Gestaltungsmöglichkeiten und Erfolgsfaktoren der Preispolitik bei der Vermarktung von Hilfsund Betriebsstoffen Dietmar Gamm Februar 2010! II Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis..............................................................................................II! Abbildungsverzeichnis......................................................................................V! Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... VI! Tabellenverzeichnis........................................................................................ VII! 1! Einleitung ......................................................................................................1! 1.1! Einführung in die Problemstellung .....................................................1! 1.2! Ziel und Gang der Untersuchung ........................................................2! 2! Begriffe und Grundlagen...............................................................................3! 2.1! Preispolitik und Preismanagement......................................................3! 2.2! Hilfs- und Betriebsstoffe .....................................................................4! 2.3! Typische Rahmenbedingungen der Preispolitik bei Hilfs- und Betriebsstoffen....................................................................................4! 2.4! Preispolitische Aspekte von Geschäftsbeziehungen ...........................5! 2.4.1! Aufnahme von Geschäftsbeziehungen ...................................5! 2.4.2! Information und Bindung in Geschäftsbeziehungen ..............6! 2.4.3! Formale Grundlagen von Geschäftsbeziehungen ...................7! 3! Die Bestimmung des preispolitischen Spielraumes ......................................9! 3.1! Einflussfaktoren der Preispolitik.........................................................9! 3.2! Die wettbewerbsabhängige Preisobergrenze.....................................10! 3.3! Die nachfragerabhängige Preisobergrenze........................................11! III 3.4! Die kostenabhängige Preisuntergrenze .............................................13! 4! Preispolitische Erfolgsfaktoren – Grundlagen und beispielhafte Gestaltungsmöglichkeiten ...........................................................................15! 4.1! Integrative Preisfindung am Beispiel der Vermarktung kryogener Kältemittel ........................................................................................15! 4.1.1! Grundlagen der Preisfindung................................................15! 4.1.2! Vorgehensweise am Beispiel der Vermarktung kryogener Kältemittel ............................................................................16! 4.1.3! Preisfindung bei potentiellen Kunden mit Neubedarf ..........17! 4.1.4! Preisfindung bei Wettbewerbskunden ..................................19! 4.1.5! Preisanpassung bei Bestandskunden.....................................22! 4.1.6! Wertbasierte Preisfindung ....................................................27! 4.2! Kundensegmentierung und Preisdifferenzierung am Beispiel der Vermarktung von Lebensmittelzusatzstoffen ...................................29! 4.2.1! Grundlagen der Segmentierung und Preisdifferenzierung ...29! 4.2.2! Vorgehensweise am Beispiel eines Lebensmittelzusatzstofflieferanten .......................................31! 4.3! Optimierte Preisdurchsetzung am Beispiel eines neuen Schweißschutzgases..........................................................................35! 4.3.1! Grundlagen der Preisdurchsetzung .......................................35! 4.3.2! Vorgehensweise am Beispiel von Schweißschutzgasen.......36! 4.3.3! Voraussetzungen und Beschränkungen ................................39! 4.4! Kopplungsverkäufe am Beispiel der Vermarktung von Reinigungsund Desinfektionsmitteln..................................................................39! IV 4.4.1! Grundlagen von Kopplungsverkäufen..................................39! 4.4.2! Vorgehensweise am Beispiel eines Lieferanten für Reinigungs- und Desinfektionsmittel ...................................41! 5! Schlussbetrachtung......................................................................................45! Literaturverzeichnis..........................................................................................47! Eidesstattliche Erklärung! V Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Entscheidungsbaum zur Preisfindung bei Wettbewerbskunden ..........21! Abb. 2: Attribute und Ausprägungen für eine Conjoint-Analyse .....................33! Abb. 3: Eingabeparameter des Welding Cost Benefit Calculator.....................38! VI Abkürzungsverzeichnis BGB Bürgerliches Gesetzbuch ERP Enterprise Resource Planning GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen QM Qualitätsmanagement VBA Visual Basic for Applications VII Tabellenverzeichnis Tab. 1: Externe Informationsquellen für Wettbewerbspreise ...........................11! Tab. 2: Relationen zwischen Risiken sowie Konstrukten und Preiserhöhung..25! Tab. 3: Konstrukte, Indikatoren und Informationsquellen................................25! 1 1.1 Einleitung Einführung in die Problemstellung Preispolitische Festlegungen wirken direkt auf Absatzvolumen und Umsatz und indirekt auf Stückvollkosten und Gewinn.1 Sie wirken aber auch auf Aspekte wie Kundenzufriedenheit und Wettbewerbsdynamik.2 Grundsätzlich kann die Preispolitik als ein Element des Marketing-Mix3 kaum isoliert von den anderen Elementen betrachtet oder gestaltet werden. So treffen Abnehmer ihre Kaufentscheidungen nicht auf der Basis von Preisen, sondern auf der Basis von Kosten-Nutzen-Abwägungen. Diese werden auch durch Produkteigenschaften, Distributionsleistungen oder die Preis-Wert-Kommunikation beeinflusst. Diller bezeichnet die Preispolitik als „eine der schärfsten Waffen(gattungen) im Marketing-Mix“, aber ebenfalls als eines der „schwierigsten und risikoreichsten Marketinginstrumente im Marketing-Mix“4. In empirischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass professionelles Preismanagement von Unternehmensführern als wichtigstes strategisches Ziel genannt wurde.5 In der Literatur wird betont, dass eine optimierte Preisfindung durch die Unternehmensziele, die eigene Kostendynamik, die Zahlungsbereitschaften der Kunden, die aktuellen Preise, das Preisverhalten der Wettbewerber sowie mögliche Anbieter von Substitutionsprodukten determiniert wird.6 Demgegenüber ist die kostenbasierte Zuschlagskalkulation nach wie vor der Ansatz der Wahl vieler Praktiker.7 Diese Diskrepanzen zwischen Absicht, Wissen und Tun belegen die von Diller festgestellte Schwierigkeit in der Anwendung des Instrumentes. Es ist plausibel, dass Abnehmer ihre Lieferantenauswahl umso stärker von Preisen 1 Vgl. Simon/Fassnacht, 2009, S. 13. 2 Vgl. Diller, 2008, S. 43 ff. 3 Vgl. Weber/Kabst, 2006, S. 111 ff. 4 Diller, 2008, S. 21 f. 5 Vgl. Kopka/Wunderlich, 2006, S. 11 zitiert nach Diller, 2008, S. 22. 6 Vgl. Simon/Fassnacht, 2009, S. 81 ff., Pechtl, 2005, S. 75 ff., auch Nagle/Hogan, 2007, S. 46, Diller, 2008, S. 309 ff. 7 Vgl. Phillips, 2005, S. 23. 2 und Konditionen abhängig machen, je weniger die angebotenen Leistungen sich voneinander unterscheiden. Bei den meisten industriell oder gewerblich eingesetzten Hilfs- und Betriebsstoffen ist diese Standardisierung in hohem Maße gegeben und resultiert in geschwächten Verhandlungspositionen der Anbieter. 1.2 Ziel und Gang der Untersuchung Im Folgenden sollen die mit der Vermarktung von Hilfs- und Betriebsstoffen verbundenen preispolitischen Herausforderungen und die besonderen Gestaltungsmöglichkeiten beispielhaft erarbeitet werden. Hierbei differenzieren wir die Gestaltung der Preispolitik bei der Gewinnung neuer Kunden einerseits und zur Sicherung des Kundenbestands andererseits, wobei über beide Phasen das Ziel der Profitabilitätsoptimierung verfolgt wird. Im zweiten Kapitel werden die wesentlichen Begriffe und Grundlagen dargestellt. Im dritten Kapitel wird der preispolitische Aktionsraum betrachtet. Im vierten Kapitel werden dann vier relevante Erfolgsfaktoren dargestellt. Hierbei handelt es sich um • eine rationale Preis- und Wertermittlung als Alternative zu einer auf unvollständigen oder unrichtigen Informationen und subjektiven Chancen-Risiken-Abwägungen basierenden Vorgehensweise (Abschnitt 4.1), • eine verbesserte Abschöpfung des Deckungsbeitragspotentials der einzelnen Kundensegmente durch Preisdifferenzierung (Abschnitt 4.2), • eine effektivere Preisdurchsetzung durch eine systematische und nachvollziehbare Wertvermittlung (Abschnitt 4.3) sowie • innovative Preis- und Geschäftsmodelle auf Basis von Kopplungsverkäufen zur Vermeidung von Kommoditisierung (Abschnitt 4.4). Diese ausgewählten Erfolgsfaktoren erscheinen sowohl auf Basis der Fachliteratur als auch auf Grundlage von Beobachtungen des Wirtschaftsalltags für dieses Produktsegment als in besonderem Maße wirksam und realisierbar.8 8 Vgl. auch Schuppar, 2005, S. 176, Bonnemeier, 2009, S. 123 ff. 3 2 2.1 Begriffe und Grundlagen Preispolitik und Preismanagement Diller versteht unter Preispolitik „alle von den Zielen des Anbieters geleiteten und gesteuerten Aktivitäten zur Suche, Auswahl und Durchsetzung von PreisLeistungs-Relationen und damit verbundenen Problemlösungen für Kunden.“9 In dieser Definition sind der Steuerungsaspekt der Anbieterziele und die Aspekte der Leistung und der Problemlösung aus Kundensicht hervorgehoben. Ein anbietendes Unternehmen wird implizite oder explizite Zielvorstellungen hinsichtlich der Entwicklung seines Marktanteils, seines Umsatzwachstums, seiner Profitabilität, der Kundenzufriedenheit und der Wettbewerbsdynamik in seinen Märkten haben. Jede preispolitische Festlegung wird die Erreichung dieser Ziele positiv oder negativ beeinflussen. Es ist also anzustreben, dass preispolitische Entscheidungen derart getroffen werden, dass sie der Zielerreichung insgesamt, auch unter Berücksichtigung von möglichen Zielkonflikten, bestmöglich dienen. Die Definition betont weiter, dass Preise stets nur im Zusammenhang mit der und im Verhältnis zur korrespondierenden Leistung beziehungsweise dem gestifteten Wert oder Nutzen zu verstehen sind.10 So bedeutet bei Hilfs- und Betriebsstoffen die Inkludierung von Zusatzleistungen, wie Garantien, Anwendungsberatung, Analysezertifikate oder Technologielizenzen, eine preis- und produktprogrammpolitische Festlegung. Preispolitik lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven weiter differenzieren. Pechtl betont eine instrumentelle Perspektive mit den Hauptinstrumenten Preiskalkulation, Preisdurchsetzung und Preiscontrolling11. Simon/Fassnacht benutzen den Begriff Preismanagement und betonen die Prozessperspektive mit den Teilprozessen Strategiesetzung, Analyse, Entscheidung und Umset- 9 Diller, 2008, S. 34. 10 Vgl. auch Becker, 2006, S. 487 f. 11 Vgl. Pechtl, 2005, S. 11. 4 zung12. Die Begriffe Preispolitik und Preismanagement werden in dieser Arbeit wie in Literatur und Praxis auch weitgehend synonym verwendet. 2.2 Hilfs- und Betriebsstoffe Im System der Produktionsfaktoren gehören Hilfs- und Betriebsstoffe neben den Rohstoffen zu den Werkstoffen, die als Verbrauchs- bzw. Repetierfaktoren im Produktionsprozess nach einmaliger Verwendung untergehen.13 Als (Produktions-)Hilfsstoffe werden solche Produktionsfaktoren bezeichnet, die in das fertige Produkt materiell eingehen, jedoch, im Unterschied zu Rohstoffen, nicht wesentlicher Bestandteil des Produktes werden. Beispiele hierfür sind Schrauben, Farben, Klebstoffe, Nägel und Garn. Als Betriebsstoffe werden dagegen solche Produktionsfaktoren bezeichnet, welche für die Herstellung von Erzeugnissen verbraucht werden. Als Beispiele hierfür werden Reinigungsmittel, Schmierstoffe und Energie genannt14. 