Positive Lebensbedingungen gestalten durch Jugendsozialarbeit

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SONDERDRUCK
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers entnommen aus „Jugend Beruf Gesellschaft“ Heft 1/99 der BAG JAW.
Positive Lebensbedingungen gestalten durch Jugendsozialarbeit
Ziele, Inhalt und Umfang von Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII im Rahmen des
Gestaltungsauftrages des SGB VIII, insbesondere des § 1 Abs. 3
Roland Proksch
Ausgangssituation
Soziale Integration und berufliche Perspektiven sind entscheidende Faktoren für eine selbständige und
eigenverantwortliche Lebensführung und für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Die
Förderung und Unterstützung der sozialen und individuellen Integration junger Menschen ist eine
existentielle gesellschaftliche Notwendigkeit. Insoweit sind die gesellschaftlichen Interessen und die
Interessen der einzelnen jungen Menschen wechselseitig aufeinander bezogen. Damit gewinnen
entsprechende Hilfen und Unterstützung für junge Menschen zentrale individuelle wie
gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Mit der Normierung der Jugendsozialarbeit in § 13 SGB VIII als
sozialpädagogische „Leistungsaufgabe“ der Jugendhilfe (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII) setzte der
Gesetzgeber diese Erkenntnis in einen differenzierten Hilfekatalog in den für die Entwicklung und
Erziehung junger Menschen maßgeblichen Bereichen ihres Lebens um. Basierend auf einem
ganzheitlichen Konzept von Hilfen und Unterstützung übernimmt Jugendsozialarbeit im Rahmen der
Jugendhilfe Anwaltsfunktion für die Betroffenen (Fülbier, Jugendsozialarbeit, in: Kreft/Mielenz, Wörterbuch
Soziale Arbeit, 4. Auflage, Weinheim/Basel 1996, 329).
§ 13 SGB VIII schafft für die Kinder- und Jugendhilfe erstmals eine eigenständige gesetzliche Grundlage
der Jugendsozialarbeit als Pflichtaufgabe der Jugendhilfe (vgl. § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII),
gleichwertig neben der Jugendarbeit (§ 11) und dem erzieherischen Kinder- und Jugendschutz (§ 14).
Jugendsozialarbeit hat mit den Regelungen in § 13 SGB VIII eine für die öffentliche Jugendhilfe
verpflichtende inhaltliche Normierung erhalten. Die offene Formulierung der Hilfen wie der Zielsetzung von
Jugendsozialarbeit in § 13 SGB VIII läßt ausreichend Raum für ihre rechtliche und fachliche
Weiterentwicklung. Die Ermächtigung des Landesgesetzgebers gemäß § 15, das Nähere über Inhalt und
Umfang von Aufgaben und Leistung auch der Jugendsozialarbeit zu regeln, schafft für die Länder die
Verpflichtung, die Regelungen inhaltlich so auszufüllen, daß die konkrete Leistungserbringung gemäß dem
jeweils nachgefragten Bedarf vor Ort und die (vor allem finanzielle) Förderung gesichert sind. Die
Kommunen schließlich sind verpflichtet, die aus den konkreten Lebenslagen der jungen Menschen
erwachsenden Bedürfnisse gemäß § 13 SGB VIII für ihren Gebietsbereich zu erfüllen.
Selbstverständnis der Jugendsozialarbeit
Jugendsozialarbeit ist die auf Umwelt, Schule, Ausbildung und Beruf bezogene sozialpädagogische Hilfe
und Unterstützung junger Menschen. Ihre Handlungsfelder umfassen Schulsozialarbeit, Berufsausbildung,
Berufsvorbereitung, Qualifizierungs- und Beschäftigungsprojekte, Jugendwohnen, mädchen- und
jungenspezifische Ansätze, Migrationshilfen für junge AussiedlerInnen, aufsuchende Jugend- und
Jugendsozialarbeit und berufsbezogene internationale Austauschmaßnahmen (vgl. BBJ Consult,
Handbuch für Träger der Jugendsozialarbeit, Berlin 1995, 21ff.; Kinder- und Jugendprogramm der
Bayerischen Staatsregierung, Fortschreibung 1998, 72ff.). Im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen vom
20.10.1998 hat die neue Bundesregierung eine Reihe von Vorhaben vorgesehen, mit denen Jugendlichen
bessere Chancen für ein selbstbestimmtes Leben eröffnet werden sollen. Dazu gehört in erster Linie die
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, Eröffnung von mehr Beteiligungsmöglichkeiten, Mädchenarbeit
und emanzipatorische Jugendarbeit, Verstärkung der Zusammenarbeit Jugendhilfe und Schule, gezielte
Integration junger AussiedlerInnen und der bei uns lebenden ausländischen Jugendlichen, Intensivierung
des internationalen Jugendaustauschens vor allem mit Südosteuropa.
Ihr Ziel ist die Förderung der schulischen und beruflichen Ausbildung, die Eingliederung in die Arbeitswelt
und die soziale Integration von in diesen Bereichen benachteiligten jungen Menschen. Jugendsozialarbeit
soll zu mehr Chancengleichheit verhelfen und dazu beitragen, daß die betroffenen jungen Menschen am
wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und am politischen Leben der Gesellschaft teilhaben und
teilnehmen können.
Jugendsozialarbeit steht mit diesem Selbstverständnis zwischen individuell ausgerichteten Hilfen (vor allem
den Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27ff. SGB VIII) und allgemeinen, sich an alle jungen Menschen
richtende Angebote wie z.B. der Jugendarbeit (§ 11 SGB VIII).
