1 INHALTSVERZEICHNIS SEITE Einleitung Physikalische Gesetzmässigkeiten Kinematik Dynamik Gleichgewicht, Stabilität Äussere Kräfte Arbeit, Leistung Energie Biomechanik der Leichtathletikdisziplinen Sprintlauf Mittel-, Langstreckenlauf Hürdensprint Weitsprung Dreisprung Hochsprung Stabhochsprung Vergleich der Sprünge Kugelstossen Diskuswerfen Speerwerfen Hammerwerfen Vergleich der Würfe Belastungsproblematik Literatur Verfasser: Hansruedi Kunz 2 2 2 9 15 16 19 20 22 22 25 26 28 30 31 33 36 38 40 42 45 47 49 52 2 Biomechanik Einleitung Die Biomechanik ist die Mechanik der Lebewesen, insbesondere des Menschen. Die Biomechanik der Leichtathletik setzt sich mit den mechanischen Gesetzmässigkeiten im Zusammenhang mit der Lösung von leichtathletischen Bewegungsaufgaben auseinander. Der Mensch ist in der Lage mit seinem Bewegungsapparat physikalisch messbare Leistungen zu produzieren. Um sich sportlich bewegen zu können braucht es den passiven Bewegungsapparat (Knochen, Knorpel, Bänder, Sehnen), die Muskulatur als Motor der Bewegung, das Nervensystem zur Übertragung der Reize auf die Muskulatur, Energie aus der Ernährung als Aufbau- und Betriebsstoff, Vitamine, Mineralstoffe, Enzyme, Wasser für eine optimale Funktion des Bewegungsapparates und letztlich auch psychische Fähigkeiten (Wille, Motivation usw.). Es ist für das Lernen, Schulen und Vervollkommnen von Bewegungsabläufen von Vorteil, wenn die AthletInnen und insbesondere die TrainerInnen Kenntnisse von den mechanischen Gesetzmässigkeiten und insbesondere von jenen in der eigenen Sportart haben. Die TrainerInnen können dadurch viel für das Bewegungsverständnis profitieren, lernen Schwerpunkte im Techniktraining zu setzen, aber auch die Trainingsmassnahmen an die Voraussetzungen der AthletInnen anzupassen. Die AthletInnen verstehen, welches die Kernelemente der Bewegung sind und warum bestimmte Trainingsmassnahmen Sinn machen. Ein gutes Verständnis der Mechanik der Bewegungsabläufe wirkt sich positiv auf das Bewegungslernen und –vervollkommnen und damit auf die Leistungsfähigkeit aus. Im vorliegenden Trainerbulletin werden zuerst die wichtigsten physikalischen Gesetzmässigkeiten möglichst einfach vorgestellt. Anschliessend werden die zentralen Komponenten der einzelnen Disziplinen vom Standpunkt der Biomechanik aus beleuchtet und letztlich wird noch das Thema Belastungsproblematik aufgegriffen. Physikalische Gesetzmässigkeiten Kinematik Die Kinematik befasst sich mit dem räumlichen und zeitlichen Ablauf von Bewegungen. Die dabei benutzten Beschreibungen sind: Längen, Winkel, Zeit, Geschwindigkeit, Beschleunigung. Um die Bewegung eines Körpers beschreiben und analysieren zu können, wird der Körper häufig idealisiert als starrer Körper betrachtet. Jeder Körper hat einen Massenpunkt, der auch als Körperschwerpunkt (KSP) bezeichnet wird. Der Schwerpunkt ist das Massenzentrum des Körpers, an dem äussere Kräfte angrei- 3 fen können. In einem starren System (z.B. Kopfschwerpunkt) verändert sich die Lage des Teilschwerpunktes nicht, in einem z.B. durch Gelenke beweglichen System kann er sich innerhalb des Körpers verschieben und sogar ausserhalb des Körpers zu liegen kommen. Beispielsweise verschiebt sich der Körperschwerpunkt durch einen hohen Schwungbein- und Armeinsatz innerhalb des Körpers nach oben und leicht nach vorne oder er kann bei der Flop-Lattenüberquerung ausserhalb des Körpers zu liegen kommen (Abbildung 1) Abbildung 1: Anheben des Körperschwerpunktes durch Schwungbein- und Armeinsatz, Körperschwerpunktlage ausserhalb des Körpers bei der FlopLattenüberquerung In gewissen Situationen genügt es die Lage, den Weg, die Geschwindigkeit oder die Beschleunigung des Körperschwerpunktes zu beobachten (z.B. Kugel beim Ausstossen). Vielfach interessieren aber auch Positionen, Längen, Geschwindigkeiten oder Beschleunigungen von Teilschwerpunkten oder Körperpunkten. Räumliches Koordinatensystem Das bevorzugte System zur Bestimmung einer Bewegung im Raum ist das dreidimensionale rechtwinklige Koordinatensystem. Bei diesem System werden die zu bestimmenden Punkte durch drei Masszahlen (horizontal vw., horizontal sw., vertikal) definiert. In gewissen Situationen (z.B. Rotationen) ist es sinnvoller die Lage eines Punktes mit dem Abstand zum Drehzentrum und einem Winkel anzugeben (Polarkoordinatensystem) (Abbildung 2). Meistens wird zur Beschreibung einer Bewegung der Nullpunkt ausserhalb des Körpers festgelegt. In gewissen Situationen kann der Nullpunkt auch ins Zentrum des Körpers gelegt werden. Bei einem solchen körperzentralen Koordinatensystem können 3 Ebenen und 3 Achsen unterschieden werden (Abbildung 3): Sagittale Vertikalebene a und Vertikalachse Laterale Vertikalebene b und Laterale Horizontalachse Horizontalebene c und Sagittale Horizontalachse 4 ZZ 360° 270° 90° Y X 180° Abbildung 2: Dreidimensionales, rechtwinkliges Koordinatensystem und Polarkoordinatensystem Abbildung 3: Vertikal- und Horizontalachsen und -ebenen durch den Körperschwerpunkt (nach Bäumler/Schneider 1981) In der Leichtathletik ist die Betrachtung der verschiedenen Ebenen vor allem in den Wurfdisziplinen und beim Hoch- und Stabhochsprung wichtig. Bewegung im Raum Bei sportlichen Bewegungen verschieben sich der Körper und seine Glieder linear und nicht linear in verschiedenen Richtungen. Solche Bewegungen werden als Translationen bezeichnet. Ein Beispiel einer mehr oder weniger linearen Translation ist der Sprintlauf auf einer horizontalen Ebene. Der Hochsprung ist ein Beispiel einer nicht linearen Translation. Der Körper bewegt sich auf einer Flugparabel. Normalerweise sind sportliche Bewegungen eine Kombination von Translationen und Rotationen. Beim Sprintlauf kann sehr gut gezeigt werden, wie sich lineare und nichtlineare Translationen und Rotationen überlagern (Abbildung 4) 5 Abbildung 4: Translationen und Rotationen beim Sprinten Die Kopf- und Oberkörperhaltung verändert sich beim Laufen kaum. Es ist annähernd eine lineare Translation. Die Fusskurve (Bodenkontakt, Anfersen, Vorschwingen) ist eine nicht lineare Translation. Die Winkelveränderungen im Knie- und Hüftgelenk sind Rotationen um die Drehachse im entsprechenden Gelenk. Vertikale Distanz y (m) Eine Bewegung im Raum kann mit einem Weg (s)-Weg (s)-Diagramm dargestellt werden (Abbildung 5) 7 6 5 4 3 2 1 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Horizontale Distanz x (m) Abbildung 5: Zweidimensionales Weg-Weg-Diagramm einer Kugel nach dem letzten Handkontakt der Kugel auf 2 m Abstosshöhe Mit einem Weg-Weg-Diagramm kann die Flugbahn der Kugel aufgezeichnet werden. Daraus können der Abflugwinkel, die Flughöhe und die Flugweite herausgemessen werden. Die Flugbahn einer Kugel nach dem Ausstossen kann auch in einem horizontalen und einem vertikalen Weg-Zeitdiagramm dargestellt werden (Abbildung 6). Vertikale Distanz (m) Horizontale Distanz (m) 6 20 15 10 5 7 6 5 4 3 2 1 0 0 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 Zeit (sec) Zeit (sec) Abbildung 6: Weg-Zeit-Diagramme für die horizontale und vertikale Bewegung der Kugel Die Kugel bewegt sich nach dem Verlassen der Hand, bei Vernachlässigen des Luftwiderstands, in horizontaler Richtung linear vorwärts. In der vertikalen Richtung bewegt sich die Kugel bis zum Scheitelpunkt zuerst aufwärts und dann bis zur Landung auf dem Boden abwärts. Die Geschwindigkeit ist das Verhältnis von zurückgelegtem Weg (s) zu der dafür benötigten Zeit (t). V = s / t = m / sec Geschwindigkeit vx m/sec) Geschwindigkeit vx (m/sec) Im Falle der Kugelbewegung ergeben sich für die Kugelflugbahn folgende horizontalen und vertikalen Geschwindigkeitskurven (Abbildung 7): 10 8 6 4 2 0 10 8 6 4 2 0 -2 -4 -6 -8 -10 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 Zeit (sec) Zeit (sec) Abbildung 7: Horizontale und vertikale Geschwindigkeits- Zeitkurven der Kugelflugbahn Die horizontale Geschwindigkeit der Kugel bleibt nach dem Verlassen der Hand konstant, sofern der Luftwiderstand nicht berücksichtigt wird. Die vertikale Geschwindigkeit erfährt bei den gleichen Rahmenbedingungen eine lineare Abnahme. Sie überquert an der höchsten Stelle der Flugbahn die Nulllinie und hat 7 bei der Landung der Kugel auf dem Boden deswegen eine höhere Geschwindigkeit als beim Verlassen der Hand, weil die Landeebene 2 m tiefer liegt als die Abwurfebene. Die Beschleunigung ist die Geschwindigkeitsänderung pro Zeiteinheit. a = v / t = m / sec2 2 Beschleunigung ay (m/sec ) 2 Beschleunigung ax (m/sec) Für die Kugelflugbahn ergeben sich folgende horizontalen und vertikalen Beschleunigungs- Zeitkurvenkurven (Abbildung 8): 5 4 3 2 1 0 -1 -3 -5 -7 -9 -11 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 Zeit (sec) Zeit (sec) Abbildung 8: Horizontale und vertikale Beschleunigungs- Zeitkurven der Kugelflugbahn Da ausser dem geringen Luftwiderstand keine horizontalen Kräfte auf die Kugel nach dem Verlassen der Hand wirken, bleibt die Geschwindigkeit konstant und die Beschleunigung ist demnach = 0. In der vertikalen Richtung wirkt die Erdanziehungskraft (kg x 9.8m/sec 2) über die ganze Dauer der Flugphase. Dies hat zur Folge, dass sich die Kugel zuerst schnell aufwärts bewegt, allmählich abgebremst wird und sich letztlich immer schneller werdend dem Boden nähert. Die Ableitung der Geschwindigkeit aus einem Weg-Zeitdiagramm und der Beschleunigung von einem Geschwindigkeits-Zeitdiagramm wird Differenzieren genannt. Je kürzer dabei die gewählten Zeitabschnitte sind, desto eher kann von einer momentanen Geschwindigkeit oder Beschleunigung gesprochen werden. Bei länger gewählten Zeitabschnitten ist das Ergebnis eine mittlere Geschwindigkeit, beziehungsweise Beschleunigung. Genau gleich wie bei Translationen können auch bei Rotationen die Winkelgeschwindigkeit und die Winkelbeschleunigung abgeleitet werden. Die Winkelgeschwindigkeit ist das Verhältnis zwischen zurückgelegtem Winkel und dafür benötigter Zeit. = Grad / sec oder 1 / sec 8 Die Winkelbeschleunigung ist die Änderung der Winkelgeschwindigkeit pro Zeitdifferenz = / t = 1 / s2 Die Winkelgeschwindigkeit und die Winkelbeschleunigung können über die Multiplikation mit dem Radius auf die tangentialen Werte umgerechnet werden. So hat beispielsweise ein Sportler mit einem 20 % längeren Unterarm bei gleicher Winkelgeschwindigkeit beim Unterarmbeugen eine um 20 % höhere Tangentialgeschwindigkeit als ein kurzhebliger Sportler (Abbildung 9). Abbildung 9: Vom Hebelarm und von der Rotationsgeschwindigkeit abhängige Tangentialgeschwindigkeit Vt Mit langen Hebelarmen beziehungsweise grossen Radien bei Rotationsbewegungen können grosse Tangentialgeschwindigkeiten erreicht werden, sofern die Kraft vorhanden ist, die langen Hebel auch schnell zu bewegen (Beispiele: Diskuswerfen, Hammerwerfen). Geschwindigkeiten und Beschleunigungen sind sogenannte Vektoren. Vektoren sind definiert durch die Richtung und den Betrag. Aus der horizontalen und der vertikalen Geschwindigkeit der Kugel nach dem Verlassen der Hand kann beispielsweise graphisch und rechnerisch die Grösse und Richtung der Abfluggeschwindigkeit bestimmt werden (Abbildung 10). Bei einer horizontalen Abfluggeschwindigkeit von 9.1 m / sec und einer vertikalen Geschwindigkeit von 8.15 m / sec beträgt die resultierende Abfluggeschwindigkeit der Kugel 12.2 m / sec bei einem Abflugwinkel von 42°. 