fleiss und Einsatz Gr u ndl a ge de r F or s c hu n g ⁄ gemessen haben, bilden somit die Grundlage der meteorologischen Datensätze des 21. Jahrhunderts, auf denen beispielsweise Vorkehrungen gegen Folgen von Wetterextremen beruhen werden. Diese Daten nutzbar zu machen, ist ein grosses, breit abgestütztes Unternehmen und erfordert weltweite Koordination. Jeder Einzelne kann übrigens selbst zu diesem Unternehmen beitragen. Wenn die immense Arbeit der Datendigitalisierung auf möglichst viele Personen verteilt wird, lässt sich mehr erreichen. Auf den unten stehenden Websites kann jeder Interessierte Hand anlegen – und dabei auch ein Stück Wissenschaft erfahren. Prof. Stefan Brönnimann Stefan Brönnimann ist Klimatologe am Oeschger Zentrum für Klimaforschung und am Geografischen Institut der Universität Bern. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit grossräumigen Klimaschwankungen in den vergangenen 150 Jahren – mit Phänomenen wie El Niño, Dürren oder Vulkanausbrüchen. Die Arbeiten beruhen zu einem grossen Teil auf der Aufarbeitung historischer Daten und dem Vergleich mit Klimamodellen. W e i t e r e I n for m at i o n e n www.data-rescue-at-home.org www.oldweather.org 39 HIN T E R G R UND ⁄ B i o d i v e r s i t ä t Suche nach neuen Lebensräumen Der Klimawandel fordert Tiere und Pflanzen heraus: Wenn die Temperaturen steigen, wenn sich Niederschläge ändern und wenn sich extreme Wetterereignisse häufen, müssen Tiere und Pflanzen reagieren. Entweder sie passen sich schnell an oder sie suchen sich neue Lebensräume. Doch die Natur setzt diesem Prozess Grenzen, viele Arten drohen auszusterben. Text/ Prof. Bruno Baur, Universität Basel Prof. Bruno Baur Bruno Baur ist Professor für Naturschutzbiologie und Leiter des Instituts für Natur-, Landschafts- und Umweltschutz an der Universität Basel. Er ist Mitgründer und Mitglied des Beirats des Forums Biodiversität der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind anthropogene Veränderungen der Biodiversität, invasive (gebietsfremde) Arten und die Biologie von seltenen und gefährdeten Arten. In erdgeschichtlichen Zeiträumen haben sich die klimatischen Bedingungen immer wieder verändert. Das führte dazu, dass sich die Lebensräume von Tieren und Pflanzen wandelten – oder dass verschiedene Arten ausstarben. Dies ist ein natürlicher Prozess. So wurden auch nach Ende der Eiszeiten mit dem Rückzug der Gletscher eisfreie Gebiete wiederbesiedelt. Die früheren Temperaturveränderungen fanden aber oft über lange Zeiträume von 1000 und mehr Jahren statt. Im Gegensatz dazu verläuft die derzeitige globale Klimaerwärmung viel schneller. Die Reaktionen auf die Umweltveränderungen fallen je nach Tier- und Pflanzenart unterschiedlich aus. Anpassungen durch natürliche Selektion können von einer Generation zur nächsten auftreten. Da Anpassungen von der Generationsdauer abhängig sind, vergeht beispielsweise bei Baumarten mit Generationslängen von mehr als 100 Jahren viel Zeit, bis sie wirksam werden. Art e n s i nd zu l a n gs a m ⁄ Wenn sich das Klima in den nächsten 100 Jahren um 3 Grad Celsius erwärmt, werden sich die Vegetationszonen auf der Nordhalbkugel um rund 600 Kilometer von Süden nach Norden und um rund 600 Meter in die Höhe verschieben. Viele Arten werden diese Wanderung nicht mitmachen können; sie sind einfach zu langsam. Die meisten Baumarten können sich mit ei- 4 0 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 ner Geschwindigkeit von etwa 100 Kilometern in 100 Jahren ausbreiten, viele alpine Pflanzen um 50 Höhenmeter in 100 Jahren. Es können bereits Veränderungen in den Ausbreitungsgebieten der Arten festgestellt werden: So dehnte sich in den vergangenen 30 Jahren die nördliche Ausbreitungsgrenze der Vögel auf den britischen Inseln um rund 30 Kilometer in Richtung Norden aus, diejenige der Libellen um 80 Kilometer. Star k e Au sw irk u nge n in de n Alpen ⁄ Im Alpenraum zeigt sich die Klimaerwärmung besonders deutlich. Der Anstieg der Temperaturen ist im Vergleich zum globalen Trend rund doppelt so hoch, das heisst, die mittleren Temperaturen sind seit 1970 um rund 1,5 Grad Celsius gestiegen. Bis zum Jahr 2100 muss mit einer Zunahme der Sommertemperaturen von 3,5 bis 7 Grad Celsius gerechnet werden. Ein Durchschnittssommer wird dann in etwa dem Hitzesommer 2003 entsprechen. Dazu wird es im Sommer deutlich trockener, im Winter feuchter. Diese sich rasch verändernden Klimabedingungen haben grosse Auswirkungen auf alpine Ökosysteme. Von den knapp 4500 Pflanzenarten in den Alpen sind etwa 500 endemisch, das heisst, sie kommen nur in diesem Gebirge vor. Damit bilden die Alpen die floristisch reichhaltigste Region Mitteleuropas. Gemäss Modellberechnungen sind 45 Prozent der Pflanzenarten in den Alpen bis zum Jahr 2100 vom Aussterben bedroht. Auf dem Rückzug sind bereits alle extremen Hochlagenarten, die so genannten Nivalpflanzen, wie etwa der Gletscher-Hahnenfuss oder der Alpen-Mannsschild. Ihr Lebensraum wird sich bei weiterer Erwärmung durch nachrückende konkurrenzstärkere Arten weiter einengen. Beim Alpen-Mannsschild ist dies umso dramatischer, weil dieser ausschliesslich in den Alpen vorkommt. Grosse Probleme entstehen auch, wenn die veränderten Temperaturen Wechselwirkungen zwischen den Arten beeinflussen. So findet der Austrieb der Blätter von Laubbäumen immer früher statt. Dadurch setzt auch die Entwicklung der Raupen, die für Trauerschnäpper, Meisen und andere Vogelarten die wichtigste Futterquelle zur Aufzucht der Jungen sind, früher ein. Will der Trauerschnäpper seine Jungen aufziehen, wenn die meisten Raupen verfügbar sind, muss er seine Rückkehr aus dem afrikanischen Winterquartier vorlegen. Gelingt ihm das nicht, so sinkt sein Bruterfolg. ab. Sie bestimmt die Menge des Kohlendioxids und anderer Klimagase, die freigesetzt werden, und damit auch das Ausmass des Temperaturanstiegs. Klimaschutz und die Erhaltung der Pflanzen- und Tierarten sind eng verknüpft und gehören zu den vordringlichen Aufgaben der Gesellschaft. Beide erfordern eine globale Sichtweise und nationales Handeln. Bilder Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Natur: Pflanzen blühen früher, die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Tieren verändern sich und ihre Lebensräume verschieben sich in die Höhe. Ein f luss faktor Men s ch ⁄ Mit welcher Wahrscheinlichkeit Pflanzen- und Tierarten ihre Lebensräume verlieren und neue finden, hängt vor allem von der zukünftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit 41 HIN T E R G R UND ⁄ G e s u n d h e i t Leidet die Gesundheit? Hitzewellen fordern Todesopfer, Pollen machen Allergikern zu schaffen, Ozonbelastungen in der Luft führen zu Atembeschwerden. Und in Zukunft könnte es in der Schweiz vielleicht sogar Tropenkrankheiten geben. Der Klimawandel wird Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben. In welchem Ausmass, lässt sich noch schwer vorhersagen. Doch eins steht fest: Der Mensch wird sich anpassen müssen. Text/ Prof. Martin Röösli, Schweizerisches TropenInstitut Am 25. August 2010 war es am frühen Morgen in Basel 11 Grad warm, einen Tag später am Nachmittag bereits 30 Grad. Solche Temperaturschwankungen sind in unseren Breitengraden nicht ungewöhnlich. Unser Körper kann damit umgehen. Es scheint damit auf den ersten Blick unplausibel, dass eine langfristig zu erwartende Temperaturerhöhung gesundheitliche Auswirkungen haben kann. Also alles kein Problem? Ganz so einfach ist es nicht. Zwischen der Tagestemperatur und der Sterblichkeit besteht ein Zusammenhang: Sowohl Hitze als auch Kälte führen zu zusätzlichen Todesfällen. So starben im heissen Sommer 2003 in der Schweiz rund 1000 Menschen mehr als sonst in diesem Zeitraum gestorben wären. Das Temperaturoptimum, bei der am wenigsten Leute sterben, ist geografisch unterschiedlich: In Finnland liegt dieses Optimum bei rund 15 Grad, in London oder Basel bei etwa 20 Grad und in Griechenland bei 25 Grad. Das