1 Verfasser: Peter Frölich, 23.09.2012 – Home: www.theologieunterricht.de 5 Kommentierung der Einheitlichen Prüfungsanforderungen Kultusministerkonferenz aus Sicht der christlichen Botschaft der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Katholische Religionslehre. Beschluss vom 1.12.1989 i. d. F. vom 16.11.2006 10 Fachpräambel 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Der Unterricht in Religionslehre stellt die Grundlage und Lehre der jeweiligen Religionsgemeinschaft dar; - Grundlegend im Sinne der einen christlichen Botschaft ist, dass wir „in Christus geschaffen“ sind. Dass wir „in Christus geschaffen“ sind, heißt, dass wir in die ewige Liebe Gottes, des Vaters zum Sohn, im Heiligen Geist aufgenommen sind, dass wir also Gemeinschaft mit Gott haben. Diese Grundlegung der Welt ist allerdings nicht an der Welt selbst ablesbar, sondern wird uns durch unsere Mitmenschen „gelehrt“, d.h. wir werden durch sie „unterrichtet“, sie sagen uns dies zur Welt im Wort Gottes hinzu. Die Rückfrage nach dem Verständnis des Wortes Gott führt zur Einsicht in die Geschöpflichkeit der Welt, deren Erlösung in der Annahme dieses Wortes von Gott besteht, indem dadurch die Angst des Menschen um sich selbst entmachtet wird, die ansonsten die Wurzel dafür ist, dass wir in ihr zuweilen eben nicht so menschlich handeln, wir es uns unser Gewissen eigentlich aufgibt. - Die Grundlage im Sinne des Ausgangspunktes der christlichen Botschaft ist das heute im mitmenschlichen Gegenüber begegnende Wort, das „Wort Gottes“ zu sein beansprucht. - Bei den Grundlagen könnte man auch an die „Praeambula Fidei“, also an die Voraussetzungen des Glaubens denken. Hier wären zu nennen: Die Tatsache der Existenz der heute begegnenden Botschaft, ihr historischer Ursprung in Jesus von Nazareth und die ersten Zeugen sowie die Geschöpflichkeit der Welt. - Die christliche Botschaft ist eine Botschaft. Von einer katholischen bzw. evangelischen Religion sollte man nicht sprechen. er soll Einsichten in Sinn- und Wertfragen des Lebens vermitteln, Sinn- und Wertfragen sind philosophisch-ethischer Natur, es handelt sich nicht um Glaubensgegenstände. Die Frage nach dem Sinn eines Lebens ist eine Frage an die gewissenhafte Vernunft eines jeden Menschen. Werte sind mit dem Mittel der Vernunft zu beurteilen. die Auseinandersetzung mit Ideologien, Weltanschauungen und Religionen ermöglichen Die Welt ist Schöpfung, also restlos auf „Gott“ bezogen, aber gleichzeitig restlos verschieden von ihm. Nichts in dieser Welt darf daher mit Gott verwechselt werden. Wer etwas in der Wirklichkeit „vergöttert“, folgt einer Ideologie. Wenn Religionen und Weltanschauungen dies tun, sind sie ebenfalls Ideologien. und zu verantwortlichem Handeln in der Gesellschaft motivieren. Motivation für ein wahrhaft menschliches Handeln, und nicht anders kann christliches Handeln aussehen, ist die Not eines anderen Geschöpfes. Unser Gewissen hält uns zu verantwortlichem Handeln an. Der Glauben selbst motiviert nicht zum Handeln, befreit uns aber von der Angst um uns selbst, die uns immer wieder daran hindert, trotz des Anspruchs im Gewissen menschlich zu handeln. Zur Allgemeinbildung gehört die Auseinandersetzung mit den Grundfragen des menschlichen Lebens, Die Grundfrage des Religionsunterrichts, der sich der christlichen Botschaft verpflichtet weiß, ist die nach einer möglichen Gemeinschaft des Menschen mit Gott, der doch „in unzugänglichem Licht“ (1 Tim 6,16) wohnt. das Nachdenken über Ziele und Zwecke individuellen und gesellschaftlichen Handelns, 2 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Das Nachdenken über die Lebensziele und die Zwecke seines Tuns in unserer Gesellschaft ist jedem aufgegeben. Darüber entscheidet unsere gewissenhafte Vernunft. über den Sinn des eigenen Lebens Die Sinnfrage ist eine philosophische Frage, keine