VWA R HEIN -N ECKAR / BFW D I P L O M S T U D I E N G A N G B E T R I E B S W I R T (VWA) – S C H W E R P U N K T G E S U N D H E I T S M A N A G E M E N T Gesundheitsökonomie Dozent: Dr. Jürgen Stenger Verfasser: Andreas Ohlmann Vorlesungen am: 05.11.2004 12.11.2004 19.11.2004 Der vorliegende Text basiert auf den Aufzeichnungen des Verfassers und persönlicher Ergänzungen. Für den Inhalt wird keine Gewähr übernommen. Fehler und Unstimmigkeiten können Sie dem Autor mitteilen. I NHALTSVERZEICHNIS 1. Definition und Ziele der Gesundheitsökonomie ..........................................4 2. Der Gesundheitsmarkt .......................................................................4 2.1 Die Nachfrage nach Gesundheitsgütern ...................................................4 2.1.1 Die Bedeutung des Preises – Preiselastizität der Nachfrage ...........................5 2.1.2 Der Gesundheitszustand .....................................................................7 2.1.3 Die Bedeutung des verfügbaren Einkommens ............................................7 2.1.4 Die Bedeutung der Preise von Substitutionsgütern ......................................8 2.1.5 Die Bedeutung der Zeitkosten ..............................................................8 2.1.6 Eigenanteil des Versicherten – Das MORAL-HAZARD-Theorem .........................9 2.1.7 Angebotsinduzierte Nachfrage – Das PRINZIPAL-AGENT-Theorem.....................9 2.2 Das Angebot an Gesundheitsleistungen ................................................. 11 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) ..................................................................... 12 3.1 Staatlich administrierte Höchstpreise ................................................... 12 3.2 Rationierung (Kapazitätsbegrenzung) ................................................... 14 3.3 Weitere Instrumente ....................................................................... 17 3.3.1 Steuerungsinstrumente auf der Nachfrageseite (Kassen und Versicherte) ........ 17 3.3.2 Steuerungsinstrumente der Angebotsseite.............................................. 19 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte .............................. 20 4.1 Die Problematik externer Effekte ........................................................ 23 4.2 Negative externe Effekte – externe Kosten............................................. 23 4.2.1 Auswirkungen................................................................................ 23 4.2.2 Korrekturmöglichkeiten.................................................................... 25 4.3 Positive externe Effekte – externe Vorteile ............................................ 26 4.3.1 Auswirkungen................................................................................ 26 4.3.2 Korrekturmöglichkeiten.................................................................... 28 Gesundheitsökonomie Inhaltsverzeichnis 5. Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich .................................... 29 6. Ökonomische Verfahren zur Beurteilung der Gesundheitssysteme (Evaluierungsverfahren).................................................................... 29 6.1 Kosten-Effektivität-Analyse ............................................................... 29 6.2 Kosten-Nutzwert-Analyse .................................................................. 30 6.3 Kosten-Nutzen-Analyse..................................................................... 30 Andreas Ohlmann Seite 3 1. Definition und Ziele der Gesundheitsökonomie 1. Gesundheitsökonomie Definition und Ziele der Gesundheitsökonomie Definition von Buchert/Matschke „Gesundheitsökonomie 1 ist die Wissenschaft von der Disposition über relativ knappe Mittel zur Bereitstellung von Gütern (Gesundheitsleistungen) für die Befriedigung von Bedürfnissen (Gesundheitsbedürfnissen)“ 2. Der Gesundheitsmarkt 2.1 Die Nachfrage nach Gesundheitsgütern Zusammenhang zwischen der Nachfrage nach „Gesundheitsleistungen“ und den sie bestimmenden Faktoren: Nachfragefunktion: xN = f ( p, h, YV , Ps, t , qpr , A p = Preis der Gesundheitsgüter siehe 2.1.1 H = Gesundheitszustand siehe 2.1.2 YV = verfügbares Einkommen Ps = Preis der Substitutionsgüter siehe 2.1.4 T = Zeitkosten siehe 2.1.5 2 siehe 2.1.3 qpr = Anteil/Quote der privat zu zahlenden Leistungen siehe 2.1.6 A siehe 2.1.7 = Angebotsseite 1 Wikipedia.de (de.wikipedia.de) bietet folgende Definition: Medizinische Ökonomie (meistens Gesundheitsökonomie genannt; engl.: medical economics, health economics, frz.: édonomie de la santé, économie médicale) ist eine empirische und theoretische, interdisziplinäre Wissenschaft, die sich mit der Produktion und Verteilung von knappen und anderen Gesundheitsgütern und mit der ökonomischen Seite der Gesundheitsversorgung allgemein beschäftigt. Schwerpunkt ist die möglichst optimale Nutzung und faire Verteilung dieser Güter (z.B. Krankenhäuser, Personal, Apparate, Arzneimittel, präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen). Dabei