Allein und im Schatten? – Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten in der Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund, speziell von Kindern und Jugendlichen Fachtagung Psychosoziale Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund Frankfurt M. 07.11.2015 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. R. G. Siefen Universitätskinderklinik Katholisches Klinikum Bochum Migration • Migration nimmt zu und damit auch die Zahl der Kulturen und Sprachen in Deutschland und NRW. * Migration und „Migrationshintergrund“ • Definition Migrationshintergrund vs. Migrationserfahrungen: - 20,5 Mio oder 20% in Deutschland haben einen Migrationshintergrund (Mikrozensus 2013, aus Treibel 2015, S.76) - 34% der Kinder und Jugendlichen haben einen Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt 2013, 2014) • Zentrale Indikatoren: Geburtsland / Sprache Großeltern - Eltern - Kindergeneration ? • Universalität der Definition für alle Gruppen mit Migrationsstatus? Personen mit türkischem/polnischem/italienischem Migrationshintergrund Festlegung maßgeblich für Analysen und Interpretationen! Definition von Migrantenkindern (Kinder = Personen unter 18 Jahren) nach Guerreiro et al. 2006 aus Jaeger et al. 2012) - Kinder die mit oder ohne ihre Eltern eingewandert sind Kinder ohne Papiere oder ungeklärtem Aufenthaltsstatus Migrantenkinder der 2. Generation (Siefen: und 3. Generation) von Einwanderern Flüchtlings- und asylsuchende Kinder * Flüchtlingszahlen (Löchel et al. 2015, S. 10ff, Bild aus Adam 2015) Ende 2014 gab es weltweit mehr als 59,5 Mio. Flüchtlinge, Asylsuchende und Binnenvertriebene - Flüchtlinge (2014: 19,5 Mio) Alle Personen die - Schutz in einem anderen Land erhalten haben - höchstwahrscheinlich keinen Flüchtlingsstatus erhalten werden, sich aber in eine Flüchtlings-ähnliche Situation befinden Von den 19,5 Mio. Flüchtlingen waren 14,4 Mio. beim UNHCR registriert und 5,1 Mio. beim UNRWA - 51% waren < 18 Jahre alt * Flüchtlinge nach Deutschland aus besonderen Ländern (Löchel et al. 2015, S. 206, 268, 442) Syrien: von 23,3 Mio. Syrern waren Ende 2014 11,6 Mio. auf der Flucht (7,6 Mio. Binnenflüchtlinge, 4,0 Mio. in andere Länder, 50% der Flüchtlinge in Ägypten, Irak, Jordanien und Libanon < 18 Jahre alt Irak: von 34,3 Mio. waren 3,1 Mio. innerhalb des Irak auf der Flucht - Minderheiten Christen, Jesuiten, Mandäer - keine genauen Angaben zu Emigranten Afghanistan: Gesamtbevölkerung 31,3 Mio. (2,6 Mio. leben in den Nachbarstaaten als Flüchtlinge) - Seit 2002 sind 6 Mio. Afghanen zurückgekehrt - Binnenflüchtlinge bis Ende 2015 ca. 900.000 - afghanische Migranten am schnellsten wachsende Flüchtlingsgruppe in Deutschland Kosovo: 1,8 Mio Einwohner - keine näheren Daten zu Binnen- und Außenmigration * Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (Meier-Braun 2015, S. 91) Junge minderjährige Flüchtlinge, die ohne Eltern oder andere Erwachsene Schutz suchen Fluchtursachen: Krieg, Vertreibung, Kinderarbeit, Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten In Europa: ca. 50.000 umF Inobhutnahme durch Jugendämter in Deutschland 212 4300 213 6600 214 7500 60-80% traumatisiert (nach „Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ Müller, Fuhrmann und Püschel, 2011 zitiert nach Belhadj Kouider und Petermann 2015, S. 199) * Transnationale Wanderung (Transmigration) (Pries 2008 aus Yildirim-Krannig 2014): • Unterscheidet sich von anderen Formen der internationalen Migration wie - Auswanderung, - Einwanderung, - Rückkehr-Migration, • findet in einem transnationalen Sozialraum statt, • beschreibt mehrfache multidirektionale grenzüberschreitende Wanderungen. * Bekannte transnationale Räume sind nach Treibel (2015, S. 29) Mexiko/USA Türkei/Deutschland Polen/Deutschland Polen/England Moldawien/Italien * Familien und Kinder mit und ohne Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus - in 1 000 – (http://www.it.nrw.de 14.07.15) Nordrhein-Westfalen, Kinder unter 18 in Familien Jahr insgesamt mit Migrationshintergrund %-ualer Anteil ohne Migrationshintergrund %-ualer Anteil 2005 3 315 1 138 34% 2 177 66% 2006 3 260 979 30% 2 281 70% 2007 3 186 1 123 35% 2 063 65% 2008 3 133 1 136 36% 1 997 64% 2009 3 068 1 150 37% 1 918 63% 2010 3 003 1 111 37% 1 892 63% 2011 2 981 1 012 34% 1 970 66% 2012 2 935 1 029 35% 1 906 65% 2013 2 917 1 081 37% 1 836 63% Familien