Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 1. Definitionen und Ziele der Gesundheitsökonomie Gesundheitsökonomie ist die Wissenschaft von der Disposition über relativ knappe Mittel zur Bereitstellung von Gütern (Gesundheitsleistungen) für die Befriedigung von Bedürfnissen (Gesundheitsbedürfnissen) 2. Der Gesundheitsmarkt 2.1. Die Nachfrage nach Gesundheitsgütern Zusammenhang zwischen Nachfrage nach „Gesundheitsgütern“ und den sie (Nachfrage) bestimmenden Faktoren Nachfragefunktion: xN = f(p, H, YV, PS, t , qPr, A) p = Preis der Gesundheitsgüter s. 2.1.1. H = Gesundheitszustand s. 2.1.2. YV = verfügbares Einkommen s. 2.1.3. PS = Preis der Substitutionsgüter s. 2.1.4. t = Zeitkosten s. 2.1.5. qPr = Anteil/Quote der privat zu zahlenden Leistungen s. 2.1.6. A = Angebotszeit s. 2.1.7. Seite 1 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 2.1.1. Die Bedeutung des Preises – Preiselastizität der Nachfrage • • • • Bei „kommerziellen Gütern“ gilt das „Gesetz der Nachfrage“ Bei steigendem Preis sinkt die nachgefragte Menge und umgekehrt Bei Gesundheitsgütern: Gilt im Grundsatz auch Beispiel: o Rückgang der Arztbesuche seit Einführung der Praxisgebühr um ca. 8% o Rückgang der häuslichen Krankenpflege nach Einführung der Zuzahlungen (seit 01.01.2004) o Rückgang der Ausgaben für Medikamente nach Einführung der Rezept/Zuzahlungsgebühr Frage des Ausmaßes der Nachfragereduktion seitens der Patienten ist DIFFERNZIERT zu beantworten und abhängig von der PREIELASTIZITÄT der Nachfrage Formel: ∆X (n) X ( n) /ε / = ∆P( X ) P( X ) • • Varianten/Möglichkeiten o Elastische Nachfrage (/ε/ > 1) Güter mit Substitutionsmöglichkeiten Möglichkeit des vollständigen Verzichts • Massagen • Generika • Pflege durch Angehörige • Schönheits-OP o Unelastische Nachfrage (/ε / < 1) Güter ohne Substitutionsmöglichkeiten Keine Verzichtmöglichkeiten • Brillen • Kuren • Reha o Vollkommen unelastische Nachfrage (ε = 0) Starre Nachfrage Preis steigt Nachfragemenge bleibt unverändert Lebensnotwendige Gesundheitsgüter OHNE Substitutionsmöglichkeit • Lebenserhaltende Medikamente (Insulin) • Lebensnotwendige Operationen • ... Realität: Preiselastizität nach Gesundheitsgütern im Durchschnitt: 0,1 – 0,3 % Seite 2 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 2.1.2. Der Gesundheitszustand ... ist abhängig von: • • Persönlichen Faktoren o Alter o Geschlecht o Lebens-/Konsumgewohnheiten Sozio-ökonomischen Faktoren o Wohnverhältnisse o Arbeitswelt o Milieu o ... Zusammenhang: Je besser der Gesundheitszustand, umso geringer die Nachfrage nach Gesundheitsgütern 2.1.3. Die Bedeutung des verfügbaren Einkommens Brutto-Einkommen - direkte Steuern (Lohnsteuer, Einkommenssteuer) - Sozialversicherung (Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung) + Transferleistungen = Verfügbares Einkommen Zusammenhang: Abhängig von der Einkommenselastizität der Nachfrage Formel: ∆X (n) X ( n) /E/= ∆Y (V ) Y (V ) • Varianten o Elastisch: E > 1 Schönheits-OP Wellness-/Beautyfarm o Unelastisch: E < 1 Mehrzahl der Gesundheitsgüter Seite 3 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 2.1.4. Die Bedeutung der Preise von Substitutionsgütern Beispiel: Generika Stationäres Operieren Stationäres Heim ambulantes Operieren Kurzzeitpflege, ambulante Pflege Zusammenhang: Steigt der Preis von Substitutionsgütern, steigt auch die Nachfrage