2.3 Typische Rahmenbedingungen der Preispolitik bei Hilfsund Betriebsstoffen Typischerweise, aber nicht zwingend, handelt es sich bei den Marktverhältnissen bei Hilfs- und Betriebsstoffen um homogene Anbieteroligopole. In der Regel trifft eine ein- bis niedrig zweistellige Anzahl von Anbietern auf eine dreibis fünfstellige Anzahl von Nachfragern, und die am Markt angebotenen Produkte entscheiden sich nicht oder nur geringfügig. Die Kosten für die Hilfsund Betriebsstoffe stellen häufig nur einen geringen Anteil an den Gesamtkosten der Nachfrager dar. Eine Nichtverfügbarkeit dieser Produktionsmittel führt jedoch zu einem Produktionsstillstand, also entgangenen Gewinnen, unzufriedenen Kunden und Leerkosten. Die Lieferantenwechselkosten bzw. -hürden sind für die Nachfrager oft gering. Auf Nachfragerseite agieren bei größeren 12 Vgl. Simon, Fassnacht, 2009, S. 17. 13 Vgl. Wöhe/Döring, 2008, S. 36. 14 Vgl. Weber/Kabst, 2006, S. 71 sowie S. 86 5 Unternehmen professionelle Einkäufer. Zum Einsatz kommen hier Instrumente wie Ausschreibungen, global sourcing, bilaterale Verhandlungen bis hin zu umgekehrten Auktionen. Bei kleineren Unternehmen werden Lieferantenauswahl und bilaterale Preisverhandlungen häufig durch den Inhaber oder den Betriebs- oder Produktionsleiter durchgeführt. Eher als bei den größeren Unternehmen beeinflussen dabei unter Umständen langjährige Beziehungen oder „weiche Faktoren“ zusätzlich zu Preisen und Leistungen die Lieferantenauswahl. Die Preistransparenz im Markt ist oft gering, da selbst Anbieter, welche mit Listenpreisen arbeiten, häufig komplexe Rabattsysteme verwenden oder kundenindividuelle Sonderkonditionen vereinbaren. 2.4 Preispolitische Aspekte von Geschäftsbeziehungen Nach Kühne stellt eine Geschäftsbeziehung eine Folge von Transaktionen dar, bei welchen jeweils eine Vereinbarung zur Übertragung von Verfügungsrechten erzielt wird und diese Übertragung erfolgt.15 Preispolitik ist eine wichtige Determinante zum Zustandekommen einer Geschäftsbeziehung. Darüber hinaus beeinflusst sie die Wichtigkeit und Attraktivität der Geschäftsbeziehung für die Geschäftspartner, somit ihre gegenseitige Bindung. Die Stärke der Bindung sowie zukunftsbezogene Vereinbarungen zur Preisentwicklung beeinflussen wiederum den preispolitischen Aktionsraum innerhalb der bestehenden Geschäftsbeziehung. 2.4.1 Aufnahme von Geschäftsbeziehungen Die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen ist aus preispolitischer Sicht relevant, insofern eine wirksame Preispolitik dazu beiträgt, die Quantität und Qualität neuer Geschäftsbeziehungen mit Kunden und damit ein profitables Wachstum zu fördern. Die Beziehungsaufnahme kann auf Initiative des Anbieters, des Nachfragers oder durch beide Seiten synchron erfolgen. Anbieter initiieren Geschäftsbezie- 15 Vgl. Kühne, 2007, S. 10 f. 6 hungen beispielsweise durch Direktmarketing-Aktionen oder Außendienstbesuche. Nachfrager nehmen Beziehungen zu möglichen Lieferanten beispielsweise durch Anfragen, Ausschreibungen oder Einladungen zu umgekehrten Auktionen16 auf. Bei Kontaktaufnahmen auf Fachmessen oder über B2BMatchmaking-Plattformen handelt es sich um beiderseitige Initiativen zur Aufnahme von Geschäftsbeziehungen. Beim Gegenstand der angestrebten Geschäftsbeziehung kann es sich um einen bereits existierenden Bedarf oder um einen Neubedarf handeln. Die Motivation des Nachfragers kann dabei in niedrigeren oder möglichst vorteilhaften Beschaffungskosten oder in einer gegenüber seiner Ausgangslage vorteilhafteren Gesamtlösung liegen. Bei einem bereits existierenden Bedarf und damit auch einem oder mehreren vorhandenen Lieferanten kann die Bereitschaft zum Lieferantenwechsel sehr gering oder auch mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Bei einem Neubedarf ist es möglich, dass der Nachfrager hinsichtlich der Lieferantenauswahl eine neutrale Position einnimmt. Mitunter hat sich aber auch bereits eine Präferenz entwickelt, beispielsweise aufgrund von anwendungstechnischer Beratung im Verhandlungsvorfeld. Für den optimalen Einsatz der preispolitischen Instrumente mit dem Ziel der profitablen Kundengewinnung ist es wichtig, dass meist implizit vorhandene Wissen um diese Faktoren explizit zu machen. 2.4.2 Information und Bindung in Geschäftsbeziehungen In Geschäftsbeziehungen sind Informationsasymmetrien zwischen den Geschäftspartnern die Regel. Beispielsweise ist der Nachfrager nicht vollständig darüber informiert, zu welchen Preisen und Konditionen der Anbieter gerade noch in die Geschäftsbeziehung eintreten würde beziehungsweise bereit ist, diese fortzusetzen. Der Anbieter dagegen hat in der Regel keine oder nur unvollständige Informationen über die Zahlungsbereitschaft des Nachfragers beziehungsweise dessen Alternativen. Der Nachfrager wiederum kann ein wirt- 16 Vgl. Arnold/Schnabel, 2007, S. 83 ff. 7 schaftliches Interesse daran haben, dass der Anbieter seine Zahlungsbereitschaft geringer einschätzt, als sie tatsächlich ist, und die Alternativen als attraktiver ansieht, als sie in der Realität sind. Bindung schränkt die Dispositionsfreiheit eines oder beider Partner in einer Geschäftsbeziehung ein.17 Sie lässt sich beispielsweise ökonomisch, rechtlich, technisch-funktional, situativ oder psychologisch begründen.18 Ist die Bindung eines Partners stärker als die des anderen, liegt eine asymmetrische Geschäftsbeziehung vor. Asymmetrische Geschäftsbeziehungen können, abhängig von der Ausprägung der Asymmetrie, stabil oder instabil sein.19 Aus preispolitischer Anbieterperspektive ist es anzustreben, selbst möglichst unabhängig vom jeweiligen Nachfrager zu sein, aber andererseits die Bindung des Nachfragers an das eigene Unternehmen oder die eigene Leistung zu maximieren. Damit lässt sich die nachfragerseitige Preiserhöhungstoleranz und –akzeptanz im Unternehmensinteresse beeinflussen.20 2.4.3 Formale Grundlagen von Geschäftsbeziehungen Während sich der Begriff der Transaktion auf einen einmaligen Leistungsaustauschprozess bezieht, kann unter dem Begriff Geschäftsbeziehung nach Plinke „eine Folge von Markttransaktionen zwischen einem Anbieter und einem Nachfrager, die nicht zufällig ist“21 verstehen. Bei Hilfs- und Betriebsstoffen können im Wirtschaftsalltag überwiegend längerfristige, teils langjährige Geschäftsbeziehungen festgestellt werden. Die Einzeltransaktionen innerhalb dieser Geschäftsbeziehungen können auf Basis abgeschlossener vertraglicher Vereinbarungen wie beispielsweise Rahmenvereinbarungen, Abrufverträge oder Volumenverträge durchgeführt werden. Die längerfristigen Vereinbarungen können über die Vertragslaufzeit unveränderliche Preise, sich periodisch um einen festgelegten Wert verändernde Preise oder eine Preisgleitklausel beinhalten. Die maximale Laufzeit der vertraglichen Vereinbarungen ist unter Um- 17 Vgl. Kleinaltenkamp/Kühne, 2003, S. 13. 18 Vgl. Saab, 2007, S. 17 ff. 19 Vgl. Kühne, 2008, S. 148. 20 Vgl. Homburg/Bruhn, 2007, S. 9. 21 Plinke, 1997, S. 23 zitiert nach Kühne, 2008 S. 9. 8 ständen durch rechtliche Vorschriften beschränkt. Die Einzeltransaktionen können aber auch ohne formale vertragliche Grundlage, dann in der Regel auf Basis der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Anbieters oder des Nachfragers, stattfinden. Gegebenenfalls im Laufe der Geschäftsbeziehung aus Sicht eines Geschäftspartners erforderliche oder erwünschte Preisänderungen sind dann zu erklären und gegebenenfalls zu verhandeln. Rechtlich handelt es sich hier gemäß §§ 145 ff. BGB um ein neues Angebot, welches vom Geschäftspartner anzunehmen ist, damit ein neuer Vertrag zustande kommt. 9 3 3.1 Die Bestimmung des preispolitischen Spielraumes Einflussfaktoren der Preispolitik Bei der Festlegung der Absatzpreise und des Preissystems sind sowohl unternehmensexterne als auch -interne Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Zu den externen Faktoren gehören Wettbewerber, welche durch ihr Marktverhalten und ihre Preissetzung für - aus Nachfragersicht vergleichbare Leistungen - die erzielbaren Preise nach oben begrenzen. Zu berücksichtigen sind hier auch alternative Produkte oder Technologien. So kann beispielsweise der Preisspielraum für Stickstoff in Hochdruckflaschen (Inertgas) durch Wettbewerber, welche das gleiche Produkt anbieten, begrenzt sein. Ein Nachfrager kann möglicherweise aber auch auf billigeres Kohlendioxid als Ersatzprodukt ausweichen oder eine Stickstoffeigenerzeugungsanlage in Betracht ziehen. Zu den externen Faktoren gehören auch die Nachfrager, welche durch ihre Zahlungsbereitschaft beziehungsweise ihre Kosten-/Nutzenbewertung eine weitere Preisobergrenze setzen. Preispolitisch ist jeweils die niedrigere der Preisobergrenzen entscheidungsrelevant.22 Als weitere relevante externe Umfeldfaktoren führt Diller eventuell vorhandene Absatzmittler, Absatzhelfer sowie das Makrosystem an.23 Als interne Faktoren sind insbesondere die Unternehmens- und Bereichsziele, spezifische Ziele der Preispolitik, die Kosten und ihre Mengenabhängigkeit,24 aber auch Kapazitätsgrenzen, Sortimentsaspekte und finanzwirtschaftliche Gegebenheiten zu berücksichtigen. 25 Im Folgenden wird insbesondere auf die preispolitikbegrenzenden Faktoren Wettbewerb, Nachfrager und Kosten eingegangen. 22 Vgl. Simon/Fassnacht, 2009, S. 81. 23 Vgl. Diller, 2007, S. 49 ff. 24 Vgl. Diller, 2007, S. 310 ff.,Nagle/Hogan, 2007, S. 231 ff. 25 Vgl. Diller, 2007, S. 51 ff. 10 3.2 Die wettbewerbsabhängige Preisobergrenze Bei gleichem oder gleichwertigem Leistungsangebot, keiner Präferenz für einen Anbieter und rationaler Entscheidung wird aus Nachfragersicht der Preis das entscheidende Lieferantenauswahlkriterium darstellen. Auch bei vorhandenen Unterschieden und Präferenzen ist es aus Anbietersicht wichtig, Marktverhalten und Preispolitik der Wettbewerber möglichst genau zu kennen und antizipieren zu können. Beobachtbare Frühindikatoren für aggressives Wettbewerbsverhalten sind beispielsweise geringe Kapazitätsauslastungen, besonders bei im Verhältnis geringen variablen Kosten, hoher neugeschäftorientierter variabler Vergütungsanteil im Vertrieb oder aggressive Wachstumsziele der Konkurrenten. Spätindikatoren können sinkende Marktpreise und eigene verlorene Marktanteile sein. Bei der Vermarktung von Hilfs- und Betriebsstoffen ist es von Vorteil, die Preispolitik und Preisspielräume der relevanten Wettbewerber möglichst genau zu kennen. Dazu ist es wichtig, die relevanten Informationen systematisch zu sammeln, zu strukturieren, auszuwerten und bei preispolitischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Informationen können aus unternehmensinternen oder -externen Quellen gewonnen werden. Eine interne Quelle kann beispielsweise eine Datenbank sein, in welcher für alle im Zeitablauf gewonnenen oder nicht gewonnenen Geschäftsanbahnungen die letzten Angebotskonditionen, das Auftragsvolumen, weitere relevante Faktoren sowie die korrespondierende Umsatzrentabilität der Angebotskonditionen gespeichert werden. Mit statistischen Verfahren lassen sich dann die Zusammenhänge zwischen Angebotspreisen und Erfolgswahrscheinlichkeit ermitteln und für spätere Entscheidungen nutzen. Als externe Quellen kommen die Wettbewerber