MANAGEMENT OF NEUROMUSCULAR DISEASES Info Forschungspreis AUSGABE SEPTEMBER 2005 Felix-Jerusalem-Preis 2005 für Neuromuskuläre Erkrankungen der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V. verliehen Dieses Sonderheft dient der Vorstellung der Preisträger, welche den von der Firma Aventis Pharma Deutschland GmbH, ein Unternehmen der sanofi-aventis Gruppe, gestifteten und mit einer Gesamtsumme von EUR 15.000 dotierten Felix-Jerusalem-Preis 2005 für Neuromuskuläre Erkrankungen der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V. erhalten haben. Der Preis dient der Förderung der Forschung auf dem Gebiet der neuromuskulären Erkrankungen, insbesondere der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) im deutschsprachigen Raum. Mit ihm werden jüngere Forscher für Verdienste bei der Erforschung von Pathomechanismen und für objektiv nachvollziehbare Therapieerfolge bei allen Formen von neuromuskulären Erkrankungen, insbesondere aber der ALS ausgezeichnet. • Der 1. Preis in Höhe von EUR 7.500 ging im Jahr 2005 an Herrn Prof. Dr. Rudolf Martini, Leiter der Abteilung Experimentelle Entwicklungsneurobiologie an der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Würzburg. Die preisgekrönte Arbeit erbrachte neue Erkenntnisse zur Krankheitsentstehung und Krankheitsmechanismen der neuralen Muskelatrophie. • Den 2. Preis in Höhe von EUR 5.000 erhielt Herr Prof. Dr. med. Rudolf Korinthenberg, Leiter der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelkrankheiten am Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg, für die Ergebnisse seiner randomisierten Studie mit intravenösen Immunglobulinen zur Behandlung des Guillain-Barré-Syndroms im Kindesalter. • Der 3. Preis in Höhe von EUR 2.500 ging an Herrn PD Dr. med. Marcus Deschauer, Neurologische Klinik und Poliklinik der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg, für seine molekulargenetischen Untersuchungen metabolischer Myopathien. Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. dankt den Repräsentanten der Firma Aventis Pharma Deutschland GmbH, einem Unternehmen der sanofi-aventis Gruppe, für die Stiftung des Preises auf das Herzlichste und leitet daraus die Hoffnung ab, dass er einen weiteren Anreiz für die in den letzten Jahren erfreulich belebte Forschung auf dem Gebiet der neuromuskulären Erkrankungen, insbesondere der ALS, im deutschsprachigen Raum darstellt. In dieser Sonderausgabe berichten alle Preisträger in kurz zusammengefasster Form über die wichtigsten Resultate ihrer Forschungsarbeit. Prof. Dr. D. Pongratz – München 2 1. Preis Felix-Jerusalem-Preis 2005 für Neuromuskuläre Erkrankungen der DGM Arbeiten zur Krankheitsentstehung und Krankheitsmechanismen der neuralen Muskelatrophie (Charcot-Marie-Tooth-Neuropathie) Prof. Dr. Rudolf Martini Abteilung Experimentelle Entwicklungsneurobiologie, Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Würzburg Josef-Schneider-Str. 11 97080 Würzburg E-Mail: [email protected] Charcot-Marie-Tooth-Erkrankungen (CMT) sind trotz der umfassenden Identifizierung ihrer genetischen Ursachen noch immer unbehandelbar und führen neben sensiblen Störungen zu erheblich behindernden und irreversiblen Schäden des Bewegungsapparates, wie Muskelatrophien und Knochendeformationen. Mit einer geschätzten Häufigkeit von etwa 1 : 2500 – 1 : 5000 handelt es sich um recht häufige genetisch-bedingte Erkrankungen des Nervensystems. Als primäre Ursache der Erkrankungen sind derzeit einige 100 