np5/2010 - Verlag Neue Praxis

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5/2010
Philipp Sandermann
Die Kontinuität im Wandlungsprozess des
bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
Im wissenschaftlichen Diskurs der Sozialen Arbeit ist eines inzwischen weitgehend
unumstritten: Das moderne westliche Wohlfahrtssystem befindet sich in einer Phase
weitreichender historischer Transformation. Wie weit genau diese Transformation
sozialpolitischer und sozialpädagogischer Strukturen reicht, und woran sie sich
erkennen lässt, ist bisher hingegen weitaus umstrittener.
Das könnte unter anderem damit zusammenhängen, dass die wissenschaftliche
Diskussion zur Sozialen Arbeit auch nach über hundert Jahren ihrer Entwicklungsgeschichte einen wesentlichen Referenzrahmen für die theoretische Analyse von
Wandel nur wenig berücksichtigt – nämlich die Vorstellung von Kontinuität. Wer
differenziert über Wandel diskutieren will, braucht jedoch eine ebenso genaue
Vorstellung von dem, was das Gemeinsame im Unterschiedlichen, das Bleibende
im sich Verändernden ausmacht, um das Phänomen des Wandels als solches überhaupt greifbar zu machen. D.h. konkret: Wer über den Wandel der Sozialen Arbeit
spricht, braucht eine Theorie Sozialer Arbeit, die analytisch Position bezieht, um
verständlich zu machen, was Soziale Arbeit »ist«, und zwar über so viel Wandel
hinweg, bis man es analytisch für nicht mehr angemessen hält, das dargestellte
Phänomen weiterhin als »Soziale Arbeit« zu bezeichnen.
Blickt man im Sinne dieser theoretischen Vorannahme (vgl. dazu allgemeiner auch
Luhmann, 1986: 180) auf den aktuellen sozialpädagogischen Wissenschaftsdiskurs
in Deutschland, so fällt auf, dass sich hier derzeit einerseits hoch differenzierte
und facettenreiche zeitdiagnostische Diskussionszusammenhänge finden lassen,
die versuchen, den »Wandel des Wohlfahrtsstaats«, den »Wandel der Sozialen
Arbeit«, den »Wandel der Jugendhilfe« etc. zu beschreiben. Andererseits bleiben
diese Debatten jedoch weitgehend unverbunden zu klaren theoretischen Ausweisungen dessen, was strukturell überhaupt als Wohlfahrtssystem bzw. Soziale
Arbeit zu begreifen ist.
Ich werde dieses Problem im Folgenden zunächst beispielhaft anhand der derzeitigen Rede von der sogenannten »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« darstellen, bevor
ich daran anschließend einen eigenen Entwurf umreißen möchte, der versucht, die
wichtigen, aktuell unter dem Label der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« verhandelten
Fragen nach einem derzeitigen Wandel der Sozialen Arbeit kritisch aufzugreifen,
dabei aber beides – Wandel und Kontinuität – des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems explizit zusammenzudenken.
Vorstellungen
von Kontinuität und
Wandel
1 Wandel ohne Kontinuität? Zur derzeitigen Rede von der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit«
»Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« ist in der deutschsprachigen Diskussion um Soziale Arbeit zur Zeit weit verbreitet als ein analytisches Label, das versucht, das
aktuelle Stadium des Wohlfahrtssystems auf den Begriff zu bringen. In diesem
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Einseitiger
Fokus auf
Wandel
Probleme
post-strukturalistischer
Instrumentarien
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Zusammenhang ist es das Verdienst verschiedener AutorInnen, analytische Versuche einzuführen, die sich an der schwierigen Aufgabe abarbeiten, die aktuelle
Transformation des Wohlfahrtssystems zeitdiagnostisch kenntlich zu machen (vgl.
etwa die Beiträge in Bütow/Chassé/Hirt, 2008 und Kessl/Otto, 2008a; sowie beispielsweise auch Heite, 2010; Lutz/Ziegler, 2005; Lutz 2010; Oelkers/Richter, 2010).
Im offensichtlichen Anschluss an die Verwendung des Begriffs »Post-welfarism«
aus der englischsprachigen Fachdebatte (vgl. etwa Gerwitz, 2002) wird dabei der
Begriff der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« herangezogen, um einen radikalen Wandel deutlich zu machen. Hierbei wird zumeist unter mehr oder weniger deutlichem
Rückgriff auf die post-strukturalistischen Überlegungen Michel Foucaults davon
ausgegangen, dass man es bei der derzeitigen Veränderung des Wohlfahrtssystems
mit einer Neujustierung von Individual- und Kollektivinteressen, sowie von Marktund Staatseinflüssen zu tun habe (vgl. Kessl/Otto, 2008b: 9).
Diesen Annahmen ist im Grunde zuzustimmen. Der analytische Befund, der hier
in der Regel mithilfe des Foucaultschen Analyseinstrumentariums erstellt wird,
erweist sich jedoch bei genauerer Inblicknahme als vage. Das betrifft insbesondere
das einführend problematisierte Verhältnis von Kontinuität und Wandel innerhalb
der Entwürfe. Die Schwierigkeit, dieses Verhältnis mithilfe der angewandten analytischen Methode genauer zu bestimmen, wird an verschiedenen Stellen deutlich.
So etwa wenn Kessl/Otto, 2008b hervorheben, dass sich »aktuell eine zwar fundamentale Veränderung der bisherigen Erscheinungsform des wohlfahrtsstaatlichen Gefüges beobachten [lässt]«, die zugleich »eine Veränderung der bisherigen
wohlfahrtsstaatlichen Erscheinungsform(en)« bleibt (a.a.O.: 10, Hervorhebung im
Original), ohne genauere Hypothesen dazu anzubieten, was genau unter »bisherigen
wohlfahrtsstaatlichen Erscheinungsform(en)« zu verstehen ist. An anderer Stelle
(vgl. Kessl, 2008: 262) zeigt sich dasselbe Problem, wenn von einem »grundlegend
verändert[n] Kontext,« gesprochen wird, der »als post-wohlfahrtsstaatlich bezeichnet [wird], um zu verdeutlichen, dass die sich aktuell herausbildenden Kulturen
der Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit sich aus dem Bestehenden (wohlfahrtsstaatliches
Arrangement) heraus entwickeln und die bisherigen wohlfahrtsstaatlichen Kulturen
zugleich transformieren, aber nicht gänzlich ersetzen. Dieser Prozess lässt sich als
Transformationsprozess kennzeichnen, da Transformation eine Umformung des Bestehenden meint – und zwar ohne dass dessen Substanz völlig verloren ginge.« (ebd.,
Hervorhebungen im Original) Was aber das »Bestehende«, und was genau »dessen
Substanz« ist, bleibt auch im Rahmen dieses Zugriffs weitgehend unklar.
Die Schwierigkeit der hier lediglich exemplarisch herausgegriffenen Autoren,
das Verhältnis von Wandel und Kontinuität in der derzeitigen Transformation des
Wohlfahrtssystems genauer zu erläutern, hängt m. E. vor allem damit zusammen,
dass die skizzierten Analysen sich mit ihrem Rückgriff auf das Foucaultsche
Instrumentarium und den Terminus der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« zwar die
Möglichkeit verschaffen, relativ dicht beschreiben zu können, was sich verändert,
dabei aber gleichzeitig dem Problem begegnen, dass diese Gedankengebäude weder
Ansatzpunkte zur Entwicklung von Erklärungen dafür bieten, warum sich dieses
Etwas verändert, noch explizite Erkenntnisse dazu liefern, worin die strukturelle
Logik der beschriebenen Veränderungen genau liegt. Damit zusammenhängend ist
es Analysen, die sich dieses Instrumentariums bedienen – drittens – auch kaum möglich, Prognosen zur weiteren Entwicklung des Wohlfahrtssystems zu erarbeiten.