zeigt, dass sich die Menschen an das Klima anpassen können. Dabei handelt es sich einerseits um eine biologische Adaption, andererseits um Verhaltensänderungen. So reduzieren die Menschen in heissen Ländern zur Mittagszeit ihre Aktivität, in kalten Ländern nutzen sie effizientere Heizsysteme. Das zeigt, dass eine langsame und kontinuierliche Temperaturerhöhung wahrscheinlich zu einem grossen Teil mit unterschiedlichen Anpassungsprozessen kompensiert werden kann. Für die Gesundheit problematischer werden die mit dem T em p e r at ur u nd St erb l i c h k e it ⁄ 4 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Klimawandel einhergehenden Zunahmen von Extremwetterereignissen wie Hitzewellen oder Überschwemmungen sein. Hö he re O z on be l a s tu n g ⁄ Neben den direkten Auswirkungen der Temperatur auf die Gesundheit lässt der Klimawandel eine Reihe von indirekten Wirkungen erwarten. So führen die erhöhte Temperatur und Sonneneinstrahlung zu einer grösseren Ozonbelastung in der Luft. Das hat Folgen für die Gesundheit: etwa eine akute Abnahme der Lungenfunktion oder eine Zunahme von Beschwerden bei Menschen, die im Freien aktiv sind. Zusätzlich erhöht sich durch die Ozonbelastung sowohl kurz- als auch langfristig die Sterblichkeit. Das Klima bestimmt auch die Pollenverbreitung, was für Allergiker relevant ist. Gemäss heutigem Kenntnisstand ist zu erwarten, dass sich die Pollensaison für eine bestimmte Pflanzenart, wie beispielsweise Birke, in Zukunft nicht verlängert. Jedoch wird sich die gesamte Pollensaison für alle Pflanzenarten zusammen verlängern, weil gewisse Pollen bereits früher im Jahr in der Luft zu finden sein werden. Personen, die auf mehrere Pollen allergisch sind, müssen daher mit einer Zunahme der Beschwerden rechnen. Ebenfalls vom Klimawandel betroffen sind Infektions- oder so genannte vektorübertragene Krankheiten. Im Moment scheint es zwar unwahrscheinlich, dass sich Tropenkrankheiten wie Malaria oder Denguefieber in unseren Breitengraden ausbreiten. Die Jede Verschlechterung der Lebensbedingungen beeinträchtigt die Gesundheit – direkt oder indirekt. Prof e s s or Ma rtin R öös l i ⁄ Sch weiz er i sch es T r open in stitu t Situation sollte man jedoch genau beobachten. Das Auftreten von Tigermücken nördlich der Alpen sowie ein Chikungunya-Ausbruch in Norditalien im Jahr 2007 oder in Südfrankreich im Jahr 2010 zeigen die möglichen gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Höhere Temperaturen verbessern auch die Vermehrungsbedingungen von Bakterien wie Salmonellen oder Coli-Stämmen in Lebensmitteln. Das erhöht die Gefahr von Infektionen durch den Verzehr kontaminierter Nahrung, wenn der Lebensmittelkühlung nicht vermehrte Beachtung geschenkt wird. Studien belegen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Temperatur und dem Auftreten von nahrungsmittelbedingten Darminfektionen. Auf der anderen Seite sind auch positive Gesundheitseffekte nicht auszuschliessen: So wurde prognostiziert, dass bei einer Erwärmung das Verbreitungsgebiet von Zecken in der Schweiz kleiner werden könnte. Bei einer Temperaturzunahme von 2 bis 3 Grad könnten tiefe Lagen in der Schweiz und in Deutschland sogar zeckenfrei werden. Damit wäre ein Rückgang der Borreliose und der Zeckenencephalitis möglich. gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels. In unseren Breitengraden dürften diese eher moderat sein. Global sieht dies jedoch anders aus. Die Erhöhung des Meeresspiegels und damit einhergehende Überschwemmungen und Grundwasserversalzungen führen zu Bevölkerungsverdrängung. Die weltweite Nahrungsmittelversorgung wird durch vermehrte Dürren und Überschwemmungen beeinträchtigt, Nahrungsmittelengpässe mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen sind zu befürchten. All dies führt zu einer verstärkten Migration, was schlussendlich auch wieder Auswirkungen in unseren Breitengraden hat. Die globale Häufung von Extremwetterereignissen im Sommer 2010 – Überschwemmungen in Pakistan, Dürre in Niger, Hitzewelle und Waldbrände in Russland – geben einen Eindruck von den Folgen des Klimawandels: Alle diese Ereignisse wurden von der Weltmeteorologischen Organisation in Genf explizit mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht. Tropenkrankheiten Tropenkrankheiten sind Infektionskrankheiten, die vor allem in den Tropen und Subtropen vorkommen. Wie Malaria, Leishmaniose oder Denguefieber werden die meisten dieser Krankheiten durch Parasiten verursacht, die von blutsaugenden Insekten wie Stechmücken auf den Menschen übertragen werden. Diese Träger nennt man auch Vektoren – daher ist in Fachkreisen der Begriff ‹ vektorübertragene Krankheiten › gebräuchlich. Die Verbreitung der Vektoren und der Parasiten ist stark von einer bestimmten Temperatur und Feuchtigkeit abhängig, die vor allem in tropischen Breiten zu finden sind. Ein globaler Temperaturanstieg könnte die Gefahr der vektorübertragenen Krankheiten in den Tropen weiter erhöhen. Auch in Europa könnten diese unter Umständen in Zukunft häufiger vorkommen, wenn sich die Vektoren ausbreiten und mit den Parasiten infizieren. Im Tierreich wurden bereits vermehrte Ausbrüche von Krankheiten, die von exotischen Vektoren übertragen werden, festgestellt. Prof. Martin Röösli Prof. Martin Röösli ist Umweltepidemiologe mit einem atmosphärenphysikalischen Hintergrund. Er leitet am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut in Basel die Einheit für Umweltepidemiologie und Risikoabschätzung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die gesundheitlichen Auswirkungen von Umweltfaktoren. Dazu gehören unter anderem elektromagnetische Felder, Luftverschmutzung, Lärm, ionisierende Strahlung und Passivrauchen. G l ob ale Au sw i r ku n g en ⁄ Wie die Beispiele veranschaulichen, besteht auch in Fachkreisen eine grosse Unsicherheit über die konkret zu erwartenden 43 HIN T E R G R UND ⁄ L a n d w i r t s c h a f t Biolandbau schützt das Klima Die Böden sind dank Biolandbau nicht nur Fruchtbarer, sie sind auch widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels: Diese Form der Landwirtschaft schützt gegen Erosionen und sorgt für eine bessere Wasserspeicherung im Boden. Zudem ist der ökologische Landbau gut für das Klima, davon sind die Wissenschaftler des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) überzeugt. TEXT ⁄ Dr. Andreas Gattinger, Dr. Andreas Fliessbach und Dr. Eric Wyss, FiBL Wer über die Ursachen der Treibhausgasemissionen spricht, darf die Landwirtschaft nicht vergessen: Ihr Anteil an den gesamten klimarelevanten Emissionen beträgt immerhin 14 Prozent. Ursache ist zum einen die Verdauung der Wiederkäuer. Diese erzeugt Methan und trägt damit einen grossen Teil zu den Emissionen bei. Auch synthetische Stickstoffdünger sind eine Quelle für Treibhausgasemissionen. Bei ihrer Produktion wird Erdöl verwendet, und bringt man den Dünger auf den Feldern aus, wird Lachgas freigesetzt. Ökologischer Landbau kann Treibhausgase deutlich verringern. Schliesslich wird bei dieser Art der Landwirtschaft das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) durch den Verzicht auf synthetische Düngemittel nicht nur eingespart, es wird durch den verstärkten Humusaufbau auch im Boden zurückgebunden. Aufbau und Erhalt von Humus ist ein Grundprinzip des ökologischen Landbaus. Das entsprechende Humusmanagement stellt die langfristige Bodenfruchtbarkeit und die Ernährung der Kulturpflanzen sicher. Durch den Anbau von mehrjährigem Kleegras in ökologischen Fruchtfolgen und durch die Verwendung von Stallmist und Kompost wird ein Humusverlust, der durch die Bodenbearbeitung und den Abtransport von Ernteprodukten bedingt ist, nicht nur ausgeglichen, sondern sogar überkompensiert. Dies bestätigen Vergleichsstudien verschiedener Langzeitfeldversuche aus der Schweiz, Deutschland und den USA: Die besten ökologischen Anbausysteme binden pro Hektar und Jahr im 4 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Durchschnitt 