Tagungsbericht - Hanns-Seidel

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Tagungsbericht
Stammzellforschung
Nikolaus Zens
Expertengespräch
der Hanns-Seidel-Stiftung
am 28. Januar 2008
Konferenzzentrum, München
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Eine neue Runde im Streit um die Verwendung menschlicher embryonaler
Stammzellen ist eingeläutet. Anstoß sind Klagen deutscher Wissenschaftler und
Wissenschaftsorganisationen über Einschränkungen der Forschungsfreiheit. Um
den Abgeordneten in der Gewissenfrage, ob eine Änderung der Stichtagsregelung
wissenschaftlich notwendig und moralisch vertretbar ist, Orientierung zu geben,
hatte die Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, am
28. Januar 2008 Politiker, Vertreter der Kirchen und Wissenschaftler zu einer
internen Expertenrunde geladen.
Alois Glück, Präsident des Bayerischen Landtags und stv. Vorsitzender der
Hanns-Seidel-Stiftung, erinnerte in seiner Einleitung an die 2001 geführte
Diskussion im Rahmen der Anpassung des Embryonenschutzgesetzes. Außerdem
erwähnte er den Konsens der nach wie vor im Blick auf den besonderen
Charakter humaner Embryonen bestehe. Darauf beruhe auch die Sonderstellung
der anstehenden politischen Entscheidung, die mehr als viele andere eine
Gewissensentscheidung sei. Zuletzt erläuterte er, dass aus Zeitgründen die
rechtliche Dimension der Fragestellung ausgeklammert, bzw. an das Ende der
Diskussion gestellt werden müsse.
Prof. Dr. Bodo-Eckehard Strauer, Direktor der Klinik für Kardiologie,
Pneumologie und Agiologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, begann sein
Referat mit einem Überblick über die Geschichte der Stammzelltherapie. Seit
1956 würden adulte Stammzellen erfolgreich angewandt. In Düsseldorf würden
adulte Stammzellen seit 2001 zur Heilung von Herzinfarktpatienten eingesetzt.
Dies sei vor allem ihren Fähigkeiten im Bereich der Multiorganplastizität, sowie
ihrer Selbsterneuerungspotenz zu verdanken. Er erläuterte außerdem die
unterschiedlichen Verfahren zur Gewinnung embryonaler und adulter
Stammzellen. Im Folgenden verwies er auf die iPS (induzierte Pluripotente
Stammzellen) als mögliche Alternative zu humanen embryonalen Stammzellen,
die in 10 bis 20 Jahren die Embryonen verbrauchende Forschung überflüssig
machen könnten. Die Gefahren der embryonalen Stammzellen, vor allem
aufgrund ihrer Onkogenität, wögen schwer, zumal keine klinischen Indikatoren
vorlägen, die ihre heilsame Wirkung bislang bestätigten.
Prof. Dr. Wolfgang M. Franz, Oberarzt an der Medizinischen Klinik und
Polyklinik I, am Universitätsklinikum München, erläuterte zu Beginn seines
Referates die hohe Zahl von Infarkt-Toten und die Probleme bei deren Heilung
mit Hilfe von Schrittmachern, Organtransplantation oder bei der Therapie mit
adulten Stammzellen. Nur eine Studie zur therapeutischen Anwendung adulter
Stammzellen bei der Heilung von Infarktpatienten hätte eine signifikante
Verbesserung der Pumpfähigkeit des kranken Herzens ausgewiesen. Andere
Studien hätten keine Verbesserung feststellen können. Im zukunftsträchtigen
Bereich des tissue-engineering seien adulte Stammzellen nutzlos, da sie nicht in
der Lage seien, sich in andere Zellen zu transformieren. Noch dazu ständen
aufgrund der aktuellen Gesetzeslage den Forschern lediglich veraltete,
verunreinigte Zelllinien zur Verfügung, die zudem an die Grenzen ihrer
Reproduzierbarkeit stießen. Daher forderte er die Abschaffung des Stichtages,
mindestens jedoch seine Verschiebung; eine Legalisierung der Forschung; sowie
die Ausweitung der Forschung an embryonalen Stammzellen über die
Grundlagenforschung hinaus.