So verbleibt die Diagnose der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« sozusagen in einem
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Stadium, in dem sie zeitdiagnostisch eindrucksvoll ist, analytisch jedoch an losen
Fäden aufgehängt zu sein scheint. Dies wird auch deutlich, wenn man beachtet, wie
häufig das Label der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« in diffuser Gleichzeitigkeit in
mindestens zweierlei Weise verwendet wird: Einmal scheint sich das Präfix »Post«
innerhalb des Labels vornehmlich auf die Idee von Staatlichkeit zu beziehen, dann
wieder auf die Idee von Wohlfahrt. »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« kann so gesehen
einerseits als Analyseformel für einen »post-wohlfahrtlichen Staat«, andererseits
aber auch als Umschreibung für eine »post-staatliche Wohlfahrt« verwendet
werden. Diese beiden Verwendungsformen machen jedoch offensichtlich einen
Unterschied. Dieser wird in der gegenwärtigen Diskussion bisher kaum thematisiert (vgl. dazu andeutungsweise kritisch für die englischsprachige Diskussion
Clarke, 2009).
Die zeitdiagnostische Funktionalität der Idee von der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« liegt – so ließe sich der bisherige Befund positiv konnotieren – in ihrer
Offenheit, mit der hier sowohl die eine Vorstellungsvariante (»post-staatliche
Wohlfahrt«) als auch die andere (»post-wohlfahrtlicher Staat«) gleichsam tentativ
abgedeckt wird. So gesehen ist die Rede von der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« Zeitdiagnostik
als eine Art zeitdiagnostische Übergangsformel sicherlich von einigem Wert. vs. erklärende
Gleichzeitig bringt die Vorstellung von »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« bei konti- Theorie
nuierlicher analytischer Verwendung jedoch gerade wegen dieser, mindestens in
zwei Richtungen weisenden Offenheit erhebliche analytische Folgeprobleme mit
sich. Diese liegen allgemein gesprochen zunächst einmal darin, dass mithilfe der
Ungenauigkeit des Labels mindestens implizit eine radikale Gegenrealität zum
früheren (d.h. »wohlfahrtsstaatlichen«) Wohlfahrtssystem suggeriert wird. Diese
Suggestion zielt in geradezu synergetischer Weise sowohl auf Staatlichkeit, als auch
auf Wohlfahrt. Die Verwendung des Labels lässt somit (trotz aller Reflexivität und
Abmilderungsversuche bei einigen AutorInnen wie etwa bei Kessl/Otto, 2008b:
7 ff.; Ziegler, 2008: 160 ff.) immer wieder aus dem Blick geraten, dass aktuell
gemäß verfügbarer empirischer Befunde keineswegs mit einem Ende oder einer
deutlichen Schwächung des westlichen oder auch nur des bundesrepublikanischen
Wohlfahrtssystems zu rechnen ist, und zwar weder im Bereich staatlicher Einflussnahme, noch im Bereich sozialpolitischer und sozialarbeiterischer Dienstleistungen.
Dazu seien hier nur ein paar Bedenken skizziert, welche der Vorstellung einer sich
aktuell abzeichnenden »post-staatlichen Wohlfahrt« ebenso entgegenstehen wie der
Behauptung eines sich derzeit entwickelnden »post-wohlfahrtlichen Staates«.
1.1 »Post-staatliche Wohlfahrt«?
Zunächst zur Vorstellung einer »post-staatlichen Wohlfahrt«: Zwar hat man es
derzeit durchaus mit einer Veränderung bei der Gewichtung von wohlfahrtssystematischen Steuerungsmitteln zu tun – dies ist deutlich zu sehen bspw. in Form von
Dezentralisierungs-, aber auch von stärkeren Pädagogisierungstendenzen unter
dem neuen Losungswort der »Aktivierung«. Diese Verschiebung ist jedoch nicht
gleichzusetzen mit einer generellen Entstaatlichung des Wohlfahrtssystems. Das
Konzept und die Realisierungsformen des sogenannten »Aktivierenden Sozialstaats« sind nicht mit Ideen eines »schlanken« oder gar »schwachen Staates« zu
verwechseln (vgl. dazu bereits Olk, 2001: 1922). Dies ist eindrücklich bspw. anhand
der seit 2004 bestehenden gesetzlichen Festlegungen im SGB II zu sehen. Dort wird
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deutlich: Eher das Gegenteil scheint zuzutreffen. Der »aktivierende Sozialstaat«
ist ein starker, ein geradezu autoritärer Staat, der höchst aktiv in den Bereich der
Wohlfahrtsproduktion hineinregiert, und ggf. sogar mithilfe von Sanktionierungsmaßnahmen seine AdressatInnen zur Arbeit und damit zu deren vorgeblicher
gesellschaftlicher Integration zwingt.1
Somit greift eine Zeitdiagnose, die »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« als neue Wohlfahrt ohne Staatlichkeit begreift, vornehmlich auch deshalb zu kurz, weil in ihr die
nach wie vor hoch präsente Bedeutung des Staates in wohlfahrtssystematischen
Rolle des Gesamtabläufen unterbelichtet bleibt. In Zweifel zu ziehen ist die These einer
Staates
zunehmenden Entstaatlichung des Wohlfahrtssystems aber auch dann, wenn man
eher auf andere, quantitative Daten fokussiert. Sieht man sich bspw. die Sozialleistungsquote der letzten 45 Jahre an, so ist kein plötzlicher Bruch seit den siebziger
oder neunziger Jahren feststellbar (vgl. kritisch dazu auch Lehner, 2009). Vielmehr
ist die gemeinhin als Ära der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« kategorisierte Phase
seit den 1970er Jahren (vgl. in diesem Sinne etwa Kessl, 2008: 262) durch mehrfache
»Aufs« und »Abs« in der Sozialleistungsquote gekennzeichnet, welche jedoch seit
1972 sämtlich über den Werten der späten 1960er Jahre und der Zeit davor lag, und
sich 2008 etwa auf der Höhe der Sozialleistungsquote so unterschiedlicher Jahre
wie 1976, 1982 und 1994 befand (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
2008). Auch etwa bei den Beschäftigtenzahlen im deutschen Wohlfahrtssystem
kann keineswegs von einem plötzlichen Rückgang an Beschäftigten gesprochen
werden (vgl. dazu etwa Züchner, 2007: 213 f.). Dies gilt auch relativ für direkt
staatlich Beschäftigte.
Die mit dem Label der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« implizierte These einer
neuartigen Form von »Entstaatlichung« des Wohlfahrtssystems ist empirisch derzeit
also keineswegs so generell zu bestätigen, wie es zunächst den Anschein haben mag.
Was aber ist mit der zweiten möglichen Lesart von »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit«?
Stimmt es nicht, dass wir seit der programmatischen Umstellung auf den »aktivierenden Sozialstaat« einen Staat beobachten können, der zwar einen fortwährenden
Wohlfahrts- und Integrationsanspruch vorgibt, dabei jedoch keine wirkliche Integration mehr leistet, sondern seinen AdressatInnen Integration diktiert, ohne auf
nicht-individuelle und ressourcenbedingte Integrationsschwellen zu achten? Ließe
sich dies nicht mit Recht als eine Art »post-wohlfahrtlicher Staat« denken?
1.2 »Post-wohlfahrtlicher Staat«?
Bei der Inblicknahme dieser zweiten Argumentationsvariante von »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« kommen besondere erkenntnistheoretische Fallstricke ins
Spiel, und zwar vornehmlich in Gestalt normativer Auffassungen von »echter«
oder »angemessener« Wohlfahrt. Denn die These vom »post-welfarism« gründet
1 Insofern ist auch der Aussage zu widersprechen, die wohlfahrtsstaatliche Erwerbsarbeitszentriertheit werde im Rahmen der Wende hin zum »Post-Wohlfahrtsstaat« inzwischen in Frage gestellt (vgl.
Kessl/Otto, 2008b: 13). Dies mag mit Blick auf die anhaltenden Debatten um Zivilgesellschaftlichkeit
so erscheinen, eine solche Diagnose steht aber in krassem Widerspruch zu den 2004 im Rahmen
der SGB II-Gesetzgebung realisierten Vorschriften. Die traditionelle Erwerbsarbeitzentriertheit des
bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems scheint sich hier und in der Praxis der zuständigen
Ämter im Gegenteil geradezu radikalisiert zu haben (vgl. dazu etwa Schruth/Urban, 2006; Sandermann/Urban/Schruth, 2007). Sie ist also keineswegs abgemildert oder gar abgelöst worden.