9 Vy Vxy Vx Abbildung 10: Geschwindigkeitsvektoren und Abflugwinkel beim Abflug der Kugel Dynamik Die Dynamik befasst sich mit der Masse / Trägheit von Körpern und den Kräften um Körper mit einer Masse zu bewegen. Jeder Körper hat eine Masse. Die Masseinheit der Masse ist Kilogramm. Alle Körper haben die Tendenz, in Ruhe zu verbleiben oder wenn sie bewegt sind, ihre Bewegungsgeschwindigkeit und -richtung beizubehalten (Beispiel: Horizontale Abfluggeschwindigkeit der Kugel). Um eine Masse bewegen zu können braucht es eine auf sie einwirkende Kraft. Die Kraft wird definiert als Masse x Beschleunigung (m x a). Die Masseinheit der Kraft ist Newton. 1N = 1kg x 1m / sec2 Die Erdanziehungskraft bewirkt, dass jeder Körper ein Gewicht hat. Das Gewicht von Körpern ist im Gegensatz zur Masse ortsabhängig, weil beispielsweise in der Höhe die Erdanziehungskraft geringer ist als auf Meereshöhe. Im Sport ist die Muskelkraft die antreibende Kraft. Mit der Muskelkraft kann die Körpermasse beschleunigt und die Erdanziehungskraft überwunden werden. Die Muskelkraft kann auf unterschiedliche Art und Weise gemessen werden. Spezielle Kraftmaschinen (z.B. Cybex-System) ermöglichen das Messen von Drehmomenten, beispielsweise im Kniegelenk (Abbildung 11). Das Drehmoment ergibt sich dabei aus der Kraft der Oberschenkelmuskulatur und dem Abstand r der Kraftrichtung zum Drehpunkt im Kniegelenk. Das Drehmoment im Kniegelenk ist bei der grössten Beugung, wegen den ungünstigen Hebelverhältnissen klein, erreicht in einem Winkelbereich von 100 – 120° die grössten Werte und nimmt gegen die totale Kniestreckung hin wegen des kleineren Radius zwischen der Kraftrichtung und dem Drehpunkt und wegen der physiologisch nicht mehr optimalen Muskellänge deutlich ab. 10 Abbildung 11: Anatomie und Drehmoment im Kniegelenk EMG-Messungen ermöglichen das Aufzeichnen der Muskelaktivität während einer sportlichen Bewegung (Abbildung 12). Aus der Grösse der EMGAusschläge kann aber aus verschiedenen Gründen nicht absolut auf die Muskelkraft geschlossen werden. Bei einer Ganzkörperübung, wie dem Kniebeugen mit der Scheibenhantel, arbeiten viele Muskeln synchron zusammen. Es sind dies vor allem die vorderen Oberschenkelmuskeln in der Funktion als Kniestrecker, die hinteren Oberschenkelmuskeln und die Gesässmuskulatur als Hüftstrecker und die Rückenmuskeln als Stabilisatoren der Wirbelsäule. Die Wadenmuskulatur wird bei einer Erhöhung der Ferse kaum eingesetzt. Die einzelnen Muskeln produzieren Drehmomente. Die Summe der Drehmomente bewirkt, dass der Sportler gegen den Widerstand der Hantel und des eigenen Körpergewichts wieder aufstehen kann. Vielfach wird das Gewicht der einmalig gehobenen Hantel als Maximalkraft bezeichnet. Genau genommen ist dies der Widerstand, der bei den ungünstigsten Muskel- und Hebelbedingungen überwunden werden kann. Da bei den tiefen Kniebeugen die Hebelverhältnisse ungünstig sind, kann dabei weniger Gewicht gehoben werden als bei halben oder hohen Kniebeugen. 11 Abbildung 12: Muskelaktivität beim Kniebeugen mit der Hantel Die Kraft der Beinmuskulatur beim Kniebeugen kann auch mit Hilfe einer Kraftmessplatte aufgezeichnet werden. Dabei wird die Reaktionskraft und nicht direkt die Muskelkraft gemessen (Abbildung 13). Kraft (N) 2000 1500 1000 500 Kraft Körpergewicht 0 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2 Zeit (sec) Abbildung 13: Reaktionskraft bei tiefen Kniebeugen mit der Hantel 12 Bei tiefen Kniebeugen mit der Hantel auf den Schultern, bei einem Körpergewicht von 800 Newton (80 kg) und einem Hantelgewicht von 1000 Newton (100 kg) beginnt die Kraftkurve bei 1800 N. Beim Tiefgehen nimmt die Reaktionskraft in Abhängigkeit der Abwärtsgeschwindigkeit leicht ab. In der Phase der Bewegungsumkehr, nach etwa 1 sec, wird die grösste Kraftspitze erreicht (auch die grösste Muskelaktivität). Beim Hochkommen sind die Kraftwerte grösser als beim Tiefgehen. Die schwierigste Phase ist unmittelbar nach der Bewegungsumkehr, dort, wo die Hebelverhältnisse am ungünstigsten sind. Die Reaktionskraft kann, muss aber nicht, mit zunehmender Beinstreckung deutlich ansteigen und erreicht am Ende der Beinstreckung wiederum 1800 N. Die Zentripetal- und die Zentrifugalkraft sind andere Kraftwirkungen, die im Sport relativ häufig vorkommen. Diese beiden Kräfte sind gleich gross, aber entgegengesetzt gerichtet. Ein Beispiel für die Zentripetalkraft ist die Haltekraft, die der Hammerwerfer bei der Rotation des Hammers aufbringen muss. Die Zentripetalkraft ist abhängig von der Masse des Hammers, dem Quadrat der Bahn- oder Winkelgeschwindigkeit und dem Drehradius. Fz = m x r x 2 Je grösser die Masse des Hammers ist, desto grösser muss die Haltekraft des Hammerwerfers sein. Eine Verdoppelung der Hammergeschwindigkeit verlangt eine 4 mal so grosse Haltekraft. Bei konstanter Winkelgeschwindigkeit ist die Zentripetalkraft proportional zum Drehradius. Die Zentrifugalkraft ist aus der Sicht des Hammers gesehen die Kraft, die den Hammer gegen aussen zieht. Ein anderes Beispiel der Zentrifugalkraft ist die Kraft, die den Sprinter beim Kurvenlaufen gegen aussen drängt. Er kann ihr mit einer entsprechenden Kurveninnenneigung entgegenwirken. Der Impuls oder Kraftstoss ist eine über eine bestimmte Zeit vom Körper produzierte oder auf einen Gegenstand wirkende Kraft. Er wird definiert als: Kraft x Zeit =kg x m / sec 2 x sec oder Masse x Geschwindigkeit = kg x m / sec Bei einem Absprung in die Höhe produziert die Muskulatur des Körpers einen Impuls (Abbildung 14). Der Absprungimpuls, das Produkt aus der geleisteten Kraft und der Dauer der Kraftwirkung, also die Fläche unterhalb der Kraftkurve minus das eigene Körpergewicht bestimmt die Sprunghöhe. Der gute Springer hat bei gleichem Körpergewicht einen steileren Kraftanstieg, ein höheres Kraftmaximum eine kürzere Absprungzeit, eine grössere Fläche unter der Kraftkurve und demnach eine grössere Sprunghöhe als der schlechte Springer. Beim Verlassen des Bodens hat der Körper den Impuls als Produkt aus seiner Körpermasse und der Abfluggeschwindigkeit. 13 Die Impulserhaltung kann auch am Beispiel des Kugelstossens aufgezeigt werden. In der Ausstossphase produziert die Muskulatur des Körpers Kraft und beschleunigt dadurch die Kugel auf eine bestimmte Geschwindigkeit in der Wirkungsrichtung der Kraft. Die Geschwindigkeit der Kugel bleibt nach dem Ausstossen erhalten, sofern sie nicht durch äussere Kräfte gemindert wird. 2300 KRAFT (N) 1800 1300 800 schlechter Springer guter Springer 300 -200 Körpergewicht -700 0 0.04 0.08 0.12 0.16 0.2 0.24 ZEIT (SEC) Abbildung 14: Kraftimpulse eines guten und eines schlechten Springers Kräfte sind wie die Geschwindigkeiten und die Beschleunigungen Vektoren mit einer Richtung und einer Grösse und können dementsprechend vektoriell zu Resultierenden addiert werden. Die Abbildung 15 zeigt anhand des Beispiels Sprint die Kraftverläufe während des Bodenkontaktes in der vertikalen und den horizontalen Richtungen. Die vertikale Kraft ist wegen der harten Schläge beim Auftreffen auf dem Boden und wegen des Körpergewichts relativ gross. Deswegen haben viele Sprinter Mühe, hoch zu laufen. Die vorwärts-rückwärts-gerichtete Kraft zeigt zuerst immer eine Bremsphase und wechselt etwa in der Hälfte der Kontaktzeit in eine Beschleunigungsphase. Wenn der negative und der positive Kraftimpuls gleich gross sind, bewegt sich der Läufer mit konstanter Geschwindigkeit vorwärts. Die seitwärts-gerichtete Kraft sollte möglichst klein sein, damit möglichst wenig Kraft auf die Seite verloren geht. Die Füsse müssen demnach, von vorne gesehen, möglichst unter dem Körperschwerpunkt aufgesetzt werden. Wenn sich die seitlichen Kraftimpulse gegenseitig aufheben, läuft der Sprinter gerade aus. Bei einem Kurvenlauf sind die Seitwärtskräfte gegen aussen gerichtet. 14 2500 seitwärts vorwärts vertikal KRAFT (N) 2000 1500 1000 500 0 -500 -1000 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 ZEIT (sec) Abbildung 15: Vertikale und horizontale Kräfte beim Sprinten Bei Rotationen wird der Widerstand gegenüber einer Drehung als Trägheitsmoment bezeichnet. Das Trägheitsmoment wird definiert als: Masse x Rotationsradius2 =kg x m2 Je näher die Schwerpunkte der einzelnen Körperteile bei der Rotationsachse liegen, desto geringer ist das Trägheitsmoment und desto leichter ist eine Rotation möglich. So ist zum Beispiel beim Stabhochsprung die Einrollphase einfacher, wenn der Körper eng zusammengerollt wird im Gegensatz zu einem Einrollen mit fast gestreckten Beinen. Rotationen um die Körperlängsachse sind grundsätzlich einfacher als solche um die Querachse. Die Rotation um die Längsachse ist beim Hochsprungabsprung kein Problem. Bei der Rotation um die Querachse geht häufig viel Kraft verloren. Damit eine Rotation möglich ist, braucht es eine Kraft, die in einem bestimmten Abstand r vom Schwerpunkt angreift. Das Produkt aus der Kraft und dem Radius zum Drehpunkt (Hebelarm) wird als Drehmoment bezeichnet (siehe auch Abbildung 11): Trägheitsmoment x Winkelbeschleunigung = Kraft x Radius = kg x m /sec2 x m Alle Bewegungen der Gelenke geschehen durch eine in einem bestimmten Abstand zum Drehpunkt wirkende Muskelkraft. Dies geschieht nach dem Hebelgesetz Last x Lastarm = Kraft x Kraftarm. 15 Am Beispiel des Fussgelenks dargestellt bedeutet dies (Abbildung 16): Der Hebelarm vom Fussballen zum Drehpunkt im Fussgelenk ist etwa doppelt so gross wie jener vom Drehpunkt im Fussgelenk zur Ansatzstelle der Achillessehne am Fersenbein. Somit muss ein 80 kp schwerer Sportler beim ruhigen, einbeinigen Fussballenstand mit seiner Wadenmuskulatur 160 kp (1600 N) Kraft produzieren. Beim einbeinigen Hüpfen auf den Fussballen sind die Reaktionskräfte auf dem Boden deutlich grösser, sodass die Kraft der Wadenmuskulatur häufig nicht ausreicht, um hoch auf den Fussballen zu bleiben und der Sportler auf die Ferse durchsackt (Beispiel Hürdenlauf). Abbildung 16: Hebelverhältnisse im Fussgelenk Das Resultat eines Drehmoments ist der Drehimpuls oder Drall. Er wir definiert als Trägheitsmoment x Winkelgeschwindigkeit. Praktische Beispiele für Drehimpulse in der Leichtathletik sind der Weitsprung oder der Diskuswurf. Wer beim Weitsprungabsprung durch Vorlage des Oberkörpers und einen ungenügenden Schwungbeineinsatz ein Drehmoment vorwärts produziert, kann in der Luft diesen Drehimpuls nicht mehr stoppen und fällt bei der Landung nach vorne. Beim Diskuswerfen benötigt der Diskus einen Drall, um in der Luft stabil zu bleiben. Gleich wie bei der Impulserhaltung bleibt auch der Drehimpuls in der Luft erhalten, sofern er nicht durch die Bewegungen der Extremitäten (Weitsprung) oder den Luftwiderstand abgebremst werden. Gleichgewicht, Stabilität Der Körper befindet sich im Gleichgewicht, wenn die Summe aller auf ihn wirkenden Kräfte und Drehmomente gleich null ist. Grundsätzlich können 3 Arten von Gleichgewicht unterschieden werden: 16 Beim stabilen Gleichgewicht erfolgt bei einer Lageveränderung durch innere oder äussere Kräfte eine relativ schnelle Rückkehr in die stabile Situation (z.B. Hang am Reck). Beim labilen Gleichgewicht verursacht schon eine geringe Auslenkung einen Verlust des Gleichgewichts (z.B. Handstand am Boden). Beim indifferenten Gleichgewicht bleibt der Körper auch nach einer Lageveränderung im Gleichgewicht (z.B. Liegen am Boden) Die Stabilität eines Körpers ist abhängig von Verschiedenen Komponenten: Von der Stützfläche am Boden: Ein breiter Stand erhöht beim Gewichtheben die seitliche Stabilität, ein Ausfallschritt die Vorwärts-rückwärtsStabilität Von der Höhe des Körperschwerpunkts: Je tiefer der Körperschwerpunkt liegt, desto grösser ist die Stabilität, sofern dabei die Auflagefläche nicht geringer wird (z.B. tiefe Kniebeugen). Von der horizontalen Entfernung vom Rand der Unterstützungsfläche: Beim Sprintstart wir der Körperschwerpunkt nach