und Kinder mit und ohne Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus - in 1 000 (http://www.it.nrw.de 14.07.15) Nordrhein-Westfalen, Familien mit Kindern unter 18 Jahren Jahr mit Migrationshintergrund insgesamt %-ualer Anteil ohne Migrationshintergrund %-ualer Anteil 2005 2 004 586 29% 1 418 71% 2006 1 974 569 29% 1 405 71% 2007 1 946 570 29% 1 376 71% 2008 1 910 566 30% 1 343 70% 2009 1 867 584 31% 1 283 69% 2010 1 832 550 30% 1 282 70% 2011 1 816 520 29% 1 296 71% 2012 1 795 532 30% 1 264 70% 2013 1 777 582 33% 1 195 67% Migration und Migrationshintergrund bei Kindern und Jugendlichen in NRW • Als Person mit Migrationshintergrund gilt, wer eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt oder wer im Ausland geboren wurde und nach 1949 zugewandert ist oder wer ein Elternteil hat, das zugewandert ist (Landesamt für Statistik NRW). Migrationshintergrund von Kindern und Jugendlichen in NRW unter 18 (2013) Ausländer 216.000 ( 7%) Deutsche mit Migrationshintergrund 866.000 (30%) mit Migrationshintergrund zusammen 1.082.000 (37%) Deutsche ohne Migrationshintergrund 1.842.000 (63%) Insgesamt 2.924.000 (100%) * Die größten Gruppen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in NRW • Als Person mit Migrationshintergrund gilt, wer eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt oder wer im Ausland geboren wurde und nach 1949 zugewandert ist oder wer ein Elternteil hat, das zugewandert ist (Landesamt für Statistik NRW). Herkunftsländer ausgewählter Gruppenvon Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in NRW unter 18 (2013) Türkei 264.000 (24,4%) Polen 119.000 (11,0%) Russische Föderation, Kasachstan, Kirgistan, Sowjetunion 158.000 (14,6%) Italien 30.000 ( 2,7%) Insgesamt mit Migrationshintergrund * 1.082.000 (100%) Risiko- und Belastungsfaktoren für Migrantenkinder (Dogra et al. 2011): Die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen kann durch sprachliche Barrieren erschwert sein Wenn Kinder zu Dolmetscher für die Eltern werden, kann sie das emotional belasten (Rollenumkehr, Tabuthemen) * Risiko- und Belastungsfaktoren für Migrantenkinder: ungesicherter Aufenthaltstatus (Dogra et al. 2011) kann zum Aufrechterhalten von gesundheitlichen Problemen führen, die eine Aufenthaltserlaubnis absichern kann die Familienzusammenführung verzögern – verbunden mit Stress für zurückgelassene Kinder * Universitätskinderklinik Bochum Spektrum der Herkunftsländer (Staatsbürgerschaft) Herkunftsland Türkei 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Summe 153 138 123 112 130 116 79 50 53 51 1005 Serbien 14 11 13 6 8 8 5 10 18 31 124 Albanien 8 7 6 6 6 5 11 3 4 17 73 11 2 6 5 6 5 15 5 6 7 68 Irak 6 2 2 2 4 5 9 4 9 11 54 Russland, Weißrussland, Kasachstan 8 3 3 5 3 5 6 2 9 3 47 Libanon 2 5 7 4 8 3 4 1 2 1 37 Syrien 1 2 2 2 2 3 4 14 30 Marokko 5 5 7 5 4 1 1 2 2 34 1 3 2 2 1 8 11 28 Italien Bosnien / Herzegowina 2 Gesundheit von Kindern und Jugendlichen Migrationshintergrund Ergebnisse der KIGGS-Untersuchung (2003-2006) • Geringe gesundheitsbezogener Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen mit MH im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen ohne MH – Geringere körperliche Aktivität – Schlechteres Mundgesundheitsverhalten – Generell ungünstigeres Ernährungsverhalten (Softdrinks, Fastfood, Süßigkeiten) – Geringere Teilnahme an medizinischen Früherkennungsuntersuchungen – Schlechterer Impfstatus – ...aber weniger Tabak-/Alkoholkonsum • Der Migrationsstatus stellt laut KIGGS-Studie einen „sozialen Risikofaktor“ dar (Robert Koch Institut, KiGGS, 2008: 23) – Höhere Prävalenz psychischer Störungen, insb. Mädchen mit türkischem MH – Defizite in sozialer Unterstützung, nicht aber bei individuellen/familiären Ressourcen (Robert Koch Institut, KiGGS, 2008) Risikoindikator Migrationshintergrund: Wer bekommt Tuberkulose? (übernommen von OÄ Dr. F. Brinkmann Universitätskinderklinik Bochum ) Oft sehr enger Kontakt Infektionsrisiko 60-80% bei Haushaltskontakten Migrationshintergrund Risiko x7 RKI, 2012 Marais BJ Int J TB Lung Dis 2004 Apr;8(4):392-402. Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Anteile der 7 quantitativ bedeutsamsten Nationalitäten an ausländischen Schülern (Allgemeinbildende Schulen in Deutschland, 2006/2007) (Diefenbach 2009, S. 67) Herkunftsland Anteil (Prozent) Türkei 42,5% Italien 6,5% Serbien 5,1% Griechenland 3,5% Russische Föderation 2,6% Polen 2,5% Bosnien-Herzegowina 2,4% Alle Anderen 34,9% (außerhalb Europas) 19,7% * Anteil ausländischer Schüler an den Allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2006/2007 (Diefenbach 2010) Bundesland Anteil ausländischer Schüler (Prozent) Berlin 16,1% Hamburg 16,0% Bremen 14,8% Hessen 13,5% NRW 12,7% Baden-Württemberg 11,9% Deutschland 9,6% * Repräsentation ausländischer Schüler an Gymnasien in einzelnen Bundesländern in 2002 relativer Risiko-Index (RRI) (Diefenbach 2009) Land RRI Deutschland 0,49 Unter dem Bundesdurchschnitt: Saarland 0,37 Baden-Württemberg 0,38 NRW 0,44 Rheinland-Pfalz 0,48 Baden-Württemberg 0,49 * Repräsentation ausländischer Schüler an Gymnasien in einzelnen Bundesländern in 2002 relativer Risiko-Index (RRI) (Diefenbach 2009) Land RRI Deutschland 0,49 Über dem Bundesdurchschnitt: Thüringen 0,50 Bayern 0,52 Niedersachsen 0,56 Hessen 0,57 Hamburg 0,60 Berlin 0,61 Sachsen-Anhalt 0,61 Schleswig-Holstein 0,62 Bremen 0,83 Brandenburg 0,85 Mecklenburg-Vorpommern 0,88 Sachsen 0,88 Eigene Berechnungen anhand von Daten der Kultusminister-Konferenz (2003), des Statistischen Bundesamtes 2002 * Repräsentation ausländischer Schüler an Sonderschulen, Förderschwerpunkt Lernen (2002) (Diefenbach 2009, S. 69) Land Relativer Risiko-Index Deutschland 2,03 Unter dem Bundesdurchschnitt: Thüringen 0,37 Brandenburg 0,42 Sachsen-Anhalt 0,51 Sachsen 0,60 Mecklenburg-Vorpommern 0,67 Bremen 1,02 Berlin 1,00 Schleswig-Holstein 1,71 * Repräsentation ausländischer Schüler an Sonderschulen, Förderschwerpunkt Lernen (2002) (Diefenbach 2009, S. 69) Land Relativer Risiko-Index Deutschland 2,03 Unter dem Bundesdurchschnitt: Bayer 2,13 Rheinland-Pfalz 2,13 Hamburg 2,26 NRW 2,37 Hessen 2,51 Saarland 3,04 Niedersachsen 3,05 Baden-Württemberg 3,41 * Migrationsstatus stellt besondere Anforderung an Gestaltung von Schule • IGLU 2011: Viertklässler aus Familien mit MH geringere Lesekompetenz (Schwippert, Wendt & Tarelli, 2011) • TIMSS: Viertklässler aus Familien mit MH geringe Kompetenz in Mathematik und Naturwissenschaften (Tarelli, Schwippert & Stubbe, 2011) • Zentraler Indikator für Bildungserfolg: familiärer Sprachgebrauch (Stanat, Rauch & Segeritz, 2010) IGLU Grafik Schwippert, Wendt & Tarelli (2011): 200. TIMSS Grafik 1 Tarelli, Schwippert & Stubbe, 2012: 258 TIMSS Grafik 2 Tarelli, Schwippert & Stubbe, 2012: 259 Nachteile von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien im Vergleich zu Deutschen Schülern (Diefenbach 2009,S. 79f) Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im Vergleich zu einheimischen Deutschen Schülern 1. Haben weniger vorschulische Betreuung 2. Werden deutlich häufiger von der Einschulung zurückgestellt 3. Wechseln häufiger in eine Hauptschule und seltener in eine Realschule oder einem Gymnasium 4. Sind über-repräsentiert an Hauptschulen und geringer an Gesamtschulen und unter-repräsentiert an Realschulen und Gymnasien 5. Haben deutlich geringere Lese- und Naturwissenschaftliche Kompetenz, auch wenn sie ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland durchlaufen haben * Nachteile von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien im Vergleich zu Deutschen Schülern (Diefenbach 2009,S. 79f) Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im Vergleich zu einheimischen Deutschen Schülern 6. Besuchen doppelt so häufig Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen 7. Bleiben deutlich häufiger als deutsche Jugendliche ohne einen Hauptschulabschluss 8. Erwerben deutlich häufiger einen Hauptschulabschluss und seltener einen Realschulabschluss oder eine Fach- /Hochschulreife 9. Im Zeitverlauf nahm der Anteil mit Hauptschulabschluss leicht ab und der Anteil an höherwertigen Abschlüssen leicht zu 10. Haben dauerhaft keinen Hauptschulabschluss: 20% (bei deutschen Jugendlichen 7-8%) * Empfehlungen für Forschung und Praxis (Belhadj Kouider und Petermann 2015) Förderung interkultureller Kompetenzen aller Kinder in Kindergärten und Schulen Abbau von Benachteiligungen von Lehrkräfte, Arbeitgeber, Behörden, Ausbildungsbetrieben Interkulturelle Weiterbildung auch für Lehrkräfte * Migrationsstatus und Armutsgefährdung (Stubbe, Tarelli & Wendt, 2011: 242) Lebensbedingungen von Migranten in Deutschland (Literaturzusammenfassung von Belhadj Kouider und Petermann 2015, S. 201) 45% der Familien mit