590 Kilo mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre als die besten konventionellen Vergleichsverfahren. Ko hl e ns toff im B o de n ⁄ In einer umfassenden Literaturstudie hat das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) im Rahmen des Forschungsprojekts CaLas (Carbon Credits for Sustainable Landuse Systems) die Kohlenstoffspeicherung im Boden unter biologischer und konventioneller Bewirtschaftung in der Schweiz und im benachbarten Ausland genauer betrachtet. Dabei fiel auf: Unter ökologischer Bewirtschaftung waren die Bodenkohlenstoffgehalte signifikant höher als unter konventioneller. Hinsichtlich der Lachgasemissionen gibt es für Böden unter ökologischer Bewirtschaftung leider noch wenig Daten, auf die das FiBL für seine aktuelle Studie zurückgreifen kann.Wahrscheinlich ist, dass der Ökolandbau mit seinem geringeren Stickstoffeinsatz und mit seiner oft besseren Bodenstruktur Vorteile mit Blick auf den Klimawandel hat. Jedoch geht das FiBL davon aus, dass die umfangreiche organische Düngung günstige Bedingungen für Lachgasemissionen bietet. Das könnte ein Problem sein: Denn Lachgas ist 300 Mal klimawirksamer als CO2. Aus diesem Grund sind weitere kritische Studien zu diesem Thema wichtig. Trotz dieser offenen Fragen scheint der Ökolandbau mit seinem verstärkten Humusaufbau eine der Gu te A npa s s u n gs s tr at e gie ⁄ besten Anpassungsstrategien an den Klimawandel zu sein: Da humusreiche Böden mehr Wasser bei Starkniederschlägen aufnehmen, mindern sie den Oberflächenabfluss und die Erosion. Zudem können diese Böden in Trockenperioden länger Wasser nachliefern. Mit Blick auf den Klimawandel ist in der Landwirtschaft ein neuer Ansatz geboten – und dieser sollte konsequent im Ökolandbau umgesetzt werden: Nicht Einzelmassnahmen sind gefragt, vielmehr braucht es aufeinander abgestimmte Massnahmenpakete, die dem landwirtschaftlichen Betrieb als so genanntes ‹ Tier-PflanzeSystem › die notwendige Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft verleihen. Dazu zählt auch eine konsequente Risikoverteilung in der landwirtschaftlichen Produktion mit Blick auf längere Trockenheit oder Wetterextreme im Zuge des Klimawandels. Der Anbau verschiedener Arten und Sorten, weite Fruchtfolgen und Mischkulturen sind ebenso hilfreich wie der Erosionsschutz durch Bodenbedeckung, eine reduzierte Bodenbearbeitung, eine Nutzung der Biodiversität (Blühstreifen und Nützlingsstreifen) sowie eine angepasste Züchtung und effiziente Technik für Standorte mit schweren Böden. FiBL Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) wurde 1973 gegründet und ist seit 1997 in Frick ansässig. Es ist weltweit eine der führenden Forschungseinrichtungen für biologische Landwirtschaft und beschäftigt über 130 Fachleute. Das FiBL ist international an zahlreichen Projekten beteiligt – sowohl in Forschung, Beratung und Weiterbildung als auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Im aktuellen Forschungsprojekt CaLas, das die Stiftung Mercator Schweiz mit 550 000.­– Franken fördert, wird das klimaschonende Potenzial des Ökolandbaus erforscht. Zudem wird darin eine Methodologie entwickelt, die die Klimaleistungen des Ökolandbaus quantifiziert und den Handel mit CO2-Zertifikaten in der Landwirtschaft möglich macht. Dr. Eric Wyss ist Vizedirektor des FiBL, die zwei weiteren Autoren des Artikels, Dr. Andreas Gattinger und Dr. Andreas Fliessbach, sind als Wissenschaftler im Bereich Bodenwissenschaften tätig. Bilder Biolandbau ist eine gute Anpassungsstrategie an den Klimawandel: Der grössere Humusanteil im Boden verringert bei Starkniederschlägen die Erosion und Verschlammung (Foto oben). Im Langzeitvergleich des FiBL sind die Unterschiede zwischen reiner Mineraldüngung (Foto unten) und ausschliesslich organischer Düngung gut zu sehen. 45 4 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 HIN T E R G R UND ⁄ W i r t s c h a f t Unternehmen in einer 1-TonneCO2 -Gesellschaft Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Wirtschaft: Spätestens wenn sich Ressourcen verknappen und wenn CO 2 -Emissionen nicht mehr kostenlos sind, müssen Unternehmen nach Alternativen suchen. Aus unternehmerischer Sicht ist es sinnvoll, dies bereits heute in Investitionen zu berücksichtigen, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern.TExt ⁄ Prof. Volker Hoffmann, ETH Zürich Wo fossile Rohstoffe verbrannt werden, entsteht CO2. Aus dreierlei Gründen fusst auf diesem einfachen Zusammenhang eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Erstens führt aus klimawissenschaftlicher Sicht die Emission von CO2 zu einer Änderung klimatischer Bedingungen auf der Erde, die ohne Umdenken zu negativen Auswirkungen für Natur und Mensch führen wird. Zweitens geht aus ressourcenökonomischer Sicht der Energiehunger der Welt mit einer Verknappung und Verteuerung fossiler Brennstoffe einher, die aus heutigen Produktionsprozessen nur schwer wegzudenken sind. Drittens werden einzelne Länder unterschiedlich von den Folgen von Klimawandel und Ressourcenverknappung betroffen sein, was geopolitische Instabilitäten und Verschiebungen im internationalen Machtgefüge nach sich zieht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die weltweite Verbrennung fossiler Rohstoffe schnell auf ein deutlich tieferes Niveau als heute zu reduzieren und dort langfristig zu stabilisieren. In diesem Zusammenhang wird vielfach von einer 1-Tonne-CO2Gesellschaft gesprochen, in der also der CO2 -Ausstoss pro Kopf und Jahr nicht mehr als 1 Tonne beträgt. Ressourcenverknappung und gesellschaftliche Bestrebungen zur Emissionsreduktion N e ue R ahm en bed i n g u n g en ⁄ gehen mit einer erheblichen Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einher. So hat beispielsweise die Internationale Energie Agentur (IEA) in ihrem Bericht von 2008 eingeräumt, dass die Öl-Preise bis 2030 signifikant steigen werden. Weiterhin dürfte die Zeit unbegrenzt kostenloser CO2-Emissionen in vielen Wirtschaftssektoren zumindest in Europa der Vergangenheit angehören. Aber obwohl auf dem Weg zu einer 1-Tonne-CO2-Gesellschaft noch Jahrzehnte vergehen werden, ist die Stossrichtung heute schon erkennbar. Vor dem Hintergrund oft langer Investitionszyklen ist es erforderlich, dass sich Unternehmen bereits heute mit einer solchen Vision auseinandersetzen. Dabei sprechen verschiedene Gründe für ein proaktives Vorgehen: Staaten oder Staatengruppen wie die Schweiz oder die EU werden ihre Klimagesetzgebung selbst ohne weltweites Abkommen verschärfen, da sie die Notwendigkeit zum Handeln sehen und auf diese Weise ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren können. Zudem wird sich die öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels mittelfristig auch in Kaufentscheidungen niederschlagen, wenn Konsumenten weniger klimaschädliche Produkte nachfragen. Und schliesslich erkennt auch der Finanzmarkt (langsam) sein ureigenstes Interesse, Risiken, denen Unternehmen im Klimakontext begegnen, aufzudecken und im Zuge von Anlage- oder Finanzierungsentscheidungen zu bepreisen. Ke ine Alte rnat ive ⁄ Viele dieser Entwicklungen stehen noch am Anfang, doch es ergeben sich gerade jetzt Möglichkeiten für Unternehmen, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Zwar müssen sich Investitionen nach wie vor wirtschaftlich lohnen. Aber Unternehmen, die den Klimawandel proaktiv in ihre strategische Planung integrieren, werden die langfristig profitableren Investitionen tätigen. Dabei ist die Politik gefordert, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Denn zu schnellen und deutlichen Emissionsreduktionen gibt es keine Alternative. Prof. Volker Hoffmann Volker Hoffmann ist Professor für Nachhaltigkeit und Technologie am Departement Management, Technologie und Ökonomie der ETH Zürich. In seiner Forschung untersucht er den Einfluss des Klimawandels und der Klimapolitik auf Unternehmensstrategien. Im Zentrum steht die