Mit seinen - nach Abs. 1-3 - verschiedenartigen Angeboten zur schulischen und beruflichen Ausbildung,
zur Eingliederung in die Arbeitswelt und zur sozialen Integration sozial benachteiligter oder individuell
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beeinträchtigter junger Menschen weist § 13 SGB VIII auf den zentralen Inhalt dieses Arbeitsfeldes hin
und grenzt ihn damit gleichzeitig von anderen Hilfen - z.B. nach §§ 11, 14, 17 ff., 41 SGB VIII ab: Es geht
um sozialpädagogische, vor allem aber um berufs- und arbeitsweltbezogene (Integrations-)Hilfen für junge
Menschen (vgl. Münder 1995, 9 ff.; Proksch 1988, 369), die aus sozialen oder persönlichen Gründen Hilfe
und Unterstützung benötigen, um die individuellen und gesellschaftlichen Anforderungen an sie bewältigen
bzw. erfüllen zu können (vgl. Breuer 1965; Faltermeier 1997, 530; Mollenhauer 1990, 64).
Wenn es bei Jugendsozialarbeit - auch historisch (vgl. Faltermeier 1997, 530; Münder 1995, 9f.) - ganz
wesentlich um berufs- und arbeitsweltbezogene Hilfen zur schulischen und beruflichen Bildung,
Berufsvorbereitung und Beschäftigung für von Ausbildungsnot und Arbeitslosigkeit bedrohte junge
Menschen geht, die gerade heute wieder bzw. immer noch hoch aktuell (geblieben) sind, so erfassen diese
Hilfen - oft verkürzend lediglich als „Jugendberufshilfen" bezeichnet (vgl. Riemele/Petzold 1987, 21ff.;
Wiesner § 13 Rz 1) - doch nicht den gesamten Umfang von Jugendsozialarbeit. Sie zielt vielmehr mit ihren
Hilfen nach Abs. 1-3 auf die Handlungsfelder Jugend und Schule, Jugend und Ausbildung, Jugend und
Arbeit, Jugend und Wohnen und Jugend und gesellschaftliche Eingliederung zur ganzheitlichen Förderung
(der Selbständigkeit) und der Integration junger Menschen gemäß § 1 Abs. 1 SGB VIII.
Jugendsozialarbeit ist damit über den Erziehungsauftrag der Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG hinaus
auch auf den Erziehungsauftrag der Schule gemäß Art. 7 GG sowie auf die Sozialisationsfunktion von
beruflicher Bildung und die Integration in den Arbeitsmarkt bezogen (Wiesner § 13 Rz 1).
Jugendsozialarbeit ist also nicht nur bei (überdurchschnittlicher) Jugendarbeitslosigkeit und nicht nur für
besonders benachteiligte Gruppen aufgerufen, Angebote zur beruflichen und sozialen Integration
sicherzustellen. Mangelhafte Ausbildung und Arbeitslosigkeit bedeuten generell für junge Menschen die
Gefährdung ihrer Erziehung und Entwicklung nach § 1 Abs. 1 SGB VIII. Sie bedeuten ferner den
Ausschluß und die Ausgrenzung von ökonomischer und sozialer Teilhabe, damit soziale Benachteiligung
und soziale Desintegration i.S. des § 13 Abs. 1 SGB VIII.
Angebote der Jugendsozialarbeit haben für die Förderung der Entwicklung und Erziehung junger
Menschen sowie für ihre soziale Integration und ihre beruflich-ökonomische Eingliederung einen zentralen
Stellenwert, und zwar unbeschadet demographischer oder ökonomischer Entwicklungen.
Jugendsozialarbeit ist verbunden und eingebunden in die Jugendhilfe. Sie ist eingebunden in die
allgemeinen Rahmenbedingungen der Rechts-, Träger- und Finanzstrukturen. Jugendsozialarbeit geht
jedoch über die Zuständigkeit der Jugendhilfe hinaus. Die Verantwortung auch anderer Institutionen für
Jugendsozialarbeit wird deutlich in der Formulierung des § 13 Abs. 1 SGB VIII, der von den Angeboten der
Jugendsozialarbeit „im Rahmen der Jugendhilfe" spricht. Das Verhältnis der Jugendhilfe zu anderen
Institutionen wie der Arbeitsverwaltung und der Schule wird durch den auch in der Jugendhilfe
maßgeblichen Grundsatz des Nachranges geprägt. Jugendsozialarbeit nach § 13 Abs. 1 SGB VIII bildet
ein wesentliches Scharnier zwischen den traditionellen Bereichen allgemeiner Jugendförderung und
individueller Erziehungshilfen im Rahmen der Jugendhilfe und auch der Angebote der Arbeitsverwaltung
nach dem AFG. Jugendsozialarbeit kann beides sein - allgemeine Förderung und individuelle Hilfe junger
Menschen (vgl. Wabnitz/Streichan, 1996, 182ff.).
Rechtsanspruch der Betroffenen - Gestaltungsverantwortung der Jugendhilfe
§ 13 Abs. 1 SGB VIII benennt allgemeine sozialpädagogische Hilfen, deren Ziele die Förderung der
schulischen und beruflichen Ausbildung, die Eingliederung in die Arbeitswelt und die soziale Integration
von in diesen Bereichen benachteiligten jungen Menschen ist. Diese allgemeinen sozialpädagogischen
Hilfen sind als „Soll“- Leistungen normiert. Danach sind die öffentlichen Träger der Jugendhilfe
grundsätzlich verpflichtet, die entsprechenden Leistungen anzubieten und im konkreten Nachfragefall zu
erbringen (vgl. Münder u.a., Vor Kap 2, Rz 8). Das bedeutet, daß junge Menschen, die die
Voraussetzungen der Vorschrift erfüllen, einen „Regel-Rechtsanspruch“ auf entsprechende Leistungen
haben.
Allerdings zeigt sich hier das Dilemma von „harten Rechtsansprüchen auf weiche Leistungen": Zwar
besteht regelmäßig gerade auch bei Soll-Vorschriften ein Rechtsanspruch auf Leistungen, jedoch sind die
Leistungen in Abs. 1 nur sehr weit und sehr allgemein als „sozialpädagogische Hilfen" beschrieben.
