Eidgenössisches Departement des Innern EDI Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV 26. N ovember 2014 .2014 Fachinformation Tierarzneimittel, Antibiotika Antibiotikaresistenzen Fact-Sheet zu den ESBL produzierenden Keimen Antibiotika greifen Bakterien auf chemischem Weg an. Bakterien entwickeln aber zunehmend chemische Abwehrwaffen - zum Beispiel Enzyme, welche die angreifenden Antibiotika unwirksam machen. Eine Gruppe dieser Bakterien-Abwehrwaffen sind die ESBL. Was sind ESBL? ESBL steht für „Extended-Spectrum beta-Laktamase“. Unter diesem Begriff werden verschiedene Enzyme zusammengefasst, welche sogenannte Beta-Laktam Antibiotika (z.B. Penicilline und Cephalosporine) so verändern können, dass diese unwirksam werden. Keime, welche diese Enzyme produzieren, sind damit gegenüber einer Vielzahl von wichtigen Antibiotika resistent. Die Gene für diese Enzyme sitzen auf mobilen Elementen, sogenannten Plasmiden, und können damit sehr leicht unter den Bakterien ausgetauscht und weitergegeben werden. Es sind bis heute über 700 unterschiedliche Varianten von ESBL bekannt, die je nach Herkunft der produzierenden Keime in unterschiedlicher Häufigkeit gefunden werden. Wie werden ESBL-produzierende Bakterien nachgewiesen? ESBL- produzierende Bakterien werden entdeckt, wenn bei Resistenzuntersuchungen eine Unempfindlichkeit der Bakterien gegenüber Cephalosporinen der dritten oder vierten Generation festgestellt wird. Bei einigen Nachweisverfahren wird diese Resistenzeigenschaft genutzt, um gezielt nach Bakterien mit solchen Resistenzen zu suchen (selektive Nachweisverfahren). Durch diese sehr empfindlichen Verfahren können auch geringe Erregermengen festgestellt werden. Wie häufig sind ESBL produzierende Keime bei Nutztieren in der Schweiz? Seit 2011 wird im nationalen Programm zur Überwachung der Antibiotikaresistenzen bei Nutztieren, welches vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen jährlich an gesunden Schlachttieren durchgeführt wird, mit selektiven Nachweis-Methoden nach ESBLproduzierenden Darmbakterien gesucht. Dabei zeigt sich, dass solche multiresistenten Bakterien in etwa einem Drittel der Schweizer Mastpouletherden gefunden werden. Etwa 5% der Mastrinder, 16% der Mastkälber und etwa 10% der Mastschweine sind Träger von ESBLproduzierenden Keimen. Wie häufig kommen ESBL produzierende Keime in Nutztieren in Europa vor? Werden Ergebnisse verschiedener Länder untereinander verglichen, so muss immer die jeweilige Untersuchungsmethode berücksichtigt werden. 054.1/2014/00238 \ COO.2101.102.4.230450 \ 206.02.02.10 Vergleichbare Resultate sind im Bericht der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) über Antibiotikaresistenzen in Zoonosenerregern und Indikatorkeimen aus Menschen, Tieren und Lebensmitteln veröffentlicht. Gemäss diesem Bericht wurden in den Länder, welche solche Untersuchungen im Jahr 2012 durchgeführt haben, bei 10% der untersuchten Geflügelherden, bei 1.4% der untersuchten Schweine und bei 2.4% der untersuchten Rinder ESBL-verdächtige Escherichia coli-Bakterien nachgewiesen. Die vergleichbaren Zahlen für die Schweiz liegen bei 2.2% für Mastpouletherden, 1.1% für Schweine und 0.5% für Rinder (Untersuchungen mit wenig selektiven Methoden). Das Vorkommen solcher Keime ist von Land zu Land sehr unterschiedlich und reicht beispielsweise von 0.4% positiver Geflügelherden aus Schweden bis zu 28% positiven Herden aus Belgien. Kommen ESBL produzierdende Keime auch in anderen Tieren oder in der Umwelt vor? ESBL-produzierende Darmbakterien werden nicht nur in Nutztieren gefunden. Sie wurden auch in Heimtieren, Pferden, Zoo- und Wildtieren nachgewiesen. Sogar 12% der Greifvögel aus der Wüste Gobi sind Träger solcher multiresistenten Keime. Auch in der Umwelt finden sich