vorne über die Arme verlagert, was die Stabilität vermindert, aber ein schnelleres Weglaufen ermöglicht. Vom Körpergewicht: Schwere Athleten stehen stabiler auf dem Boden als leichtgewichtige. Gleichgewicht und Stabilität spielen in der Leichtathletik vor allem bei den Würfen und bei den Läufen und Sprüngen beim Treffen des Körperschwerpunktes durch die körpereigenen Kräfte eine wichtige Rolle. Äussere Kräfte Zu den äusseren Kräften gehören die Schwerkraft, die Luft- und Wasserkraft und die Reibungskraft. Die Erdanziehungskraft bewirkt, dass der Körper nicht nur eine Masse, sondern auch ein Gewicht hat. Sie wirkt kontinuierlich, sowohl im Liegen, als auch im Stehen und beim Sporttreiben. Bei jedem Schritt muss mit der eigenen Muskulatur die Erdanziehungskraft überwunden werden. Bei einem Sprung oder Wurf in die Höhe wird der Körper oder das Gerät wieder auf die Erde zurückgebracht. Die Erdanziehungs-, Gravitations- oder Schwerkraft ist abhängig von der Masse des Körpers, von der Masse der Erde, dem Erdradius und einer Gravitationskonstanten. Die Schwerebeschleunigung wird definiert als Gravitationskonstante x Erdmasse / Erdradius2. Daraus ergibt sich für g = 9.81 m / sec2 und für FG = kg x 9.81 m/ sec2 = 9.81 N 17 Die Schwerebeschleunigung wirkt sich dahingehend aus, dass z.B. beim freien Fall die Geschwindigkeit des Körpers immer mehr zunimmt und so beispielsweise ein Stabhochspringer, der 6 m hoch springt bei der Landung eine deutlich grössere Landegeschwindigkeit und demnach einen grösseren Impuls hat als ein Springer, der nur 3 m hoch springt. Die geringere Erdanziehungskraft, kombiniert mit dem geringeren Luftwiderstand, haben 1968 bewirkt, dass in Mexiko, bei den olympischen Spielen, die Leistungen in den Kurzstrecken- den Sprung- und Wurfdisziplinen überdurchschnittlich gut ausgefallen sind. Die Schwerkraft bestimmt auch, mit welchen Abflugwinkeln möglichst hoch, beziehungsweise weit gesprungen und geworfen werden kann. Um eine möglichst grosse Flughöhe zu erreichen gilt die Formel: H = v02 / 2g x sin2 Da sin 90° = 1 und damit das Quadrat am grössten ist, ergibt sich für maximale Sprunghöhen ein optimaler Abflugwinkel von 90°. Weil aber im Hochsprung bei einem Abflugwinkel von 90° der Springer auf die Latten fallen würde und somit die Latte nicht überqueren kann, ergeben sich für den Flop Abflugwinkel von 50 –55° und für den in dieser Beziehung theoretisch besseren Straddle Abflugwinkel von 55 – 60°. Der optimale Abflugwinkel im Hinblick auf eine möglichst grosse Sprung- beziehungsweise Wurfweite ergibt sich aus der Formel: W = v02 / g x sin 2 Da sin 90° = 1 ist, beträgt der optimale Abflugwinkel 45°. Beim Weitsprung sind Abflugwinkel von 45° nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da der Springer während der kurzen Bodenkontaktphase zu wenig Vertikalkraft produzieren kann, und da bei einem steilen Abflugwinkel zu viel Horizontalgeschwindigkeit verloren geht. Weil die Abfluggeschwindigkeit im Quadrat in der Formel enthalten ist, spielt sie im Hinblick auf gute Sprungweiten die entscheidende Rolle. Beim Speerwerfen ist auch die Abfluggeschwindigkeit die entscheidende Grösse. Hier sind aber steilere Abflugwinkel möglich (Abbildung 17). Der optimale Abflugwinkel liegt beim Speerwerfen bei 35 – 38°. Er ist deswegen tiefer als 45°, weil der Speer Segeleigenschaften hat und die Landeebene leicht tiefer ist als die Abwurfebene (siehe auch Abbildung 5). Beim Diskuswerfen ist die Situation ähnlich wie beim Speerwerfen, wogegen beim Hammerwerfen und beim Kugelstossen der optimale Abflugwinkel, auch in Abhängigkeit der Wurfweite, knapp unter 45° liegt. 18 Abbildung 17: Abflug- und Anstellwinkel beim Speerwerfen Luft- und Wasserkraft sind Widerstände, welche die Bewegung beeinträchtigen. Die Wasserkraft hat in der Leichtathletik keine Bedeutung. Der Luftwiderstand ist abhängig von der Widerstandszahl, der Dichte der Luft, der Strömungsgeschwindigkeit und der Stirnfläche. FL = cw x / 2 x v2 x A Die Widerstandszahl ist abhängig z.B. von der Bekleidung. Sie spielt in der Leichtathletik keine grosse Rolle, weil die Strömungsgeschwindigkeit nicht so gross ist wie beispielsweise beim Radfahren oder beim Skiabfahrtslauf. Die Dichte der Luft ist deutlich geringer als die Dichte des Wassers und dementsprechend ist auch der Widerstand geringer. Die Dichte nimmt auch mit zunehmender Höhe ab, was bedeutet, dass in der Höhe deswegen schneller gelaufen werden kann. Die entscheidende Grösse beim Luftwiderstand ist die Strömungsgeschwindigkeit, weil sie im Quadrat in der Formel enthalten ist. Das heisst: Eine Verdoppelung der Geschwindigkeit bedeutet einen 4 mal so grossen Widerstand. Schnelle Sprinter sind in bezug auf den Luftwiderstand vor allem bei Gegenwind gegenüber den langsamen etwas benachteiligt, weil sie einen grösseren Luftwiderstand überwinden müssen. Bei den Wurfdisziplinen und dort vor allem beim Speer- und Diskuswerfen spielt die Luftkraft eine entscheidende Rolle. Wenn der Speer perfekt in die Luft abgegeben wird, das heisst der Anstellwinkel und der Abflugwinkel identisch sind, ist der Luftwiderstand von vorne gering. Mit zunehmender Differenz zwischen Anstell- und Abflugwinkel, also einer grossen Stirnfläche A, nimmt auch der Luftwiderstand zu und dies vor allem bei hohen Abfluggeschwindigkeiten (siehe Abbildung 17). In der Flugphase, wenn sich der Anstellwinkel des Gerätes in Richtung horizontale Position verändert, erhält der Speer einen Auf- 19 trieb, weil die Luftstromlinien oberhalb des Gerätes enger sind als unterhalb. Diese Situation ist vergleichbar mit einem Tragflügel eines Flugzeugs. Beim Diskuswerfen muss der Anstellwinkel des Diskus etwa 10° kleiner sein als der Abflugwinkel, weil sich im Gegensatz zum Speerwerfen die Lage des Diskus in der Luft nicht verändert. Ein steiler Anstellwinkel würde in den Diskus gegen Ende der Flugphase steil abstürzen lassen. Beim Kugelstossen und vor allem beim Hammerwerfen wirkt der Luftwiderstand in Abhängigkeit der Angriffsfläche und der Geschwindigkeit der Kugel. Geräte mit kleinen Durchmessern sind somit vorteilhaft. Der Luftdruck hat in der Leichtathletik insofern eine Bedeutung, als beispielsweise in der Höhe auch der Sauerstoffpartialdruck abnimmt und deshalb weniger Sauerstoff ins Blut diffundieren kann. In der Leichtathletik hat in bezug auf die Reibungskräfte nur die Haftreibung eine gewisse Bedeutung. Sie spielt beispielsweise beim Kurvenlaufen im Sprint oder beim Hochsprung und beim Abspringen eine wichtige Rolle. Die Haftreibung wird durch die Beschaffenheit der Schuhsohlen, der Spikeslänge und durch die Unterlage bestimmt. Bei nassem Boden nimmt auf gewissen Kunststoffbelägen die Haftreibung stark ab. Arbeit, Leistung Unter Arbeit wird im physikalischen Sinn Kraft x Weg verstanden. Arbeit = Newton x m = kg x m / sec2 x m = 1 Joule Arbeit wird dann verrichtet, wenn der eigene Körper oder fremde Körper in ihrer Lage verändert werden, beispielsweise beim Heben von Gewichten (Abbildung 18). Im physikalischen Sinn wird Haltearbeit nicht als Arbeit bezeichnet. s Abbildung 18: Arbeit beim Heben einer Hantel 20 Die Arbeit, die beim Heben einer Hantel produziert wird, ist das Gewicht der Hantel x die vertikale Distanz s, um die das Gewicht gehoben wird. Die Arbeit wird demnach bestimmt durch die Grösse des Widerstands und den Beschleunigungsweg. Da bei langen Beschleunigungswegen mehr Arbeit verrichtet werden kann, sind sowohl bei den Leichtathletikdisziplinen als auch beim Konditionstraining tendenziell lange Beschleunigungswege anzustreben. Die Arbeit allein ist nur ein Teil der Leistungsfähigkeit. Massgebend ist, in welcher Zeit eine Arbeit verrichtet wird. Die Leistung wird demnach definiert als Arbeit pro Zeit oder Kraft x Geschwindigkeit. Leistung = Newton x m /sec = kg x m / sec2 x m /sec = 1 Watt Die Leistung wird demnach bestimmt durch den Widerstand und die Geschwindigkeit, mit der ein Körper bewegt wird. Die grössten Leistungen können mit mittleren Widerständen erreicht werden. Bei grossen Widerständen nimmt die Bewegungsgeschwindigkeit stark ab, bei kleinen Widerständen kann die Geschwindigkeit nicht entsprechend gesteigert werden. In der Leichtathletik geht es darum, die Leistung zu maximieren. Auf das Heben von Gewichten umgesetzt bedeutet dies, dass es nicht primär darum geht, möglichst viel Gewicht zu heben, wie dies die Gewichtheber anstreben, sondern dabei eine möglichst grosse Leistung zu vollbringen. Dazu gehört dass lange Beschleunigungswege angestrebt werden. Bei der Leistung kann unterschieden werden zwischen momentaner Leistung, die beispielsweise auf einer Kraftmessplatte bei einem Absprung bestimmt werden kann und der Leistung über eine bestimmte Zeit oder Anzahl Wiederholungen. Bei Springern und Werfern ist die momentane maximale Leistung massgebend, bei 400-m-Läufern beispielsweise die mittlere Leistung über die 400 m. Energie Die Energie ist nichts anderes als gespeicherte Arbeit. Deshalb wird für die Energie auch Joule als Masseinheit verwendet. Energie entsteht dadurch, dass beispielsweise ein Gewicht gehoben oder eine Feder gespannt werden und dadurch Energie gespeichert wird. Die Energie kann unterteilt werden in potentielle und kinetische Energie. Die potentielle Energie wird definiert als Masse x Schwerebeschleunigung x gehobene Strecke Energiepot = kg x 9.81 m / sec2 x m = 1 Joule Ein gehobenes Gewicht oder eine gespannte Feder haben potentielle Energie. Beim Runterfallen des Gewichts oder beim Entspannen der Feder wandelt sich die potentielle Energie in kinetische Energie um. Die kinetische Energie ist abhängig von der Masse des Körpers und der Geschwindigkeit. 21 Energiekin = 1 / 2 x kg x (m / sec)2 = 1 Joule In einem abgeschlossenen System bleibt die Energie konstant. Das heisst, dass beispielsweise bei einem Sprung in die Tiefe zuoberst nur potentielle Energie vorhanden ist und zuunterst sich die potentielle Energie vollständig in kinetische Energie umgewandelt hat. Aus den obigen Formeln kann anhand der Sprunghöhe die Geschwindigkeit bei der Landung berechnet werden oder wenn beispielsweise beim Hochsprung die Abfluggeschwindigkeit bekannt ist, kann daraus die Sprunghöhe bestimmt werden. Geschwindigkeit = √2 x g x s Sprunghöhe = v2 / 2 x g 22 Biomechanik der Leichtathletikdisziplinen Sprintlauf Abbildung 19: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Sprintlauf Der Sprintlauf besteht aus den Phasen Start, Beschleunigungsphase, Hochgeschwindigkeitsphase und Schnelligkeitsausdauerphase. Die Hochgeschwindigkeitsphase ist die wichtigste Phase, weil sie am längsten dauert. Es muss die Hauptzielsetzung des Sprinters sein, möglichst grosse Laufgeschwindigkeiten zu erreichen. Die Beschleunigungs-, die Hochgeschwindigkeits- und die Schnelligkeitsausdauerphase haben untereinander enge Beziehungen. Wer eine gute Beschleunigung hat wird normalerweise auch hohe Geschwindigkeiten erreichen. Wer hohe Geschwindigkeiten laufen kann, wird diese auch eher über 100 m durchhalten können. Der Start hat keinen direkten Einfluss auf die nachfolgenden Phasen. Es ist durchaus möglich mit einem schlechten Start auf hohe Laufgeschwindigkeiten zu kommen und umgekehrt. Ein guter Start (Reaktionszeit = 0,1 – 0.15 sec und eine schnelle erste Aktion) kann aber einen entscheidenden Einfluss auf die Schlusszeit und vor allem die Rangierung haben. Die Startposition ist eine individuelle Angelegenheit. Entscheidend ist, möglichst schnell vom Startblock weglaufen zu können aus welcher Position auch immer. Normalerweise werden der rechte und der linke Block