Armutsgefährdung in Deutschland hatten Migrationshintergrund Kinder mit Migrationshintergrund haben geringere Kompetenzen in der Deutschen Sprache Viele Kinder mit Migrationshintergrund leben in benachteiligten Wohngegenden Jugendliche mit Migrationshintergrund sind in den höheren Schulabschlüssen unterrepräsentiert An Förderschulen sind Kinder mit Migrationshintergrund über-repräsentiert (Powell und Wagner 2014) In Ballungsstadtteilen haben bis zu 95% der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund – und wenig Kontakt zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund (Brinkmann und Maschek 2011) * Risiko- und Belastungsfaktoren für Migrantenkinder: soziale Einbußen durch Migration (Dogra et al. 2011) Migrantenkinder die aus früher wohlhabenden Familien kommen, haben möglicherweise erhebliche Anpassungsprobleme Eltern sind gezwungen Tätigkeiten unter ihrer früheren Qualifikation anzunehmen, wenn diese im Aufnahmeland nicht anerkannt wird Eltern müssen möglicherweise lange arbeiten mit weniger sozialer Unterstützung und haben weniger Zeit für ihre Kinder Konflikte in der Familie drohen, wenn Kinder die beruflichen und sozialen Opfer der Eltern nicht anerkennen * Fallbeispiel H. B.: Behandlungsverlauf bei einem Jugendlichen mit ADHS aus einem asiatischen Land • • • • • Zunächst ging es um die drohende Nichtversetzung des 14-Järigen. Dann standen die wirtschaftlichen Probleme des Vaters im Vordergrund. Der Behandlungsfokus lag auf Selbstmanagement. Nach 6 Monaten stand der Junge in allen Fächern zwischen 2 und 3. Er hatte sich - wie vom Therapeuten vorgeschlagen - einen Bibliotheksausweis besorgt und regelmäßig Bücher auch zu schulischen Themen gelesen. • Sein Berufswunsch war inzwischen: „Deutscher Beamter“. * Siefen et al. 2015 : Anteil der Kinder- und Jugendpsychiater (N= 150) (Chefärzte vs. Niedergelassene), die Diagnostik und Therapie von Kindern undJugendlichen mit Migrationshintergrund durch wichtige kulturell beeinflusste Aspekte erschwert sahen. Unklarer Aufenthaltsstatus Chefärzte 18,20 11,10 23,60 Probleme der Therapiestrukturierung Diagnoseunsicherheit (kultur. Unterschiede) Einigung auf Behandlungsplan Niedergelassene 29,00 13,00 13,10 27,30 27,20 62,30 Krankheitsverständnis der Eltern Krankheitsverständnis des Kindes Sprachverständnis 56,00 40,00 34,00 32,70 36,00 * Siefen et al. 2015 : Anteil starker Zustimmung („oft“ oder „ziemlich oft“) der Kinder- und Jugendpsychiater (N= 150) (Chefärzte vs. Niedergelassene) zu Auswirkungen der Behandlung von Patienten mit Migrationshintergrund und den Rahmenbedingungen dafür. Niedergelassene Chefärzte 62,60 Freude an Behandlung von Migranten 53,70 54,00 Neue Perspektiven durch Migrantenbehandlung 41,80 21,60 Offenheit der Migranten für Behandlungsangebote Künftig mehr Informationen zu Angeboten 57,40 13,30 20,40 Migrantenbehandlung wichtiger in den letzten 5 Jahren Migrantenbehandlung weniger wichtig in den letzten 5 Jahren Bedeutung der Migrantenbehandlung für Klinik/Praxis 36,70 36,40 3,00 1,80 53,10 61,80 * Siefen et al. 2015 : Anteil starker Zustimmung („oft“ oder „ziemlich oft“) der Kinder- und Jugendpsychiater (N= 150) (Chefärzte vs. Niedergelassene) zu Bedeutung von Trainingsprogrammen und anderen Maßnahmen zur kulturellen Öffnung für die zukünftige klinische Arbeit mit Migranten und deren Familien. Ni edergel assene Chefärzte 58,5 Trai ni ng i n Interkul turel l er Kompetenz 52,6 73,6 Hausei gene Wei terbi l dungsprogramme 55,7 Ei nstel l ung bi l i ngual er Mi tarbei ter 44,3 Entwi ckl ung kul tursensi ti ver Behandl ungskonzepte 45,3 45,3 45,4 86,8 Verfügbarkei t qual i fi zi erter Übersetzer Ethnokul turel l spezi al i si erte Behandl ungszentren 72,5 31,5 37,4 * Migrantenkinder und –jugendliche im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund (aus Dogra et al. 2011) Hatten in den ersten Jahren nach der Einwanderung in Australien zunächst geringere Verhaltensauffälligkeiten als Gleichaltrige nicht Einwandererkinder (Alati et al. 2003). Das ist ein Beispiel für den Healthy Migrant Effect. * Adam und Klasen (2011) untersuchten 215 Flüchtlingskinder im Alter zwischen 9-20 Jahren (Mädchen 41,4%) aus Afghanistan, Bosnien und dem Kosovo 33% litten unter Depressiven Störungen 14 % unter PTBS 11 % unter Generalisierten Angststörungen * Migrantenkinder oder –jugendliche