Trauma in der Kindheit – Folgen für die weitere Entwicklung Katharina Purtscher Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie Landesnervenklinik Sigmund Freud Graz Seelisches Trauma / Kinder • Erstaunlicherweise noch bis in die 80 er Jahre in der Ausbildung von Kinderärzten kaum erwähnt. • Lehrbücher der Kinderpsychiatrie: Ansicht, „dass Kinder nur mit kurzfristigen Störungen auf ein traumatisches Ereignis reagieren. • Lange Zeit Unterschätzung der kindlichen Reaktionen (Unkenntnis der Reaktionen; Eltern-, Lehrerinfo) Trauma „… ist eine innere Katastrophe, ein Zusammenbruch der Persönlichkeit aufgrund von Reizüberschwemmung, die die IchFunktionen und die Vermittlertätigkeiten des Ichs außer Kraft gesetzt hat.“ (A. Freud, 1916) Psychisches Trauma Vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses bewirkt. (Fischer, Riedesser, 1999) Psychotrauma Ein erlebtes oder beobachtetes Ereignis, das Gefahr für die körperliche Unversehrtheit oder das Leben (Todesgefahr) der eigenen Person oder anderer Personenbedeutet. Erleben von Angst, intensiver Furcht, Entsetzen, Hilflosigkeit und Todesgefahr einhergeht. (nach DSM-IV) Epidemiologie in Risikogruppen • Jugendliche in Sucht- und Drogeneinrichtungen • Kinder und Jugendliche in institutioneller Betreuung • Kinder und Jugendliche in Betreuungsmaßnahmen der Jugendwohlfahrt • Jugendliche in Jugendstrafanstalten Traumafolgestörungen + Komorbiditäten ! VERLAUFSFORM des PSYCHOTRAUMAS ANTEZENDENTE KOMPONENTEN LANGFRISTIGE KURZFRISTIGE SITUATIVE KOMPONENTEN BEWÄLTIGUNGSVERSUCH, AUSWIRKUNGEN KURZ- u. MITTELFRISTIG OBJEKTIVE SITUATIONSFAKTOREN LANGFRISTIG SYMPTOMATISCHE BELASTUNG ZUSÄTZLICHE BELASTUNGEN PSYCHOTRAUMATISCHER LEBENS- GESCHICHTE TRAUMA SCHOCK, AUFSCHREI PROZESS TRAUMATISCHE REAKTION TRAUMATISCHER PROZESS (CHRONIFIZIERUNG) UNMITTELBARE VORGESCHICHTE Tagesverfassung, etc. Subjektive Bedeutungszuschreibung, Zentrales traumatisches Situationsthema SUBJEKTIVE BEWÄLTIGUNGSMÖGLICHKEITEN ZUSÄTZLICHE PROTEKTIVE FAKTOREN ERHOLUNG ZEIT Symptomatologie Erstreaktionen • Folgen von traumatischen Ereignissen als - akute Stressrektionen - dysfunktionale Reaktionen • Die Erstreaktionen können zu anhaltenden Störungen werden • Frühe “Symptome” sind wechselhaft, vielfältig und reaktiv • Sie können auch Ausdruck von coping-Strategien sein (z.B. Dissoziation ?) Traumafolgeerkrankungen Spezifische Traumafolgen Unspezifische Traumafolgen • Akute Belastungsreaktion • Depression • Posttraumatische Belastungsstörung • Anpassungsstörung • Angststörungen • Persönlichkeits(entwicklungs) störungen nach extremen • Verhaltensstörungen Stressbelastungen • Somatoforme Beschwerden • Traumabedingte Entwicklungsstörungen • Psychogene Schmerzsyndrome • ….. Akute Belastungsreaktion ABR – A1) Traumatisches Ereignis (Todesgefahr, schwere Verletzung, .....) – A2) intensive Furcht, Horror, Hilflosigkeit, ..... Symptome - B ) dissoziative Symptome – C ) Wiedererleben – D ) Vermeidung – E ) Hyperarousal, Ängstlichkeit Akute Belastungsreaktion (F43.0) ..... „vorübergehende Störung von beträchtlichem Schweregrad, die als Reaktion auf eine außergewöhnliche körperliche und/oder seelische Belastung auftritt und im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt.“ Akute Belastungsreaktion Symptome • Kognitiv • Emotional – Angst vor Wiederholung – Trennungsängste • Somatisch • Verhalten Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) ..... „verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung. Die Störung folgt dem Trauma mit einer Latenz, die Wochen oder Monate (selten mehr als sechs) dauern kann.“ Posttraumatische Belastungsstörung - PTSD A1) Traumatisches Ereignis A2) intensive Furcht, Horror, Hilflosigkeit, ..... – C ) unfreiwilliges Wiedererleben – D ) Vermeidungsverhalten – E ) Übererregung, Ängstlichkeit, … Traumafolgen – Typ 1 • Wiedererleben, Wiederherstellung in der Gegenwart, aktive Wiederholung • Vermeidungsverhalten (Orte, Personen, Situationen, die an das Trauma erinnern) – Rückzug – Regression – Betäubung, Erstarrung • Erhöhte Erregung – Unruhe, Reizbarkeit – Schreckhaftigkeit – Ein- und Durchschlafstörungen Trauma – Reaktionen und Symptome (nach Streeck-Fischer, 2006) Allgemeine Symptome • • • • • veränderte Einstellungen zur eigenen Person, zum Leben, ... unfreiwillige Wiedererinnerungen repetitive Verhaltensweisen traumaspezifische Ängste erhöhtes arousal Körperregulationsstörungen Störung oder Verlust der Regulierung körperliche Vorgänge nach traumatischen Ereignissen bzw. traumatischer Kindheitsentwicklung • arousal • Herzrate • Schlafstörungen • Essstörungen • Selbstschutz (Verletzungen, Risikoverhalten, Unfallneigung,…..) Emotionale Reaktionen • • • • Angst vor der Wiederholung des Traumas häufiger Trennungsangst Vermehrt A. vor Dunkelheit A. vor Situationen oder Personen, welche an Ereignis erinnern • Trauer • Unruhe, Gereiztheit, … Kognitive Beeinträchtigungen • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen • Verschlechterung der Schulleistungen Spezifische Symptome: • Selbstvorwürfe • Schuldzuweisungen • keine pos. Zukunftserwartung • kein Vertrauen in Bezugspersonen Trauma – spezifische Reaktionen und Symptome (nach Streeck-Fischer, 2006) Trauma – Typ I • schlimme Vorahnungen • detaillierte Erinnerungen • verzerrte Wahrnehmungen Trauma – Typ II • Verleugnung und psychische Betäugung • Fehlende Erinnerung • Selbsthypnose und Dissoziation • Wut Erstreaktionen • Folgen von traumatischen Ereignissen als - akute Stressrektionen - dysfunktionale Reaktionen • Die Erstreaktionen können zu anhaltenden Störungen werden • Frühe “Symptome” sind wechselhaft, vielfältig und reaktiv • Sie können auch Ausdruck von coping-Strategien sein (z.B. Dissoziation ?) Symptome von Kindern • Trennungsängste • Traumaspezifische Ängste • Weinen, Angst, Niedergeschlagenheit (punktuelle Trauer) • Regressives Verhalten • Wut, Zorn, Aggressionsausbrüche • Schuldgefühle • Konzentrationsschwierigkeiten • Essstörungen, Schlafstörungen • Körperliche Beschwerden • (Entwicklungsverzögerungen) Symptome von Jugendlichen • depressive Reaktionen • Wut, Zorn, aggressives Verhalten • kognitive Beeinträchtigungen • Hoffnungslosigkeit • Verlust von Zukunftsperspektiven • Schuldgefühle • Körperliche Beschwerden • Substanzmissbrauch • Suizidversuche Kinderspezifische Symptome bzgl. ANGST Spezifische Symptome: • A. vor Sit. welche an Ereignis erinnern • A. vor