Frage, wie Innovation im Bereich der klimafreundlichen Technologien gefördert werden kann. 47 HIN T E R G R UND ⁄ A u s w i r k u n g e n Gewinner und Verlierer des Klimawandels Wer sind die Gewinner des Klimawandels? Wer die Verlierer? So einfach diese Frage klingt, so schwierig ist die Antwort: Der Klimawandel wirkt sich ganz unterschiedlich auf verschiedene Regionen und Interessen aus. Doch nehmen wir angesichts des Klimawandels unsere Verantwortung nicht wahr, werden am Ende alle zu den Verlierern gehören. Text ⁄ Prof. Andreas Fischlin und Prof. Gertrude Hirsch Hadorn Der menschgemachte Klimawandel ist da, ungebremst hätte er fatale Auswirkungen, und mit weltweit konzertierten Anstrengungen liesse sich eine katastrophale Entwicklung immer noch abwenden. Das wird im aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarats deutlich. Doch was, wenn wir es nicht schaffen, einen drastischen Klimawandel einzudämmen? Wer wird Gewinner, wer Verlierer der globalen Erwärmung sein? Die Frage lässt sich so nicht beantworten – wie folgende Argumente verdeutlichen. Un t e r s c h i e d l i c h e F o lg e n ⁄ Je nach Interesse kann der gleiche Klimawandel verschieden bewertet werden. Beispielsweise wird im gleichen Gebirgstal ein geringfügiger Klimawandel von den Sommertourismusbetrieben als positiv empfunden, während er sich für den Wintertourismus infolge abnehmender Schneesicherheit bloss negativ auswirkt. Noch wichtiger ist das Ausmass der Erwärmung und die damit verbundenen unterschiedlichen Folgen: Bei ungebremst fortschreitender Erwärmung verschwinden beispielsweise unsere Gletscher fast ganz und dadurch können Hänge zusammenstürzen, wie es zum Beispiel 2005 bei der Stieregghütte geschah. Sowohl der Sommer- als auch der Wintertourismus sind nur noch negativ betroffen, wenn die eindrücklichen Gletscher fehlen, wenn Infrastruktur, Leib und Leben der Touristen durch Naturgefahren gefährdet sind. Oder wenn der Klimawandel die Weltwirtschaft so in die Knie zwingt, dass sich nur noch wenige 4 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Reiche Ferien leisten können. Mit dem Ausmass des Klimawandels nimmt also die Zahl der Verlierer zu, die Unterschiedlichkeit bei der Bewertung wie auch die Zahl der Gewinner ab. Sink e nde Er nte n ⁄ Ähnliches lässt sich bei der Landwirtschaft feststellen: Pflanzen wachsen bei uns durch einen geringfügigen Klimawandel und dank des erhöhten CO2-Gehalts in der Luft zunächst schneller und liefern höhere Erträge. Beim Weizen können Bauern dank Bewässerung die negativen Folgen von Trockenheitsphasen überbrücken und so vorerst noch Ertragssteigerungen von bis zu 17 Prozent erreichen. Jedoch lässt dieser gleiche, geringfügige Klimawandel für Entwicklungsländer im Süden schon heute die Erträge bei Weizen und Mais bis um einen Drittel schwinden. Bei einer globalen Erwärmung ab etwa 2,5 Grad Celsius würden sich überall auf der Erde Ertragsminderungen ergeben, in Entwicklungsländern gäbe es bei Weizen und Mais sogar einen Rückgang um die Hälfte. Unzählige ähnliche Beispiele direkter oder indirekter Auswirkungen des Klimawandels lassen sich in fast allen Bereichen finden: Wasserversorgung, Land- und Forstwirtschaft, Ökosysteme, Infrastruktur, Wirtschaft und Gesundheit. Diese Überlegungen zeigen: Je nachdem, wo wir leben, je nach Interesse und je nach Ausmass des Klimawandels zählen wir zu den Gewinnern oder Verlierern. Bei ungebremstem Klimawandel werden wir aber praktisch Der menschgemachte Klimawandel stellt die grösste Herausforderung dar, der die Menschheit je zu begegnen hatte. Prof e s s or Andr e a s Fis c hl in ⁄ ETH Zü r ich alle nur zu den Verlierern gehören, da dann die negativen Effekte klar dominieren, wie der aktuelle Bericht des Weltklimarats zeigt. Et h isc he B r i s a n z ⁄ Um die negativen Folgen des Klimawandels abzuwehren, sind aufwändige und kostspielige Anpassungsmassnahmen erforderlich. Dass Entwicklungsländer besonders stark durch negative Folgen betroffen sind, ist ethisch äusserst brisant: Die ärmsten Länder verfügen kaum über Mittel zur Anpassung, sind aber nur zu einem Bruchteil für den heutigen Klimawandel verantwortlich. Alleine den USA werden etwa ein Drittel der bisher aufgelaufenen Treibhausgasemissionen zugeschrieben, wobei der Anteil der 50 ärmsten Länder mit 40 Prozent Weltbevölkerung zusammen unter 1 Prozent liegt. Noch deutlicher sind die Unterschiede bezüglich den Pro-KopfEmissionen: Im Durchschnitt entlässt heute ein Nordamerikaner mit 26 Tonnen Treibhausgasemissionen das 130-fache eines Bewohners der ärmsten Länder der Welt, der gerade einmal 0,2 Tonnen CO2 pro Jahr erzeugt. Mitverantwortlich als Verursacher des Klimawandels ist, wer den Sachzwängen des modernen Lebensstils folgt und zum Beispiel Auto fährt; auch wenn er dies natürlich nicht macht, um das Klima zu ändern. Er nimmt aber entsprechende negative Folgen in Kauf. Mit eingespielten Verhaltensweisen tragen Menschen über lange Zeiträume und weite Distanzen hinweg zum Klimawandel bei. Verantwortlich im Sinne von ‹ zuständig für Massnahmen › sind wir alle gemeinsam in verschiedenen Rollen: als Konsumenten und als Unternehmer dafür, dass wir auch in unserem eigenen Interesse die Folgen, die unser Handeln für das Klima hat, berücksichtigen; als Bürger und Regierungsvertreter dafür, dass wir im politischen Prozess Rahmenbedingungen für das Handeln von Konsumenten und Unternehmern schaffen und so dafür sorgen, dass sich ein­gespielte Handlungsweisen in der gewünschten Weise ändern. Die Folgen des Klimawandels verschärfen Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Ressourcen und Gütern. Weil dadurch das Überleben und die Grundrechte von Menschen gefährdet sind, sind dies auch moralische Probleme. Zudem ist die Natur nicht nur eine ökonomische Ressource. Respekt vor der Natur ist gefordert, auch wegen der gesetzlichen Verankerung der Würde der Kreatur. Aus Gründen der Klugheit und der Moral sind wir für die Folgen des Klimawandels mitverantwortlich. Diese Verantwortung wahrnehmen bedeutet, jetzt die Voraussetzungen zu schaffen, so dass Verursacher für entstandene Schäden aufkommen und künftige besser vermieden werden können. Bild Nach einem Erdrutsch im Jahr 2005 stand die Stieregghütte am Rand des Abgrunds. Sie wurde daraufhin geräumt und kontrolliert abgebrannt. Prof. Andreas Fischlin Prof. Andreas Fischlin ist Leiter der Gruppe Terrestrische Systemökologie am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich. Seine Forschungsinteressen sind die Modellierung von Ökosystemen, insbesondere von Wäldern, in einem sich ändernden Klima, die Ökologie zyklischer Populationen und die Methodik der strukturierten Modellierung komplexer ökologischer Systeme. Prof. Gertrude Hirsch Hadorn Prof. Gertrude Hirsch Hadorn leitet die Gruppe Umweltphilosophie am Institut für Umweltentscheidungen der ETH Zürich. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten in Forschung und Lehre gehören ethische und wissenschaftsphilosophische Fragen der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung. 49 HIN T E R G R UND ⁄ I n t e r n at i o n a l e Z u s a mm e n a r b e i t ‹ Koalition der Willigen › sollte Beispiele setzen Internationale Zusammenarbeit ist gefragt, möchte man das ‹ 2-Grad-Ziel › erreichen. Problematisch ist, dass nicht alle Länder zu Eingeständnissen und Einschränkungen zum Schutz des Klimas bereit sind. Eine ‹ Koalition der Willigen › könnte mit gutem Beispiel vorangehen, wichtige Impulse setzen – und am Ende von ihren Klimaschutzmassnahmen profitieren. TEXT ⁄ Prof. Renate Schubert, ETH Zürich Eigentlich ist man sich einig: Bis 2050 dürfen weltweit noch höchstens 750 Gigatonnen CO2 emittiert werden. Nur in diesem Fall können schwerwiegende und unumkehrbare Schädigungen der Ökosysteme durch die globale Erderwärmung vermieden werden. Doch schon fangen die Probleme an: Welche Länder dürfen wie viele dieser 750 Gigatonnen für sich beanspruchen? Und welche Länder sollten sich wie stark bemühen, ihre CO2-Emissionen herunterzufahren? Naheliegend wäre es, dass man diese Probleme so löst, wie man es auch in kleinerem Rahmen tut: Man einigt sich auf einen wirksamen und doch für alle Beteiligten zumutbaren Verteilungsschlüssel, und jeder Einzelne sucht sich dann die beste Strategie zur Einhaltung des individuellen Emissionsrahmens. Leider wird diese Idylle aber gestört. Es gibt Länder wie etwa die USA oder China, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bereit sind, sich an einem solchen Verfahren zu beteiligen und allfällige Einschränkungen ihrer künftigen Emissionsbudgets zu akzeptieren. Das hat sich bei den vergangenen Klimakonferenzen immer wieder gezeigt. Dies wirft für die anderen Länder die Frage auf, ob sie dennoch bereit sind, sich nach Kräften für Emissionsminderungen im eigenen Land einzusetzen oder ob sie ebenfalls I n te rn atio n a les D i lem m a ⁄ 5 0 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 abtrünnig werden. Dies wäre für die Staatengemeinschaft insgesamt fatal. Wir würden uns damit wohl ungebremst auf Temperaturanstiege von 4 Grad Celsius und mehr zubewegen. In der Klimapolitik haben wir es mit einem typischen Kooperations-Dilemma bei öffentlichen Gütern zu tun: Für ein einzelnes Land ist es nicht rational, Kosten für die Vermeidung des Klimawandels aufzuwenden, da von solchen Massnahmen alle Länder profitieren würden, aber nur das Land selbst die Kosten trägt. Das vermutete Trittbrettfahren der anderen erstickt die erforderliche Kooperation im Keim. Es scheint auf den ersten Blick günstiger zu sein, einen Franken in Anpassungsmassnahmen an die Folgen des Klimawandels (etwa Deichbau oder Anpassung von Gebäuden an längere Hitzeperioden) zu stecken als in Emissionsreduktionen. Dennoch kann es zur teilweisen Kooperation kommen, wenn eine ‹ Koalition der Willigen ›, etwa in Europa, die Sache in die Hand nimmt. Dies macht Sinn, weil Massnahmen zur Vermeidung vom Klimawandel fast immer mit Sekundärnutzen für die betreffenden Länder verbunden sind, wie etwa Handelsvorteile aus innovativen Energietechnologien. Zum anderen sind Vermeidungsmassnahmen Investitionen mit längerem ZeithoZ u s amme na rb e i t ma c h t S inn ⁄ rizont. Es rentiert sich, als Ländergruppe mit Klimaschutzmassnahmen voranzugehen, solange zu erwarten ist, dass – im Zuge fortschreitender globaler Erwärmung – andere Länder später nachziehen werden. ‹ First-mover-Vorteile › kompensieren dann die kurzfristigen Nachteile aus dem Klimaschutz. Schliesslich spricht die Schaffung von Vertrauen auf der politischen Ebene dafür, sich auch als kleinere Ländergruppe für Emissionsreduktionen zu entscheiden. Es ist jedenfalls kein überzeugendes Argument dafür erkennbar, wegen des Trittbrettfahrer-Problems Emissionsreduktionen zu unterlassen. ‹ Koalitionen von Willigen › geben in diesem Zusammenhang wichtige Impulse und sind unverzichtbar. Prof. Renate Schubert Renate Schubert ist Professorin für Nationalökonomie am Departement für Geistes-, Sozialund Staatswissenschaft und leitet das Institut für Umweltentscheidungen der ETH Zürich. Renate Schubert gehört zudem zu den beiden ETH-Kompetenzzentren Energy Science Center (ESC) und Environmental Sustainability (CCES). Die Professorin und ihre Forschungsgruppe arbeiten auf dem Gebiet der Risikowahrnehmung und der Entscheidungsfindung unter Unsicherheiten. Sie haben einen Schwerpunkt im Umwelt- und Klimabereich und untersuchen etwa auch die wirtschaftlichen Aspekte von Nachhaltigkeitsfragen. HIN T E R G R UND ⁄ W i ss e n s c h a f t u n d Öff e n t l i c h k e i t Dialog schafft Vertrauen Es fehlt in der Gesellschaft an Vertrauen in die Wissenschaft, bedauert Prof. René Schwarzenbach. Um dieses aufzubauen, sollten Wissenschaftler den Austausch mit der Öffentlichkeit suchen. Sie sollten sich bemühen, komplexe Themen wie den Klimawandel verständlich aufzuarbeiten, nur so erreicht man Akzeptanz und Glaubwürdigkeit. Mit dem Buch ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt die Zukunft? › verfolgt der ehemalige Vorsteher des Departements Umweltwissenschaften der ETH Zürich als Mitherausgeber genau diese Ziele. Interview ⁄ Nadine Fieke Die ETH Zürich diskutiert im Rahmenprogramm der Ausstellung ‹ 2 Grad › mit den Besuchern über aktuelle Themen der Klimaforschung. Wie wichtig ist solch ein Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit? Prof. R e né Sc h wa rze nba c h ⁄ Für mich ist der Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit eine absolute Notwendigkeit. Besonders im Umweltbereich ist dies von immer grösserer Bedeutung. Die Wissenschaft muss dazu beitragen, die wichtigen Probleme dieser Welt zu identifizieren, vor negativen Entwicklungen zu warnen und Lösungen zu finden. Das gilt nicht nur für den Klimawandel, sondern für viele Bereiche, die alle eng miteinander verknüpft sind: Ich denke da zum Beispiel an den Verlust von Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit, an die Verschmutzung der Gewässer, an Wassermangel oder an die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung. M e r c ator N e ws ⁄ Bild Prof. René Schwarzenbach ist Mitherausgeber des Buches ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt die Zukunft? ›. Die Warnungen der Wissenschaftler scheinen nicht immer anzukommen. Das fällt vor allem auch bei manch einer polemisch geführten Diskussion über den Klimawandel auf. Woran liegt das? Prof. R e né Sc h wa rze nba c h ⁄ Glauben wir der überwiegenden Mehrheit der Klimawissenschaftler, müssen wir schnell und konsequent handeln, um den Klimawandel einzudämmen. Das bedeutet tief M e r c ator N e ws ⁄ einschneidende Veränderungen im Leben von jedem Einzelnen – und diese zu akzeptieren und umzusetzen, fällt schwer. Da ist es wohl am einfachsten, dass man den Überbringer der schlechten Nachricht zunächst einmal desavouiert und sagt: « Das stimmt ja gar nicht. » In der Politik kommt das Problem hinzu, dass Umweltthemen vor allem durch Linksparteien thematisiert und dadurch oft nicht wegen des Inhalts, sondern aus rein politischen Gründen von den Gegnern bekämpft werden. Für mich als Wissenschaftler nimmt das manchmal etwas absurde Züge an. Ein weiterer Grund für gewisse Kontroversen ist auch die Schwierigkeit, komplexe Sachverhalte wie den Klimawandel in verständlicher und glaubwürdiger Form zu kommunizieren. Und schliesslich scheint das Vertrauen in die Wissenschaft in letzter Zeit eher ab- als zugenommen zu haben. Me rc ator N e ws ⁄ Wie konnte das Vertrauen verloren gehen? Prof. Re né Sc hwa rze nba c h ⁄ Obwohl sich die globalisierte Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert hat, hat die Wissenschaft in vielen Gebieten ihren Elfenbeinturm nicht wirklich verlassen. Innerhalb der akademischen Gemeinschaft hat sich die Werteskala vor allem darauf fokussiert, wo man in der wissenschaftlichen Gemeinschaft steht. Alles, was mit dem 51 Austausch mit der Öffentlichkeit zu tun hat, wurde und wird leider immer noch zu wenig belohnt. Es zählen primär wissenschaftliche Publikationen und die Teilnahme an wissenschaftlichen Konferenzen. Deshalb konzentrieren sich viele Wissenschaftler vor allem auf diese Dinge, aufgrund derer auch der wissenschaftliche Nachwuchs ausgewählt wird. Mit der Folge, dass sich die Wissenschaft von der Gesellschaft eher entfernt hat, statt sich anzunähern. M e rc ator N ew s ⁄ Wie kann man das Vertrauen wieder aufbauen? Prof. Ren é S ch w a rz en ba c h ⁄ Am wichtigsten ist es, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstärkt persönlich in die Öffentlichkeit einbringen. Nur durch die Personifizierung wichtiger wissenschaftlicher Sachverhalte und durch den auf diese Weise entstehenden Dialog scheint es möglich zu sein, das angeschlagene Vertrauen in die Wissenschaft wieder zurückzugewinnen. Die Wissenschaftler müssen sich selbst darum bemühen, komplexe Themen verständlich aufzuarbeiten und in der Gesellschaft zu kommunizieren. M e rc ator N ew s ⁄ Ist das auch der Grund, weshalb Sie das Buch ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt die Zukunft? › herausgeben? Es ist ja keine klassische wissenschaftliche Publikation. 