im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund (aus Dogra et al. 2011) Zeigen selbst nicht mehr psychische Probleme in der holländischen Untersuchung von Vollebergh et al. 2005: - aber die Migranteneltern machten sich mehr Sorgen um ihre Töchter - Lehrer sahen mehr internalisierende Probleme bei den Migrantenmädchen Externalisierendes Problemverhalten war bei Migrantenkindern in Deutschland ausgeprägter (Holling et al. 2008) Internalisierende Symptome (z.B. Angst oder depressive Symptome) waren nach Van Oort et al. 2007 ein starker Prädiktor für Leistungsprobleme in der Schule * Migrantenkinder oder –jugendliche im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund (aus Dogra et al. 2011) Türkisch-stämmige jugendliche Mädchen hatten mehr Probleme als niederländische Mädchen ohne Migrationshintergrund (Van Oort et al. 2007) Unbegleitete Minderjährige Migranten - haben eine höhere Rate an posttraumatischer Stressbelastung im Vergleich zu Non-Migranten und begleiteten Minderjährigen - Jungen waren seltener als Mädchen sexuellen Übergriffen ausgesetzt aber häufiger als der allgemeinen Prävalenz entsprechend (Huemer et al. 2009) * Empfehlungen für Forschung und Praxis (Belhadj Kouider und Petermann 2015) Interkulturelle Aspekte psychischer Erkrankungen stärker berücksichtigen (DSM V, APA 2013). Cultural Formulation Interview (CFI) auch in Kinderund Jugendpsychiatrie einführen Eltern in Diagnostik stärker einbeziehen Sprachfreie Intelligenzdiagnostik weiterentwickeln und einsetzen Abbau von Inanspruchnahme-Barrieren Kultursensitive Behandlungssettings schaffen * Bikulturelle Identitätsentwicklung wird beeinflusst von (Belhadj Kouider und Petermann 2015) Diskriminierungserfahrungen - insbesondere von türkischen und arabischen Jugendlichen - bei andersartiger äußerer Erscheinung (z.B. farbige Haut) - bei starkem Dialekt / starker Sprachfärbung * Akkulturationsanforderungen als Stressfaktor für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund (Belhadj Kouider und Petermann 2015) Kognitive Assoziationen sowie Coping-Strategien und Ressourcen im Umgang mit der Einwanderungsgesellschaft beeinflussen die Bewertung eigenen Erlebens Geringe gesellschaftliche Unterstützungsstrukturen und geringes Interesse / Ablehnung seitens der Mehrheitsbevölkerung können (nach Berry 2006) den Akkulturationsstress verstärken Risikofaktoren für Migrantenkinder sind auch über den Akkulturationsstress der Eltern vermittelt: - Zugehörigkeit und Akzeptanz der Mutter - Sprachkompetenz in der Mehrheitssprache der Mütter * Begriffsbestimmungen Migrationshintergrund (Belhadj Kouider und Petermann 2015, S. 200) Migration: Wanderung in Gruppen oder einzeln Außenmigration: Überschreitung staatlicher- und oft auch kultureller Grenzen Innenmigration (Binnenmigration): Regionale Wanderung innerhalb eines Landes Statistisches Bundesamt: 1. Migrationsgeneration- 2. und höhere Migrantengeneration (Kriterien: persönliche Merkmale, Merkmale der Eltern, Zeitpunkt der Einwanderung und der Einbürgerung, Staatsangehörigkeit) Kritik an Definition des Statistischen Bundesamts: „Migrationshintergrund in 3. oder 4. Generation“ ersetzen durch „Zugehörigkeit zu ethnisch-kultureller Gruppe“ Alternative zu „Migrationshintergrund“: z.B. Türkisch-Deutsche oder Russisch-Deutsche Kinder * Migration und demografischer Wandel in Deutschland: • In Deutschland leben rund 13 Millionen Kinder und Jugendliche. Das sind 16 Prozent der Bevölkerung. Jedes Jahr werden knapp 680.000 Kinder geboren. (RKI 14. 08. 2015). • In 2013 lebten in Nordrhein-Westfalen 1.081.000 Kinder unter 18 Jahren (37%) in Familien mit Migrationshintergrund. (Ergebnisse des Mikrozensus http://www.it.nrw.de 14.07.15) • Ende 2014 gab es fast 8,2 Mio. Ausländer in Deutschland (Statistisches Bundesamt Wiesbaden, dpa, RZ, 17.03.2015). • „ 2030 werden - gegenüber heute - 600.000 weniger Kinder und Jugendliche in Deutschland leben“ (Spiegel, 14.03.15.,(12), S.23) (Quellenhinweis: Prof. Dr. Eckart Bornstorf, Universität zu Köln). * Forschungsbedarf in der interkulturellen Pädiatrie „The health of migrant children remains under-researched even within the pediatric literature“ (Jaeger et al. 2012, S.660) * Beziehungserschwernisse der transkulturellen Pflege in der pädiatrischen Onkologie (Focus Group Interviews) Pergert et al. 2007 1. Sprachbezogene Hindernisse - Mangel an Kommunikation bezogen