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sich augenscheinlich auf einer (meist unausgesprochenen) normativen Idee von
»eigentlicher Wohlfahrt«, welcher dann erst eine zeitdiagnostische Beobachtung
von »uneigentlicher Wohlfahrt« oder eben »Post-Wohlfahrt« entgegengesetzt
werden kann.2
Dies allein stellt nun an sich noch kein analytisches Problem dar, zumindest nicht
solange sich die Idee »eigentlicher Wohlfahrt« explizit als normatives Argument Ontologien
ausweist. Um mithilfe dieses normativen Konstrukts gleichzeitig einen radikalen »eigentlicher
historischen Bruch in der Logik der westlichen Wohlfahrtssysteme behaupten zu Wohlfahrt«
können, ist jedoch mehr erforderlich als die rein normative Konstruktion »eigentlicher Wohlfahrt«. »Eigentliche Wohlfahrt« muss nicht nur normativ behauptbar
sein, sie muss für die vergangene, der aktuellen Phase des Wohlfahrtssystems
historisch vorgeordnete Phase darüber hinaus auch als real existent angenommen
und in diesem Sinne mithilfe ontologischer Argumentationsmuster vordergründig
entnormativiert werden.3 D.h. konkret: Um »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« im Sinne
eines historischen »Wohlfahrtsverfalls« annehmen zu können, muss man zunächst
Wohlfahrtsstaatlichkeit im Sinne einer früher einmal realen Einlösung von Wohlfahrtsverspechen konstruieren. Man muss also eine historische Perspektive konstruieren, der zufolge das in den 1960er/70er Jahren noch fordistisch-keynesianisch
programmierte Wohlfahrtssystem damals tatsächlich im Sinne seines öffentlichen
Selbstanspruchs funktionierte. Das heißt anzunehmen, dass das Wohlfahrtssystem
seine AdressatInnen in den 1960/70er Jahren aktiv gesellschaftlich reinkludiert hat,
und dies im Gegensatz dazu heute nicht mehr tut. Diese zum Teil implizite, zum
Teil explizit gemachte Annahme ist denn auch im aktuellen Diskurs um »PostWohlfahrtsstaatlichkeit« deutlich identifizierbar (vgl. etwa Oelkers, 2008: 77).
Die Behauptung, das bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem habe vor Einzug
der neuen Doktrin des »Aktivierenden Sozialstaats« tatsächlich im Sinne von
»Wohlfahrtlichkeit«, wie sie heute konstruiert wird, funktioniert, erscheint bei
genauerer Beobachtung jedoch als eine theoretische Annahme, die aus Sicht der
Sozialen Arbeit für den Moment zwar evtl. professionspolitisch funktional sein mag,
analytisch aber als eher dysfunktional einzuschätzen ist. Denn die Zusammenschau
vorliegender empirischer Daten zum ehedem in doktrinärer Hinsicht fordistischkeynesianisch gerahmten Wohlfahrtssystem ergibt keineswegs eindeutige Hinweise
darauf, dass durch das damalige Wohlfahrtssystem strukturell höhere Reinklusionseffekte ausgelöst wurden, die heutigen, niedrigeren Reinklusionseffekten »Strukturelle
Rückschaugegenüber stünden (vgl. dazu weiterführend auch Abschnitt 2). In Ermangelung
fehler«
solcher Befunde erscheint es so gesehen auch in dieser Hinsicht als theoretisch
sozialpädurchaus gewagt, die sich heute für die Soziale Arbeit stellende Situation als eine
dagogischer
historische Phase der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« zu titulieren. Diese Diagnose
Entwürfe
könnte im Falle ihrer zunehmenden Etablierung leicht zu einer Art »strukturellem
2 Ähnliches gilt für die Vorstellung eines »Semiwelfare State« (Katz, 1996: 115 ff.) in der US-amerikanischen Debatte, wobei sich Katz’ Idee »eigentlicher Wohlfahrt« augenscheinlich eher aus
dem Vergleich mit kontinentaleuropäischen Wohlfahrtssystemen ergibt als aus der Idee eines
»Wohlfahrtsverfalls«.
3 In diesem Zusammenhang ist auch eine aktuelle Hinwendung zum objektivistischen Begriff
der »Gestalt des Sozialen« (Kessl/Otto, 2008c: 9) zu beobachten. Statt zwischen Funktion und
Programm zu unterscheiden, und damit multiperspektivisch reflexiv zu bleiben, lässt eine solche
Argumentation tendenziell keine Relationalität von Beobachtungen zu, sondern höchstens einen
objektivistischen Relativismus.
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Rückschaufehler« in der sozialpädagogischen Wissenschaftsdiskussion führen: Das
Vergangene erscheint dann im Rückblick »eigentlicher« und damit in normativer
Hinsicht häufig gleichzeitig humaner, anspruchsgerechter, wertvoller als das Heutige. Interessanterweise – und dies ist für den/die aufmerksame/n BeobachterIn
der Fachdebatte besonders irritierend – erscheint das fordistisch-keynesianische
Wohlfahrtssystem damit jedoch in der heutigen Wissenschaftsdiskussion vor allem
auch wertvoller als in der wissenschaftlichen Diskussion zu Zeiten der gesellschaftlichen Etablierung der fordistisch-keynesianischen Wohlfahrtsstaatsdoktin selbst.
Dies wird eindrücklich deutlich, wenn man die kritischen Auseinandersetzungen
mit dem Wohlfahrtssystem im sozialwissenschaftlichen Diskurs der 1970er/80er
Jahre mit den heutigen Beschreibungen der damaligen Doktrin vergleicht (vgl. als
Zusammenschau der historischen Quellen sozialwissenschaftlicher Kritik an der
fordistisch-keynesianischen Wohlfahrtsstaatsdoktrin weiterführend Sandermann,
2009: 163 ff.).
Zusammenhängen könnte die oben beschriebene analytische Unstimmigkeit vieler heutiger Zeitdiagnosen zum Wandel der Sozialen Arbeit unter anderem damit,
dass man sich heute bei der rückblickenden Analyse des fordistisch-keynesianischen
Wohlfahrtssystems weniger an den hierdurch hervorgebrachten empirischen
Realitäten auf sozialpolitischer und sozialpädagogischer Praxisebene, als am theoretischen (Selbst-)Konzept des fordistisch-keynesianischen Wohlfahrtssystems
orientiert.4 Dies geschieht sicherlich ganz entscheidend auch deswegen, weil äußerst
wenige empirische Daten zur damaligen »Praxisrealität« des Wohlfahrtssystems
vorliegen. Sich nun jedoch mangels solcher Befunde an der damals geltenden
Doktrin zu orientieren, sie als geltend anzunehmen, und sie in Vergleich zu den
heute im Zuge der Umsetzung der neuen Doktrin vom »Aktivierenden Sozialstaat«
beobachteten oder befürchteten Effekten zu stellen, erscheint problematisch. Man
vergleicht so früheres Programm und heutige Programmauswirkungen miteinander, anstatt den Vergleich durchgehend auf derselben Ebene durchzuführen. Dies
führt im Effekt dazu, dass man das fordistisch-keynesianische Wohlfahrtssystem als
»eigentliche« Soziale Arbeit in einem »eigentlichen« Wohlfahrtsstaat wahrnimmt,
der stets erfüllte, was er versprach, wohingegen das heutige System als eine Art
nur noch vordergründiger Wohlfahrtsstaat erscheint, in dessen Zusammenhang die
Soziale Arbeit »zunehmend mehr aus dem sozialstaatlichen Rahmen ausgegliedert«
(Badawia/Luckas/Müller, 2006: 9) wird.
2 Zum systemtheoretisch inspirierten Theoriemodell des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
Die oben skizzierten Unschärfen aktueller zeitdiagnostischer Beobachtungen zum
Wandel von Sozialer Arbeit und Wohlfahrtsstaat werden für die aktuelle sozialpädagogische Forschungsdiskussion vor allem dort zum analytischen Problem, wo sie
im Zuge ihrer durchaus wertvollen und dichten Beschreibung der Einzelheiten des
Wandels etwas zum Verschwinden bringen, das für eine systematische Erforschung
der aktuellen Transformation des Wohlfahrtssystems ebenso notwendig ist: der
Blick auf die Kontinuität innerhalb des Transformationsprozesses.