5 2 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Komplexe Zusammenhänge kann man ausserhalb der Wissenschaftsgemeinschaft oft nicht mit einem konventionellen Ansatz rüberbringen. Man muss die Menschen neugierig machen, damit sie sich mit einem komplexen Thema wie dem Klimawandel auseinandersetzen. Das versuchen wir zusammen mit dem Lars Müller Verlag mit einer besonderen Form: Wie bei unserem letzten gemeinsamen Buch ‹ Wem gehört das Wasser? › arbeitet auch das Buch ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt die Zukunft? › primär mit Bildern. Der Betrachter soll über die Bilder angesprochen und auf den Text neugierig gemacht werden. Der Text liefert dann zusammen mit anderen Elementen wie Grafiken und Tabellen vor allem Fakten zum Klimawandel. Es ist kein Buch, das man von vorne bis hinten liest. Der Betrachter macht es an einer Stelle auf, schaut hinein, stöbert – und dabei erfasst er ganz unterschiedliche Aspekte des Themas, bis sich ein ganzheitliches Bild ergibt. Lars Müller und sein Verlag sind weltweit bekannt für diese so genannten ‹ visual reader ›. Prof. R e né S c hwarze n ba c h ⁄ Publikation ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt die Zukunft? › Vier Autoren sind an der Publikation ‹ Mensch – Klima. Wer bestimmt die Zukunft? › beteiligt. Das Buchprojekt unterstützt die Stiftung Mercator Schweiz mit 60 000.– Franken. Mit Christian Rentsch, Martin Läubli und Heidi Blattmann schreiben neben dem Wissenschaftler Klaus Lanz vor allem Journalisten an dem Werk: Das Autorenteam bringt das Thema Klimawandel zielgruppengerecht und verständlich auf den Punkt. Sie wagen einen Blick in die Erdgeschichte, liefern Hintergründe zu Prozessen des Klimawandels, zeigen Folgen und Strategien auf, auch die Klimapolitik bildet einen wichtigen Inhalt des Buches. Professoren der ETH Zürich geben Tipps und kontrollieren die Texte auf wissenschaftliche Richtigkeit. Voraussichtlich ab Februar 2011 ist die Publikation im Handel erhältlich, der Preis beträgt rund 60 Franken, ISBN-Nummer: 978-3-03778-244-6. Prof. René Schwarzenbach René Schwarzenbach ist Professor für Umweltchemie und war bis Ende Juli 2010 Vorsteher des Departements Umweltwissenschaften der ETH Zürich. Zudem ist er Leiter des Kompetenzzentrums ‹ Umwelt und Nachhaltigkeit › der ETH sowie Präsident der Abteilung IV, ‹ Orientierte Forschung ›, des Schweizerischen Nationalfonds. Bild Wissenschaftler sollten den Dialog mit der Gesellschaft suchen, davon ist Professor René Schwarzenbach überzeugt. Genau das hat die ETH Zürich beim ‹ Tropentag › im September 2010 angestrebt: Studenten machten als Reporter in Blog-Beiträgen, auf Facebook und Twitter die Themen der Veranstaltung für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Die Stiftung Mercator Schweiz hat die Konferenz und das Projekt ‹ Student Reporters › unterstützt. HIN T E R G R UND ⁄ K l i m a p o l i t i k d e r S c h w e i z CO2 -Gesetz zum Klimaschutz Die Schweiz steht hinter dem international formulierten ‹ 2-Grad-Ziel ›. Das Alpenland arbeitet in der Wintersession 2010 auf ein revidiertes CO2 -Gesetz hin, um seine Treibhausgasemissionen weiter zu senken. Zudem engagiert es sich für ein neues, faires internationales Abkommen für die Zeit ‹ post Kyoto ›. Text ⁄ Mike Weibel, Bundesamt für Umwelt Als kleines Land trägt die Schweiz zwar wenig zu den globalen Treibhausgasemissionen bei, es ist wegen seiner geografischen Lage aber stärker als andere von der Klimaerwärmung und ihren Folgen betroffen: Die Durchschnittstemperaturen stiegen hierzulande deutlich mehr als im globalen Mittel, der Gletscherschwund in den Alpen ist augenfällig. Die Schweiz setzt sich daher international für das so genannte ‹ Verursacherprinzip › ein. Demnach sollen die Industrienationen ihre Emissionen markant senken, die Schwellenländer einen verbindlichen Beitrag leisten. Und für die kostspielige Finanzierung von Anpassungsmassnahmen an die Folgen des Klimawandels wurde das Modell einer globalen CO2-Abgabe auf fossile Energien entwickelt – ein Modell, das die unterschiedliche Verantwortung der Länder reflektiert. NEUES R E GELW E RK ⁄ In der nationalen Klimapolitik konkretisiert die Schweiz zurzeit ihren Beitrag zum Klimaschutz. Bundesrat und Parlament revidieren gegenwärtig das CO2-Gesetz. Das neue Regelwerk wollen sie der Volksinitiative ‹ für ein gesundes Klima › als indirekten Vorschlag gegenüberstellen. Darin fordern Umweltverbände, SP und Grüne bis zum Jahr 2020 eine Reduktion der Treibhausgase um 30 Prozent gegenüber 1990. Diese sollte nach ihrer Vorstellung ausschliesslich im Inland zu leisten sein. In der Wintersession 2010 berät der Ständerat das Thema. G ro s s e s M as s na hme nbü nde l ⁄ Der Bundesrat orientiert sich am international anerkannten Ziel, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten und schlägt dem Parlament eine Reduktion der Treibhausgase um mindestens 20 Prozent bis 2020 vor. Erreichen will der Bundesrat dies mit einem Bündel von Massnahmen, die zu einem Drittel im Ausland und zu zwei Dritteln im Inland wirken. Wichtigste Sektoren im Inland sind die Bereiche Gebäude und Verkehr, denn hier entstehen die meisten CO2Emissionen. Das revidierte CO2-Gesetz sieht folgende Massnahmen vor: ≥ Eine CO2-Lenkungsabgabe von mindestens 36 Franken pro Tonne CO2 wird auf Brennstoffen erhoben. Unternehmen können sich von der Abgabe befreien, wenn sie sich gegenüber dem Bund zu CO2-Reduktionen verpflichten. Die Einnahmen aus der Abgabe fliessen bis auf den Beitrag ans Gebäudeprogramm an Bevölkerung und Wirtschaft zurück. Damit wird der sparsame Verbrauch von fossilen Energieträgern belohnt. ≥ Ein Gebäudeprogramm von maximal 200 Millionen Franken jährlich trägt zur Sanierung von Wohn- und Bürogebäuden sowie zur Förderung von erneuerba- ren Energien bei. Finanziert wird das Programm aus der CO2-Abgabe. ≥ Es kann eine CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffen eingeführt werden, falls dies zur Zielerreichung nötig ist. ≥ Es gibt Zielwerte für CO2-Emissionen von neu verkauften Personenwagen. ≥ Importeure von fossilen Treibstoffen müssen zwischen 5 und 40 Prozent der verursachten CO2-Emissionen kompensieren, indem sie in Klimaschutzprojekte investieren. Dies entspricht dem bisherigen Konzept des Klimarappens. ≥ Für energieintensive Unternehmen gibt es ein Emissionshandelssystem, die Luftfahrt wird einbezogen. ≥ Der Bund koordiniert die Anpassungsmassnahmen, die durch die Folgen der Klimaänderung notwendig werden (zum Beispiel Hochwasserschutz). « All diese Massnahmen bauen auf bestehenden Instrumenten auf. Mit der richtigen Ausgestaltung lässt sich so das Klimaziel des Bundesrates erreichen », versichert Andrea Burkhardt, Leiterin der Abteilung Klima im Bundesamt für Umwelt. Doch der Nationalrat hat im Frühjahr 2010 einige Parameter des Klimagesetzes verändert. Zum einen verlangt er, dass die Schweiz die 20 Prozent Reduktion allein im Inland erbringt, und will auf die Anrechnung von ausländischen Zertifikaten verzichten. Zum anderen kippte die grosse Kammer die 53 Lenkungsabgabe auf Treibstoffe und veränderte den Zielwert des CO2-Ausstosses für neue Autos zulasten des Klimas von 130 Gramm auf 150 Gramm CO2 pro Kilometer. « Wird der Verkehr geschont, müssten andere Sektoren mehr für den Klimaschutz leisten », folgert Andrea Burkhardt. In Diskussion stehen eine Sanierungspflicht für energetisch verschwenderische Altbauten, Massnahmen in der Landwirtschaft sowie die Förderung der Elektromobilität. Ob das revidierte Schweizer CO2Gesetz in Zukunft einen internationalen Referenzrahmen erhält, ist ungewiss. Die Vorgaben des heute gültigen KyotoProtokolls, im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2012 