sollen Kosteneffizienz, Effektivität, Qualität und Gerechtigkeit (Zugang für alle) in Einklang gebracht werden ("Magisches Viereck"). Im Vergleich zu den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Skandinavien ist die Gesundheitsökonomie im deutschsprachigen Raum noch wenig entwickelt. Weblinks Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität zu Köln (http://www.medizin.uni-koeln.de/kai/igmg/kurzinfo.html) Kommentierte Literatur- und Linkliste zu Gesundheitsökonomie (http://www.medinfoweb.de/oekonom.htm) 2 Abkürzung „Y“ kommt vom engl. Yield Gesundheitsökonomie 2.1.1 2. Der Gesundheitsmarkt Die Bedeutung des Preises – Preiselastizität der Nachfrage Bei „konventionellen“ Gütern gilt das „Gesetz der Nachfrage“: Bei steigendem Preis sinkt die nachgefragte Menge, bei sinkendem Preis steigt die nachgefragte Menge. Bei Gesundheitsleistungen gilt dieses „Gesetz der Nachfrage“ im Prinzip auch. Beispiel: Rückgang der Arztbesuche seit Einführung der Praxisgebühr zum 01.01.2004 (ca. 8 %) Rückgang der häuslichen Krankenpflege nach Einführung der Zuzahlung zum 01.01.2004 Rückgang der Ausgaben für Medikamente nach Einführung der Rezept- und Zuzahlungsgebühr Frage des Ausmaßes der Nachfragereduktion der Patienten ist DIFFERENZIERT zu beantworten: Abhängig von der Preiselastizität der Nachfrage: ΔXN ε = XN ΔPx Px ΔPx = relative Preisänderung PX = Preis des Gutes ΔXN = relative Mengenänderung XN = Menge des Gutes ε = Preiselastizität | ε | = Betrag von ε Andreas Ohlmann Seite 5 2. Der Gesundheitsmarkt Gesundheitsökonomie Verschiedene Varianten/Möglichkeiten der Preiselastizität Elastische Nachfrage |ε |>1 Ursachen/Beispiele: Güter mit Substitutionsmöglichkeiten; auch Möglichkeit des vollständigen Verzichts, z. B. • Massagen • Generika • Pflege durch Angehörige • Chirurgische Schönheitsoperationen • ... unelastische Nachfrage |ε |<1 Ursachen/Beispiele: Güter mit geringen Substitutionsmöglichkeiten, wie z. B. • Brillen • Kuren/Reha • ... vollkommen unelastische Nachfrage (starre Nachfrage) |ε |=0 Preis steigt ↑; Nachfragemenge bleibt unverändert (ΔxN = 0) P P3 P2 P1 x1 x2 x3 x Gesundheitsökonomie 2. Der Gesundheitsmarkt Beispiele/Ursachen: Lebensnotwendige Gesundheitsgüter ohne Substitutionsmöglichkeit: • Lebenserhaltende Medikamente (Insulin, Beta-Blocker, Marcumar ...) • Lebensnotwendige Operationen • ... Realität: Preiselastizität nach Gesundheitsgütern im ∅: ε = 0,1 – 0,3 % 2.1.2 Der Gesundheitszustand Der Gesundheitszustand ist abhängig von: • Persönlichen Faktoren (Alter, Geschlecht, Lebens-/Konsumgewohnheiten, ...) • Sozio-ökonomische Faktoren (Wohnverhältnisse, Arbeitswelt, Milieu, ...) • ... Zusammenhang: Je besser der Gesundheitszustand, desto geringer die Nachfrage nach Gesundheitsgütern 2.1.3 Die Bedeutung des verfügbaren Einkommens = Brutto-Einkommen - Steuern (direkte Steuern) - Sozialversicherung + Transferleistungen = verfügbares Einkommen Andreas Ohlmann Seite 7 2. Der Gesundheitsmarkt Gesundheitsökonomie Zusammenhang: Abhängig von der Einkommenselastizität des Einkommens ΔXN ε = XN ΔYV YV Varianten: • Elastisch: ε >1 Beispiel: o Wellness-/Beauty-Farm • Unelastisch: ε <1 Bei der Mehrzahl der Gesundheitsgüter der Fall 2.1.4 Die Bedeutung der Preise von Substitutionsgütern Beispiele: • Generika • Stationäres ↔ Ambulantes Operieren • Stationäres Heim ↔ Kurzzeitpflege, ambulante Pflege Zusammenhang: Preis von Substitutionsgütern steigt (↑) 2.1.5 NS ↓ Nachfrage XN steigt(↑) Die Bedeutung der Zeitkosten ≙ Opportunitätskosten, z. B. des Arztbesuches, des Krankenhausaufenthaltes, ... Konkret: Kosten der • Wartezeiten • Wegezeiten, Fahrzeiten • Untersuchungszeiten • ... Gesundheitsökonomie 2. Der Gesundheitsmarkt Ausgedrückt in • Verdienstausfall • Verzicht auf Freizeit • ... Zusammenhang: je höher die Zeitkosten, desto niedriger die Nachfrage nach Gesundheitsgütern 2.1.6 Eigenanteil des Versicherten – Das MORAL-HAZARD-Theorem ≙ Eigenanteil des Versicherten Annahme: je höher der Anteil der Leistungen ist, die von der Kranken-/Pflegeversicherung übernommen werden, desto höher die Nachfrage nach den Gesundheitsgütern versicherungsinduzierte Leistungen = MORAL-HAZARD-Theorem Beispiele: • Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes bei Abschluss von Krankenhaustagegeld-Versicherung • Rückgang der Nachfrage nach Kuren durch Einführung/Erhöhung der Eigenbeteiligung • Nachfrage nach Zahnersatz in Abhängigkeit vom Abschluss einer entsprechenden Zusatzversicherung 2.1.7 Angebotsinduzierte Nachfrage – Das PRINZIPAL-AGENT-Theorem Nachfrage nach Gesundheitsgütern wird wesentlich bestimmt durch die Anbieter • Ärzte • Zahnärzte • Krankenhäuser • Therapeuten • Pharmaindustrie (-hersteller) • ... Andreas Ohlmann Seite 9 2. Der Gesundheitsmarkt Gesundheitsökonomie angebotsinduzierte Nachfrage („Anbieter schaffen ihre eigene Nachfrage“) Problem: Informationsasymmetrie = Informationsvorsprung des Anbieters (Ärzte, Zahnärzte, Therapeuten, ...) Patient = Auftraggeber des Arztes (Prinzipal) Arzt = Auftragnehmer (Agent) Patient beauftragt den Arzt mit der Entscheidung darüber, was „zu tun ist“ Gesundheitsökonomie 2.2 2. Der Gesundheitsmarkt Das Angebot an Gesundheitsleistungen Angebots-Funktion xA = f(p, PS, n, K, ...) p = am Markt erzielbarer „Verkaufspreis“ Zusammenhang: Je höher der erzielbare Peis, umso größer die angebotene Menge Angebots-Kurve hat steigenden Verlauf Ps = Preis für Substitutionsgüter Zusammenhang: Ps↑ x As ↑ xNs n = Anzahl der Anbieter K = Produktionskosten ↓ Zusammenhang: K↑ x a↓ Andreas Ohlmann Seite 11 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) Gesundheitsökonomie 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) 3.1 Staatlich administrierte Höchstpreise Höchstpreis p < Marktgleichgewichtspreis < p0 Beispiele: Begrenzung der Erhöhungsraten gemäß § 31 SGB V an die Steigerung der beitragspflichtigen Einnahmen (Grundlohnsummensteigerung); 2004: 0,02 %, 2005: 0,38 % (Prognose) Nachstehend Originaltext der Prognose des Jahres 2004 3 : Bekanntmachung vom 15. September 2004 Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Bekanntmachung über die auf der Grundlage der vierteljährlichen Rechnungsergebnisse der Krankenkassen festzustellenden durchschnittlichen Veränderungsraten der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkassen je Mitglied nach § 71 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) vom 15. September 2004 Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung gibt gemäß § 71 Abs. 3 SGB V bekannt: Auf der Grundlage der vierteljährlichen Rechnungsergebnisse der Krankenkassen betragen die durchschnittlichen Veränderungsraten der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder aller Krankenkassen (§ 267 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) je Mitglied für die Vereinbarungen für das Kalenderjahr 2005 auf der Basis der Veränderungsraten des Zeitraumes des zweiten Halbjahres 2003 und des ersten Halbjahres 2004 gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum im gesamten Bundesgebiet in dem Gebiet der in Artikel 1 Abs. 1 des Einigungsvertrages genannten Länder und im übrigen Bundesgebiet + 0,38 % - 0,60 % + 0,56 % Bonn, den 13. September 2004 P 25 - 44 802 / 1 Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Im Auftrag Klaus Busch Deckelung der Pflegesätze in der stationären Altenhilfe in den Jahren 1997 – 1999 Deckelung der Budgetsumme im stationären Krankenhausbereich in den Jahren 1993 – 1995 3 Quelle: http://www.bmgs.bund.de/deu/gra/themen/gesundheit/gesetzl/index_5907.cfm Gesundheitsökonomie 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) A P p0 p NÜ/AL N xA x0 xN x Zum Höchstpreis p gilt: Angebotene Menge: x A Nachfragemengen-Überschuss (NÜ) Angebotsmengen-Lücke (AL) Nachgefragte Menge: x N ( xN − xA ) Realität: Warteliste, „Pflegenotstand“ x A ); z. B. Umwandlung von Pflegeplätzen in „Betreutes Angebotene Menge ↓ ( von x0 Wohnen“, von Krankenhausplätzen in Kurzzeit-/Tagespflege, ... Außerdem: Nachgefragte Menge steigt ↑ (von x0 xN ) „Gewinner“ des Höchstpreises: • Die Nachfrager, die zum niedrigeren Preis p < p0 einen Platz erhalten (bzw. ihre Kostenträger (Krankenversicherung, Pflegekasse, Sozialhilfeträger) „Verlierer“ des Höchstpreises: • die Nachfrager, die auf der Warteliste stehen, die auf einen Platz warten müssen („in die Angebotslücke fallen“) • die Anbieter (die nur noch den Preis p < p0 erhalten) Wahrscheinliche Reaktion: Ausweichen auf Schwarzmarkt, Nebenmärkte oder auf andere Zuteilungsmechanismen Alternativen zum Höchstpreis: Mengenbeschränkung (Rationierung) Andreas Ohlmann Seite 13 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) 3.2 Gesundheitsökonomie Rationierung (Kapazitätsbegrenzung) Beispiel: Begrenzung der maximalen • Bettenzahl im Krankenhausbereich (Landeskrankenhausplan) • Platzzahl im Pflegebereich (Landespflegeplan) • Begrenzung der niedergelassenen Ärzte (Zulassungsbeschränkungen) • ... Beispiel aus dem Bereich der niedergelassenen Ärzte: Gesamtübersicht über die Versorgungssituation im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland nach Beschluss Landesausschuss Ärzte und Krankenkassen vom 27.10.2004 Stand: 10.11.2004 Arztgruppe Anästhesisten Planungsbereich (Stadtverband/Kreis) Saarbrücken Saarlouis MerzigSt.Wendel Neunkirchen Saarpfalz Wadern X X X X X X ist geöff- ist net geöffnet X (für 1) (für 1) ist geöffnet X (für 1) X X X X X X Fachärztlich tätige X Internisten X X X X X Frauenärzte X ist geöffX net (für 1) X X X HNO-Ärzte X X X X X X Hautärzte X X ist geöffnet X (für 1) X X Kinderärzte X X ist geöffnet X (für 1) X X Nervenärzte X X X X X X Orthopäden X X X X X X Radiologen X X X X X X Augenärzte Chirurgen Gesundheitsökonomie 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) Arztgruppe Planungsbereich (Stadtverband/Kreis) Urologen X Hausärzte ist geöffnet (für 1) X Psychotherapeuten X X X X X X ist geöffnet X (für 2) X X X X X X Ärztliche Psychotherapeuten können noch in fünf Planungsbereichen zugelassen werden -mit Ausnahme Planungsbereich Kreis Saarpfalz- Erläuterung