4 Diese Unstimmigkeit gilt augenscheinlich keineswegs nur für Zeitdiagnosen, die sich mit dem
Terminus der »Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit« ausflaggen. Sie ist vielmehr weit verbreitet und
entsprechend relevant für die Diskussion (vgl. statt vieler etwa Badawia/Luckas/Müller, 2006).
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Der folgende Entwurf versucht daher – als kritisch an die Diskussion anschließendes Korrektiv – insbesondere die kontinuierliche Funktion des Wohlfahrtssystems
im gesellschaftlichen Wandel herauszuarbeiten. Dabei verortet sich die Analyse aus
oben genannten Gründen bewusst nicht post-strukturalistisch, sondern schließt an
systemtheoretische Grundannahmen an, und baut damit insbesondere auf zwei Prämissen auf. Die erste Prämisse lautet, sich im Zuge der Beobachtung ein »aufrichtiges
Desinteresse« am Untersuchungsobjekt (vgl. Neumann/Sandermann, 2007: 14) zu
erhalten. Als zweite Prämisse wird eine Unterscheidung zwischen Wertideen und
Funktionen des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems in die Analyse eingeführt.
Das bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem mit »aufrichtigem Desinteresse« zu
beobachten, bedeutet dabei allgemein gesprochen, es fernab eines professionspolitischen Engagements für dessen bestehende Praxis zu objektivieren. Erst hierdurch
eröffnen sich Räume für eine kritische Interpretation funktionaler Zusammenhänge
zwischen der Praxis Sozialer Arbeit und ihrer gesellschaftlichen Relationiertheit,
und zwar in verschiedenerlei Richtungen. Dabei wird Soziale Arbeit keineswegs
als ein nachgeschalteter, reaktiver Gesellschaftsteil interpretiert, sondern als aktiver Teil der Koproduktion gesellschaftlicher Praxis (vgl. dazu weiterführend auch
Sandermann, 2010: 227; Sandermann et al., 2010; vgl. als international wegweisend
dazu auch bereits Lipsky, 1980; aktuell etwa Brodkin, 2009).
Zwischen Wertideen und Funktionen des Systems zu unterscheiden, bedeutet,
die gemeinhin durch das bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem aufgestellten
Selbstansprüche einer Herstellung »sozialer Gerechtigkeit«, »sozialer Gleichheit«,
»gesellschaftlicher Chancengerechtigkeit« etc. konsequent als kontingente Wertideen, aber nicht als Funktionen des Systems zu begreifen. Das wiederum heißt,
diese in der Regel als Integrationsversprechen in Stellung gebrachten Wertideen
weder als »wahr« zu akzeptieren, noch als »unwahr« zu diskreditieren. Stattdessen
können sie in einer kritisch distanzierten Beobachtung als Wertideen beschrieben
und von den systemtheoretisch annehmbaren Funktionen des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems unterschieden werden, woraufhin beides – wechselnde
Wertideen und kontinuierliche Funktionen des Systems – analytisch zueinander
in Relation gesetzt werden können.
Um die Relation von Wertideen und Funktionen im bundesrepublikanischen
Wohlfahrtssystem in dieser Weise analysieren zu können, ist es jedoch zunächst
notwendig, einen diskursiven Zugriff auf das Phänomen »Bundesrepublikanisches
Wohlfahrtssystem« zu konstruieren. Dabei wird der inzwischen relativ ausdifferenzierte sozialwissenschaftliche Diskussionszusammenhang zum Themenkomplex der
»Entstehung und Dynamik des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems« mit
dem Ziel abgebildet, eine explizite analytische Vorstellung davon zu entwickeln,
was es heißen könnte, von einem bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystem zu
sprechen (vgl. dazu auch Sandermann, 2009: 128 ff.). Erst infolge der reflexiven Entwicklung eines solchen Theoriemodells wird es wiederum möglich, Kontinuität und
Wandel der derzeitigen Entwicklungen analytisch umfassend zu beobachten.
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Zwei
Prämissen
der Beobachtung
»Aufrichtiges
Desinteresse«
Wertideen
und Funktionen
2.1 Zu Systembegriff, Leitdifferenz und sich wandelnden Wertideen des
bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
Termino-
»Wohlfahrtsstaatsforschung« ist seit nunmehr ca. sechzig Jahren klar als Zweig der logische
sozialwissenschaftlichen Forschung auszumachen (vgl. Leisering, 2001: 1214). Es Differengeht also zur analytischen Klärung des Phänomens »Wohlfahrtssystem« zunächst zierung
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einmal darum, das diskursive Feld der Wohlfahrtsstaatsforschung zu ordnen. Es
bedarf jedoch bereits bei der bloßen Benennung des Diskussionszusammenhangs
einer terminologischen Differenzierung. Innerhalb der zu findenden sozialwissenschaftlichen Literatur werden zum Teil sehr unsystematisch unter anderem die
Begriffe »Sozialstaat«, »Wohlfahrtsstaat«, »Wohlfahrtssystem«, »Wohlfahrtssektor«,
»Sozialsystem«, »Sozialsektor«, »Sozialmodell« sowie »Sozialpolitik« oder gar
»Sozialhilfe« (vgl. etwa Luhmann, 1998: 633)5 zur Bezeichnung des jeweils mehr
oder weniger Gleichen verwandt. Für einen systematischen Ansatz ist es indessen
sinnvoll, nur einen dieser Begriffe zu benutzen. Im vorliegenden Entwurf wird dafür
der Terminus »bundesrepublikanisches Wohlfahrtssystem« gewählt, welcher zum
einen staats- sowie politikzentrierte Assoziationen vermeidet, sich zum anderen
aber dennoch historisch konkret auf das Modell der deutschen Nachkriegszeit
bezieht. Der Terminus wird dabei auch explizit dem Begriff des Wohlfahrtsstaats
vorgezogen.6
Eine Verwendung des Systembegriffs erscheint dabei insofern sinnvoll, als dass
sich eine inzwischen recht klar auszumachende »eigene Wirklichkeit« (Leisering,
2004a: 20; vgl. dazu unter anderem auch Leisering, 1997b: 251; Lessenich, 1998: 91;
Bode, 2004b: 10; Lamping/Schridde, 2004: 60; Leisering, 2005: 200 f., sowie ansatzweise bereits Achinger, 1971: 51; Luhmann, 1981: 10) des bundesrepublikanischen
5 Insbesondere die Verwendung des Begriffs »Sozialhilfe« steht geradezu symbolisch für eine immer
noch erkennbare Unterbelichtung der personenbezogenen Dienstleistungen beim sozialwissenschaftlichen Blick auf das Wohlfahrtssystem, zumindest sobald die Beobachtung den engeren
Kontext der sozialpädagogischen Fachdiskussion verlässt. Denn die Verwendung des Begriffs
Sozialhilfe legt zumindest nahe, das Verständnis von Leistungen des Wohlfahrtssystems auf
materielle Leistungen nach dem heutigen SGB XII zu verengen. Diese tendenzielle Gleichsetzung
von sozialen Dienstleistungen mit rechtlichen und geldlichen Steuerungsformen (vgl. in diesem
Sinne etwa auch Luhmann, 1981: 94 ff.) macht es vielen eher soziologisch sozialisierten Sozialwissenschaftlern nach wie vor schwer, den fokussierten Kommunikationszusammenhang adäquat zu
fassen (vgl. dazu (selbst-) kritisch auch Alber, 2001: 84; Leisering, 2004b: 259 f.; Schmid, 1996:
62; Seeleib-Kaiser, 2007: 20). Gleichzeitig verdeutlicht dieser Umstand, in welch hohem Maße es
sozialpädagogisch informierte TheoretikerInnen bisher versäumt haben, sich in diesen größeren
Diskussionszusammenhang einzubringen.