Glaubensfrage. Eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Schöpfung überhaupt würde voraussetzen, dass man auch die Antwort auf die Frage kennen würde, warum überhaupt etwas ist. Wir gelangen aber niemals über die Erkenntnis hinaus, dass diese Welt „geschaffen“, also restlos auf Gott bezogen, aber eben auch restlos verschieden von ihm ist. Mutmaßungen über die Gründe unseres Geschaffenseins sind spekulativ. und die Einheit der Wirklichkeit. Jede unserer alltäglichen Handlungen stellt insofern eine Einheit dar, als wir unentwegt Entscheidungen in dieser Wirklichkeit zu treffen haben, egal ob wir diese als „Realität“ oder als Konstrukt ansehen. Grundsätzlich ist aber jede weltliche Wirklichkeit ein Zugleich-Bestehen einander ausschließender Widersprüche, z.B. von Identität und Nichtidentität, und unsere Vernunft, die darauf aufbaut, keine logischen Widersprüche wie diesen zuzulassen, erklärt die Existenz dieser Widersprüche dadurch, dass die Welt insgesamt geschöpflich, d.h. „restlos bezogen auf (…) - restlos verschieden von (…)“ ist. Das Woraufhin dieses Bezogenseins nennen wir „Gott“. Diesen Grundfragen und der Pluralität der religiösen Antworten in unserer Gesellschaft stellt sich der Religionsunterricht in der Schule. Die Grundfrage (im Singular) ist die Frage, wie man angesichts der Einseitigkeit der Bezogenheit der Welt auf Gott von einer Gemeinschaft mit Gott sprechen kann. Den Religionen muss es zunächst um die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen gehen. Es ergeht an sie die Frage, ob und wie sie eine Beziehung des im un-zugänglichen Licht verborgenen Gottes zur Welt verstehbar machen können. Er eröffnet einen spezifischen Zugang zur Wirklichkeit, der durch keinen anderen Modus der Welterfahrung ersetzt werden kann. Der christliche Glaube ist im strengen Sinne kein Modus einer „Welt“-Erfahrung. Als eine einzigartige Erfahrung in der Welt könnte man die Begegnung mit dem Wort Gottes im mitmenschlichen Wort seiner Weitergabe verstehen, die ganz und gar nicht selbstverständlich und an der Welt ansonsten nicht abzulesen und in uns selbst nicht vorzufinden ist. Der spezifische Zugang der christlichen Botschaft auf die Wirklichkeit ist, dass er der Zugang des Glaubens ist, der - nach Ausschluss anderer Alternativen - das letzte Wort über die Wirklichkeit darstellt. Die Antworten auf die Grundfragen des Menschen kann der religiös und weltanschaulich neutrale Staat nicht selbst geben. Der Staat gibt mit Hilfe der gewissenhaften Vernunft Hilfen bei Antworten auf Grundfragen des Menschseins in gut begründeten Grundrechten. Die Grundfrage, wie Gott sich uns zuwenden kann, beantwortet die christliche Botschaft. Deshalb kooperiert er mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, die für Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts verantwortlich sind (vgl. Art. 7 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 4 GG). Im christlichen Glauben geht es immer um den einen Inhalt, dass wir nämlich in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen sind. Es ist zu zeigen, dass dieser Glaube nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt unseres Denkens und Handelns ist. Der grundgesetzlich garantierte Religionsunterricht ist ein konfessionell profilierter Religionsunterricht. Grundlegende kirchliche Dokumente für den katholischen Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe sind der Synodenbeschluss Der Religionsunterricht in der Schule (1974) und die beiden bischöflichen Erklärungen Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts (1996) und Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen (2005) sowie der Grundlagenplan für den katholischen Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe/ Sekundarstufe II (2003). Der Religionsunterricht müsste zeigen, dass vermeintliche Glaubensdifferenzen auf sprachliche Differenzen zurückzuführen sind. Der christliche Glaube ist ein Glaube. Der Grundlagenplan weist auch die verbindlichen Unterrichtsinhalte aus, die in den curricularen Vorgaben der Länder konkretisiert werden. 