Kinderschutz bei Kindern mit psychisch auffälligen/kranken

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Kinderschutz bei Kindern mit
psychisch auffälligen/kranken Eltern
Multiplikatoren Kinderschutz
Dipl.Soz.Päd. Sabine Haversiek-Vogelsang
Häufigkeit psychischer Störungen
Definition
(Bundespsychotherapeutenkammer BPtK 2011)
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In Deutschland ist die "Internationale Klassifikation von Krankheiten" (ICD-10) der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) verbindlich. Die ICD-10-Klassifikation teilt
psychische Krankheiten danach ein, an welchen aktuellen Symptomen sie zu
erkennen sind.
Psychische Störungen sind "Beeinträchtigungen der normalen Funktionsfähigkeit
des menschlichen Erlebens und Verhaltens, die sich in emotionalen, kognitiven,
behavioralen, interpersonalen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen äußern"
(Bastine, 1998).
Typische Eigenschaften von psychischen Störungen sind, dass
- sie sehr eingeschränkt willentlich zu steuern sind,
- sie länger dauern,
- sie Leiden verursachen,
- sie das Leben beeinträchtigen (Beruf, Partnerschaft, Familie),
- sie nicht selten lebensgefährlich sind (Suizidgefahr).
SFBB 120411
Häufigkeit psychischer Störungen
Statistik
(Bundespsychotherapeutenkammer BPtK 2011)
Nach den Ergebnissen des Bundes-Gesundheitssurveys (2004) erkrankt etwa jeder dritte
erwachsene Deutsche im Laufe eines Jahres an einer psychischen Störung. Das sind über 16
Millionen Menschen. Diese Zahlen entsprechen vergleichbaren internationalen Studien.
Psychische Störungen sind alltäglicher als allgemein wahrgenommen.
Die häufigsten Diagnosen sind:
- Angststörungen
- Suchterkrankungen (insbesondere: Alkohol)
- affektive Störungen (vor allem Depression)
- psychosomatische Störungen (körperliche Beschwerden ohne ausreichende organische
Ursache)
Frauen sind deutlich häufiger vom psychischen Störungen betroffen als Männer (Ausnahmen:
Suchtstörungen). Frauen erkranken doppelt so häufig an Angststörungen (z.B. Angst vor
großen Menschenmengen, geschlossenen Räumen, Höhenangst und Flugangst) und
psychosomatischen Störungen wie Männer. Die allgemein größere Häufigkeit von
psychischen Störungen bei Frauen könnte unter anderem auf diese beiden
überdurchschnittlich häufigen, spezifischen Diagnosen bei Frauen zurückzuführen sein.
Rund 40 Prozent der psychisch Erkrankten wies mehr als nur eine Störung auf.
SFBB 120411
Psychisch auffällig <=/=> Psychisch krank??
Gesamtbevölkerung
Psychisch
krank (30%)
SFBB 120411
Psychisch
auffällig
Psychisch auffällig <=/=> Psychisch krank??
Eine diagnostizierte Psychische Krankheit ist für Betroffene in
der Regel verbunden mit Scham, Tabu und
Stigmatisierungserfahrung. Einer Diagnose geht in vielen
Fällen ein langer Prozess mit teilweise schweren Krisen
voraus, die das Umfeld, d.h. die Familie, miterlebt hat. Häufig
sind Betroffene durch die psychische Krankheit im
Arbeitsleben beeinträchtigt, im sog. 2. Arbeitsmarkt
beschäftigt oder ganz aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden.
Soziale Isolation bzw. ein reduziertes soziales Umfeld ist eine
häufige Folge. Kinder psychisch kranker Eltern bzw. die Familie
der Betroffenen sollten möglichst in die Behandlung mit
einbezogen sein, in der Praxis ist dies häufig nicht der Fall,
weil es zu wenig systematisch erfolgt.
SFBB 120411
Psychische kranke Eltern
• Diagnose oder Vermutung?
-> kommunizierbar oder nicht? (Schweigepflicht!)
• Gibt es bereits Hilfen?
Ja-> Kontakt aufnehmen (mit Einwilligung d.
Betroffenen), vorhandenes Netzwerk nutzen für das Kind
-> Kooperation im Helfersystem (transparentes Vorgehen
beachten!)
Nein -> Supervision/Fachberatung
Psychische Krankheit der Eltern ist KEIN GRUND für eine
Herausnahme/Trennung des Kindes von seinen Eltern!
SFBB 120411
SFBB 120411
§ 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines
Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken
mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das
Kind oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes
oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwendung der
Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den
Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten.
(2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach
diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag nach
Absatz 1 in entsprechender Weise wahrnehmen und bei der Abschätzung des
Gefährdungsrisikos eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen. Insbesondere ist die
Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder
den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese
für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen Hilfen
nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung abzuwenden.
(3) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das
Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder die
Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des
Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung
des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den
Jugendlichen in Obhut zu nehmen.