6 Stephan Lessenich (2000: 41) bringt nachvollziehbare Argumente zugunsten einer Nutzung des
Begriffs »Wohlfahrtsstaat« vor. Für diesen Begriff spricht vor allem, dass es sich dabei – etwa im
Gegensatz zu den eher offenen Begriffen »Sozialsystem« oder »Sozialpolitik« – um die Benennung
eines spezifischen Modus’ »politisch veranstalteter Vergesellschaftung [...], einen historischkonkreten Gesellschaftstyp« (ebd., im Original teils kursiv) handelt, der als »Nachkriegsphänomen westlicher Gesellschaften« (ebd.) gefasst werden kann, und historisch für den Zeitraum
ab den 1950er Jahren anzusiedeln ist. Durch Letzteres unterscheidet sich der Begriff auch vom
Terminus »Sozialstaat« (vgl. ebd.). Fraglich bleibt aber, inwiefern die Zentriertheit des Terminus’
auf Staat-lichkeit dem gemeinten sozialen Phänomen wirklich gerecht wird. Insbesondere für
eine Beobachtung, die explizit versucht, das gesellschaftliche Projekt der Sozialen Arbeit in das
zu bezeichnende soziale Phänomens einzubeziehen, erscheint der Terminus »Wohlfahrtsstaat«
unbefriedigend. Denn dann ist keineswegs von einem Phänomen zu reden, dass in klar staatlichen
oder auch nur in im institutionalistischen Sinne als »politisch« zu bezeichnenden Strukturen
anzusiedeln ist. Auch wird das bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem durchaus nicht zur
Gänze staatlich gesteuert, sondern ist bis in den Bereich der Sozialversicherung hinein subsidiär
strukturiert (vgl. dazu auch Offe, 1998: 366; Kaufmann, 2003: 304) und gesamtgesellschaftlich
daher mit guten Gründen jenseits direkt-staatlicher Organisationsmechanismen zu verorten (vgl.
dazu in je unterschiedlichem Zugriff auch Lampert/Althammer, 2004: 11 f.; Koch, 1995; Schmid,
1996: 21 ff.; Bode, 2004: 10 ff.; Leisering, 2005: 203; Hegelich/Meyer, 2008: 143).
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Kommunikationszusammenhangs um das Thema »Wohlfahrt« ausmachen lässt.
Versteht man den Systembegriff konsequent als Bezeichnung für einen relativ
geschlossenen Kommunikationszusammenhang im Sinne einer eigenen Denklogik – dies ist eine wohl weitgehend konsensfähige systemtheoretische Auffassung
– und verfällt dabei nicht auf den Versuch, nach offenkundig exklusiven Steuerungsmitteln des Wohlfahrtssystems zu suchen, so kann daher durchaus von einem
»Wohlfahrtssystem« im engen systemtheoretischen Sinne gesprochen werden (vgl.
dazu die folgenden Ausführungen, sowie andeutungsweise auch bereits Leisering,
2005: 259; Stichweh, 2005: 164 f.7).
Die systemtheoretisch obligatorisch erscheinende Frage nach der Leitdifferenz
des identifizierten Systems und mithin die Frage danach, was denn den Anlass für
die von Leisering identifizierte »eigene Wirklichkeit« des bundesrepublikanischen
Wohlfahrtssystems ausmacht, erscheint dabei recht eindeutig beantwortbar. Als
Anlass für die wohlfahrtssystematische Kommunikation können permanente
Fragen nach teilgesellschaftlicher In- bzw. Exklusion von Individuen und Gruppen
in modernen Gesellschaftszusammenhängen ausgemacht werden (vgl. dazu auch
Luhmann, 1998: 633 f.; Bommes/Koch, 2004: 80; Scherr, 2004: 66 f.). Entsprechend
könnte als Leitdifferenz des Wohlfahrtssystems allgemein die Frage nach »(teil-)
gesellschaftlicher Inklusion/Exklusion« identifiziert werden.
Mit dieser hypothetischen Benennung der systemtheoretischen Leitdifferenz ist
die System-Umwelt-Relation des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems grob
umrissen. Damit besteht gleichzeitig eine erste ungefähre Vorstellung davon, für
welche Art Irritationen resp. Perturbationen das System kommunikativ empfänglich
ist, welche Reize also eine gewisse Chance haben, in den kommunikativen Kreislauf
des Wohlfahrtssystems zu gelangen. Dies sind Reize, deren unmittelbaren Relationen zur Leitdifferenz teilgesellschaftlicher Inklusion/Exklusion für das System
erkennbar sind und die gleichzeitig auf eine interne Veränderungsnotwendigkeit
des Systems, also auf dessen Aufnahmebereitschaft treffen.
Nun wirkt die hier hypothetisch angenommene Leitdifferenz »teilgesellschaftlicher Inklusion/Exklusion« aber zunächst einmal recht abstrakt und mutet kritisch betrachtet ahistorisch statisch an. Es taucht die berechtigte Frage auf, ob die
wohlfahrtssystematische Kommunikation ihre eigene Wirklichkeit nicht viel eher
an zeitgebundenen Wertideen oder Wertgesichtspunkten ausrichtet, wie z.B. an
Ideen »sozialer Gleichheit«, »sozialer Gerechtigkeit«, »Chancengerechtigkeit«,
»sozialer Sicherheit« usw. (vgl. dahingehend etwa Kaufmann, 1977: 511, vgl. dazu
kritisch auch Leisering, 1997a: 258 f.). Auf den ersten Blick erscheint eine solche,
zentral auf die Dynamik gesellschaftlicher Prozesse abzielende Theoretisierung als
nahe liegende und letztlich konkretere Beschreibung der wohlfahrtssystematischen
Kommunikation. Gleichzeitig jedoch versperren solche punktuell zeithistorischen
Konkretisierungen den theoretischen Blick auf die strukturierende Kommunikationslogik der einzelnen, konkret beobachtbaren Variationen des semantischen
Musters. Sie versperren damit zwangsläufig auch den Blick auf das Allgemeine im
historisch Besonderen, oder eben: die Kontinuität im Wandel, wie oben am Beispiel
der post-strukturalistisch inspirierten Rede von der Post-Wohlfahrtsstaatlichkeit
5/2010
Systembegriff
Leitdifferenz
Strukturierende Kommunikation und
konkrete
semantische
Muster
7 Stichweh differenziert in seiner Arbeit zwar Bildungs-, Erziehungs- und Gesundheitssystem voneinander, ordnet allen drei Systemen aber die geiche »Idee der Vollinklusion aller Gesellschaftsmitglieder« (Stichweh, 2005: 164) zu, was die von ihm vorgenommene Dreiteilung letztlich als
Binnendifferenzierung eines Systems erscheinen lässt.
455
np
5/2010
»Effektivität«
des
Wohlfahrtssystems?
Verbindung
von Längsund Querschnittperspektive
Sandermann, Wandlungsprozess des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
veranschaulicht werden konnte. Diese Wertideen zu identifizieren, bietet dem/r
BeobachterIn also zwar zeit- und gesellschaftshistorisch eine wertvolle Querschnittsperspektive, denn die jeweils ausgemachten Wertideen werden in der
Regel nicht nur für den Wohlfahrtsbereich, sondern auch für analoge politische,
ökonomische, mediale etc. Zusammenhänge ausgemacht. Für den historischen
Längsschnitt, und hier insbesondere für die spezifische Beobachtung eines Teils
der Gesellschaft – in unserem Falle das Wohlfahrtssystem incl. der Sozialen Arbeit – bietet diese Betrachtungsweise andererseits aber wenig mehr, als – im Bild
gesprochen – zu erfassen, in welcher Farbe der vermuteterweise immer gleiche
Raum gestrichen ist. Mit welchem Raum man es zu tun hat, ob und inwiefern er
tatsächlich gleich geschnitten bleibt, und welche Farben der Raum grundsätzlich
zulässt, ist mit einem solchen Ansatz jedoch nicht erklärbar.