Mutationen in mehr als 20 verschiedenen Genen nachgewiesen. Am häufigsten sind Mutationen in den Genen für die Myelinproteine PMP22, P0 und Connexin 32 (Cx32, GJB1). Aufgrund der Vielfältigkeit der Mutationen sowie durch erhebliche technische und konzeptionelle Hindernisse ist mit Ansätzen der somatischen Gentherapie in den nächsten Jahren nicht zu rechnen. Deshalb fokussierten wir unsere Studien auf mögliche Pathomechanismen, die "downstream" der primären genetischen Veränderungen liegen. Hierzu machten wir uns gentechnisch generierte Mausmutanten (heterozygot P0-defiziente und homo/hemizygot Connexin 32-defiziente Mäuse) zu nutze, die sich sowohl hinsichtlich des Genotypes als auch hinsichtlich der neuropathologischen Veränderungen sehr gut als Tiermodelle für die humanen Erkrankungen CMT1B bzw. CMT1X eignen. Anhand histologischer Studien in P0+/- Mutanten fiel auf, dass in den demyelinisierenden Nerven vermehrt T-Lymphozyten und Makrophagen auftreten. Im Hinblick auf therapeutische Eingriffsmöglichkeiten war es interessant zu wissen, ob diese Zellen einen pathogenen Einfluss auf die primär genetisch vermittelte Nervenerkrankung haben. Durch Verkreuzungsexperimente von P0-Mutanten mit Mäusen, die keine T- und B-Lymphozyten besitzen (RAG-1defiziente Mutanten), konnten wir zeigen, dass die Abwesenheit der Immunzellen den Demyelinisierungsgrad und die funktionellen Störungen wesentlich abmildert (Abbildung, 1 A, B; 6). Diese Befunde wurden durch die Beobachtung unterstützt, dass die Transplantation von Wildtyp-Knochenmark in den RAG-1-defizienten Myelinmutanten den schwereren Phänotyp der Myelin-Einzelmutanten mit intaktem Immunsystem induziert (5). Eine weitere wichtige Beobachtung war die geringere Makrophagenvermehrung in den Nerven der RAG-1-defizienten Myelinmutanten im Vergleich zu den Myelinmutanten mit intakten Lymphozyten (6). Dies führte uns zur Frage nach dem Einfluss der Makrophagen auf die genetisch-bedingte Demyelinisierung. Immunelektronenmikroskopische Studien zeigten, dass Makrophagen oft mit demyelinisierten Fasern eng assoziiert sind (1). Durch Verkreuzung der P0+/- Mäuse mit Mutanten, deren Makrophagen nicht oder nur wenig aktiviert werden, konnten wir den Einfluss dieser Zellen eindeutig charakterisieren. Die entsprechenden Doppelmutanten zeigten Myelinscheiden, die denen von Wildtyp-Mäusen in ihrem Erhaltungsgrad sehr ähnlich waren, woraus wir auf einen erheblichen pathogenen Einfluss der Makrophagen auf die primär genetisch-bedingten Demyelinisierung schlossen (1). In einem weiteren Schritt untersuchten wir, ob 1. Preis Felix-Jerusalem-Preis 2005 für Neuromuskuläre Erkrankungen der DGM Abbildung 1: Licht- (A – D) und elektronenmikroskopische Aufnahmen (C´, D´) zur Demyelinisierung in heterozygoten P0 Mutanten (P0+/-; A, B) und in homo/hemizygoten Cx32-Mutanten (Cx32-/-; C, D, C´, D´), in Anwesenheit (RAG1+/?; A, C, C´) und in Abwesenheit (RAG-1-/-; B, D, D´) reifer T-Lymphozyten. Die Ausschaltung von reifen T-Lymphozyten durch Einkreuzen der RAG-1-Mutation (z. B. P0+/-/RAG-1-/-) führt zu einer erheblichen Verbesserung des histopathologischen Zustandes im peripheren Nervensystem von Myelinmutanten. (A, B) In den Femoralis-Nerven einjähriger P0+/- Mäusen ist die Demyelinisierung durch die RAG1-Mutation (P0+/-/RAG-1-/-) deutlich abgemildert. In der Myelinmutante mit intaktem Immunsystem (A; P0+/-/RAG-1+/?) sind einige demyelinisierte Fasern durch Pfeile hervorgehoben, in B (P0+/-/RAG-1-/-) sind keine demyelinisierte Fasern zu erkennen. (C, D) Auch in Cx32-Mutanten wird der histopathologische Phänotyp durch Einkreuzen der RAG1-Mutation deutlich abgemildert (hier sind ventrale Wurzeln einjähriger Mutanten gezeigt). In den RAG-1-defizienten Cx32-Mutanten (Cx32-/-/RAG-1-/-) wird nicht nur die Demyelinisierung abgemildert, sondern auch die Häufigkeit der axonopathischen Veränderungen. Diese fallen in C durch periaxonale Vakuolen (Sternchen) auf. "V" kennzeichnen Blutgefäße. (C´, D´) Im elektronenmikroskopischen Bild wird die Abmilderung der primär genetisch-bedingten Veränderungen in den Cx32-Mutanten durch die Einkreuzung der RAG-1-Mutation besonders deutlich. Die Pfeile kennzeichnen demyelinisierte Axone, das Sternchen eine periaxonale Vakuole. Der Maßstab in "A" misst 20 µm, der Maßstab in C´ 2 µm. immunvermittelte Prozesse auch bei anderen CMT-Modellen relevant sind. In Cx32-defizienten Mäusen fanden wir eine den P0+/- Mäusen vergleichbare Erhöhung der T-Lymphozyten und Makrophagen (2). Schließlich konnten wir zeigen, dass RAG-1-defiziente Cx32-Mutanten einen erheblich milderen Phänotyp aufwiesen als Cx32-Mutanten mit intaktem Immunsystem (Abbildung 1 C – D´; 3). Unsere Studien zeigen, dass bei Tiermodellen für unterschiedliche Formen von CMT-Erkrankungen Immunzellen eine erhebliche Rolle bei der Pathogenese spielen (4). Damit ist ein wichtiger Schritt getan, um Therapiemaßnahmen bei verschiedenen Formen erblicher Neuropathien entwickeln zu können. Literatur 1. Carenini S, Mäurer M, Werner A, Blazyca H, Toyka KV, Schmid CD, Raivich G, Martini R (2001) The role of macrophages in demyelinating peripheral nervous system of mice heterozygously deficient in P0. J Cell Biol 152:301-308 2. Kobsar I, Mäurer M, Ott T, Martini R (2002) Macrophage-related demyelination in peripheral nerves of mice deficient in the gap junction protein connexin 32. Neurosci Lett 320:17-20 3. Kobsar I, Berghoff M, Samsam M, Wessig C, Maurer M, Toyka KV, Martini R (2003) Preserved myelin integrity and reduced axonopathy in connexin32-deficient mice lacking the recombination activating gene-1. Brain 126:804-813 4. Martini R, Toyka KV (2004) Immune-mediated components of hereditary demyelinating neuropathies: lessons from animal models and patients. Lancet Neurol 3:457-465 5. Mäurer M, Schmid CD, Bootz F, Zielasek J, Toyka KV, Oehen S, Martini R (2001) Bone marrow transfer from wild type mice reverts the beneficial effect of genetically-mediated immune deficiency in myelin mutants. Mol Cell Neurosci 17:1094-1101 6. Schmid CD, Stienekemeier M, Oehen S, Bootz F, Zielasek J, Gold R, Toyka KV, Schachner M, Martini R (2000) Immune deficiency in mouse models for inherited peripheral neuropathies leads to improved myelin maintenance. J Neurosci 20:729-735 3 4 2. Preis Felix-Jerusalem-Preis 2005 für Neuromuskuläre Erkrankungen der DGM Intravenöse Immunoglobuline in der Behandlung des Guillain-BarréSyndroms im Kindesalter: eine multizentrische randomisierte Studie Prof. Dr. Rudolf Korinthenberg Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Universitätsklinikum Freiburg Mathildenstr. 