acht Prozent weniger Treibhausgase als 1990 zu emittieren, wird die Schweiz voraussichtlich erfüllen. Allerdings nur, weil mehr als die Hälfte davon über den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland kompensiert werden, monieren Kritiker. Hoff n un g a u f F ort s ch r i tt e ⁄ Schafft die UNO das für die internationale Klimapolitik wichtige Folgeabkommen zum Kyoto-Protokoll? Gelingt es in Zukunft, ein noch umfassenderes Abkommen zu erzielen? Die vergangenen Klimakonferenzen brachten bislang kaum Fortschritte. Ein globales Scheitern an den wissenschaftlich abgestützten Klimazielen könnte verheerende Folgen haben, 5 4 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 warnte der langjährige Bundesrat Moritz Leuenberger am 20. August 2010 in seiner Rede bei der Eröffnung der Ausstellung ‹ 2 Grad – Das Wetter, der Mensch und sein Klima ›. Denn eigentlich, gab er zu bedenken, schütze nicht der Mensch das Klima, sondern das Klima den Menschen. Bild Internationale Klimapolitik Symbolisch leuchtet das Klimaziel ‹ 2 Grad › hinter dem langjährigen Bundesrat Moritz Leuenberger. Bei der Vernissage der Ausstellung machte er sich in seinem Grusswort für den Klimaschutz stark. Internationale Zusammenarbeit ist für einen erfolgreichen weltweiten Klimaschutz unumgänglich. Ein erster wichtiger Schritt wurde 1992 mit der Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Rio de Janeiro getan. Sie schreibt die allgemeine Zielsetzung des Klimaschutzes fest und die Erarbeitung eines Instrumentariums bei folgenden UN-Klimakonferenzen. Ein Meilenstein wurde 1997 bei der Klimakonferenz in Kyoto (Japan) erreicht: Im KyotoProtokoll wurden erstmals völkerrechtlich verbindliche Treibhausgasemissionsziele verankert. Die Vertragsstaaten verpflichten sich darin, abhängig von ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ihre Treibhausgasemissionen um durchschnittlich 5,2 Prozent zwischen 2008 und 2012 zu senken. Die EU und die Schweiz müssen 8 Prozent erreichen. Die USA haben als grösster Emittent von Treibhausgasen das Protokoll zwar unterschrieben, aber nie ratifiziert. Auch Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien, die heute mehr als ein Drittel der weltweiten Emissionen freisetzen, sind nicht vertraglich eingebunden. Im Jahr 2012 läuft das Kyoto-Protokoll aus. Ziel der internationalen Klimapolitik ist es zurzeit, eine international verbindliche Nachfolgeregelung zu finden. Dabei geht es vor allem auch um die Frage, auf welche Weise Entwicklungs- und Schwellenländer eingebunden werden können. Bei der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen war dies nicht gelungen. HIN T E R G R UND ⁄ K l i m at i pps Jeder Einzelne kann etwas fürs Klima tun Der Klimawandel ist in aller Munde – und in einigen Teilen der Welt bereits deutlich zu spüren. Da es international zurzeit schwierig scheint, sich im Sinne des Klimaziels ‹ 2 Grad › auf verbindliche Schritte zur Treibhausgasemission zu einigen, setzen viele ihre Hoffnungen auf neuartige technologische Lösungen. Trotzdem scheint vor allem ein Ansatz wichtig zu sein: Jeder Einzelne sollte das Klima schützen. Und das kann er bereits mit einfachen Mitteln tun. TEXT ⁄ Nadine Fieke 6 Tonnen CO2 produziert laut Bundesamt für Umwelt im Durchschnitt ein Einwohner der Schweiz pro Jahr. 10 Tonnen sind es, wenn man die so genannten ‹ grauen Emissionen › einberechnet, die durch den Import von Konsumgütern und elektrischem Strom entstehen. Mit diesem ProKopf-Verbrauch liegt die Schweiz im internationalen Vergleich der Industrienationen zwar relativ gut – doch um das Klimaziel ‹ 2 Grad › zu erreichen, müssten die Kohlendioxidemissionen weltweit auf unter eine Tonne pro Person und Jahr reduziert werden. Dafür ist eine internationale Zusammenarbeit unumgänglich. Jedoch haben die vergangenen Klimakonferenzen gezeigt, wie schwierig es ist, sich international auf konkrete und verpflichtende Schritte zur Emissionsreduktion zu einigen. We g vo n Ö l u n d Ko h le ⁄ «Wir sind an einem Wendepunkt, an dem der Effort gigantisch erscheint, sich von den fossilen Energieträgern zu lösen », sagt Prof. Thomas Stocker, Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts Klima der Universität Bern. Doch es sei möglich, davon ist er überzeugt und macht dies an einem Beispiel deutlich: In den USA liegt die Pro-Kopf-Emission bei über 22 Tonnen pro Jahr, in Europa im Durchschnitt bei sechs. « Der Lebensstil dieser zwei Gesellschaften ist nicht wesentlich unterschiedlich », betont der international bekannte Wissenschaftler. Das heisse, dass man die CO2-Emissionen bereits heute um einen wesentlichen Faktor reduzieren kann, ohne Einschränkungen im Lebensstil. Doch dafür seien kostspielige Investitionen nötig – in die forcierte Entwicklung moderner Techniken, in erneuerbare Energien, in effizientere Geräte. Ingenieure und Wissenschaft arbeiten nicht nur an modernen Gezeitenkraftwerken, an Geothermieanlagen oder neuartigen Solarkraftwerken, um auf möglichst ‹ saubere › Weise Energie gewinnen zu können. Sie sehen die Möglichkeit, CO2 unterirdisch einzulagern, damit es nicht mehr in die Atmosphäre entweicht. Umstritten sind Methoden des Geo-Engineering, an denen Wissenschaftler arbeiten. So schlagen sie zum Beispiel eine Düngung der Ozeane vor, die das Planktonwachstum erhöht und der Atmosphäre durch Photosynthese CO2 entzieht. Für manche Wissenschaftler sind auch künstliche Bäume denkbar, die CO2 aufnehmen, oder ein Schutzschild aus Billionen von transparenten Scheiben im All, die die Sonnenstrahlen reflektieren. Prof. Thomas Stocker ist diesen Methoden gegenüber sehr kritisch: « Die Auswirkungen von Geo-Engineering sind noch äusserst ungenügend erforscht und zu wenig verstanden », gibt er zu bedenken. Vor allem sei das ‹ Abschaltproblem › gewaltig. Wenn die Massnahmen irgendwann einmal aufgehoben würden, könnte eine Erwärmung eintreten, die über zehn Mal schneller ist als die heutige. Einige Ökosysteme wären nicht in der Lage, sich diesem rasanten Wandel anzupassen. E ne rg ie s pa r e n ⁄ Sicherer scheint es da zu sein, sich entschieden für die weltweite Reduktion der Treibhausgasemissionen einzusetzen – und dabei kann jeder Einzelne helfen: vor allem, indem er Energie spart. Denn Energie bedeutet die Produktion von Kohlendioxid. Und der Kohlendioxidausstoss in die Atmosphäre treibt den Klimawandel voran. « Die drei grossen Kohlendioxidverursacher sind der Verkehr, die privaten Haushalte und der Konsumbereich », erklärt Julia Hofstetter, Bereichsleiterin Klimabildung der Schweizer Klimaschutz-Stiftung myclimate. Jeder dieser Bereiche produziert rund ein Drittel der Schweizer Treibhausgase. Dass gerade auch der Konsumbereich ein Problem fürs Klima ist, ist vielen Menschen nicht bewusst. Denn die Energie, die hier verbraucht wird, ist oftmals nicht sichtbar. Tatsächlich steckt in allem, was wir kaufen, Energie – die so genannte ‹ graue Energie ›. Verbraucht wird sie bei der Herstellung, dem Transport, der Lagerung, dem Verkauf und der Entsorgung der Produkte. E in fa c he MAs s na hme n ⁄ Im Alltag kann bereits heute jeder Einzelne mit einfachen Massnahmen seine persönlichen 55 HIN T E R G R UND ⁄ K l i m at i pps Treibhausgasemissionen reduzieren und damit etwas für den Klimaschutz tun. « Wer zum Beispiel mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt statt mit dem Auto, verursacht für die gleiche Strecke 20 Mal weniger Treibhausgasemissionen », erklärt Julia Hofstetter. Beeindruckend ist auch das Einsparpotenzial an CO2, wenn man regionale saisonale Nahrungsmittel kauft: So verursacht laut myclimate eine Freiland-Tomate aus der Schweiz fast 100 Mal weniger CO2-Emissionen als eine Gewächshaus-Tomate. Auch die Nutzung von Öko-Strom ist eine wertvolle Massnahme, betont die Klimaschutz-Stiftung. Und wer mit dem Zug in die Ferien reist statt mit dem Flugzeug, reduziert seine Treibhausgasemissionen zudem um ein Vielfaches.Wie man im Alltag ohne grosse Anstrengungen das Klima schützen kann, zeigen unsere zehn Klimatipps. 