auf Krankenpflegeaspekte - Mangelnder Austausch in fachlichen und allgemeinen Gesprächen - Abhängigkeit von Übersetzungen - Triadische Beziehungen (Dreieck Arzt-Eltern/Patient-Dolmetscher) - Mangelhafte Kontrolle über Informationsinhalte - Informationsverdichtung (begrenzte Verfügbarkeit von Dolmetschern) * Beziehungserschwernisse der interkulturellen Pflege (Pergert et al. 2007) 2. Kulturelle und religiöse Hindernisse - Unterschiedliche Formen des Gefühlsausdrucks - Unterschiedlicher Umgang mit Fakten und Aufklärung 3. Soziale Hindernisse - Rassismus und Vorurteile 4. Organisatorische Hindernisse - Zeitmangel * Gesundheit von Migrantenkindern in der Schweiz (Jaeger et al. 2012) In den 30 in dieser Literaturübersicht eingegangenen Veröffentlichungen ging es um die Themen: Obesitas (5) Psychische Gesundheit (5) Infektionskrankheiten (3) Zahngesundheit (5) Abtreibungen bei Jugendlichen (1) Neonatologische Themen (3) Neuralrohrdefekte (1) Intensivbehandlungen (1) Krankenhausbehandlungsraten (1) Unfälle (2) Misshandlungen (1) Gesundheit asylsuchender Kinder (1) Migranten ohne Papiere (1) * Gesundheit von Migrantenkindern im Vergleich zu einheimischen Schweizer Kindern (Jaeger et al. 2012) - Adipositas: Migrantenkinder waren doppelt so häufig übergewichtig/adipös wie einheimische Kinder - Psychische Störungen: Hinweise auf erhöhte Rate von Angststörungen und Depression - Abtreibungswunsch: mehr als zweimal so häufiges Verlangen von Abtreibung seitens Mirgantenjugendlicher - Unfälle durch Sturz: Stürze von Balkon oder aus dem Fenster waren bei Migrantenkindern häufiger. * Gesundheit von Migrantenkindern in der Schweiz (Jaeger et al. 2012) - Infektionskrankheiten: Tuberkulose, Darmparasiten, H. pylori, Hepatitis A sind häufiger bei Migrantenkindern - Krankenhausbehandlungsraten: Bei <5-jährigen Migrantenkindern erhöht (86,0/1000) im Vergleich zu einheimischen Kindern <5Jahren (61,2/1000) - Neonatologie: Bis zu 50% häufigere Aufnahmeraten für Migrantenkinder (Asien/Afrika) Kein Unterschied bei den Behandlungsergebnissen * Der Gesundheitszustand von Migrantenkindern wird beeinflusst von (Jaeger et al 2012) - Herkunftsland - Migrationsprozess - Aufnahmeland - Krankheitsprävalenz - Sozialer Status - Gesundheitssystem - Aufenthaltsdauer * Gesundheits- und Versorgungsprobleme bei Kindern mit Elternteilen ohne sicheren Aufenthaltstatus (Ziol-Guest und Kalil 2012) - Mangelndes Wissen über Versorgungsmöglichkeiten (Health literacy) - Angst vor negativen Auswirkungen auf Aufenthaltserlaubnis (Kind oder Eltern) - Mangel an sprach- und kulturkompetenten Behandlern - Enttäuschende Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem im Aufnahmeland - Einseitige Ausrichtung von Gesundheitsförderprogrammen an den Bedürfnissen der Mehrheitsbevölkerung * Asylsuchende Kinder und Jugendliche in Genf (Manzano und Suta 2002, aus Jaeger et al. 2012) - waren zweimal so häufig wie einheimische Kinder in Krankenhausbehandlungen - waren dreimal so häufig wie einheimische Kinder in ambulanter Behandlung * „Immigrant advantage“ (Jackson et al. 2012) - Bildungsgrad der Mutter von Migrantenkindern ist ein wichtiger Prädiktor für sozioökonomische Benachteiligung - Bildungsgrad der Mutter hat bei Asthma bronchiale keine Bedeutung: Migrantenmütter rauchen weniger als einheimische Mütter - Immigrant advantage ist unabhängig vom Bildungsgrad * Herausforderungen der Transkulturellen (Siefen: Interkulturellen) Pädiatrie (Ipsioglu und Bode 2005) - Sprachbarrieren - Doppelte Halbsprachigkeit der Kinder - Funktioneller Analphabetismus der Eltern - Mangelnde Förderung der Kinder in der Mehrheitssprache (Deutsch) - Informationsbarrieren - Unzureichende Aufklärung über Krankheit - Unzureichende Aufklärung über Eingriffe - Kulturelle Barrieren - Mangelnde Compliance/Adhärenz * Transkulturelle/ Interkulturelle Pädiatrie: Empfehlungen die jeder Arzt umsetzen kann (Ipsioglu und Bode 2005) - Offenheit für den Patienten und seine Familie - Eigene Kommunikationsfähigkeit verbessern (verständliche Sprache) - Muttersprachliches Informationsmaterial bereithalten - Professionelle Dolmetscher hinzuziehen - Interkulturelle Kompetenz des Behandlungsteams fördern (Fortbildung) - Eigene Zielvorstellungen klar formulieren, wenn es das Wohl des Kindes erfordert * Pädiatrische Diagnostik muss kultursensitiv sein: • Die Belastung durch körperliche