In Abs. 2 ist das Leistungsprofil zwar konkret beschrieben, jedoch ist die Leistungsverpflichtung des
öffentlichen Trägers in Form einer „Kann-Bestimmung" ausgestaltet. Die Träger haben also nach
pflichtgemäßem Ermessen (§ 39 SGB I) zu entscheiden. Damit hängt die Entscheidung über den Umfang
der Betätigung der öffentlichen Jugendhilfeträger bei der Zurverfügungstellung konkreter sozialpädagogisch begleiteter eigener Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen vom finanziellen und
sozialpädagogischen Gestaltungswillen der öffentlichen Träger ab. Sie sind deshalb besonders gefordert,
den gesetzgeberischen Willen in die Praxis umzusetzen.
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In Abs. 3 schließlich folgt ebenfalls auf eine konkrete Leistungsbeschreibung mit der „Kann“-Regelung eine
Ermächtigung an den öffentlichen Jugendhilfeträger, die Entscheidung pflichtgemäßen Ermessens zu
treffen.
Für die Ausfüllung der in § 13 Abs. 1–3 SGB VIII (nur) allgemein normierten Tatbestandvoraussetzungen
sowie für die Entscheidungen auf der Rechtsfolgeseite sind die Grundsätze der §§ 1, 2 SGB I
heranzuziehen. Danach sind bei der Auslegung von Vorschriften des SGB (also auch des SGB VIII) die in
§§ 3ff. SGB I normierten sozialen Rechte zu beachten. Dabei ist sicherzustellen, „daß die sozialen Rechte
möglichst weitgehend verwirklicht werden" (§ 2 Abs. 2 2. Halbsatz SGB I). In diesem Zusammenhang
gewinnt zusätzlich die Regelung in § 1 Abs. 3 SGB VIII erhebliche Bedeutung. Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1
und Nr. 4 SGB VIII soll Jugendhilfe zur Verwirklichung des Rechts junger Menschen auf Förderung ihrer
Entwicklung und auf Erziehung „junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern
und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen“ und „dazu beitragen, positive
Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche
Umwelt zu erhalten oder zu schaffen“.
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 SGB VIII nennt - nicht abschließend („insbesondere“) - zentrale Ziele, die die
Jugendhilfe in Realisierung der in Absatz 1 genannten Vorgaben verfolgen „soll“. Durch die vom
Gesetzgeber ausdrücklich aufgenommene Bezugnahme auf Absatz 1 wird der umfassend zielbezogene
Handlungsansatz der Jugendhilfe deutlich. Der Beitrag, den Jugendhilfe zur Verwirklichung des Rechts auf
Erziehung leisten soll, wird auf (mindestens) vier Stufen konkretisiert, die miteinander in Verbindung stehen.
Auf der ersten Stufe geschieht dies durch die in § 1 Abs. 3 SGB VIII normierten generellen und für alle
Maßnahmen der Jugendhilfe gültigen Leitziele, auf der zweiten Stufe durch die Festlegung eines
umfassenden Aufgabenkataloges gemäß § 2 SGB VIII, auf der dritten Stufe durch die konkreten
Leistungsnormen selbst (hier also des § 13 SGB VIII) und auf der vierten Stufen, sozusagen flankierend,
durch die Vorschriften zur Pflicht zur Jugendhilfeplanung gemäß §§ 79, 80 SGB VIII und zur Kooperation
mit den in § 81 SGB VIII genannten anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen.
Die Formulierung der Ziele in Absatz 3 zeigt die gesamte konzeptionelle Bandbreite von Jugendhilfe: von
der bloßen Reaktion auf soziale Problemlagen (Benachteiligungen vermeiden oder abbauen) bis hin zur
aktiven Gestaltung positiver Lebensbedingungen für junge Menschen („beitragen“, „ erhalten“, „schaffen“).
Als Auslegungsmaxime und Leitnorm bindet die „Soll“-Vorschrift die (Auslegung-) Tätigkeit und die
Entscheidungspraxis der Jugendhilfe. Die in Absatz 3 der Jugendhilfe aufgetragene (aktive) Verwirklichung
des Rechts junger Menschen auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung heißt, daß in den
beispielhaft genannten Situationen und dort, wo es um die Gestaltung positiver Lebensbedingungen geht,
Jugendhilfe die auf der Stufe 3 in der maßgeblichen Leistungsnorm, hier des § 13 SGB VIII, vorgesehene
Hilfe und Unterstützung grundsätzlich erbringen muß.
Die in § 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII geforderte Förderung der individuellen und sozialen Entwicklung junger
Menschen wie der in § 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII der Jugendhilfe aufgegebene Beitrag zur Schaffung und
zur Erhaltung positiver Lebensbedingungen betrifft zwar überwiegend Aspekte, die außerhalb des
Handlungsspektrums der Jugendhilfe liegen. Gleichwohl ist die Jugendhilfe dabei nicht außerhalb jeglicher
Verantwortung. Vielmehr wird dadurch ganz konkret eine offensive Jugendhilfe als Querschnittsarbeit
eingefordert, also das aktive Hineinwirken in andere Politikfelder im Interesse der jungen Menschen.
Darüber hinaus wird die Jugendhilfe hier insbesondere gefordert, in die jeweiligen Handlungsfelder aktiv
mitgestaltend einzuwirken, die für junge Menschen besonders prägend sind wie Schule, Ausbildung,
Arbeitsmarkt, Beschäftigung, Wohnen und Freizeit. Hier handelt es sich nicht nur um Querschnittspolitik,
sondern um die offensive Erweiterung originären Handelns der Jugendhilfe und um ihre Einmischung in alle
prägenden Lebensfelder junger Menschen (vgl. Mielenz, NP, Sonderheft 6(1981), 57ff.). Die bewußt weite
und offene Formulierung des Absatz 3 gibt damit der Praxis der Jugendhilfe die Möglichkeit, sich offensiv
für die jungen Menschen innerhalb der Jugendhilfe und darüber hinausgehend zu engagieren. Der
Jugendhilfe wird dadurch eine „besondere Anwaltsfunktion“ (Wiesner § 1 Rz 41) zugewiesen, die
Interessen junger Menschen sowohl in der Jugendhilfe selbst wie auch gegenüber anderen Behörden
offensiv zu vertreten (Münder u.a., § 1 RZ 30).