Hilfreicher erscheint es daher, beide geschilderten Perspektiven (historischer
Längs- sowie Querschnitt) weitest möglich in einer systemtheoretischen Beobachtung miteinander zu verbinden8: Die abstrakte Leitdifferenz »teilgesellschaftliche
Inklusion/Exklusion« darf dann nicht per se als konkurrente Vorstellung zur
Annahme, dass sich Leitdifferenzen des Wohlfahrtssystems in Begriffspaaren wie
»soziale Gerechtigkeit/soziale Ungerechtigkeit« oder »soziale Gleichheit/soziale
Ungleichheit« manifestieren, begriffen werden. Stattdessen scheint es weiterführend, Begriffe wie »soziale Gerechtigkeit« oder »soziale Sicherheit« als jeweils
historisch konkrete Wertideen des Wohlfahrtssystems zu verstehen, die das System
historisch anbindungsfähig an seine gesellschaftliche Umwelt machen. Wertideen
können damit als kommunikatives Zeitkolorit verstanden werden, das die abstrakte
Leitdifferenz »teilgesellschaftliche Inklusion/Exklusion« semantisch konkretisiert
und zeitgeschichtlich erfassbar macht. Die verschiedene Wertideen überspannende
Leitdifferenz bleibt dabei jedoch die strukturelle Frage nach »(teil-)gesellschaftlicher Inklusion/Exklusion«.
2.2 Zur kontinuierlichen Logik und Funktion wohlfahrtssystematischer
Kommunikationsabläufe
Mit einer hypothetischen Benennung der Leitdifferenz des bundesrepublikanischen
Wohlfahrtssystems ist erst wenig über die interne Logik wohlfahrtssystematischer
Kommunikation gesagt. Zwar können wir uns, indem wir eine Leitdifferenz ausmachen, einen Zugang zum Verständnis der anhaltenden Kommunikationsanlässe des
Wohlfahrtssystems schaffen; wir versetzen uns gewissermaßen in eine reflektierte
Selbstbeschreibung des Systems. Noch nichts wissen wir hierdurch jedoch über
die genauere Dynamik, besser: Eigendynamik des Systems, die sich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive beobachten lässt. Die entscheidende Frage lautet
8 Hiermit soll keineswegs in den Raum gestellt werden, dass mithilfe eines systemtheoretischen
Ansatzes so etwas wie eine »totale Perspektive auf die gesellschaftliche Wirklichkeit des Wohlfahrtssystems« möglich wäre. Zwar kann ein systemtheoretisch fundierter Blick auf das Phänomen
historische Längs- und Querschnittsperspektiven miteinander kombinieren und so zu einem
abstrakt aussagekräftigen und dennoch empirisch konkretisierbaren Bild verdichten. Eine solche
Perspektive »erfasst« dabei aber in keinem Moment Realität, sondern bleibt im Zuge ihrer Konstruktion notwendigerweise eine Reduktion von Komplexität, und damit: wissenschaftliche Theorie.
Als solche tut sie selbstredend stets gut daran, mit anderen wissenschaftlichen Objektivierungen
zu konkurrieren und sich durch Einbeziehung anderer Perspektiven an sich selbst abzuarbeiten.
456
Sandermann, Wandlungsprozess des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
np
also: Wie genau bearbeitet das System solche Reize, die es im Sinne seiner Leitdifferenz rezipiert? Wie genau geht es mit diesen Reizen um, und welche Dynamik
entsteht hierdurch wiederum für das System selbst und seine Wechselbeziehung
zur Umwelt?
Eine Antwort hierauf ergibt sich wiederum nicht aus »reiner Theorie«. Es bietet
sich stattdessen ein weiteres Mal an, die bestehende wissenschaftliche Kommunikation zum Phänomen des Wohlfahrtssystems genau zu beobachten. Unterzieht
man den sozialwissenschaftlichen Diskussionszusammenhang zum Thema einer
solchen Beobachtung, so fällt auf, dass die Dynamik des Gegenstands selbst, d.h.
die internen Zusammenhänge sowie die Auswirkungen, die das bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem auf sich selbst und andere Teile der Gesellschaft hat(te),
über lange Zeit gar kein Thema der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit
dem System waren. Stattdessen beschäftigte man sich zunächst quasi ausschließlich
damit, nach Ursachen und Entstehungsumständen des Wohlfahrtssystems zu fragen
(vgl. Leisering 2001: 1216). Erst seit etwa Ende der siebziger Jahre sind nun auch
Eigendynamik, Folge- und Wechselwirkungen des Wohlfahrtssystems von breiterem
sozialwissenschaftlichen Interesse.
Dabei fällt sicherlich zunächst die viel bemühte Krisenrhetorik des Diskurses
auf (vgl. bspw. Butterwegge, 2005; Kaufmann, 2003a: 173 ff.; Lampert, 1997: 328 ff.;
Leisering, 2004a: 31 ff.; Merten/Scherr, 2004: 7). Der generelle Aussagewert dieser
Krisenurteile bleibt auf den ersten Blick jedoch begrenzt. Krisen können kaum
als Spezifikum des Wohlfahrtssystems gelten, sondern sind nach inzwischen recht
einhelliger sozialwissenschaftlicher Meinung ein generelles Merkmal von Entwicklungsdynamiken modern konstituierter Gesellschaften (vgl. Schimank, 2007:
10)9. Etwas an den im Diskurs weit verbreiteten Krisendiagnosen zum bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystem scheint jedoch auf den zweiten Blick durchaus
bedenkenswert und objektivierungsdienlich zu sein, wenn es darum geht, sich die
Logik wohlfahrtssystematischer Kommunikationsabläufe zu erschließen. Es sind
dies die den Krisenaussagen zum Teil zugrunde liegenden empirischen Befunde,
welche wiederum Aussagen zur Ineffektivität des bestehenden Wohlfahrtssystems
zulassen, was die Erreichung der sozialpolitisch und sozialpädagogisch immer wieder recht einhellig aufgestellten Normen »sozialer Gerechtigkeit«, »gesellschaftlicher Integration« etc. angeht (vgl. zur Formulierung dieser Normen bspw. Böhnisch,
1994: 32; Böhnisch/Schröer/Thiersch, 2005: 225 ff.; Opielka, 2006; Otto/Ziegler,
2005: 118; Thiersch, 1997: 273/278 f.; Thiersch, 2007: 3; Thole et al., 2005): Vielen
sozialwissenschaftlichen Befunden zufolge wird mithilfe des bestehenden Wohlfahrtssystems insgesamt betrachtet kaum ein Mehr an »sozialer Gerechtigkeit« und/
oder »gesellschaftlicher Integration« hergestellt (vgl. dazu etwa Deutschmann, 1997;
Dollinger, 2008: 36). Vielmehr lassen sich in Teilen wohlfahrtssystematischer Steue-
5/2010
Wohlfahrtsstaatsfolgenforschung
Krisen
diagnosen
9 Durch die gleichzeitige Etablierung und Radikalisierung von immer mehr verschiedenen, jeweils
systemspezifischen Eigenlogiken kann moderne Gesellschaft generell als ein soziales Phänomen interpretiert werden, das laufend Konflikte und Krisen neu produziert und verschärft. Die
Systemtheorie beschreibt dies als gleichzeitige Dauerkonflikte zwischen unterschiedlichen Systemlogiken, welche in ihrer Masse zu einem andauernden Zustand von Krisenhaftigkeit führen.
Zugleich aber garantiert eben dies auch die relative Stabilität moderner Gesellschaften, da sich
die verschiedenen, in Konflikt zueinander stehenden Teilsystemlogiken gegenseitig ständig in
ihrer Expansivität beschränken (vgl. dazu genauer etwa Luhmann, 1998: 1087; Leisering, 2001:
1218; Willke, 1993: 94).
457
np
5/2010
»Effektivität«
des
Wohlfahrtssystems?
Sandermann, Wandlungsprozess des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
rungsversuche sogar gegensätzliche Effekte vermuten (vgl. dazu bspw. Alber, 2001:
74 f.; Gredig/Wilhelm, 2007; Kaufmann et al., 1982: 81; Leibfried et al., 1995: 274 ff.;
Leisering, 1997a: 253; Leisering/Voges, 1992: 468 f.; Lessenich, 2008: 10 f.; Schelkle, 2004: 138; Mohr, 2007: 61 ff.; für die US-amerikanische Diskussion etwa auch
Hasenfeld, 1992: 268 f.), und zwar einerseits unmittelbar durch die Erzeugung von
Folgeproblemen wohlfahrtssystematischer Interventionen, wie auch andererseits
mittelbar dadurch, dass durch die Ausweitung augenscheinlicher Möglichkeiten
zur Inklusion Einzelner die weiterhin »Nichtinkludierten schärfer ausgegrenzt
sind als sie es vorher waren« (Leisering, 2005: 260).