3 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Es müsste deutlich werden, dass scheinbar unterschiedliche Inhalte, man betrachte etwa die verschiedenen Sätze unseres Glaubensbekenntnisses, in Wahrheit Entfaltungen eines Glaubens sind. Es geht um den einen Inhalt, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben. Ziel des katholischen Religionsunterrichts ist es, zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glaube zu befähigen. Religion und Glaube ergänzen sich im Kern nicht additiv, eine Religion sollte die Entfaltung des einen Glaubens darstellen und kann dem Glauben an sich nichts hinzufügen. Verantwortlich denken und handeln soll jeder Mensch. In Bezug auf den Glauben stellt der Religionsunterricht seine Schüler nicht vor die beliebige Alternative zwischen Glauben und Unglauben, sondern er weist die Unglaubwürdigkeit des Unglaubens mit Hilfe der Vernunft nach. Die Antwort des Glaubens eröffnet sich dann dem Glaubenden im Glauben. Damit trägt er zur Identitätsbildung und zur Entwicklung von Dialogfähigkeit bei. Identitätsbildend ist der Religionsunterricht im strengen Sinne nicht, denn eine Identität entwickelt jeder Mensch in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt (vgl. z.B. die acht Phasen der Identitätsentwicklung bei E.H. Erikson). Steht dieser Entwicklung die Angst des Menschen um sich selbst im Wege, so beansprucht der Glaube, diese Angst zu entmachten. Zur Entwicklung der Dialogfähigkeit sollten alle Unterrichtsfächer ihren Beitrag leisten. Der Religionsunterricht sieht im Anderen darüber hinaus den Träger des Wortes Gottes, der den Glauben weitersagt wird. Der Unterricht wird darauf achten, von der Vielzahl notwendiger und überflüssiger Worte das Wort Gottes zu unterscheiden. Diese Zielsetzung schließt die Hinführung zu einer konkret erfahrbaren und anschaulichen religiösen Lebenswelt ebenso ein wie die Erziehung zur Kommunikationsfähigkeit über die eigene regionale Kultur hinaus und zur Anerkennung der Andersheit des anderen. Ein Glauben, der sich nicht auswirkt, ist wie eine „klingende Schelle“ (1 Kor 13,1). In ethischen Fragen kann man immer unterschiedlicher Meinung sein, gut begründete und diskutierte Gewissensentscheidungen anderer sind zu respektieren. Der katholische Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe befähigt, – religiöse Phänomene methodisch kompetent zu erschließen Dies kann auch ein Unterricht in den ethischen Fächern und im Bereich einer Religionskunde leisten. – menschliche Grunderfahrungen in ihrer Offenheit auf Gott hin zu reflektieren und zu deuten Das Problem ist, dass die Wirklichkeit insgesamt zwar restlos auf Gott bezogen, aber gleichzeitig restlos verschieden von ihm ist. Zu dieser Wirklichkeit gehören auch unsere menschlichen Erfahrungen. Über die Geschöpflichkeit der Welt hinaus können wir nichts weiter über „Gott“ sagen und von Gott her also auch nichts deuten. Dies würde ein Gott und Welt übergreifendes System voraussetzen. – ein vertieftes Verständnis des katholischen Glaubens zu erwerben und sich in der Vielfalt heutiger Denk- und Glaubensrichtungen zu orientieren Mit unterschiedlichen Denkrichtungen befasst man sich auch in den ethischen Fächern. Der Glauben allein erschließt sich nur dem Glauben allein. Vieles, was als Glauben daherkommt, erweist sich als Aberglauben, wenn wir ihn mit Hilfe der Vernunft „filtern“. – vom katholischen Glauben aus mit anderen christlichen Konfessionen und fremden Religionen und Weltanschauungen in einen Dialog zu treten, Differenzen zu erkennen und einen reflektierten Umgang mit ihnen zu lernen sowie neue Einsichten zu gewinnen – durch eine kritische Sichtung weltanschaulicher, religiöser und christlicher Werte und Normen zu begründeten persönlichen Entscheidungen bzw. zum Bekenntnis und entsprechender Lebensgestaltung zu gelangen. Eine „kri-tische“ Sicht „unter-scheidet“ vor allem zwischen Vernunft- und Glaubensaussagen und setzt sie anderseits zueinander in Beziehung. Das Ziel, zu einer begründeten persönlichen Entscheidung in Glaubens- und Lebensfragen zu gelangen, erfordert einen Religionsunterricht, der den Glauben der Kirche auf einer für prinzipiell jeden zugänglichen Vernunftebene erschließt. 