Konsequenzen für die Gestaltung der Jugendsozialarbeit
Bei der Entwicklung und dem Angebot von Maßnahmen und Leistungen der Jugendsozialarbeit haben die
Träger der öffentlichen Jugendhilfe in ihrer Gesamtverantwortung für die rechtzeitige und ausreichende
Zurverfügungstellung erforderliche und geeignete Angebote (§ 79 SGB VIII), ihrer Planungsverantwortung
(§ 80 SGB VIII) und ihrer über Abs. 4 hinausgehender Kooperationspflicht (§ 81 SGB VIII) Rechnung zu
tragen, und zwar im Sinne einer offensiven Handlungs-/Einmischungsstrategie (BMJFFG 1990, 78ff., 128f.;
Mielenz 1981) zur Verwirklichung der Jugendhilfe als Querschnittspolitik (BMJFFG 1990, 78f.) und der
Jugendsozialarbeit als Querschnittsaufgabe (vgl. Fülbier/Schnapka a.a.O, 278) und zur Erreichung der in §
1 SGB VIII, dort vor allem in Abs. 3 Nr. 4 vorgegebenen Ziele der Jugendhilfe.
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Die Angebote der Jugendsozialarbeit müssen also entsprechend den Notwendigkeiten der schulischen,
beruflichen und sozialen Unterstützung junger Menschen durch die Jugendhilfe bedarfs- und praxisgerecht
ausgestaltet werden. Ihre Einbindung in andere Verantwortungsbereiche als der Jugendhilfe muß deutlich
werden. § 13 SGB VIII ist dabei Ausdruck eines ganzheitlichen Konzepts der Förderung junger Menschen,
in dem die Aufgaben verschiedener Sozialisationsinstanzen, wie der Eltern, der Schule, der beruflichen
Bildung und des Beschäftigungssystems koordiniert, ergänzt und im Einzelfall durch integrative Angebote
von Erziehung, Bildung und Ausbildung ersetzt werden können.
In Abgrenzung zur Jugendarbeit wendet sich Jugendsozialarbeit nicht an alle, sondern nur an solche junge
Menschen, die im Prozeß der beruflichen und sozialen Integration „in erhöhtem Maß auf Unterstützung
angewiesen sind" (Abs. 1), also mehr als durchschnittliche Förderungs- und Vermittlungsbemühungen in
Ausbildung, Beruf und soziale Integration bedürfen. Mit der Jugendarbeit gemeinsam ist der
Jugendsozialarbeit der arbeitsweltbezogene Ansatz und das Ziel der beruflichen und sozialen Integration
(vgl. § 11 Absatz 1 und Absatz 3 Nr. 3 SGB VIII).
Mit der Hilfe zur Erziehung verbindet Jugendsozialarbeit die Ausrichtung auf Jugendliche, „deren
Entwicklung ohne besondere Hilfen gefährdet wäre" (Mollenhauer 1990, 64). Von der Hilfe zur Erziehung
unterscheidet sich Jugendsozialarbeit vornehmlich dadurch, daß „die Gründe, die den Entwicklungsprozeß
behindern, weniger individuelle als gesellschaftlich bedingte Gründe sind" (Mollenhauer 1990, 64).
Jugendsozialarbeit hat daher nicht ein Erziehungsdefizit zum Gegenstand, sondern die gesellschaftliche
Integration junger Menschen, die in erhöhtem Maß auf Unterstützung angewiesen sind. Im Gegensatz zu
den personenbezogenen Voraussetzungen des § 13 SGB VIII (soziale Benachteiligung, individuelle
Beeinträchtigungen) fordert Hilfe zur Erziehung nach §§ 27ff. SGB VIII, daß eine dem Wohl des jungen
Menschen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist. Dies ist dann gegeben, wenn die Erziehung
„defizitär" ist. Damit ist die Schwelle zur Leistungserbringung und für den damit verbundenen
Rechtsanspruch der Personensorgebrechtigten nach §§ 27 ff. SGB VIII höher als bei § 13 SGB VIII
angesetzt. Wird ein erzieherischer Bedarf minderjähriger Personen im konkreten Einzelfall bejaht, so
besteht ein zwingender Rechtsanspruch der Personensorgeberechtigten auf Hilfe zur Erziehung nach §§
27ff. SGB VIII, der einer Leistung nach § 13 SGB VIII vorgeht. Nach § 27 Abs. 3 SGB VIII gehört auch die
sozialpädagogisch begleitete Ausbildung und Beschäftigung junger Menschen zur Hilfe zur Erziehung.