und psychische Störungen zwischen den unterschiedlichen Migrantengruppen kann variieren. • Das Ausmaß der Vulnerabilität wird möglicherweise auch von der Art der Herkunftsgesellschaft bestimmt. • Migranten könnten infolge Kommunikationsproblemen einem höheren Risiko von Fehldiagnosen ausgesetzt sein. • Migranten unterscheiden sich in ihrem Verständnis von Gesundheit und Krankheit von der einheimischen Bevölkerung. * Kulturabhängig variieren können außerdem: • • • • • Gesundheitsbezogene Werte, Erwartungen an Diagnostik und Therapie, Prioritäten von Behandlungszielen, Befürchtungen bezüglich Risiken gesundheitlicher Eingriffe und Maßnahmen, Formen der Mitteilung gesundheitlicher Einschränkungen. * Grundlegende Diagnostiksituationen: • • • • • Personale Diagnostik, Körperliche Untersuchung, Labordiagnostik, Apparative Diagnostik, Psychologische Testdiagnostik. * Rückkehr ohne Heimkehr (Yousefi 2014) • Eine mehrfache Kulturzugehörigkeit kann zu einem Identitätsproblem werden • Ein in Deutschland aufgewachsener Jugendlicher mit Migrationshintergrund wird in Deutschland aufgrund seines Namens und seines Aussehens als Ausländer angesehen der gut Deutsch spricht und sich gut angepasst hat. Allerdings nimmt er sich selbst kaum als Ausländer wahr. • Derselbe türkisch-stämmige Jugendliche wird möglicherweise während des Urlaubs in der Türkei auch als Deutsch-Türke angesehen. * Definition subjektiver Krankheitstheorien (nach Wiehe, 2006, Flick, 1991, Leventhal et al., 1980, Furnham, Kirkcaldy und Siefen, 2013) • Subjektive Krankheitstheorien sind kognitive Konstrukte. • Ihre Struktur ist vergleichbar mit wissenschaftlichen Theorien. • Subjektive Krankheitstheorien können Bewältigungsfunktionen haben. • Subjektive Krankheitstheorien oder Laientheorien lassen sich beschreiben anhand zweier Modelle: - des Medizinischen Modells - des Psychosozialen Modells. * 3 Klinische kulturbezogene Konzepte (nachDSM-5 2013) • Cultural syndrome („ataque de nervios“) • Cultural idiom of distress („brennende Leber“) • Cultural explanation or perceived cause („malocchio“) * Krankheitsüberzeugungen von Eltern (verwandte Begriffe) • Mental Health Literacy (Wissen über psychische Gesundheit) • Elterliche Wahrnehmung von Krankheiten (Parent Perspectives) • Subjektive Gesundheitskompetenz (Health Competence Belief) • Elterliches Gesundheitsverhalten • Erfahrungen von Eltern mit bestimmten Erkrankungen * Ziele der Erfassung subjektiver Krankheitstheorien • Erweiterung der Diagnostik, • Förderung von Compliance, • Verdeutlichung kultureller Unterschiede, • Suche nach Erklärungen für variierendes Inanspruchnahmeverhalten. * Subjektive Krankheitstheorien und Inanspruchnahmeverhalten (Bussing et al. 2003, Pham et al. 2010, Yeh et al. 2004) • Subjektive Krankheitskonzepte von Eltern bestimmen deren Wahrnehmung und Erklärung von auffälligem Verhalten ihrer Kinder. • Subjektive Krankheitskonzepte sind auch entscheidend dafür, ob überhaupt eine Behandlung für das Kind gesucht wird. • Subjektive Krankheitskonzepte wirken sich auf die Häufigkeit der Arztkontakte und die Compliance aus. • Kulturell bedingt ist auch die Höhe der „Wahrnehmungs- und Bewertungsschwellen“, die das auffällige Verhalten eines Kindes und die Notwendigkeit professioneller Hilfe betreffen. • Die Bedeutung der Schule und des Verhaltens der Kinder dort wird ebenfalls kulturabhängig unterschiedlich gesehen. * Literatur-Review zu UMF von Witt, A., Rassenhofer, M., Fegert, J.M. und Plener, P.L. (2015) Publikationen aus peer-reviewed journals zwischen 01.01.2004 bis 30.04.2015 < 18 Jahre beim Eintreffen im Aufnahmeland Originalarbeiten, qualitativ oder quantitativ mit mindestens 10 Studienteilnehmern in Deutsch oder Englisch Insgesamt 43 Artikel erfüllten alle Kriterien * Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland (Witt et al. 2015) Deutliche Zunahme von UMF in den letzten Jahren Eine hoch vulnerabel – aber auch sehr heterogene – Gruppe, die angemessen diagnostiziert (Screening) und versorgt werden muss Psychische Auffälligkeiten und deren Verlauf bei UMF werden in Deutschland zu wenig untersucht Neben posttraumatischen Stresssymptomen und posttraumatischen Belastungsstörungen sind auch depressive, Angst- und weitere Störungen zu berücksichtigen (20%-80%: psychische Auffälligkeiten insgesamt) Daneben gibt es einen erheblichen Anteil resilienter