Wiederum zu kurz greift allerdings, wer diese Aussage von In- resp. Contraeffektivität pauschal trifft oder versteht. Stattdessen muss für differenzierte Aussagen
zu (Re-)Inklusionseffekten wohlfahrtssystematischer Eingriffe deutlich zwischen
einzelnen Teilgruppen von AdressatInnen unterschieden werden (vgl. hierzu
bspw. Leisering, 1997a).10 Meist scheint dabei jedoch die Wahrscheinlichkeit zur
teilgesellschaftlichen (Re-)Inklusion von Bevölkerungsgruppen von den jeweiligen
Fähigkeiten und Ressourcen der betroffenen sozialen Gruppen selbst abzuhängen
(vgl. Leisering/Voges, 1992: 468 f.), was somit zumindest keinen strukturellen (Re-)
Inklusionseffekt wohlfahrtssystematischer Eingriffe im Sinne gesellschaftlicher
Umverteilung nahelegt, sondern eher von einer Art »wohlfahrtssystematisch reproduziertem, sekundärem Matthäus-Effekt in Bezug auf soziale Lebenslagen« zeugt
(vgl. dazu auch Thiersch, 1997: 274, sowie bereits Tennstedt, 1976: 145). Gemessen
an den öffentlich ausgegebenen und allzu oft wissenschaftlich legitimierten Zielen
»sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Integration« heißt das – und hier
liegt die Provokation des Befunds, sofern man ihn konsequent zu lesen bereit ist –,
dass das bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem in seiner sozialwissenschaftlich
beobachtbaren Form nicht nachweisbar mehr teilgesellschaftliche Exklusionen
beseitigt als es (folge-)produziert.
Diese Aussage ist nun jedoch wiederum nicht gleichzusetzen mit der Behauptung,
dass das bestehende Wohlfahrtssystem etwa »per se zwecklos« sei. Wäre dies der
Fall, so existierte es vermutlich schlichtweg nicht. Es wäre also eine grob verkürzte
Folgerung aus der obigen Interpretation, das bestehende Wohlfahrtssystem als
10 Hinzu kommen mindestens drei weitere analytische Schwierigkeiten: Erstens stellt sich die Frage,
wie »(teil-)gesellschaftliche Inklusionsprozesse« operationalisierbar sind. Eine differenzierungstheoretisch aufgeklärte Beobachtung hat wie erörtert davon auszugehen, dass es in modernen
Gesellschaften keine gesellschaftliche Inklusion »per se« geben kann, sondern immer die Frage
bleibt, in Bezug auf welche gesellschaftlichen Teilsysteme eine Person oder Personengruppe als
inkludiert anzusehen ist. Ein Prozess hin zu mehr oder weniger gesellschaftlicher Inklusion als
Ganzer ist daher kaum theoretisch analysierbar, und umso weniger noch empirisch seriös überprüfbar. Zweitens besteht bereits in rein theoretischer Hinsicht die Frage, was Inklusionsprozesse
durch das Wohlfahrtssystem ausmacht. So kann bspw.mit Stichweh (1988) von mindestens zwei
Varianten wohlfahrtssystematischer Inklusion gesprochen werden: der Inklusion als KlientIn
(Publikumsrolle) und der Inklusion als Professionellem/r (Leistungsrolle) (vgl. a.a.O.: 268 ff.).
Hinzu kommt – drittens – die methodische Schwierigkeit, dass zur Messung von Effekten wohlfahrtssystematischer Eingriffe keine Kontrollgruppen zur Verfügung stehen, bei denen unter
ansonsten gleichen gesellschaftlichen Bedingungen keine wohlfahrtssystematischen Eingriffe
erfolgen. In den letzten Jahren versucht man zunehmend, dieses Szenario zumindest grob mithilfe
der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung herzustellen (vgl. dazu etwa Scharpf/Schmidt,
2000; Ebbinghaus/Manow, 2001; Bode, 2004; Mohr, 2007; Jewell, 2007; grundsätzlicher auch
Züchner, 2007: 52 ff.).
458
Sandermann, Wandlungsprozess des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
np
schlicht »sinnlos« für den Gesamtzusammenhang der bundesrepublikanischen
Gesellschaft zu bewerten und es aus diesen Gründen politisch abschaffen oder
radikal einschränken zu wollen, wie es einer vulgärkonservativen Folgerung (vgl.
etwa Weizsäcker, 1999; vgl. kritisch dazu Kessl/Reutlinger/Ziegler, 2007: 11) oder
so genannten neoliberalen Sichtweisen entspräche. Solche Forderungen sind indes
nicht nur utopisch und unrealistisch, sie verkennen auch die hohe Wahrscheinlichkeit, mit der die oben genannten Widersprüche zwischen Effektivität und Contraeffektivität des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems nicht einer »falschen
Realität« des Systems, sondern vielmehr einer etwas zu naiven wissenschaftlichen
Fragestellung, unter der man es beobachtet, entspringen. Anders formuliert: Wenn
Untersuchungen des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems zu widersprüchlichen Aussagen führen, was den Erfolg angeht, mit dem hier »soziale Gerechtigkeit«
hergestellt und AdressatInnengruppen teilgesellschaftlich (re-)inkludiert werden, so
gibt es nicht nur die Möglichkeit, das untersuchte System für »falsch« oder »schlecht
funktionierend« zu halten. Als viel unmittelbarere Folgerung daraus ergibt sich die
Notwendigkeit zur Überprüfung der Hypothesen dazu, was die zentrale Funktion
des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems ist.
Was sowohl vulgärkonservative und neoliberale Apologien als auch einseitige
Interpretationsansätze, die eine generelle Krise oder einen generellen Erfolg
des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems konstatieren, vernachlässigen,
ist also die Frage danach, ob die Ambivalenz der vorfindbaren theoretischen und
empirischen Ergebnisse nicht darauf hinweist, dass der öffentlich immer wieder
propagierte Anspruch des Systems, »soziale Gerechtigkeit«, »gesellschaftliche
Integration« etc. herzustellen, quer liegt zur sozialwissenschaftlich erkennbaren
Funktion des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems. Es erscheint so gesehen
irreführend, die Funktion des Wohlfahrtssystems anhand der direkten Erreichung
der Ziele zu beurteilen, die gängigerweise für das System (bzw. durch das System
selbst) benannt werden (vgl. dazu auch bereits Kaufmann, 1977: 497 f.; Lenhardt/
Offe, 1977: 99 f.; Offe, 1984: 196, sowie Willke, 1989; Kaufmann, 2003b: 30; Gredig/
Wilhelm, 2007: 244 f.). Ein solches Vorgehen würde eher Selbstbeschreibungen
legitimatorisch reproduzieren, anstatt sie theoretisch gegenzulesen. Indem nicht
zwischen der Leitdifferenz des identifizierbaren Systems (teilgesellschaftliche
Inklusion/Exklusion) und dessen sozialwissenschaftlich beobachtbarer Eigenlogik
differenziert würde, würde hier der Frage nach der Funktion des Systems mit der
Antwort auf die Intention des Systems begegnet (vgl. dazu exemplarisch Ziegler,
2008: 166; vgl. zu diesem in der Debatte um Wohlfahrtsstaatlichkeit und Soziale
Arbeit nicht allzu seltenen Vorgehen kritisch auch Nassehi, 2008; Hünersdorf,
2004: 49 f.).