einen Fuss auseinander platziert. Das Knie des vorderen Beines ist direkt hinter der Startlinie oder eine Handbreite dahinter. Die Arme sind gestreckt und schulterbreit auseinander und in der Fertigstellung beträgt der Kniewinkel des vorderen Beines etwa 90°. Diese Startposition kann aber auch individuell aufgrund gewisser Besonderheiten verändert werden. Wichtig ist in der Fertigstellung, dass das Körpergewicht nach vorne verlagert wird und die Arme einen Druck rückwärts produzieren um die Muskulatur der Beine vorzuspannen und einen grossen Druck auf den Startblock zu erzeugen. Die Kopfhaltung steuert die Bewegung beim Starten. Die moderne Tendenz, den Kopf nach vorne zu neigen, ist für die ersten Laufschritte sicher nicht von Vorteil, weil dadurch das Becken rückwärts gedreht wird, leicht nach hinten ausweicht und der Körperschwerpunkt nicht optimal getroffen wird. Für die nachfolgende Beschleunigungs- und Hochgeschwindigkeitsphase ist diese Becken- 23 haltung aber wahrscheinlich vorteilhaft, weil dadurch die Beine besser gehoben und anschliessend aktiver aufgesetzt werden können. Abbildung 20: Biomechanische Messgrössen beim Sprintlauf Die entscheidenden Komponenten für das schnelle Laufen in allen Phasen sind die Schrittlänge und die Schrittfrequenz. Schnelle Sprinter haben sowohl hohe Schrittfrequenzen, aber auch grosse Schrittlängen. Da eine Verlängerung der Laufschritte automatisch eine Reduktion der Schrittfrequenz bedeutet und umgekehrt, ist es eine Zielsetzung beim Sprinttraining dieses Verhältnis individuell zu optimieren. Die Schrittlänge kann vor allem über eine Verbesserung der konditionellen Fähigkeiten (Schnellkraft, Reaktivkraft) gesteigert werden. Zudem wirken sich eine Vorlage des Oberkörpers (Oberkörperwinkel η) und ein hoher Kniehebewinkel ε positiv auf die Schrittlänge aus. Damit bei deutlicher Oberkörpervorlage die Beine schnell und hoch gehoben werden können, braucht es eine leistungsfähige Hüftbeugemuskulatur. Die Schrittfrequenz wird dadurch bestimmt, wie stark das Standbein bei der Landung unter den Körper gezogen (Auftreffwinkel γ1, aktives Aufsetzen), wie schnell das Schwungbein zum Standbein gebracht (Beinöffnungswinkel λ) und in welchem Abstosswinkel γ2 der Bodenkontakt aufgelöst wird. Schnelle Sprinter haben grosse Auftreffwinkel und kleine Abstosswinkel, das heisst kleine Umsetzwinkel Δγ und damit kurze Bodenkontaktzeiten. Die Bodenkontaktzeiten betragen bei den guten Sprintern 0.07 – 0.08 sec. Je kürzer die Bodenkontaktzeiten sind, desto grösser ist die Schrittfrequenz. Kurze Bodenkontaktzeiten sind das Resultat einer technisch guten Beinbewegung und einer grossen Reaktivkraft. Sie dürfen nicht dadurch klein gehalten werden, dass die Beine, ohne Kraft entwickelt zu haben schneller vom Boden weggezogen werden. Dies würde sich in einer Verkürzung der Schrittlänge auswirken. Für das schnelle Laufen leistungsbestimmend ist die runde, aktiv ziehende Bewegung der Beine (Abbildung 21). Das Standbein darf am Ende der Abstossphase im Knie- und Hüftgelenk nicht total gestreckt werden, weil sonst das Bein nicht mehr rechtzeitig zum nächsten Schritt vor den Körper gebracht werden 24 Abbildung 21: Guter (links) und mangelhafter Beineinsatz beim Sprinten kann (grosse Körperstreckwinkel ф bei schnellen Sprintern). Nach dem letzten Bodenkontakt wird das Bein, bei gestrecktem Fussgelenk, möglichst schnell im Kniegelenk gebeugt und mit der Ferse nahe am Gesäss vorbei nach vorne gezogen. Das Anfersen verkleinert das Trägheitsmoment des Schwungbeines, was zu einem schnelleren und höheren Kniehub führt. Nach dem Knieheben pendelt das Schwungbein bei gleichzeitigem Hochziehen der Fussspitze aktiv oder passiv nach vorne und setzt anschliessend mit einer rückwärtsziehenden Bewegung auf dem vorgespannten Vorfuss auf. Der Antrieb am Boden erfolgt weniger aus der Kniestreckung, sondern aus der Hüftstreckung heraus. Die Antriebsmuskeln sind dementsprechend nicht die vorderen Oberschenkel-, sondern die hinteren Oberschenkel und Gesässmuskeln. Dadurch ist die Kraftrichtung relativ stark horizontal und weniger vertikal gerichtet (siehe auch Abbildung 15). Während der Bodenkontaktphase wirkt auch die Wadenmuskulatur beschleunigend in der horizontalen Richtung und hilft mit, hoch zu laufen. Die Armbewegung hat beim Sprint eine unterstützende Wirkung. Dank eines kräftigen Oberkörpers können die massigen Arme nach dem Prinzip Aktio = Raktio wirkungsvoll die Beinarbeit unterstützen. In dieser Hinsicht hilft vor allem eine vor dem Körper ausholende rückwärts gerichtete, fast gestreckte und energische Armführung. Im Langsprint ist die Zielsetzung, mit gleicher Technik zu laufen wie im Kurzsprint. Mit zunehmender Laufzeit wird dies immer schwieriger, weil die Beine nicht mehr so hoch gehoben werden können, das aktive Aufsetzen weniger deutlich erfolgt und weil die Hüftstreckmuskulatur wegen lokaler Übermüdung die Zugbewegung weniger effektiv ausführen kann. Die Lauftechnik im 400-m-Lauf verändert sich von einem Zuglauf in einen Stosslauf. 25 Mittel-, Langstreckenlauf Abbildung 22: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Langstreckenlauf Um schnell laufen zu können, muss sich der Mittel- und Langstreckenläufer an der Lauftechnik der Kurzstreckenläufer orientieren. Letztlich bestimmen aber die Energiereserven, wie gelaufen werden kann. Je länger die Laufdistanz, desto wichtiger wird die Laufökonomie. Es muss mit den vorhandenen Kräften möglichst haushälterisch umgegangen werden. Beim Mittel- Langstreckenlauf liegen die Unterschiede zur Lauftechnik des Sprints in folgenden Bereichen: Das Aufsetzen des Fusses erfolgt weniger aktiv von vorne nach hinten und etwas weniger hoch auf den Fussballen als beim Sprint. Langstreckler und Jogger setzen den Fuss wegen Kraftausdauermangel der Wadenmuskulatur häufig über die Ferse auf. Dies entlastet die Wadenmuskulatur und die Achillessehne, bewirkt aber, dass die vordere Oberschenkelmuskulatur und die Knie bei gleichem Lauftempo mehr belastet werden, was zu einer Überforderung der belasteten Strukturen und damit zu einer Temporeduktion führt. Der Kniewinkel und damit der Körperschwerpunkt während der Standphase sind beim langen Laufen tiefer als beim Sprinten. Am Ende der Abstossphase wird aber das Standbein mehr durchgestreckt als im Sprint. Der Grund dafür ist die ökonomischere Arbeit der vorderen Oberschenkelmuskulatur gegenüber der Hüftstreckmuskulatur. Ein deutlicheres Durchstrecken des Standbeines bewirkt, dass sich der Körperschwerpunkt relativ stark auf- und abwärts bewegt, was von der Kraftrichtung her gesehen sicher nicht optimal, aber ökonomisch ist. Das Schwungbein wird nicht so hoch und schnell wie möglich, sondern wie sinnvoll gehoben. Je länger die Laufstrecken sind, desto tiefer bleibt der Schwungbeineinsatz. Die Armbewegung hat beim Mittel- und Langstreckenlauf eine geringere Bedeutung als beim Sprint. Meistens werden die Arme im Ellbogen deutlicher angewinkelt als beim schnellen Laufen. Dementsprechend ist die Wirkung des Armeinsatzes gering. 26 Hürdensprint Abbildung 23: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Hürdensprint Der Hürdensprint kann wie der Sprint in die 4 Phasen Start-, Beschleunigungs-, Höchstgeschwindigkeits- und Schnelligkeitsausdauerphase unterteilt werden. Das Hauptziel ist das Erreichen einer möglichst grossen Geschwindigkeit. Im Gegensatz zum Sprintlauf, wo die Geschwindigkeit auch über eine Steigerung der Schrittlänge verbessert werden kann, ist der Hürdenlauf ein Zwangslauf, bei dem sich alle LäuferInnen an den gegebenen Hürdenabständen orientieren müssen. Eine Geschwindigkeitssteigerung kann nur über eine Erhöhung der Schrittfrequenz erreicht werden. Beim Start gelten die gleichen Kriterien wie beim 100-m-Lauf. Man sieht aber beim Hürdenlauf häufig extreme Startpositionen, weil über die Startstellung der Lauf bis zur ersten Hürde stark beeinflusst werden kann. Ein weites Auseinanderrücken der beiden Startblöcke ergibt einen langen ersten Schritt. Dies ist eine Möglichkeit für HürdenläuferInnen, die von Natur aus kurze Schritte machen oder die mit 7 Schritten die erste Hürde anlaufen wollen. Eine enge Startstellung führt zu einem kurzen ersten Schritt. Es ist günstiger, die Startposition etwas zu ändern, als die Schritte unnatürlich zu verlängern oder zu verkürzen. Beim Anlaufen der ersten Hürde wird der Körper früher aufgerichtet als beim Sprint, weil die Hürde nur aus einem hohen Lauf ideal angegangen werden kann. Dem Überlaufen der ersten Hürde kommt zentrale Bedeutung zu. Fehler bei der Hürdenüberquerung können sich negativ auf die folgenden Hürdenschritte auswirken. Die Beschleunigungsphase dauert bei den schnellen Hürdenläufern bis etwa zur 3. Hürde. Bei den schlechten Hürdenläufern ist sie schon bei der 2. Hürde abgeschlossen. Die maximale Geschwindigkeit sollte von der 3. bis zur 7. Hürde beibehalten werden können. Anschliessend ist mit einem leichten Geschwindigkeitsabfall zu rechnen. Nach der letzten Hürde kann die Laufgeschwindigkeit bis ins Ziel nochmals erhöht werden. Die Schnelligkeitsausdauer ist beim Hürdenlauf wichtiger als beim 100-m-Lauf, weil die Laufzeit deutlich länger ist. Im letzten Streckenteil erschöpfen sich die Kreatinphosphatreserven und die Laktatproduktion nimmt langsam zu, was zu einem häufig verkrampften Laufstiel und zu einer Geschwindigkeitsabnahme führt. 27 Abbildung 24: Biomechanische Messgrössen beim Hürdensprint Die Höchstgeschwindigkeit kann über einen schnellen und kurzen Hürdenschritt maximiert werden. Der Körperschwerpunkt darf dabei nur wenig in der vertikalen Richtung verschoben werden (ΔHHü = 0.25 – 0.30 m). Einerseits soll der Schwerpunkt beim Sprint zwischen den Hürden möglichst hoch gehalten werden. Grosse Athleten haben in dieser Beziehung einen Vorteil. Andererseits muss der Schwerpunkt bei der Hürdenüberquerung tief geführt werden, indem die Hürde dank guter Beweglichkeit flach überlaufen, der Oberkörper nach vorne geneigt und die Arme tief gehalten werden. Ein flaches Überlaufen der Hürde ist nur bei optimalem Abstossabstand S1 vor der Hürde möglich. Tendenziell ist der Abstossabstand vor der Hürde bei guten Hürdensprintern grösser als bei schlechten Läufern (2.05 – 2.15 m). Dies hat zur Folge, dass sowohl der Auftreffwinkel γ1 als auch der Abstosswinkel γ2 bei schnellen Läufern gross sind und der Abdruck flach vorwärts erfolgt. Ein flaches Abstossen setzt einen schnellen und hohen Kniehub voraus (Winkel ε2 = 90 – 100°). Der Unterschenkel darf beim letzten Bodenkontakt noch nicht ausgependelt sein. Der Oberkörper wird über der Hürde kontrolliert, mit Blickrichtung vorwärts so stark nach vorne geneigt (kleiner Oberkörperwinkel η1), dass der Kopf bei der Hürdenüberquerung auf gleicher Höhe bleibt wie beim Laufen zwischen den Hürden. Das im Kniegelenk locker gehaltene Schwungbein wird durch das Aktivieren der Hüftstreckmuskulatur über der Hürde und beim nachfolgenden schnellen Abwärtsbewegen gestreckt und setzt mit möglichst kurzem Landeabstand hoch auf den Fussballen auf (S2.