1 79106 Freiburg Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) tritt im Kindesalter wesentlich seltener auf als bei Erwachsenen. Es handelt sich um eine akute entzündliche Polyneuropathie, die sich mit symmetrischen aufsteigenden Lähmungen, Schmerzen, Hirnnervenlähmungen und vegetativen Störungen manifestiert (1). Auch im Kindesalter gilt es als erwiesen, dass eine Behandlung mit hochdosierten intravenösen Immunglobulinen (IVIG) zu einer rascheren Symptombesserung führt (2,3). Nicht belegt ist jedoch, ob eine frühzeitige Behandlung zu einer geringeren Krankheitsschwere führt, und ob eine hochkonzentrierte Therapie innerhalb von ein oder zwei Tagen bessere Ergebnisse erwarten lässt (4,5). Die Studie rekrutierte 95 Patienten, die den Diagnosekriterien eines akuten GBS genügten. 53 von diesen waren Knaben, 42 Mädchen. Das mittlere Erkrankungsalter betrug 7,2 Jahre (116,5 Jahre). Im Studienteil "frühe Therapie" wurden Kinder, die noch fünf Meter weit frei gehen konnten, für eine sofortige Behandlung mit 2 g/kg IVIG oder keine Therapie randomisiert. Zielkriterium war die nachfolgende maximale Krankheitsschwere. Kinder, die bereits nicht mehr fünf Meter weit frei gehen konnten, wurden im Studienteil "späte Therapie" für eine Therapie mit 2 g/kg IVIG, aufgeteilt auf 2 Tage oder 5 Tage randomisiert. Zielkriterium war hier die Zeit bis zur Wiedererlangung der freien Gehfähigkeit. In der "frühen" Studie wurden sieben Kinder für "keine Therapie" und 14 für die Behandlung randomisiert. Im weiteren Verlauf verschlechterte sich etwa die Hälfte der Patienten, elf verloren die freie Gehfähigkeit, einer wurde beatmet (Tabelle 1). Der Unterschied zwischen den Gruppen war statistisch nicht signifikant. Die Besserung trat jedoch in der für die Behandlung randomisierten Gruppe rascher ein als in der nicht sofort behandelten Gruppe (MannWhitney, p=0,025). 51 Kinder waren bereits bei Einschluss nicht mehr frei gehfähig und wurden für die 2-tägige (N=25) oder 5-tägige (N=26) Therapie randomisiert. Der Schweregrad der Symptomatik bei Behandlungsbeginn und auf dem Höhepunkt der Erkrankung war zwischen den beiden Gruppen nicht unterschiedlich. Der Zeitpunkt der Wiedererlangung der freien Gehfähigkeit unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nur unwesentlich (Median 19 Tage in der 2-TageGruppe, 13 Tage in der 5-Tage-Gruppe). In der kürzer behandelten Gruppe kam es jedoch häufiger zu einer transitorischen Verschlechterung (22 versus 0 %, p=0,02). Die multivariate Analyse zeigte einen signifikanten Einfluss der maximalen Krankheitsschwere auf die Dauer bis zur ersten Besserung und die Dauer bis zum Wiedererwerb der freien Gehfähigkeit, jedoch keinen Einfluss des Behandlungsregimes. Zahlreiche offene Beobachtungen und Fallserien bestätigen, dass die Wirksamkeit von IVIG beim GBS im Kindesalter vergleichbar mit Erwachsenen ist (1,3-5). Die Zahl der Patienten in unserer "frühen" Therapiestudie ist für eine beweiskräftige Beurteilung zu gering. Die Erholung scheint jedoch mit Behandlung rascher zu erfolgen als ohne. Zwei offene bzw. vergleichende Studien hatten den Eindruck erweckt, als sei eine höhere Konzentration der IVIG Behandlung mit 2 g/kg in 2 Tagen besonders effektiv (4,5). Wir können dies anhand unserer 2. Preis Felix-Jerusalem-Preis 2005 für Neuromuskuläre Erkrankungen der DGM Tabelle 1: Studie "frühe Therapie": Verteilung der Behinderungs-Scores bei Randomisierung, auf dem Höhepunkt und 4 Wochen nach Randomisierung. Score bei Randomisierung auf dem Hohepunkt 4 Wochen nach Randomisierung Gruppe A Gruppe B Gruppe A Gruppe B Gruppe A Gruppe B normal 0 0 0 0 0 3 kann Rennen 0 1 0 0 1 6 geht 5 m frei 7 12 2 8 3 3 geht mit Hilfe 0 1 2 3 1 2 nicht gehfähig, 0 0 1 0 1 0 kann Beine nicht anheben 0 0 1 3 1 0 Beatmung 0 0 1 0 0 0 N= 7 14 7 14 7 14 