Die anschließende Diskussionsrunde thematisierte das medizinisch Machbare und
dessen Details. Das Dilemma der Anwendung von Erkenntnissen aus der
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embryonalen Stammzellenforschung bei der Therapie mit adulten Stammzellen
sowie die alternative Verwendung tierischer embryonaler Stammzellen als
Vergleichsmatrix wurden diskutiert. Strauer gab zu bedenken, dass die iPS keine
menschlichen embryonalen Stammzellen als Vergleichsmatrix benötigten, und
dass mit adulten Stammzellen eine Kausaltherapie möglich wäre. Ohne
Stichtagsregelung sahen viele Teilnehmer langfristig die Gefahr einer Produktion
humaner Embryonen zur Stammzellengewinnung. Debattiert wurde außerdem
die Qualität der Handlungsalternativen im Umgang mit überzähligen humanen
Embryonen aus der In-Vitro-Fertilisation
Dr. Johannes Friedrich, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern, bot den anwesenden Politikern in seinem Vortrag biblisch begründete
Kriterien an, die eine Entscheidung im christlichen Sinne ermöglichten. Die
Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen sei aus christlicher Sicht
zumindest bedenklich. Wenn menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei
und Samenzelle beginne, sei es auch ab diesem Zeitpunkt im Besitz menschlicher
Würde. Die Menschenwürde dürfe keinesfalls an psychische oder physische
Vorraussetzungen gekoppelt werden. Deshalb müsse die „Herstellung“ von
Embryonen zur Stammzellgewinnung verboten bleiben. Konsequenterweise
sprach er sich auch gegen die In-Vitro-Fertilisation aus, da diese ohne
Überproduktion menschlichen Lebens nicht möglich sei.
Prof. Dr. Franz-Joseph Bormann sprach sich in fünf Thesen gegen eine
Liberalisierung der Embryonen verbrauchenden Forschung aus. Erstens sei die
Frage nach der Zulässigkeit der humanen embryonalen Stammzellenforschung
eine grundlegende Frage nach dem moralischen Status und der Schutzwürdigkeit
humaner Embryonen, die sich nicht verdrängen oder zerreden lasse. Zweitens
bedürfe der Zusammenhang von Menschenwürde und Lebensschutz einer
näheren Bestimmung. Drittens sei die gegenwärtige Beschwörung einer „Ethik
des Heilens“ fragwürdig, da sie mit einem unreflektierten Verantwortungsbegriff
arbeite. Viertens sollten Strategieentscheidungen zur Forschungsförderung
nüchtern und sachbezogen erfolgen; die Forschung mit humanen embryonalen
Stammzellen erscheine derzeit weder alternativlos noch zukunftsträchtig.
Fünftens bestehe mit Blick auf das bestehende Stammzellgesetz kein
Handlungsbedarf.
Prof. Dr. Reiner Anselm, u.a. Geschäftsführer des Zentrums für Religion,
Wirtschaft und Politik an der Universität Zürich, betonte, dass der christliche
Glauben einen wesentlichen Beitrag zur Entscheidungsfindung leisten könne.
Zwar dürfe menschliches Leben nie in menschliche Verfügungsgewalt geraten,
doch sei in diesem Fall eine Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens und
dem Dienst am Nächsten unabwendbar. Und weder das ungeborene, noch das
geborene Leben seien schützenswerter als das jeweils andere. Die im
Embryonenschutzgesetz getroffenen Regelungen hätten sich bewährt. Um das
Gleichgewicht zwischen der Freiheit der Forschung und der moralischen Integrität
zu wahren, sei eine einmalige Verschiebung sachgerecht. Vorraussetzung sei die
Beibehaltung des Gutachterverfahrens. Die Qualität der Diskussion beweise, dass
eine zeitgerechte Neubewertung jederzeit stattfinden könne und solle, ohne die
selbst definierten Ziele darüber zu vergessen.
In der anschließenden Diskussion wurden die sich abzeichnenden kontroversen
Meinungen gegeneinander abgewogen. Als ein Kernproblem wurde der Umgang
mit den bei der In-Vitro-Fertilisation erzeugten Embryonen, die nicht in eine
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Gebärmutter implantiert werden, extrapoliert. Ein höchst kontrovers diskutiertes
Thema war die Befürchtung, dass eine einmalige Verschiebung zu immer neuen
Anpassungen des Stichtages führen würde. Auch das Argument des mit dem
Kompromiss im Embryonenschutzgesetz erzielten Gleichgewichts zwischen
Forschung und Menschenwürde führte hier keine Einigung herbei. Die Frage nach
der Nutzung von Ergebnissen nicht gewollter Forschung blieb als Dilemma
bestehen. Zuletzt wurde noch auf die Gefahr der Entwertung des menschlichen
Lebens an sich aufmerksam gemacht, die bei derartigen Diskussionen stets im
Hinterkopf zu behalten sei.
So erbrachte die Expertenrunde, wie erwartet, zwar keine klare Antwort, wie mit
der Frage nach einer Verschiebung des Stichtages zu verfahren sei, konnte durch
die Erhellung der unterschiedlichen Positionen jedoch eine Orientierungshilfe in
den vielen ethischen Dilemmata bieten.
Nachtrag: Am 1. Februar 2008 veröffentlichte Landtagspräsident Alois Glück ein
Positionspapier, in dem er sich entschieden gegen eine Neuregelung der
Stichtagsregelung aussprach.
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