= 1.25 – 1.40 m). Der Oberkörper bleibt vorne (kleiner Oberkörperwinkel η2). Das Nachziehbein wird hoch und möglichst schnell nach vorne geführt (grosse Kniehebewinkel ε3 und ε4). Der schnelle Einsatz des Nachziehbeines bewirkt, dass nach dem Prinzip Aktio = Reaktio hoch und schnell von der Hürde weggelaufen werden kann. Dementsprechend ist der Abstosswinkel nach der Hürde γ4 bei den guten Hürdensprintern deutlich kleiner als bei den schlechten Läufern, was sich darin auswirkt, dass der erste Schritt nach der Hürde S N ähnlich lang wird wie die nachfolgenden Schritte. Die schlechten Läufer haben die Tendenz 28 wegen der langen Flugphase, des grossen Landeabstands, der grossen vertikalen Kräfte bei der Landung und der tiefen Nachziehbeinbewegung einen kurzen ersten Schritt nach der Hürde auszuführen, den Mittelschritt sprungartig lang zu machen und den letzten Schritt vor der Hürde wieder stark zu verkürzen (typischer Sprungrhythmus). Die Technik im Frauen-Hürdenlauf unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von jener bei den Männern. Allerdings hat die Hürdenüberquerung eine etwas geringere Bedeutung als beim Hürdenlauf der Männer, weil das Verhältnis der Hürdenhöhe zur Körperschwerpunktshöhe bei den Frauen kleiner ist als bei den Männern. Dementsprechend erhalten die Sprintqualitäten bei den Frauen eine grössere Bedeutung. Weitsprung Abbildung 25: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Weitsprung Die zentralen biomechanischen Komponenten des Weitsprungs sind die Anlaufgenauigkeit, die Abfluggeschwindigkeit, die Abflughöhe, der Abflugwinkel und die Landeweite. Die Anlaufgenauigkeit G ist eine Frage der Orientierungsfähigkeit, der Fähigkeit, regelmässige Schritte machen zu können und psychischer Fähigkeiten wie Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Bei der Anlaufgeschwindigkeit sind die meisten leistungsbestimmenden Kriterien gleich wie beim Sprint. Allerdings geht es nicht darum, vom Beginn des Anlaufs voll loszulaufen, sondern auf dem Balken die grösste Geschwindigkeit zu erreichen. Die Schrittlänge verändert sich im Verlaufe des Anlaufs wenig, die Schrittfrequenz nimmt laufend zu und erreicht bei den letzten Schritten ihr Maximum. Die Geschwindigkeit wird demnach über die Steigerung der Schrittfrequenz erhöht. Entscheidend für die Sprungweite ist nicht die Anlauf- sondern die Abfluggeschwindigkeit V0 (siehe Formel schiefer Wurf). Deswegen darf beim Absprung nur wenig Horizontalgeschwindigkeit verloren gehen. Ein Verlust von 1 m/sec an Anlaufgeschwindigkeit durch den Absprung ist als gut zu taxieren. 2 m/sec Verlust zeugen von einer extremen Stemmphase. Topweitspringer haben Abfluggeschwindigkeiten von 10 m/sec. Eine Erhöhung der Abfluggeschwindigkeit um 1 m/sec würde bei gleichem Abflugwinkel einen Weitengewinn von etwa 1.2 m bedeuten. 29 Abbildung 26: Biomechanische Messgrössen beim Weitsprung Die Oberkörperhaltung ist beim Weitsprunganlauf aufrechter als beim Sprint, die Hüfte wird etwas mehr gestreckt. Dadurch kann der Absprung gut vorbereitet werden. Ein optimaler Abflugwinkel α ist nur über ein Absenken des Körperschwerpunktes beim zweitletzten Schritt zu erreichen. Der zweitletzte Schritt wird etwas verlängert, die Auftreffhöhe H1 ist relativ tief mit der Möglichkeit, über die Katapultwirkung durch den schnellen letzten Schritt und den Absprung eine grosse vertikale Höhendifferenz ΔH und eine grosse Abflughöhe H2 zu erreichen. Je grösser die vertikale Schwerpunktsverschiebung ΔH beim Absprung ist, desto steiler ist der Abflugwinkel α. Anzustreben sind Abflugwinkel von 20 – 24°. Die schnellen Weitspringer haben Mühe, steile Abflugwinkel zu erreichen, weil sie beim Absprung nur wenig Zeit für eine explosive Kraftentfaltung haben. Langsamere Springer mit längeren Kontaktzeiten können ihre mangelnde Abfluggeschwindigkeit mit einem steileren Abflugwinkel etwas wettmachen. Theoretisch bedeutet eine Erhöhung des Abflugwinkels von 5° eine Weitensteigerung von etwa 65 cm. Der Abflugwinkel wird nicht nur durch das Absenken des Schwerpunktes beim zweitletzten Schritt, sondern auch über die Körperhaltung beeinflusst. Je kleiner der Auftreffwinkel γ1 und der Oberkörperwinkel η1 sind, das heisst, je mehr die Hüfte beim Auftreffen zum Absprung vorwärts geschoben wird, desto eher kann die Kraft auf den Schwerpunkt wirken und desto steiler wird der Abflugwinkel. Logischerweise ist bei einem steilen Abflugwinkel auch der Abstosswinkel γ2 eher klein. Die Körperhaltung beim Absprung beeinflusst das Flugverhalten und die Landung. Wer beim Absprung den Oberkörper vorwärts dreht (kleiner Oberkörperwinkel η1 und grosser Winkel η2) produziert ein Drehmoment vorwärts, das in der Flugphase nur wenig durch die Bein- und Armbewegung aufgefangen werden kann. Mit einem solchen Absprungverhalten sind grosse Landeweiten nicht möglich, weil durch die Vorlage des Oberkörpers bei der Landung die Lage des Körperschwerpunktes negativ beeinflusst wird. Die Vorwärtsrotation des 30 Körpers kann durch einen hohen Kniehebewinkel εw vermindert oder aufgehoben werden. Gute Weitspringer heben ihr Schwungbeinknie bis über 90°, was bei der kurzen Kontaktzeit eine enorm grosse Hubgeschwindigkeit bedeutet. Der Absprung ist bei allen Sprungtechniken gleich. Der Schrittweitsprung hat den Vorteil, dass es einfacher ist das Schwungbein hoch zu heben, weil es nach dem Verlassen des Bodens nicht nach unten bewegt werden muss. Diese Technik hat aber gewisse Nachteile bei der Landung. Beim Hangsprung haben vor allem die schlechten Springer die Tendenz, dass sie ohne das Schwungbein richtig zu heben direkt in die Hangphase springen, dadurch zu viel Vorwärtsrotation in der Luft erhalten und schlechte Landeweiten haben. Der Laufsprung hat dann klare Vorteile gegenüber den anderen Sprungtechniken, wenn beim Absprung das Schwungbeinknie hoch gehoben wird und erst anschliessend die Laufbewegung in der Luft beginnt. Für die meisten Weitspringer sind nur 1 1/2 Laufbewegungen in der Luft sinnvoll, weil sie für mehr Bewegungen zu wenig Zeit haben. Durch die Laufbewegung in der Luft kann ein Teil der Vorwärtsrotation des Absprungs kompensiert werden und die Beine können höher und aktiver als bei den anderen Techniken zur Landung nach vorne gebracht werden. Die Landung ist dann optimal, wenn die Landeweite a möglichst gross ist. Dazu müssen der Oberkörper beim ersten Sandkontakt in Rücklage und die Arme noch hinter dem Körper gehalten werden. Durch ein aktives von oben nach unten gerichtetes Führen der Ferse in den Sand kann mit der anschliessenden energischen Beugung im Kniegelenk der Körper über die Ferse nach vorne gezogen werden. Die Fehler für schlechte Landungen sind meistens nicht bei der Landung selber, sondern beim Absprungverhalten zu suchen. Dreisprung Abbildung 27: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Dreisprung Der Dreisprung hat Gemeinsamkeiten mit dem Weitsprung. Es sind dies die Anlaufgestaltung und vor allem der letzte Sprung. Die Anlaufgestaltung ist insofern nicht genau gleich wie beim Weitsprung, als die Anlaufgeschwindigkeit nicht maximal, sondern optimal sein soll. Die Anlauflänge und -geschwindigkeit ist abzustimmen auf die koordinativen und konditionellen Fähigkeiten bei der Landung nach dem ersten Sprung. Wer dort die extremen Belastungen bei der Landung nicht auffangen kann, muss die Geschwindigkeit und sinnvollerweise auch die Anlauflänge etwas reduzieren. Die Belastung des Bewegungsapparates bei der Landung nach dem ersten Sprung 31 kann auch durch einen eher flachen und nicht allzu langen ersten Sprung reduziert werden. Dementsprechend soll der Absprungrhythmus weniger deutlich und die Körperhaltung weniger in Rücklage sein als beim Weitsprung. Die Zielsetzung, durch aktives Aufsetzen möglichst wenig Horizontalgeschwindigkeit zu verlieren gilt auch schon für den ersten Sprung. Der Dreispringer hat die Tendenz bei den einzelnen Sprüngen Drehmomente vorwärts zu produzieren. Diese können durch einen energischen Schwungbein- und ab dem zweiten Sprung auch durch einen Doppelarmeinsatz aufgefangen werden. Der Doppelarmeinsatz ist mechanisch gesehen günstiger als der Gegenarmeinsatz. Der letzte Sprung entspricht grundsätzlich dem Weitsprung. Die meisten Springer haben aber beim Absprung nicht eine identische Körperhaltung, weil es bei diesem Sprung entscheidend ist, möglichst wenig der noch vorhandenen Horizontalgeschwindigkeit zu verlieren. Um beim letzten Absprung mit der Oberkörpervorlage eine einigermassen ideale Landung zu erreichen, müssen das Schwungbein und die Arme energisch hochgerissen werden. Hochsprung Abbildung 28: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Hochsprung Die Sprunghöhe beim Hochsprung ist abhängig von der maximalen Schwerpunktshöhe während der Flugphase und der Lattenüberhöhung. Die Schwerpunktshöhe wird physikalisch bestimmt durch die Abstosshöhe, die Abfluggeschwindigkeit und den Abflugwinkel. Die Abstosshöhe h2 wird bestimmt durch die Körpergrösse und die Körperhaltung beim letzten Bodenkontakt. Grosse AthletInnen sind im Vorteil. Ein hoher Schwungbein- und Doppelarmeinsatz führen ebenfalls zu einer Verlagerung des Körperschwerpunktes nach oben. Im Gegensatz zum Weitsprung, wo die Abfluggeschwindigkeit V0 die wichtigste leistungsbestimmende Grösse ist und möglichst hoch sein soll, ist beim Hochsprung der Abflugwinkel α ebenso wichtig wie die Geschwindigkeit. Es muss zwischen der Abfluggeschwindigkeit und dem Abflugwinkel ein optimales Verhältnis angestrebt werden. Es darf nur so schnell angelaufen werden, wie beim Absprung in einen optimalen Abflugwinkel umgesetzt werden kann. Gemäss der im allgemeinen Teil vorgestellten Formel für die Maximierung der Sprunghöhe müsste der Abflugwinkel so steil wie möglich sein. Da man aber für die Über- 32 querung der Latte Zeit und horizontalen Weg braucht, reduziert sich der optimale Abflugwinkel beim Flop auf 52 – 56 °. Mit dem Straddle-Stil kann mit steilerem Abflugwinkel weggesprungen werden, weil für die Lattenüberquerung bäuchlings weniger horizontaler Weg benötigt wird. Der Abflugwinkel wird gesteuert durch die Körperhaltung beim Absprung. Wie beim Weitsprung führt ein verlängerter zweitletzter Schritt zu einem Absenken des Körperschwerpunktes und zu einer tiefen Auftreffhöhe h1. Das Vorweglaufen der Beine mit dem typischen Absprungrhythmus „lang-kurz“ führt zu einer deutlichen Körperrücklage und einem kleinen Auftreffwinkel γ1. Damit der Körperschwerpunkt richtig getroffen werden kann, sollte auch die Hüfte beim Auftreffen zum Absprung vorwärts geschoben werden, was sich in einem eher kleinen Oberkörperwinkel η zeigt. Je kleiner der Auftreffwinkel ist, desto kleiner ist normalerweise auch der Abstosswinkel γ2. Gute HochspringerInnen haben beim letzten Bodenkontakt den Körperschwerpunkt leicht hinter der Vertikalen. Schlechte SpringerInnen mit wenig Reaktivkraft haben meistens Abstoss- V0 α η Abbildung 29: Biomechanische Messgrössen beim Hochsprung winkel über 90°. Tendenziell kleine Auftreff- und Abstosswinkel führen zu einem steilen Abflugwinkel. Mit der Körperhaltung beim Absprung gekoppelt ist ein grosser vertikaler Beschleunigungsweg h2-1. Gute HochspringerInnen haben lange vertikale Beschleunigungswege. Weil sie in der Lage sind mit hoher Geschwindigkeit anzulaufen und reaktiv abzuspringen, sind die Kontaktzeiten beim Absprung trotz des langen Beschleunigungsweges sogar kürzer als bei den schlechten SpringerInnen. Sie liegen beim Flop bei etwa 0.15 sec. und bei Sprüngen mit gestrecktem Schwungbeineinsatz wie beim Power-Flop und beim Straddle bei 0.18 sec. 33 Damit der Springer die Latte rücklings überqueren kann benötigt er ein Drehmoment um die Körperlängsachse. Dieses Drehmoment entsteht durch die Drehung des Körpers beim bogenförmig gelaufenen Anlauf und den energischen einwärts-hoch-gerichteten Schwungbeineinsatz. Die Veränderung der Körperposition von der Vertikalen beim Absprung in die Horizontale bei der Lattenüberquerung entsteht beim Absprung aufgrund der Innenneigung des Körpers und der dadurch am Körperschwerpunkt vorbei