(4) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der
Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die
Inanspruchnahme durch die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten
hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich und wirken die
Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so schaltet das
Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein.
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Grundsätze bei Kindeswohlgefährdung
- „4-Augen“-Prinzip:
kollegialer Austausch, auch bei geringem Verdacht
 ggf. Beratung durch interne Kinderschutzbeauftragte/Multiplikatorin
- Ruhe bewahren, Aktionismus vermeiden
- (Alltags)Kontakt zu den Eltern halten, bis intern ein
gemeinsames Vorgehen vereinbart ist
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Kommunikation mit Eltern/Familie bei Verdacht auf
Vernachlässigung bzw. Kindeswohlgefährdung
-
Hilfreiche Grundhaltungen:
Wertschätzung versus Geringschätzung;
„Eltern als Erziehungspartner“: Sorge um das Kind und seine positive
Entwicklung als gemeinsames Ziel
Vorurteilsbewusstheit
auf die Eltern zugehen
-
Gesprächsbedingungen beachten:
ausreichend Zeit, abgeschlossener Raum
SFBB 120411
Kindeswohlgefährdung bei psychisch kranken Eltern
Kriterien zur Einschätzung:
• Erfüllung/Nichterfüllung der Grundbedürfnisse:
Essen, Trinken, körperliche Versorgung, Schutz, Verständnis, soziale
Bindungen, Wertschätzung, Anregung, Selbstverwirklichung
• Verarbeitungsmöglichkeiten des Kindes (Resilienzfaktoren)
• Parentifizierung (Kinder übernehmen die Verantwortung für ihre Eltern)
• Tabuisierung der Krankheit (Depression wird als „Rückenschmerzen“
deklariert)
• Art und Verlauf der psychischen Erkrankung
• Qualität der Familienbeziehungen/ des Familienklimas
• Materielle Ressourcen der Familie
• Verfügbarkeit anderer Bezugspersonen für das Kind (als Kompensation für
die krankheitsbedingten Mängel in der Eltern-Kind-Beziehung)
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Was bedeuten spezifische Diagnosen bei Eltern für die
Situation des Kindes im Rahmen von Kinderschutz ?
Depression
• mangelnde emotionale
Verfügbarkeit
-> (emotionale)
Vernachlässigung
• Eingeschränkte
Sozialkontakte
-> mangelnde soziale
Bindungen/Anregung
• Bei Suizidalität: Gefahr
des erweiterten Suizids
-> Gefahr für Leib und
Leben
Psychose
Borderline-Syndrom
• Phasenhafter Verlauf:
„gute Zeiten/schlechte
Zeiten (= Krise)“
• Krise: Einbezug in den
Wahn -> Gefahr für Leib
und Leben
• Schwere
Versorgungsmängel
-> Vernachlässigung,
Gefahr für Leib und Leben
• Häufige Wechsel (Partner,
Wohnung)
-> Distanzlosigkeit,
Trennungsängste,
sexualisiertes Verhalten
• Unberechenbares
Verhalten, Impulsivität
->geringe
Frustrationstoleranz ,
Verhaltensauffälligkeiten
• Selbstverletzungen
->Parentifizierung
SFBB 1204011
Rolle der Multiplikatorin bei Kindern mit psychisch kranken
Eltern unter Kindeswohlaspekten
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Entwicklung des Kindes im Betreuungsverlauf dokumentieren
(nicht nur Defizite, sondern auch Stärken beachten!)
bei Fehlentwicklungen internes Beratungssystem nutzen
Lebensumfeld erhaltendes Unterstützungsszenario für das
Kind bei Krisen d. psychisch kranken Eltern(teils) (im
Helfersystem) entwickeln
Sicht des Kindes im Helfersystem im Auge behalten
Ansprechpartner sein für KollegInnen bei Auffälligkeiten des
Kindes im Betreuungsalltag
ggf. Unterstützung für das Kind organisieren (z.B.
Patenprojekt)
SFBB 120411
Literatur und Internetadressen zum Themenkomplex
„Kindeswohlgefährdung bei psychischer Krankheit der Eltern“
Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. (Hg.). Kindeswohlgefährdung erkennen und helfen.
10. Aufl. Berlin 2009
Kindler, H., Lillig. S., Blüml, H., Meysen, T., Werner, A. (Hg.). Handbuch
Kindeswohlgefährdung nach §1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD).
Broschürenstelle des BMFSFJ (vergriffen, Internetversion 1.3.07)
Lenz, Albert. Kinder psychisch kranker Eltern. Hogrefe: Göttingen 2005
Mattejat, F. & Lisofsky, B. (Hg.). Nicht von schlechten Eltern. Kinder psychisch Kranker.
Balance: Bonn 2008
www.netz-und-boden.de
www.schatten-und-licht.de
www.psychiatrie.de/dachverband/materialien/
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