X Eine Zulassungsbeschränkung ist angeordnet. Auswirkungen: P + A A p̂ C p0 D B NÜ/AÜ N xN x0 x Annahme: Staat begrenzt die maximale Zahl an Pflegeplätzen/Krankenhausbetten auf xN < x0 Auswirkungen: Angebot an der Kapazitätsgrenze ist vollkommen unelastisch (starr) steigt von p0 auf p̂ . Andreas Ohlmann Gleichgewichtspreis Seite 15 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) Gesundheitsökonomie Frage: In welchem Fall (OHNE ↔ MIT Kapazitätsbegrenzung) sind die Ausgaben für den Staat größer? (1) Ausgaben OHNE Kapazitätsbegrenzung: A1 = p0 * x0 = 0p0Bx0 (=Eckpunkte des schwarzen Rechtecks) (2) Ausgaben MIT Kapazitätsbegrenzung: ˆ * x = 0 pˆ C x (=Eckpunkte des roten Rechtecks) A2 = p ↳ welche Fläche ist größer? ↳ kommt darauf an; kann man so nicht sagen; ist abhängig vom konkreten Verlauf der Angebots-/Nachfragekurven “Lösungsansatz“ Kombination aus Höchstpreis + Kapazitätsbeschränkung z. B. p0 wird zum Höchstpreis erklärt Auswirkungen: „Verlierer“: • Nachfrager, die auf der Warteliste stehen ( schuss/Angebotslücke) als Folge der Kapazitätsbegrenzung Nachfrageüber- • Anbieter, weil p0 < p̂ „Gewinner“: ˆ die Leistung erhalten • Nachfrager, die zum niedrigeren Preis p0 < p • Staat: Ausgabenrückgang auf D p0 * x = 0p0D x (= Eckpunkte des Rechtecks) Gesundheitsökonomie 3.3 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) Weitere Instrumente Angebotsseite P Preismoratorium Honorareinschränkungen Preisbildungsvorschriften Preisstop und Preisreduzierungen M Angebotsplanung niedergelassene Ärzte Krankenhausplanung Großgeräteplanung M, x, p Festlegung von Budgets Nachfrageseite P Selbstbeteiligung Wahlrecht der Kassen Beiträge M Wahlfreiheit der Leistungen Leistungskataloge Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) P Wettbewerb zwischen den Kassen Freie Wahl der Krankenkasse Wahlfreiheit Kosten- und Sachleistungsprinzip M Präventive Maßnahmen Informatorische Maßnahmen Veränderung des Leistungskataloges Eigenbeteiligung Beitragsrückerstattung Gesundheitsabgaben 3.3.1 Steuerungsinstrumente auf der Nachfrageseite (Kassen und Versicherte) Informatorische Instrumente Die Instrumente sollen ein preis- und kostenbewusstes Nachfrageverhalten der Versicherten, Patienten oder Kunden und ihrer Kassen fördern. Bei den Nachfragern soll insbesondere die Eigenverantwortung gesteigert werden. Ohne eine direkte Einwirkung und Spürbarkeit des Mehr- oder Minderkonsums wird die Eigenverantwortung aber nicht gesteigert werden können. In diesem Fall fehlt jegliche Information. Erhält der Kunde keine Information, kann er auch keine Änderung seines Verhaltens initiieren. Andreas Ohlmann Seite 17 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) Gesundheitsökonomie Eigenbeteiligung der Kunden (Selbstbeteiligung) • Absolute Selbstbeteiligung: die Kunden bezahlen bis zu einem vorgegebenen Betrag alle Ausgaben. Alle diesen Betrag übersteigenden Kosten werden von der Krankenversicherung erstattet. • Indemnitätsregelung 4 : Die Krankenkasse übernimmt für bestimmte Leistungen einen festen Betrag. Die darüber hinausgehenden Kosten trägt der Versicherte. • Prozentuale Selbstbeteiligung: Der Versicherte übernimmt einen bestimmten Prozentsatz der Behandlungskosten. Wahlfreiheit Kassen Der Kunde kann seine Krankenkasse nach eigenen Kriterien selbst wählen Wahl zwischen Kosten- und Leistungsprinzip Der Patient hat die Wahl sich die Kosten für eine Therapie erstatten zu lassen (z. B. Behandlung im Ausland) oder direkt die Behandlung gestellt zu bekommen. Abwahl Leistungen Freiheit des Versicherten, bestimmte Leistungen der Kassen von Vornherein auszuschließen, um dadurch einen geringeren Beitrag zu erzielen. Beitragsrückzahlung Wie bei den Privaten Krankenversicherungen wird nach § 65 SGB V 5 die Beitragsrückerstattung möglich, wenn Patienten keine oder wenige Leistungen in Anspruch genommen haben. Gesundheitsabgaben Für bestimmte Risikogruppen oder gesundheitsgefährdende Güter werden in einem Bonus-/Malussystem Abgaben erhoben bzw. Prämien gewährt 6 . 4 5 6 Zahlt eine Versicherung für eine Mengeneinheit einer beanspruchten Leistung einen bestimmten Festbetrag, liegt die Kostenbeteiligungsform der Indemnität (auch Festbetragsregelung) vor. Bezugsgrößen können z.B. Einzelleistungen, Behandlungsfälle oder Krankenhaustage sein. Kennzeichnend für die Indemnitätsregelung ist die Übertragung des Preisrisikos auf den Versicherungsnehmer. Fällt die Leistungsinanspruchnahme geringer aus als der angesetzte Festbetrag (d.h. die Leistung ist preiswerter als angenommen wurde), findet ein Nettotransfer statt. Liegt der angebotene Preis für die Leistung jedoch oberhalb des Festbetrags, muss der Versicherte den verbleibenden Restbetrag selbst tragen. Damit werden Anreize zur Wahl preisgünstiger Versorgungsformen geliefert. Alter Stand des SGB V. Der Artikel 65 wurde letztmalig mit Wirkung zum 01.01.2004 geändert. Die Regelung zur Beitragsrückerstattung befindet sich jetzt in dem neu eingefügten Paragraphen 65 a. siehe § 65 a SGB V Gesundheitsökonomie 