ESBLproduzierende Darmbakterien, so beispielsweise in Gülle, im Boden oder in Flusswasser. Dies zeigt, dass diese Resistenzen bereits weit verbreitet sind und dass damit eine Fokussierung der Problematik auf lebensmittelproduzierende Nutztiere als Ursache der Verbreitung multiresistenter Darmbakterien zu kurz greift, da damit nur ein Teilaspekt der Gesamtsituation erfasst wird. Wie häufig kommen ESBL-produzierende Keime im Fleisch vor? Erste repräsentative Studien in der Schweiz zeigen, dass ESBL-produzierende Keime vor allem im Geflügelfleisch häufig gefunden werden. Mit selektiven Nachweismethoden wurden in 73% der Pouletfleischproben und in 2% der Rindfleischproben Bakterien gefunden, die gegenüber Cephalosporinen der 3. Generation resistent sind. Sind ESBL-produzierende Bakterien gefährlich für Menschen? Man muss hier unterscheiden zwischen einer Besiedelung mit ESBL-produzierenden Darmbakterien und einer Infektion mit ESBL-produzierenden Keimen. ESBL kommen in unterschiedlichen Darmbakterien vor. Die meisten dieser Bakterien sind harmlose Darmbewohner, die keine Krankheiten verursachen. Unter gewissen Umständen können solche Darmbakterien aber auch zu Infektionen führen und Krankheiten auslösen, zum Beispiel Harnblasen- oder Darmentzündungen. Oft müssen diese Erkrankungen nicht mit Antibiotika behandelt werden. Bei gewissen Risikopatienten, wie Kleinkindern, älteren Personen oder Personen mit geschwächtem Immunsystem, können solche Erkrankungen jedoch einen schwereren Verlauf nehmen, der eine antibiotische Behandlung notwendig macht. Besitzen die krankheitsauslösenden Bakterien eine ESBL-Resistenz, dann sind sie schwierig zu behandeln, weil sie gegenüber den meisten Antibiotika resistent sind. Dies kann die Krankheitsdauer verlängern, den Verlauf der Krankheit verschlimmern und die Sterblichkeit erhöhen. Wie kann sich der Mensch mit ESBL-produzierenden Keimen anstecken? Es sind verschiedene Infektionswege möglich. Da gesunde Menschen ESBL-produzierende Bakterien auf sich tragen können, ist eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich. Dies tritt insbesondere in Spitälern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens auf. Zudem kann eine Besiedelung oder Infektion über den Kontakt mit Heim- und Nutztieren sowie über kontaminierte Lebensmittel erfolgen. Welchen Anteil die verschiedenen Infektionswege an den Erkrankungsfällen des Menschen haben, wird derzeit mit molekulargenetischen Untersuchungen erforscht. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass in Menschen und Tieren in der Regel nicht die gleichen ESBL-produzierenden Bakterienstämme gefunden werden. Zu einem gewissen Teil werden aber die gleichen ESBL-Enzym-Varianten und die gleichen mobilen Elemente, auf denen die Gene für die ESBL-Enzyme sitzen, gefunden. Deshalb geht man heute davon aus, dass eine Übertragung dieser Resistenzen von Tieren oder tierischen Lebensmitteln auf den Menschen möglich ist und damit Tiere ein Reservoir für ESBL-produzierende Bakterien darstellen können. Wie häufig sind Infektionen mit ESBL-produzierenden Keimen bei Menschen in der Schweiz? Bis vor wenigen Jahren waren ESBL-produzierende Bakterien vor allem als Spitalkeime ein Problem. Seit einiger Zeit findet man aber ESBL-produzierende Keime zunehmend auch ausserhalb des Spitals. Dort werden sie einerseits als normale Darmbewohner bei gesunden Menschen gefunden, andererseits auch als Erreger von Krankheiten, wie zum Beispiel Blasenentzündungen. Die Daten, welche in der Schweiz zur Beurteilung der Resistenzlage bei Krankheitserregern erhoben werden, zeigen, dass solche Resistenzen sowohl im Spital als auch bei ambulanten Patienten in den letzten Jahren zugenommen haben. So waren im Jahr 2004 beispielsweise 1% der untersuchten Escherichia