Damit besteht in den Fällen des § 27 SGB VIII ein zwingender Rechtsanspruch auf entsprechende
Leistungen der Jugendsozialarbeit, wenn diese die geeigneten und notwendigen Hilfen im Rahmen von
Hilfe zur Erziehung sind. Die Verbindung der Hilfen für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) zur
Jugendsozialarbeit regelt § 41 Abs. 1 SGB VIII dahin, daß einem jungen Volljährigen entsprechende Hilfen
gewährt werden sollen, „wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen
Menschen notwendig ist" (§ 41 Abs. 1, Abs. 2 SGB VIII). Diese Hilfe für junge Volljährige ist auch in ihrer
Verbindung mit der Jugendsozialarbeit eine besondere Hilfeform. Sie soll dem Rechnung tragen, daß für
junge Menschen auch nach ihrer Volljährigkeit Hilfebedarf bestehen kann, die mit den Methoden und
Mitteln der sozialpädagogischen Jugendhilfe, insbesondere auch der Jugendsozialarbeit, am besten
bearbeitet werden können (vgl. Münder u.a. Vor § 27 Rz 20ff.; § 41 Rz 1, 8 SGB VIII). Angesichts der
Erfahrung, daß TeilnehmerInnen von Maßnahmen der Jugendsozialarbeit immer häufiger
Persönlichkeitsdefizite aufweisen, erweist sich eine Abgrenzung von Maßnahmen nach §§ 13 und 41 oft
als schwierig. Häufig werden die Voraussetzungen beider Vorschriften vorliegen (vgl. die grundsätzlichen
Empfehlungen zur Jugendsozialarbeit der BAG LJÄ vom Oktober 1992).
Zielgruppen von Jugendsozialarbeit
§ 13 SGB VIII wendet sich an „junge Menschen“ (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Diese altersmäßige
Ausdehnung der Hilfezuständigkeit der Jugendhilfe erleichtert die Abgrenzung zu den Hilfen nach § 72
BSHG, die nachrangig sind (§ 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Die Hilfen zielen auf junge Menschen mit
„sozialen Benachteiligungen" oder „individuellen Beeinträchtigungen". Die Begriffe sind weit gefaßt und
daher extensiv auszulegen. Insbesondere mit Blick auf die jungen Menschen in den neuen Bundesländern
sind Aufgaben und Zielgruppen der Jugendsozialarbeit so zu interpretieren, daß die Benachteiligungen der
dort lebenden jungen Menschen durch den dramatischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Strukturwandel ausgeglichen werden können.
Junge Menschen mit sozialen Benachteiligungen sind solche mit defizitärer Sozialisation in den Bereichen
Familie, Schule und Ausbildung, Berufsleben und sonstige Umwelt. Dazu zählen insbesondere durch das
soziale Umfeld, die ökonomische Situation, familiäre Konstellationen und Situationen, defizitäre Bildung
oder durch das Geschlecht, die ethnische oder kulturelle Herkunft bedingte Benachteiligungen (zur
Begriffsproblematik und zum Versuch einer Definition vgl. Riemele/Petzold 1987, 27ff.; Wabnitz/Streichan
1995, 148). Soziale Benachteiligungen werden immer dann vorliegen, wenn die altersgemäße
gesellschaftliche Integration nicht wenigstens durchschnittlich gelungen ist, insbesondere bei Haupt- und
Sonderschülern ohne Schulabschluß, Absolventen eines Berufsvorbereitungsjahres, Abbrechern von
Maßnahmen der Arbeitsverwaltung, Abbrecherinnen und Abbrecher schulischer und beruflicher
Bildungsgänge, Langzeitarbeitslosen, jungen Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, junge
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Menschen mit Sozialisationsdefiziten, jungen Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten; bei
ausländischen jungen Menschen und AussiedlerInnen (mit Sprachproblemen) auch dann, wenn ihre
schulischen Qualifikationen höher als der Hauptschulabschluß liegen; schließlich bei jungen Menschen mit
mißlungener familiärer Sozialisation und durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen benachteiligte
Mädchen und jungen Frauen (vgl. Furth/Lehning 1990, 65ff.; Wabnitz/Streichan, a.a.O.).
Individuelle Beeinträchtigungen sind alle psychischen, physischen oder sonstigen persönlichen
Beeinträchtigungen individueller Art (z.B. Abhängigkeit, Überschuldung, Delinquenz, Behinderung, aber
auch wirtschaftliche Benachteiligung). Dazu zählen insbesondere Lernbeeinträchtigungen, Lernstörungen,
-schwächen, Leistungsbeeinträchtigungen, -störungen, -schwächen, Entwicklungsstörungen. Sie sind
regelmäßig gegeben bei jungen Menschen in „erschwerter Lebenslage", deren Entwicklung aufgrund der
genannten Probleme, Behinderungen oder Störungen gefährdet und deren Erziehung und (Aus-) Bildung
deshalb beeinträchtigt ist (vgl. Erath 1990, 76 und 79f. m.w.N.). Es geht also um Personen, die ohne
besondere Hilfe keinen angemessenen Zugang zur Arbeitswelt finden und ihre berufliche wie gesellschaftliche Eingliederung allein nicht schaffen (können).
Diese jungen Menschen sind in erhöhtem Maß auf Unterstützung angewiesen, wenn sie im Vergleich zu
durchschnittlich entwickelten jungen Menschen in darüber hinausgehender Weise Unterstützung und Hilfe
benötigen, um die in § 13 Abs. 1 SGB VIII benannten Ziele (schulische und berufliche Ausbildung, Eintritt
in die Arbeitswelt, soziale Integration) erreichen zu können.
Entsprechend dieser Einschränkung der Zielgruppen von Jugendsozialarbeit nach Abs. 1 richten sich auch
die in Abs. 2 genannten Angebote nicht an alle ausbildungs- und beschäftigungslosen jungen Menschen,
sondern nur an die in Abs. 1 beschriebene Gruppe junger Menschen. Dieser Bezug wird durch den
Einschub „diese jungen Menschen" hergestellt.
Demgegenüber ist in Abs. 3 als Voraussetzung für die Leistungen der Jugendsozialarbeit keine soziale
Benachteiligung und/oder individuelle Beeinträchtigung Voraussetzung. Voraussetzung ist nur, daß die
jungen Menschen an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen oder an beruflichen
Eingliederungshilfen teilnehmen. Die insoweit einschränkende Auslegung von § 13 Abs. 3 durch Wiesner (
Wiesner § 13 Rz 16 ) ist abzulehnen. Sie ist aus dem Gesetzestext wie auch aus dem Sinnzusammenhang
nicht abzuleiten. Dem steht nicht entgegen, daß sich Abs. 3 an dem in Abs. 1 beschriebenen
Personenkreis orientiert. Jedoch ist Abs. 3 nicht ausschließlich auf diesen in Abs. 1 beschriebenen
Personenkreis bezogen.