UMF (um die 50%) * UMF in D (Witt et al. 2015, S. 209) „unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF): < 18-jährige, die ohne Begleitung eines für sie verantwortlichen Erwachsenen in ein fremdes Land einreisen“ 6.584 unbegleitete Minderjährige wurden in Deutschland in 2013 in Obhut genommen (Statistisches Bundesamt 2014) 90% der Inobhut genommenen UMF waren männlich 2.486 Asylanträge wurden von UMF in 2013 gestellt (Müller, 2014) Die Altersangaben sind nicht immer zuverlässig Geburtsregister im Herkunftsland können unzureichend sein * Review zu UMF (Witt et al. 2015): Prävalenzen Posttraumatische Stresssymptome in Fragebogenstudien zwischen 17% und 61,5% für männliche / 71,3% für weibliche UMF Posttraumatische Belastungsstörungen in klinischen Interviews zwischen 19,5% und 30,4% Depressive Symptomatik im Selbstbericht zwischen 11,5% für männliche / 23,1% für weibliche UMF und 44,1% Depression im klinischen Interview 9,4% Dysthymie im klinischen Interview 14,6% * Review zu UMF (Witt et al. 2015): Prävalenzen Angstsymptome im Selbstbericht zwischen 17,9% und 38,3% Generalisierte Angststörungen in klinischen Interviews 3,8% Agoraphobie in klinischen Interviews 4,4% Störung des Sozialverhaltens in klinischen Interviews 2,4% Störung mit oppositionel aufsässigem Verhalten im klinischen Interview 4,9% * UMF: Inanspruchnahme von und Wünsche an Hilfen (Witt et al. 2015) Bildung und Sprachunterricht werden gewünscht Mangelnde Sprachkenntnisse und Überforderung von Dolmetschern werden als Inanspruchnahme-Barrieren gesehen Wunsch mit anderen zusammen zu wohnen (statt Einzelzimmern) Über die Hälfte der UMF wohnt selbstständig oder teil-selbstständig Wunsch nach Familiennachzug * Review zu UMF (Witt et al. 2015): Risiko und Schutzfaktoren Anzahl von Stressfull Live Events (SLE) und direkte körperliche Verletzung: Prädiktoren für höheres PTBS-Risiko Weibliches Geschlecht: Prädiktor für PTBS und Depression Alltagsbelastungen: Erhöhtes Risiko für depressive Symptome Aber: Kontakt zur Familie im Heimatland trägt zu mehr sozialer Unterstützung im Aufnahmeland und weniger depressiven Symptomen bei * Review zu UMF (Witt et al. 2015): Resilienz Keine oder kaum psychische Auffälligkeiten zeigten 18,5% bis 80% der UMF (über alle Studien hinweg) Kriterien einer psychischen Störung wurden in klinischen Interviews nicht erfüllt von 44%-58,1% UMF hatten eine ebenso große Lebenszufriedenheit wie die Vergleichsgruppen * Weiterentwicklung der Versorgung von Migrantenkindern und Jugendlichen und ihren Familien Das Angebot von Psychotherapeuten mit interkulturellen Kompetenzen ausbauen Kultursensitive personalisierte Behandlung statt scheinbar „gerechter“ Gleichbehandlung Der Einsatz von Dolmetschern muss umfassend finanziert werden Der Einsatz von bikulturell und bilingual kompetenten Psychotherapeuten und Personal sollte gefördert und unterstützt werden Berücksichtigen, dass Dolmetschen und bilinguale Kompetenzen an Grenzen stoßen müssen: im Großraum Frankfurt dürfte es über 150 verschiedene gesprochene Sprachen geben Kultursensitive Supervision für Therapeutinnen und Therapeuten entwickeln: Einer induzierten Traumatisierung von Helfenden bei Behandlung traumatisierter Migranten muß gezielt vorgebeugt werden. * Literatur Adam, H. und Klasen,F. (2011) Trauma und Versöhnung. Versöhnungsbereitschaft bei traumatisierten Flüchtlingskindern. Trauma und Gewalt 5 (4), 2011, 356-369 Adam, H. (2015) Vom Umgang mit Traumata. Wie reagieren Kinder und Jugendliche , wenn sie mit Gewalt in Berührung kommen? Krieg, Flucht und Exil aus Sicht der Entwicklungspsychologie. JuLit, 3, 2015, 3-9 Belhadj Kouider, E., Petermann, F. (2015) Migrantenkinder. Kindheit und Entwicklung, 24 (4), 199-208 Boos-Nünning, O. (2011) Migrationsfamilien als Partner von Erziehung und Bildung. Expertise im Auftrag der Abt. Wirtschafts- und Sozialpädagogik der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) bob Bonner Universitäts-Buchdruckerei: Bonn Diefenbach, H. (2010) Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im Deutschen Bildungssystem. Erklärungen und empirische Befunde. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, 3. Aufl. Gaber, J.H., Bourakhen, S., Herpertz- Dahlmann, B., Hagenah, U., Holtmann, M., Freitag, C. M., Wöckel, L., Pustka, F., Zepf, F. D. 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