1 . Sta n d - b y 7 . K ü h l e n Elektronische Geräte verbrauchen auch im Stand-by-Modus viel Strom. Es ist empfehlenswert, den Stecker rauszuziehen oder mehrere Geräte an eine Steckerleiste mit Netzschalter anzuschliessen, um sie gemeinsam auszuschalten. Der Kühlschrank sollte nicht neben dem Geschirrspüler oder Herd stehen. Die höhere Umgebungstemperatur steigert den Energieverbrauch. Die optimale Kühltemperatur im Gerät liegt bei 5 Grad. Speisen sollten abgekühlt in den Kühlschrank gestellt werden. 2. Beleuchtung 8 . Ko c h e n Energiesparlampen verbrauchen im Vergleich zu normalen Glühbirnen nur ein Fünftel der Energie, ihre Lebensdauer ist sechs- bis 15-mal länger. Die Energieetikette auf der Verpackung deklariert den Energieverbrauch. Wer Töpfe und Pfannen benutzt, die zur verwendeten Kochplatte passen, spart Energie. Gleiches gilt fürs Kochen mit Deckel auf dem Topf. Es empfiehlt sich nicht nur, das Teewasser im Wasserkocher zu erhitzen, sondern auch das Wasser zum Kochen, um dieses dann zur weiteren Verwendung in den Topf zu füllen. 3 . H e i z e n Rund sechs Prozent Heizenergie spart, wer die Heizung um ein Grad herunterdreht. In Wohnräumen gelten 20 Grad als ausreichend. Heizkörper sollten nicht mit Vorhängen oder Möbeln verdeckt sein. 4 . D u s c h e n Die Warmwasseraufbereitung schluckt nach dem Heizen im Haushalt die meiste Energie. Wer duscht statt badet, verbraucht nur rund ein Viertel so viel Warmwasser. Und wer einen Sparduschkopf verwendet, senkt den Wasserverbrauch noch mal erheblich. 5 . A u to Zu Fuss gehen und Fahrradfahren sind nicht nur CO2-neutral, sondern auch gesund. Für längere Strecken lohnt sich das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel. Wer mit dem Auto niedrigtourig und mit dem richtigen Reifendruck fährt, spart Treibstoff. 6 . W a s c h e n u n d tro c k n e n Wäschetrockner zählen zu den grössten Stromfressern im Haus. Wäsche sollte man möglichst an der frischen Luft trocknen und Waschmaschinen nur anstellen, wenn sie voll sind. Kochwäsche kann man auch gut bei 60 statt 90 Grad waschen. 5 6 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 9. Backen Backen ist im Vergleich zum Kochen auf der Herdplatte sehr energieintensiv. Wer den Backofen nicht vorheizt, ihn vorzeitig ausstellt und die Nachwärme nutzt, spart Energie. 1 0 . E R NÄH R UN G Beim Bioanbau wird nur etwa die Hälfte der Energie benötigt. Der Kauf von saisonalen und regionalen Produkten vermeidet zudem Transportmeilen und mindert das energieaufwändige Heizen von Treibhäusern. Wer nicht täglich Fleisch isst, schont das Klima. Denn die Fleischproduktion verursacht rund 18 Prozent der Treibhausgasemissionen. w e i t e r e i n for m at i o n e n www.myclimate.org www.wwf.ch Bilder Ob Solar-, Wasser-, Windkraftwerk oder andere alternative Energiequellen: Wollen die einzelnen Länder ihre Treibhausgasemissionen senken, müssen sie Investitionen in die Entwicklung moderner Technologien tätigen. 57 Impressum M e r c ator n e w s Ausgabe 03 ⁄ 2010 Nr.07 Herausgeber Vorbilder und neue Normen Stiftung Mercator Schweiz Gartenstrasse 33 / Postfach 2148 CH – 8022 Zürich Tel. + 41 ( 0 ) 44 206 55 80 mercator@stiftung - mercator.ch www.stiftung - mercator.ch G e s p r ä c h m i t P R O F. H e i n z G u t s c h e r vo n d e r U n i v e r s i t ä t Z ü r i c h Interview ⁄ Nadine Fieke verantwortlich Beno Baumberger redaktion Nadine Fieke bildnachweis ⁄ fotografie Die Heizung ein Grad herunterdrehen, Energiesparlampen nutzen oder nur saisonales Gemüse geniessen: Obwohl man das Klima bereits mit einfachen Massnahmen schützen kann, setzen wir diese oft nicht um. Noch schwerer fällt uns der Klimaschutz, wenn wir Abstriche in der Mobilität machen oder viel Geld investieren sollen, zum Beispiel in die Gebäudesanierung. Woran das liegt, erklärt der Sozialpsychologe Professor Heinz Gutscher von der Universität Zürich. M e rc ator Ne w s ⁄ Warum fällt es uns so schwer, unser Verhalten zum Schutz des Klimas zu ändern? Prof. H ein z G uts ch e r ⁄ Solange sich unsere Alltagsroutinen einigermassen bewähren, möchten wir möglichst nichts an diesen ändern. Verhaltensänderungen sind aufwändig und erfordern Motivation – wir müssen sie wirklich umsetzen wollen. Dafür braucht es Einsicht in die Notwendigkeit der Änderungen und Wissen über die besten Verhaltensalternativen. Neues Verhalten hat in der Regel Nach- und Vorteile. Letztere gilt es hervorzuheben. Manchmal kann weniger tatsächlich mehr sein. M e rc ator Ne w s ⁄ Nehmen wir das Klima-Problem nicht ernst genug? Prof. H ein z G uts ch e r ⁄ Wir haben ein Problem, dessen Auswirkungen wir noch nicht sehen und erleben können. Klima- änderungen geschehen schleichend. Und ein einziger kalter Winter genügt bei vielen, die globale Erwärmung als nicht existent abzuschreiben. Auch das Wissen über die komplexen Vorgänge ist ungenügend, was Verunsicherungen begünstigt. Ausserdem neigen Menschen oft zu einem unrealistischen Optimismus: « Es wird wohl alles nicht so schlimm werden, warten wir's ab… » M e r c ator N e ws ⁄ Was muss geschehen, damit sich diese Einstellung ändert? Prof. He i nz G uts c her ⁄ Es braucht Personen, die als weithin sichtbare Vorbilder dienen und neue Normen propagieren. Wenn wir Menschen überzeugen wollen, müssen wir sie bei ihren aktuellen Motiven abholen. Aber Klimaschutz gehört einfach nicht zu ihren vordringlichsten Zielen. Die Herausforderung besteht deshalb darin, die riesigen notwendigen Anpassungsleistungen an den Klimawandel einzuleiten und gleichzeitig neue und gangbare Wege zu finden für ein ‹ gutes Leben ›, global für alle. Prof. Heinz Gutscher Heinz Gutscher ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Zürich. Zudem ist er Präsident der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften und von Proclim, dem Forum für Klima und globalen Wandel. Zu seinen Forschungsbereichen gehören Umwelt- beziehungsweise Nachhaltigkeitsprobleme wie auch die Themen Soziale Beeinflussung und Vertrauen. B. Jung ⁄ S.3-15, 54 • Sammlung Gesellschaft für ökologische Forschung / Schweizerisches Alpines Museum, Bern ⁄ S.16-17 • Keystone, S. Tischler ⁄ S.18 • Keystone, G. Bally ⁄ S.19 • Keystone AP, K. Sanders ⁄ S.20 • Keystone (royality free) ⁄ S.21 • Keystone, O. Maire ⁄ S.22 • Keystone, Freelance ⁄ S.23 • Universität Basel, Prof. B. Baur ⁄ S.40-41 • FiBL, A. Fliessbach ⁄ S.45 • Keystone, C. Schnur ⁄ S.45 • Keystone EPA, R. Haid ⁄ S.46 • Keystone, A. Walker ⁄ S.46 • B. Rufer ⁄ Titelseite, S.25, 27-34, 52 • Universität Bern, P. Kaufmann ⁄ S.28-31 • L. Augustin ⁄ S.27 • NOAA Photo Library ⁄ S.39 • M. Hubacher ⁄ S.49 • S. Lindig, Zürich ⁄ S.51 • Keystone, J.Bott ⁄ S.56 • Keystone Desair, H.Leuenberger ⁄ S.57 • Keystone, Lonely Planet Images, S. Saks ⁄ S.57 gESTALTUNG Rob & Rose Zürich Lithografie Andreas Muster, Basel druck Odermatt AG, Dallenwil ⁄ Die Druckerei Odermatt wurde mit dem FSC-Zertifikat ausgezeichnet und druckt nach FSC-Richtlinien. papier PlanoArt 100 gm2 ⁄ PlanoArt ist ein vom Forest Stewardship Council ( FSC ) zertifiziertes Papier und stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern. Klimaschutz MyClimate: Diese Drucksache ist klimaneutral auflage 2500 Exemplare © Stiftung Mercator Schweiz 2010 5 8 / M ERCATOR NEW S 0 3 – 2 0 1 0 Über uns Die Stiftung Mercator Schweiz gehört zu den grösseren Stiftungen in der Schweiz. Sie initiiert und unterstützt Projekte für bessere Bildungsmöglichkeiten an Schulen und Hochschulen. Im Sinne Gerhard Mercators fördert sie Vorhaben, die den Gedanken der Weltoffenheit und Toleranz durch interkulturelle Begegnungen mit Leben erfüllen und den Austausch von Wissen und Kultur anregen. Die Stiftung zeigt neue Wege auf und gibt Beispiele, damit Menschen – gleich welcher nationalen, kulturellen und sozialen Herkunft – ihre Persönlichkeit entfalten, Engagement entwickeln und Chancen nutzen können.