Medion 2 2 3 2 2 1 95 %-CI 2-2 1-3 2-6 1-5 0-3 hebt Beine an * P= 0,80 2-5 0,25 0,025 Gruppe A, ursprünglich randomisiert für keine Behandlung (vier wurden später nach Gehverlust behandelt). Gruppe B, randomisiert für IVIG. 95 % - CI, 95 %-Confidenz Interval. * Mann-Whitney-Test randomisierten Studie nicht bestätigen. Hingegen fanden wir, dass die Rate früher transitorischer Verschlechterungen nach dem kürzeren Therapieschema höher ist. Dies erscheint unter der Annahme plausibel, das nach der kürzeren Behandlungsdauer der zeitlich befristete therapeutische Effekt der Immunglobuline häufiger bereits abklingt, während die zugrundeliegende immunologische Krankheitsaktivität noch anhält. Wir bedanken uns bei allen Kollegen, die Patienten in die Studie eingebracht haben. Literatur 1. Asbury AK (2000) New concepts of GuillainBarré syndrome. J Child Neurol 15: 183-191 2. Gürses N, Uysal S, Cetinkaya F, Islek I, Kalayci AG (1995) Intravenous immunoglobulin treatment in children with Guillain-Barré syndrome. Scand J Infect Dis 27:241-243 3. Hughes RA, Raphael JC, Swan AV, van Doorn PA (2003) Intravenous immunoglobulin for Guillain-Barré syndrome. Cochrane Database of Systematic Reviews; Volume 3 4. Kanra G, Ozon A, Vajsar J, Castagna L et al. (1997) Intravenous immunoglobulin treatment in children with Guillain-Barré syndrome. Eur J Paediatr Neurol 1: 7-12 5. Shahar E, Shorer Z, Roifman CM, Levi Y, Brand N, Ravid S, Murphy EG (1997) Immune globulins are effective in severe pediatric Guillain-Barré syndrome. Pediatr Neurol 16: 32-36. 5 6 3. Preis Felix-Jerusalem-Preis 2005 für Neuromuskuläre Erkrankungen der DGM Molekulargenetische Untersuchung metabolischer Myopathien PD Dr. med. M. Deschauer Klinik und Poliklinik für Neurologie Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Str. 40 06097 Halle/Saale Metabolische Myopathien sind hereditäre Muskelerkrankungen, die durch Störungen des Glykogenabbaus (Glykogenosen), der Fettsäure-Utilisation (Lipidmyopathien) sowie der oxidativen Phosphorylierung (Mitochondriopathien) bedingt sein können. Das klinische Bild der Glykogenosen und Lipidmyopathien, die beide autosomal rezessiv vererbt werden, kann sehr ähnlich sein (häufig belastungsinduzierte Myoglobinurie). Die Mitochondriopathien sind durch eine große phänotypische Variabilität sowie verschiedene Erbmodi gekennzeichnet. Kenntnisse der Genotyp-Phänotyp-Korrelation und zur Häufigkeit von Mutationen sind nicht nur von grundlegender Bedeutung, sondern auch für die Durchführung einer gezielten nicht-invasiven molekulargenetischen Diagnostik notwendig. Wir haben aus der Gruppe der Glykogenosen bzw. Lipidmyopathien große Patientenkollektive mit Myophosphorylase-Mangel (McArdleErkrankung) (n=27) bzw. Carnitin-Palmityl-Transferase (CPT) II-Mangel (n=37), welche die häufigsten metabolischen Ursachen einer Myoglobinurie darstellen, molekulargenetisch untersucht. Darüber hinaus haben wir Patienten mit chronisch progressiver externer Ophthalmoplegie (CPEO) (n=74) und anderen Mitochondriopathien (n=37) analysiert. Bei Patienten mit McArdle-Erkrankung haben wir eine Allelfrequenz für die Mutation R49X von 67 % festgestellt und 8 neue Mutationen identifiziert. So konnten wir die genetische Variabilität der McArdle-Erkrankung deutlich erweitern (1). Bei Patienten mit der muskulären Form des CPT II-Mangels fand sich eine Allelhäufigkeit der Mutation S113L von 76 % und es wurden 5 neue Mutationen identifiziert, erstmals auch eine