gerichteten Kraft. Schwache SpringerInnen neigen oft beim Absprung den Oberkörper schon so stark gegen die Latte, dass ein grosser Teil der am Boden produzierten Kraft als Drehmoment verloren geht und nicht mehr für den Auftrieb zur Verfügung steht. Eine zu starke Neigung gegen die Latte kann durch energisches Hochschwingen des lattennahen Armes verhindert werden. Bei der Lattenüberquerung ist es bei keiner Stilart möglich, den Körperschwerpunkt bei einem gültigen Versuch unterhalb der Höhe der Latte durchzuführen. Idelalwerte für die Lattenüberhöhung liegen bei 4 – 6 cm. Solche Werte sind durch eine extreme Hohlkreuzstellung erreichbar. Der Kopf soll über der Latte rückwärts geführt werden. Durch die Steuerung des Kopfes und die Kontraktion der Hüftstreckmuskulatur wird die Hüfte hochgedrückt. Sobald das Becken die Latte überquert hat, werden die Beine durch die Verkürzung der Hüftbeugerund der vorderen Oberschenkelmuskulatur über die Latte gebracht. Springer mit einem schnellen Anlauf und einer eher weiten Flugbahn (Speed-Flop) haben in bezug auf die Lattenüberquerung leichte Vorteile gegenüber den Steilspringern, weil ihr Körper weniger lang über der Latte ist. Allerdings kann der Nachteil der flacheren Flugbahn durch die günstigere Lattenüberquerung kaum wettgemacht werden. Stabhochsprung Abbildung 30: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Stabhochsprung 34 Die Sprunghöhe beim Stabhochsprung ist abhängig von der maximalen Schwerpunktshöhe während der Flugphase und der Lattenüberhöhung. Die maximale Schwerpunktshöhe Hmax wird bestimmt durch die Griffhöhe und die Griffüberhöhung. Die Griffhöhe HG wird positiv beeinflusst durch die Körpergrösse. Grosse AthletInnen sind hier im Vorteil. Die Griffhöhe kann aber auch durch eine hohe Anlaufgeschwindigkeit, einen hohen Einstich, viel Vorwärtsenergie beim Absprung und eine grosse Stabbiegung positiv beeinflusst werden. Die Griffüberhöhung ΔHSG ist abhängig von der Abfluggeschwindigkeit, der nach dem Absprung im Stab gespeicherten Energie, der Einrollbewegung und Körperhaltung beim Drehumstütz und der Kraft im Oberkörper. Der Vorteil der grösseren Griffhöhe der grossen AthletInnen wird meistens durch geringere Werte für die Griffüberhöhung neutralisiert. Die Körperhaltung beim Anlauf ist bedingt durch das Gewicht des Stabes aufrecht. Eine steile Stabführung zu Beginn des Anlaufes erleichtert das Tragen des Abbildung 31: Biomechanische Messgrössen beim Stabhochsprung Stabes, verlangt aber bessere koordinative Qualitäten bei der Vorbereitung des Einstichs. Die Bewegung der Beine entspricht jener beim Sprint und Weitsprung. Die grösste Geschwindigkeit VA soll beim letzten Anlaufschritt erreicht werden. Die Einstichbewegung beginnt beim drittletzten Bodenkontakt. Beim zweitletzten Kontakt ist der Stab bereits auf Kopfhöhe. Beim Aufsetzen des Sprungfusses ist der obere Arm senkrecht über dem Körper total gestreckt (gros- 35 se Distanz DA). Es ist wichtig, dass beim Absprung möglichst wenig Vorwärtsgeschwindigkeit verloren geht. Deswegen wird der Sprungfuss ohne grosse Stemmwirkung auf dem Fussballen aufgesetzt. Der Auftreffwinkel γ 1 ist grösser als bei den anderen Sprungdisziplinen und ähnlich wie beim Laufen. Der Abstosswinkel γ2 ist abhängig vom Ort des Absprungs. Heute wird der sogenannte „freie Absprung“ propagiert. Danach ist der Absprungort eher weit vom Einstichkasten entfernt. Es erfolgt zuerst die Bremswirkung durch den Absprung und erst anschliessend jene durch das Einstecken des Stabes. Dies wird als günstiger erachtet als die gleichzeitige Bremswirkung durch Absprung und Einstich. In der Realität kann aber beobachtet werden, dass auch die besten Springer die obere Sprunghand meistens leicht unterlaufen (DG = 0 – 20 cm). Ein freier Absprung bedeutet, dass der Stab erst nach dem Verlassen des Bodens gebogen wird. Dadurch wird es schwierig, harte Stäbe stark biegen zu können. Je mehr unterlaufen wird, desto früher kann der Stab gebogen werden, was meistens zu grossen Stabbiegewinkeln η führt. Die Meinungen gehen auch in bezug auf den Einsatz des unteren Armes auseinander. Für einen relativ gestreckten Armeinsatz spricht, dass damit harte Stäbe stark gebogen und hoch gehalten werden können. Gute Springer haben Griffhöhen am Stab über 5 m. Bei einem gebeugten Armeinsatz kann möglicherweise eine grössere Spannung im Schulterbereich des oberen Armes aufgebaut werden, was zu einem besseren Einrollen und einer grösseren Griffüberhöhung führt. Sehr gute Werte für die Griffüberhöhung sind 1 – 1.3 m. Entscheidend ist beim Einsatz des unteren Armes, dass dieser den Druck auf den Stab nach oben und nicht nach vorne leistet. Dies ist bei grossen Griffhöhen und eher enger Griffweite am besten möglich. Wenn beim Absprung die totale Bein- und Hüftstreckung gesucht wird, macht es den Eindruck, dass die Absprungposition in der ersten Phase nach dem Verlassen des Bodens beibehalten wird. Es wird bewusst eine klare C-Position gesucht (obere Griffhand, Schulter, Hüfte, Sprungbein). Aus dieser Spannung heraus erfolgt das Einrollen. Das Schwungbein wird gebeugt hochgeführt (kleines Trägheitsmoment). Weil das Sprungbein beim Absprung und in der ersten Flugphase verantwortlich ist für den Spannungsaufbau, fehlt meistens die Zeit , um es beim Einrollen stark zu beugen und in der folgenden Phase wieder zu strecken. Das Ziel der Einrollbewegung ist, den Körper durch den Einsatz der vorderen Schultermuskulatur in die I-Position und den Körperschwerpunkt zwischen die beiden Griffhände an den Stab zu bringen (Einrollwinkel β gegen 90°). Der Kopf kann beim Einrollen zur Unterstützung der Bewegung leicht zurückgeführt werden (grosser Kopfwinkel δ). Gute Springer führen die Einrollbewegung zu Beginn mit gestreckten Armen durch. In der letzten Phase des Einrollens wird der untere Arm gebeugt und auf der Innenseite am Stab vorbeigeführt. Dadurch wird bei der Streckung des Stabes der Körper in die Höhe katapultiert und es entsteht nur das für die Lattenüberquerung bäuchlings nötige Drehmoment. 36 Der Drehumstütz mit der Drehung um die Körperlängsachse ergibt sich von selbst, wenn der Körper durch den Stab hochgeschleudert wird. Der obere Arm beginnt erst in der I-Position mit der Beugung im Ellbogengelenk. Das Ausstossen in die Höhe erfolgt zuerst mit einem Abstossen des unteren und anschliessend des oberen Armes. Bei der Lattenüberquerung bäuchlings ist es wichtig, dass die maximale Scheitelhöhe senkrecht über der Latte erreicht wird. Mit einer optimalen Körperhaltung kann der Wert für die Lattenüberhöhung minimiert werden (10 – 20 cm). Ständereinstellungen von 60 – 80 cm sind insofern günstig, dass der Körper bei der Lattenüberquerung auch noch eine gewisse horizontale Geschwindigkeit hat und damit weniger die Tendenz besteht auf die Latte zu fallen. Zudem wird damit auch das Risiko, nicht auf der Matte zu landen, minimiert. Vergleich der Auftreff-, Abstoss- und Abflugwinkel und der Körperhaltung bei den Sprungdisziplinen Die Abbildung 30 zeigt die Unterschiede im Sprungverhalten bei den einzelnen Sprungdiszipinen Kleine Auftreff- und Abstosswinkel führen zu einem starken Abbremsen der horizontalen Geschwindigkeit, bewirken aber anschliessend eine steile Abflugkurve. Bei grossen Auftreff- und Abstosswinkeln ist der horizontale Geschwindigkeitsverlust gering und der Abflugwinkel flach. Durch ein aktives Aufsetzen des Sprungbeines (von vorne oben nach hinten unten mit schneller Kraftentwicklung) kann der Geschwindigkeitsverlust verkleinert und trotzdem einigermassen steil abgesprungen werden. Als Folge davon sind die Kontaktzeiten am Boden eher kurz. Auch wenn die Winkelverhältnisse beim Absprung bei den Sprungdisziplinen recht unterschiedlich sind gibt es auch Gemeinsamkeiten beim Bewegungsablauf. Es sind dies: Aktives Aufsetzen des Sprungbeines Typischer Absprungrhythmus Aufrechte Oberkörperhaltung Durchstrecken des Sprungbeines und der Hüfte Energischer Schwungbein- und Armeinsatz 37 Hochsprung Straddle Beim Straddle laufen die Beine bei den letzten Anlaufschritten dem Körper extrem voraus. Dadurch sind die Auftreff- und Abstosswinkel sehr klein. Dies führt zu sehr steilen Abflugwinkeln (55 – 60°) Hochsprung Flop Beim Flop sind die Auftreff- und Abstosswinkel je nach Stilart grösser als beim Straddle. Dies führt beim Powerflop zu Abflugwinkeln um 55° und beim Speedflop um 50°. Weitsprung Weil es beim Weitsprung wichtig ist, beim Absprung wenig Anlaufgeschwindigkeit zu verlieren, sind die Auftreff- und Abstosswinkel relativ gross. Der optimale Abflugwinkel liegt zwischen 20 und 24°. Dreisprung Beim Dreisprung müssen die beiden ersten Sprünge flach und ohne grossen Tempoverlust sein. Deswegen sind die Auftreff- und Abstosswinkel gross. Der letzte Sprung ist steiler, aber nicht so steil wie beim Weitsprung Stabhochsprung Im Stabhochsprung sind die Auftreffwinkel am grössten. Es wird nach vorne in den Stab hineingelaufen. Die Abstosswinkel sind kleiner als beim Dreisprung, weil der Springer durch den Stab vom Boden abgehoben wird. Abbildung 32: Unterschiedliches Absprungverhalten bei den Sprungdisziplinen 38 Kugelstossen Abbildung 33: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Kugelstossen Die Stossweite beim Kugelstossen wird bestimmt durch die Abstosshöhe, die Abfluggeschwindigkeit der Kugel und den Abflugwinkel. Der Luftwiderstand ist zu vernachlässigen. Die Abstosshöhe HK3 ist abhängig von der Körpergrösse und der Körperstreckung beim Ausstossen. Grosse AthletInnen sind dabei im Vorteil. Der Vorteil einer grossen Abstosshöhe ist aber gering. Bei einem Landewinkel der Kugel von 45° würden 30 cm mehr Abstosshöhe nur 30 cm mehr Flugweite bringen. V0 α SK η2 V1 HK1 η1 HK2 SA SKF HK3 SS β SSA Abbildung 34: Biomechanische Messgrössen beim Kugelstossen 39 Die Abfluggeschwindigkeit V0 ist die zentrale Grösse beim Kugelstossen, weil sie in der Formel für die maximale Flugweite im Quadrat enthalten ist. Sie ist nur mit sehr guten konditionellen Fähigkeiten auf einen hohen Stand zu bringen. Beim Angleiten ist es die Aufgabe, dem Körperschwerpunkt und der Kugel aus einer individuell optimal tiefen Ausgangsstellung eine möglichst grosse Angleitgeschwindigkeit V1 zu vermitteln. Auf dieser Geschwindigkeit kann in der Ausstossphase aufgebaut werden. Die Höhe der Kugel HK1 ist abhängig von den konditionellen Fähigkeiten. AthletInnen mit viel Kraft in den Beinen und im Rumpf können aus einer tieferen Ausgangsstellung beginnen. Die Richtung des Beschleunigungsweges des Körperschwerpunktes ist eher flach. Die Kugel erfährt durch das leichte Aufrichten des Oberkörpers eine Aufwärtsbewegung in die Richtung des Abflugwinkels. Mit einer optimalen Angleitbewegung soll der Körper in eine optimale Position für die Ausstossbewegung gebracht werden. Der rechte Fuss wird bis über die Mittellinie, um 45° vorgedreht, zurückgezogen. Der Oberkörper bleibt zurück (kleiner Oberkörperwinkel η1). Im Moment der Landung des linken Fusses liegt die Kugel noch hinter dem rechten Fuss (SKF). Diese Körperhaltung führt zu einem langen Beschleunigungsweg des Körperschwerpunktes und der Kugel. Je grösser die Angleitgeschwindigkeit und je kleiner die zeitliche Differenz zwischen der Landung des linken und des rechten Fusses sind, desto kleiner ist der Halt in der Bewegung und damit der Geschwindigkeitsverlust. Die Geschwindigkeit der Kugel wird in der Ausstossphase vorerst durch eine schnelle Dreh-Stossbewegung des rechten Beines gesteigert. Dadurch wird die Hüfte auf einem langen Beschleunigungsweg SS vorwärts-aufwärts geschoben. Mit dem