3.3.2 3. Staatliche Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitsmarkt („Gesundheitspolitik“) Steuerungsinstrumente der Angebotsseite Planung Vertragsärzte Bedarfsorientierte Zulassung der Kassenärzte im niedergelassenen Bereich, Berücksichtigung der Institutszulassungen. Großgeräteplanung Die Planung und Zulassung von Großgeräten kann von einer Kommission zentral gesteuert werden. Preisbildung Mit Einführung des leistungsorientierten und pauschalierten Vergütungssystems nach DRG 7 sind die Preise im stationären und ambulanten Bereich 8 vergleichbar, werden Vollkosten mit Abschreibungen berücksichtigt und verrechnet ist die monistische Finanzierung erreicht. Honorareinschränkungen Die Entwicklung der Honorare der Zahn- und Kassenärzte kann an die allgemeine Entwicklung der Einkommen oder die beitragspflichtigen Einkommen gekoppelt werden. Positivliste/Negativliste Bestimmte Arzneimittelgruppen werden aufgelistet, die von den Kassen bei ärztlicher Verordnung automatisch erstattet werden. Andere Arzneimittel werden zur Sicherung der Qualität aufgelistet und von den Kassen nicht finanziert. Festbeträge Die Preise für Arzneimittel, Heil, und Hilfsmittel werden nur bis zum Festbetrag von den Kassen finanziert. Preisstopp, Preisreduzierungen Dieses Instrument wird bei Arzneimitteln eingesetzt, um Monopole an einer Abschöpfung des Marktes zu hindern. 7 8 Diagnosis Related Groups (kurz DRG, deutsch Diagnosebezogene Fallgruppen) ist ein Begriff aus dem Gesundheitswesen. Dabei handelt es sich um eine medizinisch-ökonomische Klassifizierung von Patienten einerseits nach medizinischen Kriterien (Organsystem, Ursache der Erkrankung), andererseits nach dem ökonomischen Ressourcenverbrauch für die Behandlung. Das deutsche DRG-System basiert ursprünglich auf dem Australischen DRG-Katalog und wurde zur Abrechnung von Krankenhausfällen ab 2003 eingeführt. Während in Australien und anderen Ländern mit ähnlichen Klassifikationssystemen die DRGs vor allem zur Bestimmung eines Globalbudgets für das Krankenhaus dienen, wurde es in Deutschland zur Abrechnung einzelner Krankenhausfälle und somit als Fallpauschalen-System eingeführt. Demnach wird das bisherige verweildauerbezogene Vergütungssystem für Krankenhausbehandlung nach der Anzahl der Behandlungstage, abgelöst durch ein fallbezogenes Vergütungssystem nach der Eingruppierung in eine DRG. Die Vergleichbarkeit mit dem Ambulanten Bereich wird allerdings erst mit Einführung des EBM 2000plus zum 01.04.2005 erreicht. Dieser enthält erstmals für operative Leistungen eine Zuordnung zu einem OPS-301-Schlüssel (Operationen- und Prozedurenschlüssel) Andreas Ohlmann Seite 19 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte 4. Gesundheitsökonomie Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte Nachfolgend Auszug aus dem Buch „Gesundheitsökonomie“ von Hajen/Paetow/Schumacher, Kohlhammer Verlag, 2000: Externalitäten und öffentliche Güter Externe Effekte (Externalitäten) entstehen, wenn mit der Produktion oder der Konsumption eines Gutes Nachteile oder Vorteile für Dritte verbunden sind, die nicht in den Kauf-, Produktions- und Verkaufsentscheidungen der unmittelbar Beteiligten berücksichtigt werden und deshalb Preisbildung und Marktgleichgewicht nicht beeinflussen. Es gibt negative und positive externe Effekte. Im ersten Fall gehen bestimmte Kosten nicht in die Marktbeziehungen ein, im zweiten Fall Erträge bzw. Nutzen. Typisches Beispiel für negative externe Effekte sind Umweltschädigungen oder Lärmemissionen. Positive externe Effekte finden sich z. B. bei der Nutzung frei veröffentlichter wissenschaftlicher Erkenntnisse oder bei Anbau und Pflege eines Waldes zur Holzproduktion, wenn damit zugleich ökologische (klimatische) und landschaftspflegerische (Tourismus) Ziele erreicht werden. Streng genommen gibt es keine Produktion und keinen Konsum ohne externe Effekte. Es geht immer nur eine begrenzte Anzahl von Kosten und Nutzen in die individuellen Kalkulationen ein. Liegen externe Effekte vor, so orientiert sich die wettbewerbliche Preisbildung an individuellen Kosten und Nutzen, die mit den volkswirtschaftlichen nicht übereinstimmen. Es entstehen verzerrte Anreize. Der Konsum orientiert sich nicht an der tatsächlichen Knappheit, weil diese in den Kosten bzw. in den Preisen nicht sichtbar wird. Bei negativen externen Effekten (externe Kosten) wird vom betroffenen Gut mehr hergestellt und konsumiert als bei Berücksichtigung dieser Kosten. Der Konsument kann einen Teil der tatsächlichen Kosten auf die Gesellschaft abwälzen. Bei positiven Externalitäten (externer Nutzen) wird zuwenig nachgefragt, weil nur der individuelle Nutzen nicht aber der Nutzen Dritter berücksichtigt wird. Im Extremfall, bei so genannten öffentlichen Gütern kann man niemanden davon ausschließen, von einem Gut zu profitieren, wenn es erst einmal produziert ist. So ist von einem Deich jeder geschützt, der hinter ihm wohnt, auch wenn er sich an den Kosten nicht beteiligt hat. Daher lohnt sich Trittbrettfahrerei und die