coli-Bakterien aus Patienten gegenüber Cephalosporinen der 3. Generation resistent, im Jahr 2013 waren es 8.2%. (www.anresis.ch). Daten über die Besiedelung von gesunden Personen mit ESBL-produzierenden Keimen in der Schweiz gibt es wenige. Eine in der Schweiz an gesundem Personal in fleischverarbeitenden Betrieben durchgeführte Studie hat bei einem Anteil von 6% der Personen ESBL-bildende Darmbakterien gefunden. Eine weitere Studie an 291 Hausarztpatienten konnte bei 5% eine Besiedlung des Darms mit ESBL-produzierenden Keimen nachweisen. Kann man sich über Lebensmittel mit ESBL- produzierenden Bakterien anstecken? ESBL-produzierende Keime können in Lebensmittel vorkommen und damit kann eine Übertragung auf den Menschen nicht ausgeschlossen werden. Die Bedeutung dieses Übertragungsweges kann derzeit noch nicht vollumfänglich abgeschätzt werden und wird derzeit in internationalen Studien weiter abgeklärt. Untersuchungen der letzten Jahre zeigen, dass die auf dem Fleisch hauptsächlich vorkommenden ESBL-Varianten nicht diejenigen sind, die hauptsächlich bei erkrankten Menschen gefunden werden. Sind ESBL-produzierende Bakterien für Tiere gefährlich? Tiere sind in der Regel nur Träger von ESBL-produzierenden Bakterien, zu Erkrankungen kommt es selten. Infektionen mit ESBL-produzierenden Keimen, insbesondere Blasenentzündungen, werden aber gelegentlich vor allem bei Hunden und Katzen gefunden. Wie kann man sich vor einer Ansteckung schützen? ESBL produzierende Bakterien führen vorab in Spitälern zu Problemen, wo häufig Kontakte zwischen kranken Personen und dem Pflegepersonal stattfinden. Über den Kontakt mit infizierten oder besiedelten Menschen (Schmierinfektionen) oder mit verunreinigten Gegenständen können ESBL-produzierende Bakterien übertragen werden. Entsprechende Hygienemassnahmen, wie Händereinigung und Desinfektion, sind hier zentral, um die Verbreitung dieser Keime möglichst einzuschränken. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch kann auch ausserhalb des Spitals stattfinden – auch hier ist das regelmässige und gründliche Händewaschen eine der wichtigsten Massnahmen, um das Risiko zu verringern. Um sich vor einer Ansteckung durch Tierkontakt oder durch Lebensmittel zu schützen, gilt es die gleichen Grundregeln der Hygiene zu berücksichtigen, wie sie auch für andere vom Tier auf den Menschen übertragbare Krankheiten gelten: - Nach dem Kontakt mit Tieren sollen die Hände gründlich mit Seife gewaschen werden. - Fleisch soll vor dem Verzehr genügend erhitzt werden (mind. 2 Minuten auf 70°C), insbesondere Hackfleisch und Geflügelfleisch muss vollständig durchgegart werden - Direkter oder indirekter Kontakt von rohem Fleisch oder Fleischsaft mit genussfertigen Speisen, die nicht mehr erhitzt werden, ist zu vermeiden - Leichtverderbliche Lebensmittel wie Fisch, Fleisch, Milch, etc. sind nach dem Einkaufen so schnell wie möglich kühl zu lagern Weitere Informationen zum Hygienischen Umgang mit Lebensmitteln wurden vom Bundesamt Lebenmittelsicherheit und Veterinärwesen veröffentlicht: Grundregeln zum hygienischen Umgang mit Lebensmitteln im Privathaushalt. Entsprechenden Hygieneregeln sind auch auf allen Geflügelfleischpackungen aufgedruckt. Warum sind vor allem Mastpoulets stark mit ESBL produzierenden Keimen besiedelt? Es gibt mehrere Hypothesen, wie sich das hohe Vorkommen dieser multiresistenten Bakterien im Mastgeflügel erklären lässt. Im Zusammenhang mit den ESBL-produzierenden Keimen scheint die Verbreitung über den Tier- und Eierhandel eine Rolle zu spielen. In einigen Ländern wurden in der Vergangenheit Eier oder Eintagsküken zur Prophylaxe mit modernen Cephalosporinen behandelt. Diese Praxis führte zu einem starken Selektionsdruck hin zu multiresistenten Bakterien. Diese Art der Behandlung