Angebote von Jugendsozialarbeit
Die Angebote nach Abs. 1 betreffen - allgemeine - sozialpädagogische Hilfen, deren (Fern-) Ziele die
Förderung und Unterstützung der schulischen, beruflichen Ausbildung, die Eingliederung in die Arbeitswelt
und die soziale Integration junger Menschen ist. Sie müssen nicht unmittelbar berufsbezogen sein,
sondern nur als Ziel die Förderung der schulischen Ausbildung, der beruflichen Ausbildung, der
Eingliederung in die Arbeitswelt, der Beschäftigung und der sozialen Integration haben. Die Angebote in
Abs. 2 gehen über die Angebote sozialpädagogischer Hilfen nach Abs. 1 hinaus bzw. ergänzen diese um
konkrete sozialpädagogisch orientierte eigene Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen der
Jugendhilfe selbst, soweit die Ausbildung dieser jungen Menschen nicht durch Maßnahmen und
Programme anderer Träger und Organisationen sichergestellt wird. Damit stellt das Gesetz klar, daß
Jugendsozialarbeit auch dafür zuständig ist, „geeignete Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen für
benachteiligte Jugendliche selbst zur Verfügung zu stellen" (Begründung RegE KJHG BT-Drs. 11/5948,
55). Dies gilt in besonderer Weise für junge Menschen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz im dualen
Ausbildungssystem finden können und auch von anderen öffentlich geförderten Programmen nicht erreicht
werden. Diese
Maßnahmen können in Hilfen zur Erziehung integriert (§ 27 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) bzw. als Hilfen für
junge Volljährige ausgestattet werden (§ 41 Abs. 3 i.V.m. § 27 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII; zum Nachrang vgl.
§ 10 Abs. 1 SGB VIII).
Die Angebote nach Abs. 3 Satz 1 dienen der Unterstützung der jungen Menschen „während der Teilnahme
an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen oder bei der beruflichen Eingliederung“ durch die
Gewährung von „Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen“. Als Zielgruppe kommen dabei
alle jungen Menschen in Betracht, die an Maßnahmen zur Berufsvorbereitung, Ausbildung, Fortbildung und
Umschulung teilnehmen, die sich in anderen Qualifizierungs- oder Arbeitsprozessen befinden oder die
arbeitslos sind ( vgl. BBJ 1995, 39 ). Sozialpädagogisch begleitete Wohnformen sind z.B. kommunale
Jugendwohnungen, betreutes Jugendwohnen, Angebote von Jugendwohngruppen oder
Jugendwohngemeinschaften sowie Lehrlings- und Jugendwohnheime, in denen neben Unterkunft und
Verpflegung auch sozialpädagogisch orientierte Bildungs- und Freizeitangebote, schul- und
berufsbezogene Hilfen, individuelle lebenspraktische Hilfen und Hilfen zur gesellschaftlichen Integration
vermittelt werden, außerhalb der Hilfen zur Erziehung (Wiesner § 13 Rz 17 ). Wichtige Adressaten solcher
Wohnformen sind insbesondere auch junge Menschen, die bereits im Beruf stehen, aus persönlichen oder
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sozialen Gründen nicht mehr im Elternhaus wohnen können oder mobilitätsbedingt fernab von zu Hause
einen Arbeitsplatz gefunden haben. Die Einbeziehung dieser Gruppe von jungen Menschen wird durch
den Einschub „oder bei der beruflichen Eingliederung" deutlich (vgl. BT-Drs. 11/5948, 127). Innovative
Ansätze in der Verbindung von Jugendberufshilfe und Jugendwohnen sowie konzeptionelle
Weiterentwicklungen des betreuten Wohnens sollen den heutigen Bedürfnissen junger Menschen
Rechnung tragen (vgl. die Tagungsdokumentation der BAG Jugendsozialarbeit Bonn 1995). Aus diesen
Zielen der Hilfen nach Abs. 3 Satz 1 wird deutlich, daß es sich hier um einen Personenkreis handelt, der
nicht durch die Merkmale der Personen nach Abs. 1 begrenzt werden kann ( a.A. Wiesner § 13 Rz 16, der
im Rahmen der Ermessensausübung die Gewährung der Angebote nach Abs. 3 auf die in Abs. 1 und 2
benannten Personen begrenzen will).
Anders als bei betreuten Wohnformen nach § 34 SGB VIII handelt es sich bei den Angeboten nach Abs. 3
Satz 1 überwiegend um eine nach der Dauer der beruflichen Bildungsmaßnahmen zeitlich befristeten,
meist kurz- oder mittelfristigen Inanspruchnahme von Wohnungsangeboten mit sozialpädagogischer
Begleitung. Bei Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 27ff. SGB VIII steht ferner der erzieherische
Bedarf im Vordergrund. Übergänge in beide Richtungen sind jedoch fließend. Dennoch ist die
Unterscheidung bedeutsam, weil Abs. 3 mit der „Kann-Bestimmung“ den Trägern bei der Entscheidung
über die Angebote ein Ermessen einräumt, während auf betreutes Wohnen im Zusammenhang mit Hilfe zur
Erziehung bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 27, 34 SGB VIII ein individueller Rechtsanspruch
besteht. Damit Jugendliche nicht nach §§ 27, 34 SGB VIII „etikettiert“ werden oder mangels Alternativen in
einer Wohnform nach § 34 bleiben (müssen), was beides ihrer gesellschaftlichen Integration hinderlich sein
kann, müssen die Träger ihr Ermessen nach Abs. 3 so ausüben, daß die Rechte dieser Jugendlichen nach
§ 1 SGB VIII „möglichst weitgehend verwirklicht werden“ (§ 2 Abs. 2 SGB I), ohne sie solchen
„Etikettierungen“ auszusetzen.