selbst, deren Kunden oder Dritte in Frage (vgl. Tab. 1). Bei der Beschaffung der Informationen sind rechtliche und ethische Grenzen zu respektieren. Eine formale Orientierung hierzu bietet das ethische Selbstverständnis der Society of Competitive Intelligence 11 Professionals (SCIP).26 Demnach soll die eigene Identität und der Verwendungszweck der Informationen bei allen Informationsanfragen offengelegt werden. Bei Beauftragung externer Institute mit der Durchführung der Anfrage kann der ethische Konflikt zumindest formal vermieden werden.27 Externe Informationsquellen Wettbewerber • Preislisten, Preisinformationen auf Internetseiten der Wettbewerber • Jahresberichte u. ä. Quellen • Wettbewerbsanfragen Kunden, • Telefonische Befragungen ehemalige oder aktuelle • Persönliche Befragungen durch Außendienst, auf Messen o. ä. • Webseiten, Jahresberichte Sonstige • Branchenexperten • Branchenverbände • Weblogs, social networks u. ä. • Statistische Untersuchungen, sonstige Veröffentlichungen Tab. 1: Externe Informationsquellen für Wettbewerbspreise Quelle: eigene Darstellung 3.3 Die nachfragerabhängige Preisobergrenze Um die Reaktionen der Nachfrager auf spezifische Preis-Leistungskombinationen oder deren Veränderung bei der Festlegung von Preisentscheidungen zu berücksichtigen, sollten mikroökonomische und verhaltenstheoretische Aspekte berücksichtigt werden. In die erste Kategorie fallen quantitative Überlegungen zu Zahlungsbereitschaften, Kundennutzen und Preisabsatzbeziehungen.28 Die zweite Kategorie beinhaltet Aspekte wie Preiswahrnehmung, Preis- 26 Vgl.SCIP, o. J., http://www.scip.org/About/content.cfm?ItemNumber=578&navItemNumber=504 (29.11.2009). Vgl. Mirum.net, o.J., http://competitive-intelligence.mirum.net/gatheringinformation/competitive-intelligence-vs.-espionage.html (29.11.2009). 28 Vgl. Simon/Fassnacht, 2009, S. 85. 12 zufriedenheit oder Preisvertrauen.29 Die mikroökonomische Betrachtung führt zu zwei möglichen Szenarien. Im ersten gibt es keine relevanten Unterschiede des eigenen, aus Kernprodukt und Nebenleistungen bestehenden, Leistungsangebotes zum Angebot der direkten Wettbewerber. Hier werden die Wettbewerbspreise in der Regel die Grenze der Zahlungsbereitschaft des Nachfragers repräsentieren. Im zweiten Szenario gibt es mehr oder weniger ausgeprägte Unterschiede in den Leistungsangeboten der Wettbewerber. Hier stellt sich die Frage nach dem wirtschaftlichen Wert der Unterschiede für den Nachfrager. Diesen Wert gilt es zu ermitteln, monetär zu bewerten und zu kommunizieren, damit der Anbieter ihn berücksichtigen kann und wird. Dazu ist es in der Regel erforderlich, sich intensiv mit den wesentlichen Aspekten der nachfragerseitigen Verwendung des Leistungsangebotes auseinanderzusetzen, alle Auswirkungen der differenzierenden Eigenschaften zu verstehen und zu bewerten. Es geht beispielsweise um die wirtschaftlichen Auswirkungen von Qualitätsverbesserungen in Prozessen und Endprodukten oder Produktivitätssteigerungen. Die Vorgehensweise wird durch Nagle /Hogan anschaulich und beispielhaft erläutert.30 Ist der Wert der positiven Differenzierung ermittelt und kommuniziert, besteht der nächste Schritt darin, diesen als Hebel zur Erreichung der Vertriebs- und Marketingziele erfolgreich einzusetzen. In vielen Fällen ist eine monetäre Bewertung von Differenzierungsmerkmalen allerdings nicht oder nicht in hinreichender Qualität möglich. Beispielsweise könnten Schweißgase anstatt in herkömmlichen, schweren Stahlzylindern in leichten Zylindern aus Verbundfaserstoffen angeboten werden. Die monetäre Bewertung des ergonomischen Vorteils für den Anwender ist durch direkte Berechnung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Differenzierung nicht möglich. Eine Abschätzung der Zahlungsbereitschaft für den Differenzierungswert kann über Befragungen von unternehmensinternen oder -externen Experten oder Beschaffungsentscheidern erreicht werden. Ein genaueres Verfahren stellt die Conjoint Analysis dar, bei 29 Vgl. Simon/Fassnacht, 2009, S. 85; vgl. Diller, 2008, S. 157 ff. 30 Vgl. Nagle/Hogan, 2007, S. 57 ff. 13 welcher eine hinreichend große Stichprobe von Nachfragern beziehungsweise Entscheidern simulierte Trade-Off-Entscheidungen zwischen Preis-Leistungskombinationen, welche sich in ihren Merkmalsausprägungen unterscheiden, trifft. Die dabei ermittelten Daten werden über statistische Verfahren in Modelle überführt, anhand welcher, dem obigem Beispiel folgend, simuliert werden könnte, welcher Anteil der Nachfrager sich bei verschiedenen Preisdifferenzen für den Stahlzylinder beziehungsweise für den leichten Zylinder entscheiden würde. Die Befragungen werden in der Regel als Internetbefragungen durchgeführt.31 Für die Conjoint Analysis sind Software-Pakete erhältlich. Konzeption, Durchführung und Auswertung von Befragungen werden aber auch von spezialisierten Dienstleistern angeboten. Untersuchungen über die Relevanz des Preises im Verhältnis zu Produkt- oder Serviceleistungen bei Beschaffungsentscheidungen bestätigen die hohe Wichtigkeit der Produkt- und Serviceleistungen und dass Nachfrager den Preis tendenziell im Verhältnis als weniger wichtig einstufen als Anbieter.32 Die Untersuchungen basieren allerdings auf Befragungen oder simulierten Entscheidungen. Es stellt sich die generelle Frage, ob Teilnehmer in einer realen Situation genauso entscheiden würden, wie sie es in einer Befragung, ohne reale Konsequenzen für sie, angeben. 3.4 Die kostenabhängige Preisuntergrenze Um zu überleben, darf ein Unternehmen nicht überschuldet und es muss jederzeit in der Lage sein, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Weiterhin muss es eine ausreichende Rendite auf das eingesetzte Kapital erwirtschaften. Ansonsten hätten die Eigentümer oder Investoren, bei rationalem Verhalten, kein Interesse, ihm in Zukunft benötigtes Kapital zur Verfügung zu stellen. Vermarktet es sein Leistungsprogramm längerfristig zu Preisen unterhalb seiner Stückgesamtkosten, können diese Ziele nicht erreicht werden. Somit ist die 31 Vgl. Nagle/Hogan, 2007, S. 444 ff., ausführlicher Simon/Fassnacht, 2009, S. 116 ff., Diller, 2008, S. 190 ff. 32 Vgl. Hinterhuber, 2008, S. 413 f. 14 Kenntnis und Beachtung der variablen und fixen Kosten zur Ermittlung einer unteren Preis- oder Sicherheitsschwelle bei einer integrativen Preispolitik, welche zusätzlich Wettbewerbsfaktoren, Nachfragerfaktoren und Angebotsaspekte einschließt, kritisch. Bei einer nichtintegrativen Preispolitik, welche beispielsweise den Wettbewerb oder die nachfragerseitigen Zahlungsbereitschaften nicht systematisch berücksichtigt, werden häufig die Kosten als Grundlage zur Bestimmung der Absatzpreise herangezogen. Bei der in der Praxis weitverbreiteten Zuschlags- oder Kosten-plus-Kalkulation ist der Verkaufspreis eines abzusetzenden Gutes eine Funktion von Plankosten und Planfertigungsmenge oder Istkosten.33 Der Zuschlag wird in der Regel so gestaltet, dass er bei einer Planabsatzmenge ausreicht, um neben den variablen auch die fixen Herstellkosten, die Gemeinkosten und einen Gewinn zu erwirtschaften. Die Wirkungszusammenhänge sind in der Regel, eine Ausnahme gäbe es beispielsweise beim sogenannten Snob-Effekt34, derart, dass höhere Preise zu niedrigeren Absatz-/Produktionsmengen führen, welche wiederum durch schwächere Fixkostendegression und Lerneffekte in höheren Stückgesamtkosten resultieren.35 In einem geschlossenen Regelkreis würden diese solange zu stetig steigenden Preisen führen, bis das Unternehmen sich „aus dem Markt kalkuliert“ hat. Dem Hauptvorteil der einfachen Anwendbarkeit des Verfahrens stehen weitere Nachteile, wie Kalkulationsfehler durch Fixkostenproportionalisierung und ungenutzte Gewinnchancen durch Preisdifferenzierung oder taktische Mischkalkulation, gegenüber.36 In jedem Falle stellen die variablen oder durchschnittlichen Kosten auch bei einer Preissetzung per Zuschlagskalkulation prinzipiell die Untergrenze dar, es sei denn, eine Preissetzung unterhalb dieser Kosten wird im Rahmen von Mischkalkulationen oder von Preissegmentierungsmodellen kompensiert. 33 Vgl. Schuppar, 2006, S. 112 f. 34 Vgl. Olbrich/Battenfeld, 2007, S. 25. 35 Vgl. ähnlich Diller, 2008, S. 316 ff. 36 Vgl. Diller, 2008, S. 315 f. 15 4 Preispolitische Erfolgsfaktoren – Grundlagen und beispielhafte Gestaltungsmöglichkeiten Im Folgenden sollen aus Literatur und Praxis ausgewählte, für die Vermarktung von Hilfs- und Betriebsstoffen besonders relevante preispolitische Erfolgsfaktoren dargestellt und ihre Ausgestaltung an Hand von Praxisbeispielen veranschaulicht werden. Die Praxisbeispiele dienen dazu, die Implementierung grundlegender preispolitischer Konzepte im Wirtschaftsalltag zu veranschaulichen. Um diesen Zweck bestmöglich zu erfüllen, wurden sie teilweise konstruiert oder zweckdienlich erweitert oder abgeändert. 4.1 Integrative Preisfindung am Beispiel der Vermarktung kryogener Kältemittel 4.1.1 Grundlagen der Preisfindung Ein wesentlicher Aspekt der Preispolitik ist die Ermittlung zielführender Absatzpreise der Höhe nach. Auch hierbei sind Kalküle der Wettbewerber und Nachfrager und das eigene Unternehmenszielsystem zu berücksichtigen.37 Ist das Primärziel der Preispolitik eine Verbesserung der Margen, wird man zu anderen Ergebnissen kommen, als wenn eine deutliche Erhöhung des Marktanteils oder eine Sicherung des Status quo angestrebt wird. Es ist aber stets zu reflektieren, ob das definierte Ziel im Hinblick auf das nächste übergeordnete Unternehmensziel optimal gewählt ist. Es ist zu hinterfragen, in welchem Ausmaß, mit welcher Sicherheit oder welchem Risiko, bei welchen Nebenwirkungen und welchem Ressourcenverbrauch die Zielalternativen zum höheren Ziel beitragen.38 Nach der Festlegung der leitenden Ziele sind die Rahmenbedingungen der Preis- und Wertermittlung zu klären. Hierzu gehört, so genau wie vom Auf- 37 Vgl. Simon/Fassnacht, 2009, S. 25 ff. 38 Vgl. auch Weber/Kabst, 2006, S. 149 f. 16 wand her vertretbar, zu ermitteln und darzustellen, wie gut die Nachfrager über die marktüblichen Preise nach Höhe und Spreizung informiert sind, wie sensitiv sie auf Höhe und Veränderungen der Preise reagieren, wie sie das Preisniveau und das Preis-Leistungsverhältnis der verschiedenen Anbieter wahrnehmen, wie hoch Wechselbereitschaft beziehungsweise Wechselhürden ausgeprägt sind und als wie homogen oder differenziert sie die Angebote der verschiedenen Anbieter wahrnehmen. Mit Blick auf die relevanten Wettbewerber ist beispielsweise zu klären, welche Ziele und Strategien diese verfolgen, wie ihre Produktionsanlagen ausgelastet sind, welche Kosten- oder sonstigen Vor- oder Nachteile sie im Wettbewerb haben, wie ihre Profitabilitätsanforderungen sind, wie aggressiv sie vorgehen und wie stark ihre Kunden an sie gebunden sind. Mit Blick auf die eigenen Positionen, Kapazitäten und Kosten ist zu ermitteln, ob und falls ja, wie und wie stark sich das eigene Leistungsangebot von dem der Wettbewerber unterscheidet, wie weit die Produktionskapazität ausgelastet ist und wie hoch die fixen und die variablen Kosten der Leistungserstellung sind. 4.1.2 Vorgehensweise am Beispiel der Vermarktung kryogener Kältemittel Ein praktischer Ansatz wird im Folgenden am Beispiel kryogener Kältemittel zusammenfassend erläutert. Zum industriellen Schockfrosten von Lebensmitteln oder anderen Gütern können Hersteller wahlweise mechanische oder kryogene Systeme einsetzen. Bei mechanischen Systemen wird Ammoniak oder ein fluorbasiertes Kältemittel in einem geschlossenen