wurde in der Schweiz nie praktiziert. In einer Studie konnte jedoch nachgewiesen werden, dass die für die Bruteier-Produktion in die Schweiz eingeführten Elterntiere bereits Träger von ESBL-produzierenden Keimen sind und diese an ihre die Küken weitergeben können. Mastpoulets können aber auch während der Aufzucht mit den heute bereits in Wildtieren, Wildvögeln und der Umwelt vorhandenen ESBL-produzierenden Darmbakterien in Kontakt kommen und von diesen besiedelt werden. Durch den Einsatz von Antibiotika können diese resistenten Bakterien gefördert werden und sich damit in einer Herde und deren Umgebung weiter ausbreiten. Was können Tierhalter tun, um das Vorkommen von ESBL-produzierenden Keimen in ihren Betrieben zu reduzieren? Da man derzeit nicht genau weiss, wie sich diese Bakterien und die Resistenzen in der Umwelt und unter den Tieren verbreiten, gibt es keine Massnahmen, die es einem Tierhalter ermöglichen, seinen Bestand mit Sicherheit frei von ESBL-produzierenden Keimen zu halten. Dennoch gibt es verschiedene Möglichkeiten das Risiko zu vermindern. Generell ist die Senkung des Antibiotikaverbrauchs nachweislich eine wirkungsvolle Massnahme zur Reduktion von Antibiotikaresistenzen. Präventive Massnahmen, welche den Gesundheitsstatus der Tiere erhöhen und damit die Notwendigkeit des Einsatzes von Antibiotika senken, können einerseits auf die Bekämpfung von spezifischen Krankheiten ausgerichtet sein (z.B. Impfungen) oder auf eine tiergerechte Haltung und ein verbessertes Herdenmanagement. Wenn die Tiere trotzdem krank werden und eine Therapie mit Antibiotika notwendig wird, so soll diese nach den Regeln des sorgfältigen Umgangs mit Tierarzneimitteln erfolgen. Damit jeder Tierhalter selbst überprüfen kann, ob er seine Tiere überdurchschnittlich häufig mit Antibiotika behandeln muss oder nicht, wäre eine zentrale Erfassung und Auswertung des Antibiotika-Einsatzes in einer Datenbank, wie sie derzeit im Rahmen der Revision des Heilmittelgesetztes im Parlament diskutiert wird, wichtig. Eine solche Datenerhebung würde auch die Möglichkeit zur gezielten Kontrolle und Beratung in Problembetrieben schaffen. Daneben ist es wichtig, bei der Tierhaltung die Regeln der guten Hygienepraxis zu beachten, da so die Gefahr der Einschleppung aus der Umwelt sowie der Übertragung von einer Herde auf die nächste verringert wird. Was unternimmt das BLV gegen ESBL-produzierende Keime in Tieren und Lebensmittel? Die Zusammenhänge in Bezug auf die Verbreitung und Übertragung von Resistenzen zwischen Mensch, Tier und Umwelt sind komplex und zum Teil auch erst ungenügend bekannt. Eine einseitige Fokussierung des Problems auf den Antibiotikaeinsatz im Veterinärbereich greift mit Sicherheit zu kurz. Das BLV steht daher im Austausch mit Behörden und Experten aus allen betroffenen Bereichen (Mensch – Tier –Landwirtschaft – Umwelt) und beteiligt sich an der Erarbeitung einer gemeinsamen nationalen Strategie Antibiotika-Resistenz (StAR), deren oberstes Ziel es ist, die Wirksamkeit von Antibiotika für Mensch und Tier langfristig zu erhalten. Sie soll aufzeigen, wo Handlungsbedarf besteht und welche Schlüsselmassnahmen umgesetzt werden müssen, damit die Ziele erreicht werden. Die bisherigen Untersuchungen zum Vorkommen von ESBL-produzierenden Keimen in gesunden Tieren im Schlachthof werden weitergeführt. Seit 2014 werden zudem schweizweit, repräsentative Untersuchungen zum Vorkommen von ESBL-produzierenden Keimen in Poulet-, Rind- und Schweinefleisch vorgenommen. Da es bezüglich Verbreitung von ESBL-produzierenden Keimen noch viele offene Fragen gibt, unterstützt das BLV mehrere Forschungsprojekte, die insbesondere die Zusammenhänge zwischen ESBL-bildenden Keimen, die in Tieren, Menschen und Lebensmittelgefunden werden, weiter erforschen.