4 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Für den Religionsunterricht gilt wie für jeden Unterricht das Gesetz der Vernunft, keine logischen Widersprüche zuzulassen. Der Glauben widerspricht nicht der Vernunft: Im Vorfeld des Glaubens werden Anfragen an ihn mit Hilfe der Vernunft auf dem Felde der Vernunft beantwortet. Die Vernunft ist keine Leiter, auf der man zum Glauben aufsteigt, sondern die Vernunft fungiert als Filter, um möglichen Aberglauben auszuschließen. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass „die Wahrheit, die aus der Offenbarung stammt, gleichzeitig eine Wahrheit ist, die im Lichte der Vernunft verstanden werden muss“ (Enzyklika Fides et ratio, Nr. 35). In diesem Fall geht es um eine Wahrheit, die allein dem Glauben zugänglich ist. Innerhalb des Glaubens ist die Vernunft eine vom Glauben erleuchtete Vernunft, die den Inhalt des Glaubens verständlich macht. Die wesentliche Bezugswissenschaft des Religionsunterrichts ist die Theologie. Und dies in der rechten Zuordnung von Gott, Wort Gottes und Glauben. Eine zentrale Aufgabe des katholischen Religionsunterrichts in der gymnasialen Oberstufe ist – gerade unter den Bedingungen religiöser und weltanschaulicher Pluralität – die Förderung von Urteils- und Argumentationsfähigkeit in religiösen Fragen. Im katholischen Religionsunterricht wird wissenschaftspropädeutisches Arbeiten gestärkt, verstanden als ein besonders akzentuiertes wissenschaftsorientiertes Lernen. Es ist gekennzeichnet durch – das Lernen fundamentalen Wissens (theologisches Grundwissen) – das Lernen exemplarischen Wissens (Exempla, die theologische Denkstrukturen verdeutlichen) – das Lernen von Methodenwissen (u.a. hermeneutische und empirische Verfahrensweisen, Methoden Schriftauslegung, religiöse Sprache und Sprache der Theologie). Der katholische Religionsunterricht erschließt den Glauben im Dialog mit den Erfahrungen und Fragen der Schülerinnen und Schüler, mit dem Wissen und den Erkenntnissen anderer Fächer, mit den gegenwärtigen Fragen der Lebens- und Weltgestaltung und mit den Positionen anderer Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen. Der Glaube wird eben nicht mit anderem Wissen erschlossen, denn der Glaube eröffnet sich allein dem Glaubenden im Glauben allein. Die dialogische Erschließung erfordert von allen am Unterrichtsgeschehen Beteiligten die Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Perspektive als begrenzte zu erkennen, aus der Perspektive anderer sehen zu lernen und neue Perspektiven dazu zu gewinnen. Perspektivenübernahme ist ein didaktisches Grundprinzip des Religionsunterrichts und eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung religiöser Dialogfähigkeit. Der Glauben selbst er-gibt sich allerdings nicht im Dia-log, sondern er begegnet im mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens. Im katholischen Religionsunterricht werden die religiöse Dialog- und Urteilsfähigkeit und die Entwicklung einer „starken Toleranz“ gefördert, die andere mit ihren Überzeugungen ernst nimmt. Dieses Prinzip sollte in allen Unterrichtsfächern gelten. Damit ist das Fach Katholische Religionslehre von wesentlicher Bedeutung für eine vertiefte Allgemeinbildung, für die Studierfähigkeit und die Entfaltung der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler. Streng