Abs. 3 Satz 2 wurde mit dem 1. ÄndG eingefügt. Der Gesetzgeber hat damit im Fall von Leistungen nach
Abs. 3 Satz 1 die jugendhilferechtliche Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts und der
Krankenhilfe als „Soll"-(Annex-)Leistung festgeschrieben. Die Ergänzung trägt der Kritik Rechnung, die die
im Abs. 3 a.F. fehlende Einbeziehung als „höchst bedauerlichen Rückschritt gegenüber § 5 Abs. 1 Nr. 7
JWG" bezeichnet hatte (vgl. Breuer 1991, 31; ferner 1. Aufl. § 13 Rz 18). Mit der neuen Regelung wird die
Verweisung der Leistungsberechtigten an die Träger der (nachrangigen) Sozialhilfe vermieden. Die
Zusammenfassung der verschiedenen Leistungen im Leistungssystem der öffentlichen Jugendhilfe könnte
allerdings zur Einführung von Pflegesätzen in den jeweiligen Einrichtungen führen. Eine solche Praxis
würde jedoch die Verselbständigungsbemühungen der Jugendhilfe für junge Menschen erschweren. In der
Praxis sind daher Verfahren zu entwickeln, nach denen den jungen Menschen die gesamte Leistung oder
zumindest ein entsprechender Teil als Geldbetrag ausgezahlt wird, mit dem die jungen Menschen selbständig und verantwortlich wirtschaften können. Die üblichen Taschengeldsätze, die im Rahmen der
Pflegesatzabrechnung gewährt werden, reichen dazu nicht aus. Unberührt von der Gesetzesänderung
bleibt die Leistungsverpflichtung anderer - vorrangig zuständiger - Sozialleistungsträger (z.B. des
Arbeitsamtes für die Unterhaltssicherung im Rahmen der individuellen Förderung der beruflichen
Ausbildung nach § 40 AFG).
Unter Hilfen zur Förderung der schulischen Ausbildung fallen alle Schulausbildungsmaßnahmen, die durch
den Besuch von allgemeinbildenden und weiterführenden Schulen zustande kommen. Dazu zählen aber
auch Kurse zur Erlangung des Hauptschulabschlusses oder einer entsprechenden Bildungsreife und auch
solche mit begrenztem Ausbildungsziel (z.B. Verbesserung einzelner Fähigkeiten wie Deutschkenntnisse,
Rechtschreibung, Rechnen) (vgl. Haase/Tesch 1986, 62ff.).
Hilfen zur Förderung der beruflichen Ausbildung umfassen sowohl Berufsausbildung als auch berufliche
Fortbildung und berufliche Umschulung (§ 1 BBiG). Unter Berufsausbildung sind vornehmlich
Berufsausbildungsverhältnisse nach § 1 Abs. 2 BBiG zu verstehen, aber auch formfreiere
Berufsausbildungsverhältnisse, etwa nach den §§ 48, 19 BBiG, die dem Erwerb beruflicher Kenntnisse,
Fertigkeiten und Erfahrungen dienen, gehören dazu. Die berufliche Fortbildung, die eine Ausbildung oder
wenigstens Vorbildung voraussetzt (§ 1 Abs. 3 BBiG), sowie die berufliche Umschulung (§ 1 Abs. 3 BBiG,
§§ 40ff., 47 AFG) sind als besondere Formen der Berufsausbildung in Ausnahmefällen ebenfalls
Grundlage für entsprechende Hilfen (vgl. Haase/Tesch 1986, 62ff.).
Hilfen zur Förderung der Eingliederung in die Arbeitswelt umfassen neben den vorgenannten
Ausbildungshilfen Maßnahmen der Berufsvorbereitung und der Beschäftigung. Unter Berufsvorbereitungsmaßnahmen sind solche auf die Ausübung eines Berufs gerichteten zu verstehen. Die wichtigsten
Maßnahmen hierzu sind nach Inhalt und Dauer bestimmte (schulische oder außerschulische)
Förderungslehrgänge (Arbeitslehre, Betriebspraktika, Berufsvorbereitungsjahr, berufsvorbereitende
Bildungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung), Modellversuche und Projekte der Jugendhilfe sowie
Informations- und Motivationslehrgänge, die zur Aufnahme einer Berufsausbildung befähigen oder der
Erlangung der Arbeitsfähigkeit bzw. Betriebsreife dienen und die Aufnahme einer Berufstätigkeit
ermöglichen sollen. Die Abgrenzung des Begriffs von den Maßnahmen, die noch keine Berufsvorbereitung
darstellen, und von solchen, die bereits Berufstätigkeit sind, ist im Einzelfall schwierig, jedoch nach Abs.2
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nicht mehr entscheidend, da nunmehr sozialpädagogisch orientierte Beschäftigungsmaßnahmen
ausdrücklich eingeschlossen sind (zu den Maßnahmen im einzelnen vgl. Furth/Lehning 1990, 70ff.).
Beschäftigungsmaßnahmen sind einerseits die Beschäftigung junger Menschen ohne entsprechende
sozialrechtliche Anerkennung, andererseits auch das tariflich anerkannte System regulärer Arbeitstätigkeit
(vgl. Haase/Tesch 1986, 67ff.). Sie umfassen auch allgemeine Maßnahmen des Arbeitens und Lernens,
ferner Gemeinschaftsaufgaben, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Beschäftigungsprojekte,
Selbsthilfemaßnahmen und als besondere Form der Berufsvorbereitung bzw. Beschäftigung das freiwillige
soziale und das freiwillige ökologische Jahr (vgl. Fülbier/Schnapka 1991, 277).