Personen und Gegenstände, welche mit Erlebnis assoziiert werden Unspez. Symptome: • Vermehrt A. vor Dunkelheit • allein im Zimmer schlafen zu müssen • häufiger Trennungsangst • Angst vor Geistern Symptome bzgl. SCHLAF Spezifische Symptome: • Alpträume, die Aspekte des Traumas beinhalten • Unspez. Symptome: • Ein- und Durchschlafschwierigkeiten • Alpträume, die nicht mit dem Trauma zu tun haben (z.B. Monster...) Zeichen bzgl. KOGNITIVE ASPEKTE Spezifische Symptome: • Schuldzuweisungen (oft in sich selbst) • keine pos. Zukunftserwartung • kein Vertrauen in Bezugspersonen Unspez. Symptome: • Verschlechterung der Schulleistungen • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen Kinderspezifische Zeichen bzgl. VERHALTEN Spezifische Symptome: • Vermeidungsverhalte n vor bestimmten Orten, Situationen, Personen - jedoch bei Kindern deutlich weniger als bei Erwachsene Unspez. Symptome: • Entwicklungsrückschritte (Spiel, Sprache, Sauberkeit) • Aggressives Verhalten besonders bei männlichen Jugendlichen u. Kindern Langzeitfolgen • Posttraumatische Belastungsstörung - PTSD • Reaktive Depression • Anpassungsstörung • Angststörung - Schwere der Verletzung korreliert NICHT mit dem Auftreten von PTSD - Bewusstseinsgrad während des Ereignisses korreliert mit PTSD Folgen traumatischer Erfahrungen in der Kindheit scientific gaps (Felitti et al., 1998) ACE Score 1 • Missbrauchskategorien – Wiederholter körperlicher Missbrauch – Wiederholter sexueller Missbrauch – Wiederholter emotionaler Missbrauch ACE Score 2 • Familiäre oder elterliche Dysfunktionen – Inhaftierung eines Haushaltsmitglied – körperliche Gewalt gegen die Mutter – Familienmitglied mit Alkohol-/Drogenabh. – Psychisch kranke Familienmitglieder – Verlust eines biol. Elternteils in der Kindheit Traumafolgen im weiteren Entwicklungsverlauf • Veränderte Einstellung zum Leben, zur eigenen Person, zu sozialen Beziehungen – sozialer Rückzug, Einzelgänger • Abbruch von Entwicklungswegen – Schulversagen – neue Jugendgruppen (soziale Randgruppen) • Störungen der Wahrnehmung in Beziehungen – Misstrauen, Isolation,… • Erhöhte Reizbarkeit und Impulsivität – selbst- und fremddestruktiv Folgen früher und komplexer Traumatisierung • Bindungstörungen • Verstehen mentaler Zustände im Anderen und im Selbst beeinträchtigt (Mentalisierungsstörungen) Folgen früher und komplexer Traumatisierung 2 • Störungen der Selbstwahrnehmung und Selbstregulierung – Unruhe, Betäubung,.. • Sensomotorische Veränderungen • Störungen in der Wahrnehmung anderer • Störungen der Affekt- und Impulsregulation – Erregung, Erstarrung,… • Bewusstseinsbeeinträchtigungen • Kognitive Defizite – Aufmerksamkeit, Konzentration,… Geschlechtsspezifische Folgen des Missbrauchs Mädchen (Putnam 1997) • • • • • Depression Suizidalität Selbstverletzungen Disssoziation Somatisierung Buben (Graconia 1995) • • • • • PTBS Depression Angststörungen Alkohol, Drogen Dissozialität, Gewalt Traumafolgen im weiteren Entwicklungsverlauf • Veränderte Einstellung zum Leben, zur eigenen Person, zu sozialen Beziehungen – sozialer Rückzug, Einzelgänger • Abbruch von Entwicklungswegen – Schulversagen – neue Jugendgruppen (soziale Randgruppen) • Störungen der Wahrnehmung