nach dem Originalprodukt 2.1.5. Die Bedeutung der Zeitkosten (=Opportunitätskosten) • • Kosten der o Wartezeit o Wegezeiten o Fahrzeiten o Untersuchungszeiten o ... ausgedrückt in o Verdienstausfall o Verzicht auf Freizeit o ... Zusammenhang: Je höher die Zeitkosten, desto niedriger die Nachfrage nach Gesundheitsgütern 2.1.6. Eigenanteil des Versicherten (MORAL-HAZARD-Theorem) • Annahme Je höher der Anteil der Leistungen ist, die von der KV übernommen werden, desto höher die Nachfrage nach den Gesundheitsgütern VERSICHERUNGSINDUZIERTE Nachfrage = MORAL-HAZARD-Theorem (Nachfrage entsteht erst durch Abschluss der Versicherung) • Beispiel o Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes bei Abschluss einer Krankenhaustagegeld-Versicherung o Rückgang der Nachfrage nach Kuren durch Einführung bzw. Erhöhung der Eigenbeteiligung o Nachfrage nach Zahnersatz in Abhängigkeit vom Abschluss einer Zusatzversicherung Seite 4 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 2.1.7. Angebotsinduzierte Nachfrage (PRINZIPAL-AGENT-Theorem) Nachfrage nach Gesundheitsgütern wird wesentlich bestimmt durch die ANBIETER • Ärzte • Zahnärzte • Krankenhäuser • Therapeuten • Pharmahersteller • ... ANGEBOTSINDUZIERTE Nachfrage („Anbieter schaffen ihre eigene Nachfrage“) Problem: • Informationsasymmetrie (Informationsvorsprung des Arztes) • Patient = Auftraggeber des Arztes (Prinzipal) • Arzt = Auftragnehmer (Agent) Patient beauftragt Arzt mit der Entscheidung darüber, was zu tun ist Seite 5 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 2.2. Das Angebot an Gesundheitsleistungen (entspricht dem Markt an Gesundheitsleistungen) Angebots-Funktion: xA = f ( p, pS, n, K, ...) xA = angebotene Menge p = am Markt erzielbarer „Verkaufspreis“ (wie hoch sind Punktwerte, - zahlen, was gibt es als Fallpauschale, was gibt’s für ambulante OPs......) Zusammenhang: Je höher der erzielbare Preis, umso größer die angebotene Menge Angebots – Kurve (als Bild der Angebots – Funktion) hat einen STEIGENDEN Verlauf (Reaktionszeit bei bereits vorhandener Bausubstanz, d.h. Umwandlung von z.B. Altenheimplätzen in Plätze für betreutes Wohnen beträgt weniger als ½ Jahr) ps = Preis für Substitutionsgüter Zusammenhang: ps x SA xA (x SA = Angebot Substitutionsgut) n = Anzahl der Anbieter (Anbieterbetriebe) K = Produktionskosten Zusammenhang: K xA Seite 6 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) (aus Sicht ökonomischer Betrachtungsweise) Der Staat will und muss Gesundheitsausgaben in den Griff bekommen. Möglichkeiten der Preis- oder Mengensteuerung) 3.1. Staatlich administrierte Höchstpreise - Ziel: Ausgabenbegrenzung im Gesundheits-/ Sozialbereich - Instrument: staatliche Höchstpreis – Setzung - Höchstpreis < Marktgleichgewichtspreis p < p0 Beispiele: o Begrenzung der Erhöhungsraten (Budget...) gemäß § 71 SGB V an die „Grundlohnsummensteigerung“ (2004: 0,02% faktisch „Nullrunde“ 2005: 0,38% Prognose) o „Deckelung“ der Pflegesätze in der stationären Altenhilfe in den Jahren 1997 – 1999 o Deckelung der Budgetsumme im KH – Bereich in den Jahren 1993 – 1995 o ... P p0 p NÜ / AL N 0 XA x0 XN (Pflegestufe I: ca. 70€ / Tag in Altenheimen) Seite 7 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger Zum Höchstpreis p gilt: angebotene Menge: Nachfragemengenüberschuss (NÜ) / XA nachgefragte Menge: XN Angebotsmengen – Lücke (AL) ( XN - XA ) Realität: Wartelisten, „Pflegenotstand“ angebotene Menge ( von X0 XA ); z.B. Umwandlung von Pflegeplätzen in „Betreutes Wohnen“; von Krankenhausplätzen in Kurzzeit-/ Tagespflege...., außerdem: nachgefragte Menge (von X0 XN ) „Gewinner“ des Höchstpreises: - die Nachfrager (Kunden, Patienten), die zum Preis p < p0 einen Platz erhalten (bzw. ihre Kostenträger [ Kranken-/ Pflegeversicherung, Sozialhilfeträger]) „Verlierer“ des Höchstpreises: - die Nachfrager, die auf einen Platz warten müssen („in die Angebotslücke fallen“) - die Anbieter (die nur noch den p < p0 erhalten) wahrscheinliche Reaktion: Ausweichen auf Schwarzmärkte, Nebenmärkte oder auf andere Zuteilungsmechanismen Alternativen zum Höchstpreis: Mengenbeschränkung (Rationierung): Seite 8 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 3.2. Rationierung (Kapazitätsbeschränkung) - Bsp.: Begrenzung der maximalen o Bettenzahl im KH – Bereich (KH – Plan) o Platzzahl im Pflegebereich (Landespflegeplan) o Zahl der niedergelassenen Ärzte (Zulassungsbeschränkungen) o ... Auswirkungen: A P A p̂ C p0 D (+) B N 0 x X Annahme: X0 Staat begrenzt die maximale Zahl an Pflege-/ KH – Plätzen auf X < X0 Auswirkungen: Angebot an der Kapazitätsgrenze ist vollkommen unelastisch (starr) Gleichgewichtspreis STEIGT von p0 auf p̂ Seite 9 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger Frage: In welchem Fall (OHNE ⇔ MIT Kapazitätsbegrenzung) sind die AUSGABEN für den Staat größer??? (1) Ausgaben OHNE Kapazitätsbegrenzung A1 = p0 * x0 = 0p0Bx0 (Eckpunkte des Rechtecks) (2) Ausgaben MIT Kapazitätsbegrenzung A2 = p̂ * X = 0 p̂ C X Welche Fläche ist größer ? Kommt drauf an; kann man so nicht sagen; abhängig vom konkreten Verlauf der Angebots-/ Nachfragekurven (wie flach, wie steil?) „Lösungsansatz“: Kombination aus Höchstpreis und Kapazitätsbeschränkung z.B. p0 wird zum Höchstpreis erklärt Auswirkungen: „Verlierer“: - Nachfrager, die auf der Warteliste stehen ( NÜ, AL) als Folge der Kapazitätsbe- grenzung - Anbieter, weil p0 < p̂ „Gewinner“: - Nachfrager, die zum Preis p0 < p̂ die Leistung erhalten - STAAT: Ausgabenrückgang auf p0 * X = 0p0D X 3.3. Weitere Instrumente Kopien lesen Seite 10 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte Der Teil der Kosten, die von jemandem zwar verursacht werden aber nicht von ihm gezahlt werden, bezeichnet man als externe Kosten. Auch Kopie lesen. 4.1. Die Problematik externer Effekt Externe Effekte = Auswirkungen des Handelns eines Einzelnen auf die gesamte Gesellschaft / Volkswirtschaft, die aber von ihm selbst nicht getragen werden (... von ihm bei seinem Handeln nicht berücksichtigt werden) 4.2. Negative externe Effekte – externe Kosten 4.2.1. Auswirkungen Bsp.: Alkoholkonsum volkswirtschaftliche Kosten des Alkoholkonsums / Alkoholismus: o Ausfall an Arbeitskräften geringeres BIP o geringere Leistungsfähigkeit o höhere Fehlerquote / Ausschussquote o Ressourcenaufwand für Reha, Entzugsmaßnahmen Volkswirtschaftliche Kosten (z. B. durch Alkoholkonsum) - private, individuelle Kosten ( Marktpreis, Kaufpreis) = externe Kosten Externe Kosten sind volkswirtschaftliche Kosten, die vom Entscheidungsträger bei seiner Entscheidung NICHT berücksichtigt werden. Seite 11 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger Auswirkungen (anhand eines Modells): Variablen: X = Alkohol vGK = volkswirtschaftliche Grenzkosten des Alkoholkonsums pGK = private Grenzkosten des Alkoholkonsums = Verkaufs-/Marktpreis N = Nutzen des Alkoholkonsums (individueller Nutzen; ausgedrückt durch Zahlungsbe- konstant ritschaft/Nachfrage des Einzelnen) Modellannahmen: - vGK > Summe pGK ( - Summe der privaten Nutzen = volkswirtschaftlicher Nutzen ( Vorhandensein externer Kosten) keine positiven exter- nen Effekte) Zeichnerische Darstellung: WE/ME vGK pGK + Steuer STEUER pGK N V X opt ME/ZE P X opt Seite 12 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger (1) Kalkül des einzelnen Entscheidungsträgers (Kosten-Nutzen-Kalkül) Solange Wert/Nutzen einer Private Kosten einer zusätzlichen ME zusätzlichen ME N > pGK Nachfragemenge AUSWEITEN N ↓; pGK wenn N = pGK privates Optimum P tatsächlich nachgefragte Menge an X = X opt (2) Volkswirtschaftlich optimale Menge Volkswirtschaftliche Wert/Nutzen einer Kosten einer zusätzli- zusätzlichen ME Solange chen ME N > vGK Nachfragemenge AUSWEITEN N ↓; vGK ↑ wenn N = vGK V volkswirtschaftlich optimale Konsummenge X opt Fazit: P V (1) Aus gesundheitsökonomischer Sicht wird „zuviel Alkohol getrunken“: X opt > X opt (2) Die gesundheitsökonomisch optimale Konsummenge an Alkohol ist größer 0 vollständiges Alkoholverbot wäre volkswirtschaftlich SUBOPTIMAL Seite 13 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 4.2.2. Korrekturmöglichkeiten 1. Alternative: Rationierung V Die angestrebte Menge X opt wird so verteilt, dass jeder ein Kontingent erhält. V Summe der Kontingente = X opt Beurteilung: Ökonomisch ineffizient Persönliche Präfernezen können nicht berücksichtigt werden Lösung: „Quotentausch“ (Nachkriegszeit) 2. Alternative: Internalisierung externer Kosten durch eine Internalisierungssteuer = PIGOU-Steuer (Ökosteuer, Tabaksteuer, Branntweinsteuer, Steuer auf Alcopops, Biersteuer, Sektsteuer, ...) V Gesucht: Höhe der Steuer, die dazu führt, dass X opt zur tatsächlich realisierten Nachfra- gemenge wird Problem der Umsetzung in der Praxis: • N ist nicht bekannt • vGK ist nicht gekannt Steuerbetrag kann nicht analytisch ermittelt werden Annäherungslösung: „Versuch und Irrtum“ (Trial and error) politisch schwer durchsetzbar Seite 14 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger 4.3. Externe Vorteile 4.3.1. Auswirkungen Positive externe Effekte • gesundheitsbewusstes Handeln eines Einzelnen führt zu positiven Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft • geringerer Arbeitsausfall, s. 4.2.1. diese positiven externen Effekte werden vom Einzelnen nicht in die Entscheidung miteinbezogen Modell: wie 4.2.1. Modifikationen: X = „Bioprodukte“ Keine externen Kosten Nprivat < NV pGK = vGK positive externe Effekte WE/ME pGK Subvention pGK - Subvention Nprivat NV P X opt ME/ZE V X opt Seite 15 Gesundheitsökonomie II Dr. Stenger P privates Optimum: X opt tatsächlich nachgefragte Menge V volkswirtschaftliches Optimum: X opt Fazit: P V Aus volkswirtschaftlicher Sicht werden ZU WENIG Bioprodukte nachgefragt: X opt < X opt 4.3.2. Korrekturmöglichkeiten (1) Subventionierung von „Bioprodukten“ durch den Staat Gesucht: V Der Subventionsbetrag, der dazu führt, dass X opt zur tatsächlich nachgefragten Menge wird (2) Durch gesundheitliche Aufklärung/Information Versuch einer Verhaltensänderung NP nähert sich NV an dauert lange; genaue Steuerung unmöglich Seite 16