Kreislauf umgepumpt und im Wechsel komprimiert (warme Seite) und entspannt (kalte Seite). Ein kryogenes Kältemittel wird dagegen im Prozess „verbraucht“. Im deutschen Markt agieren hier anbieterseitig zwei Wettbewerber mit einem Marktanteil von je etwa 30 % und drei Wettbewerber mit einem Marktanteil 17 von je etwa 10 %. Den Rest des Marktes teilen sich fünf kleinere regionale Anbieter. Die weiteren Rahmenbedingungen, die ein Anbieter im Rahmen einer Analyse seiner Preispolitik darstellte, sind wie folgt: Die Marktpreise sind stark uneinheitlich und intransparent. Sie unterscheiden sich in Abhängigkeit von Region, Bedarfsmenge, Lieferanten, Einkaufsverhalten und historischem Lieferantenwechselverhalten des Nachfragers. Nachdem ein Lieferant den Miettank und die Versorgungsleitungen installiert hat, sind die Wechselhürden relativ hoch. Die Geschäftsbeziehung basiert auf Drei-Jahres-Verträgen mit automatischer Verlängerung um zwei Jahre, sofern nicht spätestens ein Jahr vor Vertragsablauf durch eine Seite gekündigt wird. Die Auslastung der eigenen Produktionsanlagen liegt markttypisch zwischen 80 und 85 %. Nach der ersten Situationsanalyse legt der Anbieter fest, dass er Instrumente für die gewinnorientierte Ermittlung von Angebots- oder Zielpreisen für folgende Szenarien entwickeln möchte: 1. Potentieller Neukunde mit Neubedarf; 2. Potentieller Neukunde mit bestehendem, vom Wettbewerb bedientem Bedarf und 3. Preisanpassung bei Bestandskunden. Im ersten Falle sind die Angebotskonditionen zu ermitteln, bei welchen der Wertnutzen, berechnet als Produkt aus Wahrscheinlichkeit des Zuschlags und des Deckungsbeitrags des Geschäftes, maximiert wird. Im zweiten Fall ist die zusätzliche Hürde der Wechselkosten (z. B. durch Kunden zu tragende Tankabbaukosten, erneute Sicherheitseinweisungen, sonstige Umstellungsaufwändungen) preislich zu überwinden und zu berücksichtigen, dass erfahrungsgemäß etwa zwei Drittel der Kunden dem derzeitigen Lieferanten Gelegenheit zur Preisanpassung geben werden. Im dritten Fall sollen kundenspezifisch die Preise ermittelt werden, bei denen sich im Spannungsfeld kundenseitiger Loyalität und Kundendeckungsbeitrag ein Optimum ergibt. 4.1.3 Preisfindung bei potentiellen Kunden mit Neubedarf Als Grundlage für die Entwicklung eines Instruments zur Preisfindung bei potentiellen Kunden mit Neubedarf wurden alle Angebote der vergangenen zwei 18 Jahre, welche für Kunden mit Neubedarf abgegeben wurden, ausgewertet. Für jedes Angebot wurden das Bedarfsvolumen, die Entfernung zur nächstgelegenen Produktquelle über alle Wettbewerber, die ersten zwei Stellen der Postleitzahl, ein Schätz-Indikator für die Wettbewerbsintensität im Postleitzahlgebiet und der bekannte oder geschätzte Abschlusspreis aufgelistet. Mittels multivariater Regression wurde anschließend ein Algorithmus entwickelt, welcher bei Eingabe der unabhängigen Variablen den mittleren zu erwartenden Abschlusspreis berechnet. Mittels einer internen Expertenbefragung wurde anschließend eine Verteilung geschätzt, welche die Wahrscheinlichkeit für den Zuschlag in Abhängigkeit von der prozentualen Abweichung vom mittleren, zu erwartenden Angebotspreis reflektiert. In einem weiteren Teilalgorithmus wird der Deckungsbeitrag über die Vertragslaufzeit in Abhängigkeit von Menge, Preis und zusätzlichen Kosten je Mengeneinheit, welche wiederum von Entfernung und Abnahmemengen abhängen, berechnet. In einer Optimierungsrechnung wird dann der Erwartungswert des Deckungsbeitrags während der Vertragslaufzeit über die Variable Preis maximiert. In mathematischer Formulierung lautet der Zusammenhang folgendermaßen: mit: EWDB = Deckungsbeitragserwartungswert Wi = Erfolgswahrscheinlichkeit bei Preis Pi Pi = Preis i Kz = durchschnittliche Zusatzkosten je abgesetzter Mengeneinheit M = erwartete Absatzmenge über die Dauer der Vereinbarung Im folgenden Schritt prüft das Entscheidungsinstrument noch, ob die Profitabilität des Geschäftes im Erfolgsfall definierten Mindestanforderungen genügt. Diese Prüfung stellt sicher, dass nicht Angebote mit marginaler Profitabilität erstellt werden, die beispielsweise die mit dem Geschäft verbundenen rechtlichen und finanziellen Risiken nicht reflektieren. Um dem Bedürfnis der meisten Nachfrager nach einem, durch einen Rabatt reflektierten, Verhandlungserfolg entsprechen zu können, wird als erstes Angebot durch den Vertrieb der oben ermittelte Preis mit einem situativ bestimmten Aufschlag zwischen 3% 19 und 5% abgegeben. Parameter und Ergebnisse künftiger Angebote werden direkt in dem Tool erfasst, gespeichert und für künftige Analysen berücksichtigt. Die Anwendung dieses Entscheidungsinstruments bringt verschiedene Verbesserungen gegenüber einer einfachen Zuschlagskalkulation mit sich: • Die Preisfestlegung erfolgt auf Basis statistisch ausgewerteter Daten anstatt auf Basis subjektiver Einschätzungen oder interessengefärbter Hinweise potentieller Kunden. • Sie basiert auf objektiven Kalkülen der Maximierung des Ertragserwartungswertes anstatt auf subjektiven Chancen-/Risikenabwägungen und –präferenzen einzelner Agenten.39 • Sie stellt auf im Markt erzielbare Preise ab und benutzt Kosteninformationen lediglich als „Sicherheitsschwelle“, um Geschäfte, bei denen die erzielbaren Preise aus Kostensicht nicht ausreichend sind, zu vermeiden. 4.1.4 Preisfindung bei Wettbewerbskunden Bei potentiellen Kunden mit bestehendem Bedarf und bestehender Lieferantenbeziehung gestaltet sich die Analyse etwas komplexer. Hier sind Sequenzen aus Aktionen und Reaktionen seitens der Nachfrager und Wettbewerber mit ihren jeweiligen Wahrscheinlichkeiten zu berücksichtigen. So fordern viele Nachfrager Angebote lediglich an, um die bestehenden Preise zu überprüfen und dieselben gegebenenfalls als „Druckmittel“ gegenüber dem derzeitigen Lieferanten zu verwenden. Die Abgabe eines möglicherweise vorteilhaften Angebotes an einen Wettbewerbskunden bringt, neben der Chance, den Kunden zu gewinnen, auch Risiken und Nachteile mit sich. Liegt der Angebotspreis signifikant unterhalb des derzeitigen Preises und nutzt der Nachfrager das Angebot erfolgreich, um den derzeitigen Lieferanten zu einer Preissenkung zu bewegen, hat dies verschiedene – näherungsweise kostenmäßig zu bewertende – Nachteile für den Anbieter: 39 Vgl. auch Schmidt, 2008, S. 43 ff., Hunt/Forman, 2006, S. 386 ff. 20 • Mit den niedrigeren Beschaffungskosten hat sich die Wahrscheinlichkeit, den Nachfrager zu einem späteren Zeitpunkt und mit attraktiven Preisen als Kunden zu gewinnen, verschlechtert. • Die wettbewerbsseitige Wahrnehmung des Preisgeschehens im Markt wird beeinflusst in Richtung einer Wahrnehmung niedrigerer Marktpreise, was diesen zu aggressiverem Preisverhalten veranlassen kann. • Der betroffene Wettbewerber wird eventuell bei Kunden des Anbieters ähnlich „rücksichtslos“ auftreten. Um diesen Risiken gerecht zu werden, wurde festgelegt, dass vor Abgabe eines Angebotes an Wettbewerbskunden durch ein Team - bestehend aus dem verantwortlichen Vertriebsmitarbeiter, dem Vertriebsleiter und einem Mitarbeiter der neuen Pricing-Organisation - mithilfe eines softwaregestützten Entscheidungsbaumverfahrens (s. Abb. 1) die Optionen mit ihren Konsequenzen und deren geschätzten Wahrscheinlichkeiten zu bewerten sind. Durch Rückwärtsrechnung werden dann die Wertnutzen je Option berechnet und diejenige mit dem höchsten Wertnutzen ausgewählt. Im Beispiel in Abb. 1 werden in der ersten Ebene die Optionen für Angebotspreise, dargestellt als resultierender Return-on-Sales (ROS), abgebildet. Auf der nächsten Ebene werden die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass das Angebot „besser“ oder „nicht besser“ als die aktuellen Bezugskonditionen sind, reflektiert. Auf der dritten Ebene geht es um die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass der Nachfrager bei einem besseren Angebot dem In-Lieferanten Gelegenheit zum Nachbieten gibt oder dem Out-Lieferanten direkt den Zuschlag erteilt. Auf der vierten Ebene sind für den Fall des Nachbietens die Wahrscheinlichkeiten beschrieben, dass das Nachgebot des In-Lieferanten immer noch schlechter als die Angebotskonditionen des Out-Lieferanten ist und dieser den Zuschlag erhält beziehungsweise das Angebot des Out-Lieferanten nun nicht mehr besser ist und dieser keinen Zuschlag erhält. Das rechte Ende einer jeden Verzweigung wird mit seiner berechneten oder geschätzten Deckungsbeitragsauswirkung bewertet. Die Rückwärtsrechnung erfolgt automatisiert und der optimale Zweig wird durch Fettdruck hervorgehoben. Unterschreitet der, aus der wertnutzenoptimalen Option resultierende, Deckungsbeitrag einen unteren Schwellenwert, wird von einer Angebotsabgabe abgesehen. 21 Abb. 1: Entscheidungsbaum zur Preisfindung bei Wettbewerbskunden Quelle: Eigene Darstellung erstellt mit Insight Tree von Visionary Tools. Durch die oben dargestellte Vorgehensweise lässt sich die Preissetzung unter der Prämisse von im Wettbewerbsvergleich nicht differenzierten Produkten und Leistungen im Vergleich zur reinen Zuschlagskalkulation erheblich verbessern. Mit einer ähnlich strukturierten Vorgehensweise, auf Basis interner Daten oder Experteneinschätzungen, lassen sich auch wertnutzenoptimierte Listenpreise und Rabattschemata ermitteln. 22 4.1.5 Preisanpassung bei Bestandskunden Neben potentiellen Neukunden, differenziert nach Neubedarfs- und Wettbewerbskunden, sind preispolitisch auch die bestehenden Kunden zu betrachten. In Bezug auf diese Zielgruppe sind die folgenden Ziele, welche in Abhängigkeit der Unternehmenssituation, der Wichtigkeit und der Profitabilität der Kunden übergreifend oder kundenspezifisch unterschiedlich gewichtet sein werden, zu berücksichtigen: Verbesserung der Kundenprofitabilität, Erhöhung der Kundenbindung, Steigerung des Kundenumsatzes oder Sicherung des Status quo. Die Frage, ob es für ein Unternehmen vorteilhaft ist, hohe Loyalität für Preiserhöhungen zu nutzen oder eher geringe Loyalität damit zu „bestrafen“, kann spieltheoretisch analysiert werden.40 Im Falle des Industriegase-Herstellers entfällt die Zielsetzung der Steigerung des spezifischen Kundenumsatzes. Das Nachfragersegment benötigt in mehr als 95 % der Fälle ausschließlich das kryogene Kältemittel aus dem Portfolio des Anbieters. Das Kalkül wird im Wesentlichen bestimmt durch das Ziel des Findens und Umsetzens des wirtschaftlichen Optimums zwischen Kundenprofitabilität und –bindung. Hierbei sind die Resultate eigener Aktionen, nämlich von Preisänderungsmaßnahmen, Aktionen seitens des Kunden, wie eine Bedarfsausschreibung, sowie Aktionen des Wettbewerbs, beispielsweise Kontaktaufnahme durch einen Vertriebsmitarbeiter und Angebotserstellung, zu berücksichtigen. Der betrachtete Aktionsraum des Unternehmens besteht darin, die Preise und Konditionen zu belassen, zu erhöhen oder zu verringern. Mit Preiserhöhungen und in der Folge höheren Preisniveaus steigen zwei Risiken an. Das erste liegt darin, dass der Kunde aufgrund der Anpassung den Preis überprüft, indem er Wettbewerbsangebote einholt. Negative Konsequenzen daraus können eine Rücknahme der Preiserhöhung, eine erforderliche Preissenkung oder sogar der Verlust des Kunden sein. Das zweite Risiko ist eher mittelfristig. Es besteht darin, dass der Kunde, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt zufällig von einem Wettbewerber kontaktiert wird, die erhöhten Preise 40 Vgl. auch Krishna/Feinberg, 2007, S. 1407 ff. 23 mit höherer Wahrscheinlichkeit gegenüber Wettbewerbsangeboten als nachteilig befinden wird. Die Konsequenzen können dieselben sein wie im ersten Fall. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde als Reaktion auf eine Preiserhöhung Wettbewerbsangebote einholen wird, steigt mit seiner Preisempfindlichkeit und fällt mit seiner Loyalität zum Lieferanten. Zufriedenheit und wahrgenommene Fairness mit der Preiserhöhung können die negative Reaktion moderieren.41 Die wahrgenommene Fairness wird auch durch das Ausmaß der Preiserhöhung in Relation zur allgemeinen Preissteigerungsrate für Industriegüter beeinflusst. Die Wahrscheinlichkeit des Folgerisikos, nämlich, dass er später ein vorteilhaftes Wettbewerbsangebot erhält und in der Konsequenz dem Unternehmen als Kunde verloren geht, ist umso geringer, je größer seine Zufriedenheit42 beziehungsweise Loyalität und sonstige Wechselhürden sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass er durch Wettbewerber aktiv angesprochen wird, hängt wesentlich von seiner relativen Bedeutung als Abnehmer im Markt der betrachteten Produkte ab. Beim betrachteten Vermarkter kryogener Kältemittel bestand das aktive Preismanagement bei Bestandskunden darin, einmal jährlich eine Preiserhöhung mit einem zentral festgelegten Prozentsatz durchzuführen. Ausnahmen von der allgemeinen Preiserhöhung wurden festgelegt, so zum Beispiel Neukunden der vergangenen acht Monate, Kunden mit vertraglich vereinbarten Festpreisen und Kunden mit einer vertraglichen Preisgleitklausel. Außerdem konnten die Kundenbetreuer Kunden vollständig oder teilweise von der Preiserhöhung ausschließen lassen. Das neu gebildete Preisteam suchte nach Möglichkeiten, die je Kunde unterschiedlichen Zahlungsbereitschaften und Preisempfindlichkeiten bei der Höhe der Preisänderung zu berücksichtigen, um zumindest in systematischer Näherung auch hier den Erwartungswert des Deckungsbeitrages über Richtung und Höhe der Preisanpassung zu optimieren. Hierzu war ein Algorithmus zu ermit- 41 Vgl. auch Homburg et al., 2005a, S. 45, Heussler et al., 2009 42 Vgl. auch Homburg et al., 2005b, S. 94. 24 teln, welcher für jeden Kunden, in Abhängigkeit von geeigneten Merkmalen, für jede mögliche Preisänderungsmaßnahme sowohl deren Deckungsbeitragseffekt als auch die Höhe des Kundenverlustrisikos und des Risikos einer Preisrücknahme und deren Auswirkungen berücksichtigt. Es ging somit darum, kundenspezifisch die folgende Optimierungsaufgabe zu lösen: mit EWDB = Erwartungswert des Kunden-Deckungsbeitrags über den Betrachtungszeitraum Mi = erwartete Absatzmenge im Jahre i P = Preis KM = Kundenmerkmale DB (P)i = Deckungsbeitrag im Jahre i als Funktion des Preises RWPA (P, KM) = Schadenseintrittswahrscheinlichkeit aufgrund von Preiserhöhung als Funktion von Höhe des neuen Preises und von Kundenmerkmalen RHPA (P, KM)i = Deckungsbeitragsverlust im Schadensfall als Reaktion auf Preiserhöhung als Funktion von Höhe des neuen Preises und von Kundenmerkmalen RWPH (P, KM) = Schadenseintrittswahrscheinlichkeit aufgrund der Preishöhe im Jahre i als Funktion des neuen Preises und von Kundenmerkmalen RHPH (P, KM)i = Deckungsbeitragsverlust im Schadensfall aufgrund der Preishöhe im Jahre i als Funktion des neuen Preises und von Kundenmerkmalen Der Betrachtungszeitraum von fünf Jahren wurde aufgrund einer mittelfristigen Entscheidungsperspektive der Unternehmensleitung gewählt. Empirische Daten, welche sich für eine Regressionsanalyse hätten verwenden lassen, waren nicht verfügbar. Die Mitglieder des Preisteams beschlossen, die empirische Basis für eine multivariate Regressionsanalyse über die kommenden zwölf Monate zu entwickeln und, parallel dazu, die Variablen für die Regressionsgleichung zu erarbeiten. Die vermuteten Zusammenhänge zwischen den identifizierten Risiken und Konstrukten, welche diese beeinflussen, sind in Tab. 2 dargestellt, wobei „++“ eine geschätzte starke positive Korrelation bezeichnet, „+“ eine positive Korrelation, „0“ keine Korrelation, „-“ eine negative und „--“ eine stark negative Korrelation. 25 ! "#$%&'%!(#)#&%*! ! ./*,%!&-*'0&'#%$'! 1%''2%3%$2! ./*,%*4%$5/)'!2%#! 1%''2%3%$2! &-*'0&'#%$'!./*,%! 1%''2%3%$2)&-*'0&'! .-*)'$/&'%! ! 6-705#'8'! 9! :! 9! ;$%#)%<=>#*,5#?@&%#'! 9! :! AA! B0$&'2%,%/'/*C! :! AA! A! (%50'#4%!;$%#)@D@%! A! :! A! !! ! +*,#$%&'%)!(#)#&-! ;$%#)%$@D@/*C! A! :! A! Tab. 2: Relationen zwischen Risiken sowie Konstrukten und Preiserhöhung Quelle: eigene Darstellung Für die Konstrukte wurden operationale, verfügbare oder einfach zu erhebende Indikatoren gemäß Tab. 3 festgelegt. In der ersten Annäherung wurden in Fällen, in denen mehrere Indikatoren ein Konstrukt definieren, die Indikatoren gleich stark gewichtet. Konstrukt Loyalität Indikator Informationsquelle Dauer der Geschäftsbeziehung in Jahren ERP-System (Customer Master Data) Ausprägungswert zwischen 1 und 5 der Antwort auf die Aussage „Unsere technische und kommerzielle Betreuung ist ...“ mit „0 = Ungenügend; ... ;5 = Hervorragend“. Kundenzufriedenheitsbefragung Ausprägungswert zwischen 1 und 5 der Antwort auf die Aussage „Wir würden das Unternehmen weiterempfehlen“ mit „0 = auf keinen Fall; ... ; 5 = ohne Bedenken“. Kundenzufriedenheitsbefragung Rang des Themas „Preise und Konditionen“ bei der Aufgabe fünf Themen nach Relevanz zu ordnen hinsichtlich der Aussage „Wenn der Kunde mich kontaktiert geht es um ...“. Einschätzung der Kundenbetreuer Ausprägungswert zwischen 1 und 5 der Antwort auf die Aussage „Bei Preisgesprächen mit dem Kunden gelingt es mir meine Ziele im Wesentlichen durchzusetzen.“ mit „0 = stimmt; ... ; 5 = stimmt nicht“. Einschätzung der Kundenbetreuer Marktbedeutung Quotient aus eigenem Jahresumsatz und geschätztem Umsatzanteil am Kundengesamtumsatzpotential. Business Warehouse, Befragung der Kundenbetreuer Relative Preishöhe Quotient aus Durchschnittspreis je Einheit und aus mittels Regressionsanalyse abgeleitetem absatzmengentypischem Preis. Business Warehouse, MS Excel-Tool Preisempfindlichkeit Tab. 3: Konstrukte, Indikatoren und Informationsquellen Quelle: eigene Darstellung. Im nächsten Schritt wurde aus dem Business Warehouse eine Datenbank mit allen Kunden kryogener Kältemittel exportiert, inklusive ihrer aktuellen Preisdaten, dem letzten Preisänderungsdatum, ihrem Jahresumsatz und ihres Return- 26 on-sales. Nach Eliminierung von Ausreißern wurde über alle Datensätze eine Regressionsgleichung ermittelt, welche die Abhängigkeit des Preises von der jährlichen Abnahmemenge reflektiert. Für jeden Kundendatensatz wurde dann durch Eingabe der jeweiligen Abnahmemenge in die Regressionsgleichung der „statistische“ Preis berechnet und dem Datensatz beigefügt. In einem weiteren Feld wird der Quotient aus aktuellem Preis und statistischem Preis als Indikator für die relative Preishöhe berechnet. Die sonstigen Indikatoren gemäß Tab. 3 wurden aus den jeweiligen Datenbeständen beziehungsweise aus den Befragungen der Kundenbetreuer ergänzt. Bei der nächsten anstehenden allgemeinen Preisanpassung wurde eine größere Spreizung der prozentualen Anpassungswerte realisiert, um ausreichend statistisch verwendbare Daten zu erhalten. Zusätzlich wurde in den sechs Monaten nach Durchführung der Preisanpassung detailliert erfasst, welche Kunden gekündigt hatten. Über den gesamten, von der Maßnahme betroffenen Kundenbestand wurden im sechsten Monat nach der Anpassung die dann im ERP-System hinterlegten Preise in die Datenbank des Preisteams übertragen. Die Datensätze der Kunden, welche endgültig gekündigt hatten, wurden markiert, ebenso wie die Datensätze der Kunden, bei denen der Quotient aus aktuellem Preis und dem Preis vor der Anpassung kleiner oder gleich Eins war. Auf Basis dieses Datenmaterials konnte anschließend, mittels multivariater Regressionsanalyse, differenziert die prozentuale Veränderung der Deckungsbeiträge in Folge einer Preisanpassung, in Abhängigkeit von den kundenspezifischen Merkmalen und dem Ausmaß der Anpassung, dargestellt werden. Dadurch sind für künftige Preisanpassungen die Preiserhöhungsrisikofaktoren für die obige Optimierungsgleichung verfügbar. Zur Ermittlung des mittelfristigen, mit der Preishöhe verbundenen Risikos war es erforderlich, über einen längeren Zeitraum weitere Datenpunkte über preishöhenbedingte Kundenverluste und Preisrücknahmen für eine Regressionsanalyse zu sammeln. Vorläufig wurden für die Optimierungsrechnung - durch eine Befragung interner Experten ermittelte - geschätzte statistische Zusammenhänge zwischen der Marktbedeutung eines Kunden und der Wahrscheinlichkeit eines Wettbewerbskontaktes sowie dem Verhältnis zwischen dem Quotienten 27 aus aktuellem und statistischem Preis und dem erwarteten Schaden, in Prozent des Jahres-Deckungsbeitrags, verwendet. Durch den so ermittelten Optimierungsalgorithmus kann das Unternehmen bei künftigen Preisanpassungen zunehmend datengestützt und rational operieren, wobei die Datenbasis roulierend aktualisiert wird. Im vorliegenden Fall ergab die Überprüfung der statistischen Qualität der Regressionsgleichung deren Verwendbarkeit für den intendierten Zweck. In Fällen, bei welchen diese Qualität nicht gegeben ist, können multinominale Logit-Modelle43 eine Alternative darstellen. 4.1.6 Wertbasierte Preisfindung Im dritten Kapitel wurde eine Rationalisierung der Preisfindung unter Berücksichtigung der Faktoren eigenes Unternehmen, Kunde und Wettbewerb beschrieben. Implizit wurde dabei von einem aus Kundensicht nicht differenzierten Leistungsangebot im Vergleich zu Wettbewerb und alternativen Leistungen ausgegangen. Kann das eigene Angebot gegenüber dem Angebot der Wettbewerber jedoch positiv differenziert werden, ergeben sich weitere preispolitische Spielräume. Bei Hilfs- und Betriebsstoffen ist dies aufgrund der oben bereits dargestellten Eigenschaften weniger offensichtlich als bei anderen Produktkategorien. Dennoch ergeben sich bei sorgfältiger Analyse häufig profitable Differenzierungsmöglichkeiten.44 Eventuell sind bereits Lösungskompetenzen vorhanden oder einfach entwickelbar, welche zur Wertschaffung und darauf folgend preispolitisch genutzt werden können.45 Beispiele und Stichworte für solche aufzudeckenden oder zu entwickelnden und in jedem Fall monetär zu bewertenden Differenzierungen im Bereich der industriellen Hilfs- und Betriebsstoffe sind: Unternehmensimage, Zertifizierungen, Produktimage, Anwendungskompetenz, Produktqualität, Produktsi- 43 Vgl. auch Urban, 1993, S. 108 ff. 44 Vgl. Hinterhuber, 2003, S. 773. 45 Vgl. Bonnemeier, 2009, S. 84 ff. 28 cherheit, Analyse- und Konformitätszertifikate, Rückverfolgbarkeit, Lieferzeiten, Internet-Informationsportal, Hotline, Recycling, Öffnungszeiten der Bestellannahme, Bestellautomatisierung, Einfachheit der Verwendung, Wirtschaftlichkeit der Verwendung, Umweltfreundlichkeit, Zusatzfunktionen der Transport- oder Lagerverpackung oder die Bereitstellung von Lagerhilfsmitteln. Zu ermitteln ist, bei welchen Merkmalen sich das eigene Leistungsangebot von dem der Wettbewerber unterscheidet und welche Merkmale für den Abnehmer wichtig sind. Ein geeignetes Werkzeug dazu ist die StärkenSchwächen-Analyse.46 Um die Unterschiede in den Ausprägungen der relevanten Merkmale monetär zu bewerten und preispolitisch nutzbar zu machen, bieten sich zwei Vorgehensweisen an. Bei Merkmalen, welche sich beobachtbar und monetär bewertbar auf Kundenprozesse oder –produkte auswirken, können Verfahren der Datenerhebung und Kostenvergleichsrechnung Anwendung finden.47 Bei Merkmalen, welche sich einer solchen Wirtschaftlichkeitsanalyse entziehen, sogenannten „soft benefits“, lässt sich die Conjoint-Analyse einsetzen, um über simulierte Trade-off-Entscheidungen zu einer monetären Bewertung zu gelangen. Nagle und Hogan definieren den wirtschaftlichen Gesamtwert als den „Preis der besten Alternative für den Kunden (der Referenzpreis) plus dem wirtschaftlichen Wert der Unterscheidung des Angebots von den Alternativen (der Differenzierungswert)“48 und geben anschauliche Beispiele über die Vorgehensweise zu seiner Ermittlung. Der ermittelte Differenzierungswert kann anschließend den wertnutzenoptimierten Preisen, deren Herleitung bereits erläutert wurde, zugeschlagen werden. Bei der Um- und Durchsetzung ist darauf zu achten, dass er dem Abnehmer nachvollziehbar vermittelt wird.49 46 Vgl. Pepels, 2006, S. 187 f. 47 Vgl. Diller, 2008, S. 322 ff., Nagle/Hogan, 2007, S. 61 ff., Simon/Fassnacht, 2009, S. 447 f., Hinterhuber, 2003, S. 769 f. 48 Nagle/Hogan, 2007, S. 58. 