in Beziehungen – Misstrauen, Isolation,… • Erhöhte Reizbarkeit und Impulsivität – selbst- und fremddestruktiv Folgen früher und komplexer Traumatisierung 2 • Störungen der Selbstwahrnehmung und Selbstregulierung – Unruhe, Betäubung,.. • Sensomotorische Veränderungen • Störungen in der Wahrnehmung anderer • Störungen der Affekt- und Impulsregulation – Erregung, Erstarrung,… • Bewusstseinsbeeinträchtigungen • Kognitive Defizite – Aufmerksamkeit, Konzentration,… Geschlechtsspezifische Folgen des Missbrauchs Mädchen (Putnam 1997) • • • • • Depression Suizidalität Selbstverletzungen Disssoziation Somatisierung Buben (Graconia 1995) • • • • • PTBS Depression Angststörungen Alkohol, Drogen Dissozialität, Gewalt „Childhood trauma, including abuse and neglect, is probably the single most important public health challenge in the US.“ (B. van der Kolk, 2007) Folgen - Erwachsene • Unfähigkeit Gefühle zu verbalisieren • Symbolische Ausdrucksformen zu finden • Sprachlosigkeit • Somatisierung • Regression Folgen - Kinder • Zerstörung vorhandener Bindungen • Emotionales Abblocken • Kognitive Bewertungen werden abgeschaltet • Abblocken mentaler Funktionen (Gedächtnis, Vorstellungskraft, Phantasie Problemlösung) • Unfähigkeit mit Alarmreaktionen zu antworten …viele Probleme im Erwachsenenalter resultieren aus Problemen / Misshandlungen in der Kindheit (Putnam, 2002) • Kindesmisshandlung ist der größte Risikofaktor für Gesundheitsprobleme – Psychiatrische Erkrankungen - Depression & PTSD – Alkohol- und Substanzabusus durch Frauen – Gewalt an Frauen und Kindern – HIV Risikoverhalten von Jugendlichen “Risk for violence among abused and neglected children” (Prospektive Studie; Widam, 1996) • 50% der Kinder und Jugendlichen mit Gewalterfahrungen in der Kindheit verbüßen Gefängnisstrafen wegen nicht verkehrsunfallbezogener Delikte schon vor dem 32. Lebensjahr • 75 % der Täter haben eigene Erfahrungen von sexuellem Missbrauch (cycle of violence) Beeinflussung der Folgewirkungen wichtigste beeinflussbare Parameter: • Risikofaktoren und • Schutzfaktoren - im posttraumatischen Verlauf !!! “gelungene” Bewältigung (Pearlin and Schooler, 1978) • Fortsetzung von Schule, Beruf, Aufgaben, … • Kontrolle über die eigenen Emotionen • Realistische Selbstwahrnehmung und -einschätzung • Fähigkeit zu und Wertschätzung von sozialen Beziehungen Fehlende Bewältigung • Unzureichende Erfüllung von beruflichen oder persönlichen Aufgaben • Unzureichen modulierte Gefühle • Negative Selbsteinschätzung (Schuld, Scham) • Mangelnde Wertschätzung für positive soziale Beziehungen Therapieziele „Die Bearbeitung traumatischer Erfahrungen ist kein Therapieziel! Vielmehr dient die Bearbeitung traumatischer Erfahrungen bestimmten Therapiezielen.“ (Reddemann, 2004) Therapeutische Ziele • Überwinden von traumatischen Wiederinszenierungen – • Vertrauen statt Abwehr, Stabilisierung, sicherer Ort Entwicklung von Fähigkeiten – Entw.fördernde Spiele – Traumatisches Spiel (Opfer – Täter) • Integration und Differenzierung in verschiedenen Bereichen – – – Regulierung von Affekten, sichere Umwelt, Selbststeuerung, Bewegungskoordination, Versprachlichung von Empfindungen Dezentrierung, Entwicklung von Grenzen