individuellen Zahlungsbereitschaften sind in der Summe zu gering, um einen Deich zu finanzieren. Die Produktion würde also völlig unterbleiben, wenn man sich auf den Markt verlässt. Zwar könnte ein effizientes Gleichgewicht unter bestimmten Bedingungen auch erreicht werden, wenn Verursacher und Empfänger externer Effekte miteinander verhandeln würden (Coase-Theorem). Aber diese Bedingungen sind in der Realität selten erfüllt. Es dürfte meist schon nicht gelingen den Kreis der Betroffenen exakt einzugrenzen oder auf gemeinsame Ziele zu verpflichten. Oder die Transaktionskosten für die Anbahnung und Durchsetzung einer Verhandlungslösung sind prohibitiv hoch. Daher sind in den meisten Fällen staatliche Regelungen erforderlich, entweder in Form von Ver- und Geboten oder durch spezielle Abgaben und Steuern, mit denen die externen Kosten dem Verursacher auferlegt werden. Bei positiven Externalitäten, gerade bei öffentlichen Gütern, kann auch der Staat selbst die Produktion vornehmen oder sie durch Subventionen fördern. Gesundheitsökonomie 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte Externalitäten und öffentliche Güter bei Gesundheitsgütern Gesundheitsleistungen können zahlreiche positive externe Effekte aufweisen, die sie insofern in die Nähe von öffentlichen Gutem bringen, als diese Effekte nahezu nicht ausschließbar sind. Umgekehrt formuliert kann die Krankheit Einzelner Folgen für unmittelbar nicht betroffene Mitglieder der Gesellschaft oder für gesellschaftliche Institutionen haben, die die Gesellschaft nicht hinzunehmen bereit ist. • Impfungen, Behandlung von Infektionskrankheiten schützen im allgemeinen auch diejenigen Personen vor einer Infektion, die selbst nicht an einer Impfung oder an einer Behandlung teilgenommen haben. Diese Vorteile werden bei der individuellen Entscheidung über die Inanspruchnahme einer solchen Gesundheitsleistung nicht berücksichtigt. • Das Bewusstsein von der Existenz bzw. der Anblick von leidenden und hilfsbedürftigen Menschen löst bei den meisten Menschen unterschiedlich intensive Mitleids-, Angst- oder Abscheureaktionen hervor, die schwer zu ertragen oder zu verdrängen sind. Nicht zuletzt die Verwurzelung in christlich-abendländischen oder vergleichbaren Wertsystemen bewirkt, dass solche Reaktionen nicht durch gegenläufige Emotionen und Vorstellungen aufgewogen werden, die etwa Krankheit als selbstverschuldet, als Gottesstrafe etc. interpretieren oder die Differenz zwischen Krankheit anderer und eigener Gesundheit als positiv erleben oder sozialdarwinistisch bewerten. • Ein entsprechendes Wertesystem (Solidarprinzip) vorausgesetzt kann die Gesellschaft die Übernahme der Kosten von Krankheit nicht abweisen, sofern sie nicht individuell beglichen werden können. Krankheit kann insofern zu externen Effekten in Form von unvermeidlichen Einkommenstransfers führen, unabhängig davon, ob diese durch geeignete (Pflicht-)Versicherungssysteme, durch Solidaritätsstrukturen von Familien, Nachbarschaften bzw. Berufsständen oder etwa durch Mildtätigkeit organisiert werden. Krankheit führt daher zu einer erheblichen Umlenkung von Einkommensströmen in Form von unmittelbaren Therapiekosten, aber auch von Lohnfortzahlung, Renten etc.. • Da die Medizin zu einem erheblichen Teil „Erfahrungswissenschaft" ist, führt die Behandlung einer jeden Krankheit zur Erweiterung des medizinischen Erfahrungsschatzes und damit zur Fortentwicklung der Medizin. Dadurch entstehen positive Effekte zugunsten künftiger Patienten bzw. Patienten künftiger Generationen. • Krankheit einzelner ist immer auch eine Minderung menschlichen Humankapitals, d.h. der Verfügbarkeit von Arbeitskraft. Sie kann zur kostenintensiven Störung von Betriebsabläufen 9 , zu verringerter Wettbewerbsfähigkeit sowohl einzelner Betriebe als auch der Wirtschaft insgesamt, zu Steuerausfällen, Lohnfortzahlungen und überhaupt zur Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt und damit zu Einbußen auch für Gesunde führen. • Zunehmende Inzidenz von Krankheiten, etwa in Form von Epidemien, wachsenden Risiken für umwelt- oder arbeitsplatzbedingte Krankheiten kann das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Politik unterminieren und zu Loyalitäts- und Legitimitätskonflikten führen. 9 Produktionsausfälle durch Arbeitsunfähigkeit werden auf ca. 90 Mrd. DM jährlich geschätzt; Thiehoff 1994, 84 ff. Andreas Ohlmann Seite 21 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte Gesundheitsökonomie • Die Produktion von Gesundheitsleistungen ist relativ konjunkturstabil, wegen des hohen Dienstleistungsanteils beschäftigungsintensiv und wegen des hohen Innovationsanteils jedenfalls bei Medikamenten und Medizintechnik exportintensiv. Ein gesicherter Gesundheitsstand der Bevölkerung ist zudem ein gewichtiger Standortfaktor. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass für Gesundheitsgüter wegen zahlreicher externer Effekte nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich hohe Präferenzen anzunehmen sind. Betont werden sollte an dieser Stelle, dass dies unabhängig vom jeweiligen Finanzierungs- bzw. Versicherungssystem der Fall ist und insofern einen eigenständigen Regulierungsgrund darstellt, der auch bei geänderten Finanzierungsverfahren greifen würde. Externalitäten bei Versicherungen Externe Effekte treten in Form von Risikostreuung bei jedem einzelnen Versicherungsvertrag zugunsten der übrigen Versicherten auf. Dies ist geradezu der Zweck von Versicherungen und insofern zunächst nicht regulierungsbedürftig. Wegen der externen Effekte von Gesundheitsleistungen ist die Krankenversicherung in Deutschland als Pflichtversicherung ausgestaltet. Derartige Pflichtfinanzierungssysteme welcher Form auch immer reflektieren letztlich das politisch definierte Ziel, jedem Mitglied der Gesellschaft eine Gesundheitsmindest- oder auch -Vollversorgung unabhängig vom individuellen Einkommen zu sichern. Dem einzelnen ist insofern der Weg zu alternativen und u.U. individuell wirtschaftlicheren Finanzierungs- und Versicherungsformen versperrt. Er muss die Risiken aller Mitversicherten mittragen und insofern externe Effekte zu eigenen Lasten auch dann in Kauf nehmen, wenn dies für ihn individuell irrational ist. Marktprozesse, in denen der einzelne das im Rahmen der Versicherung gewählte Maß an solchen versicherungstypischen externen Effekte bestimmt, sind ausgeschlossen. Es wird also politisch bewusst und wohl unvermeidbar auf marktmäßige Anreize zur Begrenzung von Versicherungsleistungen verzichtet, so dass eine Regulierung des Leistungsumfangs aller überhaupt versicherten Leistungsbereiche erforderlich ist. Gesundheitsökonomie 4.1 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte Die Problematik externer Effekte = Auswirkungen des Handelns eines einzelnen Entscheidungsträgers auf die gesamte Gesellschaft (Volkswirtschaft), die aber von ihm selbst nicht getragen werden (von ihm bei seinem Handeln überhaupt nicht berücksichtigt werden). 4.2 Negative externe Effekte – externe Kosten 4.2.1 Auswirkungen Beispiel: Alkoholkonsum Volkswirtschaftliche Kosten des Alkoholkonsums /Alkoholismus: • Ausfall an Arbeitskraft geringeres Bruttoinlandsprodukt (BIP) • Geringere Leistungsfähigkeit • Höhere Fehlerquote (Ausschussquote, „Montagsauto“) • Ressourcenaufwand für Reha, Entzugsmaßnahmen • ... Volkswirtschaftliche Kosten des Alkoholkonsums - private, individuelle Kosten ( Marktpreis, Kaufpreis) = externe Kosten vom Entscheidungsträger bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigte volkswirtschaftliche Kosten. Auswirkungen anhand eines Modells: • Variablen: x = Alkohol vGK = volkswirtschaftliche Grenzkosten des Alkoholkonsums (Infinitesimal) pGK = private Grenzkosten des Alkoholkonsums = Verkaufspreis, Marktpreis konstanter Marktpreis für den Einzelnen N = Nutzen des Alkoholkonsums (individueller Nutzen; ausgedrückt durch die Zahlungsbereitschaft (Nachfrage des Einzelnen) • Modellannahmen: • vGK > Summe der privaten Grenzkosten; pGK ( • Summe der privaten Nutzen = volkswirtschaftlicher Nutzen ( ven externen Effekte) Andreas Ohlmann externe Kosten) keine positi- Seite 23 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte Gesundheitsökonomie vGK WE ME pGK N 0 v xopt xoptp ME ZE ME = Mengeneinheit WE = Werteinheit ZE = Zeiteinheit (1). Kalkül des einzelnen Entscheidungsträgers (Kosten-Nutzen-Kalkül) Wert/Nutzen einer private Kosten einer zusätzlichen ME zusätzlichen ME solange N > pGK Nachfragemenge AUSWEITEN N↓ ; pGK wenn N = pGK privates Optimum p tatsächlich nachgefragte Menge an x (Alkohol, Zigaretten) = xopt (2). Ermittlung der volkswirtschaftlich optimalen Menge Wert/Nutzen einer private Kosten einer zusätzlichen ME zusätzlichen ME solange N > vGK Nachfragemenge AUSWEITEN N↓ ; vGK↑ wenn N = vGK v volkswirtschaftliches Optimum; optimale Konsummenge xopt Gesundheitsökonomie 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte FAZIT: (1). Aus gesundheitsökonomischer Sicht wird „zuviel Alkohol getrunken“ xopt > xopt p v (2). Die gesundheitsökonomisch optimale Konsummenge an z. B. Alkohol, Zigaretten > 0 vollständiges Alkohol-, Tabakverbot wäre volkswirtschaftlich SUBOPTIMAL (siehe Prohibition) 4.2.2 Korrekturmöglichkeiten (1). Alternative: Rationierung v Die angestrebte Menge xopt wird so verteilt, dass jeder ein Kontingent erhält Summe v der Kontingente = xopt Beurteilung: ökonomisch ineffizient, persönliche Präferenzen können nicht berücksichtigt werden Lösung: „Quotentausch“ (2). Alternative: Internalisierung externer Kosten Korrektur durch eine Internalisierungssteuer = PIGOU-Steuer (z. B. „Ökosteuer“, Tabaksteuer, Branntweinsteuer, Steuer auf Alkopops (50 Cent), Biersteuer, Schaumweinsteuer (wurde 1916 eingeführt zur Finanzierung der kaiserlichen Marine)) gesucht: v Höhe der Steuer, die dazu führt, dass xopt zur tatsächlich realisierten Nachfragemenge wird. Problem der Umsetzung in der Praxis: N ist nicht bekannt vGK ist nicht bekannt ↳ Steuerbetrag kann nicht analytisch ermittelt werden Annäherungslösung: Herantasten durch Versuch und Irrtum (Trial and Error) ↳ politisch schwer durchsetzbar Andreas Ohlmann Seite 25 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte Gesundheitsökonomie Auswirkungen am Modell: vGK WE ME B pGK + Steuer Steuer pGK N 0 v xopt xoptp 4.3 Positive externe Effekte – externe Vorteile 4.3.1 Auswirkungen ME ZE Positive externe Effekte gesundheitsbewusstes Handeln eines Einzelnen führt zu positiven Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft: Volkswirtschaftliche Kosten von z. B. Nutzung von Bioprodukten: • geringerer Ausfall an Arbeitskraft höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) • höhere Leistungsfähigkeit • geringere Fehlerquote (geringere Ausschussquote, „Montagsauto“) • geringerer Ressourcenaufwand für Reha, Diätmaßnahmen • ... diese positiven externen Kosten werden vom Einzelnen nicht in die Entscheidung einbezogen Auswirkungen anhand eines Modells: • Variablen: x = Bioprodukte vGK = volkswirtschaftliche Grenzkosten von Bioprodukten (Infinitesimal) pKG = private Grenzkosten von Bioprodukten = Verkaufspreis, Marktpreis Gesundheitsökonomie 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte konstanter Marktpreis für den Einzelnen N = Nutzen von Bioprodukten (individueller Nutzen; ausgedrückt durch die Zahlungsbereitschaft (Nachfrage des Einzelnen) • Modellannahmen: • vGK = pGK ( • Summe der privaten Nutzen Npriv < Summe der volkswirtschaftlicher Nutzen Nv ( positive externe Effekte) keine externe Kosten) WE ME p GK = vGK B Npriv 0 p xopt Nv ME ZE v xopt ME = Mengeneinheit WE = Werteinheit ZE = Zeiteinheit p privates Optimum: xopt tatsächlich realistisch, nachgefragte Menge v volkswirtschaftliches Optimum: xopt FAZIT: Aus volkswirtschaftlicher Sicht werden zu wenig „Bioprodukte“ nachgefragt. p v xopt < xopt Andreas Ohlmann Seite 27 4. Marktversagen im Gesundheitswesen – externe Effekte 4.3.2 Gesundheitsökonomie Korrekturmöglichkeiten (1). Subventionierung von „Bioprodukten“ durch den Staat gesucht: v Der Subventionsbetrag, der dazu führt, dass xopt zur tatsächlich nachgefragten Menge wird: NV unbekannt Versuch und Irrtum (Trial and Error) (2). Durch gesundheitliche Aufklärung Versuch eine Verhaltensänderung herbeizuführen durch Aufklärung, Beratung, Information ... ) z. B. durch Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) Npriv nähert sich Nv an dauert lange, genaue Steuerung unmöglich (wie viele Werbespots, Zeitungsanzeigen sind notwendig) Auswirkungen am Modell: WE ME p GK = vGK Subvention B Npriv 0 p xopt v xopt pGK - Subvention Nv ME ZE Gesundheitsökonomie 5. 5. Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich (siehe Punkt 4 im Skript Struktur des Gesundheitswesens) 6. Ökonomische Verfahren zur Beurteilung der Gesundheitssysteme (Evaluierungsverfahren) 6.1 Kosten-Effektivität-Analyse Effektivität von Gesundheitstechnologien werden in PHYSISCHEN Einheiten gemessen, z. B. „gewonnene Lebensjahre“, auch: Blutdruckwerte, Cholesterinwerte, Blutzuckerwerte u. ä.. klinische Werte Kosten werden ausgedrückt in „Netto-Kosten“ Gesamtkosten der Technologie - vermiedene Krankheitskosten = Nettokosten (vermiedene Krankheit, vermiedener Verdienstausfall volkswirtschaftliche Kosten) Kosten–Effektivitäts-Quotient (KEQ) KEQ = Gesamtkosten der Techno log ie − vermiedene Krankheitskosten gewonnene Lebensjahre KEQ = Nettokosten gewonnene Lebensjahre Probleme/Kritik: Zurechnung einer längeren Lebenserwartung auf bestimmte Technologien ist schwierig Ermittlung der vermiedenen volkswirtschaftlichen Krankheitskosten ist schwierig bzw. unmöglich Ermittlung der Nettokosten ist schwierig bzw. unmöglich. Keine Berücksichtigung der subjektiven Lebensqualität der gewonnenen Lebensjahre Lösung: Weiterentwicklung zur Kosten-Nutzwert-Analyse Andreas Ohlmann Seite 29 6. Ökonomische Verfahren zur Beurteilung der Gesundheitssysteme (Evaluierungsverfahren)Gesundheitsökonomie 6.2 Kosten-Nutzwert-Analyse Bewertung der Veränderung des Gesundheitszustandes durch Maßgrößen der Lebensqualität. Health Related Quality of Life: HRQL Beispiel: Patientenbefragungen, Befragung potenzieller Patienten 3 Lebensjahre, die durch entsprechende Maßnahmen „gewonnen“ werden, werden mit einem Faktor von z. B. 0,5 gewichtet QALY-Maß (Quality adjusted Life years): 3 * 0,5 = 1,5 Jahre (Faktor kann auch > 1 sein) Modifikation des KEQ KEQ = Nettokosten QALY (bewertete gewonnene Lebensjahre) Probleme/Kritik: Schwierigkeit der subjektiven Bewertung von Lebensqualität ethisch-moralische Bedenken gegen die Bewertung von Lebensjahren 6.3 Kosten-Nutzen-Analyse Einführung einer Technologie/Verfahrens lohnend, wenn Nutzen > Kosten | Nutzen >1 Kosten Bewertung des Nutzens: bewertet durch die VERMIEDENEN Kosten einer Erkrankung („kostentheoretischer Ansatz“) bewertet durch ZAHLUNGSBEREITSCHAFT der Patienten („willingness-to-pay-Ansatz) Probleme/Kritik: Zahlungsbereitschaft ist dort kein verlässlicher Indikator, wo GKV 10 die Kosten übernimmt dort wo die GKV die Kosten nicht übernimmt: Problem der Zahlungsfähigkeit ethisch-moralische Bedenken 10 GKV = gesetzliche Krankenversicherung