49 Vgl. Nagle/Hogan, 2007, S. 133 ff. 29 4.2 Kundensegmentierung und Preisdifferenzierung am Beispiel der Vermarktung von Lebensmittelzusatzstoffen 4.2.1 Grundlagen der Segmentierung und Preisdifferenzierung Im Rahmen der Wahrnehmung der Marketingaufgaben kann es unterschiedliche Gründe geben, den gewählten Markt in Segmente aufzuteilen. Sie lassen sich schlüssig mit den vier Elementen des Marketing-Mix in Verbindung bringen. So kann die Segmentierung primär durchgeführt werden, um die Kunden differenzierter anzusprechen (Kommunikationspolitik), um ihnen differenzierte Leistungsangebote zu machen (Produktpolitik), um sie differenziert zu akquirieren und zu bedienen (Distributionspolitik) und um ihnen nach Zahlungsfähigkeit, Zahlungsbereitschaft, Wert/Nutzen oder verursachten Kosten differenzierte Preise zu berechnen (Preispolitik).50 Eine Segmentierung zur Preisdifferenzierung kann verschiedene Ziele verfolgen, wie beispielsweise: a) eine bessere Abschöpfung der je Nachfragersegment unterschiedlichen Zahlungsbereitschaften im Vergleich zu einem Einheitspreis, b) eine Absatzsteigerung, da auch Segmente bedient werden, welche bei einem mittleren Einheitspreis nicht kaufen würden, c) eine Beeinflussung des Kundenverhaltens im Sinne der Vermeidung der Inanspruchnahme von kostenverursachender Leistungen, welchen kein deutlicher Wert beigemessen wird.51 In der Literatur werden nach Pigou drei Grade der Preisdifferenzierung unterschieden.52 Bei der Preisdifferenzierung ersten Grades wird mit jedem Kunden individuell ein Preis vereinbart. Bei der Preisdifferenzierung zweiten Grades werden unterschiedliche Preis-Leistungsbündel angeboten und der Kunde wählt das von ihm präferierte aus.53 Bei der Preisdifferenzierung dritten 50 Vgl. auch Kesting/Rennhak, 2008, S. 12 ff. 51 Vgl. auch Roth, 2006, S. 38. 52 Vgl. Pigou 1962, S. 279 zitiert nach Diller 2008, S. 228. 53 Vgl. auch Ng, 2006, S. 2 ff. 30 Grades wird dieselbe Leistung durch personelle, räumliche oder zeitliche Differenzierung zu unterschiedlichen Preisen angeboten.54 Neben den möglichen positiven Auswirkungen einer Preisdifferenzierung sind damit einhergehende Kosten und Risiken zu beachten. Mit der Ermittlung sinnvoller Segmente, der Zuordnung der Kunden zu den Segmenten und der Durchführung der Preisdifferenzierung sind personeller Aufwand und sonstige Kosten in oft beträchtlicher Höhe verbunden.55 Eine Übersegmentierung kann zu zusätzlicher organisatorischer Komplexität führen. Ein mit der Preisdifferenzierung verbundenes Risiko liegt in einer unterschätzten Preistransparenz zwischen den Abnehmersegmenten mit der möglichen Folge, dass die Abnehmer in den preislich höher gelegenen Segmenten verärgert werden und zum Wettbewerb wechseln oder ebenfalls auf die Gewährung der niedrigeren Preise drängen. In der Folge kann dies dazu führen, dass sich die Preise in Richtung des unteren Marktniveaus bewegen. Es ist somit wichtig, dass eine Preisdifferenzierung für die Abnehmer nachvollziehbar ist und mit einer, zumindest subjektiv wahrgenommenen, Leistungsdifferenzierung einhergeht. Bei Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung ist auf mögliche Konflikte mit Artikel 82 EG-Vertrag und §§19, 20 Abs. 4 GWB zu achten.56 Danach ist die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung verboten. Dieser Sachverhalt kann unter bestimmten Umständen durch eine Preisdiskriminierung erfüllt sein. In der Praxis am weitesten verbreitet ist die preispolitisch intendierte Segmentierung und Preisdifferenzierung nach Bedarfsvolumen beziehungsweise Umsatzpotential der Nachfrager. Dies reflektiert einerseits die Verhandlungsmacht größerer Nachfrager sowie deren oft professionelleres Beschaffungsmanagement, aber auch die je Leistungseinheit auf der Anbieterseite anfallenden geringeren Kosten, z. B. für die Kundenbetreuung und die Distribution. Eine weitere wichtige Unterscheidung ist die nach regionalen oder Ländermärkten. Er- 54 Vgl. Diller 2008, S. 228 f. 55 Vgl. Simon/Fassnacht, 2009, S. 284 f. 56 Vgl. auch Simon/Fassnacht, 2009, S. 19 ff. 31 weiterte Möglichkeiten ergeben sich durch eine Segmentierung oder Mikrosegmentierung auf Grundlage des Kaufverhaltens der gewerblichen oder industriellen Kunden.57 Die damit verbundenen preispolitischen Möglichkeiten werden im Folgenden am Beispiel eines Lieferanten für Lebensmittelzusatzstoffe erläutert. 4.2.2 Vorgehensweise am Beispiel eines Lebensmittelzusatzstofflieferanten Hier geht es um einen mittelständischen Hersteller von Aromen und Geschmacksstoffen. Die Kunden des Unternehmens sind überwiegend mittlere bis große Betriebe der Branchen Fleischwaren und Fertiggerichte. Das Unternehmen konkurriert in diesem Markt mit fünf nationalen und drei internationalen Wettbewerbern. Etwa ein Viertel des Umsatzes wird mit profitablen Spezialprodukten oder Innovationen realisiert. Die restlichen drei Viertel werden mit standardisierten und teilweise genormten Produkten gemacht. Bei diesen Produkten wurde über die vergangenen zehn Jahre ein erheblicher Preisverfall verzeichnet, der in seinen Gewinnauswirkungen auch durch Kostensenkungsmaßnahmen nicht kompensiert werden konnte. Es wurde daraufhin ein internes Pricing-Team gebildet, welches zur Aufgabe hatte, mittels Preis-Service-Differenzierungen die Umsatzrentabilität um mindestens drei Prozentpunkte zu verbessern. Im ersten Schritt führte das Team mit externer Unterstützung Interviews mit einer Stichprobe von fünfzehn repräsentativen Kunden durch, um zu erfahren, welche Leistungsaspekte als besonders wichtig beurteilt und in welchem Ausmaß die Erwartungen erfüllt werden. Der Controlling-Leiter wurde beauftragt, über eine Activity-BasedCosting-Analyse zu ermitteln, welche kundenbezogenen Aktivitäten in welchem Ausmaße kostentreibend wirken. Zusätzlich wurde die interne Reklamationsdatenbank auf weitere Anhaltspunkte untersucht. Aus der Kundenbefragung wurde eine Liste von über zwanzig relevanten Leistungsmerkmalen erstellt. Diese beinhaltete Aspekte wie flexible, kurzfristige Belieferung bei un- 57 Vgl. Rangan et al., 1992, S. 72 ff. 32 geplantem Bedarf, Konformitätszertifikate, Analysezertifikate je Charge, besonders sichere, hygienische Verpackung, Anwendungsberatung, Erreichbarkeit von Entscheidungsträgern, Unterstützung bei Deklarations- und Qualitätsmanagementfragen und langfristig planbare Preise. Aus der Analyse der Reklamationsdatenbank resultierte die Erkenntnis, dass einige Kunden mit dem optischen und hygienischen Zustand der Edelstahlbehälter, in denen verschiedene Produkte angeliefert werden, nicht zufrieden waren. Außerdem entstanden häufig Differenzen zwischen der Bestandsführung der Container auf Unternehmens- und Kundenseite. Für fehlende Behälter wurden den Kunden 650 ! pro Stück berechnet, bei Selbstkosten von 240 !. Diese Berechnungen führten häufig zu Disputen, da die Kunden die Bestandsführung anzweifelten. Die Analyse der Kostentreiber ergab folgende Erkenntnisse: Viele mittelständische Kunden planen und organisieren ihre Beschaffung eher kurzfristig. Im Ergebnis lösen sie häufig sehr kurzfristige Bestellungen aus, welche innerhalb von wenigen Tagen auszuliefern sind. Dies führt zu aufwändigen Änderungen der eigenen Produktionsplanung und zur ineffizienten Herstellung von Kleinstchargen oder alternativ zu erhöhten Kosten für die Lagerung und eventuelle Verschrottung von Vorratsproduktionsmengen. Die damit verbundenen Mehraufwendungen wurden den Kunden bislang nicht berechnet beziehungsweise bei der Preiskalkulation nicht berücksichtigt. Die Analyse der Logistikkosten führte zu der Erkenntnis, dass etwa ein Drittel der Kunden eine Anlieferung lediglich während ihrer einschichtigen Betriebszeit, beispielsweise zwischen 7 Uhr und 16 Uhr, ermöglicht, ein zweites Drittel während der zweischichtigen Betriebszeit und das letzte Drittel ganztägig. Aufgrund der Verkehrsverhältnisse kann ein LKW während einer Sieben-Stunden-Schicht tagsüber im Durchschnitt nur drei Kunden anfahren, während er nachts im gleichen Zeitraum sieben Kunden erreicht. Es konnte annäherungsweise davon ausgegangen werden, dass die Transportkosten, welche im Mittel 14 % der gesamten variablen Kosten verursachen, bei Kunden mit einem 24-Stunden-Anlieferungszeitfenster nur etwa halb so hoch sind wie bei Kunden mit einem Anlieferungszeitfenster zwischen 7 Uhr und 16 Uhr. Eine Preisdiskriminierung der Kunden nach Anlieferungszeitfenster fand insoweit nicht statt. Mit einigen Kunden waren, als Reaktion auf Anlieferungsprobleme, kreative Lösungen vereinbart 33 worden sind, wie z. B. das Zurverfügungstellen eines Schlüssels zum Werksgelände oder die nächtliche Anlieferung beim Nachbarbetrieb. Auf Basis der erhobenen Informationen wurden Attribute und deren Ausprägungen zur Durchführung einer Conjoint-Analyse mit einer größeren Stichprobe an eigenen und Wettbewerbskunden festgelegt (s. Abb. 2). Hinsichtlich des Merkmals Anlieferungszeitfenster wurde festgelegt, dass Kunden mit flexibleren zeitlichen Belieferungsmöglichkeiten ein reduzierter Anlieferungskostenzuschlag berechnet werden soll. Ein weiteres Attribut waren unterschiedlich hohe Aufschläge auf den Produktbasispreis. Dieser Aufschlag wurde im Sinne eines Preisbaukastens in unterschiedliche Ausprägungen von monatlicher Servicegebühr, Anlieferungspauschale und prozentualem Aufschlag auf den Grundpreis variiert. Dadurch konnten Informationen gewonnen werden, inwieweit die Bereitschaft, für höhere Leistungsniveaus zu bezahlen, von der Gestaltung der Preiskomponenten abhängt. Abb. 2: Attribute und Ausprägungen für eine Conjoint-Analyse Quelle: eigene Darstellung 34 Die Conjoint-Befragung führte zur Bestimmung von drei relevanten Kundensegmenten: einem äußerst preisbewussten Segment, welches bereit ist, sich für einen sehr günstigen Preis mit wenig Service und Flexibilität zu begnügen, einem zweiten Segment, welches weit überdurchschnittliche Anforderungen an die Sicherheit und Dokumentation der Produkteigenschaften und –konformität stellt, und einem dritten Segment, welches hohe Anforderungen an Flexibilität und persönliche Betreuung stellt. Durch das Simulieren verschiedener Leistungsangebotskonstellationen auf Basis der in der Conjoint-Analyse festgestellten Teilwerte oder Utilities wurde abgeschätzt, dass sich bei segmentspezifischer Preisgestaltung sowohl Marktanteil im preisbewussten Segment zugewinnen als auch eine deutliche Margenverbesserungen in den beiden anderen Segmenten realisieren ließen. Auf Basis der Ergebnisdaten wurde ein Preiskalkulationsinstrument entwickelt, welches für alle