Gleichzeitig ist nun aber natürlich ernst zu nehmen, dass innerhalb des Wohlfahrtssystems im Sinne dieser legitimatorischen Selbstbeschreibungen kommuniziert
wird. Bleiben wir in systemtheoretischer Lesart, so kann daraus der Schluss gezogen
werden, dass die Funktion des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems darin
liegt, das Problem teilgesellschaftlicher Inklusion/Exklusion zu bearbeiten, indem
es unter Zuhilfenahme von Labels wie denjenigen der »sozialen Gerechtigkeit« und/
oder der »gesellschaftlichen Integration« laufend kommunikativ bearbeitet wird (vgl.
dazu auch Luhmann, 1973: 179 ff.; Fuchs, 2004: 25). Nicht das tatsächliche Erreichen »gesellschaftlicher Integration« und/oder »sozialer Gerechtigkeit«, sondern
die konstante Rede davon in Kombination mit institutionalisierten Maßnahmen,
deren inklusionsfördernden Effekte jedoch nicht strukturell nachweisbar sind,
5/2010
Widersprüche
zwischen
Effektivität
und Contraeffektivität
Konsequente
Unterscheidung
zwischen
Selbst- und
Fremdbeschreibung
Funktion des
Wohlfahrtssystems
459
np
5/2010
Strukturelle
Funktion vs.
individueller
Fallausgang
Sandermann, Wandlungsprozess des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
sondern lediglich propagiert werden; dies erscheint als wohlfahrtssystematische
Funktionslogik.
Das bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem erzielt somit keine strukturellen
Lösungen sozialer Problemlagen, es ist von seiner Struktur her nicht dazu angelegt
(vgl. dazu grundlegend bereits Lenhardt/Offe, 1977: 120; vgl. für die Soziale Arbeit
im engeren Sinne etwa auch Münchmeier, 2007: 215 f.). Wenn im Einzelfall (Re-)Inklusionsprozesse von AdressatInnengruppen in andere gesellschaftliche Teilsysteme
gefördert werden, wenn also – in wohlfahrtssystematischer Programmatik gesprochen – »gesellschaftliche Integration und soziale Gerechtigkeit erzielt« wird, so ist
dies in normativer Hinsicht und für die im Einzelfall Betroffenen wünschenswert,
dieser Effekt liegt aber quer zur sozialwissenschaftlich erkennbaren strukturellen
Funktion des Systems. Genauso gut könnte diese »Zielerreichung« im konkreten
Fall auch nicht stattfinden, die kommunikative Logik des Wohlfahrtssystems wird
davon zunächst einmal nicht wesentlich berührt. Seiner Funktion entspricht das
bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem – bezogen auf den konkreten Fall – bereits dadurch, dass der jeweilige Fall als solcher erkannt und verhandelt wird, dass
er also in kommunikativen Zusammenhang mit Problemen teilgesellschaftlicher
Exklusion gebracht wird. Die Herstellung des kommunikativen Zusammenhangs
selbst stellt also auch im einzelnen »Fall« und unabhängig von dessen »Fallausgang« bereits die entscheidende Aufhebung des gesellschaftlichen Problems dar,
wobei Aufhebung durchaus im doppelten Sinne verstanden werden kann. Denn
das Problem (teil-)gesellschaftlicher Exklusionen in moderner Gesellschaftlichkeit
wird in Form der permanenten kommunikativen Bearbeitung durch das bundesrepublikanische Wohlfahrtssystem »aufgehoben« sowohl im Sinne von »aufbewahren« als auch im Sinne von »lösen«. So kann man auch sagen: Die Funktion
des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems besteht weder in der Herstellung
oder Begünstigung von teilgesellschaftlicher Inklusion noch in deren aktiver
Verhinderung, sondern in der kommunikativen Beschäftigung mit teilgesellschaftlicher Exklusion unter Rekurs auf eine eigene Sprachlichkeit, mithilfe derer die
Vorstellung »gesellschaftlicher Totalinklusion« als normativ erstrebenswert und
wohlfahrtssystematisch realisierbar dargestellt wird.
3 Resümee: Der kontinuierliche Wandel des
bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
Was lässt sich aus den obigen Ausführungen in Bezug auf die Frage nach dem
derzeitigen Verhältnis von Wandel und Kontinuität des bundesrepublikanischen
Wohlfahrtssystems schließen?
Als bleibende Funktion des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems kann –
Kontinuität folgt man der oben angestellten Analyse – die fortlaufende kommunikative Beschäfder Funktion tigung mit teilgesellschaftlicher Inklusion/Exklusion benannt werden. Dabei werden
sich historisch immer wieder gegenseitig ablösende wertideelle Vokabulare genutzt,
die der jeweiligen gesellschaftlichen Gesamtentwicklung entsprechen. Seit kurzem
sind in diesem Sinne Vokabulare der »Aktivierung«, der »sozialen Investition« etc.
konzeptuell en vogue. Dabei wird das leitdifferenzielle Problem des Wohlfahrtssystems – das Problem »(teil-)gesellschaftlicher Inklusion/Exklusion« gleichsam
»eklektizistisch« (Lamping/Schridde, 2004: 44) durch die Brille der »Aktivierung«
re-interpretiert, die gesellschaftsrelationale Funktion des Wohlfahrtssystems hat
sich dadurch jedoch nicht grundsätzlich geändert (vgl. ebd.).
460
Sandermann, Wandlungsprozess des bundesrepublikanischen Wohlfahrtssystems
np
Damit einhergehend lässt sich vermuten, dass sich die Rolle des Staates zwar im
Programm des Wohlfahrtssystems, also in doktrinärer Hinsicht verändert hat. Dies
hat jedoch nichts mit objektivistischen Aussagen über eine generelle Entstaatlichung des Systems und eine Veränderung seiner Funktionsweise gemein. Genauso
wenig impliziert dies eine geringere oder höhere Effektivität des Systems, was den
Abgleich zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen doktrinärer Zielsetzung
und Leistungserbringung im Wohlfahrtssystem angeht. Anspruch und Wirklichkeit
wohlfahrtssystematischer Kommunikation stimmen zu Zeiten des »Aktivierenden
Sozialstaats« erkennbar nicht überein. Dies unterscheidet die derzeitige Epoche
jedoch nicht von vorangehenden Phasen der wohlfahrtssystematischen Entwicklung. Die Inkongruenz zwischen Doktrin und Funktion, die aktuell konstatiert
wird, ist somit keineswegs ein neues Phänomen. Sie ist aktuell lediglich deutlicher
zu erkennen als in Zeiten »normaler Wohlfahrtsstaatlichkeit«, wie man in Anlehnung and Thomas S. Kuhn (1970) formulieren könnte, da sich die wissenschaftliche
Beobachtung des Wohlfahrtssystems derzeit in einer Phase wohlfahrtsstaatsdoktrinärer Recodierung wiederfindet. Da die Umstellung zur neuen Doktrin seitens
des Wohlfahrtssystems aktuell erfolgt und die neue Doktrin nach außen hin derzeit
nicht einheitlich geschlossen ist, ist es für den wissenschaftlichen Diskurs leichter,
Inkongruenzen und Diskontinuitäten zu erkennen. Dabei ist es jedoch gleichzeitig
schwerer für ihn, Kongruenzen und Kontinuitäten, die den beobachtbaren Wandel
begleiten, nicht aus dem Blick zu verlieren.
Die oben genutzte, systemtheoretisch inspirierte Beobachtungsfolie kann hier
hilfreich sein, um ein gleichsam komplettierendes Korrektiv zum derzeit vorherrschenden Diskurs um den Wandel der Sozialen Arbeit in Hinsicht auf ihre
zunehmende Ökonomisierung und Wettbewerbsorientierung (vgl. dazu auch Bode,
2004a: 79) zur Hand zu haben. Diese komplettierende Perspektive bietet den
Vorteil, beobachtbar zu machen, inwieweit das System über seinen doktrinären
Wandel hinweg weiterhin funktioniert, wie es seit je funktioniert, und zwar indem
es Exklusionstendenzen doktrinär skandalisiert, programmatisch beantwortet und
mithilfe seiner drei zentralen Steuerungsformen Recht, Geld und Professionalität
laufend kommunizierend bearbeitet. Das System schafft hierdurch keine Lösungen
für gesellschaftliche Inklusions-/Exklusionsprobleme, aber es ist deren Lösung.
Und – so lässt sich prognostizieren – es dürfte fürs Erste die Lösung bleiben, auch
über die aktuell erkennbare doktrinäre Recodierungsetappe hinweg.
5/2010
Rolle des
Staates
Kontinuitätstheorien
als komplettierendes
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Verf.: Dr. Philipp Sandermann, Freie Universität Berlin, Fachbereich
Erziehungswissenschaft und Psychologie, Arbeitsbereich Sozialpädagogik,
Arnimallee 12, 14195 Berlin
E-Mail: [email protected]
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