genommen gilt hier das, was weiter oben bereits über die Identitätsbildung gesagt wurde: Diese Ziele haben alle anderen Unterrichtsfächer in gleichem Maße. Das Spezifische des Religionsunterrichts besteht in der Konfrontation mit dem Wort Gottes, das die Angst des Menschen um sich selbst zu entmachten beansprucht, die ihn ansonsten immer wieder an der Durchsetzung der Menschlichkeit hindert. I. Festlegungen für die Gestaltung der Abiturprüfung 1 Kompetenzen und fachliche Inhalte 1.1 Fachliche und methodische Kompetenzen Die hier unter 1.1 aufgeführten Kompetenzen sind zu einem großen Teil Inhalte eines rein religionskundlichen Unterrichts sowie der philosophisch-ethischen Fächer. 5 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Die Schülerinnen und Schüler eignen sich im katholischen Religionsunterricht Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Haltungen an, die für einen verantwortlichen Umgang mit dem christlichen Glauben, mit anderen Religionen und Weltanschauungen und mit der eigenen Religiosität notwendig sind. Dieser kompetenzorientierte Religionsunterricht umfasst auch die Vermittlung von theologischem Grundwissen, das in den Lehrplänen der Länder auszuweisen ist. Die folgenden Kompetenzen, die im Religionsunterricht der gymnasialen Oberstufe erworben werden, erweitern die Kompetenzen, die in der Sekundarstufe I ausgebildet wurden.1 • Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit – religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben: – Situationen erfassen, in denen letzte Fragen nach Grund, Sinn, Ziel und Verantwortung des Lebens aufbrechen – religiöse Spuren und Dimensionen in der Lebenswelt aufdecken – religiöse Ausdrucksformen (Symbole, Riten, Mythen, Räume, Zeiten) wahrnehmen und in verschiedenen Kontexten wieder erkennen und einordnen – ethische Herausforderungen in der individuellen Lebensgeschichte sowie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Handlungsfeldern wie Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft als religiös bedeutsame Entscheidungssituationen erkennen. • Deutungsfähigkeit – religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten: – in Lebenszeugnissen und ästhetischen Ausdrucksformen (Literatur, Bildern, Musik, Werbung, Filmen) Antwortversuche auf menschliche Grundfragen entdecken und fachsprachlich korrekt darstellen – religiöse Sprachformen analysieren und als Ausdruck existentieller Erfahrungen deuten – biblische, lehramtliche, theologische und andere Zeugnisse christlichen Glaubens methodisch angemessen erschließen – Glaubensaussagen in Beziehung zum eigenen Leben und zur gesellschaftlichen Wirklichkeit setzen und ihre Bedeutung aufweisen. • Urteilsfähigkeit – in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen: – Sach- und Werturteile unterscheiden – Ansätze und Formen theologischer Argumentation vergleichen und bewerten – Modelle ethischer Urteilsbildung kritisch beurteilen und beispielhaft anwenden – Antinomien sittlichen Handelns wahrnehmen, im Kontext ihrer eigenen Biografie reflektieren und in Beziehung zu kirchlichem Glauben und Leben setzen – Gemeinsamkeiten von Konfessionen und Religionen sowie deren Unterschiede darstellen und aus der Perspektive des katholischen Glaubens bewerten – im Kontext der Pluralität einen eigenen Standpunkt zu religiösen und ethischen Fragen einnehmen und argumentativ vertreten. • Dialogfähigkeit – am religiösen Dialog argumentierend teilnehmen: – die Perspektive eines anderen einnehmen und dadurch die eigene Perspektive erweitern – Gemeinsamkeiten und Unterschiede von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen benennen und im Dialog argumentativ verwenden – sich aus der Perspektive des katholischen Glaubens mit anderen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen argumentativ auseinandersetzen – Kriterien für einen konstruktiven Dialog entwickeln und in dialogischen Situationen berücksichtigen • Gestaltungsfähigkeit – religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen reflektiert verwenden: – typische Sprachformen der Bibel theologisch reflektiert transformieren 1 Vgl. Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufe 5 – 10 / Sekundarstufe I (Mittlerer Schulabschluss), hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (= Die deutschen Bischöfe 78), Bonn 2004. 6 – – 5 – – 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Aspekten des christlichen Glaubens in textbezogenen Formen kreativ Ausdruck verleihen die Präsentation des eigenen Standpunkts und anderer Positionen medial und adressatenbezogen aufbereiten im Gespräch Beiträge anderer aufgreifen, den jeweiligen Gedankengang sachgemäß in theologischer Fachsprache entwickeln und angemessen darstellen über Fragen nach Sinn und Transzendenz angemessen sprechen. 1.2 Strukturierung der Inhalte der Abiturprüfung Im Abitur wird überprüft, ob sich die Schülerinnen und Schüler die für eine religiöse Bildung wesentlichen Kompetenzen angeeignet haben. Dabei sind die grundlegenden Kompetenzen religiöser Bildungsprozesse in der Abiturprüfung zentral auf den katholischen Glauben zu beziehen. Der korrelative Ansatz, der hinter dieser Formulierung stehen mag, beruht auf einer unzutreffenden Tatsache: Von einer scheinbar unproblematischen Beziehung Gottes auf die Welt, wie sie auch der Begriff der „Re-ligion“ nahe legen könnte, kann man mit Blick auf unsere Wirklichkeit nicht sprechen, da die in ihr bestehenden Gegensatz-Einheiten sich zwar durch ihre restlose Bezogenheit auf Gott, aber gleichzeitig in restloser Verschiedenheit von ihm erklären. Inhaltlicher Schwerpunkt der Abiturprüfung in Katholischer Religionslehre ist der Glaube der Kirche in Begegnung, Anknüpfung und Auseinandersetzung mit religiös bedeutsamen Erfahrungen und Fragen der Prüflinge Dabei ist zu beachten: Jegliche wahrhaft religiöse Erfahrung im Sinne der christlichen Botschaft ist auf das im Mitmenschen begegnende Wort Gottes zurückzuführen. Eine Beziehung Gottes auf die Welt ist nicht an der Welt ablesbar, mag die Erfahrung auch noch so tiefgehend (und scheinbar religiös) sein. anderen religiösen Lebensentwürfen und Weltdeutungen Der Glaube der Kirche ist kein Lebensentwurf und auch keine Weltdeutung. Sein Leben entwirft jeder Mensch mit Hilfe seiner gewissenhaften und auch von Erfahrung geprägten Vernunft. Eine „Weltdeutung“ von Gott her kann es nicht geben, da diese Welt „geschaffen“ und damit eine zwar auf Gott restlos bezogene, aber auch von ihm restlos zu unterscheidende ist. Der Religionsunterricht vollzieht insofern einen Paradigmenwechsel, als er die Frage nach der Deutung als unsinnig entlarvt, angesichts der Tatsache einer häufig schmerzlich vermissten Menschlichkeit in dieser Welt aber nach deren Ursachen fragt und im Wort Gottes die mögliche Befreiung zur Menschlichkeit zusagt. religiös geprägten Ausdrucksformen in der Kultur eine eher religionskundliche Fragestellung religiös-ethischen Herausforderungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Handlungsfeldern wie Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. eine ethische Fragestellung Diese vier Bezugsfelder bilden den Referenzrahmen, in dem der katholische Glaube in der Abiturprüfung thematisiert, auf den hin er entfaltet, gedeutet und erörtert wird. Sie erhalten ihre prüfungsrelevante Bedeutung dadurch, dass sie den Glauben in unterschiedlicher Weise befragen und herausfordern. In der Abiturprüfung weisen die Prüflinge nach, dass sie religiöse, gesellschaftliche und wissenschaftliche Fragestellungen aus der Perspektive des Glaubens und in Anwendung von Kompetenzen und fachlichem Wissen bearbeiten können. Die Inhalte der Abiturprüfung werden durch sechs Leitfragen strukturiert, die sich auf das Woher, das Wohin und das Wozu des menschlichen Lebens beziehen. Mit diesen Fragen werden die Prüflinge als Subjekte mit ihren lebensgeschichtlichen Erfahrungen und ihren religiösen Orientierungsversuchen ernst genommen. Viele der hier angesprochenen Fragen entsprechen denen, die Immanuel Kant als die Fragen der Philosophie ansieht: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Diese Fragen werden entsprechend im Unterricht in Werte und Normen, Philosophie, Ethik bzw. LER behandelt. 