verfügbaren Produkte, nach Eingabe von Bedarfsmengen und individuellen Kundenpräferenzen ein auf den Kunden abgestimmtes Leistungspaket zusammen mit der optimierten Ausprägung der verschiedenen Preiskomponenten vorschlägt. Bei späterer Inanspruchnahme von Leistungen außerhalb des vereinbarten Leistungsniveaus, z. B. bei Lieferung einer Bestellung innerhalb von 24 Stunden im Rahmen einer 78-Stunden-Vereinbarung werden vergleichsweise hohe Sonderzuschläge fällig. Für die Umsetzung bei bestehenden Kunden wurde folgende Vorgehensweise festgelegt: Die Vertriebsmitarbeiter führen mit den einzelnen Kunden strukturierte Gespräche, auf deren Basis sie mit Hilfe des Kalkulationsinstrumentes das Ziel-Leistungsbündel und die Zielpreise ermitteln. Auf die Zielpreise wird wiederum eine erfahrungsorientierte Verhandlungsmarge aufgeschlagen. Anschließend wird das neue Preissystem vorgeschlagen. Preise unterhalb der ermittelten Zielpreise sind in der Folge ausschließlich bei adäquaten Reduzierungen des Leistungsniveaus und Neuberechnung zu gewähren. Ist so keine Einigung zu erzielen, wird die Entscheidung auf die nächsthöhere Vertriebsstufe eskaliert. Dies soll die Vertriebsmitarbeiter anhalten wertorientiert zu argumentieren. Zur Vorbereitung der Umsetzung werden die Vertriebsmitarbeiter in 35 einem speziellen Workshop von der Wichtigkeit, Richtigkeit und Fairness des neuen Systems überzeugt und gezielt auf die Präsentations- und Verhandlungssituation vorbereitet. Alternativ wäre es möglich, den Kunden die Wahl des Leistungsumfangs zu überlassen. Es wurde jedoch im betrachteten Fall davon ausgegangen, dass mit der beschriebenen Vorgehensweise im Mittel höherpreisige Leistungsbündel zu höheren Preisen vereinbart werden können. 4.3 Optimierte Preisdurchsetzung am Beispiel eines neuen Schweißschutzgases 4.3.1 Grundlagen der Preisdurchsetzung Sind die gewinn- beziehungsweise wertnutzenmaximalen Preise ermittelt, gilt es, diese im Markt, beim Kunden, durchzusetzen. Bei industriellen Hilfs- und Betriebsstoffen findet die letztendliche Preisdurchsetzung zumeist durch Aushandlungsprozesse zwischen Kunden und Vertriebsinnendienst oder Außendienst statt, wobei diese Agenten des Unternehmens über mehr oder weniger Preisentscheidungskompetenz verfügen können. Die effektive und effiziente Umsetzung der Zielpreise durch die Agenten des Unternehmens setzt voraus, dass diese dies wollen, also dazu motiviert sind und sie es können, also dazu qualifiziert sind.58 Gemäß Hansen et al. kann eine Dezentralisierung der Preiskompetenz auch ineffizient sein, wenn der Aufwand zur Durchsetzung eines höheren Preises, aus Sicht des Vertriebsmitarbeiters, für diesen selbst nicht lohnend ist.59 Als weiteres Kriterium lässt sich ergänzen, dass die Agenten über die erforderlichen Werkzeuge verfügen sollten. Hinsichtlich des Wollens ist daraufhin zu wirken, dass die Agenten die Richtigkeit und Wichtigkeit der Preisziele und –maßnahmen verstehen und einsehen und, sofern im Vertrieb monetäre Anreizsysteme eingesetzt werden, dass diese deckungsbeitrags- und 58 Vgl. ähnlich Simon/Fassnacht, 2009, S. 370 ff. 59 Vgl. Hansen et al., 2008, S. 103 f. 36 nicht umsatzorientiert sind.60 Eine reine Umsatzorientierung des Anreizsystems ist aus Sicht der Preisdurchsetzung kontraproduktiv. Im Sinne des Könnens sind Fachkenntnisse in wertorientierter Preisfindung und der Anwendung des unternehmensspezifischen Preis-Entscheidungsinstruments erforderlich, ebenso wie Kommunikations- und Verhandlungskompetenz. Im folgenden Beispiel wird insbesondere auf die Instrumente eingegangen, welche die Preis- und Wertvermittlung und damit die Preisdurchsetzung unterstützen. 4.3.2 Vorgehensweise am Beispiel von Schweißschutzgasen In diesem Beispiel geht es um wiederum um einen Industriegase-Hersteller. Dessen Unternehmenssparte „Flaschengase“ produziert und vertreibt ein umfangreiches Programm an Industriegasen für unterschiedlichste Zwecke. Die Gase oder Gasmischungen werden komprimiert in Stahlflaschen mit einem Fassungsvermögen zwischen fünf und fünfzig Litern sowie in Flaschenbündeln direkt oder über Lieferstellenpartner vermarktet. Mehr als die Hälfte des Umsatzes wird mit Gasen für die Metallverarbeitung, im Wesentlichen zum Schweißen und Schneiden, realisiert. Das branchenübliche Geschäftsmodell besteht darin, dass den Kunden pro bezogener Flasche der Produktpreis berechnet wird, dazu eine Tagesmiete je Flasche im Bestand und verschiedene Zuschläge, wie eine Anlieferungspauschale oder Energiekostenzuschlag. Auf Grundlage von Kundenbefragungen, Fokusgruppen61 und mit Hilfe von Innovations-Workshops wurde ein neues Programm an Schweißschutzgasen für das MIG-/MAG-Schweißen entwickelt. Gegenüber den traditionellen Produkten wurden die Gasmischungen und die Mischungsverhältnisse in Zusammenarbeit mit einem Forschungsinstitut für die verschiedenen Anwendungsbereiche optimiert. Ebenso wurde für das neue Produktprogramm eine neue Gasflasche entwickelt. Durch eine höhere Komprimierungsstufe entsprach der Inhalt der neuen 30-Liter-Flasche annähernd dem der traditionellen 50-Liter-Flasche. Außerdem wurde der umständlich 60 Vgl. auch Schuppar, 2005, S. 54. 61 Vgl. auch Töpfer/Silbermann, 2008, S. 287 ff. 37 anzuschließende Druckminderer in den Flaschenkopf integriert, so dass das Schweißgerät, ohne Werkzeugeinsatz, durch eine Schnellkupplung mit der Gasflasche verbunden werden konnte. Für die verbesserten Gasprodukte wurde eine Produktfamilienmarke entwickelt und für die innovative Gasflasche eine neue Einzelmarke. Primäres Ziel der Innovation war die Vergrößerung des Marktanteils im europäischen Markt. Sekundäres Ziel war die Verbesserung der Marge in der Produktkategorie durch Verkaufspreise, welche die Mehrkosten des innovativen Angebotes deutlich überkompensieren. Eine Analyse nach dem Prinzip der Economic Value Estimation !62 ergab, dass die Innovationen für die weitaus meisten Kunden in wirtschaftlichen Vorteilen resultieren, welche die angestrebten Preise realistisch machen. Durch Feldversuche wurde festgestellt, dass sich ein optimales Verhältnis zwischen Abschlussquote, Preishöhe und Ressourceneinsatz bei zweistufiger Vorgehensweise erreichen läßt. In der ersten Stufe sind die schweißtechnischen Vorteile der neuen Gasmischungen durch qualifizierte Schweißvorführer zu demonstrieren. In der zweiten Stufe sind, gemeinsam mit dem Kunden, sowohl die wirtschaftlichen Konsequenzen der schweißtechnischen Vorteile als auch des verbesserten Gasbehälters zu berechnen, um nicht nur den Kunden zu gewinnen, sondern auch den höheren Preis durchzusetzen. Für die Produkteinführung wurde auf Basis von Microsoft Excel ein anwenderfreundlicher, europaweit verwendbarer „Welding Cost Benefit Calculator (WCBC)“ entwickelt. Nach der Schweißdemonstration werden gemeinsam mit dem Kunden die ermittelten spezifischen Werte für das herkömmliche und das neue Produkt eingegeben. Wesentliche Faktoren hierbei sind (s. Abb. 3): 62 Vgl. Nagle/Hogan, 2007, S. 61 ff. 38 Abb. 3: Eingabeparameter des Welding Cost Benefit Calculator Quelle: eigene Darstellung. Einige der Kriterien und Parameter sind beim Kunden nicht direkt zu messen. Um diese Werte zu erhalten, werden Indikatoren verwendet, welche durch den WCBC abgefragt werden. Die Schweißvorführer und Vertriebsmitarbeiter sind mit Informationsmaterial über unabhängige Untersuchungen ausgestattet, welche jeweils den Zusammenhang zwischen Wert und Indikator(en) bestätigten. Bei den „weichen“ Vorteilen im Teil „Sicherheit und Gesundheit“ wird es den Kunden überlassen, ob sie den Vorteilen einen monetären Wert zuordnen wollen und wenn ja, in welcher Höhe. Nach Eingabe aller Werte generiert der WCBC eine Ergebnisdatei, in welcher für die beiden Produktoptionen die ermittelten Kosten je laufendem Meter Schweißnaht als auch je Monat gegenübergestellt werden. Zusätzlich werden die wesentlichen Faktoren zusammengefasst und in einem Balkendiagramm visualisiert, welches für beide Varianten die Hauptkostenkomponenten und die Gesamtkosten darstellt. Diese Datei wird dem Kunden dann zur Verfügung gestellt und ist insbesondere vorteilhaft, wenn der Gesprächspartner sich von einer höheren Instanz eine Genehmigung zum Lieferanten- und Produktwechsel einholen muss. Durch die Vorgehensweise werden verschiedene positive Wirkungen erzielt, die letztlich zu einer sehr hohen Erfolgsquote und attraktiven Niveaus bei allen 39 Preiselementen führen: Da durch die Schweißvorführungen nicht nur die Einkäufer, sondern auch die Anwender und deren Vorgesetzte in die Entscheidung involviert werden, wird diese stärker nutzen- und weniger preisorientiert getroffen, als es sonst der Fall wäre. Die Vorführungen sind zudem geeignet, dem künftigen Kunden Kompetenz zu demonstrieren und Vertrauen aufzubauen. Diese stellen wichtige Voraussetzungen für eine intensive Kundenbindung dar. Da die Vorführungen direkt im Kundenprozess stattfinden, kann das Unternehmen wertvolle Einsichten in die Abläufe und Probleme der Kunden erlangen. Durch die gemeinsame Verwendung des WCBC erhält das Unternehmen weitere relevante technische und wirtschaftliche Informationen über seine Kunden. 4.3.3 Voraussetzungen und Beschränkungen Voraussetzung für die Durchsetzung von im Wettbewerbsvergleich höheren Preisen über einen Wirtschaftlichkeitsvergleich ist ein positiver, beobacht- und quantifizierbarer, nachhaltiger Differenzierungswert.63 Ein Schwachpunkt der Vorgehensweise ist die Ermittlung der Kosten für die beste Alternative des Kunden. In der Regel wird diese Alternative das derzeitig bezogene Produkt zu den aktuell gültigen Konditionen sein. Offensichtlich hat der Kunde hier tendenziell ein Interesse, eher geringere Bezugskonditionen anzugeben. 4.4 Kopplungsverkäufe am Beispiel der Vermarktung von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln 4.4.1 Grundlagen von Kopplungsverkäufen Im Konsumgüterbereich sind Preis- und Geschäftsmodelle auf Basis von Kopplungsverkäufen, in Englisch „tie-in sales“, verbreitet. Die Vermarktung von Gebrauchsgütern, deren Verwendung einen laufenden Bedarf an einem Verbrauchsgut erzeugt, wird erfolgreich praktiziert bei PC-Druckern und Tin- 63 Vgl. Diller, 2007, S. 61 ff. 40 tenpatronen, Nassrasierern und Klingen, Elektrorasierern und Reinigungsmittelkartuschen, Kaffeemaschinen und Kaffeekapseln, Sofortbildkameras und Film, Wasseraufsprudelgeräten und Kohlensäurekartuschen oder Campingkochern und proprietären Propankartuschen.64 Voraussetzung für ein effektives „tie-in“ ist, dass die Kunden entweder vertraglich, technisch oder durch Schutzrechte exklusiv an das Unternehmen als Lieferanten für das Verbrauchsgut gebunden sind. Im letzten Fall entsteht die Bindung durch die Gewährung von nichtexklusiven, beschränkten Nutzungsrechten oder Lizenzen an geschütztem geistigen Eigentum. Hierbei ist es für einen Hersteller von industriellen Verbrauchsgütern nicht erforderlich, auch der Lieferant des komplementären Gebrauchsgutes zu sein. Wenn er ein neues oder verbessertes, patentierbares Verfahren für den Betrieb des Gebrauchsgutes entwickelt oder Rechte an einem solchen erwirbt, kann er Betreibern beispielsweise die Gewährung eines Nutzungsrechtes am geistigen Eigentum und die Belieferung mit dem Verbrauchsgut zu einem Bündelpreis anbieten. Auch hier sind die einschlägigen Gesetze gegen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu beachten und es empfiehlt sich, ein beabsichtigtes Preiskonzept vor Implementierung aus wettbewerbsrechtlicher