SpliceSite-Mutation. Eine Allelfrequenz von jeweils 8 % für die Mutationen P50H und Q413fs-F448L zeigte, dass bei der molekularen Diagnostik auch diese beiden Mutationen untersucht werden sollten. Alle Patienten wiesen höchstens auf einem Allel eine "schwere" trunkierende Mutation auf, im Gegensatz zu Patienten mit schwerem multisystemischem CPT II-Mangel, wo auf beiden Allelen eine trunkierende Mutation vorliegen kann. Im Unterschied zur McArdle-Erkrankung litten die Patienten nicht unter Crampi (2). Bei 26 Patienten mit Mitochondriopathien fand sich die Mutation 3243A>G der mtDNA, die nicht nur zum MELAS-Syndrom führt, sondern eine große phänotypische Variabilität zeigte. Das häufigste Symptom war eine Hörstörung, die bei fast allen Patienten klinisch oder subklinisch vorlag (3). Schmerzhafte Muskelsteife wurde als neuer Phänotyp erkannt (4). Die Identifikation einer neuen Mutation 11777C>A der mtDNA bei einem Patienten mit Erkrankungsbeginn im 67. Lebensjahr zeigte, dass auch bei älteren Patienten an eine Mitochondriopathie gedacht werden muss. Diese Mutation betrifft das gleiche Kodon wie die Mutation 11778G>A, die mit der Leberschen Optikusneuropathie assoziiert ist, zeigte jedoch bemerkenswerterweise einen sehr diffe- Abbildung 1: Chromatogramm der Sequenzierung mit Nachweis von heterozygoten Nukleotidsubstitutionen, welche die Mutationen K319T und K319E bedingen. Darunter die Stammbäume der Familien. 3. Preis Felix-Jerusalem-Preis 2005 für Neuromuskuläre Erkrankungen der DGM renten Phänotyp mit Enzephalopathie ohne Optikusneuropathie (5). Singuläre oder multiple Deletionen der mtDNA fanden sich bei 65 Patienten mit CPEO. Dabei zeigte sich, dass singuläre Deletionen häufiger sind, meist sporadisch auftreten und nur selten vererbt werden (6). Multiple Deletionen hingegen werden autosomal vererbt. In den letzten Jahren wurden bei autosomal vererbter CPEO Defekte in drei nukleären Genen identifiziert, die für die Replikation der mtDNA wichtig sind (Twinkle, Polymerase g (POLG1), AdeninNukleotid-Translokator (ANT1)). Wir haben zwei neue Twinkle-Mutationen identifiziert, beide an Kodon 319 (Abb. 1). Bei der Mutation K319T fand sich eine CPEO ohne PlusSymptomatik während die K319E zu einem schweren multisystemischen SANDO-Syndrom (sensible Ataxie bei Neuropathie, Dysarthrie, Ophthalmoplegie) führte, welches bisher nur bei POLG1-Defekten beobachtet worden war. Auch im ANT1-Gen, in dem bislang erst vier Mutationen bekannt waren, haben wir eine neue Mutation nachgewiesen. Es zeigte sich, dass die multiplen mtDNA-Deletionen manchmal nicht mittels Southern-Blot-Technik, die bislang als Methode der Wahl galt, nachgewiesen werden können, sondern nur mittels sensitiveren PCR-Untersuchungen (7, 8, 9). Bei Patienten mit singulären Deletionen der mtDNA konnten wir eine Korrelation zwischen Heteroplasmiegrad und Ausmaß der Reduktion verschiedener Atmungskettenaktivitäten im Muskel unabhängig von Länge und Lokalisation der Deletion feststellen (10). Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. DGM Bundesgeschäftsstelle Im Moos 4 · 79112 Freiburg Telefon: 07665/9447-0 Telefax: 07665/9447-20 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.dgm.org Management of Neuromuscular Diseases Info Felix-Jerusalem-Preis 2004 Herausgeber der Schriftenreihe: Prof. Dr. med. R. Dengler, Hannover Prof. Dr. med. D. Pongratz, München Literatur 1. Deschauer M, Hertel K, Zierz S: Two novel mutations in the myophosphorylase gene in a patient with McArdle disease. Muscle Nerve 27 (2003) 105-7 2. Deschauer M, Wieser T, Zierz S: Muscle carnitine palmitoyltransferase II deficiency: Clinical and molecular genetic features and diagnostic aspects. Arch Neurol 62 (2005) 37-41 3. Deschauer M, Müller T, Wieser T, Schulte-Mattler W, Kornhuber M, Zierz S: Hearing impairment is common in various phenotypes of the mitochondrial DNA A3243G mutation. Arch Neurol 58 (2001) 1885-8 4. Deschauer M, Wieser T, Neudecker S, Lindner A, Zierz S: Mitochondrial 3243A→G mutation (MELAS mutation) associated with painful muscle stiffness. Neuromuscul Disord 9 (1999) 305-7 5. Deschauer M, Bamberg C, Claus D, Zierz S, Turnbull DM, Taylor RW: Late-onset encephalopathy associated with a C11777A mutation of mitochondrial DNA. Neurology 60 (2003) 1357-9 6. Chinnery PF, DiMauro S, Shanske S, Schon EA, Zeviani M, Mariotti C, Carrara F, Lombes A, Laforet P, Ogier H, Jaksch M, Lochmüller H, Horvath R, Deschauer M, Thorburn DR, Bindoff LA, Poulton J, Taylor RW, Matthews JNS, Turnbull DM. The risk of developing a mitochondrial DNA deletion disorder. Lancet 364 (2004) 592-6 7. 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Pongratz, München Aventis Pharma Deutschland GmbH Ein Unternehmen der sanofi-aventis Gruppe Geschäftseinheit Innere Medizin/ZNS Potsdamer Straße 8 10785 Berlin Telefon 0180/2 222 010 © Arcis Verlag GmbH, München 2005 ISSN 0949-1503 10. Jahrgang 7 AUSSCHREIBUNG FELIX-JERUSALEM-PREIS 2006 FÜR NEUROMUSKULÄRE ERKRANKUNGEN DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR MUSKELKRANKE E.V. Die Aventis Pharma Deutschland GmbH, ein Unternehmen der sanofi-aventis Gruppe, Berlin, stellt jährlich einmal der DGM ein Preisgeld für die Verleihung des Felix - Jerusalem - Preises für neuromuskuläre Erkrankungen in Höhe von EUR 15.000 zur Verfügung. Der Preis soll der Förderung der Forschung auf dem Gebiet der neuromuskulären Erkrankungen, insbesondere der Amyotrophen Lateralsklerose, im deutschsprachigen Raum dienen. Mit ihm sollen jüngere Forscher für Verdienste bei der Erforschung von Pathomechanismen und für objektiv nachvollziehbare Therapieerfolge bei allen Formen von neuromuskulären Erkrankungen ausgezeichnet werden. Besonders sollen dabei Arbeiten zur Untersuchung der Ätiologie und Pathogenese der Amyotrophen Lateralsklerose sowie neuer diagnostischer Methoden bei dieser Erkrankung gewürdigt werden, die sich mit der interdisziplinären Betreuung von ALS-Patienten befassen. Der Preis soll in der Regel in drei Teilen (1. Preis EUR 7.500/2. Preis EUR 5.000/3. Preis EUR 2.500) vergeben werden. Die Teilpreise können nach der jeweiligen Krankheit, die beforscht wurde, benannt werden. Mögliche Kandidaten können sich selbst um den Preis bewerben. Daneben kann auch Fremdnennung erfolgen. Eine bereits zuvor oder gleichzeitig an anderer Stelle eingereichte Arbeit darf nicht mehr für die Verleihung des Preises benannt werden. Die Begutachtung benannter Leistungen erfolgt durch zwei wissenschaftlich ausgewiesene Experten, die vom Vorstand der DGM für diese Aufgabe bestellt werden. Die Entscheidung über die Preisvergabe trifft der Vorstand der DGM aufgrund der wissenschaftlichen Begutachtung. Bewerbungen richten Sie bitte in dreifacher Ausfertigung bis zum 15.12.2005 an: E-Mail: [email protected] Internet: http://www.dgm.org 316 037 DGM – Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. Im Moos 4 – 79112 Freiburg Telefon: 07665/9447-0 Telefax: 07665/9447-20