7 5 10 Der Religionsunterricht hat die Fragen zu klären, wie man verantwortlich von einer Offenbarung Gottes sprechen kann und welche Auswirkungen das im mitmenschlichen Wort begegnende Wort der Selbstmitteilung Gottes für den hat, der dieses Wort im Glauben annimmt, warum der Glauben also zu Recht das letzte Wort über die Wirklichkeit darstellt, nachdem andere Worte, die letzte zu sein vorgeben, als unglaubwürdig nachgewiesen wurden. Die Leitfragen, die zentralen Glaubensinhalte (Singular!) und die vier Bezugsfelder sind u.a. durch das Prinzip der Perspektivenübernahme miteinander verbunden. Im Einzelnen ergeben sich die folgenden inhaltlichen Schwerpunkte für den katholischen Religionsunterricht in der Oberstufe, die in den Lehrplänen der Länder konkretisiert werden.2 Auf der Webseite des Verfassers befindet sich ein eigener Vorschlag für die Anordnung der Unterrichtsinhalte in einem Kurs in der gymnasialen Oberstufe. Biographischlebensweltliche Perspektive der Schülerinnen und Schüler - Leitfragen Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? - Die Frage nach existentieller Vergewisserung Wie gelingt mein Leben? - Die Frage nach dem Lebenssinn Worauf kann ich vertrauen? - Die Frage nach dem Glauben Was ist wahr? - Die Frage nach gültiger Orientierung Was soll ich tun? - Die Frage nach dem guten Handeln Was darf ich hoffen? - Die Frage nach dem Mut zum Leben angesichts von Leid und Tod, Scheitern und Schuld 2 Dialog Perspektive von Kirche und Theologie Dialog Weitere Perspektiven Das christliche Bild des Menschen Menschenbilder in anderen Religionen und Weltanschauungen, in Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft Das Evangelium von Jesus Christus Andere religiöse und säkulare Sinndeutungen Die christliche in Begegnung, Rede von Gott Anknüpfung und Auseinandersetzung Der Wahrheitsanspruch der Kirche Gottesvorstellungen in Begegnung, anderer Religionen, Anknüpfung Atheismus, und Ersatzreligionen Auseinandersetzung Wahrheitsansprüche in Religionen, Wissenschaft und Politik Gesellschaftliche Konventionen, philosophische Ethiken Ethik im christlichen Kontext* Die christliche Hoffnung auf Vollendung Zukunftsvorstellungen in anderen Religionen, in Wissenschaft und Politik Die inhaltlichen Schwerpunkte decken die fünf Gegenstandsbereiche im Grundlagenplan (a.a.O., 41 – 61) ab. 8 5 10 *Zu Recht wird an dieser Stelle von der Ethik im christlichen Kon-text gesprochen, wenn man das im Mitmenschen begegnende Wort Gottes als ein zusätzliches Wort zur Welt, als Kon-Text, versteht. Von einer „christlichen Ethik“ sollte man aber wohl besser nicht sprechen, weil der Eindruck entstehen könnte, hier würden Glaubens- und Vernunftinhalte durchmischt. Jesus von Nazareth handelte aus einer wachsamen gewissenhaften Vernunft heraus, sein Glauben, seine Gewissheit der Gemeinschaft mit Gott, durch die er für den Glaubenden der Christus ist, fügt seiner Ethik weder Gebote hinzu noch steigert der Glaube sie. Jesus Christus war „in allem uns gleich, außer der Sünde“ (Hebr 4,15). Er handelte aus der Gewissheit seiner Geborgenheit in Gott heraus, die ihn trotz seiner Angst um sich selbst befähigte, auch dann ethisch gut und richtig zu handeln, wenn er darunter zu leiden hatte. Er unterscheidet sich von anderen Menschen also allein dadurch, dass er nicht in der Angst um sich selbst lebte.