Als Hilfen zur sozialen Integration sind alle sozialpädagogischen Förderangebote zum Ausgleich sozialer
Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen (u.a. Beratungsdienste,
Jugendgemeinschaftswerke, schulische Unterstützungshilfen, Sprachlehrgänge, Mädchen- und
Frauenarbeit, Ausländerbetreuung, Aussiedlerbetreuung) zu verstehen.
Abstimmung der Angebote der Jugendsozialarbeit mit anderen Maßnahmen
§ 13 Abs. 4 fordert die Abstimmung der Angebote („sollen") mit den Maßnahmen der dort genannten
Träger, z.B. über Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII oder über sog. Verbundorganisationen (etwa
als kommunal-trägerübergreifender, politisch-fachlicher Verbund), wie sie im Rahmen modellhafter
Verbundarbeit des Bundesjugendplanprogramms „arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit" erprobt
worden sind (vgl. Proksch 1990, 7ff.). Abs. 4 greift die Unterschiedlichkeit der Trägerlandschaft auf und will
sie zu einer effektiven und effizienten Gestaltung und Abstimmung von Maßnahmen der
Jugendsozialarbeit nutzen. Sollen die Angebote aller Träger optimal wirksam werden, ist eine Koordinierung und Vernetzung der verschiedenen Träger und Konzepte in einem Verbundsystem unabdingbar.
Insoweit normiert Abs. 4 die Aufforderung zur Gestaltung von Verbundsystemen (vgl. Fülbier/Schnapka,
a.a.O., 271). Auf Bundesebene existiert bereits seit 1949 der Zusammenschluß der Trägergruppen und der
Landesarbeitsgemeinschaften die Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit (BAG JAW). Auf lokaler
und regionaler Ebene sind Verbundprojekte weiter zu fördern (vgl. hierzu die ausgewählten Beispiele von
Beschäftigungsprojekten und Berufshilfebetrieben bei Dorschner, 1995, 37ff.; vgl. ferner die weiteren
Projektansätze in der Jugendsozialarbeit in BBJ-Handbuch 1995, 183ff.). Dem Sinn und Zweck der
Vorschrift wird nur entsprochen, wenn die verschiedenen Konzepte nicht nur generell, sondern auch bei
der Durchführung im Einzelfall abgestimmt werden (a.A. Wiesner, § 13 Rz 19, der eine Abstimmung im
Einzelfall für nicht notwendig erachtet). Mit den Empfehlungen der Bundesanstalt für Arbeit und der
Arbeitsgemeinschaft der Jugendhilfe zur Zusammenarbeit der Dienststellen der Bundesanstalt mit Trägern
der Jugendhilfe (vgl. Forum Jugendhilfe 1995, 4-6) wird ein maßgeblicher Rahmen gesetzt für die
Förderung der beruflichen Qualifizierung und der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen in
Kooperation der Arbeitsverwaltung und der freien und öffentlichen Jugendhilfe. Mit ihren Empfehlungen
wollen die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit und die Träger der freien und öffentlichen Jugendhilfe
durch Kooperation auf örtlicher Ebene die Abstimmung der unterschiedlichen Handlungs- und
Fördermöglichkeiten sowie die Entwicklung von Hilfeplänen mit dem Ziel eines möglichst direkten Zugangs
zu Ausbildung und Beruf eröffnen.
Abs. 4 korrespondiert mit den durch das „Gesetz zur Umsetzung des förderalen
Konsolidierungsprogramms" (FKPG) neu gefaßten §§ 18 Abs. 2, 19 BSHG, die auch die von den
Sozialämtern zu schaffenden Arbeitsgelegenheiten in die Bemühungen der Jugendsozialarbeit
einbeziehen. Notwendig bleibt, daß auch in den Schulgesetzen der Länder bzw. im
Arbeitsförderungsgesetz entsprechend Absatz 4 die Verpflichtung der dort zuständigen Träger eingebaut
wird, ihre Angebote mit denen der Jugendhilfe abzustimmen (vgl. Fülbier/Schnapka 1991, 271). Die
Beratung und Qualifikation von Einzel- oder Verbundprojekten ist durch Consulteinrichtungen zu sichern
(vgl. Proksch 1990, 89ff).
Perspekiven
Angesichts der Anforderungen, die die Arbeitswelt heute und erst recht in Zukunft an die Qualifikation der
Beschäftigten richtet, wird Jugendsozialarbeit für sozial Benachteiligte, Lernbehinderte, individuell
benachteiligte junge Menschen kontinuierlich erforderlich sein und bleiben. Aber auch
gesamtgesellschaftlich und sozial sind die Anforderungen an die Erziehungsleistungen der Eltern und die
Integrationsleistungen der jungen Menschen erheblich, so daß hier leicht Benachteiligungen entstehen
können. Deshalb muß Jugendhilfe auf fachlicher und politischer Ebene dafür Sorge tragen, daß die
notwendigen Leistungen und Angebote der Jugendsozialarbeit ausreichend und geeignet vorhanden sind
und ihr Bestand hinreichend gesichert bleibt.
Zur Gestaltung der in § 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII erwähnten positiven Lebensbedingungen muß die
Jugendhilfe gerade auch im Rahmen der Jugendsozialarbeit beitragen.
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Weiter muß Jugendsozialarbeit sich mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen so verbinden, daß ihre
Angebote und Leistungen mit denen der anderen gesellschaftlichen Teilbereiche synergetisch wirksam
werden können.
Auf diese Weise kann Jugendsozialarbeit tatsächlich aktiv dazu beitragen, daß die Ansprüche junger
Menschen gemäß § 1 Absatz 1 SGB VIII vollständig und nachhaltig erfüllt werden. Sie gewinnt ferner die
Chance, neue Möglichkeiten im Verbund zeitgemäß zu entwickeln und in der Praxis zu erproben.
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