Sicht überprüfen zu lassen. Ein weiteres Kriterium ist die Nachhaltigkeit des Preis- oder Geschäftsmodells. Ist es für den Kunden möglich, die Bindung außer Kraft zu setzen oder ist es für Drittanbieter möglich, vertragliche, technische oder lizenzrechtliche Hürden zu umgehen, ist die Nachhaltigkeit zumindest fraglich. Zu überlegen ist auch, inwieweit der Anbieter den durch die Bindung entstehenden Preisspielraum ausnutzen will. Je höher die gesetzten Preise von den sonst üblichen Marktpreisen nachvollziehbar abweichen, umso größer wird die Motivation für Abnehmer oder Drittanbieter sein, nach Alternativen zu suchen beziehungsweise diese zu entwickeln und anzubieten und das Preis- und Geschäftsmodell wirkungslos zu machen. Ein Beispiel hierfür sind die zahlreichen stationären oder internet-basierten Druckerpatronen-Nachfüllangebote. Versucht ein An- 64 Vgl. Simon/Fassnacht, 2009, S. 305 41 bieter das „Tie-in“ preispolitisch soweit auszunutzen, dass die Abnehmer das Angebot als unfair oder die Geschäftsbeziehung als stark asymmetrisch wahrnehmen, werden sie möglicherweise, selbst unter Inkaufnahme höherer Kosten, auf Alternativen zugreifen. Im Zusammenhang mit dem Preis- und Geschäftsmodell stellt sich auch die Frage nach dem optimalen Preismaßstab.65 So kann ein Lieferant von Kaffeevollautomaten seinen Kunden anbieten, anstatt der Menge bezogenen Kaffees, die Anzahl der gezogenen Tassen als Preismaßstab anzuwenden. Für den Lieferanten bedeutet dies, dass sich das Angebot damit der einfachen und direkten Vergleichbarkeit mit Wettbewerbsangeboten für Kaffeebohnen entzieht, während der Abnehmer eine bessere Kalkulationsgrundlage für seine Verkaufspreise erhält und das Minderauslastungsrisiko teilweise auf den Lieferanten übergeht. 4.4.2 Vorgehensweise am Beispiel eines Lieferanten für Reinigungs- und Desinfektionsmittel Wie sich die obigen Ansätze grundsätzlich auch im Bereich der industriellen Hilfs- und Betriebsstoffe anwenden lassen, wird im Folgenden am Beispiel eines internationalen Anbieters von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln deutlicher. Das betrachtete Unternehmen hatte über Akquisitionen und Eigenentwicklungen die traditionelle Produktpalette an Reinigungsmitteln für die Lebensmittelindustrie um Desinfektionsmittel und schließlich um bakteriologische Schnelltests zur Kontrolle der Oberflächenverkeimung erweitert. Die Reinigungs- und Desinfektionsmittel wurden in Kanistern und in Fässern angeboten und kundenseitig entweder in zentralversorgten oder mobilen Lanzen- Hochdruckreinigern, Clean-in-Place-Systemen oder Behälterwaschanlagen verwendet. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung stiegen kontinuierlich und stark. Den sich laufend ändernden Anforderungen der Nachfrager nach höherer Bakterizität, schnellerer Wirksamkeit, multiplen Wirkeffekten, 65 Vgl. Nagle/Hogan, 2007, S. 97 ff. 42 Wirksamkeit auch gegen Viren, verringerter Materialaggressivität, biologischer Abbaubarkeit etc. wurde durch ständig neue und verbesserte Produkte begegnet, die während des ersten Jahres nach Markteinführung auch profitable Preise erzielen konnten. Nach Ablauf dieses Zeitraumes und bevor die Entwicklungskosten sich amortisieren konnten, erodierten die Preise jedoch in den meisten Fällen, da Wettbewerber mit Me-too-Produkten zu günstigeren Preisen nachzogen. In der Folge wurden die Marketing- und die Forschungs- und Entwicklungsabteilung damit beauftragt, ein Konzept zu entwickeln, welches die Kunden deutlich stärker an das Unternehmen binden und den Preis in der Geschäftsbeziehung aus Kundensicht weniger wichtig machen sollte. Nachdem das Projektteam verschiedene grundsätzliche Möglichkeiten der Zielerreichung diskutiert hatte, wurde die Entscheidung getroffen, im Rahmen der weiteren Untersuchung das Potential von Koppelungsangeboten zu eruieren. Nachdem das Projektteam sich intensiv mit der verfügbaren Literatur und praktischen Implementierungsbeispielen des Preis- und Geschäftsmodells befasst hatte, wurden in einem Design Thinking-Workshop66 Ansätze für eine Umsetzung im eigenen Geschäftsfeld erarbeitet. Die identifizierten Chancen für die Vermarktung komplementärer Gebrauchsgüter wurden gesehen in: • der Installation und Bereitstellung von beim Abnehmer fest installierten, vor Ort befüllbaren Lagerbehältern mit Füllstandsmessung und Datenübertragung anstelle der üblichen Transportfässer, • der Installation und Bereitstellung eines Leitungsnetzes vom Lagerbehälter zu den einzelnen Verbrauchsstellen und • dem Bezug und der exklusiven Vermarktung eines Programms an mobilen Hochdruckreinigern von einem spezialisierten Hersteller, wobei die Geräte ein unternehmensspezifisches Design und die eigene Markierung aufweisen müssten. 66 Vgl. Grots/Pratschke, 2009 43 Dazu wurden folgende Chancen für die Vermarktung komplementärer Dienstleistungen identifiziert: • Regelmäßige technische Überprüfung und Wartung der Lagerbehälter und des Leitungsnetzes, • Durchführung von regelmäßigen Betriebshygiene-Audits und Ausstellung von Zertifikaten für das kundeneigene Qualitätssicherungs-System und • Schulungsangebote für das Reinigungspersonal der Kunden oder der externen Dienstleister. Eine Kundensegmentierung führte zur Erkenntnis, dass es ein Segment gab, mit dem derzeit etwa die Hälfte des Umsatzes realisiert wurde, welches vom Bedarfsvolumen ausreichend groß war, um eine wirtschaftliche Versorgung mit stationären Behältern und Tankfahrzeugen zu realisieren. Drei Viertel der Kunden in diesem Segment setzten die Reinigungsmittel dezentral ein. Das heißt, die Verbrauchsgeräte zogen über einen Schlauch die Mittel aus Behältern, welche an oder bei ihnen stationiert waren. Für dieses Segment wurde ein Angebotsprogramm entwickelt, welches als zentrale Komponente einen oder mehrere fest installierte Lagerbehälter mit Füllstands- und Durchflussmessung, Datenübertragung über Mobilfunk-Verbindung und eigens entwickelte Befüll- und Entnahmestutzen hatte, welche eine Befüllung durch Dritte sicher ausschlossen. Zur Bestätigung der Kundenakzeptanz und zum besseren Verständnis der Zahlungsbereitschaften, auch in Abhängigkeit vom Preissystem, wurden Kunden-Fokusgruppen und ConjointBefragungen durchgeführt. Auf Grundlage der Ergebnisse wurde dann festgelegt, neuentwickelte Produkte in den ersten beiden Jahren nach Einführung nicht mehr in Fässern, sondern nur noch in Verbindung mit diesem System anzubieten. Das Angebot beinhaltet die Installation und Bereitstellung des Behälters, bei Bedarf die Installation und Bereitstellung des Verteilleitungssystems und den Anschluss der Verbrauchsanlagen an das zentrale Versorgungssystem. Die Kunden konnten von der Lösung leicht überzeugt werden, da damit die Nachbestellung automatisiert und sicher war sowie das betriebsinterne Transportieren, Anschließen und die Entsorgung der Fässer entfielen. Ihnen 44 wurde im neuen Preismodell eine monatliche Systemgebühr, welche neben der Anlagenbereitstellung auch Wartung und Reparaturen der Anlage beinhaltet, sowie auf Basis der Durchflussmessung ein Preis pro Liter verbrauchtes Reinigungs- und Desinfektionsmittel berechnet. Dadurch entfiel kundenseitig die Verarbeitung von Lieferscheinen und die Rechnungsprüfung wurde wesentlich vereinfacht. Mit den Kunden wurden Leistungsvereinbarungen mit einer Laufzeit von drei Jahren und automatischer Verlängerung bei Nicht-Kündigung um jeweils ein Jahr abgeschlossen. Nach dieser Zeit waren die Investitionen in die Kundenanlage amortisiert, so dass ein Wettbewerber, welcher nach Ablauf der Vereinbarung sich mit einem ähnlichen Angebot um den vorhandenen Kunden bemüht, in jedem Fall einen Kostennachteil hätte. Bei Abschluss der Vereinbarung haben die Kunden die Möglichkeit, zusätzliche Servicepakete zu abonnieren. Mit dem neuen System erlangte das Unternehmen mehrere Vorteile. Aufgrund der Vereinfachungen in ihren Abläufen waren die Kunden weniger preiskritisch geworden. Durch die Kombination der Produktversorgung mit der Bereitstellung des Lager- und Verteilungssystems auf Basis einer Monatsgebühr wurde eine erhebliche Wechselhürde errichtet und durch den Abschluss mehrjähriger Vereinbarungen, was sich aufgrund der kundenspezifisch getätigten Investitionen begründen ließ, wurde die Preiserosion bei innovativen Produkten erheblich verzögert. 45 5 Schlussbetrachtung Die dargestellten Gestaltungsmöglichkeiten repräsentieren nicht den vollständigen preispolitischen Aktionsraum für Anbieter von Hilfs- und Betriebsstoffen. Viele Erfolgsfaktoren wie Pricing-Organisation, Pricing-Prozesse, langfristige Preisstrategien67, Preispolitik über den Produktlebenszyklus, optimierte Preispolitik bei verschiedenen Absatzkanälen, wirksame Preisverhandlung, das optimale Ausmaß von Preisdelegation und preisorientierte Anreizsysteme beinhalten Potential zur Gewinnsteigerung, konnten jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht hinsichtlich ihrer Relevanz und ihrer Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf das gewählte Marktsegment beschrieben werden. Nicht alle beschriebenen Ansätze eignen sich gleichermaßen für jedes Unternehmen. So bedingt die Entwicklung von Decision Support-Instrumenten eine hinreichend große, repräsentative Datenbasis zur Erstellung der Modelle und ein hinreichendes Nutzenpotential, um den Erstellungsaufwand zu amortisieren. Bei Betrachtung der zugrundeliegenden Erfolgsfaktoren sollten sich allerdings jeweils situationsspezifisch angepasste Varianten der Gestaltungsansätze entwickeln lassen. Jedes Unternehmen, das sich mit der Vermarktung von Hilfs- und Betriebsstoffen befasst, verfügt über erhebliche, preispolitisch wertvolle Informationen. Moderne statistische und entscheidungswissenschaftliche Methoden, Werkzeuge wie Six-Sigma oder Data Mining sowie die heute verfügbare Informationstechnologie ermöglichen die Auswertung und Nutzung dieser Informationen, idealerweise über elektronische Decision Support-Instrumente. 68 Bei der Vermarktung von Hilfs- und Betriebsstoffen werden diese Möglichkeiten noch wenig genutzt. Orientierungspunkte in anderen Branchen sind beispielsweise Fluggesellschaften und Einzelhandelsunternehmen. 67 Vgl. auch Lancioni, 2004, S. 111 ff. 68 Vgl. Engelke/Simon, 2007, S. 120 ff. 46 Eine Entscheidungsautomatisierung führt zu einem höheren Maße an Standardisierung. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidungen für die Wettbewerber nicht vorhersehbar werden. Ein in der preispolitischen Forschung theoretisch und empirisch noch vergleichsweise wenig bearbeitetes Thema ist das ertragsorientierte Preismanagement aus entscheidungstheoretischer Perspektive im Kontext einer bestehenden Geschäftsbeziehung. Da Geschäftsbeziehungen bei Hilfs- und Betriebsstoffen häufig langfristig angelegt sind, ist das Thema für Anbieter in diesem Marktsegment besonders relevant. Vielfach bleiben Ertragschancen ungenutzt, da Anbieter lediglich reaktiv versuchen, Veränderungen der eigenen Kosten durchzureichen. 47 Literaturverzeichnis Arnold, U./Schnabel, M. (2007): Electronic Reverse Auctions – Nutzung von IT-Unterstützung bei der Beschaffung direkter Güter, in: Brenner, W./Wenger, R. (Hrsg): Elektronische Beschaffung, Berlin, Heidelberg. Becker, J. (2006): Marketingkonzeption, 8. Aufl., München. Bonnemeier, S. (2009): Wertschaffung und Wertaneignung als Erfolgsfaktoren von Lösungsanbietern, Wiesbaden, zugl. Diss. München 2009. Diller, H. (2008): Preispolitik, 4. 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