Einsatz der Hüfte wird auch der Oberkörper bis in eine vertikale Position aufgerichtet (Winkel η = 90°). Der Armstoss beginnt mit einer Phasenverschiebung erst in der letzten Phase des Aufrichtens. Die Führung des Stossarmes muss so sein, dass die Hand, der Ellenbogen und die Schulter auf einer geraden Achse, möglichst in der Richtung des Abflugwinkels liegen. Die Funktion des Stemmbeines ist, das Übertreten zu verhindern und den Impuls des Körpers auf die Kugel zu übertragen. Das Stemmbein ist beim letzten Handkontakt mit der Kugel durchgestreckt (Winkel β = 180°). Wenn diese Streckbewegung explosiv erfolgt, resultiert daraus ein Umspringen auf das andere Bein. Idealerweise müsste die Kugel auf einer möglichst geraden Bahn beschleunigt werden. Der Abflugwinkel wird beeinflusst durch die Position der Kugel bei der Landung nach dem Angleiten (HK2) und der Hubbewegung in der Ausstossphase. Der optimale Abflugwinkel ist abhängig von der Stossweite. Die Kugel sollte bei der Landung mit einem Winkel von 45° auf dem Boden aufschlagen. Da sie aber auf einer bestimmten Höhe ausgestossen wird, muss die Höhendifferenz zwischen der Ausstosshöhe und dem Boden miteinbezogen werden. Je weiter der Stoss ist, desto grösser sollte der Abflugwinkel sein. Optimale Winkel sind 40 – 43°. Zwischen der O’Brien-Technik und der Drehstoss-Technik gibt es vom Standpunkt der Biomechanik gesehen einzelne deutliche Unterschiede. Bei der 40 O’Brien-Technik wird die Kugel auf einer relativ geraden Bahn in Richtung Abflugwinkel bewegt. Bei der Drehstoss-Technik wird die Kugel auf einer spiralförmigen und damit längeren Bahn bis in die Ausstossphase bewegt, letztlich aber doch geradlinig ausgestossen. Der Beschleunigungsweg der Kugel in der eigentlichen Ausstossphase, das heisst, wenn beide Beine auf dem Boden stehen, ist wahrscheinlich bei der Drehstoss-Technik nicht länger, weil der Körper nach dem Drehumsprung in einer aufrechteren Position ist als bei der O’BrienTechnik. Der Vorteil der Drehstoss-Technik liegt darin, dass der Körper durch den Drehumsprung sehr viel Rotationsenergie hat und dadurch die DrehStossbewegung des rechten Beines beim Ausstossen schneller erfolgen kann. Zudem führen der lange Drehumsprung und die kurze Schrittauslage zu einer deutlichen Rhythmussteigerung. Der Vorteil der O’Brien-Technik liegt darin, dass die Kugel aufgrund der Körperhaltung nach dem Angleiten einfacher auf einen optimalen Abflugwinkel gebracht werden kann. Wer explosiv, nicht allzugross und bewegungsmässig begabt ist, sollte mit der Drehstoss-Technik stossen. Sehr grosse, schwere und mit dem Drehen wenig vertraute AthletInnen wählen besser die O’Brien-Technik. Diskuswerfen Abbildung 35: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Diskuswerfen Die Wurfweite im Diskuswerfen ist abhängig von der Abwurfhöhe, der Abfluggeschwindigkeit, dem Abflugwinkel, der Diskuswinkeldifferenz und der Aerodynamik. Grosse Abflughöhen HD2 sind von Vorteil, weil damit der Diskus auf eine hohe Flugbahn gebracht werden kann. Grosse AthletInnen sind demnach bevorteilt. Der Vorteil ist allerdings relativ gering, bei flachen Flugbahnen etwas grösser. Die Abflughöhe des Diskus kann durch einen Sprungabwurf positiv beeinflusst werden. Die Abfluggeschwindigkeit V0 ist die wichtigste Komponente beim Diskuswerfen. Sie wird vor allem in der Abwurfphase maximiert, kann aber schon beim Andrehen und beim Drehumsprung positiv beeinflusst werden. Je höher die horizontale KSP-Geschwindigkeit V1 beim Drehumsprung ist, desto grösser ist das Potenzial für grosse Abfluggeschwindigkeiten. 41 V0 α η1 η3 V1 HD1 HS1 SD η2 SK HD2 β HS2 HS3 SS Abbildung 36: Biomechanische Messgrössen beim Diskuswerfen Grosse Horizontalgeschwindigkeiten beim Drehumsprung können durch einen energischen Schwungbeineinsatz und einen explosiven Sprung vorwärts erreicht werden. Die Zielsetzung beim Drehumsprung ist nicht nur grosse Schwerpunktsgeschwindigkeiten zu schaffen, sondern auch den Körper wie eine Feder vorzuspannen und in eine günstige Abwurfposition zu bringen. Der anfänglich weite und vor dem Fussaufsetzen enger werdende Schwungbeineinsatz schafft die Drehenergie. Die weite Armführung verzögert den Oberkörper, sodass nach dem Drehumsprung ein Maximum an Verwringung zwischen der Hüft- und der Schulterachse besteht. Der Körperschwerpunkt bleibt beim Drehumsprung auf gleicher Höhe ( HS1, HS2) und, wenn die Kraftvoraussetzungen es erlauben, eher tief. Die Oberkörperhaltung ist dabei möglichst aufrecht (η1, η2 um 80°). Sie wird durch die schulterhohe Führung des Schwungarmes gesteuert. Der Drehumsprung SD ist örtlich und zeitlich deutlich länger als die Schrittauslage S S. Es resultiert daraus der typische Wurfrhythmus (lang-kurz). Der lange Drehumsprung mit dem energischen und weiten Vorschwingen des Schwungbeines deutlich über die Mittellinie und die aufrechte Körperhaltung bringen den Körper in eine optimale Ausgangsposition für den Abwurf. Nun ist es entscheidend, die Rotationsenergie aus dem Drehumsprung mit einer möglichst schnellen Dreh-Stossbewegung des rechten Beines weiterzuführen. Es darf kein Halt in der Bewegung entstehen. Die schnelle Bewegung des rechten Beines führt zu einem deutlichen Hüftschub vorwärts. Der Körperschwerpunkt wird vorwärts aufwärts geschoben (SK). Der Einsatz des hoch geführten Wurfarmes (HD1) erfolgt phasenverschoben erst nach dem Aufbau der Hüft- und Schulterspannung durch die Beinarbeit. Durch ein energisches Strecken beider Beine (β) werden die Vorwärtsbewegung und die linke Körperseite blockiert. Die Drehachse wird 42 in die linke Schulter verlagert und dadurch der Hebelarm und Beschleunigungsweg beim Abwurf verlängert. Ein energischer Sprungabwurf bringt den Körperschwerpunkt hoch (HS3) und den Diskus auf eine optimale Abflughöhe (HD2) und Abflugbahn von 33 – 36° Der optimale Anstellwinkel des Diskus ist je nach Abflugwinkel und Wurfweite um 10 – 15° flacher als der Abflugwinkel, dies im Gegensatz zum Speerwerfen. Der Grund dafür liegt darin, dass der Diskus in der Flugphase seinen Anstellwinkel beibehält. Ein Anstellwinkel, gleich gross wie der Abflugwinkel, wäre für den ersten Teil der Flugparabel günstig, würde aber in der zweiten Hälfte der Flugbahn durch den grossen Luftwiderstand zu einer schnellen Abnahme der Diskus-Geschwindigkeit und somit zu einem Weitenverlust führen. Bei Gegenwind kann weiter geworfen werden als bei Rückenwind, weil der Diskus bei optimalem Anstellwinkel durch die anströmende Luft einen Auftrieb erhält. Allerdings müsste der Diskus bei Gegenwind etwas flacher in die Luft abgegeben werden. Der Diskus erhält bei der Abwurfbewegung eine Eigenrotation. Dieser Drall ist wichtig, damit das Wurfgerät in der Luft einigermassen stabil bleibt und nicht seitwärts wegkippt. Wegen der lange dauernden Flugphase ist die Eigenrotation des Diskus bei weiten Würfen wichtiger als bei kurzen. Speerwerfen Abbildung 37: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Speerwerfen Die Weite im Speerwerfen ist abhängig von der Abflughöhe des Speeres, der Abfluggeschwindigkeit, dem Abflugwinkel, der Speerwinkeldifferenz und der Aerodynamik. Je weiter die Wurfweite ist, desto geringer ist die Bedeutung der Abflughöhe des Speeres. Theoretisch sind auch hier die grossen Werfer leicht bevorteilt. Die Abfluggeschwindigkeit V0 ist die wichtigste Komponente im Hinblick auf die Wurfweite. Es braucht aber eine gute Speerführung, damit eine hohe Abfluggeschwindigkeit in die theoretisch mögliche Weite umgesetzt werden kann. 43 Abbildung 38: Biomechanische Messgrössen beim Speerwerfen Die Abfluggeschwindigkeit des Speeres kann maximiert werden durch eine möglichst grosse, aber umsetzbare Anlaufgeschwindigkeit V1. Das heisst, die Anlaufgeschwindigkeit muss auf die technischen und konditionellen Fähigkeiten beim Abwurf ausgerichtet sein. Die grösste Geschwindigkeit sollte beim Impulsschritt Si erreicht werden. Im Gegensatz zu den Sprungdisziplinen, wo die Geschwindigkeit über eine Erhöhung der Schrittfrequenz gesteigert wird, sollte beim Speerwerfen über grössere Schrittlängen das Tempo erhöht werden. Der Impulsschritt ist der längste Schritt des Anlaufs. Dabei sind die Zielsetzungen nicht nur eine Steigerung der Geschwindigkeit sondern auch das Vorweglaufen der Beine, um einen langen Beschleunigungsweg des Speeres zu erhalten und der Aufbau einer Vorspannung über die Hüfte und die Schulter. Ein wirkungsvoller Impulsschritt drückt sich in einem kleinen Auftreffwinkel γ und einem kleinen Oberkörperwinkel η1 aus. Eine hohe Geschwindigkeit nach dem Impulsschritt bringt nur dann etwas, wenn danach der Rhythmus hochgehalten werden kann. Dazu ist es wichtig, das linke Bein bei der Landung des rechten Beines bereits relativ weit vorwärts zu bringen (grosse Schrittvorgabe SV). Eine grosse Schrittvorgabe führt trotz grosser Schrittauslage SW zu einem schnellen Aufsetzen des linken Beines und damit zum typischen Wurfrhythmus „lang-kurz“. Es wäre grundsätzlich falsch mit der Dreh-Stossbewegung des rechten Beines zuzuwarten bis der linke Fuss Boden gefasst hat. Dies würde zu einem Halt in der Bewegung und dadurch zu einem Geschwindigkeitsverlust führen. Bei guten Speerwerfern kann gelegentlich beobachtet werden, dass die Bewegung des rechten Beines nach dem Impulsschritt so schnell erfolgt, dass sie beim Fussaufsetzen links bereits abgeschlossen ist. Über die Dreh-Stossbewegung des rechten Beines wird die Körperspannung in der Hüfte aufgebaut. Im Moment des Bodenfassens links ist der 44 Oberkörper noch in Rücklage (kleiner Winkel η2) und der Wurfarm weit nach hinten ausgestreckt. Anschliessend wird der Oberkörper aufgerichtet und damit bei weiterhin weit hinten gehaltenem Wurfarm die Schulterspannung aufgebaut. Die Schulterspannung ist auch aus gesundheitlichen Gründen wichtiger als die Hüftspannung. Der Armzug wird über die Schulterspannung eingeleitet. Dadurch, dass das Stemmbein beim Abwurf möglichst durchgestreckt wird (grosser Winkel ε), ist der letzte Handkontakt mit dem Speer hinter dem Fuss des Stemmbeines (D W). Das Stemmbein hat die Funktion, die Vorwärtsenergie des Körpers auf den Speer zu übertragen. Gute Speerwerfer haben dementsprechend nach dem Impulsschritt eine grosse und nach dem Abwurf des Speeres eine kleine horizontale Körperschwerpunktsgeschwindigkeit. Der ideale Abflugwinkel α des Speeres liegt im Bereich von 35 – 38°. Es ist wichtig, dass die Winkeldifferenz zwischen dem Anstell- und dem Abflugwinkel des Speeres (φ – α) möglichst klein ist. Dadurch ist der Luftwiderstand des Speeres gering und die Abfluggeschwindigkeit wird nur wenig reduziert. Im Gegensatz zum Diskuswerfen ändert sich beim Speerwerfen, aufgrund des nach vorne geschobenen Schwerpunktes des Gerätes, die Lage des Speeres in der Luft. Nach einer „Segelphase“ mit einem vertikalen Auftrieb senkt sich die Speerspitze langsam nach unten und führt dazu, dass der Speer normalerweise steckt. Bei Gegenwind soll wegen der grösseren Strömungsgeschwindigkeit von vorne und dem entsprechenden Auftrieb etwas flacher, bei Rückenwind etwas steiler abgeworfen werden. Bei idealer Speerführung kann mit Gegenwind weiter geworfen werden als mit Rückenwind. Bei guten Speerwerfern kann häufig beobachtet werden, dass sie den Speer extrem weit zurückführen, sodass der Speer beim Impulsschritt eine grosse Winkeldifferenz zur Wurfrichtung aufweist. Diese Technikvariante führt zu einer extremen Spannung innerhalb des Körpers. Sie führt nur dann zu sehr guten Wurfleistungen, wenn der Werfer in der Lage ist, beim Abwurf zuerst die Beinarbeit abzuschliessen, damit den Speer wieder in die Wurfrichtung zu führen und erst dann mit dem Armzug zu beginnen. Schlechtere Speerwerfer und auch Mehrkämpfer sind bei dieser Technikvariante meistens überfordert. 45 Hammerwerfen Abbildung 39: Vorbildlicher Bewegungsablauf beim Hammerwerfen Die zentralen biomechanischen Komponenten beim Hammerwerfen sind die Abwurfhöhe, die Abfluggeschwindigkeit des Hammers und der Abflugwinkel. Die Abwurfhöhe spielt beim Hammerwerfen eine untergeordnete Rolle. Die Wurfweite nimmt nur um etwa soviel zu, wie die Abwurfhöhe angehoben werden kann. Die Abfluggeschwindigkeit V0 ist wie bei den anderen Wurfdisziplinen die bestimmende Grösse. Sie wird nur, wie beim Kugelstossen, durch den Luftwiderstand reduziert und ist unabhängig von der Art der Hammerabgabe. Je höher die Geschwindigkeit des Hammers ist, desto grösser ist die Bremswirkung. Beim Kugelstossen, Diskuswerfen und Speerwerfen wird die Abfluggeschwindigkeit des Gerätes zu 80 – 95 % beim Abwurf kreiert. Der Anlauf hat eine untergeordnete Bedeutung. Beim Hammerwerfen ist dieses Verhältnis genau umgekehrt. Beim Anschwingen und Drehen wird etwa 80 % der Abfluggeschwindigkeit aufgebaut. Beim Abwurf selber kommen nur noch etwa 20 % dazu. Der Hammer kann nur in der zweibeinigen Stützphase beschleunigt werden. Somit sollte der Hammerwinkel beim Plazieren des rechten Fusses tendenziell klein sein. Weltklasseathleten haben dabei Werte um 230°. Beim letzten Bodenkontakt des rechten Beines liegen die Werte bei den guten Werfern um 50°. In der Phase von 50 – 230° wird der Körper und damit auch der Hammer über die Ferse-Ballendrehung des linken Fusses um annähernd 2 Fusslängen in Wurfrichtung verschoben. Die Rückwärtsverschiebung und die Aufwärts-abwärtsbewegung des Körpers bewirken die Beschleunigung des Hammers. Damit der Hammer auf einer langen Bahn beschleunigt werden kann, muss der Hammer 46 mit gestreckten Armen möglichst weit gehalten werden und die Hüftachse in der Einbeistützphase durch ein schnelles und enges Vordrehen des rechten Beines gegenüber der Schulterachse vorgedreht werden. Am Ende der zweibeinigen Stützphase löst sich diese Vordrehung wieder auf. Wurfrichtung 180° 230° Einbeinstütz 270° 90° Zweibeinstütz 50° 0° Abbildung 40: Beschleunigungsweg des Hammers in Abhängigkeit der Hammerposition Geschwindigkeit (m/sec) 28 24 20 16 12 0 0.6 1.2 1.8 2.4 Zeit (sec) Abbildung 41: Geschwindigkeitsentwicklung des Hammers vom Anschwingen bis zum Abwurf Zweibein-Stützphase Einbeinstützphase 47 Der Hammer wird in der Zweibein-Stützphase durch die Streckung der Beine von einer abwärtsgerichteten auf eine aufwärtsgerichtete Bahn beschleunigt. Der Tiefpunkt des Hammers liegt etwa in der Mitte des Beschleunigungsweges vor dem rechten Fuss. In der Einbeinstützphase verkleinert sich der Kniewinkel des Standbeines so stark, dass die Beine in der nächsten Beschleunigungsphase wieder gestreckt werden können. Der Höhepunkt des Hammers in den Drehungen liegt dem Tiefpunkt diametral gegenüber. Der optimale Abflugwinkel ist beim Hammerwerfen im Vergleich zu den anderen Wurfdisziplinen am steilsten. Er liegt bei 42 – 44°. Für kleine Athleten sind solche Winkel kaum möglich, weil der Hammer in der letzten Drehung im Tiefpunkt auf den Boden aufschlagen würde. Ein idealer Abflugwinkel ergibt sich nicht dadurch, dass der Hammer schon beim Andrehen auf einer steilen Bahn um den Körper geschwungen wird, sondern durch die wegen der grossen Zentrifugalkraft immer grössere Rücklage des Körpers. Im Gegensatz zu den anderen Wurfdisziplinen, bei denen das Abwerfen respektive Stossen meistens sprungartig erfolgt, muss der Hammerwerfer den Abwurf aus dem sicheren Stand ausführen, da er sonst durch die grosse Fliehkraft des Hammers aus dem Ring gerissen würde. Das Umspringen auf das rechte Bein erfolgt erst nach dem Abwurf. Vergleich der Körperhaltung und der Abflugwinkel bei den Wurfdisziplinen Die Abbildung 42 zeigt die Abwurf- (Stoss) Bewegungen bei den 4 Wurfdisziplinen von der Seite gesehen. Beim Betrachten der Reihenbilder fallen einige Gemeinsamkeiten auf: Deutliche Körperrücklage beim Abwurfbeginn (ausser Hammerwerfen) Hüftschub vorwärts-aufwärts durch eine energische Dreh-Stossbewegung des rechten Beines Aufrechte Oberkörperhaltung beim Abwurf Durchgestreckte Beine, insbesondere Stemmbein beim Abwurf Blockierte linke Körperseite beim Abwurf (Stemmbein, Oberkörper, linke Schulter, Schwungarm (ausser Hammerwerfen)) Blick in Wurfrichtung Neben gemeinsamen Bewegungsmerkmalen sind aber auch deutliche Unterschiede feststellbar. 48 Kugelstossen Der relativ steile Abflugwinkel der Kugel von 40 – 42° wird erreicht durch eine tiefe Körperhaltung nach dem Angleiten, das Aufrichten des Oberkörpers, die Hubbewegung des Stossbeines, das Herausspringen der Kugel und das schräg-aufwärts gerichtete Ausstossen des Stossarmes. Diskuswerfen Um den Diskus auf eine optimale Flugbahn von 33 – 36° zu bringen, braucht es weniger Hubbewegung als beim Kugelstossen. Die Körperhaltung nach dem Drehumsprung ist deshalb aufrechter und höher als beim Kugelstossen. Der Diskus wird durch das Herausspringen auf die richtige Flugbahn gebracht. Speerwerfen Beim Speerwerfen ist ein Abflugwinkel von 35 – 38° optimal. Ein solcher Winkel wird nicht wie beim Kugelstossen und Diskuswerfen über ein Herausspringen, sondern über die Armführung erreicht. Das Stemmbein bleibt beim Abwurf am Boden stehen, der Wurfarm wird von weit hinten hoch über den Kopf geführt Hammerwerfen Beim Hammerwerfen ist der Abflugwinkel mit 42 – 44° am steilsten. Ein solcher Winkel kann erreicht werden durch die zunehmend steilere Hammerbahn, die tiefe Position beim Abwurfbeginn und die totale Beinstreckung bei der Abgabe des Hammers aus dem sicheren Stand Abbildung 42: Körperhaltung und Abflugwinkel bei den Wurfdisziplinen 49 Belastungsproblematik Hervorragende sportliche Leistungen sind normalerweise gekoppelt mit einer grossen Kraftentwicklung der Muskulatur (siehe auch Abb. 14). Bei einem Hochspringer, der 2.30 m springt, sind die Bodenreaktionskräfte deutlich grösser als bei einem Springer, der nur die Höhe von 1.80 m schafft. Der Zusammenhang zwischen der gemessenen Reaktionskraft und der Leistung ist aber nicht absolut, weil beispielsweise beim Hochsprung die relative Kraft, das heisst, die Kraft im Verhältnis zum Körpergewicht, wichtiger ist als die Absolutkraft. Wenn 2 ungleich schwere Hochspringer den gleich grossen Kraftimpuls haben, wird der leichtere Springer damit wahrscheinlich höher springen. Neben der Kraftentfaltung spielt auch die Technik eine wichtige Rolle. Der gute Hochspringer kann mit einer optimalen Technik höher springen als ein Springer mit dem gleichen Absprungimpuls aber einem schlechten Bewegungsablauf. Wo grosse Kräfte produziert werden, sind auch die Belastungen auf den passiven Bewegungsapparat hoch. Sehnen, Bänder, Knorpel und Knochen werden je nach Disziplin oder Trainingsübung mehr oder weniger stark belastet. In der Leichtathletik sind vor allem in den Sprungdisziplinen die Belastungsspitzen kurzfristig extrem hoch. Die Reaktionskräfte sind auch deswegen so gross, weil die harten, leistungsfördernden Bodenbeläge eine nur wenig dämpfende Wirkung haben. Die Abbildung 43 zeigt die Bodenreaktionskräfte beim tiefen Froschhüpfen und bei beidbeinigen Tiefsprüngen vom Schwedenkasten bei hoher Kniewinkelstellung. Abbildung 43: Kräfte, Kniewinkel und Muskelaktivität beim tiefen Froschhüpfen (links) und bei Tiefsprüngen vom Schwedenkasten (je 3 Versuche) 50 Beim tiefen Froschhüpfen sind die Bodenreaktionskräfte je nach der Art des Aufsetzens und der Kniewinkelstellung etwas unterschiedlich, aber nicht sehr hoch. Die Muskulatur arbeitet beim Abbremsen nach der Landung etwas weniger und bei der Bewegungsumkehr und in der positiven Streckphase deutlich mehr. Die Belastung auf den passiven Bewegungsapparat ist nicht extrem, sofern die Bewegungsumkehr muskulär eingeleitet wird und nicht durch einen Bewegungsanschlag erfolgt. Die Muskulatur wird stark beansprucht und kann vor allem dann mit Muskelkater reagieren, wenn sich der Sportler an die tiefe Winkelstellung nicht gewöhnt ist. Bei den Tiefsprüngen vom Schwedenkasten sind die Bodenreaktionskräfte deutlich grösser als beim tiefen Froschhüpfen. Das harte Auftreffen auf dem Boden wirkt vor allem auf den passiven Bewegungsapparat, weil zu diesem Zeitpunkt die Muskulatur noch wenig aktiviert ist. Die Muskelkraft ist durch die schnelle Dehnung und den dadurch verursachten Dehnreflexmechanismus am Ende der Abbremsphase und bei der Bewegungsumkehr am grössten und nimmt in der Streckphase wieder ab. Es ist ein typisches Beispiel einer Reaktivkraftübung, bei der extrem grosse Kräfte produziert werden, die den aktiven und passiven Bewegungsapparat stark belasten. Es leuchtet ein, dass solche Übungen nur gut vorbereiteten Leistungssportlern vorbehalten sein dürfen. Die Vorbereitung auf solche Extrembelastungen muss langfristig in kleinen Schritten erfolgen. Wer Spitzenresultate erzielen will, kommt aber um extreme Trainingsübungen nicht herum. Der Körper kann nicht nur durch Überbelastungen, sondern auch durch Fehlbelastungen überfordert werden. Ein typisches Beispiel einer Fehlbelastung ist das falsche Heben von Gewichten (Abbildung 44). Abbildung 44: Falsche Technik beim Gewichtheben 51 Beim Heben von Gewichten mit rundem Rücken werden die Bandscheiben einseitig stärker belastet, was zu hexenschussartigen Beschwerden oder Diskushernien führen kann. Die gesundheitlichen Probleme können durch einmaliges falsches Heben, aber auch durch zunehmende muskuläre Verspannungen entstehen. Das Beispiel des Gewichthebens zeigt, dass es als verletzungsvorbeugende Massnahme wichtig ist, sich grundsätzlich technisch richtig zu bewegen. Dies muss ebenfalls langfristig erarbeitet werden. Entzündungen am Bewegungsapparat können durch Überforderungen wie zu viel Training, durch zu grosse Belastungen (z.B. harter Boden) und Fehlstellungen am Bewegungsapparat verursacht werden. Typisch ist die Achillessehnenentzündung durch eine Fehlstellung im Fussgelenk (Abbildung 45) Abbildung 45: Achillessehnenprobleme wegen Fehlstellungen im Fussgelenk Idealerweise müsste der Winkel zwischen dem Schienbein und dem Fersenbein 180° betragen. Bei einer Pronation (Einknicken einwärts) und einer Suppination (Abkippen auswärts) wird die Sehne falsch belastet, was zu einer Entzündung und im schlechtesten Fall zu einem Riss führen kann. Massnahmen dagegen sind Kräftigungsübungen für die Füsse und falls diese nicht zum Erfolg führen, orthopädische Massnahmen wie Spezialschuhe oder Schuheinlagen. Die hohen Belastungen, die in der Leichtathletik üblich sind, können durch einen langfristigen Trainingsaufbau, durch eine Optimierung der Bewegungsabläufe, durch gelenkstabilisierende ergänzende Übungen und durch orthopädische Massnahmen erträglich werden. 52 Literatur BALLREICH R. / KUHLOW A.: Biomechanik der Sportarten, Band 1: Biomechanik der Leichtathletik Stuttgart, Enke Verlag, 1986 BALLREICH R. / BAUMANN W.: Grundlagen der Biomechanik des Sports, Stuttgart, Enke Verlag, 1996 BÄUMLER G. / SCHNEIDER K.: Sportmechanik, München, BLV Sportwissen, 1981 HOCHMUTH G.: Biomechanik sportlicher Bewegungen, Berlin, Sportverlag, 1982 KOMI P.V.: Kraft und Schnellkraft im Sport, Köln, Deutscher Ärzte-Verlag, 1994 KUNZ HR.: Biomechanische Analysen als Mittel der Trainingsplanung, Bad Homburg, Limpert Verlag 1983 WILLIMCZIK K.: Biomechanik der Sportarten, Reinbek, Rowohlt Verlag, 1989 53 TRAINER BULLETINENTRAINEUR BIOMECHANIK DER LEICHTATHLETIK